Reader zur Landschaft

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Reader zur Landschaft
KUNST
S. 1
Reader zur Landschaft
KUNST
S. 2
Inhalt
Bildanalyse & Gestaltungselemente
3
Gestaltungselemente3
Wie wird die Landschaft konstruiert?
4
Arbeitsblatt zur Bildanalyse - Beispiel
7
Analyseschema für Kunstwerke
8
Techniken9
Die verschiedenen Aquarell-Grundtechniken
9
Klausuren11
Aufgabenart: Vergleichende Analyse und Interpretation - Vorgaben
11
Begleittexte12
Ernst Mach und die Impressionisten
12
Venedig in Wien
13
Impressionismus14
Theodor Haubach
15
„Der Student” aus den „Dithyramben” (1918) von Iwan Goll
16
Gustav Landauer über die Rolle des Dichters, 1919
Gustav Stramm: Geschehen (Kurzdrama) 1916
Augus Stramm „Schrei” (1915):
17
18
19
Kunstepochen20
Kunstströmungen der 20er Jahre
21
1900 - 1920
22
Merkmale der impressionistischen Maltechnik
23
Spätimpressionisten24
Nachimpressionistische Malerei
25
Expressionismus26
Der Ursprung der Moderne
27
Künstlergruppen38
Der Blaue Reiter
39
Die Künstlervereinigung Worpswede 40
Die Brücke
41
Fauvismus42
Einzelne Künstler
Emil Nolde (1867 - 1956): Äußerungen (1924 - 1934) Emil Nolde
Anselm Kiefer
Unbewältigte Vergangenheit — Anselm Kiefers historischer Ansatz
Gustav Büchsenschütz 1923 „Märkische Heide“
Gergia O´Keefe - Rezensionen und Artikel
Vincent van Gogh: Leben und Werke
Van Gogh im seinen Briefen
Gabriele Münter David Hockney
43
43
44
47
49
52
53
59
65
66
69
Geschichte der Landschaft
Geschichte der Landschaftsmalerei
71
71
Begriffe81
Topothesie81
Topografie82
Immersion 83
Bildanalyse & Gestaltungselemente
KUNST
S. 3
Gestaltungselemente
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Gleichgewicht ist die Verteilung des visuellen Gewichts von Objekten, Farben, Texturen und
Raum. Die Elemente werden im Entwurf gegeneinander abgewogen. Beispiele:
• In symmetrischen Entwürfen sind die auf einer Seite des Entwurfs verwendeten Elemente jenen auf der anderen Seite ähnlich.
• In asymmetrischen Entwürfen sind die Seiten unterschiedlich gestaltet.
• In radialen Entwürfen sind die Elemente um einen zentralen Punkt herum arrangiert
und können einander ähnlich sein.
Betonung ist der Teil des Entwurfs, der die Aufmerksamkeit des Zuschauers einfängt. Häufig
gestaltet ein Künstler einen Bereich auffallend, indem er ihn anderen Bereichen gegenüberstellt. Der Bereich ist im Hinblick auf Größe, Farbe, Konsistenz, Form usw. anders.
Bewegung ist der Weg, den das Auge des Zuschauers nehmen soll. Solche Bewegung kann
durch Linien, Kanten, Formen und Farbe innerhalb des Bildes geplant werden.
Muster sind Wiederholungen von Objekten oder Symbolen usw. auf den Bild.
Wiederholung arbeitet mit Mustern, um das Bildmaterial lebhaft erscheinen zu lassen. Die
Wiederholung von Elementen soll Einheiten innerhalb des Bildmaterials schaffen.
Proportion ist eine zusammenhängende Einheit, nämlich wenn Teile wie z.B. Größen sich aufeinander beziehen.
Rhythmus wird geschaffen, wenn ein oder mehrere Elemente des Entwurfs wiederholt verwendet werden, um ein Gefühl organisierter Bewegung zu schaffen.
Einheit ist das Gefühl der Harmonie zwischen allen Teilen des Bildmaterials, das einen Sinn der
Vollständigkeit schafft.
Vielfalt ist die Verwendung mehrerer Elemente des Entwurfs, um die Aufmerksamkeit des
Zuschauers zu erhalten und das Auge des Zuschauers durch das Bildmaterial zu führen.
Linie ist ein Zeichen mit einer größeren Länge als Breite. Linien können waagerecht, senkrecht
oder diagonal, gerade oder gebogen, dick oder dünn sein.
Umriss ist eine geschlossene Linie. Umrisse können wie Plätze und Kreise geometrisch sein;
oder organisch wie freie oder natürliche Formen. Formen sind flach und können Länge und
Breite ausdrücken.
Körper sind dreidimensionale Formen, die Länge, Breite und Tiefe ausdrücken. Kugeln, Zylinder, Kästen und Dreiecke sind Formen.
Raum ist der Bereich zwischen Körpern. Die Stelle um Objekte herum wird oft negativer Raum
genannt; negativer Raum hat Form. Raum kann sich auch auf das Gefühl der Tiefe beziehen.
Wirklicher Raum ist dreidimensional; in der Malerei wird dies per Illusion dargestellt.
Farbe hat drei Hauptmerkmale: Farbton oder Name (Rot, Grün, Blau, usw.), Helligkeitswert (ist
die Abstufung einer Farbe von hell nach dunkel) und Sättigung (die Reinheit der Farbe - gesättigte Farben haben keine Beimischung).
• Weiß ist reines Licht, schwarz die Abwesenheit von Licht.
• Primärfarben sind roten, blauen und gelben Farben. Alle anderen Farben sind Mischungen der Primärfarben.
• Sekundärfarben sind aus zwei Hauptfarben gemischt (Grün, orange, violett).
• Tertiäre Farben werden aus Primär- und Sekundärfarben gemischt (z.B. gelbgrün,
blaugrün und blauviolett.
• Komplementäre Farben befinden sich direkt gegenüber voneinander auf dem Farbkreis.
Farbkonsistenz ist die Oberflächenqualität, die gesehen und gefühlt werden kann. Konsistenzen können grob oder glatt, weich oder schwer sein.
KUNST
S. 4
Wie wird die Landschaft konstruiert?
River Bluffs, 1,320 Miles above St.
Louis / George Catlin, 1832.
Öl/Lwd., 11 1/4“ x 14 1/2“
Smithsonian American Art Museum,
The Chasm of the Colorado /
Thomas Moran, 1873-1874, Öl/
Lwd. Department of the Interior
Museum, Washington, D.C.
KUNST
S. 5
Among the Sierra Nevada Mountains, California / Albert Bierstadt , 183 x 305 cm, Öl/
Lwd., 1873, Smithsonian American Art Museum
High Cliff, Coast of Maine / Winslow Homer, (1894), Öl/Lwd., 76.8 x 97.2 cm
KUNST
S. 6
Raumtrick 1
Raumtrick 2
Catlin verwendet einen gewundenen Fluss, der in den Raum führt.
Catlin malt die Vordergrundformen größer als
die, die den Hintergrund bilden (vgl.Höhe der
Klippen im Vordergrund mit der Höhe der Klippen in den Hintergrund).
Raumtrick 3
Moran mal die Felsen einander überschneidend.
Raumtrick 4
Bierstadt malt die entfernten Berge unscharf, heller und vom Nebel
eingehüllt.
Raumtrick 5
Homer verlängert die Szene, indem er eine starke Diagonale
einführt.
KUNST
S. 7
Arbeitsblatt zur Bildanalyse - Beispiel
1) Angaben zum Kunstwerk
Bildtitel: Kreidefelsen auf Rügen
Autor: Caspar David Friedrich (1774-1840)
Entstehungsjahr: 1818, Größe: 90,5x71cm, Maltechnik: Öl, Bildträger: Leinwand,
2. Bildbeschreibung
Auf dem Bild erkennt man 2 Bäume, links und rechts im Bildvordergrund. Der rechte Baum ist größer als der
Linke. Im Mittelgrund erkennt man weiße, spitze Kreidefelsen und im Hintergrund den Horizont. Es befinden sich drei Menschen, eine Frau und zwei Männer um das Bildzentrum herum. Alle wenden sich mit dem
Rücken zum Betrachter und schauen in die Ferne bzw. aufs Wasser.
Im Vordergrund befindet sich der Mann rechts neben dem Baum, er trägt altdeutsche Kleidung. Der Mann
in der Mitte kniet auf dem Boden und erzeugt mit seinem schwarz -blauen Gehrock den größten Hell-dunkel
Kontrast im Bild. Die Frau sitzt auch auf dem Boden und deutet mit ihrer rechten Hand nach unten. Außerdem hält sie sich am Gestrüpp fest. Ihr Kleid ist durchgehend rot. Alle Figuren befinden sich am Abgrund.
Das Bild öffnet dem Betrachter den Blick von einer Wiese der (vermutlich) Insel Rügen (oder Kompositlandschaft), zwischen steil aufragenden Kreidefelsen hindurch, auf das weite Meer. Der Übergang von der Wiese
zu den abfallenden, spitzen Felsen ist abrupt. Die Frau deutet in eine Richtung, der Mann in der Mitte scheint
etwas zu suchen. Der andere Mann schaut auf das Meer hinaus.
3. Formale Analyse
Auffallend ist die größte Form im gesamten Bild: Ein Herz, das sich von der Erde im Vordergrund, entlang den
beiden Bäumen bis hin zum oberen Teil des Bildes erstreckt. Der Betrachter schaut also wie durch eine Kulisse
hindurch.
Man kann erkennen, dass der Vordergrund und die Bäume eine Art Rahmen bilden. Es ist kein statisches
Gefüge (s. die auf der Spitze stehenden Dreiecke).
Alle Bewegungen laufen entweder um das Zentrum des Bildes herum oder auf es zu. Die einzelne Felsen in
der Mitte ragen mitten ins Zentrum hinein.
Bei einer starken Schwarz-Weiß Darstellung des Bildes werden helle und dunkle Flächen verdeutlicht. So liegt
der Vordergrund größtenteils im Dunklen, kreisförmig um das Zentrum des Bildes ist es sehr hell, direkt im
Zentrum wieder etwas dunkler. Diese beinahe kreisförmige Anordnung ist auch in der Komposition zu erkennen. Die Personen scheinen sich auf zwei verschiedenen Seiten zu befinden. Zwischen den beiden Männer
besteht eine Verbindung und doch auch ein Abstand. So befinden sie sich auf der gleichen Kompositionslinie,
doch durch den rechten Mann verläuft eine senkrechte, durch den linken eine waagerechte Linie. Die Frau
befindet sich allein auf der linken Seite des Bildes.
Das Bild ist wie in zwei Seiten geteilt, die aber zusammen eine gemeinsame Form bilden. Das Bild ist detailgetreu, naturalistisch und in Erscheinungsfarben (reale Tageszeit) und Lokalfarben gehalten. Die dunkle grünbraune Wiese im Vordergrund bildet einen Warm-Kalt Kontrast zu den hellblauen Farben des Horizonts. Das
rote Kleid der Frau ist rein rot, steht damit im Gegensatz zu denen anderen getrübten Farben (Qualitätskontrast). Der Farbauftrag ist im Vordergrund deckend, im Mittel- und Hintergrund dagegen lasierend (Schichtenmalerei).
4. Synthese und Interpretation
Das Bild entstand 1818 in Deutschland, was in die Epoche der Frühromantik fällt (1790-1830), In dieser
Epoche wurden Malerei und Grafik besonders entwickelt. Es entstand ein Gegenentwurf zum Klassizismus
(Dieser steht für Rationalität, Vernunftdenken, Distanziertheit und Kühle). Die Romantik steht vor allem für
Subjektivität, gefühlsmäßige Empfindungen, Sehnsucht, christliches Weltgefühl, Beschäftigung mit eigener
Innenwelt und neue innige Beziehung zur Natur. Im Jahr 1818 gab es ein bedeutendes Ereignis im Leben von
C. D. Friedrich: Er heiratete die 25-jährige Caroline Bommer. Das Bild entstand nach Skizzen, die er auf seiner
Hochzeitsreise nach Rügen angefertigt hatte. Zudem spielen auch die Symbole in Friedrichs Werk eine Rolle.
Zum einen das Herz, Symbol für Liebe und Glückseligkeit, Gefühle und Wille, schließlich auch die Körperregion, in der Liebesglück und -Leid am stärksten empfunden wird, vom Herzklopfen bis zu stechendem
Schmerz. Auch die warmen, festlichen Farben (z. B. die rote Farbe des Biedermeierkleides) erinnern an Liebe
und Geborgenheit.
Die beiden Männer sind erst beim genaueren Hinsehen zu unterscheiden. Der kniende Mann wirkt alt und
befindet sich am Abgrund, der zwischen den Klippen liegt und starrt hinunter. Der stehende Man ist jung,
sein Blick ist hoffnungsvoll in Ferne gerichtet, er wirkt tatkräftig und mutig. Außerdem trägt er eine altdeutsche Tracht, die seit 1819 verboten war (Mittelalterrezeption). Die Männer symbolisieren, wie Friedrich
seinen eigenen Lebenszyklus sieht.
Des weiteren entsprechen Wiese und Abgrund der „Lebensbühne“ und die zwei Segelboote sind ein Symbol
für zwei Seelen, die zum ewigen Leben aufbrechen. Der abgestorbene Baumstumpf rechts im Bild und
der verdorrte Busch links sind im Gegensatz dazu Todessymbole. Alle Personen haben dem Betrachter den
Rücken zugewendet (Rückenfigur), auf diese Weise wird der Betrachters in das Geschehen einbezogen. Die
Bedeutung des Bildes liegt also in der bildhaften Darstellung der Liebe Friedrichs zu seiner Frau Caroline.
KUNST
S. 8
Analyseschema für Kunstwerke
1) Angaben zum Kunstwerk
• Maler
• Titel
• Entstehungszeit
• Material
• Technik
• Größe
• Besitzer
2) Beschreibung des Kunstwerkes (WAS ist WO im Bild?)
Beschränkung auf das optisch Wahrnehmbare: Hauptmotiv, weitere Motive, Verortung, Trennung in Vorder-,
Mittel- und Hintergrund
3) Formale Analyse (WAS ist WIE im Bild gestaltet?)
• Format (Hoch- oder Querformat)
• Komposition (Anordnung und Mengenverteilung der Einzelformen) ggf. Kompositionsskizze anfertigen
Farbigkeit und Farbverteilung, Farbkontraste
• ggf. Farbkarte anfertigen
• Räumlichkeit/Perspektive
• Lichtverhältnisse
• Bildachsen (horizontale, vertikale, diagonale Achsen)
• Malerische/grafische Mittel
• Betrachterstandpunkt, Blickführung
4) Interpretation (WARUM ist WAS WIE im Bild gestaltet?)
• Entstehungshintergrund
• Auftraggeber, Funktion (z. B. Altarbild)
• Absichten des Künstlers (Bezug zur Analyse)
• Zeitgeschichtliche Umstände, Stileinordnung
• Mitteilung des Werkes an den Betrachter (damals und heute)
5) Persönliche Schlussbemerkung
• Zusammenfassung einzelner Teilerkenntnisse und Begründung der eigenen Meinung durch Inhalte der
Analyse und der Interpretation
• Persönliche Stellungnahme zum Kunstwerk (Urteil, Assoziationen, Emotionen)
KUNST
S. 9
Die verschiedenen Aquarell-Grundtechniken
1. „Nass in Nass“
Für die Darstellung des Hintergrundes (z.B.. Wolken) und für eine „verwaschene“ Darstellungsart kann man die
„Nass in Nass“-Technik anwenden. Dabei wird die wässrige Farblösung auf das nasse (nicht tropfnasse!), oder mehr
oder weniger feuchte Papier aufgetragen. Dadurch entstehen unscharfe, „verschwommene“ Farbstrukturen ohne
scharfe Abgrenzung. Hier hat man den wenigsten Einfluss auf das spätere (trockene) Aussehen des Bildes. Jedoch ist
es sehr faszinierend, welche Formen und Strukturen hier entstehen. Ein wichtiger Vorteil der Nass-Nass-Technik ist,
dass sich das Papier weniger stark wellt, da alle Papierfasern gleichmäßig gewässert und gedehnt werden.
So geht man vor:
Bei geleimten Blöcken macht man nur die Oberseite des Blattes mit einem Flachpinsel nass, streift das Wasser mit
dem ausgequetschten Pinsel nochmals ab und beginnt mit dem Farbauftrag.
Einzelblätter sind hier empfehlenswert. Diese kann man beidseitig wässern oder sogar im Wasser tauchen und je
nach Papiersorte und Qualität mehr oder weniger lange weichen lassen. Das gewässerte Blatt am Besten auf eine
helle Kunststoffunterlage legen, so tropft das Wasser gut ab. Nun beginnt man z.B. den Himmel zu malen, indem
man einfach die späteren Wolken beim Auftragen der blauen Farbe auslässt. Es entstehen so feine, zarte Wolkenformationen. Durch mehr oder weniger kräftige oder wässrige Farbe und je nach Feuchtigkeitsgrad des Papiers lässt
sich das spätere Ergebnis etwas besser vorbestimmen; jedoch bleibt immer noch jener überraschende Zufallseffekt
erhalten.
Nun kann man im Trocknungsprozess mitlaufend zunächst mit einem etwas kräftigeren, aber immer noch dezenten
Farbauftrag z.B. die Berge im Hintergrund „modellieren“.
mit immer kräftigeren Farben geht man nun immer weiter in den Vordergrund und malt so mit immer „trockner“
Farbe z.B. die Bäume, Felsen, Steine und kommt so im fließenden Übergang zur nächsten Technik .
2. „Trocken auf Nass“
Wird mit „trockenem“ Pinsel auf nasses Papier gemalt, ist der „Verwischeffekt““ nicht ganz so stark. Hier braucht
man sehr viel Feingefühl und Übung für den Trocknungsgrad des Papiers und für die Feuchtigkeit der Farbe, denn
„Trocken“ heißt hier „Farbe mit wenig Wasser“. Bestimmte Effekte wie z.B. scharf abgegrenzte erdige, felsige
Strukturen mit einem sanften, gleichfarbigen Hintergrund entstehen mit „sehr trockener“ Farbe auf „nassem „
Papier. Aquarell ist also eine sehr experimentierfreudige Art des Malens, die sehr viel Spielraum für das Erkunden
„eigener Techniken“ lässt.
3. „Nass auf Trocken“
„Nass auf Trocken“, nennt man die Technik die „nasse“ Farblösung auf das getrocknete Papier aufgetragen wird.
Das kann ein Papier sein, das zuvor in der „Nass in Nass-Technik“ behandelt wurde, oder man beginnt sofort in
dieser Technik.
Motiv und „Feinheiten“:
Bei einem Bild, das schon in „Nass in Nass-Technik“ und „Trocken auf Nass“ gestaltet wurde erfolgt jetzt das weitere
Ausgestalten und die Darstellung von Feinheiten wie z.B. Steine und Gräser.
4. „Trocken auf Trocken“:
Wenn man mit „trockenem“ Pinsel auf trockenem Papier malt, werden die Konturen wie bei einer Zeichnung sehr
scharf und genau abgegrenzt. Das ist der „letzte Schliff“ für Aquarelle mit einem naturnahen Vordergrund. Hier
erhalten Bäume eine raue Borke, Ackerböden und Wege erhalten ihre erdige oder steinige Struktur.
Hintergrund : vorher oder nachher ?
Viele Anfänger werden gerne sofort in dieser Technik beginnen, weil ihnen die „Nass in Nass -Technik“ zu aufwendig oder kompliziert erscheint. Sie beginnen sofort mit dem Motiv und sind dann völlig frustriert, wenn es darum
geht, den Hintergrund darzustellen. Man Kann hierzu das Bild vorsichtig von der Rückseite nass machen und dann
den Vordergrund nachträglich in „Nass in Nass“ darstellen. Dabei lauft man aber Gefahr, dass das Motiv verwischt.
Der Versuch, den Hintergrund um das Motiv zu malen lässt schnell das unfachmännische Vorgehen erkennen und
die Freude an der Aquarellmalerei ist dahin.
Da man jederzeit einen „Nass in Nass „ gemalten Hintergrund in „Nass auf Trocken“ weiter gestalten kann male ich
oft nur „Hintergrund-Bilder“, die dann irgendwann weiter ausgestalten.
5. „Trocknen“ und „Glätten“ von Aquarellen:
Trocknen:
Das Trocknen von Aquarellen wird gerade bei der Nass-Nass-Technik oft als ein Problem angesehen. Jedoch ist es
eher eine Einstellung zum den spontanen Prozess, der dahinter steckt.
Mit viel Erfahrung kann man zwar den eigentlichen Farbauftrag mehr oder weniger gut kontrollieren und steuern.
Doch dann vollzieht sich ein allmählicher Trocknungsprozess, den man nicht mehr unter Kontrolle hat. Am liebsten
möchte man das Bild in halb trockenem Zustand konservieren, weil es gerade dann gut aussieht !
Man sollte jedoch das „Nass-Nass“-Malen ähnlich wie die chinesische Tuschmalerei oder das japanische sumi-e als
KUNST
S. 10
einen Vorgang sehen, bei dem wir als Mensch nur ein Teil der gesamten Natur sind und daher sollten das fertige
Ergebnis als naturgegeben hinnehmen. Für den Anfänger ist dieses natürliche Verhalten des Materials sehr
irritierend; aber für den Perfektionisten ist es einfach unerträglich, dass hier etwas abläuft, das er nicht voll und ganz
beeinflussen kann.
Natürlich kann man mit einem Fön oder einer Warmhalteplatte oder anderen Tricks eine schnellere Trocknung herbeiführen; aber das Unerwartete tritt trotzdem ein.
Glätten:
Es bleibt nicht aus, dass sich Aquarelle mehr oder weniger wellen. Wer nicht von Anfang an großzügig in der NassNass - Technik arbeitet, muß damit rechnen, dass sehr viele kleine Wellen entstehen, die sich ganz schlecht entfernen lassen. Pressen (unter einem Stapel Büchern) empfiehlt sich nur bei sehr leichter Wellung. Besser ist das richtige
Bügeln oder feuchte Bügeln.
So wir es gemacht: Das Papier mit dem Bild auf einen hellen, nicht färbenden Karton auflegen. Nun mit mittlerer
Temperatur vorsichtig von einer der Schalseiten aus bügeln. Ein Dampfbügeleisen kann hilfreich sein. Notfalls hilft
nur noch das richtige Wässern und Trockenbügeln mit sanfter Temperatur.
6. „Lavieren“ trockener Farbschichten:
Bereits trockene Farbschichten lassen sich je nach Qualität bzw. Zusammensetzung (Bindemittel) mehr oder weniger
leicht wieder anlösen. So kann man nachträglich „scharfe“ Abgrenzungen noch etwas „weicher“ gestalten. Hierzu
wird ein feuchter (nicht allzu nasser !) Pinsel benutzt, um die Farben noch etwas zu verwaschen. Oft ist as aber auch
noch möglich, das Bild vor der Rückseite her zu befeuchten, um dann die Vorderseite besser (ohne kleine Papierwellen) lavieren zu können. Hierbei kann man auch nochmals farbige Lavierschichten vorsehen.
7. Fettes Übermalen á la Nolde
Das Aquarell wird wie bei Nolde mit Tempera fett übermalt. Die Farbe wird so dicht aufgetragen, dass z.B. Orange
leuchtend auf dunklem Blau stehen bleibt.
Klausuren
KUNST
S. 11
Aufgabenart: Vergleichende Analyse und Interpretation - Vorgaben
Anmerkung zur Bearbeitung - was ist gefragt bei:
Beschreibe:
• Darstellen des Bildbestandes, also unmittelbar erkennbarer Elemente wie dargestellter Gegenstände, Formen etc.
Analyse
• Verfahren der Bildanalyse, Regeln, Ausdrucksmittel beschreiben und anweden.
Wirkung
• verschiedene Aspekte der Wirkung des Bildes auf den Betrachter ausführen oder auf andere Weise
darstellen, z.B. durch Umschreiben mit Hilfe von Metaphern
Nachweis
• nachvollziehbare Darstellung des Bildaufbaus und dessen Funktion für die beschriebene Bildwirkung oder des in einer Bildbeschreibung dargestellten Bildbestandes unter Berücksichtigung formsprachlicher, formal-ästhetischer sowie inhaltsästhetischer Aspekte
Interpretation
• typische Merkmale und Eigenschaften eines Bildes erfassen und erläutern, die zur Einordnung des
Werks dienen können,
• das Bild in einen zuvor dargestellten Kontext bringen und Merkmale des Bildes herausarbeiten,
die seine Eigenart betreffen und es von anderen Werken des gleichen Künstlers, der betreffenden
Schule oder Epoche unterscheiden
Beurteilen
• unter Kennzeichnung von Kriterien und einer Begründung für die Auswahl dieser Kriterien zu
einem Sachverhalt bzw. Problem angemessen und selbständig Stellung nehmen Neben kunst- und
kulturwissenschaftlichen kommen auch andere bezugswissenschaftliche, ethische, politische Kriterien in Frage
Rechtschreibung und Kommasetzung
Die geschriebene Sprache verlangt die Beachtung von rigideren Regeln. Eine solche allgemeinverständliche Form der Sprachverwendung verlangt vom Schreibenden:
• eine sorgfältige Vorplanung und Vorstrukturierung
• die Beachtung komplizierter Grammatik- und Satzbauregeln
• die Kenntnis der Regeln zur Rechtschreibung und Zeichensetzung
• bewusst gewählte Formulierungen und eine treffende Ausdrucksweise.
