AUGUSTINUS - Kirchenvater und Philosoph

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AUGUSTINUS - Kirchenvater und Philosoph
Florian G. Hartl
Latein-Spezialgebiet "Augustinus"
1999
Latein - Spezialgebiet
AUGUSTINUS - Kirchenvater und Philosoph
Übersicht:
1) Biographie:
a) Augustinus´ Jugendzeit bis zu seiner Bekehrung
b) das bischöfliche Wirken des Heiligen
2) Politische sowie gesellschaftliche Situation im römischen Reich zur Zeit
Augustinus´:
Die Krise des Christentums nach der „Befreiung“ durch die
Erhebung zur Staatsreligion
3) Irrlehren:
a) Manichäismus
b) Neuplatonismus
4) Gründung einer Priesterkongregation: Augustiner Chorherren
(Klosterneuburg)
5) Wirkung des Heiligen auf die Nachwelt:
a) die theologische Wirkung seiner Schriften
b) die philosophische Wirkung Augustinus´
c) die künstlerische Wirkung des Heiligen
6) Werkübersicht:
Aufschlüsselung der inhaltlichen Schwerpunkte sowie konkrete
Titel
7) Sprache des Augustinus´:
kurze Untersuchung der Sprache welcher sich Augustinus
bedient
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1999
Das Augustinische Jahrhundert
Aurelius Augustinus, der am 13. November 354 geboren wurde und am 28. August 430
starb gehört, wenn übehaupt noch in die Antike, so in ihre letzte Phase, die sogenannte
Spätantike. Nach Diocletian und Constantin (306 - 337) hat sich das römische Reich
neu konstituiert: das oströmische Reich ist der älteste totalitäre Staat modernen Stils.
Dieses Reich wird durch Unterdrückung durch die herrschende Schicht gehalten.
(Augustinus erwähnt immer wieder die beunruhigenden Agentes in rebus, die
wahrscheinlich Gestapo-Agenten gleichkommen.) Gleichzeitig bröckelt im 5. Jhdt. das
römische Kaiserreich ab und zwar durch das Abtrünnigwerden des Proletariats in
manchen Gebieten, sowie durch dem Ansturm der Barbaren von außen. (Als 56 jähriger
erlebt Augustinus wie die Festungen Roms von den Westgoten gestürmt werden.) Die
Vandalen, die später auch Augustinus' Bischofsstadt Hippo belagern sollen, ziehen
durch ganz Europa bis nach Spanien und Gibraltar und zerstören auch in Nordafrika
und Karthago die römische Herrschaft.
Doch Augustinus lebt auch in der Zeit in der das Christentum mit der Bekehrung
Constantins endgültig Staatsreligion geworden ist. Doch auch damit sind nicht alle
Probleme überwunden: die beiden äußeren Enden der sozialen Skala, die Bauern und
die Aristokratie widerstehen immer noch der christlichen Idee. Auch das Eingreifen der
kaiserlichen Macht in kirchliche Angelegenheiten komplizierte die Dinge der alternde
Constantin, Constans und Valens entscheiden sich für diese oder jene Fassung der
arianischen Irrlehre und somit erlebt die Orthodoxie dunkle Zeiten bis zur Zeit Kaiser
Theodosius' der sehr katholisch ist.
Dennoch ist dieses 5. Jhdt. n. Chr. ein goldenes Zeitalter der Kirchenväter, Mönche und
Männer der Tat, die der christlichen Literatur Klassiker schenken.
Augustinus' Leben und Werk:
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Aurelius Augustinus kommt am 13. November 354 in der nordafrikanischen Kleinstadt
Thagaste, dem heutigen Souk-Ahras zur Welt. Er ist ein afrikanischer Römer. Es ist
lateinischer Boden (d.h. Latein war nicht nur seine Kultursprache sondern auch seine
Muttersprache). Sein Vater Patricius ist ein kleiner Grundbesitzer mit Sklaven und
städtischer Beamter. Er bleibt bis kurz vor seinem Tod, als er sich taufen läßt, den alten
römischen Göttern treu. Augustinus' Mutter Monica (oder auch Monnica) hingegen
stammt aus einer katholischen Familie und in diesem Sinne versucht sie auch
Augustinus zu erziehen. Der kleine Augustinus ist ein sehr aufgeweckter Knabe, der in
der in seiner Umgebung - Thagaste ist ein Handelsmarkt, den viele Karawanen kreuzen
und liegt in einer sehr eindrucksvollen, kraftvollen Landschaft - Eindrücke sammelt, die
er später in seinen Werken als eindrucksvolle Bilder wiedergeben wird. Augustinus
empfängt, wie es damals üblich war nicht die Kindstaufe sondern nur eine Weihe, die
ihn zum Christwerden in den Mannesjahren vorbestimmt. Er wächst auf in dem
Zwiespalt zwischen Donatisten und Katholiken (den zwei größten unter dem Namen
"Christen" laufenden Strömungen der damaligen Zeit), sowie den gesamten
heidnischen Göttern, die hier in der Provinz immer noch das Glaubensbild beherrschen.
