Hannoversche Allgemeine Zeitung
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4 Politik HANNOVERSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG SONNABEND, 29. SEPTEMBER 2012 · NR. 229 Generation Krise Was ist schon sicher? Wer heute Ende 20 ist, lebt mit befristeten Verträgen, Niedriglohn und Zeitarbeit – Porträt einer prekären Altersklasse Von t horSten f uchS E „Die Krise, das ist auch eine Sache des Kopfes“: Hardy, Gründer der Bürogemeinschaft Edelstall (oben), Theaterwissenschaftlerin Julia und Webdesigner Michael gehören alle zu den „Zukunftssuchern“. Glück“, wie sie sagt. Sich in Hamburg eine eigene Wohnung zu leisten ist für sie unmöglich. Trotz der drei Jobs. Was diese Generation eint, das sind ihre Möglichkeiten. Vielleicht hatten junge Menschen tatsächlich noch nie so viele Optionen. Offene Grenzen, billige Flüge, mailen und chatten rund um die Welt, es gibt eine Menge Türen, die ihnen sehr weit offenstehen. Einerseits. Andererseits ist da dieses ständige Gefühl von Krise. Als 2008 die Lehman-Bank pleite ging, machte Hardy Seiler gerade ein Praktikum in einer Berliner Agentur. Er entwarf ein Plakat und schrieb „Die Weltwirtschaftskrise“ darauf. Dann strich er die Silben „wirt“ und „krise“ durch. Übrig blieb, mit orthographischer Toleranz, seine Überzeugung, oder jedenfalls seine Hoffnung: „Die Welt schafts.“ „Die Krise“, sagt Seiler, „das ist auch eine Sache des Kopfes.“ Wer an sie glaubt, soll das heißen, der hat schon verloren. Seiler, 25 Jahre, trägt Mütze, enges graues Hemd über der beigefarbenen Ist eher die jüngere Generation benachteiligt? 65 Jahre und älter: Ja 45% 14- bis 29-Jährige: Ja 45% Sollte es statt einer Rentenerhöhung mehr finanzielle Unterstützung für Studenten und Auszubildende geben? 65 Jahre und älter: Ja 15% 14- bis 29-Jährige: Ja 31% haZ-Grafik: bd Quelle: forsa in leerstehendes Geschäft in einer abgewirtschafteten Fußgängerzone, gegenüber von einem Bauzaun. Man kann weit hineinsehen. Die Regale, die Verkaufstheke, alles das ist längst rausgeräumt. Geblieben sind: abgescheuertes Parkett, ausgeblichener Teppich, Abdrücke auf den Tapeten. Dieses Haus hat bessere Zeiten gesehen, wahrscheinlich wird es bald abgerissen. Aber von den drei Orten, an denen die 27-jährige Julia arbeitet, ist dies für sie der beste. Hier, in den Räumen eines früheren Sanitätshauses in Hamburg-Altona, haben sie in den vergangenen Monaten das Theatertreffen „150 % Made in Hamburg“, organisiert, das in der kommenden Woche beginnt. 22 Aufführungen an neun Orten, dazu eine Ausstellung, es war, sagt Julia, sehr viel Arbeit. Wann immer es ging, war die Hochschulabsolventin mit „cum laude“-Abschluss in den vergangenen Wochen hier. Also immer dann, wenn sie nicht gerade in der Online-Versandapotheke Medikamente in Pakete packte oder im Empfang einer Filmfirma Telefonate annahm. Ihr Lohn? Eine Aufwandsentschädigung, mehr nicht. „Aber dies hier“, sagt Julia und schaut auf die fast leeren Räume und den improvisierten Arbeitsplatz in der Ecke, „ist mein Ausgleich.“ Ein Ausgleich für das Gefühl, keine Verantwortung übernehmen zu dürfen. Ein Ausgleich für die Jobs, die sie mit Mühe und Not ernähren, aber nicht erfüllen. Ein Ausgleich für das Gefühl, dass vieles noch schwieriger ist, als sie es ohnehin schon befürchtet hatte. Die 27-jährige Theaterwissenschaftlerin gehört zu einer Generation, von der zurzeit häufig die Rede ist, wenn auch eher indirekt. Wenn Ursula von der Leyen oder Sigmar Gabriel ihre Pläne für Mindest- oder Zuschussrenten vorstellen, dann geht es um sie. Und wenn Wissenschaftler vor der Altersarmut warnen, die künftig einmal sehr viele Rentner in Deutschland betreffen könnte, dann geht es eben auch um sie: um