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reportage | ineuropa Bunte Wandmalereien vermittelten einst den Analphabeten die Geschichten der Bibel und ihrer Heiligen Mit ungebrochener Strahlkraft Zwischen Tradition und Tourismus. Die kunstvoll bemalten rumänisch-orthodoxen Moldauklöster in der Bukowina trotzen seit Jahrhunderten Konflikten und der Witterung. Die Schätze des Glaubens haben nichts von ihrer Schönheit verloren ie Reiseprospekte versprechen einen quietschblauen Himmel, weiße Schäfchenwolken, fröhliche Menschen. An diesem Juli-Wochenende hängen die Wolken jedoch tief und grau zwischen den Hügeln der südlichen Bukowina. Das „Land der Buchen“ ist extreme Wetterlagen gewohnt, aber die sintflutartigen Regenfälle der letzten Tage sind beispiellos. Häuser, Felder und Ställe stehen im Wasser. Die Einheimischen beten. Sie gehen in die Kirche und beten um Gottes Gnade. In der Sankt-Georgskirche vom Kloster des Heiligen Johannes des Neuen in der Bezirkshauptstadt Suceava riecht es nach Weihrauch. Moder und der Staub von Jahrhunderten hängen im alten Gemäuer. Die schmalen Fenster lassen kaum Tageslicht ins Innere. Aus der Finsternis dringt dumpfes Murmeln an den Eingang. Junge Frauen mit Pumps und bauchfreien T-Shirts knien neben winzigen Mütterchen mit Kopftuch und wollenen Strümpfen. Familienväter, Kinder, Angestellte und Arbeiter murmeln Gebete, bekreuzigen sich nach orthodoxer Art und küssen die vergoldeten Ikonen. Kuppeln und Wände des kreuzförmigen Baus aus dem frühen 16. Jahrhundert F O TO G O NZ AL O A Z UMEN D I/ WWW.P HO TO LIB R ARY.CO M D sind mit Bildern von Engeln und Heiligen bemalt. Köpfe fallen, Blut tropft aus abgeschlagenen Gliedmaßen, Menschen hängen am Kreuz. In den Apsen rechts und links des Hauptaltars lächelt die Jungfrau Maria. Die Jünger verkünden das Wort Gottes, der Heilige Georg tötet den Drachen und rettet die Menschheit. Im gesamten Innenraum gibt es keinen Zentimeter Wand, der nicht bemalt wäre. Die Sankt-Georgskirche gehört mit sechs weiteren Gotteshäusern der Region zum Unesco-Weltkulturerbe. Nach dem Fall Konstantinopels 1453 entstanden in Nordmoldawien mehr als 100 Klöster zum Schutz gegen die vorrückenden Osmanen. Moldauische Fürsten und reiche Adlige übertrumpften sich im Stiften von Klöstern, allen voran Stefan der Große, der sein Reich bis 1504 von Suceava aus erfolgreich verteidigte. Sein Sohn, Fürst Petru Rares̡ ließ einige Gotteshäuser im 16. Jahrhundert von außen bemalen. Die Künstler mischten Eigelb unter die Farbe und schützten ihre Werke so vor der Witterung. Die meisten orthodoxen Bollwerke sind noch heute öffentlich zugänglich. Das Kloster Voroneţ gilt als besonderes Meisterwerk. Mit dem Auto ist die Einsiedelei im Westen von Suceava in einer www.eurocity.at 21 ineuropa | reportage knappen Stunde zu erreichen. Die Fahrt traktion. Auf dem Friedhof liegt Stefan führt durch ärmliche Dörfer und bewalder Große und das Museum ist für seine dete Hügel. Pferdewagen ruckeln am Kunstschätze, Teppiche und Stickereien Straßenrand entlang. Die Bauern legen berühmt. Dafür hat das Kloster Dragosich Plastikplanen als Regenschutz über mirna nördlich von Suceava Zimmer frei. den Kopf. Der Scheibenwischer arbeitet Auf dem Weg liegt Pătrăuţi. Einsam und auf Hochtouren, die Lüftung kommt verlassen steht das von der Unesco auskaum gegen die Feuchtigkeit an. Der gezeichnete Kirchlein auf einer Wiese. Parkplatz von Voroneţ ist dennoch voll. Pferdehufe klappern über den Asphalt Selbst im strömenden Regen schieben der Dorfstraße, ein Hund kläfft, ein sich Menschenmassen durchs Holztor Hahn kräht. Die Steinmauer um den der Klosteranlage. Im Garten steht die Garten verfällt. Die Außenfresken sind kleine Kirche mit den ausladenden Däkaum zu erkennen, über dem Eingang chern um den runden Turm. Szenen byverwittern die Reste des Jüngsten Gezantinischer Malerei zieren de Wände. richts. Auf der Fassade der ersten bemalBerühmt ist Voroneţ für sein Gemälde ten Kirche der Süd-Bukowina hat das an der Westwand. Wegen der detailreiKlima Spuren