Sein Vater Patricius beschließt, A. in die Schule zu schicken, um ihm die Möglichkeit
der Laufbahn als Lehrers oder Rechtsanwaltes zu geben, die ihm im Dienste des
Kaisers Wege zur Macht und zu Reichtum eröffnen würde.
Für den spielfreudigen Knaben wird die Schule zur unterdrückenden Last. Die Prügel
durch den Lehrer sind Folter für seine Seele. Später jedoch, als er auf die höhere
Schule in Madaura, einer Stadt unweit von Thagaste, geschickt wird, lernt er in dieser
lichtbefluteten Stadt ausgelassener Götterfeste den Lohn für seine Mühsal mit der
Grammatik kennen: der Zauber der großen Epopöen von Äneas und Dido, von
Odysseus und den Kämpfen um Troja. Homer wird ihm verleidet durch das griechische,
das er haßt, aber Vergil nimmt ihn für Lebenszeit gefangen. In der Rhetorik überflügelt
er die anderen Schüler sehr bald, jedoch wird er zum Lieberhaber sinnlicher Genüsse,
der, als er mit 16 Jahren zu seinen Eltern heimkehrt (die finanziellen Mittel des Vater
reichen nicht aus) ein volles Jahr in erotischer Dichtung und im Nebel seines
Selbstgefühles verbummelt. In seiner unbändigen Sinnlichkeit verdunkelt sich ihm wie
selbstverständlich das Auge für die Dinge des Geistes, an die seine Mutter glaubt.
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Die wirtschaftliche Bedrängnis zwingt Patricius , seinen Sohn für das weitere Studium
einem reichen Bürger, dem mäzenatisch gesinnten Romanian, zu empfehlen. Auf seine
Kosten bezieht der 17-jährige die Hochschule von Karthago, um Rhetor und Anwalt zu
werden. Karthago, eine der fünf größten Städte des Kaiserreichs (Rom, Antiochia,
Konstantinopel, Alexandria), beeindruckt den Jungen vom Land natürlich sehr. Diese
Stadt, die einem Völkergemisch aus aller Herren Länder Heimat bot mit stolzen Gefühl,
römische Bürger zu sein. Hier finden sich auch Religionen und Philosophien
gewissermaßen zu einem Jahrmarkt des Geistes zusammen. Augustinus genießt das
Leben wie ein flüchtig gewordener Sklave. Doch zwischen all den Theaterbesuchen,
dem Musizieren und dem Flirt bringt es der außergewöhnlich Begabte auch in seiner
Rhetorenschule bald zum Ersten, wie es den Hoffnungen seiner Eltern entspricht. In
dieser Zeit stirbt Augustinus' Vater und der Zuschuß Monnicas zu den Leistungen des
Romanian findet seine Grenze an den Verpflichtungen gegen die Gläubiger ihres
Mannes. A. indessen, der für Geld auch Stunden gibt und Theaterstücke schreibt, hat
auskömmlich zu leben. Er tut sich mit einem Mädchen zusammen, einem, wie es
scheint recht vernünftigen, lebenstüchtigen Kind, mit dem er über 13 Jahre ein
Verhältnis betreibt, aus der auch ein Kind, ein Knabe hervorgeht, der, obwohl ungewollt,
doch den Namen Adeodatus bekommt. In dieser Beziehung, so kann man es aus den
Confessiones herauslesen, lernt A. die Defizite der geschlechtlichen Liebe kennen. Die
Lust im Spiel zwischen Vereinigung und sich nicht vereinigen erfüllt das Letzte, nach
dem der Eros strebt, nicht. Wie dem auch sei, vorerst mag es dem jungen Literaten, der
auch "Über das Schöne und Angemessene" seine Gedanken niederschrieb, ein
ästhetisches Bedürfnis gewesen sein, sich tiefer auf die Welt des Geistes einzulassen.
