DRG-Daten im Detail
Transcription
DRG-Daten im Detail
1. Patientenidentifikation und Stammdaten Der Verwendung von Stammdaten, die meist aus den Chipkarten der Krankenkassen gelesen wurden, teilweise aber auch manuell erfasst wurden (Notfallaufnahme etc.), ist sicher sinnvoll, kann jedoch nicht ohne Nachbearbeitung erfolgen. Folgende Probleme können auftreten: Dubletten (PatientIn wurde neu angelegt trotz früheren Aufenthalts) veraltete Adressen (Chipkarten von Krankenkassen werden bei Umzug nicht automatisch erneuert) unterschiedlicher Umgang der Chipkarten mit Umlauten, Sonderzeichen, Großund Kleinschreibung abweichende Vor- und Nachnamen, Namenszusätze, Ordensnamen und Adelstiteln Beispiel von abweichenden Vornamen: Elli Charlotte statt Elisabeth Charlotte Helga statt Hilde etc. Weiter zu prüfen sind folgende Probleme: fehlerhafte Postleitzahl-Ort-Kombinationen in Patientenadressen falsche Nationalitätskennzeichen Wohnortangaben, die Ortsteile, Abkürzungen etc. enthalten Adressen, die sich auf den Arbeitsort oder den Wohnort von Verwandten beziehen Zahlendreher in Geburtsdatumsangaben (12.02.1908 statt 12.02.1980; können ggf. durch Vergleich der Quersummen aufgefangen werden) Ein regelmäßiger systematischer Abgleich neuer Stammdaten mit bereits vorhandenen ist daher unerlässlich, z. B. für die Dublettenkontrolle und für die Nachverfolgung der Patienten bei Einwohnermeldeämtern. Diese wiederum können zusätzliche Namensangaben wie z. B. Geburtsnamen, Geburtsorte sowie Namens- und Adressänderungen liefern, mit deren Hilfe ggf. weitere mögliche Dubletten identifiziert werden können. Beispiel: Brigitte Musterfrau, geb. 01.01.1950, wohnhaft in Berlin/ Maria Brigitte Müller, geb. Musterfrau, geb. 01.01.1950, wohnhaft in Potsdam Das Patienten-Sterbedatum ist in den Abrechnungsdaten i. a. nur enthalten, wenn der Tod in der Klinik erfolgte. Der Allgemeinzustand bei Entlassung kann ggf. aus der Pflegedokumentation abgeleitet werden. Darauf wird den Klinischen Krebsregistern jedoch i. a. kein Zugriff gewährt. 2. Diagnosen ICD-Diagnosecodes müssen müssen immer nachträglich vereinheitlicht werden, da sie aus verschiedenen Versionen der ICD stammen. Dies ist für die Neubildungen mit Hilfe einer Konvertierungstabelle mit Abstrichen machbar, jedoch für schon länger bestehende Begleiterkrankungen u. U. sehr schwierig. Außerdem enthalten Abrechnungsdiagnosen z. T. Fehler (falsche Diagnosenverschlüsselung, Eingabefehler bei ICD-10-Codes etc.). Die Einführung der ICD-10 und des dazu gehörenden Diagnosenthesaurus hat jedoch bereits zu einer erheblichen Verbesserung geführt. Die jährlich überarbeiteten neuen Deutschen Kodierrichtlinien werden ebenfalls dazu beitragen. Sie enthalten unter anderem ein spezielles Kapitel mit Kodierrichtlinien für Neubildungen. Allerdings scheinen die Malignom-Kodierregeln in einzelnen Kliniken durchaus unterschiedlich interpretiert zu werden. Hinzu können Änderungen der Kodierregeln kommen, die sich auf die Dateninhalte auswirken, z. B. die Kodierung von Chemotherapie-Tagesfällen. Wirklich schwierig ist die Auswahl von "richtigen" Tumordiagnosen aus einer Fülle von Diagnosecodes, die für jeden Aufenthalt in jeder Fachabteilung erfasst werden müssen. Beispiel: Patientin mit folgenden Diagnosecodes für Mammakarzinom: C50.2, C50.9, C50.5, C50.8, C50.9, C50.4 etc. Mehrfachtumoren? sich ausbreitender Tumor? Eingabefehler? Die Klärung dieser Fragen kann aufwändiger sein als die einmalige erneute Erfassung des richtigen Diagnosecodes. Bedauerlich ist auch die Wiederabschaffung der Kennzeichnung von Verdachtsdiagnosen, die ggf. auch noch bei Entlassung oder Verlegung bestehen können, z. B. weil der Pathologiebefund noch nicht vorliegt. Die Diskussion um diese und andere Kennzeichnungen hält an. Die ICD-10 hält für Verdachtsdiagnosen die Kennzeichnung durch Codes der Gruppe Z03 bereit: Beispiel: Z03.1 Beobachtung bei Verdacht auf bösartige Neubildung Auch die Seitenlokalisation muss nicht angegeben werden, was gerade bei Mammakarzinomen hilfreich wäre, um zu klären, ob ein zweiter Tumor vorliegt. Immer wieder trifft man auf anamnestische Tumordiagnosen, die Jahre und Jahrzehnte zurückliegen. Da