Spezifischen Fehler:
• bei der Grammatik:
Kasusfehler: Er gab seinen Bruder Theo die Hand.
Konjunktionsfehler: Es ist das Bild, dass er malte.
Zeitfehler: Van Gogh ist glücklich, seitdem er das Bild gemalt hat.
Modusfehler: Van Gogh erklärt, er sei bereit.
• beim Satzbau:
Satzgliedstellung: (SPO) Bilder malt van Gogh.
Hypotaxe: Weil er seinen Bruder besuchen wollte, fuhr er, als das Wochenende herangerückt
war, mit dem Zug nach Amsterdam.
Telegrammstil: Van Gogh malt. Bild ist farbig, struturiert.
Unvollständige Sätze: Van Gogh hat das Bild auch noch einmal in Farbe.
• beim Ausdruck:
Wortwahlfehler: Hier schwingt van Gogh den Pinsel voluminös.
Formulierungsschwierigkeiten: Van Gogh malt das irgendie so hell.
Stilistische Schwächen: Als Vincent frische Farbe brauchte, schreibe er einen Brief mit tränenerstickter Feder.
Redundanzen: Vinvcent malte grob, mit groben Strichen. Seine groben Striche waren grob.
• bei der Rechtschreibung:
Fehler bei Groß- und Kleinschreibung, bei Getrennt- und Zusammenschreibung; bei den
Fremdwörtern
• bei der Zeichensetzung:
Komma zwischen Haupt- und Gliedsatz und bei Appositionen.
Begleittexte
KUNST
S. 12
Ernst Mach und die Impressionisten
„Die Empfindungen sind auch keine „Symbole der Dinge“. Vielmehr ist das „Ding“ ein Gedankensymbol für einen
Empfindungskomplex von relativer Stabilität. Nicht die Dinge (Körper), sondern Farben, Töne, Drücke, Räume, Zeiten (was wir gewöhnlich Empfindungen nennen) sind eigentliche Elemente der Welt.“
Ernst Mach: Die Mechanik in ihrer Entwicklung historisch und kritisch dargestellt. - 9. Aufl. - 1933. - Kapitel 4, Abschnitt 4, §§ 1-2. - S. 457-458
Aufgabe: Was verbindet Mach mit den Impressionisten?
Detlev von Liliencron: Die Musik kommt.
Klingkling, bumbum und tschingdada,
zieht im Triumph der Perserschah?
Und um die Ecke brausend bricht‘s
wie Tubaton des Weltgerichts,
voran der Schellenträger.
Brumbrum, das große Bombardon,
der Beckenschlag, das Helikon,
die Pikkolo, der Zinkenist,
die Türkentrommel, der Flötist,
und dann der Herre Hauptmann.
Der Hauptmann naht mit stolzem Sinn,
die Schuppenketten unterm Kinn,
die Schärpe schnürt den schlanken Leib,
beim Zeus! das ist kein Zeitvertreib,
und dann die Herren Leutnants.
Zwei Leutnants, rosenrot und braun,
die Fahne schützen sie als Zaun,
die Fahne kommt, den Hut nimm ab,
der sind wir treu bis an das Grab!
und dann die Grenadiere.
Der Grenadier im strammen Tritt,
in Schritt und Tritt und Tritt und Schritt,
das stampft und dröhnt und klappt und flirrt,
Laternenglas und Fenster klirrt,
und dann die kleinen Mädchen.
Die Mädchen alle, Kopf an Kopf,
das Auge blau und blond der Zopf,
aus Tür und Tor und Hof und Haus
schaut Mine, Trine, Stine aus,
vorbei ist die Musike.
Klingkling, tschingtsching und Paukenkrach,
noch aus der Ferne tönt es schwach,
ganz leise bumbumbumbum tsching;
zog da ein bunter Schmetterling,
tschingtsching, bum, um die Ecke?
Aufgabe: Was ist hieran impressionistisch?
KUNST
S. 13
Venedig in Wien
Peter Altenberg, 1859 - 1919, W i e i c h e s s e h e, 1 8 9 6 / 1 9 0 4
In dem kleinen dunstigen Bildhauer-Atelier sitzt ein junger Italiener auf dem Tischbrett, gähnt. Der Marmor glitzert wie Kandiszucker.
In dem kleinen dunstigen Glasmosaik-Atelier sitzt eine junge Italienerin auf dem Tischbrett, gähnt. Das
Glasmosaik leuchtet wie Sommer-Wiesen.
In dem kleinen dunstigen Kupfer-Atelier hängen tausend leuchtende Kupfer-Gefässchen mit schwarzen
schmiedeeisernen Henkelchen. Dieselben in grosser Ausführung. Dieselben in riesiger. Eines ist fast schon ein
Weihkessel - - -.
Die Gondolieri im Kanal «weichen geschickt aus», wie es in den Zeitungsberichten heisst. «Wie Kavaliere
benehmen sie sich - - -», sagte eine junge Dame, «wie sie mit den Augen grüssen - - -!»
Dreissig tausend Menschen steigen die Holzbrücken hinauf, hinab, fliessen auseinander auf den Plätzen,
stauen auf den Brücken.
«Echt venetianisches Volksleben entwickelt sich -», denken die Reporter. Die gelbe Gondel mit dem rothen
Lichte legt an. Die junge Serenaden-Sängerin singt in der gelben Gondel.
Bei den Strassensängern steht ein Pferdehändler, eingehängt in Eine mit goldenen Haaren. Ein schwarzes
Seidenkleid mit bordeaux-rothen Glasperlen fliesst an ihrem süssen Leib herab und schimmert - - -.
Die Guitarren klimpern. Der Abendwind verdünnt sie, haucht sie weg - - -.
Echt venetianisches Volksleben entwickelt sich -.
Der Pferdehändler steht da mit seinem gewölbten Rücken und seinem schmalen Brustkasten.
An der Dame mit den goldenen Haaren fliesst die Seide herab mit bordeauxrothem Geait - - -. Sie fühlt:
«Hierher gehöre ich - - -!»
Bei der Sängerkapelle singt ein Tenor solo aus einem Notenblatte.
Die Anderen machen nur: «brum, brum, brum -.»
aus: BIBLIOTHECA AUGUSTANA, http://www.hs-augsburg.de/~Harsch/germanica/Chronologie/20Jh/Altenberg/alt_wi04.html, 11.08.2008
KUNST
S. 14
Impressionismus
Paul Verlaine: April 1874. Erschienen am 10. November 1882 in der Zeitschrift «Paris Moderne»
«Über alles setze ich die Musik,
darum ziehe ich die ungeraden Versmasse vor,
die schwankenden, die in der Luft zerfliessenden,
die beschwingten, ungekünstelten.
Denn auf die Abstufung der Farbe kommt es an,
auf Farbe, auf Schattierung!
Nichts ist uns teurer als das graue Lied,
wo sich Genau und Ungenau vermischen
gleich schönen Augen hinter Schleierflor,
gleich Tageshelle, wenn der Mittag bebt,
gleich einem herbstlich warmen Himmel,
der blauen Wirrnis strahlend-klarer Sterne!
Nur in der feinsten Abtönung vermählen
sich Traum mit Traum, die Flöte und das Horn!»
KUNST
S. 15
Theodor Haubach
1919 im „Tribunal” zur Frage „Wer ist Bürger ? Wer ist Mensch ?”
„B ü r g e r , d. i. kümmerlicher Mensch mit vermoosten Horizonten, enger‚
begrenzter Nörgler am Leben, Sattzufriedener oder hämischer Besserer
(hierher alle Reformer), ein Blutloser, Ordnungssüchtiger, Feind aller Höhe
und Tiefen, Vergreister, Steriler, Botmäßiger, nie ganz reiner, nie ganz
Böser. — Doch Mensch : Ungebärdig und nie ohne Chaos, Teufel und
Gott, Tendenzloser, Sehnsüchtiger nach Abenteuer und Rätsel, voll
tropischer und polarer Stürme in den Wettern der Seele, oft Tier, oft Engel,
Aufbäumender zum gestirnten Himmel”.
KUNST
S. 16
„Der Student” aus den „Dithyramben” (1918) von Iwan Goll
„Er kam aus den dunklen kleinen Pensionen. Da hatte er den Mittags­tisch schon zur tollen Tribüne erhoben.
Aus Bakunin stand er auf. Aus zerkrampften Nächten. Aus den not­wendigen Examen. Aus Zweifel und Spott. Aus
tiefstem Schrei nach Gott.
Seine Augen zwei schwarze Löcher in die graue Maske des Alltags. Auf seinen Lippen schwebte wie Falter sein
Herz.
Aber an jenem Tage war er überall, der Freund, der Bruder, der Mensch. Aus allen Pensionen trat so ein Student. In allen Versammlungen sprach so ein Fanatiker.
Er schleuderte den brennenden Spitzbart ums Kinn. Er schlug mit der hageren Faust die Schlangen der Zeit nieder.
Und um ihn die blassen Arbeiter der Vereine. Um ihn die stillen Jüdin­nen. Um ihn die aufkeimenden Knaben des
nächsten Jahrhunderts.
Hoch wuchsen seine goldenen Säulen am Eingang der Städte. Die Julis wälzten sich in den Mohnäckern naher
Revolte. Die Menschenengel schweb­ten aus den Mansarden herab.
Mütter taumelten mit ihren Söhnen hinterher. Auf Denkmälern stand er und zerballte die Zeit. Im Volk war er
und schrie nach Gerechtigkeit. Überall in der Welt war so ein aufgepeitschter Student. Überall öffneten
sich die Schleusen des Himmels“.
KUNST
S. 17
Gustav Landauer über die Rolle des Dichters, 1919
„Der Dichter ist der Führer im Chor, er ist aber auch — wie der Solotenor, der in der Neunten über die
einheitlich rufenden Chormassen hinweg unerbittlichen Schwunges seine eigene Weise singt — der herrlich
Isolierte, der sich gegen die Menge behauptet. Es ist der ewige Empörer. In der Revolutionszeit kann er der
Vorderste sein, so sehr der Vorderste, dass er dererste ist, der wieder auf die Erhaltung, des neu Errungenen wie des ewig Bleibenden drängt. Wo aber Stockung und Starrheit gekommen ist, und wieder Ungeist,
Unrecht und Schlendrian sich breit macht, da ist er, derimmer die Sache des Lebens führt, sowie sein echter
Ursprung sich derSache der Allgemeinheit hingibt, der Befreier. Philister und strohtrockene Sytematiker träumen den unsäglich öden Traum von der Einführung des Patentsozialismus, der in festgesetzten Einrichtungen
und Methoden alle Ungerechtigkeiten und Widrigkeiten ein für allemal abschaffen und — man erlaube hier
das demokratische Bureaukratenwort — verunmöglichen soll. Wir aber brauchen in Wahrheit die immer
wiederkehrende Erneuerung, wir brauchen die Bereitschaft zur Erschütterung, wir brauchen den großen Ruf
der Seisachtheia über die Lande weg, wir brauchen die Posaune des Gottesmannes Mose, die von Zeiten zu
Zeiten das große Jubeljahr ausruft, wir brauchen den Frühling, den Wahn und den Rausch und die Tollheit,
wir brauchen — wieder und wieder und wieder — die Revolution —, wir brauchen den Dichter“.
KUNST
S. 18
Gustav Stramm: Geschehen (Kurzdrama) 1916
„Er (fern). Blende! Blende!
Die Strahler (Zittern). Strahler! Strahler!
Er. Dunkel!
Die Strahler (flehen). Strahler! Strahler! (werfen Strahlen in den Raum.)
Er (richtet hoch). Strahlet! strahlet!
Die Strahler (werfen Strahlen, flehen). Strahler! Strahler! Schöpfer!
Er (Hoheit). Ihr strahlt strahlet!
Die Strahler (immer dringlicher). Strahler! Strahler! Schöpfed Gott!
Er (Hoheit). Meine Strahlen.
Die Strahler (werfen Strahlen). Heller! Lichter! Du! Dich! Wir! Er (hält geblendet die Hand vor die Augen). Ihr!
Strahler (verwirrt, verstört). Strahler! Strahler! deine Strahlen Wir!
Er (geblendet wirr tastet schreit). „Ich“.
KUNST
S. 19
Augus Stramm „Schrei” (1915):
Tage sargen
Welten gräbern
Nächte ragen
Blute bäumen
Wehe raumen alle Räume
Würgen
Schwingen
Und
Zerschwingen
Schwingen
Würgen
Und
Zerwürgen
Stürmen
Strömen
Wirbeln
Ballen
Knäueln
Wehe Wehe
Wehe
Wehen
Nichtall.
1500
1600
1700
pothesie
1309
1444
1620
1780
Ideale L. / Heroische L.
1800
1900
1794
1873
1822
1911
1906
1890
1889
Vorläufer und Moderne
1821
Romantik
Landschaftsvielfalt Holland1620
1557
1500
Topografische Landschaft / Naturstudien
1400
1990
2000
Überblick
Kunstepochen
KUNST
S. 20
Kunst des 19. Jhs
Kunstströmungen der 20er Jahre
KUNST
S. 21
Historismus/Gründerzeitkunst
Symbolismus
Jugendstil/Sezession
Realismus
Naturalismus
Impressionismus
Fauves
Kubismus
Expressionismus
Neo-Impressionismus
Futurismus
Metaphysica
Dada Zürich
Konstruktivismus
Bauhaus Weimar
Dada Berlin
Art Deco
Baushaus Dessau
Neue Sachlichkeit
Surrealismus
Sozialistischer Realismus
Nazikunst
KUNST
S. 22
1900 - 1920
Formen des Zusammenlebens
Megastädte
Kinder
Frauen
Internationale Gruppierung
Imperialismus
Markt
Weltkriege
zu beobachten ist:
Suche nach neuen Formen des Zusammenlebens /
Restaurierung „alter“ Formen
Verlust alter Strukturen / wo sind die neuen?
Sozialreformen / Verelendung
Neue soziale und politische Bewegungen /
Gegenbewegungen
Wissenschaft
Evolution
Physik
Psychologie
Beispiele
FKK / Tarzan / neue Architektur / Okkulte
Gruppen / Nazivorläufer / Untergangsvisionen / Tierschutz / Zivilisationskritik / Antimilitarismus/
Visionen von der Neuen Welt (Südsee) /
Wehrwolf / Gesundheitsapostel/
Kriegspsychosen / Autorennen /Suffragetten
/ Reformpädagogik /…
Politik und Wirtschaft
Geldmarkt
Beschleunigung
Arbeitsbedingungen
KUNST
S. 23
Merkmale der impressionistischen Maltechnik
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Die Farben werden intuitiv auf die Leinwand aufgebracht. Der Maler konzentriert sich im
spontanen Malprozess stark auf die aktuellen Lichtverhältnisse und hält sie im Bild fest.
Mit breiten Pinseln werden großzügig Flächen angelegt. (Dies wird besonders bei der Bearbeitung des Himmels deutlich.)
Personen werden häufig durch bunte Farbtupfer angedeutet.
Maler verzichten auf Details und abstrahiert. Nicht die genaue fotorealistische Wiedergabe,
sondern eine spontane und intuitive Malweise ist dem Künstler wichtig.
Die Palette der Impressionisten hellt sich auf: Helle Farbtöne weichen einer dunklen Farbpalette, die im 19. Jahrhundert als verbindlich galt.
kurze, starke Pinselstriche, Pinselduktus deutlich zu erkennen
skizzenhaft -> Essenz des Objektes, und nicht Details
Maler mischten die Farben auf der Leinwand
Im Auge des Betrachters mischten sich die Farbtupfen zum gewünschten Farbton
Wirkungsweise des natürlichen Lichts: Reflexion des Lichtes / Spektralfarben.
Maler hörten damit auf, ihre Farben mit Schwarz zu mischen
Maler malten meistens pleinairistisch, d.h. unter freiem Himmel.
Schatten sind blau, Reflexion des Himmels, auch andere Farbnuancen
Bilder ausschnitthaft: die Wirkung des Lichts auf ihm betont
Bild mit spontanem, flüchtigen Charakter.
Bildtiefe entstand durch Größenstaffelung, Farb- und Luftperspektive.
Die Farbe wurde zum primären Gestaltungsmittel
Nasse Farbe auf nasse Farbe (weicheren Konturen)
Alla-prima-Malweise
Maler malten, ohne sich traditionellen Regeln oder Inhalten verpflichtet zu fühlen.
Zudem wurde sur-le-motif gemalt, d.h. genau vor Ort in der freien Natur.
KUNST
S. 24
Spätimpressionisten
Mit den Impressionisten war in den 1870er Jahren eine gründlich veränderte Auffassung von Kunst sichtbar
geworden, ein erster Schritt auf dem Weg zur Kunst der Moderne.
Die Spätimpressionisten verfolgten diesen Weg weiter, entwickelten aber zur Spontaneität und Virtuosität
ihrer Vorgänger neue Ordnungsvorstellungen. Die Tendenz ging zum Bild als selbstständiger Konstruktion,
zu einem Gegenstand reiner Darbietung von Farbe und Form, die auf den ästhetischen Genuss zielte und auf
die Übermittlung subjektiver Empfindungen des Künstlers. Die Bildfläche wurde aufgeteilt in ein durchdachtes
Gerüst von Flächen und Linien, die sich vom gewohnten, überzeugenden Anschein der Körper und Gegenstände immer weiter entfernten. Die Farbflächen können Licht und Schatten bedeuten – es sind aber Punkte
und reine Farben, die so in der Natur nicht zu finden sind. Die Bilder wenden sich also an einen Betrachter,
der vor allem anderen die subjektiven, schöpferischen Fähigkeiten des Malers akzeptieren kann. Er muss bereit sein, die sinnliche Erfahrung von Farben und Linien höher zu bewerten als den natürlichen Anschein der
Dinge, dem immer weniger Bedeutung beigemessemus vorweg.
Von unterschiedlichen Standpunkten aus haben die Spätimpressionisten die Kunst der Moderne vorbereitet.
Ihre Gemeinsamkeit lag darin, dass sie den entscheidenden Wandel von der Nachahmung der Natur zur autonomen Existenz des Bildes weiter voranbrachten.
Die Abgrenzung zum Impressionismus ist allerdings unscharf. Insbesondere Cézanne wird gelegentlich der
einen oder der anderen Kategorie zugeordnet.
(überarbeitet aus Wikipedia)
Achtung! Unscharfe Begriffe! (für uns besonders wichtig= eingekreist)
Naturalismus
Schule von Barbizon
Impressionismus
Japonismus
Staaten außerhalb Frankreichs
Divisionismus
Deutscher Impressionismus
Spätimpresssionismus
Neoimpressionismus
Paul Cézanne, Paul Gauguin Vincent van Gogh.
Henri de Toulouse-Lautrec, Georges Seurat
Pointillismus
Intimismus
KUNST
S. 25
Nachimpressionistische Malerei
Cézanne
Die nachimpressionistische Malerei teilt sich in verschiedene einander beeinflussende Richtungen mit dem
gemeinsamen Signum einer gegen die Auflösung in Licht und Farbe gerichteten Verfestigung der Formen.
Sie geht aus von Paul Cézanne, der das atmosphärische Pleinair überwindet, indem er fein gegeneinander
abgestimmte Farbwerte zum Hauptelement seiner dichtgefügten Kompositionen macht und nicht mehr die
flüchtige Impression darstellen will. Wenn für ihn die Landschaft weiterhin zu den bevorzugten Motiven
gehört, so ist sie es nicht mehr um ihrer selbst willen, sondern sie bleibt als Thema den mehr vordergründigen
Farb- und Kompositionsproblemen untergeordnet.
Sérusier / Vuillard / Vallotton
Die endgültige Abkehr vom zerfließenden Pleinair des Impressionismus wird sichtbar in dem sich über Europa
ausbreitenden Art Nouveau. Dieser bringt, stark beeinflußt von den Farbholzschnitten des Japaners Hiroshige,
eine Wiederentdeckung von Fläche, Form und Linie. Er ist zugleich Opposition gegen den Traditionalismus an
den Akademien und erhält Bedeutung für die Landschaftsmalerei durch eine in Pont-Aven um Paul Gauguin
gesammelte Gruppe von Malern, Les Nabis. Sie setzen gegen den belauschten Naturausschnitt des »Paysage intime« die überlegt gebaute Landschaft des »Paysage composé«. Hauptvertreter ihrer Landschaftskunst
sind Paul Sérusier, Edouard Vuillard (Le Square Vintimille) und Félix Vallotton. Sie haben starken Einfluß auf
die beiden Maler der Schweizer Hochgebirgswelt, Giovanni Segantini und Ferdinand Hodler und ebenfalls auf
Edvard Munch.
Worpswede
Ähnliche Ziele wie die Nabis verfolgen in Deutschland die Maler der Schule von Worpswede. Ihre Anregungen bereiten den Boden für den deutschen Art Nouveau, der unter der Bezeichnung Jugendstil fast gleichzeitig in allen Kunstmetropolen zur Vorherrschaft drängt. Er bleibt jedoch als Stil, trotz seines scheinbar revolutionären Anspruchs, eine Kunst der Gesellschaft des Fin de siècle, und klingt nach verhältnismäßig nur kurzer
Blütezeit durch die Überbewertung des Dekorativen und Schmuckhaften im Kunstgewerbe aus.
Jugendstil
Unter den vom Jugendstil geformten Landschaftsmalern ragen hervor: in Berlin Walter Leistikow mit Motiven
aus der märkischen Landschaft, in Leipzig Max Klinger, in Weimar Ludwig von Hofmann und in Wien Gustav
Klimt. Vom Jugendstil her kommt in seinen frühen oberbayerischen Landschaften auch Wassily Kandinsky.
Fauves
Die »Wilden« ist eine Anspielung auf die Fauves, die radikaler als je eine Schule zuvor die überkommenen
Normen der Malerei in Frage stellen, aber vor allem die Landschaftskunst nochmals um neue Erfahrungen
bereichern. In der souveränen Mißachtung der Formen und in der Willkür ihrer Farbwahl gehen sie weit über
ihre Vorbilder van Gogh und Cézanne hinaus. Neben Matisse steht als der entschiedenste Vertreter ihres Stilwollens Maurice de Vlaminck, André Derain, Raoul Dufy und Georges Braque, der auf dem eingeschlagenen
Weg zum Kubismus weiterschreitet. Bereits 1908 zerbricht der Zusammenhalt der Fauves.
Expressionismus
Der Expressionismus, im Schaffen von Cézanne, van Gogh, Gauguin und Munch vorbereitet, wird als ausgeprägter Stil zuerst in Deutschland sichtbar: 1905 in Dresden mit den Malern der Brücke, 1910 in Berlin
mit dem Kreis um den Sturm und 1912 in München mit den »Wilden« des Blauen Reiter. Er ist die letzte
wesentliche Phase einer noch vom Gegenständlichen des Motivs begreifbaren Malerei. Doch ist das Motiv
nur noch nebensächlicher Anlaß, gleichsam die Initialzündung für den Ausbruch seelischer Empfindungen und
unterdrückter Leidenschaften, die, einmal entfesselt, in oft brutaler Formvereinfachung und in provokatorisch
kontrastierenden, stark leuchtenden Farben zur Aussage drängen. So gibt auch die Landschaft, obwohl sie
als Motiv im Expressionismus breiten Raum einnimmt, fast nur Aufschluß über den Maler selbst, bereichert
aber kaum die Landschaftserkenntnis des Beschauers. Sie tut dies bedingt noch bei Karl Hofer und bei Max
Pechstein, in den zu zarter Lyrik gedämpften Farbtönen von Otto Mueller, in den späten Walchenseebilder
von Lovis Corinth und in den hektisch-visionären Panoramen von Oskar Kokoschka, bei August Macke, Karl
Schmidt-Rottluft, bei Christian Rohlfs, am elementarsten bei Emil Nolde, bei Lyonel Feininger sowie im Orphismus von Robert Delaunay bei Franz Marc - hinüber zu Kubismus und Abstraktion, die zu der weiterführenden künstlerischen Sprache des 20. Jh.s werden.
KUNST
S. 26
Expressionismus
Bereits Ende der achtziger Jahre des 19. Jh.s war das Sehmodell des Impressionismus fragwürdig geworden;
mit dem Auftreten Gauguins und van Goghs, mit dem immer größeren Gewicht, das die Kunst Cézannes
bekam, mit Synthetismus und Symbolismus kommt ein neuer Ton in die Malerei.
Die optische Gourmandise der Monet und Manet nahm für manchen einen schalen Geschmack an. Die Idee,
dass Kunst etwas »bedeute«, dass etwas »dahinter« d. h. hinter der Form sein müsse, brach wieder durch
und löste eine ganze Reihe von »Widerstandsbewegungen« der jungen Künstler aus, deren stärkste und
entschiedenste der Expressionismus war, der vor allem auf deutschem Boden entstand und seine Früchte
trieb, wo die Kunst stets, mehr als anderswo, Kommunikationsmittel für Überwirkliches und geistigen Inhalt
gewesen war und sich nie mit der einfachen Übermittlung des Sichtbaren zufrieden gegeben hatte.