Doch auch diese Fragen der Schönheit, werden sie weiter in die Tiefe verfolgt führen
unaufhaltsam ins Gebiet der Fragen, wo der Ästhetik das Wort entzogen ist und so
ermuntert sich der Neunzehnjährige an einem Dialog des Cicero über die Weisheit heute ist er verloren - im Flüchtigen das Beständige zu ergreifen. Der Intellektuell
beginnt, Bücher nicht mehr nur nach ihrer Form sondern nach ihrem Inhalt zu lesen. In
dieser Zeit, wo er eifrig nach dem Weltgrund zu suchen beginnt, greift er auch zur Bibel,
wird aber, er, der Schöngeist, durch die Redeweise abgestoßen. Er sieht sich auch die
Kirche seiner Mutter an, aber das gar so autoritäre Wesen stößt ihn ab, auch die
Keuschheit, um die er zwar an der Schwelle der Mannwerdung gebetet hat (jedoch mit
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der Bitte um Aufschub), macht ihm zu schaffen. Was seine Mutter nach ihrem Ideal an
diesem Sohn erzogen hat, scheint vergeblich zu gewesen zu sein. In dieser Zeit,
befindet sich A. - in der unglaublichen Fülle der Lebensphilosophien, die in Karthago
angeboten werden - auf der Suche nach einer Lehre, die seine Gedanken und Fragen
beantworten soll. Er glaubt diese dann auch zu finden und zwar in der Kirche des Mani,
eines persischen Reformators der Lehre Zarathustras, der gut hundert Jahren vor
Augustinus sich selbst als den nach Abraham, Zoroaster, Buddha und Christus als
letzten himmlischen Sendboten für die Erfüllung eines göttlichen Plans sieht. Seine
Religion stehen sich von Uranfang die Mächte des Lichtes und der Finsternis sich
gegenüber. In ihrem langen Kampf ist schließlich die lichte Materie von der finsteren
überwältigt worden und nun muß der lichte Teil erlöst werden, eine Aufgabe die sich vor
allem bei der Frau sehr schwer gestaltet, da bei ihr das Finstere stark überwiegt. Die
Vollkommenen und Auserwählten legen das dreifache Siegel der Enthaltung an: auf
den Mund, der nicht unrein reden und den Genuß von Fleisch und Wein sich versagen
soll; auf die Hände, die auf Eigentum und gemeine Arbeit zu verzichten, auf den Schoß,
der sich Ehe und Geschlechtsverkehr zu versagen hat. Den einfachen Hörern wird
diese Strenge nicht auferlegt. War ihnen auch die Ehe und Zeugung verboten, so nicht
die unfruchtbare Lust des fleischlichen Umgangs. Sie müssen jedoch immer wieder
Fasten und Beten und alle erwarten sie den Tag der kosmischen und sittlichen
Scheidung von Licht und Finsternis. Dann fällt die lichtlos gewordene Welt, von Engeln
in Brand gesteckt, in Asche, die Getreuen Manis aber gehen für ewig ins Licht des
Himmels ein, die andern in die Hölle, das Reich der vollen Finsternis.
Dieses Evangelium, für das Mani, der am persischen Hofe nicht gern gesehen war,
unter dem Haß persischer Priester am Kreuz starb, drang im Osten bis nach China, im
Westen so weit, als der römische Name reicht, auch nach Karthago und tief, tief in die
Seele Augustinus'. Er ist Hörer bei den Manichäern als er sein Studium abschließt und
aus unbekannten Gründen der juristischen Laufbahn entsagt und in seine Vaterstadt
zurückgeht, während sein Mädchen in der zaubervollen Stadt am Meer verbleibt. Als er
nach Hause zurückkehrt, befindet er sich in tiefem Zerwürfnis mit seiner Mutter, die
inzwischen immer mehr in den christlich Glauben eingedrungen ist. Alles Einreden auf
ihn nutzt nichts, der 20jährige, stolze Intellektuelle spottet nur und wirbt sogar in
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Thagaste weiter für den Manichäismus. Es kommt der Tag, wo die Mutter ihm das Haus
verschließt.
So wendet er sich an den Mann, der ihn schon einmal unterstützt hat, als die Mittel des
Vaters nicht ausreichten, seine Ausbildung zu bezahlen, den großen Gönner Romanian.
Dort verdient er sein Geld als Lehrer der Familie und lebt das Leben in Saus und Braus.