Julia und ihre Altersgenossen, die Menschen, die heute Ende 20 sind. Es gibt eine Reihe von Namen für diese Generation: „Generation Praktikum“. Oder: „Generation Selbstausbeutung“. Für wirklich passend hält der Berliner Sozialwissenschaftler Wolfgang Gründinger, selbst 28, jedoch nur eine Bezeichnung: die prekäre Generation. Die Generation, die vor allem eines kennt: die Unsicherheit. Befristete Verträge, Zeitarbeit und Niedriglohnjobs prägen ihren Alltag – fast jeder Dritte unter 35 ist davon betroffen. Leistung lohnt sich? Jeder hat eine faire Aufstiegschance? Die Rente ist sicher? Aus ihrer Sicht ist all das Illusion. „Der Glaube an eine sichere Rente ist genauso antiquiert wie das Tippen auf der Schreibmaschine“, schreibt Gründinger in seinem Buch „Wir Zukunftssucher“. Noch nie war der Berufseinstieg für eine Studentengeneration so schwierig – so belegt es eine Studie im Auftrag des DGB. Auch beste Abschlüsse und höchste Qualifikationen helfen nicht unbedingt weiter. Julia will sich nicht als Opfer sehen, sie ist weit entfernt von jeder Jammerei. Sie erzählt von dem Angebot einer Werbeagentur, das sie ausgeschlagen hat. Sie will ihre Ziele nicht aufgeben. Noch nicht. Nicht wie eine Freundin, die inzwischen im Callcenter einer Bank arbeitet. „Ich bin ein grundoptimistischer Mensch“, sagt sie. Trotz allem. Sie hofft auf eine Stelle in einer Stiftung, im Theater, irgendwo in der Kultur. Müsste das nicht möglich sein? Sie hat doch alles richtig gemacht. War flexibel, mobil, engagiert. „Ich habe nie meine Semesterferien verdaddelt.“ Auslandsstudium in Kopenhagen, Praktika in Berlin und Hannover, Abschluss mit Auszeichnung in Amsterdam, Mitarbeit bei großen Theaterfestivals auch im Ausland. Ein Jahr liegt ihr Abschluss zurück. 20 Mal hat sie sich beworben. „20 Mal, das klingt nach wenig“, sagt sie. „Aber wenn du jedes Mal ‘ne Klatsche kriegst, sind 20 eine ganze Menge.“ Julia ist jetzt wieder bei ihrer Mutter eingezogen. Sie kann dort wohnen, „zum Hose, Sneaker. Wo er arbeitet, steht ein altes Turngerät im Flur, ein Kasten, darauf ein grünes Rennrad. Es gibt einen großen Raum mit langen Tischen, junge Menschen sitzen vor Bildschirmen, manche tragen Kopfhörer. Die Neonröhren sind ummäntelt von Sperrholzbrettern. Es ist alles sehr puristisch, sehr jung, auf eine schlichte Art chic. „Willkommen im Edelstall!“, sagt Seiler. Den „Edelstall“, gelegen im dritten Stock des Backsteinhochhauses am Schwarzen Bären in Hannover-Linden, hat Seiler 2011 mitgegründet. Damals war ihm gerade aufgefallen, dass er zuhause abends noch im Schlafanzug am Computer arbeitete. „Manchmal war ich nicht mal gewaschen.“ Der „Edelstall“ ist ein Ort, wo sich Freiberufler einen Büroplatz mieten können – monatsweise, tageweise, stundenweise. Es ist ein Treffpunkt der jungen prekären Existenzen. Übersetzer sitzen hier, Texter, Gestalter, Programmierer. Die Idee kam aus Berlin. Inzwischen gibt es solche Plätze im ganzen Land, oft mehrere in jeder Stadt. Seiler schwärmt von diesem Ort. „Wenn du nicht weiterweißt, hat vielleicht links oder rechts jemand eine Idee.“ Oder man gibt Aufträge weiter. Es gibt Bio-Äpfel für alle, Veranstaltungen mit bekannten Designern und eine Maschine, die auch Caffè Latte kann. Eine Kollegenschaft, nur dass hier jeder sein eigenes Unternehmen ist. Seiler hat den „Edelstall“ miterfunden, er hat für sein Krisenplakat einen wichtigen Designpreis gewonnen, man kann sagen: Er kommt mit der Krise ganz gut klar. Nur ist der „Edelstall“ auch kein Paradies. Es kommt vor, dass ein Platz am nächsten Tag einfach leer bleibt. Seiler kann dann nur vermuten warum. Weil der Projektvertrag ausgelaufen ist. Weil es keinen neuen Auftrag gibt. Solche Gründe sind es