das Erstdiagnosedatum nicht in den DRGs verlangt wird, entstehen hier leicht Missinformationen. Dafür können aktuelle Tumorerkrankungen fehlen, wenn sie nicht behandlungsrelevant ist, z. B. bei einem Patienten mit Lungenentzündung, der vor 4 Jahren eine Darmkrebsoperation hatte. Bei den Ambulanzbesuchen wurden bis 2000 keine Diagnosen verschlüsselt, auch nicht bei ambulanter Strahlentherapie. Besuche in Privatambulanzen müssen auch heute noch nicht mit ICD verschlüsselt werden. In den Jahren 2000 bis 2002 konnte als Folge der DRG-Ankündigung eine starke Überkodierung beobachten, bes. von unklaren Verdachtsfällen. Bei Metastasen fehlt z. T. die Angabe des Primärtumors bzw. der Code für "Unbekannter Primärtumor". Nachbearbeitung erfordern auch ICD-10-Codes nach SBG-V wie C73.-, die in die o.g. Konvertierungstabelle aufgenommen werden müssen. Einige ziemlich neue ICD10-Codes aus der Z-Kategorie können ebenfalls als Zusatzinformation für die Klinischen Krebsregister interessant sein. Insgesamt ist eine Konvertierung in eine einzige Version nicht vollständig korrekt durchzuführen. Da in der ICD-10 die Neubildungen nicht generell nach der Lokalisation, sondern manchmal nach der Morphologie verschlüsselt werden, bietet nicht jede ICD-10-Diagnose des Kapitels Neubildungen eine befriedigende Information. Beispiel: Verschlüsselung des Magenlymphoms: C85.9 (Non-Hodgkin-Lymphom, Typ nicht näher bezeichnet); weder die Art des Lymphoms noch die Lokalisation werden berücksichtigt. Daher bevorzugen viele Klinische Krebsregister die ICD-O mit Tumorlokalisationsschlüssel und Tumorhistologieschlüssel. Diese können nicht aus der ICD-10 erzeugt werden und müssen manuell hinzugefügt werden. Prinzipiell lassen sich aus den DRG-Diagnosedaten folgende Informationen extrahieren: ICD-10-Codes zu Primärtumoren ICD-10-Codes zu Metastasen ICD-10-Codes zu Chemotherapie und Radiotherapie (allgemein) ICD-10-Codes zu Begleiterkrankungen, Folgeerkrankungen, Komplikationen, Nebenwirkungen Ggf. von Interesse können folgende ICD-10-Codes bzw- Codegruppen sein: Z03.1 Beobachtung bei Verdacht auf bösartige Neubildung Z08.- Nachuntersuchung nach Behandlung wegen bösartiger Neubildung Z12.- Spezielle Verfahren zur Untersuchung auf Neubildungen Z40.0- Prophylaktische Operation wegen Risikofaktoren in Verbindung mit bösartigen Neubildungen Z54.1! Rekonvaleszenz nach Strahlentherapie Z54.2! Rekonvaleszenz nach Chemotherapie Z80.- Bösartige Neubildung in der Familienanamnese Z85.- Bösartige Neubildung in der Eigenanamnese (entspricht "Zustand nach ..." bei nicht mehr nachweisbarem Tumor) Z90.- Verlust von Organen, andernenorts nicht klassifiziert Z92.3 Bestrahlung in der Eigenanamnese 3. Prozeduren zur Diagnostik und Therapie Neben Prozeduren zur diagnostischen Prozeduren und Operationen gibt es im Operationsschlüssel OPS auch Schlüssel für Chemotherapie bei bösartiger Neubildung (854*) und für Strahlentherapie (8-52*, 8-53*, allerdings nicht ausschließlich für bösartige Neubildungen). Außerdem gab es bis vor wenigen Jahren z. T. zusätzliche abteilungsspezifische Prozedurencodes. Wie bei der ICD muss man mit Codes aus verschiedenen Versionen umgehen. In der ICD-10-Kategorie Z gibt es seit 2000 einige Codes, die gegebenfalls Hinweise zu Maßnahmen bei Tumorerkrankungen geben können: Strahlentherapie-Sitzung: Z51.0 Chemotherapie-Sitzung wegen bösartiger Neubildung: Z51.1 Kombinierte Strahlen- und Chemotherapiesitzung wegen bösartiger Neubildung: Z51.82 Palliativbehandlung: Z51.5 Nachuntersuchungen nach Therapie von bösartigen Neubildungen: Z08.0, Z08.1, Z08.2, Z08.7, Z.08.8, Z08.9 Leider führen die Codes Z51.0 und Z51.1 dazu, dass viele Ärzte nicht die differenzierteren Procedurencodes des OSP für Chemotherapie (8-54*) und Strahlentherapie (8-52*) anwenden. Bei ambulanten Chemotherapie- bzw. Strahlentherapiebehandlungen, welche die Mehrheit darstellen, werden i. a. nur die Tumordiagnosen verschlüsselt. Eine Chemooder Strahlenbehandlung kann dann höchstens über die durchführende Kostenstelle abgeleitet werden. 