Die Kunst, die nach dem deutschen Renaissancekünstler Albrecht Dürer dazu da ist, die Leiden des Herrn dem
Andächtigen näher zu bringen, bediente sich seit eh und je expressiver Einstellungen und Übertreibungen
in Form, Proportion, Gestik und Farbigkeit. Das Leidensthema, das in krassen Darstellungen zum Mitleiden
auffordert, ein zentrales Motiv der christlichen Kunst, bestimmt die Formulierungen des deutschen, des nordischen Mittelalters entscheidend. Auf dieses Mittelalter beriefen sich auch die literarischen Manifeste der antinaturalistischen Bewegung des Expressionismus, für die Herwarth Walden im Jahre 1911 den Namen prägte.
Der erste Zusammenstoß findet in Paris Ende der achtziger Jahre statt, als der 27jährige Edvard Munch die
Los-vom-Impressionismus-Versuche der Gauguin und van Gogh kennenlernte. Er geriet in den Kreis der
Symbolisten, deren dekorativer Tiefsinn dem Norweger aber nicht genügte, dessen Bilder (Die tote Mutter) in
Schwefelgelb, Orange und Graugrün ausbrechen, zusammengehalten durch wabernde, unheimlich zähflüssige Konturen.
Linienornamente, nicht so expressiv wie bei Munch, fesseln auch in symbolischen Bildern wie Die Nacht die
Gestalten Ferdinand Hodlers, die in gleichem Maße in die Dekoration des Jugendstils wie in die Emotion des
Expressionismus weisen.
Parallel, doch unbeeinflußt voneinander, bildete sich mit Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottluff in Dresden
der Kreis der »Brücke« und in Paris die Gruppe der »Fauves«. Beide suchten das Elementare in Farbe und
Pinselstrich, jedoch blieben die Fauves mehr dem Dekorativ-Plakathaften verbunden, während die Dresdener
Brücke-Maler, zu denen sich für kurze Zeit Emil Nolde gesellte, mit der Deformierung des äußeren Erscheinungsbildes das Geistig-Seelische des Objekts bloßlegen oder auch ihre eigene leidenschaftliche Auffassung
darüber auszudrücken bemüht waren. Christian Rohlfs, Max Pechstein, aber schon früher die Paula BeckerModersohn, modifizieren den deutschen Expressionismus in verschiedene Richtung. In der forcierten Vitalität
und in der Unbekümmmertheit der Mache steckte Protest gegen das l'art-pour-l'art des Impressionismus und
zugleich ein Anspruch zur Selbstaussage, der sich u. a. auf van Gogh berief, damit aber aus der Unmittelbarkeit, die Vincent noch besaß, ins Programmatische geriet.
Die neu entdeckten Kunst aus nichteuropäischen Ländern , an der man sich regenerieren wollte, dazu ein
genüßliches »Epater le bourgeois« ließ die Malerei oft ins Grelle, Gewaltsame geraten.
Der Expressionismus ist eine Bewegung, die meist immer noch diesseits der Natur operiert, angefangen von
der Ausweitung ins Ausdruckshafte, die der Impressionismus durch den späten Corinth erfuhr, bis zu dem
feinnervigen hektischen Psychologismus der Porträts des fanatisch naturgläubigen Oskar Kokoschka oder bis
zu dessen visionären Landschaftsräumen und mythologisch-antikischen Gestaltenensembles.
Der dritte, der in diesen Zusammenhang gehört, ist Max Beckmann, der meinte, dass das Unsichtbare nur
begriffen werden könnte, wenn einer so tief wie möglich ins Sichtbare vordringe. Beckmann kennt nicht die
Farbschreie und die verkündende O-Mensch-Gebärde, seine Expression ist unpathetisch, entlarvend, aggressiv. Der Mensch in die Kiste eingesperrt, im Gitter der Beckmannschen Kompositionen wie in Käfigen oder
Kellerräumen; die Szene wird in ingrimmiger »Lustigkeit« von Marionetten gestellt. Beckmann erzählt in seinen Bildern wie in Moritaten - eine weltliche Biblia pauperum. - Die Expression hat in den Bildern Beckmanns
die Realität jedoch nicht verbannt, sondern erhöht.
Fast alle nachimpressionistischen Kunstströmungen, bis weit in den Raum der Abstraktion hinein, berufen
sich, soweit sie nicht Geometrismen folgten, auf den schöpferischen Motor »Expression«, womit auch ihre
anaturalistische Formgebung motiviert und gerechtfertigt erscheint. Hier verliert das Expressive an Überzeugungskraft, da es - ohne eigentlichen Inhalt - auf graphologisch und farbpsychologisch deutende Kommentare angewiesen ist..
KUNST
S. 27
Der Ursprung der Moderne
Nun bist du endlich müde dieser alten Welt,
O Hirte, Eiffelturm. Die Brückenherde blökt an diesem Morgen.
Du hast es satt, im alten Griechenland und Rom zu leben;
Hier riechen selbst die Autos nach Antike
Und nur der Glaube ist noch neu geblieben, denn dieser
Ist so schlicht wie Flugzeugschuppen...
Ist es doch Gott, der freitags stirbt und sonntags aufersteht,
Christus, der besser in den Himmel fährt als jeder Flugzeugführer
Und Höhenweltrekordler ist.
Christus, Pupille des Auges,
Zwanzigste Pupille der Jahrhundert, er weiß genau, wohin es geht.
Und das Jahrhundert wird zum Vogel und klimmt himmelan wie er.
(Guillaume Apollinaire)
Paul Gauguin
Sein Vater war ein mit der Revolution sympathisierender Journalist, der seine Familie 1849 nach Südamerika
einschiffte, um den Unruhen in Paris zu entgehen. Er starb bei der Überfahrt. Gauguin wuchs in Lima bei
Verwandten seiner Mutter auf. 1854 floh man auch hier wieder vor dem Bürgerkrieg zurück nach Paris. 1865
beschließt Gauguin aus dem bürgerlichen Leben auszubrechen, um Seemann zu werden. Um so erstaunlicher
ist es, dass er 1972 nach Jahren auf See als Wechselmakler ein ‚Spießerleben‘ zu führen in der Lage ist. Parallel entwickelt er sich als Künstler und hat 1976 erstmals ein Bild im Salon ausgestellt. 1887 flieht er erneut aus
geordneten Verhältnissen nach Panama und die ‚Sehnsuchtsinsel‘ Martinique.
Von da ab wird er ständig auf der Suche nach dem ‚Verlorenen Paradies‘ sein. Eine Vorstellung die von verschiedenen Einflüssen seiner Zeit geprägt ist.
Eine nicht unwesentliche Rolle für die Sehnsucht nach dem Ursprünglichen, was mit Paul Gauguin erstmals
seinen Ausdruck in der Sehnsucht nach fernen, unberührten Ländern findet, spielt die Lehre Jean-Jaques
Rousseaus, der über die Verderbtheit der europäischen Manschen durch die Zivilisation spricht.
Jean-Jaques Rousseau (1712-1778) nimmt in der Aufklärung eine Übergangsstellung ein: einerseits spitzt er
ihren Ruf nach Freiheit zu, andererseits ist er schon Wegbereiter des romantischen Protests gegen die Aufklärung. Rousseau setzt einen freien Naturzustand des Menschen voraus. In diesem lebt der Mensch als starker
Einzelgänger ganz in der natürlichen Ordnung. Er kann sich völlig auf sein Gefühl verlassen. Im Gegensatz
dazu stellt die Reflexion eine Quelle sozialer Übel dar und der Entzweiung des Menschen mit sich selbst. Von
daher scheint es, „dass der Zustand der Reflexion wider die Natur ist und dass ein grübelnder
Mensch ein entartetes Tier ist“. Rousseau nimmt als grundlegend die Selbstliebe an, aus der sich alle Gefühle
ableiten. Aus den natürlichen Verhältnissen entstehen primitive gesellschaftliche Ordnungen, die aber die
bestehende Gleichheit und Freiheit nicht verletzen. Mit der Entwicklung der Kultur (Sprache, Wissenschaft,
Kunst) löst sich diese Gleichheit auf. Ein bedeutender Einschnitt dabei ist die Einführung von Arbeitsteilung
und Privateigentum. Vernunft und Wissenschaft schwächen das natürliche Gefühl für die Sitten. Luxus verweichlicht die Menschen. Dagegen setzt Rousseau sein Ideal der Freiheit, das er weiter in sein Erziehungsideal
verarbeitet. In „Emile“ (1762) stellt er exemplarisch seine Pädagogik vor. Das Kind soll selbst an Erfahrungen
lernen, indem es seine Unabhängigkeit erhält. Rousseaus zweiter Weg zur Wiederherstellung der Freiheit ist
seine Gesellschafts- und Staatsphilosophie. Grundlegend dabei ist die Idee des volontée générale, unter den
sich jeder Einzelne unterordnen soll.
Eine weitere Quelle, aus der sich vor allem auch der Traum von der Südsee mit „Bildern“ speist, ist der Roman „Le Marriage de Loti“, den Pierre Loti 1880 veröffentlicht und der vor allem durch ausführliche Naturschilderungen von Tahiti geprägt ist.
Die Idee von der Südsee-Idylle wird jedoch nur in der Phantasie Gauguins verwirklicht. Zunächst einmal gibt
es diese Idylle am Ende des 19. Jahrhunderts bereits nicht mehr. Eine vehemente Christianisierung hat alle
Archipel bis zur letzten bewohnten Riffinsel durchdrungen. Handelshäuser Europas haben alle Eilande in ihr
Netzwerk mit einbezogen, und die Großmächte teilen gerade die letzten Inseln ihren Herrschaftsbereichen
zu.Wenn es überhaupt einmal ein dem paradisischen Urzustand vergleichbares Dasein der Inselbewohner
gab (freie Liebe z.B. wird immer wieder als Indikatior für ein solches angesehen), dann hat der Einfluß der
Eroberer dieses bereits wenige Jahre nach den ersten Kontakten gründlich zerstört. Viele sind dem Alkohol
verfallen und leben entwurzelt in Wellblechhütten bei den Hafenzentren, die als Umschlagplatz für Waren die
unterschiedlichsten Menschen anziehen. Äußerlich macht sich dieser Wandel vor allem im Verschwinden der
traditionellen Bekleidung sichtbar (von den Gebräuchen und Kulten der alten Gesellschaftsformen ganz zu
schweigen)
Im Jahre 1880 werden Tahiti, die Tuamotu und die Marquesas endgültig von Frankreich anektiert.
Die Kunst als Metapher des Lebens, dass ist, verkürzt gesagt, das zentrale Motiv in der Malerei Gauguins.
KUNST
S. 28
Nachdem van Gogh gestorben war, machte sich Gauguin daran, sich in die Utopie eines beglückenden Südseeparadieses hineinzuplanen. Über die Vorstellung eines „Ateliers der Tropen“ als Fortsetzung des „Ateliers
des Südens“ hatte er viele Male mit seinem Freund gesprochen.
1891 war es dann endlich soweit. Er schiffte sich nach einem kurzen Besuch in Dänemark bei seiner Frau und
den Kindern ein. Doch dieses Paradies, von dem er träumte, das findet er nur in seinen Bildern. Erschütternd
sind die Briefe, die er von Tahiti schickt. Sie stehen in einem krassen Mißverhältnis zu seiner Utopie. Immer
wieder plagen ihn Geld- und gesundheitliche Sorgen. Trotzdem scheint er immer bemüht zu sein, sich in das
dortige Leben einzugliedern. Er lernt die Maori-Sprache und lebt immer wieder mit jungen Tahitianerinnen
in eheähnlicher Gemeinschaft zusammen. Er wird von den Tahitianern akzeptiert, vor allem weil er ihnen im
Kampf gegen die Vorschriften der französischen Kolonialherren behilflich sein wird. Am Ende stirbt er jedoch
einsam. Die kurz vor seinem Tod aufkommende Idee einer nochmaligen Rückkehr nach Paris wird ihm ‚perverser‘ Weise von seinem Mittelsmann Daniel de Monfreid, der seine Bilder verkauft, dadurch verleidet, dass
er ihm bedeutet, wenn er jetzt leibhaftig auftauchen würde, dann sei der Mythos Gauguin zerstört und das
Geschäft mit seiner Kunst ginge weniger gut!!
Im Laufe der zwölf Jahre zwischen Gauguins erster Ankunft in Tahiti und seinem Tod auf den Marquesas
beruhigte sich sein Stil. Die achtzehn Monate, die er zwischendurch in Frankreich verbrachte, unterbrachen
diese Entwicklung nicht. Er malte auch weiterhin seine Figuren ohne wesentliche perspektivische Verkürzungen, aber ihre Formen wurden gerundeter und modellierter. Die kräftigen Konturen der bretonischen Bilder
werden schwächer, doch sind die Farbflächen nach wie vor klar gegeneinander abgesetzt; gleichzeitig ist die
Linienführung geschmeidiger und flüssiger.
Bretonische Bäuerinnen/Der Tanz der vier Bretoninnen, 1888, Neue Pinakothek München
Wenige Monate, bevor dieses Bild entstand, hatte Gauguin an seine Frau geschrieben: „Du mußt daran denken, dass ich zwei Naturen in mir habe: die indianische und die senstitive. Letztere ist verschwunden, und die
indianische kann unbeirrt und sicher ihren Weg gehen.“
Die bäuerliche Tanzszene wurde hier in flächig-dekorativer Weise dargestellt. Die Gestalten füllen die Leinwand aus, die Umrißlinien ihrer Arme, der weißen Hauben und der ausgeprägten Profile sind von kühnem
Schwung.
KUNST
S. 29
Ia orana Maria (Gegrüßet seist Du, Maria), 1891, The Metropolitan Museum of Art
Wie schon in der Bretagne malte Gauguin auch in der Südsee Bilder religiösen Inhaltes, obwohl er alles andere
als fromm im herkömmlichen Sinne und viel eher ein Mystiker war.
„“Ein Engel mit gelben Flügeln weist zwei Tahitianerinnen auf Maria und Jesus, Eingeborene wie sie, nackte
Gestalten, nur mit dem pareo bekleidet, einem geblümten Baumwollstoff, den man nach Belieben um den
Leib schlingen kann. Im Hintergrund sehr dunkle Berge und blühende Bäume. Ein violetter Weg und ein
smaragdgrüner Vordergrund; links einige Bananen. Ich bin ziemlich zufrieden damit.“ Es ist eine der geheimnisvollsten und zugleich eine der monumentalsten Schöpfungen Gauguins. Man braucht einige Zeit, um zu
erkennen, wie geschlossen die Kompostiion angelegt ist, und dass die Vielfältigkeit der Details dem Gesmtbild
keinen Abbruch tut. Zu der Szenerie aus Tahiti, dem Glauben der Eingeborenen und der westlichen Ikonographie gesellt sich mit dem Motiv der Seite an Seite stehenden, anbetenden Frauen mit den flächigen Körpern,
der frontalen und zugleich perspektivischen Ansicht, ein Element aus der ostasiatischen Kunst hinzu. Gauguin
entnahm es einem Sklupturenfireis des javanesischen Tempels von Borobudur, von dem er während der Weltausstellung in Paris Fotografien gekauft hatte.
Primitivismus-Rezeption der Brücke
Der eigentliche Durchbruch – nicht nur zum Verständnis der Stammeskunst, sondern auch zu einer Umwertung des abendländischen Kunstdenkens – vollzog isch unter en Avantgarde-Künstlern zu Beginn unseres
Jahrhunderts in Paris und bei den Mitgliedern der deutschen Künstlergemeinschaft „Brücke“. Hier wie dort
war man gegen die Auflösung der Form und sucht im Einfachen das Heilmittel gegen die Mißstände der
Zivilisation.
Während die Avantgarde Frankreichs eher die Abstraktion, die konstruktiven Formprobleme im Brennpunkt
ihres Interesses an dem Anderen hatten, so war für die „Brücke“ eher der emotionelle Gehalt der Naturvölker-Kunst von Bedeutung. Die Ausdrucksgewalt der Stammeskunst appellierte an ihr Lebensgefühl, ein
Schwanken zwischen Urangst und Ekstase in bedrohlicher Umwelt.
E.L. Kirchner
Kirchner stieß als erster der Brücke-Künstler auf die außereuropäische Kunst, und zwar auf die Kunst der Südsee, der Palau-Inseln, der er im Dresdener Völkerkundemuseum begegnete.
Die Auseinandersetzung Kirchners mit dem Palau-Stil ist zuallererst in den selbstgeschaffenen Dekorationen
seines neuen Ateliers in Berlin.
„Er hatte sich in einer Vorstadt Dresdens, der Not gehorchend, ein seltsames Atelier gemietet: einen engen
Krämerladen, der sich mit einer großen Scheibe nach der Staße öffnete und neben dem ein kleines Gemach
als Schlafraum diente. Diese Räume waren phantastisch ausgestaltet mit bunten Stoffen, die er selbst in
Batik-Technik gemustert hatte, mit allerlei exotischem Gerät und mit Holzschnitzereien seiner eigenen Hand:
KUNST
S. 30
eine primitive, aus der Not geborene, aber doch von einem stark ausgeprägten eigenen Geschmack getragene Umgebung. Er hauste hier in einer nach bürgerlichen Begriffen ungeregelten Lebensweise, materiell
einfach, aber in seinem künstlerischen Empfinden anspruchsvoll.“
(Der Hamburger Sammler Gustav Schiefler, der im Dezember 1910 bei Kirchner war)
„Kirchner, der vorher in einem Zimmer gemalt hatte, begann nun den Laden mit den beiden Nebenzimmern
mit geschnitzten Möbeln, Figuren und Hausrat auszugestalten. Im linken Nebenraum malte Kirchner auf
alte Filetvorhänge, mit denen er das Zimmer bis zu 2/3 seiner Höhe auskleidete, nackte Paare unter seltsam
stilisierten Bäumen. Gegliedert waren die Wände durch breite, dunkle Bordüren, die die einzelnen Bildfelder
voneinander trennten und arkadenartig überwölbten. In den Bordüren additiv über- und nebeneinander hockende und tanzende Figuren des härtesten Palau-Stils. Den Eingang zu diesem Raum schloß ein in der Mitte
geteilter Vorhang mit je drei übereinander angeordneten, kreisförmigen Emblemen mit barbarischen Liebespaaren und einem hockenden König. Von der Farbigkeit dieser ersten expressionistischen Raumgestaltung ist
nichts überliefert. Es gibt jedoch eine Reihe von Staffeleibildern, auf denen Teile dieser Wandmalerei in den
Hintergründen zu sehen sind. Danach darf man sich die Figuren chromgelb mit roten und schwarzen Konturen auf lichtgrünem Grund vorstellen. Der zweiteilige Vorhang war zitronengelb, die Embleme hatten grünen
Grund und waren dunkelblau-schwarz eingefaßt. Die silhouettenhaften Figuren der Liebespaare waren
dunkelblau-schwarz und dunkelbraun-rot“
(Karlheinz Gabler über Kirchner)
Kirchner mit Modell in seinem Atelier
Das freie Leben der Naturvölker wurde von Kirchner und seinen Brücke-Freunden mit den Aufenthalten an
den Moritzburger Teichen 1090 bis 1911 und später dann auf der Ostseeinsel Fehmarn nachempfunden.
Unbekleidet bewegte man sich in der Natur und praktizierte einen Ausstieg aus der Zivilisation.
Zu dem Einfluß der Palau-Schnitzereien kam 1910 auch eine genauere Kenntnis der afrikanischen Kunst.
Schmidt-Rottluff erwähnte gegenüber Donald E. Gordon, dass als erste Inspirationsquelle auf diesem Gebiet
Plastiken aus Kamerun dienten. Kamerun war damals deutsche Kolonie. 1905 begann das Dresdner Völkerkunde-Museum eine Abteilung afrikanischer Kunst aufzubauen. (Wiedereröffnung 1910 mit 50 Neuerwerbungen)
„Hier ist das Völkerkundemuseum wieder auf, nur ein kleiner Teil, aber doch eine Erholung und ein Genuß
der famosen Bronzen aus Benin, einige Sachen der Pueblos aus Mexiko sind noch ausgestellt und eine Negerplastiken.“
(Kirchner am 31.3.1910 an Pechstein und Heckel nach Berlin)
Der Einfluß außereuropäischer Kunst läßt Kirchners Formgebung insgesamt kantiger und spröder werden.
Max Pechstein
Pechstein, der von dem Palau-Stil eher unberührt weiter als Einzelgänger innerhalb der Brücke arbeitete,
begann seit 1913 sich verstärkt im Berliner Völkerkundemuseum an der afrikanischen Plastik zu orientieren. Zunächst entstehen eine Vielzahl von Stilleben, in denen er die afrikanische Kunst authentisch abbildet.
Später vollzieht sich ein ‚Begreifen‘ des Wesens der afrikanischen Plastik auch in seinen Aktfiguren. Nidden,
den mitten in der Natur, zwischen Haff und Ostsee gelegenen, von Kiefern- und Birkenwäldern und einigen
Wanderdünen umgebenen Ort hatte 1909 Pechstein entdeckt. Hier war Arbeiten fern von jeder Zivilisation
KUNST
S. 31
möglich. Schmidt-Rottluff lebte und arbeitete auch hier, wo er seine Sehnsucht nach dem Ursprünglichen
ausleben konnte.
REISEN
Pechstein, dem die Niddener Aufenthalte 1909 und 1910 in Gemeinschaft mit den einfachen Fischern nur
ein Vorspiel war, sowie Emil Nolde haben unabhängig voneinander eine Reise in die Südsee unternommen,
allerdings mit völlig unterschiedlicher Zielsetzung.
Für ihn, der die Reise im Mai 1914 antrat, bedeutete es die Erfüllung eines Traumes. Mit seiner Frau wollte er
längere Zeit auf Palau leben, einer Inselgruppe Mikronesiens, die sei 1899 als Kolonialbesitz zum Deutschen
Reich gehörte. Er wollte in der Südsee nicht nur künstlerisch arbeiten, sondern das einfache Dasein in unverdorbener Ursprünglichkeit erfahren.
Pechstein, Palau-Landschaft, 1917
„Selbst unter einfachen Menschen und mit der Natur aufgewachsen, finde ich unschwer ein Verhältnis zu
dieser Fülle neuer Eindrücke. Aus tiefstem Gefühl der Menschengemeinschaft konnte ich mich den Südseeinsulanern brüderlich nähern. Einfache Handwerkshantierung ist mir von frühauf vertraut gewesen...“
Es ist nicht nur ein Anknüpfen an Gauguins Südseeaufenthalte, sondern auch eine Umsetzung der Anschauungen Jean-Jaques Rousseaus.
Der schon länger geplante Aufenthalt wurde schon nach wenigen Monaten durch den Ausbruch des Ersten
Weltkriegs, das heißt durch die Besetzung der Insel durch die Japaner, beendet. Fast alle in Palau entstandenen Werke wurden zerstört oder sind verlorengegangen.
Im Frühjahr 1917 wurde Pechstein, der auf abenteuerliche Weise von Palau zurück nach Deutschland gelangt
war, vom Kriegsdienst freigestellt und konnte seine künstlerische Tätigkeit wieder aufnehmen.
Neue Inspirationen
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts suchten viele Künstler nach Inspiration und Erneuerung vor allem in außereuropäischen Kulturen. Die Möglichkeit, Reisen zu unternehmen, bot ihnen eine ganz unmittelbare Möglichkeit,
diese neuen Impulse zu erleben. Es ist spannend, wie unterschiedlich einzelne Künstlerpersönlichkeiten sich
dem Neuen näherten und wie auch in diesem Zusammenhang eine gewisse Legendenbildung nicht von der
Hand zu weisen ist. Offenbar taten sich die Künstler auch schwer damit, ihre Vorbilder und Einflüsse zuzugeben. Der Vorwurf der intellektuellen Ausbeutung schien ihnen zu gefährlich nahe. In der Tat ist es ja erst seit
den späten 90er Jahren des 20. Jahrhunderts so, dass die außereuropäische Kunst auf dem Markt überhaupt
wahrgenommen wird.
Nolde
„Seine Reise in die Südsee diente nicht dem Bestreben, eine Identität mit den Eingeborenen zu finden oder
gar mit ihnen leben zu wollen, sondern Antrieb war „das starke Gefühl einer Empfindungsverwandtschaft in
letzter Tiefe, ... ein drängendes Suchen nach dem Primären, dem Ursprünglichen „ letzter religiöser Humanismus.“ (M. Sauerlandt in Noldes Biographie)
„Als ich in fremden Ländern reiste und bei den Urvölkern der Südsee war, war es mein besonders Verlangen,
einige ganz von jeder Zivilisation unberührte Erstheiten der Natur und Menschen kennenzulernen... Meine
vielen Farbenzeichnungen und die Bilder, welche ich auf den Südseeinseln malte, entstanden künstlerisch
unbeeinflußt von exotischer Art zu bilden, ja, meine kleinen Holzplastiken,“mit dem Material in der Hand“
mitten zwischen Inseln und Stürmen der Urbevölkerung entstanden, blieben Empfindung und Darstellung
so heimatlich nordisch deutsch, wie alle deutsche Plastiken es sind“ ich selbst es bin. Die Kunstäußerungen
der Naturvölker sind unwirklich, rhythmisch, ornamental, wie wohl immer die primitve Kunst aller Völker es
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war „ inklusive der des germanischen Volkes in seinen Uranfängen. Es ist schön zu sehen, wie der primitive
Mensch aller Rassen am Verzieren, Ornamentieren, Gestalten seine Freude findet, und später, wenn kultischkulturell er sich entwickelt, das Zierende, Formale sich zu großer, freier Natur- und menschlicher Darstellung
in geklärter Monumentalität, lyrischer oder dramtischer Gestaltung steigert.“ (Emil Nolde)
Anfang 1913 schloß sich Nolde mit seiner Frau Ada als Mitglieder der offiziellen „Medizinisch-demographischen Deutsch-Neuguinea-Expredition“ des Reichskolonialamtes an. Die Route führte über Moskau durch
Sibirien, die Mandschurei, Korea, Japan, China, über Manila und die Palau-Inseln nach Neuguinea.