meist. Oft hört diese Generation einen Vorwurf: Unpolitisch sei sie. Aber das ist ein Missverständnis. Was wie Desinteresse scheint, ist in Wirklichkeit Entfremdung. Michael Hüneburg entwickelt Webseiten seit er zwölf ist. Früher, in Wolfsburg, war er in der Schülervertretung. Aber sich für eine Partei engagieren, sich festlegen auf ein Programm, wo die meisten doch nicht mal ansatzweise verstanden haben, wie er lebt und Geld verdient? Nac hg e fr agt „Der Aufstand der Jungen verändert die Gesellschaft“ Sie sehen den Anfang eines Aufstands der Jungen. Ist es dafür nicht noch recht ruhig? Es ist ein eher subtiler Aufstand, ja. Aber Sie sind sicher, dass es ihn gibt? Es gibt ihn. Er zeigt sich nur nicht in großen Aufmärschen und Bildern. Aber er ist in vollem Gang und erstreckt sich auf viele Bereiche, auf Musik, Politik und Wirtschaft zum Beispiel. Dieser Aufstand wird die Gesellschaft verändern. verbinden können und gründen dafür zum Beispiel soziale Start-Ups. Und natürlich geht es darum, die prekären Bedingungen zu beenden, in denen gerade viele junge Menschen heute schlecht bezahlt schuften. Dazu müssen Sie den Konflikt mit Älteren eingehen. Kommt ein „Krieg der Generationen“? Nicht in diesem aggressiven Wolfgang Sinn. Aber es gibt ein Problem Gründinger, im Zusammenhalt der Generationen. Weil die Steuermittel Politologe, begrenzt sind, ist die Frage, ob Berlin Was sind die Ziele dieses man sie in die Rentenkasse Aufstands? steckt oder das Geld für KinWir erleben einen Wertewandel. Die Zeit derbetreuung und Bildung ausgibt. der sinnbefreiten Kapitalakkumulation ist vorbei. Viele möchten Sinnstiftung, Ein Vorsitzender der Jungen Union Leben und Arbeiten besser miteinander forderte mal, alten Menschen keine neuen Hüftgelenke mehr zu finanzieren. Das ist falsch, weil es zu einfach und plakativ ist. Wenn man den Älteren heute bestimmte Leistungen wegnimmt, dann wird es sie für die heute Jungen später auch nicht mehr geben. Ältere und Jüngere haben auch gemeinsame Interessen. Aber wie können die Jungen sich durchsetzen, wenn immer weniger Junge immer mehr Älteren gegenüberstehen? Ich bin für eine Änderung des Wahlrechts. Künftig sollten alle Bürger wählen können, unabhängig von ihrem Alter, sobald sie sich für Politik interessieren. Auch die Zwölfjährigen? Ja, auch die. Es dürfen schließlich auch die Hundertjährigen wählen. Das ist eine Frage demokratischer Gerechtigkeit. Viele Entscheidungen betreffen die heute Jungen weit stärker als die Älteren. Also sollten sie auch mitbestimmen dürfen. Müsste der Aufstand der Jungen aber nicht lauter sein, um etwas zu erreichen? Vielleicht, aber Steine zu werfen ist eben nicht unsere Sache. Wir sind eine versprengte Generation. Viele sind enttäuscht von der Politik. Es gibt eine verbreitete Grundhaltung unter dem Motto: Ich weiß zwar nicht wie, aber ich werde mich irgendwie durchbeißen. Das ist eine verständliche Haltung, aber auch ein Problem. Interview: Thorsten Fuchs „Wir Zukunftssucher. Wie Deutschland enkeltauglich wird“, edition Körber-Stiftung, 224 Seiten, 16 Euro. Über den Konflikt der Generationen diskutieren auch Ursula von der Leyen und Cosima Schmitt am Montag Abend im Alten Rathaus in Hannover. Das Gespräch wird im Sender DRadio Wissen am 8. Oktober um 20.05 Uhr gesendet. Anastassakis/Scheffen/Finn Eine absurde Vorstellung. „Das Netz ist mein Job“, sagt er. Der 24-Jährige mit Vollbart und weitem Tuch um den Hals gehört zu den wenigen Jungen, die von Krise nichts spüren. Vor drei Monaten hat er sein Studium geschmissen – weil er an der Hochschule nichts mehr lernte und sich zugleich die Aufträge bei ihm stapelten. In seinem Büro im Hinterhof der hannoverschen Neustadt arbeitet er für große deutsche Konzerne. Festanstellung? Für ihn uninteressant. „Ich verdiene jetzt viel mehr.