Herr Ulrich Hagenah, Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg

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Herr Ulrich Hagenah, Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg
Ulrich Hagenah M.A.
Bericht 79. IFLA Weltkongress, Singapur, 17.-23.8.2013, und Pre-Conference
„Newspapers to the People“ (Newspaper Section, Genealogy and Local History Section), Singapur, National Library of Singapore, 14.-15.8.2013
SUB Hamburg, 29.9.2013
Als Mitglied des IFLA Standing Committee on Newspapers habe ich vom 17. bis 23. August
2013 am diesjährigen IFLA-Weltkongress in Singapur und zuvor vom 14. bis 15. August an
einer gut besuchten Pre-Conference zum Thema „Newspapers to the People“ teilgenommen, die gemeinsam von der Newspaper Section und der Genealogy and Local History
Section veranstaltet und von der National Library of Singapore ausgerichtet wurde. Beide
Konferenzen waren für mich sehr produktiv und vermittelten eine gute Erfahrung von engagierter, angenehmer internationaler Zusammenarbeit.
Die Fachkonferenz in der Nationalbibliothek hatte zwei Themenschwerpunkte, Nachrichtenmedien auf der einen Seite und die Bewahrung des kulturellen Erbes und seine Digitalisierung auf der anderen.
In eine Keynote Address beschrieb Felix Soh, ein Digital Media Editor aus Singapur, mit Blick
auf die Nachrichtenlandschaft im Ganzen sehr präzise die Facetten des „empowered users“,
der heute Nachrichten-rezipierend zugleich Produzent oder Transformator und Verbreiter
von Nachrichteninhalten ist – „citizen journalist“, „news as process“ -, und die Auswirkungen
dieses Subdifferenzierungs- und Dynamisierungsprozesses im Nachrichtenwesen für den
Journalismus. Die Sektion bemüht sich in den letzten Jahren verstärkt darum, die ganze Breite von News Media in ihre Aktivitäten zu integrieren.
Ein anderes Hauptanliegen der Sektion ist die Sichtbarkeit und Verbesserung der
Auffindbarkeit digitalisierter Zeitungssammlungen, u.a. erreichbar mit Maßnahmen zur
„search engine optimization“ durch Software wie Veridian, aber auch durch Marketingaktivitäten, mit denen u.a. Teilnehmer von „Chronicling America“ (Erenst Anip: Hawaii und Vermont) Mehrfachverwertungen von digitalisierten Zeitungen für die Öffentlichkeitsarbeit, in
Bilddiensten oder als Ressource für wissenschaftliche Vorträge bereitstellen oder aktiv Forschungsgruppen, Regionalhistoriker und Genealogen mit Zeitungsinhalt für ihre jeweiligen
Zielsetzungen beliefern. Die im Vergleich zu den ersten Digitalisierungsschüben erkennbare
Bestrebung, für wissenschaftliche wie sonstige Bedarfe passgenauere Angebote aufzusetzen
und die Zielgruppen in die Selektionsprozesse mit einzubeziehen, zog sich durch viele Beiträge, nicht allein für den Zeitungssektor. Immer wieder erstaunlich erscheint dem Betrachter
der in angelsächsischen Ländern enorm umfangreiche und aktive „Genealogiemarkt“ (Patrick
Fleming, British Library).
Mein eigener Beitrag zur Pre-Conference behandelte am deutschen Beispiel die Frage, inwieweit die Einbeziehung von nicht-professionellen Geschichtsinteressierten über diverse
vorhandene Mediatoren (Historische Gesellschaften, Geschichtswerkstätten und Stadtteilarchive, Wikis, Blogs, Heimatbünde, Crowdsourcing-Aktionen von Heritage-Institutionen,
u.a.m.) den im Web verfügbaren Bestand an historischen Quellen qualitätvoll vermehren
kann, und welche Rollen Bibliotheken und Archive in solch einem Ansatz spielen können, der
in Richtung einer “participatory library” mit “embedded local experts” (Michael Stephens)
gehen würde. Die anschließenden Gespräche waren lebhaft und zeigten, dass durch die
neuen digitalen Bereitstellungsformen etliche Spielräume für Kreativität entstanden sind –
dass aber auch die Reflexion der Zielhorizonte jenseits pragmatischer Projektaktivitäten ganz
wesentlich ist (Robert Allen: New approaches for indexing and interacting with digitised historical newspapers). Alle Beiträge der Pre-Conference werden demnächst auf der Website
der Newspaper Section veröffentlicht.