Monnica inzwischen betet und weint für ihren "verlorenen Sohn". Als sie sich einmal
sogar an den Bischof mit ihrem Anliegen wendet, tröstet er sie mit den Worten: "Es ist
nicht möglich, daß ein Sohn solcher Tränen verloren geht."
Da gibt es plötzlich einen Umschwung in Augustinus' Leben. Ein Freund von ihm
erkrankt schwer an Fieber, erhält in seiner Bewußtlosigkeit die Taufe (es war damals
allgemein üblich, die Erwachsenentaufe durchzuführen um möglichst rein von Sünden
sterben zu können) und wird wieder gesund. Augustinus aber spottet über ihn und die
Taufe, wie er es als Manichäer gewohnt war. Sein Freund allerdings bietet ihm Parole
und als er kurze Zeit später stirbt, bricht für A. eine Welt zusammen.
Durch den Tod seines Freundes verliert Thagaste für ihn seine heimatliche
Geborgenheit. Nicht einmal die Villa seines epikurischen Gönners kann ihn noch halten.
375 geht er nach Karthago zurück. Dort verbringt er 8 schwere Jahre. Seine Freundin ist
ihm inzwischen Mutter eines Sohnes geworden, den er, obwohl ungewollt, "Adeodatus"
nennt. Die Sorge, die er jetzt für Mutter und Kind zu tragen hat, bringt ihn auch in
wirtschaftliche Bedrängnis und so sieht er sich gezwungen, einen Rednerschule zu
eröffnen, in der auch seine Freunde Alypius und Nebridius seine Schüler werden.
Daneben schreibt er fürs Theater und beschäftigt sich mit Mantik, Magie und Astrologie.
Doch einiges dieser okkulten Wissenschaften beleidigte seine Nerven wie auch einiges
aus der Lehre der Manichäer beginnt ihn anzuwidern. Durch seine immer
wiederkehrende Kritik wird er ihnen sichtlich unbequem und so verweigern sie ihm die
Aufnahme in den Kreis der Erwählten.
Auch macht der Lehrer der Rhetorik in Karthago, der Weltstadt nicht wirklich Furore und
so, nach all diesen Enttäuschungen, beschließt er nach Rom zu fahren um dort sein
Glück zu versuchen. Seine Mutter, die seit unbekannter Zeit auch bei ihm in Karthago
wohnt, versucht ihm abzuraten, doch stößt sie auf taube Ohren und beschließt also
auch weiterhin ihren Sohn zu begleiten. Augustinus aber will davon nichts wissen und
so trickst er die Mutter aus und reist ohne sie ab in die Stadt, in die ihm schon sein
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Freund Alypius vorangegangen war. Dort in der Stadt aus Gold und Marmor in der die
Völker des Orient und Okzident in Luxus und Armut sich durcheinander drängen, fühlt
er sich nicht wohl. Alypius ist inzwischen hoher Finanzbeamter geworden und
Augustinus tut sich schwer, die Vorlieben seines Freundes für Sklavenhetzen und
Theaterspiele zu teilen. Er selbst schafft es zwar eine große Schar von Schülern um
sich zu versammeln, doch bleiben die Hörer ihm, der ohne staatlichen oder städtischen
Auftrag hier unterrichtet das Honorar schuldig.
Doch über Nacht tut sich dem innen und außen verklemmten Dreißigjährigen eine helle
Zukunft auf. Die Stadt Mailand sucht nämlich um einen Rhetoriklehrer an und
Augustinus, der sich sofort bewirbt erhält tatsächlich die Stelle und wird in einem
kaiserlichen Wagen an seine neuen Wirkungsstelle gebracht.
Als er dort, der Inhaber einer öffentlichen Professur, im Jahre 385 seine Antrittsrede
hält, stellt er sich auch dem katholischen Bischof der Stadt vor. Dieser aber war
Ambrosius. Augustinus spürt sofort das Wohlwollen dieses Kirchenfürstes, der gegen
die Heiden und Arianer kämpfte und so beginnt er, zuerst nur an der Form, später auch
an der Sache interessiert, sich dem Kreise Ambrosius' zu nähern. Immer wieder sucht
er das tiefe Gespräch mit dem Heiligen, aber dieser ist viel zu beschäftigt um sich mit
dem künftigen Wortführer eines Jahrtausends eingehender zu unterhalten.