4. Administrative Daten Aus den Abrechnungsdaten lassen sich i.a. die folgenden administrativen Informationen mehr oder weniger vollständig extrahieren: behandelnde Abteilungen (über Kostenstellen) Daten der ambulanten und stationären Aufenthalte inkl. der Datum der ersten Aufnahme Datum des letzten Besuch im Klinikum (ggf. als letztes Lebenddatum für die Ermittlung der Überlebenszeit verwendbar, wenn kein neueres Datum vorliegt) interne Kennummer(n) Sterbedaten (falls Patient intern verstorben) Die Kostenstellen und Aufnahmedaten sind nützlich für die gängige Frage nach der Zahl neuer Tumorpatienten einer Abteilung in einem gegebenen Zeitraum. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass in vielen KIS-Systemen die-Daten nicht weiter als 1994 zurückreichen und die neuen Tumorerkrankungen ggf. gar nicht so neu sind. 5. Fehlende Informationselemente in den DRG-Daten Wichtige spezifische Informationen zu Tumorerkrankungen sind in den DRG-Daten i. a. NICHT in strukturierter Form in den Diagnosetexten enthalten: bei Erstbehandlung: Erstdiagnose-Datum, Lokalisation, Histologie (Verbatim und Code), Staging, Grading, Seitenlokalisation, Datum des ersten Verdachts, Diagnosesicherung bei der ersten Aufnahme ins eigene Klinikum: Lokalisation, Histologie (Verbatim und Code) Staging, Grading, Diagnosesicherung, Vorbehandlung(en) Klassifikationen (z. B. TNM, FIGO, ANN ARBOR, R-Klassifikation etc.) Tumordetails nach den einzelnen Therapiephasen Nachsorgebefunde Vitalstatus Todesursache Tumorrest (R-Klassifikation) Remissionsstand bei Entlassung Gelegentlich stehen in den Diagnosetexten entsprechende Informationen, die nur mit unangemessenem Aufwand in einheitliche Formate gebracht werden können. Eine große Hilfe bietet die standardisierte Verschlüsselung der Pathologiebefunde mit HistologieCode, Grading, Staging und R-Klassifikation durch die Pathologen, wie das bereits in vielen Zentren der Fall ist. Idealerweise können die entsprechenden Schlüssel in speziellen Feldern des Pathologiesystems hinterlegt und dort elektronisch abgerufen werden. Nicht alle Tumorpatienten werden jedoch von der eigenen Pathologie diagnostiziert. Befunde von extern beauftragten Pathologen oder von Tumorpatienten, die ihre Pathologiebefunde mitbringen, werden selten strukturiert nacherfasst. Sie sind höchstens im Arztbrief erwähnt, aus dem die relevanten Angaben nicht ohne weiteres ausgelesen werden können. 6. Fazit DRG-Daten sind bisher kein adäquater Ersatz für die Tumordokumentation. Sie sind sehr nützlich für klinische Krebsregister und als Informationsquelle unverzichtbar, z. B. als Referenz oder Richtwert für die interne Vollzähligkeitskontrolle. Als unmittelbare Datenquelle für den Import in ein Klinisches Krebsregister sind die DRGDaten nur bedingt verwendbar (je nach Ausmaß der Qualitätsprobleme). Ein gezielter Zugriff auf Tumordaten in einem Krankenhausinformationssystem kann über eine Tabelle von tumorrelevanten ICD-10-Codes aus dem Kapitel Neubildungen erfolgen. In die Tabelle müssen jährlich alle neuen Code-Versionen regelmäßig eingepflegt werden. Jeder Patient, für den ein solcher tumorrelevanter ICD-10-Code erfasst wurde, kann als (potentieller) Tumorpatient gelten. Vor der Umsetzung sollte der zuständige Datenschützer der Klinik einbezogen werden. Wichtige Voraussetzungen für die Integration von DRG-Daten in Krebsregister sind: Maßnahmen, damit die zu integrierenden Daten die erforderlichen Qualitätskriterien erfüllen standardisierte Arztbriefschreibung und strukturierte Speicherung der Arztbriefdaten bzw. automatische Generierung von strukturierten Arztbriefen eine relationale Struktur des Datenbanksystems, das dem Klinischen Krebsregister zugrunde liegt, damit sich Daten von verschiedenen Stellen, die an der Diagnostik, Behandlung und Nachsorge von Tumorerkrankungen beteiligt sind, zu einem chronologischen Verlauf zusammenführen lassen (wie z. B. in GTDS) eine Schnittstelle für den Datenimport gemeinsame bzw. kompatible Kodierungs- und Klassifikationssysteme, z. B. für die Tumordiagnose = Tumorlokalisation + Tumorhistologie Publikationen zum Thema: Qualitätssicherung: Tumordokumentation. Deutsches Ärzteblatt 101(36), Seite A-2370 / B-1992 / C-1920 (03.09.2004) Informationen rund um das Thema DRGs: DRG-Research Group Münster