Paul Klee und Johann Sebastian Bach

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Paul Klee und Johann Sebastian Bach
Paul Klee und Johann Sebastian Bach
Die meisten Künstler, die in der Sammlung Rosengart vertreten sind, haben sich mit
Musik auf unterschiedliche Weise auseinandergesetzt, die sich in einzigartigen
Kunstdokumenten widerspiegelt. Immer wieder kam es zu grenzüberschreitenden
Experimenten und zu einem regen Erfahrungsaustausch unter Musikern und Malern.
Unter diesen Künstlern ragt Paul Klee hervor, dessen Liebe zur Musik von Bach,
aber auch Mozart sich in zahlreichen Werken finden lässt. Lange Zeit konnte sich
Klee nicht entschliessen, ob er Musiker, Schriftsteller oder Bildender Künstler werden
sollte: er war äusserst talentiert und erfolgreich als Violinist und spielte bei
zahlreichen Orchesteraufführungen wie auch in Kammermusikensembles mit – doch
merkte er, dass er auf dem Gebiet der Musik nichts Neues schaffen würde. Obwohl
sich Klee dann für die Malerei entschied, blieb er der Musik sein Leben lang treu.
Wie sehr er sich mit ihr beschäftigte, dokumentieren Bilder mit Darstellungen von
Musikern oder musikalischen Requisiten, aber auch abstrakte Werke, deren Titel an
musikalische Strukturen erinnern. So finden wir in der Sammlung Rosengart Bilder
wie „Arabische Melodie“, „Herbstlicher Klang“, „Aus einem Ballett zur Äolsharfe“ oder
einfach nur „Harmonie in Blau-Orange“.
Ganz allgemein gesagt, schon Klees Stil ist „musikalisch“: sein Feinsinn in
Pinselführung, Farbe und Form, sein Sinn fürs Lyrische.1 Er, der klassische Musik
hörte und selber spielte, „weil sie sein Formempfinden stimulierte und ihm ein
verlässlicher Führer im Labyrinth seiner eigenen Form-Ideen war“2, nahm die
Analogien zwischen Malerei und Musik sehr ernst. Sein grosses Interesse spiegelt
etwa folgendes Zitat wider, das man in Klees Tagebuchnotiz vom Jahr 1905 finden
kann: „Immer mehr drängen sich mir die Parallelen zwischen Musik und bildender
Kunst auf.“
In der Musik des 18. Jahrhunderts sah der Künstler eine Blütezeit, die in seinen
Augen nie mehr erreicht wurde. Vor allem Kompositionen von Mozart und Bach, die
Klee in seinem Tagebuch-Eintrag vom Juli 1917 „moderner als das Neunzehnte
(Jahrhundert)“ beschrieb, waren für ihn die höchste Erfüllung. Nicht, dass sich Klee
der zeitgenössichen Musik gänzlich verschlossen hätte – doch hatte seiner Meinung
nach die Musik von Bach, den Klee als Titan3 bezeichnete, eine nie mehr erreichte
Blütezeit erlebt.
Im Juni 1918 schrieb Klee in sein Tagebuch: „Der Urlaub hat die gute Nachwirkung,
dass ich voller Kunst bin. Die Erkenntnis ist durch das mehrmalige Bachspiel wieder
vertieft. Noch nie habe ich Bach mit solcher Intensität erlebt, noch nie so sehr eins
mich mit ihm gefühlt. Welche Konzentration, welche einsame letzte Bereicherung!“
Schon sechs Jahre zuvor hatte Klees intensive Auseinandersetzung mit Bach und
seinen Kompositionen eine Verbildlichung erfahren: Klee malte in diesem Jahr
„Farbige Komposition (Hommage an J.S. Bach)“ oder 1919 das Werk „Im Bachschen
Stil.“
Ab 1921 war Klee Lehrer am neugegründeten Bauhaus in Weimar. Seine
Experimentierfreude war enorm und er fand im Laufe der Zeit ein Gefühl für
Rhythmus, Klang und Harmonie, das er derart verinnerlicht hatte, dass er diesen
Elementen im Bild sensibel, ohne weiteren Anstoss von aussen, nachspüren konnte.
Musikalische Qualitäten lassen sich in vielen Bildern Klees vorfinden – ob wir diese
akzeptieren und annehmen, ist jedem selber überlassen – doch eines ist gewiss:
Klees Analysen beispielsweise von zwei Takten eines dreistimmigen Satzes von
Bachs Sonate Nr. VI in G-Dur für Violine und Klavier, die er in ein graphisches
System übersetzte, inspirierten ihn zu neuen Möglichkeiten in der Darstellung von
Schraffuren, Linien und Farben.
So sah Klee in der Polyphonie, also in der Gleichzeitigkeit mehrerer selbständiger
Themen, die Bach so unerreichbar meisterhaft komponiert hatte, das Ziel und Ideal
des eigenen künstlerischen Schaffens. Aus Notizen geht hervor, was Klee unter
polyphoner Malerei verstand: verschiedene strukturierte Farb-Flächen werden
übereinander geschichtet oder gelagert und lassen eine bildnerische
„Vielstimmigkeit“ entstehen. Linien überkreuzen, verknoten sich mehrmals, wobei
Schraffuren oder Schattierungen Räumlichkeit vorgeben. Das Fortschreiten eines
Themas in der Musik entspräche dann der Entwicklung der Farbe zum Beispiel von
Dunkel nach Hell oder von Orange zu Grün wie im Werk „Physiognomie einer Blüte“
(1922) oder wie in „Auge und Ohr“ (1929) in der Überlagerung und Überlappung von
mal helleren, mal dunkleren Feder-Schraffuren.
Jahre später glaubte Klee mit Hilfe seiner „polyphonen Malerei“ die moderne Kunst
einer neuen Höhe zugeführt zu haben.“4 Einzigartig und bezeichnend für Klee war
sein Glaube an die unübertroffene Grösse von Bach und Mozart, sowie sein Traum
von einer ebenso monumentalen wie universalen Kunst in der Zukunft. Klee wollte
ähnlich wie die von ihm geliebten Komponisten, die mit Hilfe genialer
Ausdrucksformen und –mittel musikalische Meisterwerke geschaffen hatten, eine
neue Malerei verwirklichen, die vollkommen und zeitlos sein sollte. Konkret heisst
das, dass sich Klee vor die Aufgabe gestellt sah, ästhetische Qualitäten u.a. aus
Bachs Meisterwerken heraus zu filtern, die dann so weit wie möglich in eine
praktische, funktionierende Bildsprache übertragen werden sollte. Klee war
überzeugt, dass Farbe und Klang eine gemeinsame gültige Formel zugrunde liegt,
die ihm helfen könnte, die Malerei zu neuen Höhen zu führen – wie einst Bach und
Mozart die Musik zu neuen Höhen geführt hatten. Mit der „Polyphonie der Malerei“,
eine der wichtigsten Errungenschaften Klees, die er über die Jahre hinweg in
wundervollen Bildern zu vervollkommnen wusste, war ihm dies vielfach gelungen.
Martina Kral
Kuratorin
Sammlung Rosengart Luzern
März 2011
1
Paul Klee und die Musik, Ausstellungskatalog Schirn Kunsthalle, 1986, S. 23
2
Ebd., S. 29
3
Karin von Maur: Vom Klang der Bilder. Die Musik in der Kunst des 20. Jahrhunderts, München 1994,
S. 426
4
Ebd., S. 426 und S. 428