In einem Haus mit Garten lebt er zwischen Beruf und Neigung zu Büchern und
Menschen. Er hat seine Geliebte und seinen genial erwachten Sohn zu sich geholt und
auch ein ganzer Schwarm Verwandter sind ihm nachgekommen; so beispielsweise
seine Freunde Alypius und Nebridius und seine Mutter. Diese, immer um das seelische
wie weltliche Wohlergehen ihres Sohnes besorgte, setzt ihm auch solange zu,
standesgemäß zu heiraten um die Möglichkeit auf eine weitere Beamtenlaufbahn in
diesem offiziell christlichen Staat zu sichern, daß er schließlich einwilligt und seine
Geliebte aus dem Hause verbannt. Seine Mutter führt ihm inzwischen ein katholisches
Mädchen aus reichem Hause zu, die ihm auch ihr Jawort gibt. Die Hochzeit muß
allerdings, da sie noch zu jung ist, um zwei Jahre aufgeschoben werden. Augustinus,
der die Einsamkeit nicht gewohnt ist, nimmt sich derweil eine andere Frau zu sich ins
Haus. Doch wird er die Erinnerungen an seine einstige Geliebte nicht mehr los, die nach
Afrika zurückgekehrt war und so beginnt er wieder zu grübeln und zu trauern. Zu dieser
Zeit sitzt er oft mit seinen Freunden im Garten zusammen und sie diskutieren über die
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Ehe, Ambrosius, die Philosophie des Epikur, der Skeptiker, und Agnostiker oder über
den Plan eines Laienkloster. Zu diesem Zeitpunkt, er ist gerade dabei eine Lobrede auf
den Kaiser vorzubereiten versetzt ihn plötzlich ein betrunkener Bettler, den er auf einem
Spaziergang durch die Straßen Mailands trifft in grelle Selbsterkenntnis. Er muß
realisieren, daß dieser Mann mit seinen paar erbettelten Münzen sich in ein ebenso
wirkliches Glück gestürzt hatte, wie es ihm, dem gelehrten Philosophen bei all seinem
Reichtum gelang.
Da der mailänder Rhetor sich von berufswegen auch mit den philosophischen Schriften
der Vorzeit beschäftigt, stößt er auf die Schriften des Plotin, der etwa hundert Jahre vor
Augustinus einer der größten Fortdenker der Lehre Platons war. Sein Jünger Porphyrius
hatte den Nachlaß veröffentlicht und die lateinische Welt las ihn in der Übersetzung des
Marius Viktorinus, eines vielbeschlagenen Redners und Gelehrten, der im Greisenalter
noch Christ geworden war und seinem Bewunderer Augustinus mehr als nur Plotin
vermittelt. Dieser Neuplatonismus schlägt tief in das Innere von Augustinus hinein. Er
rettet ihn vor seinen hoffnungslosen Weltanschauungen und auch die Lehre der
Manichäer, die ihm immer undurchdringlicher erschienen war, löst sich jetzt auf und
gleitet ab an der Klarheit dieser neuen Sichtweise. Es war keine Zwiewelt mehr sondern
ein einiges All, das aus dem Einen ausfließt, dieses Eine das Ist, und in dem das Böse
nur ein Fehlen des Einen darstellt.
Platon-Plotin eröffnet Augustinus den Blick auf eine neue, wirklichere Wirklichkeit, wofür
dieser Gottes Gnade dankt.
Zu dieser Zeit kommt greift er abermals zur Bibel und jetzt bietet sich ihm ein viel
verständlicheres Bild dar. Besondere Wirkung auf ihn haben die Paulus-Briefe.
Die in ihnen gepriesene Entsagung dem Fleische, als etwas nicht unrealisierbares
faszinieren ihn und lassen ihn nicht mehr los. Er erkennt jetzt, daß das leben um des
Lebens Willen nicht genug ist, sondern daß das Streben nach Wahrheit, der Wahrheit
Jesu Christi sein höchstes Ziel werden muß. Doch bei allen Geschichten und
Erzählungen über Bekehrung, die er hört versperren ihm immer noch die "alten
Freundinnen", seine Leidenschaften, den Weg dahin. Zu der Zeit beginnt auch sein
Beruf und das damit verbundene öffentliche Auftreten ihm unangenehm zu werden und
das nicht nur weil seinen Persönlichkeit einen starken Wandel durchmacht, sondern
auch weil es um seine Gesundheit nicht besonders gut bestellt ist. Das mailändische
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Klima und die rauhe Nähe der Alpen verträgt er nicht besonders gut. Auch die Roheit
und Niedertracht im gesellschaftlichen Leben des entarteten Kaiserreichs und das
Aufkommen der Barbaren nähren seinen Sehnsucht nach Ruhe und Fernsein von den
Menschen. Gerne zieht er sich jetzt in die Gotteshäuser zurück um dort zu meditieren
oder sich den liturgischen Gesängen sowie den Psalmen und Hymnen des Ambrosius
hinzugeben. Er beginnt zu beten.
