mundus Münchner Weihnachtsimpressionen
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mundus Münchner Weihnachtsimpressionen
Münchner Weihnachtsimpressionen (Jörg Maurer) Haben Sie gewusst, dass es von Pablo Picasso ein Bild mit dem Titel Münchner Glühweintrinker auf dem Marienplatz gibt? Nicht? Jetzt wissen Sie's und Sie sollen auch erfahren, wie es dazu gekommen ist. An einem sonnigen Dezembertag des Jahres 1921 saßen einige international anerkannte Maler auf der Terrasse eines Cafés in der Münchner Maximilianstraße, unter ihnen auch solche Kaliber wie Claude Monet, Salvador Dalí, Pablo Picasso, George Grosz, Georges Braque und Wassily Kandinsky. Sie waren eingeladen worden, um bei einem Kongress irgendetwas Kluges zu sagen, jetzt aber hockten sie da, plauderten und tranken Absinth. Von der prächtigen Maximilianstraße biegt die kleine Thierschstraße ab und da steht das altehrwürdige Wilhelmsgymnasium, in dem der Zeichenlehrer der Klasse 8a, Professor Hölzl, seinen Schülern in der letzten Stunde vor den Weihnachtsferien ein Bild mit dem Titel Münchner Weihnachtsimpressionen aufgegeben hatte. "Was sollen wir jetzt da malen?" fragte der kleine Herbrechtinger Maxl, der dann später Oberstaatsanwalt geworden ist. "Am besten ist es, ihr geht hinaus mit euren Zeichenblöcken und fangt draußen auf der Straße die weihnachtliche Stimmung ein!" war die Antwort des Zeichenlehrers. "Zwei Stunden habt's Zeit, dann kommt's wieder mit euren Bildern. Ich werde sie benoten und dann - " "Dann gehts in die Weihnachtsferien!" schrieen die dreißig Schüler unisono. Die Buben, darunter einige spätere Regierungsdirektoren, Chefärzte und Hochfinanzritter, bewaffneten sich nun mit Zeichenblöcken und Malstiften, strömten hinaus, und es kam, wie es kommen musste. "Da schaugts einmal nüber! Das gibts ja nicht! Da hockt ja der Picasso!" sagte der kleine Rottmannsberger, ja, genau der Rottmannsberger, der dann später das Trockensuppenimperium seines Vaters übernommen hat. "Und der Monet und der Kandinsky auch", sagte der Guggemoos Peter, dessen Karriere als Oberforstrat im Staatsdienst auch schon vorgezeichnet war. Ein paar besonders kühne Buben (darunter auch ich) gingen nun hin zu dem Tisch und fragten die Berühmtheiten, ob sie ihnen nicht bei dem Bild zum Thema Münchner Weihnachtsimpressionen helfen würden. "Aber bittschön nicht signieren!" sagte der Himpsel Franz, "weil es dann der Zeichenprofessor Hölzl merken würde." Das Gelächter unter den Künstlern war groß, aber sie stimmten zu und machten sich ans Werk. Der Kubist Georges Braque zum Beispiel malte in den zwei Stunden einen dreiäugigen, eckigen, blau-weißen Nikolaus, der mit einer Horde siebenäugiger, ebenfalls eckiger Engerl über dem Maxmonument schwebte. Das Maxmonument selber war auch eckig und ganz blau bei dem Braque. Der Salvador Dalí malte eine speckige Lederhose auf einem Gabentisch, die auf allen Seiten heruntergeflossen ist und der Claude Monet hatte eine Krippenszene im Sinn, mit Maria im ©Jörg Maurer für mundus Dirndl, wie sie dem Jesuskind eine Weißwurst reicht. "Aber wie soll ich da meine Seerosen unterbringen?" seufzte er. Sein Bild hat ein bisserl gedauert, wegen den vielen Punkterl, aber nach zwei Stunden war auch Monet fertig und das Aquarell bekam, man errät es schon, den Titel Weihnachtsengel hinter der Krippe auf zugefrorenem Seerosenteich. Der Picasso ist schlagartig nüchtern geworden, wie er gehört hatte, dass es was zu malen gibt, er riss ein paar von uns die Blöcke förmlich aus der Hand und produzierte in einer halben Stunde zwei Dutzend Aquarelle und insgesamt achtundachtzig Gouacheskizzen, die fünf Ölbilder gar nicht mitgerechnet. Er zerriss die Blätter immer wieder und fing von vorne an. Zwischen halb eins und eins hat er noch nebenbei zwei wegweisende Malstile entwickelt und danach eine Affäre mit einer Putzmacherin aus der Schellingstraße angefangen. Fünf Minuten vor Ablauf der Zeit hat mir dann Picasso sein Bild gegeben: Münchner Glühweintrinker auf dem Marienplatz. Der Scheibenhutter Anton, der viel später durch eine Erfindung reich geworden ist, ich habe vergessen, durch welche, hatte das Glück, von George Grosz eine Karikatur gezeichnet zu bekommen. Darauf war ein dürrer, abgenadelter Weihnachtsbaum zu sehen, unter dem sich allerlei ausgemergelte Gestalten tummelten. Und beim Kandinsky waren natürlich nur bunte Dreiecke, Kreise und Stricherl zu sehen, das hat uns allen eigentlich am besten gefallen. Aber es kam, wie es kommen musste: Unserem Zeichenlehrer Hölzl konnte mir der ganzen bunten Vielfalt überhaupt nichts anfangen. Die zwei Stunden waren um, wir Buben hatten überreichlich Material und sind wieder zurück ins Wilhelmsgymnasium. "Ja, um Gottes Willen, was habts ihr denn da gemalt?" hat er gerufen, wie er die ganzen Zeichnungen angeschaut hat. (Wir wollten natürlich nicht zugeben, dass wir uns helfen lassen haben, das ist klar. Wir sagten was von tausend Ideen, die in der Luft gelegen sind.) Weil aber der Professor Hölzl in milder vorweihnachtlicher Stimmung war, hat er allen ein Gerade noch ausreichend gegeben und die ganze Saubande in die Weihnachtsferien entlassen. Die Bilder hat er kopfschüttelnd auf den Sperrmüll geworfen, auch das Bild Weihnachtsengel hinter der Krippe auf zugefrorenem Seerosenteich von Claude Monet und Liegene Gestalten unter dem Christbaum neben halb ausgetrunkenen Weißbiergläsern von George Grosz. Ich weiß es deshalb, weil ich noch einmal zurückgegangen bin und dem Zeichenlehrer Hölzl zugeschaut hab. Am nächsten Tag kam die Sperrmüllsammlung und holte alles ab. (Und so findet man auf den Flohmärkten des Stadtteils Lehel mit etwas Glück heute noch echte Kandinskys und Monets, zu wahren Spottpreisen.) Ich allerdings muss dazusagen, dass die Sperrmüllsammlung nicht alles abgeholt hat. Die Münchner Glühweintrinker auf dem Marienplatz von Pablo Picasso sind seit dem ersten Weihnachtsferientag 1921 in meinem Besitz. Und ich wünsche auch dem, der's nicht glaubt: Frohe Weihnachten! ©Jörg Maurer für mundus