An diverse Vorträge zur Zeitungsdigitalisierung für einzelne Staaten oder amerikanische
Bundesstaaten der Vorkonferenz knüpften sich weitere bei der Open Session der Sektion
während des eigentlichen Kongresses. In zwei Stunden kamen zehn Projekte bzw. Regionen
zu Wort, eine eindrucksvolle Leistungsschau und eine anregende Gelegenheit zum Erfahrungsaustausch, u.a. zu generellen Fragen wie der Nachhaltigkeit und Interoperabilität von
Metadaten, zur Integration historischer und aktueller digitaler Inhalte, zur Langzeitarchivierung und zu sinnvollen Formen der internationalen Zusammenführung von digitalen Nachrichtenmedien (z.B. in der Europeana / The European Library).
Die Sektion wird weiterhin versuchen, mit Hilfe internationaler Tagungen den Austausch zur
Digitalisierung und Bestandserhaltung auf allen Kommunikationsebenen zu intensivieren.
Insofern widmeten sich die zwei Business Meetings während des Kongresses hauptsächlich
der Vorbereitung einer Frühjahrstagung 2014 in Salt Lake City („Spread the News“), in räumlicher und zeitlicher Nähe (Februar 2014) zum großen Genealogenkongress von RootsTech,
ferner einer Pre-Conference am 13./14. August 2014 in Genf („Digital Transformation and
the Changing Role of News Media in the 21st Century”) und der Open Session während der
IFLA 2014 in Lyon („All we need is News - Knowledge Production and Dissemination through
News Media“), die sich auf Retrodigitalisierung und Modelle kooperativen, arbeitsteiligen,
möglichst auch spartenübergreifenden Vorgehens konzentrieren und sicherlich einen französischen und einen EU-Schwerpunkt haben wird. Ferner wurden Frühjahrskonferenzen in
Stockholm (E-Legal-Deposit) 2015 und Hamburg (Retrodigitalisierung, Cultural Heritage
Preservation) 2016 gedanklich vorbereitet.
Auf einige ganz andere Themen konnte ich mich in verschiedenen Panels einlassen, für die
neben den laufenden Verpflichtungen während der Tagung Zeit blieb: zum Beispiel die Dokumentation von sozialen Bewegungen wie der Revolutionen des Arabischen Frühlings durch
Forschungsinstitutionen vor Ort und andere „Living Archives“, ihre Methoden, Aporien, Lei-
stungsbilanzen – und die überall aufscheinende Frage nach Meta-Archiven zu den vielen unverbundenen Einzelprojekten mit ihrem mehr oder weniger interoperablen Daten-Output.
Oder Beispiele ‚lernender Organisationen‘ mit teils sehr rigiden Fortbildungs- und
Mentoring-Strukturen (Singapur), teils interessanten theoretischen Ansätzen („Maturity models“, Australien), die zugleich die Orientierung an einer größtmöglichen Offenheit für neue
Themen und Anwendungsgebiete deutlich machten. Wieder ganz anders gelagert und sehr
anregend waren Aspekte der Erwerbungsarbeit, z.B. im US-Bundesstaat Maine der Versuch,
zwischen unterschiedlich profilierten Bibliothekssystemen Bestandsabgleiche und eine arbeitsteilige Konzentration auf Ein-Exemplar-Bestände zu organisieren. Anregend waren auch
asiatische Beispiele genealogischer und regionalhistorischer Sammlungen und Forschungen
in der Open Session der Genealogy and Local History Section, u.a. die spartenübergreifende
Arbeit für das Hongkong Maritime Museum (Robert Trio) zwischen musealem Story Telling,
Dokumentation und Zusammenwirken mit der Community der Interessierten. Diese Thematik lag schon wieder sehr nah bei meinem Thema des spartenübergreifenden Aufbaus von
Regionalportalen, das ich in einem Kurzvortrag „HamburgWissen Digital - A Gateway for Regional Information in Northern Germany“ im Rahmen der Präsentationen des GoetheInstituts in der Firmenausstellung behandelt habe.