Schon 1911/12 hatte Nolde sehr umfangreich im Berliner Völkerkundemuseum Masken, Figuren und Gegenstände gezeichnet und war fasziniert von deren ursprünglicher Ausstrahlung. Als unveränderte Zitate tauchen
sie dann in mehreren Gemälden mit Stilleben auf.
„Die absolute Ursprünglichkeit, der intensive, oft groteske Ausdruck von Kraft und Leben in allereinfachster
Form „ das möge es wohl sein, was uns die Freude an diesen eingeborenen Arbeiten gibt.“
(Emil Nolde, Aufzeichnungen für sein nie realisiertes Buch „Kunstäußerungen der Naturvölker“)
KOLONIALISMUS
Deutschland begann kurz nach 1880 mit seiner kolonialen Expansion. In der Bevölkerung war man einhellig
der Meinung, der Erwerb von Überseeterritorien werde dem Land ökonomisch und militärisch nützen.
Die Beeinflussung der eigenen Kultur durch die Eroberung fremder Länder macht sich vor allem durch die
Entstehung von ethnographischen Sammlungen deutlich. Aber auch die Präsentation Eingeborener in Ersatzhabitaten in zoologischen Gärten und exotische Darbietungen, wie sie sich damals im Kabarett und im Zirkus
großer Beliebtheit erfreuten, blieben nicht ohne Wirkung.
Es stellt sich aus heutiger Sicht die kritische Frage nach den Stereotypen, die damals bereits auch von den
Expressionisten genutzt wurden, um die eigenen Kunstäußerungen zu legitimieren. Kirchner brachte das
Klischee des gefräßigen, durch und durch sexualisierten schwarzen Körpers, um seine eigenen Vorstellungen
von sexueller Befreiung zu propagieren.
1915 erschien Carl Einsteins grundlegendes Werk „Negerkunst“
Nachdem man im Ersten Weltkrieg alle Überseebesitztümer verloren hatte, machte sich im Nachkriegsdeutschland der sog. Deutsche Kolonialverein daran, die verlorenen afrikanischen und sonstigen Gebiete
wiederzugewinnen. Die öffentliche Meinung war geprägt von Rassentheorien, kolonialen Aufwallungen.
Pablo Picasso
Picassos Arbeiten seit dem Winter 1905/06 sind eine einzige Kette von Formexperimenten. Am Ende dieses
Weges steht der Durchbruch zur ersten wirklich modernen Kunstsprache.
Im Louvre gab es eine eigene Abteilung iberischer Kunst mit Werken, die 1903 bei Ausgrabungen in Osuna
entdeckt worden waren. Diese archäologischen Forschungen hatten ihren Ursprung in einem seinerzeit virulenten Interesse an sogenannter primitiver Kunst, die man als ursprüngliche Ausdrucksform ansah. Bei einem
längeren Aufenthalt in der spanischen Provinz Gósol im Sommer 1906 sah sich der Maler dann auch mit der
Archaik des einfachen Lebens der Bauern konfrontiert. Picasso steigerte das seit dem 19. Jahrhundert vorhandene Interesse am Exotischen, weit Entfernten in Frankreich. (Das französische Kolonialreich in Marokko hatte
durch Delacroix und seine romantischen Kollegen die Motivik der Romantik mit exotischen Abbildungen von
Berbern und arabischen Märkten, von Tänzerinnen und Kriegskamelen von Löwenjagden und Riffkriegern
bereichert.) Für Picasso bedeutete die Negerplastik eine imginäre Form im Dienst ihres eigenen machtvollen
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Seins, unabhängig von sinn und Zweck. Die erstaunliche Tatsache, dass der Negro-Afrikaner sein Werk aus
kühn vereinfachten plastischen Einzelformen aufbaute und sie nach neuem Konzept zur suggestiven Ganzheit, zur absoluten Form zusammenfügte, wurde 1907/07 wegweisend für den Kubismus. Er und Braque besaßen afrikanische Schnitzereien, hatten aber überhaput kein anthropoligisches Interesse an ihnen. Ihr ritueller
Gebrauch war ihnen gleichgültig. Jedoch waren wohl die Kubisten die ersten Künstler, die auf Idee kamen,
die afrikanische Stammeskunst als Quelle ihres Schaffens zu nutzen.
Picasso besaß eine Gere-Wobe-Maske, deren Augen als Röhren vorstehen. Dieses Formelement, das er als
Schalloch-Tubus in seinen Guitarren-Bilder integrierte, wurde geradezu eine Leitform der Kubisten.
Les Demoiselles d‘Avignon, Paris, Juni bis Juli 1907, New York, The Museum of Modern Art
Nicht weniger als ein Dreiverteljahr lang erarbeitete sich Picasso dieses Bild. Wie intensiv er das tat, belegt allein die Menge der Vorstudien. Es sind nicht weniger als 809! Die Kunstgeschichte kennt keinen vergleichbaren Fall, in dem ein enzelnes Werk mit solcher Mühe vorbereitet wurde. Diskutiert worden ist immer die Frage
nach der Genese dieser radikal neuen Gestaltung, mit der Picasso bei den Demoiselles aufwartet. Picasso
hat immer abgestritten, von der sogenannten Negerplastik beeinflußt worden zu sein. Denn diese Annahme
stützt sich auf die tatsache, dass Picasso nachweislich im Sommer 1907 das Pariser Trocadéro-Museum besuchte und dabei einen ganzen Saal voller afrigkanischer Skulpturen sa, die ich tief, ja schockartig beeindruckten, weil sie eine ähnliche Gestaltungsweise zeigten, wie die am meisten „deformierten“ Figuren in seinem
Gemälde. Dennoch konnten die Plastiken kein Vorbild sein, weil – Picasso seine Form bereits entwickelt hatte.
Schon im Marz 1907 hatte er eine entsprechende Kopfstudie geschafften. Der Schock im Trocadéro-Museum
kam also nicht daher, weil er etwas Neues sah, sondern weil er erkennen mußte, dass es seine Erfindung
schon gab.
Reisen
Wenn einer eine Reise tut, dann hat er viel zu erzählen! Eine kleine Binsenweisheit, die aber für die Entwicklung der Kunstgeschichte von entscheidender Bedeutung sein sollte. Bevor das Sturmgewitter des Ersten
Weltkrieges alles aus den Fugen gehoben hat, reisten viele Avantgarde-Künstler in ferne Länder, um sich
inspirieren zu lassen. Die Impulse, die sie vor allem von außereuropäischen Kulturen in ihre Kunst einfließen
ließen, haben die Malerei des 20. Jahrhunderts entscheidend beeinflußt und die Ästhetik von Form und Farbe
unserer Zeit entscheidend mitgeprägt.
KUNST
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Gauguins Haus auf Tahiti
Matisse
„Die Erleuchtung kam für mich also aus dem Orient!“ (Henri Matisse)
Vor allem die Suche nach Möglichkeiten, den Impressionismus zu überwinden war der Motor für die Reise zu
neuen Inspirationsquellen. Paul Gauguin war natürlich für alle Künstler ein unbedingtes Vorbild.
Matisse ist der erste Künstler, der 1906 eine afrikanische Maske erwirbt (auch wenn sich diese Entdeckung
kaum in seinem Werk niederschlägt, zeugt sie doch von seiner Öffnung gegenüber anderen kulturellen Modellen)
Matisse ist wahrscheinlich der erste Künstler, für den das Hin und Her zwischen zwei Kulturen die Grundlage
einer Spannung und einer Reflexion bildet, die sich durch sein ganzes Werk zieht.
Er besucht die Sammlung islamischer Kunst im Musée des arts décoratifs in Paris und während eines Deutschlandaufenthaltes 1910 eine Ausstellung islamischer Kunst in München.
Islamische Kunst
Ein Reichtum der Formen, die die westliche Trennung zwischen ‚hoher‘ und ‚niederer‘ Kunst nicht kennt. Einheit von Dekoration und Spirituellem. Im Gegensatz zur griechisch-römischen Kunst reproduziert die islamische Welt nicht das Reale, sondern erschafft mit Hilfe eines Zeichensystems eine autonome Wirklichkeit, die
sie in das reale Leben integriert.
In den Jahren 1912/1913 reist Matisse mehrmals nach Marokko. Es geht ihm jedoch nicht darum, an den
Orientalismus des 19. Jahrhunderts anzuknüpfen. Er ist auf der Suche nach seinem eigenen Stil.
Seine Marokko-Erfahrung bestätigt Matisse in dem, was er bereits beim Anblick Gauguins erahnt hatte, nämlich dass die Verwendung neuer Motive an sich sekundär ist und das Wesentliche darin besteht, die Grundlagen einer künstlerischen Sprache zu verbreiten.
Das Tor der Kasba, 1912, Puschkin-Museum Moskau
Betten und Schrank
Vom Alter blank,
Würden die Kammer uns zieren,
Seltener Blumen Duft
Mischt in der Luft
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Sich der Ambra Elixieren;
Reicher Decken Glanz,
Des Morgenlandes üppige Prächte Dies all insgeheim
Dem Geist des Daheim
So süßen Mutterlaut brächte.
Dort wird nur Ordnung im Verein
Mit Schönheit, Frieden, Wonne sein.
Es war, als habe Matisse Baudelaires Invitation au voyage – das Gedicht, das zur Quelle für sein berühmtes
Bild Luxus, Stille und Wollust wurde – endlich angenommen, als er 1911 bis 1913 seine beiden Arbeitsreisen
nach Tanger macht. Mitgespielt hat bei diesen Exkursionen in die islamische Welt sicher auch seine tiefe Bewunderung für persische Kunst. Anscheinend suchte er durch die Konfrontation mit einer außereuropäischen
Natur und Kultur seinen künstlerischen Erfahrungskreis zu weiten und neu zu beleben.
Der islamischen Kunst ist die Darstellung der menschlichen Gestalt fremd und Matisse interessiert die Spannung zwischen diesem und dem westlichen Konzept, in dem der Mensch eine zentrale Rolle spielt.
Odalisken
Sie stehen für Matisses hartnäckiges Bemühen, die menschliche Figur in ein dekoratives Gesamtbild zu integrieren oder, wenn man so will, zu einer Synthese zwischen der figurativen Tradition des Westens und der
abstrakten, geometrischen und dekorativen des islamischen Orients zu finden. Seine Odalisken sind artifizielle
Schöpfungen mit mystischem und heiligem Charakter, und wie die Frauen von Tahiti verkörpern sie die Nostalgie eines goldenen Zeitalters, das der Vergangenheit angehört.
Teppiche
Ein Motiv, das Matisse erlaubt, wieder ein dekoratives Element in die westliche Kunst einzuführen. Die
Zweidimensionalität der Teppichdarstellung erlaubt ihm, Schritt für Schritt die illusionistische Tiefe aus seinen
Bildern zu vertreiben. Darüber hinaus ist er voller geheimer Zeichen und Bedeutungen: in der Tradition des
Koran symbolisiert er das irdische Paradies
Tahitireise
Das Vorbild beschäftigte Matisse sosehr, dass er sich 1930 zu einer Reise nach Tahiti aufmachte. Während
des Aufenthalts dort und auch nach der Rückkehr ist seine künstlerische Produktion zunächst nicht unbedingt
voll von seinen Eindrücken und eher mager zu nennen. Erst als er 1946 mit seinen papier découpés beginnt,
scheint er das adäquate Mittel zur Umsetzung seiner Eindrücke gefunden zu haben. Fünfzehn Jahre nach
seiner Tahiti-Reise, im Alter von 77 Jahren, erinnert er sich an die ausgeschnittenen und auf Flechtwerk befestigten Formen, die er in tahitianischen Behausungen gesehen hatte. Auch ist da noch die Erinnerung an diese
Welt zwischen Himmel und Wasser, dieses Fließen, in dem die Pflanzen, Vögel und Fische ein eisiges Ballett
aus ornamentalen und organischen Formen bilden.
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Océanie, le ciel und Océanie, la terre
Die Idee des Teppichs kehrt hier noch einmal mit besonderer Kraft zurück.
„Das Dekorative ist für ein Kunstwerk etwas äußerst Wertvolles und eine wesentliche Eigenschaft. Zu sagen,
die Malerei eines Künstlers sei dekorativ, ist keineswegs etwas Negatives“.
Paul Klee und August Macke
Tunisreise
Sie ist vergleichbar mit dem Aufbruch Gauguins nach Tahiti in ihrer Bewertung als Vorbote einer neuen Ära.
Sie ist zu einem Symbol der Öffnung Europas hin zu anderen Kulturen geworden.
6. April 1914
Für Macke, der schon wenige Monate später an der Kriegsfront stirbt, ist die Verarbeitung der Eindrücke
dieser Reise die letzte Kunstäußerung. Er schildert die verwirrende und schillernde Üppigkeit des Alltagsdekors
als ein Idyll. Maghreb erscheint ihm als ein Ort, an dem der Mensch, seine städtische Umwelt und die Natur
in einer seltenen Harmonie, einer schönen und wohltuenden Atmosphäre lebt.
Macke in Tunis auf einem Esel reitend, im Hintergrund erkennt man Paul Klee
Für Klee bedeutet die Begegnung mit dem Licht, der Farbe und der Natur Maghrebs der Eintritt in eine
andere Welt der Wahrnehmung, für die er bereits vorher durch die Auseinandersetzung mit Kandinsky, mit
Matisse, mit den Kubisten und vielen anderen avantgardistischen Tendenzen vorbereitet war. Nun führt ihn
vor allem die Architektur, der orientalische Dekor und die Kalligraphie an die Pforten der Abstraktion.
Fünfzehn Jahre nach der Tunesienreise macht sich Klee erneut auf den Weg in den Orient, diesmal nach
Ägypten. Die künstlerischen Äußerungen, die mit seinem Aufenthalt zusammenhängen scheinen aber
weniger geprägt von der Idee, die gesehene Landschaft in Malerei umzusetzen als vielmehr mit einer theoretischen Auseinandersetzung. Zahlen und ihr Verhältnis zur Wirklichkeit sowie die chiffrierte Struktur der
Musik sucht er in seinen abstrahierenden Darstellungen wiederzugeben. Durch seine Zeit als Bauhaus-Lehrer
beschäftigt er sich intensiver mit diesen Dingen. Seit man von den ägyptischen Quellen des Pythagoras weiß,
ist wohlbekannt, wie wichtig Zahlen für diese Kultur waren.
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Paul Klee, rote und gelbe Häuser in Tunis, 1914,70. (Aquarell und Bleistift auf Papier auf Karton, 21,1 x 28,1
cm, Zentrum Paul Klee, Bern)
Die Wirklichkeit wird in einer Zeichenstruktur aufgelöst, die einer geometrischen Ordnung gehorcht. Doch
durch die Farbmodellierung wird die scheinbare Abstraktion wieder zur Realität und die scheinbare Zweidimensionalität gewinnt räumliche Tiefe. Klee schafft ein perfektes Gleichgewicht zwischen dem extrem
rationalen Aspekt des Werkes und seiner zugleich besonders großen Sensibilität, wodurch er das Mysterium
aufrecht erhält, von dem es umgeben ist.
Künstlergruppen
Die Brücke
1905: Gründung in
Dresden. Gründungsmitglieder: Fritz Bleyl,
Erich Heckel, Ernst
Ludwig Kirchner Karl
Schmidt-Rottluff.
1910: Der »BrückeStil« wird klarer und
ruhiger. 1906: Hinzu
kommen Cuno Amiet,
Akseli Gallen-Kallela,
Emil Nolde, Max Pechstein, 1908 Franz Nölken, 1910 Otto Mueller.
1906-1911: Es erscheinen sechs »Brücke-Mappen«
mit graphischen Blättern. 1913 erscheint die von
Kirchner verfaßte, aber von den anderen Mitgliedern nicht gebilligte »Brücke«-Chronik – wird nur in
wenigen Exemplaren privat verbreitet. 1911 Heckel,
Kirchner und Schmidt-Rottluff verlassen Dresden
1914 Der Freundeskreis zerfällt rasch (auch durch
den Krieg). 1933 Ächtung durch die Kunstpolitik
»Entartete Kunst«
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Les Fauves (Die Wilde)
wollen vor allem mit
Farben arbeiten. Es geht
um die Komposition mit
Farben - persönlichen
Gefühle sollen in Farben
zum Ausdruck kommen. Viele Anregung finden
die Fauvisten auch in
afrikanischen Plastiken, im
Ragtime und Jazz.
Henri Matisse von der
Ecole des Beaux-Arts malt
unglaaublich viel: Gestalten, manchmal am Strand,
aus bunten Farbbalken
oder aus großen matten
Farbflächen, Einblicke in Zimmer mit Sommerstimmung, Stillleben. Dufy stellt Straßen allein durch
Farbe räumlich dar. Die Bilder sind kontrastreich, frei
koloriert. Himmel und Erde werden in pastellhaften
Farbtönen wenig betont, die Menschen werden nur
schemenhaft und schattenlos gezeigt. Derain malt
See- und Hafenstücke, in denen sich Farben Schiffe,
Boote und Kähne scheinbar bewegen.
Die Maler der Künstlervereinigung Worpswede
stellen ab 1895 gemeinsam aus, sie sind
ein Beispiel für einen
Künstlerfreundeskreis
(Otto Modersohn, Paula Modersohn-Becker
Heinrich Vogeler)
Das Ziel der Maler ist,
die Schönheit der Landschaft in ihrer Kunst
einzufangen und durch
sie die Harmonie der
Landschaft zu verdeutlichen. Motive: die Wohnhäuser, einfache Katen und alltägliche Szenen im Leben
der Dorfbewohner Ihre Vorstellungen bestehen darin,
ihre Kunst in Einklang mit der Natur zu erleben.
Die Worpsweder Maler schreiben Tagebücher,
Konzepte, Briefe, jedoch existiert keine schriftliche
Ausarbeitung eines Manifestes.
Der Blaue Reiter
1911: Gründung: Wassily
Kandinsky, Kubin, Marc
und Münter eröffnen die
»Erste Ausstellung der
Redaktion der Blaue Reiter«
u.a. von Bloch, Campendonk, Delaunay, Kandinsky,
Macke, Marc, Münter,
Rousseau, Schönberg. Almanach erscheint 1912.
Der Name geht auf ein
1903 gemaltes Reiterbild
Kandinskys zurück. Spannweite: von Abstraktionstendenzen, und expressionistischen Ansätzen bis zum
Naturalismus. Zweite Ausstellung 1912: u.a. Arp,
Braque, Campendonk, Derain, Delaunay, Kandinsky,
Klee, Kubin, Macke, Marc, Malevic, Picasso, Vlaminck
sowie fast alle Maler der Künstlergemeinschaft »Brücke«. Ende mit Beginn des Ersten Weltkriegs.
Skagenmaler nannte
sich eine dänische
Künstlergruppe in
dem Fischerort Skagen, die in den 80er
und 90er-Jahren des
19. Jahrhunderts zu
überregionaler Bedeutung gelangte und sich vor allem der Freiluftmalerei
verschrieb. Dabei bedienten sich die Maler nach
dem Vorbild der französischen Schule von Barbizon
realistischer bzw. naturalistischer Ausdrucksmittel
und näherten sich teilweise auch dem Impressionismus stark an. Hauptvertreter: P. S. Krøyer, Marie
Krøyer, Christian Krohg, Michael und Anna Ancher,
Lauritz Tuxen, Karl Locher, Viggo Johansen und Karl
Madsen .
Monte Verita
Gründer dieser Kolonie waren
Karl (1875-1920) und Gustav
Arthur Gräser (1879-1958) mit
Henri Oedenkoven (1875-1935)
und Ida Hofmann (1864-1926).
Man war von der Überzeugung
beseelt, eine Veränderung der
Welt durch die Änderung des
eigenen Lebens bewirken zu können. Während die
Brüder Gräser eine Liebeskommune anstrebten, eine
Freistatt für Aussteiger, setzten Oedenkoven und
Hofmann auf eine wirtschaftlich rentierende Naturheilanstalt. 1920 wurde die Naturheilanstalt wegen
mangelnder Wirtschaftlichkeit aufgegeben. Die
Impulse vom Berg der Wahrheit wirken jedoch weiter
in den Umwelt-, Friedens- und Frauenbewegungen.
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Der Blaue Reiter
Am 18. Dezember 1911 eröffneten Wassily Kandinsky, Alfred Kubin, Franz Marc und Gabriele Gabriele Münter, die kurz vorher aus der von ihnen mitbegründeten »Neuen Künstlervereinigung München« ausgetreten
waren, in der Münchener Galerie Thannhauser die »Erste Ausstellung der Redaktion der Blaue Reiter« mit 43
Bildern von Albert Bloch (geb. 1882 in St. Louis/Mo., damals in München), David Burljuk (geb. 1882 in Rußland), Wladimir Burljuk, Heinrich Campendonk, Robert Delaunay, Elisabeth Epstein, Eugen Kahler, Kandinsky,
Macke, Marc, Münter, Jean Bloé Niestlé (1884-1942 Neuchâtel, damals in München), Henri Rousseau und
dem auch als Maler tätigen Komponisten Arnold Schönberg (1874 Wien - 1951 Los Angeles/Calif.), die 1912
auch in Köln, Berlin, Bremen, Hagen und Frankfurt gezeigt wurden. Gleichzeitig arbeiteten Kandinsky und
Marc an einem Almanach, der 1912 dank der Unterstützung des Berliner Sammlers und Mäzens Bernhard
Koehler bei Piper in München erscheinen konnte und eine Erneuerung der Kunst aus dem Geistigen forderte.
Doch bezeichnete der Name, der auf ein 1903 gemaltes Reiterbild Kandinskys zurückgeht, keine im engeren Sinn programmatisch gebundene Gruppe mit festgelegten Statuten und organisierter Mitgliedschaft; er
sollte vielmehr alle Bestrebungen verbinden, die darauf zielten, »die bisherigen Grenzen des künstlerischen
Ausdrucksvermögens zu erweitern« (Kandinsky). So blieb auch der Freundeskreis, der sich um Kandinsky und
Marc bildete, den verschiedensten Intentionen geöffnet; die Spannweite reichte von Abstraktionstendenzen
(Kandinsky, Klee, Marc, zeitweilig Macke) und expressionistischen Ansätzen bis zum Naturalismus (Niestlé).
An der zweiten Ausstellung des »Blauen Reiters«, die im Februar 1912 in der Münchener Kunsthandlung
Goltz stattfand und nur graphische Arbeiten zeigte, beteiligten sich u. a. Hans Arp, Georges Braque, Campendonk, André Derain, Robert Delaunay, Wilhelm Gimmi (geb. 1886 in Zürich), Kandinsky, Klee, Kubin, Michail
Larionov, Macke, Marc, Kasimir Malevic, Wilhelm Morgner, Pablo Picasso, Maurice Vlaminck sowie fast alle
Maler der Künstlergemeinschaft »Brücke«. Umgekehrt war der engere Münchener Kreis auch in der Sonderbund- Ausstellung vertreten, die im Mai 1912 in Köln veranstaltet wurde, und 1913 im »Ersten Deutschen
Herbstsalon« in Berlin (»Sturm«-Galerie). Eine kleine Wanderausstellung »Der Blaue Reiter« ging schließlich
noch 1914 nach Helsinki, Trondheim und Göteborg.
Bei Beginn des Ersten Weltkriegs zerfiel der Münchener Kreis: Gabriele Münter und Kandinsky gingen in die
Schweiz, von wo letzterer nach Rußland zurückkehrte; eingezogen wurden Campendonk, Macke (gefallen
1914) und Marc (gefallen 1916). Wie in der Vorstufe des »Blauen Reiters«, der 1909 als Sammelbecken
moderner Bestrebungen von Adolf Erbslöh, Alexej von Jawlensky, Kandinsky, Alexander Kanoldt, Kubin,
Münter, Marianne von Werefkin, Heinrich Schnabel und Oskar Wittenstein gegründeten »Neuen Künstlervereinigung München« (der Marc erst 1911 beitrat), war es gerade wegen der anfangs geforderten individuellen Freiheit für alle Richtungen rasch zu Spannungen zwischen den Beteiligten gekommen; seit 1912 vor
allem zwischen Macke und Marc, dann auch zwischen Marc und Kandinsky, dessen Wunsch nach einem ideal
gesinnten Freundesbund nicht in Erfüllung ging. Die divergierenden Interessen behinderten einen konsequenten Zusammenhalt des ohnehin fluktuierenden Kreises, zumal die Vorstellungen der Initiatoren mehr von der
romantischen Ideenwelt der Münchener Jugendstil-Atmosphäre bestimmt waren als von klaren Konzeptionen
einer formalen Erneuerung, denen sie im Orphismus Delaunays begegneten, der vor allem Marc und Macke
stark beeinflußte. Die verkündete Synthese von Weltvernunft und Weltgefühl, auch die daran vor allem von
Marc und Kandinsky abgezogene, schwärmerische Kunstphilosophie konnten keinen Rückhalt geben, zumal
pragmatischere Köpfe wie Klee oder Macke sehr rasch die Obskuranz solcher Theorien erkannten.