“ Nur dass ihm Geld gar nicht so wichtig zu sein scheint. Vor dem Fenster lehnt ein betagtes Rad an der Mauer. Auto? Hat er nicht. Seine Vorstellung von Wohlstand? „Ab und zu mal essen gehen können.“ Was man bei ihm spürt, ist eine Euphorie der Selbstständigkeit. Eine Euphorie, die ihn auch über jede Unsicherheit hinwegträgt. Er hat gerade keine Krankenversicherung. „Ich weiß gar nicht, was passieren würde, wenn ich jetzt zum Arzt ginge.“ Zum Glück habe er ohnehin nur zweimal im Jahr seine obligatorische Erkältung, mehr nicht. Es ist diese Begeisterung, die auch Simon Kondermann kennt. Nur ist sie eben auch immer ein gefährdetes Gut. Kondermann, 29 Jahre, ist Designer und Vater eines dreijährigen Sohnes. „Ich möchte mein eigenes Ding machen.“ Den Satz sagt er mehrmals. Im vergangenen Jahr lief das ganz gut. Er layoutete eine Zeitschrift, das sicherte ihm zwei Wochen Beschäftigung pro Monat. Aber das war eine Vertretung, der Job ist vorbei. Es ist nun enger für ihn. So eng jedenfalls, dass er gerade aus dem „Edelstall“ ausgezogen ist. Kind, keine Altersvorsorge, eine ebenfalls selbstständige Freundin: Für viele wäre das eine Situation, in der sie sich mit aller Kraft um irgendeine Festanstellung bemühen würden. Kondermann nicht. „Was ist denn, wenn du mit 50 irgendwo vor die Tür gesetzt wirst?“, fragt er. „Das Prinzip Festanstellung mit dem Job bis zur Rente funktioniert sowieso nicht mehr.“ Sicherheit, so klingt er, gibt es nirgends. Und vielleicht ist es ja tatsächlich dort am gefährlichsten, wo es aussieht, als könnte man noch an sie glauben. Vorwärts geht’s nur mit Ohio Demokraten blicken mit Vorsicht auf Obamas steigende Umfragewerte – denn neue Wahlgesetze in 19 Bundesstaaten könnten den Republikanern nützen Von S tefan K och Kent. Das Wetter meint es nicht gut mit der Demokratischen Partei. Es regnet in Strömen. Ausgerechnet an diesem Nachmittag, an dem so hoher Besuch erwartet wird, ist der Himmel seit Stunden verhangen. Die Geduld der Menschen, die in langen Schlangen vor der Halle der Kent State University in Ohio stehen, wird auf eine harte Probe gestellt: Windböen jagen den Regen vor sich her und lassen selbst die größten Schirme zwecklos erscheinen. Obwohl viele Gäste schon völlig durchnässt sind, gehen die Sicherheitskontrollen nur schleppend voran. Dennoch gibt es kein Drängeln oder Gemurre. Böse Worte sind nicht zu hören, weder über das Wetter noch über den Gast, auf den hier alle warten: Barack Obama. Der Wahlkämpfer ist wieder einmal in Ohio zu Gast und will für eine weitere Amtszeit werben. Kaum ist das Schlangestehen überstanden, setzt sich das Warten unter unangenehmen Bedingungen fort: Die Musik in der Basketball-Arena ist so ohrenbetäubend, dass Familien mit Kleinkindern in den Vorhallen Schutz vor dem Lärm suchen. Es dröhnt ein Popsong nach dem anderen aus Lautsprechern, die haushoch neben der Bühne stehen. Dennoch: Die Stimmung ist ausgelassen. Viele Obama- Fans treten kostümiert auf, einige ältere Damen tragen Abendkleider. Obamas neuer Slogan „Forward“, Vorwärts, steht in weißer Schrift auf unzähligen blauen Schildern. Die Hoffnung auf einen Umbruch, vielleicht sogar auf ein neues Zeitalter, hatte Obama im November 2008 in das höchste Amt des Staates getragen. Daran lässt sich in diesem Jahr schwer anknüpfen, weder hier in Kent, Ohio, noch an anderen Wahlkampfstätten. Viele Menschen, die Obama damals ihre Stimme gaben, sind ernüchtert – durch die Arbeitslosenzahlen, die Schuldenberge des Staates und vor allem durch das Wirtschaftswachstum, das mehr dahindümpelt als steigt. Und doch bleibt unter den Anhängern der Demokratischen Partei der Glaube fest verankert, dass es wieder besser wird – langsam, aber beständig. Allen Gainsborough zählt sich zu den Menschen, die wieder Zuversicht fassen. Der 46-jährige Kaufmann betreibt einen Buchladen im beschaulichen Zentrum von Kent und setzt auf das Gesellschaftsmodell, das Obama so oft in seinen Reden skizziert: „Wir wollen nicht, dass der Staat entkernt wird. Sollen sich nur noch die Wohlhabenden Gesundheit und Bildung leisten können?