hinterlassen. chen Darstellung des Jüngsten Gerichts Nach all den Farben und detailreichen gilt die Kirche als „Sixtinische Kapelle Traditionelle Tracht nahe Suceava Bildern erscheinen die nüchternen Maudes Ostens“. Gottvater prangt oben am ern von Dragomirna wie eine Oase für Himmel, darunter strahlt das Gold der zahlreichen Heiligen die Sinne. Schwester Maria empfängt die Gäste. Mit 29 Jahbeim Weltgericht. Das kräftige Blau des Grundtons erzielten ren ist sie eine der jüngsten von 54 Nonnen. Eine zierliche die Freskenmaler mit Lapislazuli-Pulver. Eine Reisegruppe Person mit zarter Stimme und mildem Lächeln. Bedächtig bestaunt das Gemälde. Der Fremdenführer erklärt die Deschreitet sie durch lange Gänge zu den Kammern. Die tails auf Französisch. Ergriffen umkreisen die Touristen das schlichten Räume strahlen Ruhe und Geborgenheit aus. Aus Gotteshaus, treten ins goldglänzende Innere und schieben der Kirche ertönt der gedämpfte Gesang der Abendmesse. sich über blaue Teppiche, bevor sie mit dem Bus zur nächsten Aus den Wolken tritt die Sonne und erleuchtet ein Meer von Weltkulturerbestätte fahren. Geranien, Rosen und Margeriten. Die Glocken läuten, Wenige Kilometer entfernt liegt Humor. Jede der sieben Schwester Maria serviert im herrschaftlichen Speisesaal ein Kirchen hat eine Grundfarbe, hier ist’s ein erdiges Rot. Der Vier-Gänge-Menü mit Wein und Wasser. Französische Stuturmlose Bau zeigt an der Südfassade den Akathistos Hymnos: Szenen aus Stefan der Große dem Lobgesang der byzantinischen Kirche. Auf Wänden sehen Besucher das Jüngste Gericht, den Stammbaum und weitere typische Darstellungen der Zeit. Im Altarraum steht ein Baugerüst. Durch Ruß und Feuchtigkeit haben die Fresken ihre Strahldenten sitzen mit uns am Tisch. Auch sie wollten nach Putna. kraft verloren und werden nun aufgefrischt. „Wir sind selbst schuld“, meint Schwester Maria. „Wir haben Nach einem Gebet setzen die Wochenendausflügler ihre die Wälder abgeholzt, nun müssen wir dafür büßen.“ Seit Klostertour fort. Wegen des Regens müssen sie die Route änTagen bittet sie Gott um Gnade, betet gegen den Klimawandern. Die Bergdörfer im Nordwesten von Suceava sind del, aber Gott ist taub, das Unglück hält drei weitere Tage an. durch die Fluten von der Außenwelt abgeschlossen, BewohDie Bahnfahrt Richtung Siebenbürgen verläuft ohne Zwiner und Bauern kämpfen ums Überleben. Das abgelegene schenfälle. Das Unwetter hat die Existenz hunderter rumäniKloster Putna ist isoliert. Die geplante Übernachtung fällt scher Familien zerstört. Den Klöstern Nordmoldawiens aus. Obwohl Putna nicht zu den sieben bemalten Klöstern konnte es jedoch nichts anhaben. Bei Sonnenschein erstrahlt ec gehört, ist die Einsiedelei an der Grenze zur Ukraine eine Atihre Pracht wie eh und je. Eine göttliche Fügung? Auf dem weiten Weg zu den Refugien des Christentums >>> Anreise & Angebote. Austrian. Wien–Iasi & retour ab E 623 (www.aua.com). Tarom Romanian Airlines. Wien–Bukarest– Suceava & retour ab E 183 (www.tarom.ro). Akademischer Reisedienst. Vier Tage Moldauklöster und Galizien inkl. Fug ab E 985 (www.studienreisen.at). Ruefa. Acht Tage Moldauklöster und Siebenbürgen mit Busanreise ab Wien und Halbpension ab E 1.090 (www.ruefa.at). Rumänien-Reisen mit den Moldauklöstern im Angebot haben u.a. auch ARR Natur- und Kulturreisen, Biblische Reisen, Columbus Reisen, Kneissl Touristik, Dr. Maiers Studienreisen, Paradeast und TransylvaniaTravel. Lesestoff. Rumänien und Republik Moldau. Reisehandbuch. Von Joscha Remus und Hans-Gerd Spelleken (Reise Know-How Verlag). Rumänien. Mehr als Dracula und Walachei. Von Hilke Gerkes (Ch.Links Verlag). Infos. Rumänisches Fremdenverkehrsamt, Opernring 1/R/401-404, 1010 Wien. Tel.: 01/317 31 57 (www.rumaenien-info.at). >>> >>> 22 eurocity 5/2010 F OT O Constanze Bandowski WO L FG A NG K A EHL ER / CO R BI S . CO V ER S V ON D EN GEN A NN T EN V ER LA G EN B EI GES TE LLT und seine Nachfolger ließen für jeden Sieg über die Türken ein Kloster oder eine Kirche bauen. 44 gehen angeblich allein auf Stefans Konto