Marie - Halbzeit auf den Philippinen

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Marie - Halbzeit auf den Philippinen
Marie - Halbzeit auf den Philippinen
Nach einem halben Jahr kann ich wirklich sagen, dass ich so richtig hier angekommen bin. Ich empfinde es
nicht mehr als komisch, mindestens drei Mal am Tag Reis zu essen, egal wo ich bin, alle Blicke auf mich zu
ziehen und Ate Marie genannt zu werden. Ate heißt auf Tagalog so viel wie Schwester und wird
benutzt um ältere Mädchen oder Frauen anzusprechen. Inzwischen finde ich mich bei einem Stromausfall
im Haus auch ohne Licht zurecht und stöhne nicht mehr genervt auf, wenn ich philippinische Soaps oder
Werbungen sehe und die Karaoke-Maschinen auch um eins in der Nacht noch nicht leiser werden. Für mich
ist es jetzt selbstverständlich meine Sachen mit der Hand zu waschen und immer Mückenspray, einen
Regenschirm und ein Tuch zum Filtern der Abgase mit dabei zu haben. An die dreckige Luft in Manila an
sich werde ich mich allerdings nie gewöhnen können, genauso wie an den Müll, der leider einfach überall
rumliegt.Ich finde mich nun auch alleine ausreichend gut im Manila Verkehrsgewusel zurecht und habe
gelernt, dass selbst in übervolle Verkehrsmittel noch Menschen reinpassen. Auch lasse mich nicht so leicht
um Fahrpreise betrügen.
Mit dem Tagalog, der Sprache, die in Manila und Umgebung gesprochen wird, klappt es auch immer besser.
Die meiste Kommunikation läuft aber nach wie vor auf Englisch. Ich hätte nicht gedacht, dass sehr viele
Philippiner so gut Englisch sprechen können! Das liegt wahrscheinlich daran, dass die meisten Fächer,
sowohl in der Grundschule, als auch in der Oberschule und an den Universitäten auf Englisch unterrichtet
werden.
In den ersten Wochen habe ich mich immer wieder dabei erwischt, wie ich fast alles hier mit Deutschland
verglichen habe. Ich fand viele philippinische Eigenheiten komisch und sogar nervig und konnte viele
Sachen nicht nachvollziehen. Je tiefer man aber in die philippinische Kultur eintaucht, desto leichter fällt es
einem die vorher ungewohnten Verhaltensweisen zu verstehen. Allerdings werde ich natürlich nie alles
begreifen können und habe immer noch meine Tiefpunkte und Heimwehphasen, in denen ich mich hier
fremd fühle und über die Kultur frustriert bin. Für mich war es dann immer sehr hilfreich mit einem anderen
Deutschen oder Europäern darüber zu sprechen, denn dabei findet man meistens Verständnis und kann
Anregungen bekommen, wie man damit am besten umgeht.
So ist es für mich zum Beispiel unheimlich desillusionierend, dass Deadlines generell eher selten
eingehalten werden und die meisten Ideen und Pläne, die in einem Meeting geschmiedet werden,
letztendlich doch nicht umgesetzt werden, obwohl so viel Potential darin steckt.
In einem philippinischen Haushalt leben meistens drei Generationen und weiteren Familienmitgliedern
unter einem Dach. Dabei ist ein Haus oder eine Hütte in Baseco selten größer als 15m². Philippiner sind
absolute Familienmenschen und lieben es, Gesellschaft zu haben. Nachbarn und Freunde sind immer
willkommen. Auch ich wurde herzlich aufgenommen, jedoch fühle ich mich immer noch mehr als ein Gast,
als ein Familienmitglied. Man versucht mir im Haushalt so viele Dinge wie möglich abzunehmen und es
wird versucht, so scheint es für mich zumindest, mir jeden Wunsch von den Lippen abzulesen. Ich habe
aber mitbekommen, dass diese Art von Gastfreundlichkeit einfach Teil der philippinischen Kultur ist und
auch unter Philippinern üblich ist.