Dann im Jahre 386, kurz vor der Weinlese reist ein römischer Offizier, Pontizian, durch
Mailand auf seinem Weg zurück in seine afrikanische Heimat. So besucht er zufällig
auch seinen Landsmann Augustinus. Als er auf dessen Spieltisch die Paulusbriefe
sieht, freut er sich als Christ aufrichtig darüber und lenkt das Gespräch auf den damals
so populären Einsiedler und Wüstenvater Antonius. Im Zusammenhang damit erzählte
Pontizian auch über eines seiner eigenen Erlebnisse von der Bekehrung zwei seiner
ehemaligen Kameraden, die , nachdem sie Eremiten getroffen hatten, sich sofort für ein
solches Leben entschieden, alles zurückließen sogar ihre Verlobten um sich nur mehr
Gott und dem Heiligen Geist zu widmen. Als Augustinus über diesen heroischen Bruch
mit den weltlichen Gütern hört wird er davon gepackt. Nachdem sich der Gast
verabschiedet und er mit Alypius allein ist, packt er ihn an der Schulter und sagt:" Was
muß ich leiden! Was soll das alles - wie leben wir dahin! Hast du's gehört: die
Ungelehrten stehen auf und reißen den Himmel an sich. Aber wir mit unserer Bildung Bildung ohne Herz - , wir wälzen uns in Fleisch und Blut, und wir vergehen nicht vor
Scham!" Nach diesen Worten stürmt Augustinus hinaus in den Garten, wo ihn der
Freund auf der Bank sitzend und weinend vorfindet. In ihm spielt sich der Kampf
zwischen den "alten Freundinnen" und der reinen Seele ab. Plötzlich springt er auf und
wirft sich unter einem Feigenbaum auf die Erde. Da vernimmt er auf einmal eine
Stimme die ihm zuruft: "Tolle, lege - tolle, lege" . Er hört auf zu weinen und nimmt das
Buch zu Hand, das gerade auf der Bank liegt - die Paulusbriefe. Er öffnet es und liest: "
Nicht im Fressen und Saufen, nicht in Schlafkammern und Unzüchten, nicht in Hadern
und Eifern - sondern ziehet den Herrn Jesus Christus an und pfleget das Fleisch nicht
zur Erregung eurer Lüste."
Jetzt, im Alter von zweiunddreißig Jahren, entsagt er sich den Frauen und ist bereit ein
neues, reineres Leben zu beginnen.
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Augustinus ist nun fest entschlossen sein Lehramt aufzugeben. Der an chronischer
Bronchitis Leidende zieht sich geräuschlos zurück auf ein kleines Besitztum eines
Freundes, das windgeschützt, südlich des Comosees lag. Dort zwischen den Wiesen
und Wäldern diskutiert und philosophiert er viel mit seinen Freunden (die ganze kleine
afrikanische Kolonie ist stets mit ihm gemeinsam unterwegs), wobei ein
Geschwindschreiber oft die Dialoge in Kurzschrift festhielt, welche Augustinus später
dann in literarisch gültige Schriften umschrieb. Es sind die Frühwerke des Heiligen:
"Gegen die Akademiker" , ein Werk in dem er sich mit der Skepsis auseinandersetzt;
"Vom wahren Glück" , in dem er die Wichtigkeit des Erkennens Gottes beschreibt;
"Über die Ordnung" , das über die Stellung des Guten und Bösen in der göttlichen
Einrichtung der Welt erzählt; außerdem seine "Selbst - oder Alleingespräche" oder das
Werk "Kehre dich in dich selbst", eine Weisung zum intellektuellen Schauen Gottes.
Nachdem er in aller Form vom städtischen Dienst ausscheidet meldet er sich für Ostern
387 zur Taufe an. Zusammen mit ihm wurden dann in der Osternacht dieses Jahres
sein Freund Alypius und auch sein Sohn Adeodat getauft. Bei anschließenden
Beratungen über den Ort, wo sie sich niederlassen sollten entscheidet das Heimweh
Monnicas nach dem Grab ihres Gatten, aber auch die Sehnsucht Augustinus nach dem
Klima seiner Jugend, daß die ganze Gruppe schließlich im Sommer 387 aufbricht um
nach Thagaste zurückzukehren. Doch bereits in Ostia, der Hafenstadt von der aus das
Schiff nach Afrika zurückgehen soll stirbt Monnica, von den Strapazen des Landweges
erschöpft.