Und doch gingen von der Gruppe entscheidende, noch heute wirksame Impulse aus; sie steht neben den
Kubisten, über die Kandinsky als erster hinausging, und nach der französischen Avantgarde der Jahrhundertwende am Beginn der modernen Malerei. Hier fand Kandinsky den Boden, auf dem er die abstrakte Malerei
theoretisch begründen und praktisch durchsetzen konnte; überdies trugen er und Klee viele im Kreis des
»Blauen Reiters« entwickelte Vorstellungen nach dem Ersten Weltkrieg in das Bauhaus hinein.
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Die Künstlervereinigung Worpswede
Die Maler der Künstlervereinigung Worpswede stellen ab 1895 gemeinsam aus, haben sich jedoch nicht als
Künstlerverein eintragen lassen. Sie sind ein Beispiel für einen Künstlerfreundeskreis. Sie wählen ihren Lebensraum in der Moorlandschaft inmitten der Natur bei den einfachen Torfbauern. Das Ziel der Maler ist, die
Schönheit der Landschaft in ihrer Kunst einzufangen und durch sie die Harmonie der Landschaft zu verdeutlichen. Das geschieht vor allem durch einen eigenwilligen Blick auf ihre Umgebung und die Verwendung einer
ungewöhlichen Farbigkeit. Hinzu kommt die Wahl der Motive, die Wohnhäuser, einfache Katen und alltägliche Szenen im Leben der Dorfbewohner zeigen. Ihre Vorstellungen bestehen darin, ihre Kunst in Einklang mit
der Natur zu erleben. Die Worpsweder Maler schreiben Tagebücher, Konzepte, Briefe, jedoch existiert keine
schriftliche Ausarbeitung eines Manifestes. Die Tagebücher von Otto Modersohn, Paula Modersohn-Becker
und Heinrich Vogeler geben Aufschluss über ihre Visionen einer “Natur als Programm”. Die Worpsweder
Künstler leben in engster Verbindung mit der Natur. Natur und Religion sind die Antriebskräfte. Die Maler
bevorzugen ein Leben in Einfachheit und Schlichtheit. Ihr idealistischer Glaube an das Bild der paradiesischen
Natur spiegelt sich in ihrer Malerei wieder. Die Bilder der Dorfbewohner von Worpswede sind hingegen
realistisch. Ein direkter Einblick in die Lebensumstände im Dorf wird durch das Leben mit den Dorfbewohnern
ermöglicht. In der Malerei von Paula Modersohn-Becker findet sich weder Schönung noch Idealisierung der
Menschen dort. Sie schildert das einfache Leben der Worpsweder Bevölkerung in ihren schlichten Katen.
In ihren Selbstbildnissen zeigt sie ein neues Körperbewusstsein. Die Gesundheitsreform mit viel Bewegung
in freier Natur und Licht, Luft und Sonne, deren Anhängerin sie ist, hat das Selbstverständnis vom eigenen
Körper gefördert. Sich selbst malt sie wie selbstverständlich unbekleidet. In Worpswede entdecken somit zwei
weibliche Mitglieder ihre eigenen Fähigkeiten. Eigenständig künstlerisch arbeitende Frauen in Gruppierungen
sind eine Folgeerscheinung der wachsenden Selbständigkeit der Frau. Schon zu Lebzeiten anerkannte Malerinnen, etwa Angelika Kauffmann, arbeiteten nicht in Gruppen. Paula Becker wurde zunächst Schülerin bei
Otto Modersohn in Worpswede und später eigenständig. In der Künstlergruppierung ist sie nach zähem Ringen anerkannt worden. Gemeinsam mit Clara Westhoff, die ebenfalls zunächst als Schülerin nach Worpswede
kommt, geht sie ihren ganz unverwechselbaren, eigenen künstlerischen Weg. Regelmässige Tagebucheintragungen begleiten ihren künstlerischen Werdegang. Sie vermitteln noch heute einen Einblick in ihre Vorstellungen und Entwicklungen.
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S. 41
Die Brücke
Das Programm der 1905 in Dresden gegründeten und 1918 durch Beschluß der Mitglieder aufgelösten
Künstlervereinigung »Brücke« faßte Ernst Ludwig Kirchner 1906 so zusammen: »Mit dem Glauben an Entwicklung, an eine neue Generation der Schaffenden wie der Genießenden rufen wir alle Jugend zusammen,
und als Jugend, die die Zukunft trägt, wollen wir uns Arm- und Lebensfreiheit verschaffen gegenüber den
wohlangesessenen älteren Kräften. Jeder gehört zu uns: der unmittelbar und unverfälscht das wiedergibt, was
ihn zum Schaffen drängt.« Trotz dieser naiv-unverbindlichen Formulierungen, die auch später nicht präzisiert
wurden, fanden die bedeutendsten »Brücke«-Maler ähnlich wie die Fauves zu einem »Gruppenstil«, der für
die Malerei, und noch mehr für die Graphik des deutschen Expressionismus entwicklungsgeschichtlich entscheidend wurde: eine hektische, ja ekstatische Technik, die unter Verzicht auf farbliche Differenzierung und
Malkultur alles in grober Vereinfachung zu deformierten Flächen rafft; charakteristisch ist die Verwendung
mit Benzin verdünnter Farben auf mageren, saugenden Malgründen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen,
waren sie keine Expressionisten im Sinn des Wortes, sondern späte Impressionisten, die der Erscheinungswelt ihre subjektive Reaktion möglichst spontan entgegensetzten. Die frühen Bilder der »Brücke«-Maler sind
mitunter schwer zu unterscheiden, zumal dann, wenn sie vor dem gleichen Modell arbeiteten. Seit etwa 1910
wird dieser »Brücke-Stil« klarer, ruhiger und überzeugender, obwohl er im Prinzip - Flächigkeit, Verzicht auf
Raumwirkung, willkürliche Farbgebung bei starker, vereinfachender Konturierung - unverändert blieb.
Die Gründungsmitglieder von 1905 waren vier junge Dresdener Architekturstudenten: Fritz Bleyl (geb. 1880,
scheidet 1909 wegen Berufswechsel aus), Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmidt-Rottluff,
von dem der Name »Brücke« stammt. Neben einem Kreis passiver, fördernder Mitglieder kamen als Künstler
hinzu: 1906 Cuno Amiet, Akseli Gallen-Kallela, Emil Nolde (der 1907 ausscheidet) und Max Pechstein (1912
wegen Beitritts zur »Berliner Sezession« ausgeschlossen); 1908 Franz Nölken (1884 Hamburg - 1918 gefallen in Frankreich); 1910 Otto Mueller. Von 1906-1911 erschienen sechs »Brücke-Mappen« mit graphischen
Blättern der Mitglieder; eine siebte wurde 1912 nicht ausgeliefert, da sie Arbeiten von Pechstein enthielt,
der eben ausschied. Eine 1913 von Kirchner verfaßte, aber von den anderen Mitgliedern nicht gebilligte
»Brücke«-Chronik wurde nur in wenigen Exemplaren privat verbreitet.
Heckel, Kirchner und Schmidt-Rottluff verließen 1911 das konservative Dresden und übersiedelten nach
Berlin, wo Mueller und Pechstein bereits lebten; erst von dort aus konnten sie sich, wenn auch nur bis zu
nationaler Geltung, durchsetzen. Nach der Auflösung der Gruppe konnten sie in der Berliner »Freien Sezession« gemeinsam ausstellen, einer von Max Liebermann angeführten Abspaltung der »Berliner Sezession«,
doch zerfiel der Freundeskreis nun rasch, zumal ihn auch der Krieg auseinanderführte. Im Expressionismus der
zwanziger Jahre, der ohne ihre Vorleistung kaum denkbar ist, ragten die einstigen »Brücke«-Maler eher als
isolierte, vielfach imitierte Klassiker hervor, die nach 1933 insgesamt der Ächtung durch die Kunstpolitik des
NS-Regimes verfielen ( »Entartete Kunst«). Ihren großen Beitrag zur Entwicklung der Kunst im 20. Jh. darf
man heute rückblickend in der Befreiung von formalen Konventionen des 19. Jh.s und einem Bekenntnis zur
subjektivspontanen Gestaltung sehen; in diesem Sinne, wenn auch nicht in der formalen Leistung, standen sie
ebenbürtig neben den französischen Fauves.
KUNST
S. 42
Fauvismus
Nach den impressionistischen Farbbrechungen, nach dem Mosaik der Pointillisten und dem Farbsymbolismus
der Gauguin-Nachfolge wollten die »Fauves« die reine, von aller Analogie zur Wirklichkeit befreite Farbe.
Doch in der Farbsprache ihrer Bilder findet sich mitunter noch das Gepünktel des Divisionismus und Vincent
van Goghs gehackter Staccato-Schlag. Ihre Pinselzüge gerieten unwillkürlich in die Schlingpflanzenbewegung
des Jugendstils, des art nouveau, der die Stunde beherrschte.
Als »Fauves«, als wilde Tiere, hatte der Pariser Kritiker Vauxcelles voller Empörung die Produzenten der
knallbunten, in Zinnober, Orange, giftigem Grün, Scharlachrot und tintigem Blau leuchtenden Leinwände
bezeichnet, die in die gepflegte Linie der Salons d'Automne von 1905 eingebrochen waren. Matisse und
die Gruppe um ihn nahmen den Schimpfnamen auf und machten daraus einen künstlerischen Markenartikel
ersten Ranges. Derain, Marquet, Vlaminck, Rouault, Friesz und Dufy gehörten zu der Gruppe, für kurze Zeit
auch van Dongen, der alles versuchte, bevor er zum mondänen Modemaler wurde, und Georges Braque, für
den sie eine kurze Durchgangsstation zum Kubismus war.
Die auf Plastizität und Räumlichkeit verzichtenden Bilder (meist Landschaften), voll sengender Farbigkeit (die
ersten »wilden« Bilder von Matisse und Derain entstanden am Mittelmeer in Collioure) waren gleichsam »mit
Dynamitpatronen« gemalt. In der flächigen Ausbreitung des Sujets und in der Farbe wurde eine Gegenposition zu allem Naturalismus eingenommen, verwandt den Nabis, die fünfzehn Jahre vorher ähnliches gewollt
hatten, doch ohne deren Innerlichkeit und Symbolträchtigkeit. Das Leuchten der Bilder hat etwas aufreizend
Plakatives. Im Blick hinüber zum gleichzeitigen deutschen Expressionismus ( Brücke-Kreis in Dresden) findet
man den Unterschied zwischen Dekoration und Emotion: Die Bilder der Fauves behalten stets einen starken
festlichen Klang und geraten nie ins Predigen.
In kaum fünf Jahren brennt das Feuerwerk ab, in dem die Hände der verschiedenen Maler oft schwer zu
unterscheiden sind. Erst mit den Jahren 1907-1908 wird Marquet der noble, fast »chinesisch« nuancierende
Meermaler und Duty der modisch-heitere Erzähler; Derain gerät in einen Klassizismus, Rouault wird zum Gewissensmaler, und Vlamincks Bilder ertrinken immer mehr in düster blauen nordischen Stürmen. Nur Matisse
verfolgt die Linie und das von ihm verkündete Programm weiter und schafft eine »Klassik« von farbiger
Klarheit, Heiterkeit und Ausgewogenheit. Seine Bilder sind tatsächlich - »bequeme Lehnstühle«, sich darinnen
»auszuruhen« (Matisse)..
Einzelne Künstler
KUNST
S. 43
Emil Nolde (1867 - 1956): Äußerungen (1924 - 1934)
1. Jahre der Kämpfe. Berlin 1934 / 2. Briefe aus den Jahren 1894 - 1926. Hgb. M. Sauerlandt. Berlin 1927
3. Aus Leben und Werkstatt Emil Noldes. In: Künstlerbekenntnisse. Berlin o. J. (1924)
Das Urwesenhafte
Die Werke von VAN GOGH und MUNCH hatte ich kennengelernt, begeistert verehrend und liebend . . . Versuchend arbeitete ich dauernd immer weiter, zuweilen einige leuchtend verbundene Farben ein wenig mir genügten,
und dann wieder war alles dunkel. - Mit den Mitteln des Impressionismus schien mir ein Weg beschritten, kein Ziel,
das mir genügte - anderes und mehr als bisher, das Tiefstliegende zu fassen. (1) Ich möchte so gern, dass meine
Bilder mehr sind, keine zufällige schöne Unterhaltung, nein, dass sie heben und bewegen und dem Beschauer einen
Vollklang vom Leben und menschlichen Sein geben. - Die Urmenschen leben in ihrer Natur, sind eins mit ihr und Teil
vom ganzen All... Ich male und zeichne und suche einiges vom Urwesen festzuhalten. Die künstlerischen Erzeugnisse
der Naturvölker sind ein letztes Überbleibsel einer Urkunst. (2) Die Kunstäußerungen der Naturvölker sind unwirklich, rhythmisch, ornamental, wie wohl immer die primitive Kunst aller Völker es war - inklusive die des germanischen Volkes in seinen Uranfängen. - Das Absolute, Reine, Starke war meine Freude, wo ich es fand, von primitiver
Ur- und Volkskunst an bis zur höchsten Trägerin freier Schönheit. - Die Bilder, welche ich auf den Südseeinseln malte,
entstanden künstlerisch unbeeinflusst von exotischer Art zu bilden, . . . blieben in Empfindung und Darstellung so
heimatlich nordisch deutsch, wie alte deutsche Plastiken es waren - und ich selbst es bin. - Alles Ur- und Urwesenhafte immer wieder fesselte meine Sinne. Das große tosende Meer ist noch im Urzustand, der Wind, die Sonne, ja
der Sternenhimmel wohl fast auch noch so, wie er vor fünftausend Jahren war. (1)
Wie die Natur ihre Gebilde schafft
Ich will so gern, dass mein Werk aus dem Material hervorwachse. - Feste ästhetische Regeln gibt es nicht. Der Künstler schafft seiner Natur, seinem Instinkt folgend das Werk. Er selbst steht überrascht davor, andere mit ihm. (2) Ich
wollte im Malen immer gern, dass die Farben durch mich als Maler auf der Leinwand sich so folgerichtig auswirkten,
wie die Natur selbst ihre Gebilde schafft, wie Erz und Kristallisierungen sich bilden, wie Moos und Algen wachsen,
wie unter den Strahlen der Sonne die Blume sich entfalten und blühen muss. - Farben werden vom Maler getötet
oder lebend gelassen, zu höherem Sein gesteigert. - Wollen und Willen, Überlegung und Denken, alles war wie ausgeschaltet, ich war nur Maler. Und dabei entstanden immer noch meine schönsten Bilder. Die Not- und Angstschreie
der Tiere folgten dem Ohr des Malers, und früh schon verdichteten sie sich zu Farben, in gellendes Gelb die Schreie,
in dunkle violette Töne das Heulen der Eulen. - Sind nicht Träume wie Töne und Töne wie Farben und Farben wie
Musik? Ich liebe die Musik der Farben. - Mit- oder gegeneinander: Mann und Weib, Lust und Leid, Gottheit und
Teufel. Auch die Farben wurden einander entgegengestellt: kalt und warm, hell und dunkel, matt und stark. Meistens aber doch, nachdem eine Farbe oder ein Akkord wie selbstverständlich angeschlagen war, bestimmte eine Farbe
die andere, ganz gefühlsmäßig und gedankenlos tastend in der ganzen herrlichen Farbenreihe der Palette, in reiner
sinnlicher Hingabe und Gegenstandsfreude. Die Form war fast immer in wenigen Strukturlinien festgelegt, bevor die
Farbe weiterbildend in sicherer Empfindung gestaltend sich auswirkte. Farben, das Material des Malers: Farben in
ihrem Eigenleben, weinend und lachend, Traum und Glück, heiß und heilig, wie Liebeslieder und Erotik, wie Gesänge und herrliche Choräle! Farben sind Schwingungen wie Silberglockenklänge und Bronzegeläute, kündend Glück,
Leidenschaft und Liebe, Seele, Blut und Tod. Schön ist es, wenn der Maler unter instinktiver Führung so zielsicher
malen kann, wie er atmet, wie er geht . . . Alle meine freien und phantastischen Bilder entstanden ohne irgendwelches Vorbild oder Modell, auch ohne festumrissene Vorstellung. Ich mied alles Sinnen vorher, eine vage Vorstellung
in Glut und Farbe genügte mir . . .
Phantastisch sein im Werk ist schön, phantastisch sein wollen ist blöd. Wenn die Bodennähe im romantisch phantastischen Schaffen mir zu verschwinden schien, stand ich suchend wieder vor der Natur, Wurzeln in die Erde versenkend und demütig in vertieftem Sehen. (1)
Die Auswertung von Säuren und Metall [bei der Radierung] hatte vor mir noch keiner in dieser Weise getan. - Ich
legte die gezeichnete und mehr oder weniger zugedeckte blanke Kupferplatte in das Giftbad, nuancenreiche mich
selbst überraschende Wirkungen erzielend. - Technik ist nur Technik und an sich nichts als ein Mittel. Technik kann
unkünstlerisch sein, wenn sie brilliert. (1) Die Radierungen nun sind voller Leben, ein Rausch, ein Tanz, ein Wiegen
und Wogen in Tönen. Sie gehören nicht zu der Kunst, welche gemächlich im Lehnstuhl genossen werden kann, sie
verlangen, dass der Beschauer im Rausch mitspringt. (3)
Äußerer Eindruck und inneres Bild
Einige Male bin ich gefragt worden, ob denn ich gar kein Interesse an Menschen nähme, weil anscheinend ich so
wenig hinschaue. „Doch sehr“, sagte ich, „vielleicht nur anders als üblich.“ In einer zwölftel Sekunde soll das Auge
den Eindruck aufnehmen können, und weiteres Verweilen am Objekt ist Privatvergnügen. Aber auch, wenn man
Menschen nur halb ansieht, dann werden sie einfacher und größer. Die Freunde, die Feinde und auch die Indifferenten, sie alle sind meine Helfer, wenn aus dem Unterbewussten sie hervorsteigend sich wieder melden. Sie sind meine
Bilder. Lachet, jubelt, weinet oder seid glücklich, ihr seid meine Bilder, und der Klang eurer Stimmen, das Wesen eurer
Charaktere in aller Verschiedenheit, ihr seid dem Maler Farben. (1)
KUNST
S. 44
Emil Nolde
* 7.8.1867 in Nolde (Nordschleswig)
† 15.4.1956 in Seebüll (Holstein)
Emil Hansen wurde 1876 als ein Sohn eines Bauern geboren. Ab 1902
nannte er sich nach seinem Heimatdorf Nolde in Nordschleswig. Er
wurde streng religiös erzogen und wuchs in enger Verbundenheit mit
der Natur auf. Die innersten und wesentlichen Impulse seiner Kunst
kommen sowohl aus dieser norddeutschen Herkunft als auch aus der
stark religiösen Prägung seiner Jugend. Nolde schrieb in seiner Autobiographie :
„In Abständen von jeweils einigen Jahren entstanden immer wieder
Bilder mit biblisch religiösem Inhalt. Die Vorstellungen des Knaben
von einst, als ich während der langen Winterabende tief ergriffen alle
Abend in der Bibel lesend saß, wurden wieder wach. Es waren Bilder,
die ich las, reichste orientalische Phantastik. Sie wirbelten in meiner
Vorstellung immer zu vor mir hoch, bis lange lange danach der nun
erwachsene Mensch und Künstler sie, wie in traumhafter Eingebung,
malte und malte.“
Ebenso sind die nordischen Sagen und Märchen, die Nolde von Kind an viel gelesen und gehört hat, eine
Basis seiner Vorstellungskraft und Phantasie.
Ab 1884 arbeitete Nolde vier Jahre lang als Lehrling im Holzschnitzen in einer Möbelfabrik und Schnitzschule
in Flensburg. Danach war er als Zeichner und Schnitzer in Möbelfabriken in München, Karlsruhe und Berlin
tätig. 1892 war er Lehrer am Industrie- und Gewerbemuseum in St. Gallen in der Schweiz.
1898 siedelt Norde nach München über.
Zwei Münchner Jahre galten dem Studium der Landschaft in der Malerei und des Aktes in der Zeichnung. Ein
Aufenthalt in Paris erweiterte den Gesichtskreis um die großen Meister im Louvre. Danach zeichnete sich der
neue, eigene Weg deutlich ab. 1901 entstanden bereits 23 Bilder, darunter das spukhaft-besondere Gemälde Vor Sonnenaufgang (Neukirchen), und Zeichnungen beschwingt tanzender Kobolde am Strand. Hansen
nahm nach seiner Heirat mit der Dänin Ada Vilstrup den Namen Nolde an. Das Paar siedelte nach Berlin über.
1903 wurde auf der Insel Alsen ein Fischerhäuschen erworben und am Strand das kleine Bretteratelier errichtet. 1906 entstehen 29 Bilder, dazu die ersten Holzschnitte und weitere Radierungen. Auf Grund einiger in
Dresden ausgestellter Bilder forderte die dortige Künstlergemeinschaft »Brücke« ihn zum Beitritt auf. SchmidtRottluff besuchte ihn sogar in Alsen; doch bereits 1907 trat Nolde aus dem Kreise wieder aus, ohne aber die
Verbindung zu dessen Künstlern aufzugeben. Sogar in Berlin wurde diesmal ein Bild Noldes angenommen,
und zwar der Erntetag (Muri) von 1904 bei der Sezession.
Nolde war intensiv auf der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten, da er mit der Nachahmung der Natur
für sich in eine Sackgasse geraten war. In seiner Autobiographie beschreibt er dies deutlich:
„Meine Art der letzten Jahre zu zeichnen und malen in Nachbildung und Gestaltung der Natur – möglichst
mit erstem Strich oder erster Farbe fertig hingesetzt – genügte mir nicht mehr. Zeichnend hatte ich auf dem
Papier gewischt und gekratzt, bis der Grund durchlöchert war, um etwas anderes und mehr als bisher, das
Tiefstliegende, zu erfassen. Mit den Mitteln des Impressionismus schien mir nur ein Weg beschritten, kein
Ziel, das mir genügte.
Die Natur getreu und genau nachbilden, gibt kein Kunstwerk. Eine Wachsfigur, dem Naturvorbild zum Verwechseln gleich, erregt nur Ekel. Die Natur umwerten unter Hinzufügung des eigenen Seelisch-Geistigen lässt
die Arbeit zum Kunstwerk werden. Ich suchte solchen Empfindungen zu folgen.“
1907 fanden verschiedene Ausstellungen statt; 1909 entstanden erste religiöse Bilder Pfingsten (Muri) und
Abendmahl (Neukirchen) in stark leuchtender Farbigkeit.
1910 provozierte Nolde einen berühmten Skandal. Sein Gemälde Pfingsten (Abb. 33) wurde mit Werken
anderer jüngerer Künstler von der Künstlervereinigung Berliner Secession zurückgewiesen. Nolde reagierte
mit Ärger und griff den Präsidenten Max Liebermann öffentlich an. Nolde schickte am 10. 12. 1910 einen
kritischen Brief an die Zeitschrift Kunst und Künstler, in dem er sich gegen Liebermann wandte. Seinen Ärger
gegen Liebermann und damalige Atmosphäre der Secession kann man in seiner Autobiographie deutlich
finden:
„Die Auslassungen gegen uns [die jungen Künstler (inklusiv Nolde)] und die schmähliche Unterdrückung konnte ich nicht mehr ertragen. Mir verlangte nach Sonne und wohlverdientem Recht. Ich
schrieb hellsichtig und rücksichtlos meine Meinung gegen Max Liebermann und seine alles beherrschende Macht. Seine Kunst schien mir zusammengetragen, er war kein Selbstschaffender, ich
achtete sie nicht und respektierte seine diktatorischen Mittel und künstlerische Machtstellung nicht.
Das künstlerisch reine und heiße Streben meiner jungen Künstlerfreunde schien mir unendlich weit
höherstehend als die Verbreitung französischer Anschauung und der schamlose Geschäftsbetrieb
innerhalb der Secession mit der zur Ware herabgewürdigten Kunst.“
KUNST
S. 45
Der Ausschluss Noldes aus der Berliner Secession war eine logische Folge dieses Briefs.
Danach lernte Nolde den Kunsthistoriker Max Sauerlandt kennen, der 1913 für das von ihm geleitete Museum zu Halle trotz des Protestes des Generaldirektors der Berliner Museen, Wilhelm von Bode, das wichtige
Bild Abendmahl kaufte; andere Museen folgten diesem Beispiel. Nolde nimmt danach an einer Expedition
nach Neu-Guinea als künstlerischer Berater teil. Nach Noldes Rückkehr von der Südsee im Jahre 1915 wurden 88 Bilder geschaffen, darunter die Grablegung Christi (Neukirchen). Von nun an freilich ging die Anzahl
der Ölbilder zurück, denen gegenüber die Aquarelle bevorzugt wurden. Auch sonst verlief das Leben beruhigter, im Wechsel zwischen dem Winter in Berlin und dem Sommer in Schleswig, der im 1912 erworbenen
Bauernhaus Utenwarf bei Ruttebüll, ab 1926 in Seebüll verbracht wurde.