Trotz der Armut hier in Baseco sind die Menschen aber erstaunlich positiv, lachen viel und scheinen immer
glücklich. Das macht es für mich erheblich einfacher, mit ihnen zu arbeiten. Andererseits erfährt man aber
auch immer wieder unzählige traurige Geschichten, die hinter die Fassade blicken lassen.
Eine große Herausforderung war die Zeit während und nach dem Taifun Ondoy , in der ein Feuer in
Baseco ausgebrochen ist. Zum Glück konnte ich mich trotzdem behilflich machen. Ich habe mit zusammen
mit Leuten der NGO Asian Bridge betroffene Gebiete besucht, um abschätzen zu können, wie viele
betroffene Haushalte es jeweils gibt und wie viele und welche Spenden gebraucht werden. Dann habe ich in
der Hilfsorganisation des Fernsehsenders ABS-CBN mitgeholfen Sachen und Nahrungsmittel für die
mit Leuten der NGO Asian Bridge betroffene Gebiete besucht, um abschätzen zu können, wie viele
betroffene Haushalte es jeweils gibt und wie viele und welche Spenden gebraucht werden. Dann habe ich in
der Hilfsorganisation des Fernsehsenders ABS-CBN mitgeholfen Sachen und Nahrungsmittel für die
Evakuierten zu sortieren und zu packen und diese dann schließlich zu verteilen. Es war erstaunlich zu sehen,
wie viele einheimische Freiwillige überall mit angepackt haben!
In meinem Projekt habe ich mich gut eingelebt. Ich habe meine bestimmten Aufgaben, die Tutorials am
Montag, Mittwoch und Freitag und im April dann auch wieder am Dienstag und Donnerstag. In der Zeit
zwischen den Tutorials und auch am Samstag kann ich mir meine Zeit flexibel einteilen und kann mir
meine Aufgaben selber aussuchen. Zurzeit bin ich damit beschäftigt Etiketten, Handzettel und Flyer für
unser Livelihood -Programm zu entwerfen. Seit Oktober falten und weben ca. 20 Arbeiter bei uns im
Büro Taschen, Tischdecken und andere Dinge aus dem recycelten Material von
Zesto -Getränkepackungen und können dadurch ihren Lebensunterhalt aufbessern. Wir sind jetzt sogar
im Vertrag mit dem Laden Kultura , eine Kette der SM Einkaufshäuser, die einheimische Produkte und
nun auch Crafts For A Cause verkaufen. Das ist ein sehr großer Erfolg, denn jetzt können wir unsere
Arbeiter hoffentlich permanent beschäftigen und ihnen ein festes Einkommen bieten. Ich bin dafür
zuständig, alle wichtigen Formulare für SM herzustellen.
In den ersten Monaten hatte ich nicht wirklich das Gefühl im Projekt unbedingt gebraucht zu werden. Mir
war manchmal sogar langweilig, da ich nur mit dem Assistieren der Lehrerin unterfordert war. Nach einer
Weile habe ich dann aber realisiert, dass es nichts bringt, auf eine weitere Aufgabe oder Aufforderung von
einem Philippiner zu warten und somit Selbstinitiative gefragt war. Nachdem ich nun aber für 2 Monate die
Tutorials alleine übernommen habe und jetzt für das Marketing unseres Livelihood - Programmes
zuständig bin, denke ich, dass ich schon eine große Hilfe im Projekt bin und meine Fähigkeiten hier gut
einbringen kann. Den Unterricht alleine zu übernehmen, war am Anfang eine Herausforderung für mich,
aber letztendlich hat es sehr gut geklappt.
Ich freue mich auf die zweite Hälfte des großen Abenteuers und hoffe noch mehr erreichen zu können, noch
tiefer in die Kultur einzudringen und auch noch weitere Winkel dieses schönen Landes sehen zu können.