Die Weiterreise verschiebt sich dann noch um fast ein Jahr, das Augustinus in Rom mit
literarischer Arbeit verbringt. Er schreibt "Über das Leben in der katholischen Kirche",
"Über das Leben der Manichäer", "Über die Unsterblichkeit der Seele", "Über die Größe
der Seele" aber auch "Über Musik", in dem sich der Ästhetiker mit Metrik und Rhythmus
beschäftigt.
Im Spätsommer 388 fährt er schließlich von Ostia über das Meer zurück in die Heimat.
Nach kurzem Aufenthalt in Karthago betritt er Thagaste, die Stadt seiner Kindheit. Dort
verschenkt er seinen Anteil am Gut des Vaters, das er mit seinen Geschwistern zu
teilen hat zugunsten der Armen und behält sich nur das Recht vor in einem kleinen
Hause vor der Stadt wohnen zu dürfen. Er richtet dieses zu einer Art Kloster ein, in
welchem er mit Adeodatus und einigen seiner Freunde lebt. Keine feste Regel verbindet
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hier die enge Gemeinschaft unter seiner Führung. Fast zwei Jahre lang studieren und
beten sie hier gemeinsam. Hier führt er auch die längst begonnene Schrift "Über die
Musik" zu Ende. Auch die Werke "Über die wahre Religion" und "Vom Lehrmeister", in
dem Dialoge mit seinem damals 16jährigen Sohn festhält, entstehen damals.
Doch die Zeiten werden unruhig. Das Anwachsen der manichäischen Bewegung zwingt
ihn zur Abfassung einiger polemischer Schriften und die Hilferufe bekannter und
unbekannter Menschen im Orient und Okzident machen ihn zu einem rastlosen
Briefschreiber, dem oft das Papier ausgeht, sodaß er manchmal auf ganz elenden
Zetteln schreiben muß. In dieser Zeit, da er sein neues Leben gerade aufbaut sterben
sein Sohn Adeodatus und der geliebte Freund Nebridius. Doch durch seinen tiefen,
gerade erst gefundenen Glauben überwindet er auch diesen Schmerz.
Der Gottesmann in Thagaste erregt gegen seine Absicht in der Nähe und Weite die
Aufmerksamkeit auf seine Person. Als er eines Tages nach Regio Hippo reist um
jemanden in einer Glaubensfrage zu beraten greift das Volk entschieden in sein Leben
ein. Die Katholiken der Stadt werden bedrängt durch die schismatische Partei der
Donatisten, einer christlichen Radikal-Bewegung. Der dortige Bischof Valerius war zu
schwach und hatte schon begonnen, nach Nachfolgern bzw. Hilfspriestern Ausschau zu
halten. Als Valerius dies wieder einmal predigt steht Augustinus zwischen den Hörern
und als er vom Volk als der Mönch von Thagaste erkannt wird, schleifen sie ihn mit
Gewalt vor Valerius hin und das Volk begehrt ihn zum Priester zu machen. (Damals war
es nach alter Sitte nämlich möglich, daß der Wunsch des Volkes allein schon einen
Mann zum Priester oder Bischof erwählen konnte.) So wird Augustinus, der zu Tränen
erschrocken war, alsbald zum Priester geweiht und verlegt sein Kloster von Thagaste in
ein Landhaus vor der Stadt. Auch überträgt Valerius ihm das Amt der Predigt, das
eigentlich nur für den Bischof vorgesehen war. Trotz heftigen Einsprüchen bleibt es
dabei und so beginnt Augustinus in der Karwoche 391 seine Tätigkeit als Prediger, die
ihn weitere 40 Jahre noch, bis zu seinem Tode hin begleiten sollte.
Neben der Predigt ist der Kampf gegen Häresie und Schisma die zweitgrößte Pflicht
des Priesters. Als zum Beispiel der Manichäer Fortunatus in Hippo erfolgreich seine
Propaganda betreibt, halten selbst die Donatisten Augustinus für den einzig berufenen
Anwalt der gemeinchristlichen Abwehr dieser Gefahr. Auf einer zweitägigen,
öffentlichen Disputation vor vielem Volk, vor Notaren und Stenographen setzt er im
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Sommer 392 seinen Gegner matt, so daß er, unfähig, die katholische Lehre zu
widerlegen und die Wahrheit der seinigen zu erweisen, die Stadt verlassen muß.
