Matthäus 5, 43-48

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Matthäus 5, 43-48
Predigt zu Matthäus 5, 43-48
Liebe Gemeinde, wie geht es euch mit diesen Bildern und Informationen aus Nigeria? Da
werden Häuser von Christen und Kirchen niedergebrannt, Ehemänner und Väter brutal mit
Macheten umgebracht. Es ist unfassbar, was Christen um ihres Glaubens willen erleiden
müssen. Wir können das Unfassbare weder gedanklich noch gefühlsmäßig erfassen – es ist zu
grausam, zu unverständlich, zu schmerzhaft. Und dennoch dürfen wir nicht die Augen
verschließen vor dem Leid, das ja unsere Schwestern und Brüder im Glauben an einen
liebenden Vater im Himmel betrifft. Was mich besonders beschäftigt, ist die Tatsache, dass
hier Gewalttaten religiös gerechtfertigt werden. Wie ist das nur möglich, frage ich mich. Vor
kurzem hörte ich bei 150 km/h auf der Autobahn mal wieder eins meiner Lieblingslieder von
Herbert Grönemeyer - mit dem Titel „Stück vom Himmel“. Ich habe dieses Lied schon so oft
und auch gerne laut gehört und jedesmal provoziert mich die eine Aussage: „Kein Gott hat
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klüger gedacht“. Irgendwie ist da etwas Wahres dran, aber andererseits kann ich diese
Aussage nicht so gelten lassen. Es kann ja nicht sein, dass ein Gott klüger gedacht hat, als
andere, wenn es nur einen Gott gibt. Das Problem ist nur, dass Menschen verschiedener
Religionen denken, dass der Gott, an den sie glauben, klüger gedacht hat, als der Gott, an
den die anderen glauben. Das denken wir ja auch. Doch das darf natürlich nicht dazu führen,
anderen den Glauben abzusprechen oder sie sogar um ihres Glaubens willen anzufeinden.
Zugegeben, das ist leichter gesagt als getan. Ich musste daran denken, dass der Gott, der sich
in Jesus Christus offenbart hat - also der Gott, an den wir glauben – gefordert hat: „Liebt eure
Feinde und bittet für die, die euch verfolgen“ (Mt. 5,44). Ich möchte euch diesen Abschnitt
aus der Bergpredigt, der von der Feindesliebe handelt, gerne vorlesen. Worte, die klüger
sind als menschliche Gedanken.
Matthäus 5, 43-48
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Diese göttlichen Gedanken hat unser Herr, Jesus Christus, nicht nur gepredigt, sondern
gelebt. Selbst am Kreuz bat er für seine Feinde: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht,
was sie tun!“. Die Menschen damals – nicht nur seine Feinde – glaubten, Jesus sei mit seiner
Friedensbotschaft gescheitert. Scheinbar hatte die Ungerechtigkeit mal wieder gesiegt. Noch
heute sieht es so aus, als würde das Böse im Menschen stärker sein als das Gute. Soviel steht
fest: Gott lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und er lässt es regnen über
Gerechte und Ungerechte. Man könnte fragen: Ist das gerecht? Diese Frage wird uns als
Christen zwangsläufig beschäftigen, gerade weil wir einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn
haben. Dann möchte man, wie Simon Petrus es bei der Verhaftung Jesu im Garten
Getsemane getan hat, für Gerechtigkeit kämpfen – wenn´s sein muss auch mit Gewalt. Doch
Jesus wehrte diesem Angriff mit dem Schwert, weil er Gerechtigkeit in einem viel größeren
Sinnzusammenhang sehen konnte. Trotzdem hatte Simon Petrus ein Schwert bei sich.
Warum eigentlich? Warum auch immer, Jesus erwartet von allen, die ihm nachfolgen, dass
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sie über das normale Maß von Nächstenliebe hinausgehen. Das unterscheidet uns als Jünger
Jesu von Gläubigen anderer Religionen: Auf der Grundlage der Tora fordert das Judentum ja
ebenfalls die Liebe zum Nächsten. Allerdings können fromme Juden einen Feind nicht als
Nächsten verstehen. Um für Gerechtigkeit zu sorgen, muss man dem Feind nach dem Prinzip
Auge um Auge, Zahn um Zahn vergelten. Selbst im Islam ist in Anlehnung an die zehn Gebote
Nächstenliebe geboten (vgl. Artikel „Fatwa gegen den Terrorismus“). Doch im Gegensatz zu
Jesus hat Mohammed selbst Kriege angeführt, um die Ungläubigen zu vertreiben. So heißt es
im Koran, Sure 9,29: „Kämpft gegen jene, die nicht an Gott und nicht an den jüngsten Tag
glauben und nicht verbieten, was Gott und sein Gesandter verboten haben, und nicht der
wahren Religion angehören“. Dem gegenüber will Jesus die Spirale der Gewalt
durchbrechen, indem er zur Feindesliebe aufruft. Nun kann man damit sicherlich keine
Politik machen. Doch so idealistisch Jesu Forderungen erscheinen mögen, er selbst hat sich
danach gerichtet und uns als Christen damit ein Beispiel gegeben, dem wir folgen sollten.