1926 verlieh ihm die Universität Kiel die Würde eines Ehrendoktors. Das Jahr 1931 brachte die Ausstellung
im Kunsthaus Zürich, Ernennung zum Mitglied der Preußischen Akademie der Künste, Erscheinung des ersten
Bandes der Selbstbiographie »Das eigene Leben«, 1932 zeigte das Museum of Modern Art in New York
unter anderen Beispielen deutscher Moderner auch Nolde. 1933 wurde ihm die Präsidentschaft der Staatlichen Kunsthochschule in Berlin angetragen; doch damals begann auch die Hetze gegen »Entartete Kunst«
und wendete sich bald gegen Nolde besonders, der dem klassizistischen Geschmack Hitlers unerträglich war.
Nach der Ausstellung »Entartete Kunst« von 1937 wurden 1052 Arbeiten Noldes aus Museumsbesitz beschlagnahmt. 1941 untersagte die sogenannte Reichskunstkammer dem Maler die Ausübung seines Berufes.
Er malte fast nur noch Aquarelle, wie es freilich der Schaffens-Tendenz seiner letzten beiden Lebensjahrzehnte entsprach. Erst 1945 entstanden wieder 15 Bilder. Doch trug der Maler schwer am Verlust seiner 1946
gestorbenen Frau. Er erfuhr mancherlei öffentliche Ehrung, erhielt den Professorentitel und den Orden »Pour
le mérite«, stand überhaupt wieder im Mittelpunkt des Kunstbewußtseins seiner Landsleute. Er bemühte sich
um neue bildnerische Lösungen, ging gar 1948 eine neue Ehe ein, mit der Tochter des befreundeten Pianisten
Erdmann, und war doch an die ihm vom Schicksal gesetzten Grenzen gestoßen, die eine wirkliche Erneuerung
seiner Kunst versagten.
Emil Nolde starb am 13.04.1956 in seinem Haus in Seebüll.
Farbe bei Nolde
Wichtige Stationen für Noldes künstlerische und menschliche Entwicklung sind untrennbar mit dem Meer verbunden. Zwei dieser Stationen sind Lildstrand an der Nordküste Jütlands und die Hallig Hooge. Hier erlebte
Nolde die Kräfte der Natur und das Verwischen der Grenzen. Meer und Himmel - es kommt zu ständigem
Wechsel, zur Vermischung, klare Grenzziehungen sind nicht möglich. Das Erlebnis der Natur als Urkraft in der
Beziehung zu den Menschen spiegelt sich in Noldes Kunst unmittelbar wieder, er erlebte neue Harmonien, die
mit den alten Schönheitsbegriffen und ihrer Anwendung in der Kunst nichts mehr gemein hatten. Betrachtet
man Noldes Werke, insbesondere die Aquarelle, die ihm immer auch als Vorlage für die Ölgemälde dienten,
darüber hinaus aber ein vielleicht sogar von ihm selbst unterschätztes künstlerisches Eigenleben führen, wird
dies deutlich. Nicht mehr die Form ist bestimmend, sondern die Farbe als eigenständiger Wert. "Farbe ist
Kraft. Farbe ist Leben. Nur starke Harmonien sind gewichtig." Nolde bekannte sich zum Eigenleben der Farbe, die nicht mehr Transport für den Gehalt des Bildes, sondern dessen eigentlicher Inhalt wird. Gerade in den
Aquarellen fließen die Farben frei über jede Form hinaus, die Grenzverwischung wird deutlich, Himmel, Meer,
Mensch sind nicht durch eine klare Linienführung voneinander getrennt. Die Farbe dient nicht der Illustration,
sie ist die Substanz des Bildes, eine Auffassung, die sicherlich selbst im progressiven Kreis der Expressionisten
radikal war. Damit erlangt natürlich auch der eigentliche Akt des Malens eine neue Bedeutung, die Verwischung der Grenzen geht weiter, "bis Farben, Pinsel, Bild und Maler alles eins zu sein scheinen".
Ungemalte Bilder (aus: Die Welt: 24. April 2007 )
Er selbst könne gar nichts, hat Emil Nolde gesagt, doch „die Natur kann durch mich sehr viel“. Die „Ungemalten Bilder“ differenzieren das, denn Nolde malte sie nicht vor der Natur; vielmehr sind die über tausend
Aquarelle Ausgeburten der Fantasie, Ausdruck persönlicher Gefühle, Stimmungs- und Traumlandschaften
eines alten Malers, den die Nationalsozialisten durch ihr absurdes Malverbot zum Rückzug auf sich selbst
zwangen. Nolde galt zwischen 1938 und 1945 als „entartet“, zahllose Werke des zuvor höchst anerkannten,
bis 1937 sehr erfolgreichen Malers wurden aus den deutschen Museen entfernt und in der Münchener Diffamierungsschau gezeigt. Während Nolde die Nazipolitik zuvor befürwortet hatte, schlug sie ihn jetzt vor den
Kopf und er trotzte ihr auf seine Weise: der desillusionierte Expressionist mied die durch ihren Geruch verräterische Ölfarbe, wählte das kleine Format und besann sich auf seine innere Kraft, brachte die im Verborgenen
entstandenen „Ungemalten Bilder“ als Beweisstücke seiner ungebrochenen Schaffenskraft zu Japanpapier.
Das Entstehen der farbintensiven Meisterwerke aus einer finsteren Zeit heraus machte den Zyklus zu einem
Mythos. In den Bremer Kunstsammlungen Böttcherstraße, Paula Modersohn Becker Museum, werden die sagenhaft schönen Aquarelle jetzt bis zum 15. Juli durch eine neue Lesart uminterpretiert. Rainer Stamm, Chef
des Museums, lieh in der Nolde-Stiftung zu Seebüll eine subjektive Auswahl von 110 Blättern zur Ausstellung
in Bremen, darunter Figuren, Landschaften, Grotesken.
KUNST
S. 46
Die erwählten Bilder präsentiert er ohne Titel, um die Kraft dieser stärksten Farben in Noldes Werk ganz und
gar, pur und ohne Ablenkung auf den Betrachter wirken zu lassen. Stamms These: Nolde ging es bei den
Arbeiten nicht vorrangig um den Gegenstand. „Die Bilder sind aus der Farbe heraus entstanden“, so der
Direktor, „dies sind Farbenlandschaften, nicht Meereslandschaften“. Die Gegenständlichkeit liege bei Nolde
über dem abstrakt anmutenden Farbexperiment, ergebe sich aus der Form und dem Fluss der Farbflächen.
Denn die Aquarelle sind eigentlich Mischtechniken. Als Grund wählte Nolde die Wasserfarbe, die schnell
in das stark saugende Japanpapier einzog. Darauf setzte er eine zweite Ebene mit deckender Gouache und
Tuschekonturen. „Aus der reinen Farbe wird das Gegenständliche im zweiten Schritt herausgeholt“ erläutert
Stamm seine spannende Entdeckung. Nolde habe an einer Zeitenwende gestanden. Zwar malte er niemals
abstrakt, doch weisen seine innovativsten Werke, die „Ungemalten Bilder“, schon in Richtung Abstraktion
und nachfolgende Moderne. Zwar zeigen sie, weil wir es so sehen wollen, den windzerzausten Himmel über
der heimischen Warft in Seebüll, die Nordsee und die weite friesische Landschaft mit ihren mythischen und
realen Bewohnern. Doch denkt man sich die Kirchen und Schiffe, die Horizonte und die Umrisse der Gesichter und Körper weg, bleiben mutige Farbenspiele mit Kontrasten, die Ihresgleichen suchen, mit kämpferisch
aufeinander prallenden Extremfarben, die Nolde unakademisch und frei zusammenbrachte.
Durch den Gegenstand blieb der Maler in seiner Zeit verankert, doch geraten die Motive, die ganz aus Noldes
Fantasie und Erinnerung heraus entstanden, in Bremen in den Hintergrund. Durch die neue Sichtweise, auf
die wir uns gern einlassen, gewinnt die Farbe exekutive Macht im Bild. Sie dient als Brücke oder Barriere
zwischen den Gestalten - dort drängt ein expandierendes Fliederlila ein Paar am Blattrand zusammen, ein gekleckstes Ölzeuggelb verbindet eine Familie durch dreifache Leuchtkraft, ein Granatapfelrot verschmilzt zwei
gestikulierende Gnome zu einer siamesischen Einheit. Trennend hingegen wirkt sich ein verregnetes Gelb auf
eine junge Frau und einen gestrengen Fürsten aus, auch Himmel und Erde bekommen ihren Platz nuanciert
zugewiesen, weil Nolde die Elemente in Pigmente übersetzte. „Die Farbe kann durch mich sehr viel“, hätte er
sagen sollen; ein ungesagter Satz, aber wahr.
1938 bis 1945: aus der Folge „Ungemalte Bilder“, Aquarell/Gouache
KUNST
S. 47
Anselm Kiefer
Anselm Kiefer (* 8. März 1945 in Donaueschingen) ist ein deutscher Maler und Bildhauer.
Kiefer zählt zu den bekanntesten und erfolgreichsten, aber auch
umstrittensten deutschen Künstlern nach dem Zweiten Weltkrieg.
Bekannt wurde er vor allem durch seine Materialbilder. In seinem
gesamten Schaffen setzt sich Kiefer mit der Vergangenheit auseinander und berührt Tabu- und Reizthemen der jüngeren Geschichte. So wird insbesondere das Thema der NS-Herrschaft in seinen
Werken reflektiert; für das Bild Margarethe (Ölfarben und Stroh
auf Leinwand) etwa ließ er sich von Paul Celans wohl bekanntestem Gedicht Todesfuge inspirieren. Jahrzehntelang gepflegte
kontroverse Diskussionen in den Medien über den Wert seines
künstlerischen Schaffens waren die Folge.
In seiner Düsseldorfer Zeit orientierte sich Kiefer stilistisch an Georg Baselitz. Dick aufgetragene Farbschichten bearbeitete er mit
Feuer oder Äxten und kombinierte sie mit Glas, Holz und Pflanzenteilen. In den 70er Jahren beschäftigte er sich insbesondere mit
deutscher Mythologie (siehe auch: Jonathan Meese), und im folgenden Jahrzehnt setzte er sich mit der jüdischen Mystik, der Kabbala, auseinander. Auf ausgedehnten Reisen durch Europa, die USA und den Mittleren
Osten wurde er mit weiteren Einflüssen konfrontiert, unter denen beeindruckende Kunstwerke entstanden.
Neben Gemälden schuf Kiefer Aquarelle, Holzschnitte und übermalte Fotos und Bücher.
Seine Werke zeichnen sich durch einen dumpfen, fast schon depressiv wirkenden, zerstörerischen Duktus aus.
In den meisten seiner Arbeiten verwendet Kiefer eine (Farb-)Photographie als Ausgangsfläche, um sie dann
mit Erde und anderen Rohmaterialien der Natur zu 'bearbeiten'. Gleichfalls charakteristisch für ihn ist es, dass
man in (fast) allen seinen Gemälden Schriftzüge bzw. Namen von Menschen, Sagengestalten oder geschichtsträchtigen Orten findet. All dies sind verschlüsselte Siglen, durch die Kiefer die Vergangenheit aufzuarbeiten
sucht. Daher wird er oft auch mit einer als Neuer Symbolismus bezeichneten Stilrichtung in Verbindung
gebracht.
1999 wurde Anselm Kiefer der Praemium Imperiale der Japan Art Association für sein Lebenswerk verliehen.
In der Begründung der Preisvergabe heißt es:
„Eine komplexe kritische Beschäftigung mit der Geschichte durchzieht Anselm Kiefers Arbeit. Seine Bilder
sowie die Skulpturen von Georg Baselitz verursachten bei der Biennale von Venedig im Jahre 1980 einen
Aufruhr: die Betrachter mußten entscheiden, ob die scheinbar nationalsozialistischen Motive ironisch gemeint
waren oder ob damit faschistoide Ideen transportiert werden sollten. Kiefer arbeitete in der Überzeugung,
dass die Kunst einer traumatisierten Nation und einer irritierten, geteilten Welt Heilung bringen könnte. Auf
riesigen Leinwänden erschuf er epische Bilder, die die Geschichte der deutschen Kultur mit Hilfe von Darstellungen von Figuren wie Richard Wagner oder Goethe aufriefen, und setzte so die Tradition der Geschichtmalerei als Mittel zur Ansprache an die Welt fort. Nur wenige zeitgenössische Künstler haben einen so ausgeprägten Sinn für die Verpflichtung der Kunst zur Beschäftigung mit der Vergangenheit und ethischen Fragen
der Gegenwart, und sind in der Lage die Möglichkeit auszudrücken, Schuld durch menschliche Anstrengung
zu tilgen.“
Übermalungen
Gundel Mattenklott prägte den Begriff des „neuen Palimpsests“. Das Palimpsest wird zum Speicher des Verschütteten und Vergessenen. Bei Kiefer werden nicht die vergessenen Schichten im Material konserviert und
durch Abtragung ans Tageslicht gezerrt. Er verweist in etwa, das sich selbst nicht zeigen kann und kündigt auf
diese Weise im Sichtbaren das Unsichtbare, sich Entziehende an.
Beispiel: Böhmen liegt am Meer von 1995
In Böhmen liegt am Meer von 1995 verbindet Kiefer wie in anderen Bildern die Horizontperspektive mit der
Palimpseststruktur. Eine zerfurchte Landschaft mit orange-rosa Blumen, in der Mitte ein Feldweg, zieht sich
tief bis zum sehr hoch angesetzten Horizont. Kein Meer nirgends, dafür steht am Horizont der krakelige
Schriftzug „Böhmen liegt am Meer“. Kiefer bezieht sich auf das gleichnamige Gedicht Ingeborg Bachmanns
von 1964 und auf das von Shakespeare 1611 uraufgeführte Wintermärchen, in dem der Dichter Schiffe an
den Gestaden Böhmens landen lässt.
KUNST
S. 48
Abb. 21: Anselm Kiefer, Böhmen liegt am Meer, 1995, Öl, Emulsion, Schellack auf Rupfen, 191,1×561,3,
Sammlung Friedrich Burda, Baden - Baden
Wie im Gedicht will Kiefer in seinen Bildern „zugrunde gehen“, der Seinsgeschichte auf den Grund gehen. Er
gräbt in den Tiefen, die er nach dem vergessenen Verhältnis zum Sein befragt. In Böhmen liegt am Meer geht
Kiefer dem uns logischen Ort auf den Grund, der Heimat als U-topos, der als Hoffnungsort das Sehnen der
Menschen immer schon auf sich versammelt haben wird. Am hohen fernen Horizont steht nur die Verheißung in krakeliger Schrift geschrieben.
Es geht nicht um einen konkreten mythischen Ort, um das goldene Zeitalter, das gelobte Land, das verlorene
oder wiederzugewinnende Paradies oder die deutsche Scholle oder was auch immer. Es geht um das, was
unser Sehnen versammelt, dass sich uns stets entzieht und vergessen wird in der Fremde, in der wir fast die
Sprache, die Worte verloren haben. Arbeit am Mythos ist Arbeit gegen das Vergessen, ein Weisen in das sich
Entziehende.
Böhmen liegt am Meer ist ein Synonym für die Sehnsuchtslandschaft. Sie ist die ewige Landschaft, die alle
Landschaften der Ewigkeit in sich versammelt. Sie ist purer Potentialität und ewiger Gegenwart. Sie ist der
Ursprungsort jedes Seinsverhältnisses und Seinsverständnisses. Sie ist nicht Ressource. Ressourcen sind endlich
und ausbeutbar. Sie ist das unendlich Verhältnishafte, Unermessliche und Maßgebende. Sie ist das bildlose
Ur- , oder Vorbild für alle Seinsverhältnisse und Bilder unserer Sehnsucht, unserer Angst, unseres Strebens
nach Glück, Freiheit und Frieden. In Kiefers Landschaft ist der Horizont hoch und weit entfernt. Kein Meer
brandet an die Küste. Die seligen Gestade Böhmens sind das unendlich Verheißungsvolle, der „Grund“ von
dem Bachmann spricht. Sie ruft alle Unverankerten, damit sie in ihn eingehen und „unverloren sind“.
Der Mythos kennt nur die zyklische Zeit der ewigen Wiederkehr des Gleichen, aus dem es kein Entrinnen und
nur tragische Helden und Heldinnen gibt. Kiefer verbindet die mythische Zeit mit der linearen Zeit durch die
Palimpseststruktur und der gleichzeitigen Ausrichtung auf den fernen Horizont. Ein Feldweg führt durch das
triste, zerfurchte Landschaft. Blumen der Hoffnung wurzeln in den abgründigen Tiefen des Ursprungs. In der
jüdisch christlichen Tradition verbindet sich die lineare Zeit mit der Heilsgeschichte, in der zu Handelnden, zu
Subjekten der Geschichte werden.
Jede strikte Verknüpfung zwischen Verheißung und Erfüllung ist Mythologie. Sie birgt die Gefahr des Missbrauchs: ”Mann hat mit Mythen Missbrauch getrieben, und den will ich aufheben. Sie dürfen ja nie, wie im
Dritten Reich, eine Handlungsanweisung sein, wie etwa Görings Rede zu Stalingrad. Er sprach unter anderem
vom Trinken des eigenen Blutes. Ich möchte die Mythen nicht darstellen, ich arbeite an ihnen weiter.”(WaZ,
17.8. 2003)
Die Zukunft muss als offene antizipiert werden, offen wie der Weg zum Horizont in Kiefers Landschaft. Als
solche gibt sie zwar Orientierung, es bleibt immer die Möglichkeit der Korrektur. Kiefers Arbeit am Mythos ist
nicht in dem Sinne Rückkehr zum Ursprung, etwa als rückwärtsgewandte Utopie.
Die Arbeit am Mythos ist Rückkehr in den Ursprung, der kein abgeschlossenes Ereignis ist, sondern als dieses
Einmalige immer noch geschieht. Erinnerung ist keine Regression. Sie ist Bedingung für einen Weg in eine
offene Zukunft.
Kiefer grenzt in seinem Werk diesen katastrophischen Aspekt des Seins, als das Gegenwendige nicht aus.
In seinem Werk finden sich überall Hinweise auf Katastrophen: Drähte, Flugzeuge und andere Artefakte,
verbrannte Landschaften. In Böhmen liegt am Meer ist das Land öde, trist, zerfurcht. Die Katastrophen sind
Bestandteil der Seinsgeschichte. Es geht um Integration, um Arbeit gegen das Vergessen. Nur wenn wir nicht
vergessen, können wir in der aktuellen Situation dieselbe Konstellation der Verhältnisse erkennen, auch wenn
sie ihr konkret nicht gleicht. Damit sind wir nicht auf dem sicheren Weg zum Heil, aber wir können Heil und
Unheil antizipieren. Die Frage, welchen Weg die Geschichte hin zum fernen Horizont nehmen wird, in den
Weltbrand und Overkill oder an Böhmens selige Gestade bleibt offen.
KUNST
S. 49
Unbewältigte Vergangenheit — Anselm Kiefers historischer Ansatz
In den ausgehenden siebziger und beginnenden achtziger Jahren fiel, anfangs zumeist im Kontext mit anderen deutschen Malern wie Markus Lüpertz, A. R. Penck, Jörg Immendorff oder Georg Baselitz, immer wieder
auch der Name Anselm Kiefer. Die Diskussion, die sich seither an seinem Werk entzündete, kreiste zentral um
die Möglichkeiten einer künstlerischen Verarbeitung der deutschen Geschichte von ihren Anfängen bis zum
Nationalsozialismus und darüber hinaus. In den achtziger Jahren avancierte Kiefer zu einem der international
meistbeachteten und umstrittensten deutschen Künstler. »[...] das Werk Kiefers ist nur eines, aber vielleicht
das emotionell bewegendste Beispiel dafür, wie in der zeitgenössischen Kunst mit dem Thema Faschismus
umgegangen wird«, meint Georg Bussmann.
In Kiefers Kunst spiegelt sich die Situation der ersten Generation' von Deutschen, die mehrheitlich frei waren
von unmittelbarer Mitverantwortung für die Nazi-Verbrechen und von denen sich viele im Alter von ungefähr
zwanzig Jahren mit einer der tiefsten Sinnkrisen unserer Zeit konfrontiert sahen. Vor diesem gesellschaftspolitischen Hintergrund der späten sechziger Jahre haben Kiefers frühe Werke ihren Ort. »Kiefers Werk muß man
im Lichte von etablierten Theorien zur Überwindung einer verhängnisvollen Situation des Kunstschaffens in
Deutschland nach Hitler betrachten. Kiefers Versuch, sich selbst -abzugrenzen, war erfolgreich aufgrund seiner entschiedenen Ablehnung der Notwendigkeit, sich selbst generell als Künstler nach der Moderne und als
Deutscher nach dem Faschismus zu rechtfertigen. Infolgedessen muß jedes umfassende Urteil über sein Werk
beide Aspekte ansprechen, in denen seine Innovationsleistung liegt: 1. Kunst als ein soziales und intellektuelles Paradigma zu redefinieren und 2. Geschichte als ästhetische Erfahrung zu beschwören.«
Kiefer leitet seine Kunst direkt aus der eigenen Lebenswirklichkeit ab, ohne sich dabei im Autobiographischen
zu verlieren." Schon 1979 erkannte der niederländische Kunsthistoriker Rudi Fuchs: »Er ist kein Illustrator von
Geschichte; er interpretiert, und nicht als Wissenschaftler, der immer Fakten beobachten muß, sondern als
freier Künstler, der mit Daten und Namen spekulieren kann. Die Ikonographie seiner Bilder ist sehr persönlich.
Die in die Bilder hineingetragenen geschichtlichen Ereignisse, Daten, Symbole, Namen, gehören zu einer persönlichen Erinnerungswelt. Innerhalb dieser Bilder sind sie nur ein Teil seiner eschichte, seines geschichtlichen
Wissens, die Malerei wird Bild seiner Geschichte. Seit dem 8. März 1945, als er in Donaueschingen geboren
wurde, hat Anselm Kiefer eine eigene Geschichte, die ihn als Individuum auszeichnet und die jetzt die Thematik einer historischen Bilderwelt für die Gegenwart geworden ist.«
Am Anfang von Kiefers historischem Projekt stehen provokante fotografische >Selbstversuche<, in denen
er konzeptuell die Identifikation mit den Tätern simuliert. Hierzu gehört seine berüchtigte Fotoserie Besetzungen, in der er sich mit Hitlergruß vor europäischen Kulturstätten zeigt. Nicht nur Kiefers Bereitschaft zum
Tabubruch tritt hier bereits unmißverständlich zutage; auch das zentrale Anliegen seiner Kunst wird deutlich,
geht es doch darum, die individuelle Erfahrung sichtbar zu machen, die die Konfrontation mit der historischen
Schuld der Deutschen für jeden einzelnen impliziert. Der subjektive, innere Konflikt wird, innerhalb des Kontexts Kunst, zum Objekt der öffentlichen Diskussion.
In den siebziger Jahren erarbeitete Kiefer in Einzelwerken und Werkgruppen wichtige Stadien seiner von
persönlichen und allgemeinen Belangen gleichermaßen motivierten Thematik. Immer wieder befaßte er sich
mittel- oder unmittelbar mit dem Nationalsozialismus. Auch, wenn seine Bilder sich vordergründig anderen
inhaltlichen Schwerpunkten zuzuwenden scheinen, etwa den »Geisteshelden« des 19. Jahrhunderts, Parsifal
oder Hermann, dem Cherusker, bleibt der Nationalsozialismus im Blickfeld – spielen Kiefers Titel und Ikonogra-phie hier doch auf ebenjene spezifisch deutsche Mischung aus nationalem Größenwahn und politischem
Irrationalismus an, von der die Nazis die Rechtfertigung ihrer mörderischen Politik ableiteten. Kiefers Kunst
zielt auf die Darstellung und Deutung der geistes- und kulturgeschichtlichen Hintergründe für die Hinwendung der Deutschen zur faschistischen Ideologie. Doch wie weit er auch historisch und geographisch ausgreift, um den kulturellen Horizont seines Problems auszuleuchten, und in welche entlegenen Regionen von
Mythos, Religion und Historie er auch vordringt – stets handelt seine Kunst auch von dem Bedeutungswandel
der Stoffe durch ihre ideologische Vereinnahmung im Nationalsozialismus und ihre Tabuisierung oder Kontinuität nach 1945. Motive, Bilder, Begriffe und Ideen aus unterschiedlichen Orten der Vergangenheit werden
in der eigenen Gegenwart reflektiert und auf ihr Verhältnis zum Nationalsozialismus hin befragt. Von der
germanischen Sagenwelt über Richard Wagners Dramatisierungen bis zur Schullektüre der fünfziger Jahre
verfolgt Kiefer die Spuren der Mythen bis in seine eigene Lebenszeit.