“ Gainsborough ist in Ohio aufgewachsen und versteht sich nicht als hundertprozentigen Anhänger der Demokraten: „Bei uns wechseln die Mehrheiten. Das finde ich auch richtig, damit die Politiker wach bleiben.“ Doch seiner Meinung nach haben sich die Republikaner gewandelt: Im Vergleich zur Ära von Präsident Ronald Reagan seien sie radikalisiert. „Die Republikaner haben offenbar vergessen, dass auch unter Reagan die Steuern mehrfach erhöht wurden“, sagt Gainsborough. Dass in Ohio weder die Demokraten noch die Republikaner eine klare Mehrheit besitzen, kommt dem Bundesstaat zugute: Politiker beider großer Parteien bemühen sich in besonderem Maße um diesen „Swing State“. Auch Herausforderer Mitt Romney ist in dieser Woche in Ohio unterwegs, um seine Truppen zu sammeln. John Fender, Bürgermeister von Kent, erwähnt in seiner Vorrede zu Obama ausdrücklich das neue Kulturzentrum seiner Stadt, das ohne Finanzhilfen aus Washington wohl kaum gebaut worden wäre. „In unserer Stadt sehen wir jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit, dass es uns besser geht als vor vier Jahren“, scherzt Fender. Es sind geflügelte Worte in Kent. „Geht es euch besser als vor vier Jahren?“, lautete die Frage, mit der einst Ronald Reagan die Wähler aufrüttelte. Am 40. Präsidenten der USA orientiert sich jetzt Mitt Romney – und hebt hervor, dass Washington unter Reagan in der Welt wieder geachtet wurde. Wer die Veranstaltungen beobachtet, stellt zunächst einmal einen großen Unterschied fest: Bei den Demokraten herrscht Partystimmung, und die Säle sind bevölkert von Weißen, Afroamerika- nern, Latinos, Asiaten und einigen Indianern. Bei den Republikanern dominieren dagegen die Weißen. Dort geht es ruhiger zu. In der ersten Reihe der Funktionäre der „Grand Old Party“ mögen die Minderheiten stark vertreten sein – zum Beispiel durch die frühere Außenministerin Condoleezza Rice und durch Senator Marco Rubio aus Florida. Doch an der Parteiba- „Vorwärts“ – in der Basketball-Arena der Kent State University hat Obama ein Heimspiel. dpa sis ist die Dominanz der Weißen offensichtlich. Manche Kommentatoren der liberalen Medien verspotten Romneys Kampagne bereits als „letzte Schlacht des weißen Mannes“. Ist das Rennen für Obama also schon gewonnen? Beobachter wie John Albert aus Kent bleiben vorsichtig. Der 55-Jährige arbeitet seit Monaten ehrenamtlich für das örtliche Wahlkampfteam der Demokraten: „Die Umfragen, die wir von morgens bis abends hören, sollten wir mit Vorsicht genießen.“ Mit Sorge blickt Albert auf die Wahlgesetzgebung, die im vergangenen Jahr in 19 Bundesstaaten reformiert wurde. Künftig müssten die Bürger zur Registrierung unter anderem einen Ausweis vorlegen. Den haben viele aber gar nicht: Einen Personalausweis gibt es nicht, einen Pass bestellt sich ein Amerikaner normalerweise erst, wenn er wirklich ins Ausland reisen will – und den Führerschein, der gemeinhin als Ausweis anerkannt ist, können sich viele heute nicht mehr leisten. „In den armen Bevölkerungsschichten schreckt das viele ab, zur Wahl zu gehen“, sagt Albert. Dass in 16 dieser 19 Bundesstaaten Republikaner den Gouverneur stellen, ist seiner Meinung nach kein Zufall: „Sie halten die armen Leute von den Urnen fern, damit Romneys Chancen steigen.“