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Dabei müssen wir eingestehen, dass im Laufe der Kirchengeschichte unglaublich viel Unheil
über die Menschheit gebracht worden ist. Und auch wir selbst scheitern jeden Tag an
diesem hohen Anspruch, den Jesus da an uns richtet – ob auf dem Schulhof, im Büro oder
sogar zuhause…! Wer kann denn schon vollkommen sein, wie unser Vater im Himmel
vollkommen ist? Wenn wir das als moralischen Anspruch an uns hören, müssen wir uns
selbst und anderen eingestehen, dass wir dem nicht gerecht werden können. Andererseits
dürfen wir uns nicht mit dem Maß an Nächstenliebe zufrieden geben, was man im Grunde
von jedem Menschen erwarten können sollte. Jesus geht es tatsächlich um ein „Mehr“; mit
dem Ziel vollkommener zu lieben. Das Wort, das hier mit „vollkommen“ übersetzt wird,
meint das Ausgerichtetsein auf ein Ziel. Unser Ziel soll es sein, sich nicht an dem zu
orientieren, was andere machen oder was man selbst für richtig hält. Unser Maßstab ist die
Liebe, die Gott in Jesus Christus offenbart hat. Übrigens schreibt der in diesen Tagen heftig
kritisierte Papst, Joseph Ratzinger, in seinem „Credo für heute“ Folgendes(S.16f): „Gewiss,
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der Text bringt uns unsere Vergebungsbedürftigkeit erschreckend deutlich zum Bewusstsein.
Aber er will doch auch etwas anderes. Er will uns hinorientieren auf jenes „Mehr“, auf jenen
„Überfluss“ und jene Großzügigkeit, die nicht bedeutet, dass wir plötzlich fehlerlose
Vollkommene werden, sondern die bedeutet, dass wir die Haltung des Liebenden suchen, der
nicht rechnet, sondern eben liebt.“ Nun gilt das Gebot der Feindesliebe sicherlich für alle
Christen weltweit gleichermaßen. Doch ungleich schwerer ist es natürlich, wenn man um
seines Glaubens willen angefeindet wird oder man sogar um sein Leben fürchten muss.
Unsere Situation ist nicht vergleichbar mit der in Nigeria oder anderen Ländern, wo Christen
verfolgt werden. Natürlich bin ich dafür dankbar, dass wir hier in Freiheit leben. Wir müssen
nicht um unseres Glaubens willen leiden. Doch wenn wir – wie der Vater im Himmel –
Gerechtigkeit lieben, dann werden wir mitleiden – mitleiden mit denen, die Leid tragen. Der
Gott, den Jesus uns offenbart hat, hat vielleicht nicht klüger gedacht, doch er hat größeres
Mitleid, als es ein Mensch denken kann. Wir können das Leid dieser Welt mit dem Verstand
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nicht erfassen, nicht erklären, nicht rechtfertigen, nicht verhindern. Doch wir können trotz
allem glückselig sein. Denn: Glückselig sind diejenigen, die Leid tragen und auch diejenigen,
die mitleiden. Glückselig sind die Sanftmütigen, die keine Gewalt anwenden. Glückselig sind,
die nach Gerechtigkeit hungern und dürsten. Glückselig sind die Barmherzigen und
diejenigen, die ein reines Herz haben. Selig, die Frieden stiften. Ja, glückselig sind diejenigen,
die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihnen gehört das Himmelreich. Ein
Stück vom Himmel können wir auch hier auf Erden erleben, wenn wir dem Gott, der
barmherzig und gnädig, geduldig und von großer Güte ist (Psalm 103), wieder ein Stück
näher kommen und ein stückweit seine vollkommene Liebe verinnerlichen und vorleben. So
und nur so werden wir glückselig und die Welt ein bisschen friedlicher.
AMEN
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