Darüber hört der Kampf gegen die Donatisten freilich nicht auf.
Das dritte Wirkungsfeld Augustinus' liegt in der Enge seiner klostermäßigen Behausung.
Durch all dies wird der Presbyter natürlich immer mehr bekannt und Valerius beginnt
sich zu fürchten, daß ihm dieser einzigartige Mann weggenommen würde. Deshalb läßt
er ihn vom Primas von Numidien im Jahre 396 zum Mitbischof weihen und nach seinem
Tod wird Augustinus Bischof von Hippo.
In den Jahren 397 und 398, also ein reichliches Jahrzehnt nach seiner inneren
Wandlung schreibt er seine Bekenntnisse. Dieser Titel "Confessiones" ist im doppelten
Sinn des Wortes zu verstehen, des Bekennens der Schuld und des Sichbekennens zu
Gott. Augustinus berichtet vor aller Welt seine Vergangenheit, und hymnisch dankt er
dem Beweger und Begnader seines Lebens, dem Erwecker des ewigen Teils seines
Wesens, dem Erwähler und Erretter aus der Masse der Verwerfung.
Doch neben dem Verfassen dieses Werkes sind seine Aufgaben in der Gemeinde sehr
vielfältig und nehmen in sosehr in Anspruch, daß das Verfassen seiner weiteren großen
Werke wie "Über die Dreieinigkeit" oder "Über den Gottesstaat" über vierzehn und
sechzehn Jahre seiner zersplitterten Kraft in Anspruch nehmen. Er betreibt unermüdlich
Seelsorge, kümmert sich um die Nöte der Armen und der Bauern, predigt gegen die
heidnischen Verfälle und betreut nebenbei auch noch sein Kloster, aus dem später
noch viele Bedeutende Männer hervorkamen. Immerwährend auch ist sein Kampf
gegen die Manichäer, gegen die Donatisten, eine radikale, christliche Sekte, die
teilweise mit Gewalt gegen Andersgläubige auftrat, sowie später (nach einem Konzil von
Karthago 404 wurden die Donatisten verfolgt und über alle - gegen den Willen
Augustinus' - die Todesstrafe verhängt, sodaß sie sich bald auflösten) gegen die
Pelagianer unter der Führung eines Laienmönches Pelagius. Ein Kampf der sehr heftig
geführt wird und den er später gegen den Bischof Julian von Eklanum, dem
Systematiker dieser Irrlehre weiterführt. In all diesen Auseinandersetzungen gerät
Augustinus selbst manchmal in die Gefahr sektirerisch-besessen seine Meinung zu
vertreten und nur seinem so offenen Geist ist es wohl zu verdanken, daß dies nicht
geschieht.
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Im Jahr 426 vollendet Augustinus sein 22-bändiges Werk "Der Gottestaat" und
verkündet, zweiundsiebzigjährig, seiner Gemeinde , daß er den Priester Heraklius zu
seinem Nachfolger bestimmt habe. Die letzten Jahre seines Lebens verbringt er tätig bis
zum Schluß und beginnt auch noch ein Buch der Rückschau auf sein literarisches
Wirken. Zu dieser Zeit beginnen die Vandalen durch die Schuld des Statthalters der
Provinz, das römische Afrika zu überziehen. Nach einem kurzen Waffenstillstand, den
ein zur Ordnung gesandter kaiserlicher Feldherr erwirkt, beginnen 430 die Horden unter
Genserich ihr Wüten aufs neue. Hippo wird zum Flüchtlingslager, in dem Augustinus
viele Menschen betreut. Als auch Hippo belagert wird, im dritten Monat schon, wirft ihn
das Fieber auf sein Sterbebett. Die letzten zehn Tage bittet er sich völlige Einsamkeit
aus und liest nur mehr die Bußpsalmen Davids. Endlich, am 28. August 430, findet sein
Herz die Ruhe.
Die Nachwirkung seiner Schriften und seiner Person sind wohl gar nicht zu ermessen.
Fast jeder Philosoph nach seiner Zeit setzte sich mit ihm auseinander und selbst viele
Staatsmänner wie zum Beispiel Karl der Große wurden durch seine Schriften geleitet.
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