Der gemeinsame Stand der deutschen Bibliotheken, für die stellvertretend die DNB, BSB, TIB
und die SUB Hamburg standen, bot für diese und andere informellere Aktivitäten und Fachgespräche gute Gelegenheiten. Einige Stunden ‚Standdienst‘ gingen hier wie im Fluge vorbei,
und man konnte immer Anregungen für sich mitnehmen.
Einen direkten Bezug zu meiner Arbeit hatte die Vorstellung von Digitalisierungs-Richtlinien
durch die Rare Books and Manuscripts Section, einschließlich der lebhaften Diskussionen
danach. Andere Aspekte traten auf dem IFLA-Kongress in verschiedener Gestalt immer wieder auf, konnte ich aber nicht im Einzelnen verfolgen: Public Private Partnerships zum Beispiel, Legal Deposit für elektronische Produkte, insbesondere verschiedenste Nutzungs- und
Lizenzmodelle, die aus Verhandlungen mit der Verlegerseite entwickelt wurden und für verschiedene Gruppen und Lokalitäten der Nutzung flexibel unterschiedliche Verfahrensweisen
vorsehen, das große Thema E-Lending, Katastrophenprävention, etc. Vieles davon wurde
auch berührt in dem verdienstvollen Trend Report der IFLA, den Ingrid Parent mit plastischen Beispielen vorstellte – Beispiele, die vor allem die Spielräume aufzeigten, die uns Handelnden im Informationssektor bei unvermeidlichen Konflikten zwischen verschiedenen
Trends (z.B. Empowerment vs. Überwachungsmöglichkeiten) zuwachsen, Beispiele aber auch
für die überall fühlbare Prädominanz technologischer Entwicklungen.
Das Caucus Meeting der deutschsprachigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer offenbarte,
dass die Gruppe in diesem Jahr deutlich kleiner als in Helsinki, aber doch eine der stärksten
nationalen Gruppen insgesamt auf dem Kongress war. Beim abendlichen Empfang desselben
Personenkreises durch das Goethe-Institut in der Deutschen Botschaft waren drei aktuelle
bzw. gewesene IFLA-Präsidentinnen vertreten. Die lockere Atmosphäre schuf das Klima für
anregende Gespräche im KollegInnenkreis.
Der Kongress war durchweg ausgesprochen stimulierend und gedanklich belebend, was den
erheblichen zeitlichen Aufwand mehr als kompensiert hat. Kritisch ist anzumerken, dass die
Beschränkung des offiziellen Bibliotheksbesuchsprogramms auf den Tag nach dem Konferenzabschluss kontraprodukiv und ärgerlich ist. Man hätte gern unterschiedliche Einrichtungen und nicht nur eine kennengelernt, und eine Streuung über die ohnehin lange Kongresszeit wäre viel sachdienlicher. Das trübte aber den sehr positiven Gesamteindruck nur unwesentlich. Die Organisation des Kongresses war perfekt, Ideen wie der Social Evening im Beach
Club und die Präsenz der unglaublich freundlichen und hilfsbereiten Helferinnen und Helfer
waren einfach großartig!
Meine Reise zu den zwei Konferenzen in Singapur wurde dankenswerterweise durch ein Stipendium von BI-International für internationalen Fachaustausch (Bibliothek & Information
Deutschland) gefördert.