Mit allen Mitteln seiner Kunst untersucht Kiefer das Wesen dieser deutschen Mythen, die, fest verankert in
der verhängnisvollen Geschichte der »verspäteten Nation« Deutschland (Helmuth Plessner), für eine ganze
Generation zum Inbegriff des Bösen geworden sind. Das Vorgehen des Künstlers ähnelt in diesem Ansatz
manchen philosophischen und geistesgeschichtlichen Studien, die sich bereits in den dreißiger Jahren, dann
verstärkt seit Ende der fünfziger Jahre, mit der ideologischen Herkunft des Nationalsozialismus befaßten und
zu diesem Zweck Personen und Entwicklungen des 19. Jahrhunderts auf ihre mögliche Vorbereiterfunktion
hin untersuchten."
Kiefers Sujets entstammen besonders häufig der deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts, das eine zentrale
Ebene in der imaginären Geschichtskonstruktion seiner Kunst darstellt. Mit Stoffen, Motiven und Gestalten,
die damals aufgrund ihres – vermeintlich – identitätsstiftenden Gehalts in den Rang von Nationalmythen
erhoben wurden, spielt er auf die kulturelle Mentalität im Deutschland des 19. Jahrhunderts an. Viele der zi-
KUNST
S. 50
tierten Namen und Themen repräsentieren zudem den Weg vom Nationalismus zum Nationalsozialismus, der
in Deutschland mit besonderem Eifer von Künstlern und Intellektuellen gebahnt wurde, welche sich von den
Herrschenden für die >nationale< Sache instrumentalisieren ließen. Das 19. Jahrhundert verleibte seiner um
nationale Identität ringenden Weltanschauung alte Sagen und Überlieferungen wie die Nibelungen oder Hermann, der Cherusker, ein und schuf daraus ein auf irrationale Heldenverehrung gegründetes, fremdenfeindliches und nationalistisches Geschichtsbild, auf dessen Vordenker die Nationalsozialisten ihrerseits zurückgriffen. So bemächtigten sie sich vieler der von Kiefer exemplarisch aufgerufenen »Geisteshelden« als kulturelle
Legitimation ihrer eigenen eklektizistischen Pseudo-Ideologie. Indem die Nationalsozialisten die tradierten
Ideen und Themen aus ihrem historischen Kontext rissen und in den Dienst ihrer verbrecherischen politischen
Praxis stellten, machten sie sie für nachfolgende Generationen unbenutzbar oder doch zumindest fragwürdig.
Dennoch zählten Stoffe wie die genannten in deutschen Nachkriegsschulen zum selbstverständlichen Lektürekanon, und in Bayreuth wurde z.B. 1951 das Festspielhaus mit einer Aufführung des Parsifal wiedereröffnet, als habe man schon vergessen, welche ideologiebildende Funktion speziell diesem Bühnenwerk Richard
Wagners im Nationalsozialismus zukam.
Auch diese Problematik gehört zu den tragenden Pfeilern von Kiefers multidimensionalem Geschichtskonstrukt.
Ein maßgeblicher Faktor in Kiefers künstlerischer Arbeit besteht in seinem zwischen Gegenwärtigkeit und
Erinnerung schweifenden Umgang mit Zeitlichkeit; aus der gleichzeitigen Präsenz verschiedener historischer
Ebenen ergibt sich der mehrdimensionale Charakter dieser Bilder, der als Verräumlichung von Zeit erscheint.
»Für Anselm Kiefer ist die Vergangenheit keine von uns endgültig abgelöste, versunkene Welt. Er sieht ihre
Schichten verflochten mit der Gegenwart und begreift sie deshalb als aussagekräftigen Stoff und schafft
daraus eine neue Bilderwelt, immer darauf bedacht, die Malerei als eine heutige Form des Denkens zu postulieren.« Kiefers künstlerische (Re-)Konstruktion der Vergangenheit geschieht innerhalb eines Denkmodells,
welches er so beschrieb: »Ich denke vertikal, und eine der Ebenen war der Faschismus. Doch ich sehe alle
diese Schichten. Ich erzähle in meinen Bildern Geschichten, um zu zeigen, was hinter der Geschichte ist. Ich
mache ein Loch und gehe hindurch.« Geschichte ist, mit Kiefers eigenen Worten, wie »ein Stoffwechsel«; sie
ist »für mich die brennende Kohle, sie ist wie ein Material.«
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Jeder Mensch steht unter seiner Himmelskugal 1970
Die Milchstrasse, 1985-87
Die Aschenblume, 1983-97
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Gustav Büchsenschütz 1923 „Märkische Heide“
Märkische Heide,
Märkischer Sand
Sind des Märkers Freude,
Sind sein Heimatland.
Refrain:
Steige hoch, du roter Adler,
Hoch über Sumpf und Sand,
Hoch über dunkle Kiefernwälder,
Heil dir mein Brandenburger Land.
Uralte Eichen,
Dunkler Buchenhain,
Grünende Birken
Stehen am Wiesenrain.
Steige hoch . . . . . .
Blauende Seen,
Wiesen und Moor,
Liebliche Täler,
Schwankendes Rohr.
Steige hoch . . . . . .
Knorrige Kiefern
Leuchten im Abendrot,
Sah'n wohl frohe Zeiten,
Sah'n auch märk'sche Not.
Steige hoch . . . . . .
Bürger und Bauern
Vom märk'schen Geschlecht,
Hielten stets in Treu
Zur märk'schen Heimat fest!
Steige hoch . . . . . .
Hie Brandenburg allewege Sei unser Losungswort!
Dem Vaterland die Treue
In alle Zeiten fort.
Steige hoch . . . . . .
Anselm Kiefer:
„Du kannst eine Landschaft nicht einfach malen, nachdem Panzerwagen durchgefahren sind, du musst etwas
damit machen.“
Zum Lied
„Märkische Heide“, oder „märkischer Sand“ sind überlieferte Bezeichnungen für die Heidelandschaft der
früheren Mark Brandenburg. „Mark“ bezeichnet dabei ein Gebiet an der Grenze des eigentlichen Reiches
(Mark Brandenburg an der Grenze Preußens) zum Grenzschutz und als militärischer Aufmarschraum. In den
Marken wurde eine wehrhafte Bauernbevölkerung angesiedelt und zur Verteidigung verpflichtet. Im Verlauf
der neueren Geschichte ist die brandenburgische Heidelandschaft immer wieder Kriegsschauplatz gewesen.
Bereist im 30jährigen Krieg (1618-1648) war das Land schweren Verwüstungen ausgesetzt, die Bevölkerungsverluste werden auf bis zu 50 % geschätzt. Auch während der preußischen Kriege mit Österreich-Ungarn und
der napoleonischen Befreiungskriege zu Beginn des 19. Jahrhunderts zählte die märkische Heide zu den
Hauptkampfgebieten. Das Lied „Märkische Heide, märkischer Sand“ wurde von den Nationalsozialisten als
Marschlied eingesetzt.
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Gergia O´Keefe - Rezensionen und Artikel
DIE ZEIT 1986
Urformen, amerikanisch
Kipphoff, Petra
Sie wurde 98 Jahre alt, und eigentlich hätte sie auch 100 werden können oder älter, in der flirrenden Sonne
als eine jener beinernen Urformen verharrend, die sie selber so oft malte und imaginierte, für ewig in die
endlos weite Landschaft Neu-Mexikos eingehend, die sie so liebte. Geboren wurde Georgia O'Keefe 1888 als
Tochter eines Farmers. Aber ungeheuer energisch ging sie schon in jungen Jahren auf ihr Ziel, Künstlerin zu
werden, zu: Sie studierte ab 1905 am "Art Institute of Chicago", dann an der "Art Students League" in New
York, arbeitete als Illustratorin und Graphikerin, schließlich als Lehrerin, um dann an der Columbia University
in New York weiterzustudieren. Als 1916, ganz gegen ihren Willen, ihre Arbeiten dem Photographen und Besitzer der berühmten Avantgarde-Galerie "291" Alfred Stieglitz gezeigt wurden, nahm ihr Leben die entscheidende Wendung.
Stieglitz war begeistert von den zarten Abstraktionen und der streng wirkenden jungen Frau. In 25 Jahren hat
er von ihr, die 1924 seine Ehefrau wurde, über 500 Photos gemacht, hat über die Jahre hinweg ihr Porträt
zusammengesetzt, geschichtet, wachsen lassen, auch in die Reduktion des Alters hinein. Im Jahr 1949, drei
Jahre nach Stieglitz' Tod, zog Georgia O'Keefe ganz nach Neu-Mexiko, wo sie seit 1929 schon immer einen
Teil des Jahres verbracht hatte. Aus dieser Landschaft, die nicht von Menschen und ihren Bauten zugestellt
ist, stammen ihre aus ausgebleichten Farbschleiern und organischen Formen gefügten Bilder und Aquarelle. In
ihre Mischung aus Sentiment und Distanz sind Georgia O'Keefes halbabstrakte, kühle Hymnen an die Natur
eine sehr amerikanische Form des Romantizismus. Die Künstlerin, die im Alter von 84 Jahren noch einen
jungen Künstlergefährten in ihrer Lebenslandschaft unterzubringen wußte, starb am 6. März in Santa Fé,
Neu-Mexiko.
Aus feminfo (http://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/georgia-okeeffe/) 9.2007
Georgia O’Keeffe
120. Geburtstag am 15. November 2007
Eigentlich wollte sie 125 Jahre alt werden, dann wurde sie doch “nur” 98, aber die große Ausstellung ihrer
Werke zu ihrem 100. Geburtstag im New Yorker Metropolitan Museum hat sie noch selbst mit vorbereitet.
Georgia O’Keeffe ist die bekannteste und erfolgreichste US-amerikanische Malerin; besonders ihre stark
vergrößerten, fast abstrakten Blumenbilder sind weltberühmt. Aber nicht nur als Künstlerin fand sie große
Beachtung. Sie faszinierte durch die Kraft ihrer persönlichen Ausstrahlung, denn sie war “von ungewöhnlicher
Schönheit, Spontaneität, Klarheit des Geistes und Gefühls und von wunderbarer Intensität, mit der sie jeden
Augenblick ihres Lebens auskostete.” (Stieglitz) Sie war schlagfertig und konnte umwerfend direkt sein. Für
die Jüngeren verkörperte sie die unabhängige, kreative Frau, die unbeirrt ihren Weg ging, nie bereit zu Kompromissen, die sie am Malen hinderten.
Sie wuchs als Farmerstochter mit vielen Geschwistern in einer von starken Frauen dominierten Familie auf und
verfolgte schon früh energisch ihr Ziel, Malerin zu werden, studierte in Chicago und New York und schlug
sich als Entwurfszeichnerin und Kunstlehrerin in der Provinz durch. Ihr Leben nahm eine entscheidende Wende, als Alfred Stieglitz, bekannter Fotograf und Besitzer der Avantgarde-Galerie “291”, sich für ihre Bilder
begeisterte und 1917 ihre erste Ausstellung organisierte. Er wurde ihr Förderer und Manager, während sie ihn
zu Hunderten von außergewöhnlichen, sensiblen Akt- und Porträtfotos inspirierte. Trotz dieser intensiven Zusammenarbeit erhielt sie sich immer ihre Unabhängigkeit, auch in ihrer späteren Ehe mit dem dominierenden,
23 Jahre älteren Stieglitz.
Nach einem erfolgreichen Jahrzehnt in New York entdeckte sie 1929 die ihr gemäße Landschaft: New Mexico. Hier begann sie, ihre mythischen, menschenleeren Naturbilder zu malen. Jahrelang pendelte sie zwischen
New Mexico und New York, wo Stieglitz ihre jeweilige Jahresproduktion ausstellte und gut verkaufte. Nach
seinem Tod zog sie für immer nach Abiqiui, ein entlegenes Dorf in New Mexico, wo sie ein altes Farmhaus
gekauft hatte. Sie war fasziniert von der Kargheit, Weite und Unberührtheit dieser Landschaft, die sie malte,
bis in hohem Alter ihre Sehkraft nachließ.
Heute im Zeitalter der Zerstörung der Erde bekommen diese Bilder eine visionäre Bedeutung.
Zitat:
Bevor ich den ersten Pinselstrich mache, frage ich mich: Bin das wirklich ich? Hat mich hier vielleicht ein
Gedanke beeinflußt, den ich von einem Mann übernommen habe? Ich versuche mit allen mir zur Verfügung
stehenden Mitteln, ein Bild so zu malen, dass es ganz allein eine Sache der Frauen und gleichzeitig ganz allein
meine Sache ist. (Georgia O’Keeffe)
Aus: http://www.titel-forum.de/ Zugriff 12.2008
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Die Künstlerin Georgia O'Keeffe schuf sich ihre eigene "Neue Welt"
"Diese Künstlerin ist erst noch zu entdecken!", stellt die Kunsthistorikern Jula Dech in ihrem einführenden
Aufsatz zum Werk der Amerikanerin Georgia O'Keeffe (1887-1986) gleich zu Beginn fest. Das gelte insbesondere für Europa. Doch wer die Bilder von O'Keeffe betrachtet, kann sich des Eindrucks nicht erwehren,
auf eine Künstlerin zu treffen, deren Sujets sowie Ausdrucksweise und Farbwahl dermaßen typisch mittelamerikanisch sind, dass es nicht wirklich verwundert, wie zurückhaltend O'Keeffe in Europa bislang rezipiert
wird. Möglicherweise fehlt den Europäern ein emotionaler Bezug zu den stil-lebenhaften, menschenleeren
Landschaftsarrangements - mit und ohne Tierknochen und -schädel - oder zu der oft süßlich anmutenden
Farbwahl ihrer Blumenbilder. Ein solches Kolorit findet sich aber nicht selten etwa beim allseits beliebten Emil
Nolde. Der Erfolg wäre also vielleicht doch nur eine Frage der PR? Im Kunsthaus Zürich, wo ihre Bilder im
Januar 2004 ausgestellt werden, unternimmt man mit einer umfassenden Auswahl der Werke aus verschiedenen Schaffensperioden einen großen Schritt in Richtung Bekanntheit O'Keeffes. Der kombinierte Text- und
Bildband von Schirmer/Mosel erscheint wie ein passendes Äquivalent für diejenigen, denen jetzt der Weg
nach Zürich zu weit ist oder die sich nicht sicher sind, ob sie schon reif sind für den Kauf eines teuren Katalogs, aber trotzdem etwas Kleines besitzen möchten, um sich weiter mit der Kunst O'Keeffes auseinanderzusetzen.
Ein kleiner Mangel der Ausstellung wie des Bandes: Es werden zu wenige (biografische) Fotos der Künstlerin
gezeigt, die immerhin mit dem Fotografen Alfred Stieglitz liiert war, der sie immer wieder in Szene gesetzt
hat. Der Buchtext von Jula Dech vermag zu informieren und Neugierde zu wecken für eine Frau, die sich
mit ihrer singulären Lebensleistung eigentlich auch im Fokus der in den letzten Jahren aus kunsthistorischen
Zirkeln herausweisenden Vorliebe für scheinbar missachtete oder in zweiter Reihe vergessene Künstlerinnen
befinden könnte.
"Ich habe Blumen gepflückt, wo ich welche fand - habe Muscheln gesammelt, Steine und Holzstückchen,
wo es Muscheln, Steine und Holzstücke gab, die mir gefielen… Als ich die schönen weißen Knochen in der
Wüste liegen sah, hob ich sie auf und nahm sie mit nach Hause… Ich habe mit diesen Dingen zum Ausdruck
bringen wollen, was für mich Weite ist und das Wunder der Welt, in der ich lebe." (Georgia O'Keeffe)
Olaf Selg
Aus: www.kunsthaus.ch 9.2007
Georgia O'Keeffe im Kunsthaus Zürich (24.10.03 bis 1.2.04)
Der amerikanischen Künstlerin Georgia O´Keeffe ging es in ihrer Malerei und Grafik um die Vereinfachung der
Form, die das eigentliche Wesen der Dinge zum Vorschein bringen sollte. Jetzt findet erstmals in Europa eine
größere Einzelausstellung der Künstlerin statt.
Pressemitteilung/Auszug: ". . . Georgia O'Keeffe (1887-1986) gehört zu den grossen Figuren der Kunst des
20. Jahrhunderts. Doch assoziiert ein europäisches Publikum ihre Malerei vorwiegend mit den von Postern,
Postkarten und Kalendern bekannten grossflächigen Blumengemälden, den totemhaften Tierschädeln oder
der mythischen Gestalt der Künstlerin, wie sie in den Fotografien von Alfred Stieglitz erscheint. Selten nur
kann ihr Werk im Original betrachtet werden, denn nie hat ein europäisches Museum ein Bild O'Keeffes
erworben oder eine eigene O'Keeffe-Ausstellung inszeniert. Die meisten der 74 von Kuratorin Bice Curiger
zusammengestellten Gemälde, Kohlezeichnungen, Aquarelle und Skulpturen werden zum ersten Mal im
deutschsprachigen Raum gezeigt.
STIEGLITZ-KREIS
O'Keeffes Aufstieg begann 1916 in New York, als sie zum Kreis um den Fotografen Alfred Stieglitz stiess.
Die Künstlerin, die 1887 auf einer Farm in Wisconsin geboren wurde und ihr Leben zurückgezogen in New
Mexiko beendete, lebte zwar in diesem von Männern dominierten Künstlerzirkel, setzte sich jedoch in ihrer
Haltung und im künstlerischen Ausdruck deutlich ab. Einer künstlerischen Bewegung, einer Gruppe, hat sie
sich nie angeschlossen. Ihr Werk folgt keiner Stilentwicklung, sondern lässt sich allenfalls in Motivgruppen
und Lebensabschnitte gliedern.
EINFLÜSSE DER EUROPÄISCHEN UND AMERIKANISCHEN MODERNE
Früh nahm Georgia O'Keeffe verschiedene Einflüsse, darunter jene der europäischen und amerikanischen
Moderne, später auch der Eingeborenenkultur auf, um einen die fotografische Optik integrierenden eigenen
Weg in der Malerei zu finden und sich von der europäischen Tradition abzusetzen. In der brodelnden Aufbruchstimmung New Yorks am Anfang des 20. Jahrhunderts erfuhr sie ihre künstlerischen Erfolge, malte in
kühnen Formen und Farben die ersten zum Himmel wachsenden Wolkenkratzer oder Blumen in formatfüllendem, extremem Nahblick. Gleichzeitig knüpfte sie innere Bande zur Wüste New Mexikos, deren Weite und
Offenheit sie zu grossartigen Landschaftsbildern inspirierte. Die Reduktion auf das Wesentliche, das Zusammenführen von Nah-blick und Fernsicht, Monumentalität und Intimität werden für O'Keeffes Werk charakteristisch. Ihre Stilisierungen können als Vorläufer der "Pop Art" gesehen werden.
PSYCHE, MENSCH UND ZEITBEZUG
In allen Bildern O'Keeffes ist der Mensch abwesend. Doch nicht das ihn Prägende. Es herrscht ein Schwebezustand zwischen persönlich und überpersönlich, zwischen kollektiv und individuell, zwischen Körperbezug
und Vergeistigung. In den faltigen, gegen den Himmel gesetzten Landschaften New Mexikos, den Fassaden
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wie Schatten, den Variationen von Kreuzen, Tier- und Pflanzenfragmenten sind Zeitbegriffe enthalten: Die
Blumen stehen für das Ephemere, der Himmel und die geologischen Formationen für das Ewige, während
die Architektur sowie die Schädel und Knochen für das dazwischen Liegende, das Hinfällige stehen. In den
monumentalen späten Wolkenbildern scheint sich Georgia O'Keeffe buchstäblich über alles hinwegzusetzen:
alles ist offen und von innerem Licht erhellt."
Aus: http://www.titel-forum.de/modules.php?op=modload&name=News&file=article&sid=1885&mode=thre
ad&order=0&thold=0 9.2007, Zugriff 12.2007
Well! Well! Well!...This is wonderful. No one told me it was like this!"
Georgia found the thin, dry air enabled her to see farther...and at times could see several approaching thunderstorms in the distance at once. She affectionately referred to the land of northern New Mexico as "the
faraway"...a place of stark beauty and infinite space.
Soon after their arrival, Georgia and Beck where invited to stay at Mable Dodge Luhan's ranch outside of
Taos for the summer. She would go on many pack trips exploring the rugged mountains and deserts of the
region. On one trip she visited the D.H. Lawrence ranch and spent several weeks there.
"...There was a long weathered carpenter's bench under the tall tree in front of the little old house that Lawrence had lived in there. I often lay on that bench looking up into the tree...past the trunk and up into the
branches. It was particularly fine at night with the stars above the tree."
While in Taos she visited the historical mission church at Ranchos de Taos. Although she painted the church
as many artists had done before, her painting of only a fragment of the mission wall silhouetted against the
dark blue sky would portray it as no artist had before.
"...I often painted fragments of things because it seemed to make my statement as well as or better than the
whole could...I had to create an equivalent for what I felt about what I was looking at...not copy it."
Being a loner, Georgia wanted to explore this wonderful place on her own. She bought a Model A Ford and
asked others to teach her how to drive. After one particularly exasperating moment, one of her teachers
declared that she was unable to learn the art of driving. Only her determination was to lead to mastering her
machine.
In her yearly visits to New Mexico she would travel the back roads in the Model A...having removed the
backseat, would unbolt the front seat, turning it around so that she could prop her canvas against the back
wall of the car.
Georgia would return to "her land" each summer until Stieglitz's death in 1946, when she would move permanently to her home in New Mexico.
She became fascinated by the large wooden crosses that dotted the landscape, as well as those adoring the
many churches of this region. Many lone crosses were erected by the Penitentes, a secret Catholic inspired
religion that practiced flagellation and mock crucifixion.
"Anyone who doesn't feel the crosses simply doesn't get that country."
During Georgia's second summer in New Mexico she began collecting the dry, white animal bones scattered
over the desert. She would crate up many of them and ship them to Lake George so that she could study and
paint the bones later.
"The bones seem to cut sharply to the center of something that is keenly alive on the desert even tho' it is
vast and empty and untouchable...and knows no kindness with all it's beauty."
In June of 1934 Georgia would visit Ghost Ranch for the first time, and knew immediately that she would
live here. The ranch is located in a remote area approximately 120 miles north of Albuquerque. Among other
guests to visit the ranch were, D.H. Lawrence, Charles and Anna Lindbergh, and Ansel Adams.
"All the earth colors of the painter's palette are out there in the many miles of badlands..."
Georgia purchased the house where she had been staying at Ghost Ranch in 1940, along with the view of
the flat-topped mesa in the Jemez range, called the Pedernal. She jokingly remarked:
"It's my private mountain, It belongs to me. God told me if I painted it enough, I could have it."
In December 1945 she bought an abandoned hacienda in the village of Abiquiu, 16 miles from Ghost Ranch.
The crumbling structures of 5 buildings would go through extensive renovation until completion in 1948.
While Georgia was spending the summer of 1946 in New Mexico, Stieglitz suffered a cerebral thrombosis.
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She quickly flew to New York to be by his side where he died on July 13, 1946. She took his ashes to Lake
George and buried them at the foot of a tall pine tree beside the lake.
As both the inheritor and executor of his estate, Georgia found herself busy the next three winters in New
York cataloging his works and finding suitable institutions for his photographs and writings.
Although separated for long periods of time through the years, Stieglitz had taken care of many business
details for Georgia. She would now have to take on these responsibilities.
"For me he was much more wonderful in his work than as a human being...I believe it was the work that
kept me with him...though I loved him as a human being...I put up with what seemed to me a good deal of
contradictory nonsense because of what seemed clear and bright and wonderful."
Although having a major retrospective at the Art Institute of Chicago in 1943 and later an exhibit at the Museum of Modern Art, she would only have 3 solo shows in the fifties. It was a time of change in the art world
where her work was not considered in fashion.
She would withdraw from the limelight...tending her garden at the Abiquiu home and travelling to Mexico,
South America, Europe, and Asia...often in the spring when the dust storms were so prevalent in New Mexico. When asked why she travelled so much, she would say that she wanted to see if she lived in the right
place.
In 1962 Georgia was elected to the 50 member American Academy of Arts and Letters, the nation's highest
honor society for people in the arts. By the 70's people began to take renewed interest in her work. She was
invited to show at the Whitney and her retrospective exhibit travelled to the Art Institute of Chicago and San
Francisco Museum of Art...setting new attendance records. Her popularity was skyrocketing.
In 1971 Georgia became aware that her eyesight was failing. At the age of 84, she was losing her central vision and only had peripheral sight...an irreversible eye degeneration disease. She would stop painting in 1972.
"When you get so that you can't see, you come to it gradually. And if you didn't come by it gradually, I guess
you'd just kill yourself when you couldn't see."
Juan Hamilton, a young potter, appeared at Georgia's ranch house one autumn day in 1973 looking for work.
She hired him for a few odd jobs and would employ him full time shortly thereafter. He became her closest
confident, companion, and business manager until her death.
"He came just the moment I needed him."
She later dabbled in pottery herself, and had a large kiln installed at the ranch for firing pots. Even with her
dimming eyesight she was inspired by Hamilton and others to paint again. She hired a studio assistant to execute some of her ideas. During this time she agreed to accept interviews and other opportunities. In 1976 she
would write a book, with Juan's help, about her art...and allowed a film crew to do a documentary at Ghost
Ranch.
O'Keeffe's love of Ghost Ranch remained as strong as the first day she had seen it more than 40 years before.
"When I think of death, I only regret that I will not be able to see this beautiful country anymore...unless the
Indians are right and my spirit will walk here after I'm gone."
Georgia became increasingly frail in her late 90's and moved to Santa Fe where she would die on March 6,
1986, at the age of 98. Per her instructions, she was cremated the next day. Juan Hamilton walked to the top
of the Pedernal Mountain and scattered her ashes to the wind...over her beloved "faraway".
Full Bloom: The Art and Life of Georgia O'KeeffeM: Hunter Drohojowska-Philp
DURING THE LATE thirties and throughout the forties, O'Keeffe produced some of her greatest landscapes.
As she well knew, it took her some time to work through the purely objective phase of recording a landscape,
and many of the early landscapes of New Mexico have an unrealized quality to them. The least successful of
these are ploddingly realistic, without the "dream thing" she did to the paintings after she had recorded the
scene. By the middle of the thirties, however, she had achieved a deep intuitive response to the countryside,
and the paintings began to resonate.
During this period, O'Keeffe was painting at her peak, interpreting, again and again, the blissful, rapturous
siopes and shapes and colors around her. She used favorite locations over and over: the high pink cliffs outside her house at Ghost Ranch, composed of layers of windblown sandstone; the strange Aale columns at the
nearby White Place, a sixty-million-year-old formation of white volcanic ash, eroded by wind and water; and
the dark hills at the Black Place, soft mounds of deep-gray gypsum.
O'Keeffe paints a dream landscape, voluptuous, tender, vast. Her renderings of the soft red hills, the pallid
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stone cascades of the White Place, and the slow, dark turmoil of the Black Place all contain a splendid, fluid
grandeur.
To the eye, the pink cliff-structure Stresses horizontal striation. This suggests heaviness, density, a packing
down of substance: these are shapes determined through oppression. In O'Keeffe's paintings, however, oppression is rarely evident. What she chooses to emphasize are the fluid forces—wind and water. She imparts
to the dry stone formations the melting, lapsing, falling characteristics of waterfalls. The pink cliffs are banked
with soft runoffs, which lie in deep piling drifts beneath them. At the White Place, the slim folds of rock stand
in tall, soft pleats like a monumental skirt.
The pink cliffs, the White Place, and the Black Place continue a recurrent theme. As early as 1919, O'Keeffe
had used the image of a fissure in the center of the painting, a narrow crack of vul-nerability that splits the
composition centrally. Starting with the abstractions, the fissure appeared in the torn leaf paintings, the
clamshells, the New York streets, the jack-in-the-pulpits, the corn, the skulls, the dry waterfalls in the pink
cliffs, and the dry, dark hills.
Sara Whittaker Peters, an O'Keeffe scholar, has made a convincing argument for reading many of O'Keeffe's
still lifes as seifportraits. O'Keeffe herself acknowledged that Shell and Shingle was a picture of herself, and
certainly an some level the paintings must be read as references to her state of mind. Despite the image
O'Keeffe presented to the world, that of an indomitable woman, her paintings project a very different
persona. The leaf pictures of the twenties show a fragile presence, torn and broken, often overpowered by
surrounding elements; the birch tree paintings of the saure period disclose a pale, slim body, oppressed by
the overwhelming presence of langer, darker trees and undergrowth. The New York pictures often contain a
small white presence—a street light—dwarfed and frail among the looming black buildings. The narrow black
fissure cleaves the bone in the skull paintings, asserting vulnerability, and in the Black Place series the line
becomes a jagged lightning streak, leading deeper into those rounded dark hills. A line of helpless accessibility
splits all these objects, hard or soff, from top to bottom.
Easi River from the Shelton of 1928 shows a white compote containing a hidden, rounded fruit, the brave
green leaves of which hang beyond the pink rim of the dish. This is placed on a windowsill overlooking the
East River, a gray, srnoky industrial landscape in the background. As a seif-portrait--the Small, concealed fruit
above the cityscape—the work makes a vivid comrnentary on O'Keeffe's life in the City, and the painting
takes on a witty and ingenuous charm. In all these still lifes, a fragile and vulnerable persona, sometimes
cheerful, sometimes threatened, is manifested.
Besides the landscapes, in the Tate thirties O'Keeffe continued to use bones as subjects. Initially she had
placed the bones in a closed interior space or in the abstract limbo of an empty color field. "They were my
symbols of the desert," Georgia said,"
.. my way of saying something about this country which I feel I can say better that way than in trying to
reproduce a piece of it. lt's a country that's very exciting . . . How can you put down the equivalent of that
kind of a world?"
As the decade wore on, O'Keeffe began to find a way of incorporating with the landscape the bones that
she saw as its equivalent. In the mid-thirties she painted the "Skull" series, and later she set the bones of the
body in splendid juxtaposition to the landscape, the s curves of the hills echoing the rounded contours of the
bones. In Red Hills and Bones of 1941, a lang thigh-bone and a set of vertebrae lie in the foreground against
a background of hot russ-red hills. The narrow, jagged spaces between the vertebrae are echoed by the
irregular creases in the hillside. The formal repetition, the tonal similarities, the Iong, sleek silhouettes, and the
smooth, srnooth textures all insist on the deep affinity between the two entities.
During this period, O'Keeffe experimented in using the elements of her old environment set against those
of her new one. Single objects, large flowers and shells, are placed against the red hills. Red Hills and White
Flotter of 1937 and White Shell wich Red of 1938 both set a highly magnified white object, frontally centered, in a background of flaming red. The white objects—the nautilus shell, the rippling jimsonweed—are
utterly clean and rendered with spectacular purity, so that the contrast between them and the hot dry hills is
dazzling.
http://www.ellensplace.net; Auszug aus: http://www.ellensplace.net 9.2007
KUNST
S. 58
KUNST
S. 59
Vincent van Gogh: Leben und Werke
Vincent van Gogh – der Vater der Moderne
• „... die Welt geht mich nur insofern etwas an, als ich sozusagen eine gewisse Schuld und Verpflichtung
habe weil ich nämlich dreißig Jahre lang auf dieser Welt umhermarschiert bin - aus Dankbarkeit ein
bestimmtes Andenken in Form von Zeichen- und Malarbeit zu hinterlassen „nicht geschaffen, um dieser
oder jeder Richtung zu gefallen, sondern um ein aufrichtiges menschliches Gefühl zum Ausdruck zu bringen.“
Vincent (Brief 309)
„Auf dem Punkt, wo ich jetzt bin, glaub ich aber, einen empfundenen Eindruck von dem, was ich sehe,
wiedergeben zu können. Nicht immer buchstäblich genau, vielmehr niemals genau, denn man sieht die
Natur durch sein eigenes Temperament.“ (Brief 399)
• „Meine Pinselführung hält sich an keine bestimmte Technik. Ich haue unregelmäßige Pinselstriche auf
die Leinwand und lasse sie, wie sie sind. Dicke Farbkleckse, unbemalte Leinwandstellen, hier und da eine
völlig unfertige Ecke, Übermalungen, Roheiten; kurz, das Ergebnis ist, fürchte ich, ziemlich beunruhigend
und ärgerlich und wird Leute mit vorgefaßten Meinungen über Technik keinesfalls beglücken ... Ich arbeite immer direkt an Ort und Stelle und suche in der Zeichnung das Wesentliche zu erfassen die Flächen,
die mit Konturen umzogen sind, mit vorhandenen oder nicht vorhandenen, jedenfalls immer empfundenen, die fülle ich dann mit gleichfalls vereinfachten Tönen aus ... Kurz, lieber Freund, jedenfalls keine
Augentäuscher-Malerei.“ (Brief B 3 an Bernard)
Biografisches
Vincent-Willem wird am 30. März 1953 geboren. Die Vorfahren van Goghs waren meist Geistliche, ein Bischof von Utrecht war darunter, Goldschmiede und Kaufleute, drei Onkel sind Bilderhändler
Zunächst beginnt Vincent eine Ausbildung in Den Haag in einer Kunsthandlung, wo später auch sein Bruder
Theo tätig wird. 1872 besucht der 15jährige Theo seinen älteren Bruder in Den Haag, man verspricht sich
feierlich, immer füreinander da zu sein, anschließend beginnt ein reger Briefwechsel, der mehr als 600 Briefe
im Laufe der Zeit entstehen lässt.
Im Jahre 1875 hält er sich erstmalig in Paris auf. Dort brodelt gerade die Diskussion um den Impressionismus und Vincent van Gogh saugt begierig alles auf. Nach mehreren beruflichen Neustarts wird er 1878-80
Missionsschüler in Brüssel; danach arbeitet er als Prediger. Es ist eine Zeit des Umherirrens ohne Arbeit und
ohne Geld. Theo fängt an, ihn zu unterstützen. Er beginnt an der Kunstakademie zu studieren. Nach vielen
schwierigen privaten Situationen, die van Gogh sein ganzes Leben begleiten werden, geht er nach Nuenen
(1883-85), wo fast 200 Gemälde entstehen und zahlreiche Aquarelle und Zeichnungen. Es folgen mehrerer
bedrückende private Situationen (Todesfälle, Ebstreit).
Vincent malt „Die Kartoffelesser“, das Hauptwerk seiner holländischen Periode:
• „Ein Bauernmädchen in seinem staubigen, geflickten blauen Rock und seiner Jacke, die durch Wetter,
Wind und Sonne die feinsten Farbtöne kriegen, ist in meinen Augen schöner als eine Dame (...) Nein,
man muß die Bauern malen, indem man selber einer von ihnen ist und fühlt und denkt wie sie, indem
man nichts anderes sein kann, als man ist.“ (Brief 404)
Zwischen November 1884 und April 1885 schuf van Gogh in den engen und einfachen Behausungen der
Nuenener Bauern rund 200 Werke Skizzen, Zeichnungen und Ölbilder.
Van Gogh will Menschen aus Fleisch und Blut, voller Charakter, in der Wahrheit ihrer konkreten Lebenssphäre. Um solches auszudrücken war er sogar bereit, zu übertreiben.
1885/86 besucht er die Kunstakademie in der Malerei- und Zeichenklasse Antwerpen, lehnt jedoch das
akademische Lehrprinzip ab. Er hat massive gesundheitliche Probleme.
Vincent fährt 1886 nach Paris und studiert im Atelier Cormon und pflegt Freundschaften mit mehreren
Impressionisten (Gruppe „Peintres du Petit Boulevard“). Mehr als 200 Bilder entstanden in den zwei Paris-
KUNST
S. 60
Jahren. Vincent träumt von einer Künstlergemeinschaft in Arles. Auf dem Pariser „Salon des Artistes Indépendants“ werden 1888 drei Bilder von Van Gogh ausgestellt. Van Gogh zieht nach Arles und mietet ein
Haus (das „gelbe Haus“). In Arles entstehen bekannte Bilder wie das des Postmeisters Joseph Roulin, mehrere
Sonnenblumenbilder und (1888) das „Nachtcafé“.
Die Bilder zeigen einen in der impressionistischen Szene unbekannten expressiven Ausdruck:
• „Durch das Leuchten, durch das Zittern und Schwingen unserer Farben“
wollte Vincent das Ewige im Menschen wiedergeben. Es geht hier um ein malerisches Ausloten von Psychischem.
• „Das Bildnis, das Bild mit dem Geist, mit der Seele des Modells.“
und
•
„Da aber nichts der Annahme entgegensteht, dass es auf den zahllosen Planeten und Sonnen ebenfalls
Linien und Formen und Farben gibt, bleibt es uns erlaubt, eine gewisse heitere Ruhe zu bewahren im
Gedanken an die Möglichkeit, dass wir dereinst unter besseren und veränderten Bedingungen des Daseins malen werden eines Daseins, das vielleicht durch Vorgänge verändert wird, die nicht schlimmer oder
überraschender sind als die Verwandlung der Raupe in den Schmetterling, des Engerlings in den Maikäfer.
Dieses Dasein als Maler-Schmetterling würde sich auf einem der unzähligen Sterne abspielen, die uns
nach dem Tod vielleicht nicht weniger unzugänglich sind als im irdischen Leben die schwarzen Pünktchen, die auf der Landkarte Städte und Dörfer versinnbildlichen.“
1890 verkauft van Gogh „Der rote Weinberg“ für 400 Francs, wahrscheinlich das einzige Gemälde, das
Vincent überhaupt verkauft hat.
Einige Bilder zeigen deutlich die Einflüsse japanischer Holzschnitte: Wie vor einem gotischen oder byzantinischen Goldgrund heben sich archetypisch Motive ab.
Gauguin kommt am 23.10. 88 zu van Gogh, die beiden kochen, essen und malen zusammen, ab Dezember
beginnen jedoch die Auseinandersetzungen wegen unterschiedlicher künstlerischer Meinungen. Van Gogh
körperlich und emotional sehr geschwächt - erleidet einen Anfall geistiger Umnachtung und schneidet sich
den unteren Teil seines linken Ohres ab, er wickelt es in Zeitungspapier und bringt es der Prostituierten Rachel
als „Geschenk“ ins Bordell. Vincent kommt ins Krankenhaus, Theo besucht ihn.
Die Bürger von Arles machen 1889 eine Eingabe bei Gericht, van Gogh wegen Gemeingefährlichkeit zu internieren. Sein Haus mit allen Bildern wird kurzfristig von der Polizei geschlossen. Vincent räumt das gelbe Haus
und geht wegen wiederholten schweren Krisen und Ohnmachtsanfällen auf eigenen Wunsch in das Asyl für
Geisteskranke bei Saint-Rémy-de Provence, der leitende Arzt, Dr. Peyron „diagnostizierte“ (heutiger Stand:
Porphyrie - Erbkrankheit des Blutes oder Syphilis oder eine traumatische Neurose). Van Gogh male mehrere
Landschaften:
• „Ich sehe in der ganzen Natur, z.B. in den Bäumen Ausdruck, sogar Seele. (...) Ich habe versucht, in die
Landschaft dieselbe Empfindung zu legen wie in die menschliche Figur; das gleichsam krampfhafte und
leidenschaftliche Sicheinwurzeln in die Erde und ein dabei doch halb Losgelöstsein durch die Stürme. Ich
wollte etwas vom Kampfe des Lebens darin ausdrücken.“
Vincent wird 1989 anfang 1889 aus dem Krankenhaus entlassen, erleidet aber kurz danach einen erneuten
Anfall, kommt wieder ins Krankenhaus, leidet unter Schlaflosigkeit und Halluzinationen, glaubt, man wolle
ihn vergiften.
Am 8. Mai 1889 geht er wegen wiederholten schweren Krisen und Ohnmachtsanfällen auf eigenen Wunsch
in das Asyl für Geisteskranke (Hospital, ehemaliges Kloster Saint-Paul-de-Mausole) bei Saint-Rémy-de-Provence und beginnt, dort zu malen.
Man erlaubt ihm, auch außerhalb des Asylbereichs zu malen. Er erleidet erneut Anfälle, bei dem er giftige
Farben verschlucken will und leidet stark unter den Folgen. In den letzten zwei Monaten seines Lebens malt
er 80 Gemälde. Vincent erschießt sich am 28. Juli 1890.
Landschaften
• „ Ich würde mich nicht wundern, wenn die Impressionisten bald allerlei gegen meine Malweise einzuwenden hätten, die eher durch die Ideen von Delacroix befruchtet ist als durch die ihren. Denn statt
genau wiederzugeben, was mir die Augen zeigten, bediene ich mich der Farbe eigenmächtiger, um mich
stark auszudrücken. (...) Kein Pointillismus, keine Strichelung, nichts flach aufgetragene Farben, die aber
miteinander harmonisieren. (...) Ich merke jedoch , dass alles, was ich in Paris gelernt habe, entschwindet,
und ich komme auf die Ideen zurück, die ich mir früher auf dem Lande zusammengedacht habe, bevor
ich noch die Impressionisten kannte.
Ich halte die beiden Ansichten von der Crau und von der Gegend am Rhoneufer für meine besten Federzeichnungen... Schon öfters habe ich Dir gesagt, wie stark die Camargue und die Crau, abgesehen vom
Unterschied in der Farbe und der Klarheit, mich an das alte Holland zu Ruysdaels Zeiten erinnern.... Diese
endlosen Flächen üben einen ungeheuren Reiz auf mich aus... Du siehst jedoch, dass es keinerlei Effekt
gibt, auf den ersten Blick ist es eine Landkarte, ein strategischer Lageplan, was die Ausführung betrifft.“
Vincent konzentriert sich in der Eintönigkeit des Anstaltslebens ganz auf die Natur und seine Arbeit
KUNST
S. 61
die Landschaftsbilder werden zur leidenschaftlichen Manifestation seiner seelischen Erregtheit, seiner
gespannten Lebenssituation.
Saint-Rémy 1889
„Ich muss unbedingt einen Entschluss fassen, es ist wirklich wahr, dass eine Menge Maler verrückt werden,
das ist ein Leben, das einen, gelinde gesagt, sehr weltfremd macht (...). Beginnen wir mit drei Monaten, danach werden wir weitersehen. Es ist sehr gut möglich, dass ich noch viel zu leiden habe.“
„Hier ist die Wahrheit: eine gewisse Zahl von Leuten von hier hat eine Eingabe beim Bürgermeister (...)
gemacht (es gab mehr als 80 Unterschriften) und hat mich als einen bezeichnet, der nicht in Freiheit leben
dürfe, oder so was Ähnliches.“
„Statt genügend und regelmäßig zu essen, hätte ich mich durch Kaffee und Alkohol aufrechterhalten“ beschreibt er die Vorwürfe des Klinikpersonals im Brief 581. Das alles gebe ich zu, aber um den hohen gelben
Ton zu erreichen, den ich diesen Sommer erreicht habe, habe ich mich eben ziemlich aufpulvern müssen.“
Van Gogh konzentriert sich in schwierigen Phasen seines Lebens auf die Natur. Die Landschaftsbilder werden zur leidenschaftlichen Manifestation seiner seelischen Erregtheit, seiner gespannten Lebenssituation. Die
Außenwelt wird so zum Spiegelbild der Innenwelt.
• „Ich sehe in der ganzen Natur, z.B. in den Bäumen Ausdruck, sogar Seele. (...) Ich habe versucht, in die
Landschaft dieselbe Empfindung zu legen wie in die menschliche Figur; das gleichsam krampfhafte und
leidenschaftliche Sicheinwurzeln in die Erde und ein dabei doch halb Losgelöstsein durch die Stürme. Ich
wollte etwas vom Kampfe des Lebens darin ausdrücken.“
Der Schnitter, Saint-Rémy, 1889
Ein besonderes Landschaftssujet beschäftigte ihn fast die gesamte Zeit seines Aufenthaltes in S-R: der Ausblick aus seinem Schlafzimmer in der Heilanstalt auf ein umfriedetes Feld und die dahinter ansteigende Gegend der Alpilles Außenwelt der häufig schlaflose van Gogh beobachtete hier die Natur:
• „Ich ringe mit einem Bild, das ich ein paar Tage vor meinem Unwohlsein angefangen hatte:
ein Schnitter, die Studie ist ganz gelb, schrecklich dick aufgetragen, aber das Motiv ist schön
und einfach. Ich sehe in diesem Schnitter einer unbestimmten Gestalt, die in sengender Hitze
wie der Teufel dreinhaut, um mit der Arbeit fertig zu werden ich sehe in ihm ein Bild des
Todes in dem Sinne, dass die Menschen das Korn sind, das er niedersichelt. Es ist also, wenn
man will, das Gegenstück zu dem Sämann, den ich früher versucht habe. Aber dieser Tod hat
nichts Trauriges, das geht bei hellem Tageslicht vor sich, mit einer Sonne, die alles mit feinem
Goldlicht überflutet...(...)“
und
• „Uff der Schnitter ist fertg, ich glaube, das ist etwas, was Du Dir in die Wohnung nehmen wirst es ist das
Abbild des Todes, so wie das große Buch der Natur uns von ihm spricht aber was ich darin anstreben, ist
das beinah lächelnd. Es ist ganz gelb, außer einer violetten Hügellinie, ein blasses, blondes Gelb. Drollig,
dass ich das durch die Eisenstäbe einer Irrenzelle gesehen habe!“
Die Landschaft ist an vielen Stellen monochrom gestaltet.
KUNST
S. 62
Die Sternennacht, Juni 1889
So oft als halluzinatorisches oder visionäres Werk beschrieben, ist das Gemälde den starren Methoden der
Kunstgeschichte doch unzugänglich geblieben. Immer galt die „Sternennacht“ als das extremste Beispiel für
van Goghs sogenannten „verrückten“ Expressionismus. Die Stellung des Mondes und der hohe Augenpunkt
der „Sternennacht“ entsprechen weitgehend den topographischen und astronomischen Fakten, die galten,
als das Bild gemalt wurde.
Van Goghs Interesse an Himmelserscheinungen war mehr als nur oberflächlich. In einem Brief an seine
Schwester vom September 1888 schreibt er „dass gewisse Sterne zitronengelb sind, andere leuchten rosa,
grün, blau, vergißmeinnichtfarben. Ich will nicht näher darauf eingehen, aber es liegt auf der Hand, dass es
durchaus nicht genügt, weiße Punkte auf ein blaues Schwarz zu setzen, wenn man einen gestirnten Himmel
malen will.“
Zwei Objekte im Bild kann van Gogh allerdings nicht gesehen haben: das eigenartige serpentinenähnliche
Band in der Mitte des Nachthimmels und die Kirche von Saint-Martin, die im Nordwesten des Asyls liegt und
von seinem Fenster aus nicht zu sehen war. Dass der Künstler die Kirche in den kompositiorischen Mittelpunkt
hob, ist vielleicht das Ergebnis einer inhaltlichen Entscheidung: das von menschlicher Hand errichtete Gebäude sollte mit der Natur konfrontiert werden. Eine genaue Untersuchung des Bildes zeigt, dass die apokalyptische Verzückung sich nicht auf die Kirche, sondern auf die Bewegung am Himmel bezieht. Die Kirche
ist vollkommen niedergedrückt von der explosiven Atmosphäre, während die Zypresse, welche die Form des
Kirchturms wieder aufnimmt, es fertig bringt, sich aus ihrer irdischen Beschränktheit zu befreien und mit dem
Himmel zu verbinden.
Die Zypresse gilt in den Mittelmeerländern als Baum des Todes eine Bedeutung, die van Gogh sehr wohl
kannte, wie seine Briefe aus dieser Zeit zeigen. Zugleich ist sie aber auch ein immergrüner Baum, den die
Römer als Zeichen der Unsterblichkeit um ihre Gräber pflanzten.
• „Die Zypresse ist für die Landschaft der Provence ungemein charakteristisch ... Bis jetzt habe ich sie nicht
so machen können, wie ich sie empfinde; die Erregung, die mich angesichts der Natur ergreift, steigert
sich bei mir bis zur Ohnmacht, und dann folgen etwa vierzehn Tage, an denen ich unfähig zur Arbeit
bin.“
• „Zypressen beschäftigen mich dauernd, ich möchte so was Ähnliches wie die Sonnenblumenbilder daraus
machen, denn es wundert mich, dass man sie noch nicht gemalt hat, wie ich sie sehe. In den Linien und
in den Proportionen sind sie so schön wie ein ägyptischer Obelisk. Und das Grün ist ein so ganz besonders feiner Ton. Es ist der schwarze Fleck in einer sonnenbeschienen Landschaft, aber es ist einer der interessantesten schwarzen Töne, doch ich kann mir keinen denken, der schwieriger zu treffen wäre. Man
muss die Zypressen hier gegen das Blau sehen, in dem Blau, richtiger gesagt.“
Zypressen, Saint-Rémy 1889, Metropolitan Museum
KUNST
Bremer Kunsthalle
Feld mit Mohnblumen, Saint-Rémy, Anfang Juni 1889, Bremen, Kunsthalle
In der Bremer Kunsthalle war das „Mohnfeld“ erstmals im Winter 1910/1911 zu sehen. Die Berliner Kunsthändler Paul Cassirer hatte sie ausgeliehen. In den „Bremer Nachrichten“ stellte Gustav Friedrich Hartlaub,
seit einem Jahr Kurator an der Kunsthalle im Dezember 1910 das „gewaltige“ Werk vor:
• „Eine frappante optische Einstellung, eine besondere Perspektive und eine bestimmte Art des malerischen Vortrags sie bewirken, dass die räumlichen Verhältnisse dieses „Mohnfeldes“ plötzlich zu einem
riesenstarken Bewusstsein kommen. Das räumliche Vor und Zurück wird als Bewegung erfasst: plötzlich
erscheint diese Natur in einem merkwürdigen bewegten Aufruhr. Das Terrain kommt mit seinem Baumwuchs und seinen Blumen hervorgeprasselt und flieht, jagt, galoppiert gewissermaßen in die Tiefe, wo es
verschwindet, ohne dass der Himmel sichtbar wird. Wie in Sprüngen bewegt sich der Pinsel des Künstlers
über die Fläche, wie eine rote Feuerschlange kommt die Flut der roten Mohnblumen daher, und nun
übernimmt in diesem prachtvollen Wirbel der Element auch die Farbe eine Führerrolle.“
Gustav Pauli, seit 1905 Direktor der Bremer Kunsthalle, zögerte nicht. Kurzerhand erwarb er von Paul Cassirer
für 30.000 Mark aus Mitteln des Kunstvereins das „Mohnfeld“.
• „Unsere Galerie ist nicht nur eine deutsche, sie ist eine bremische, denn sie soll auf ihre Art zu einem
Spiegelbild der vornehmen Kultur werden, die in unserer alten Hansestadt einen guten boden findet.
Dabei brauchen wir uns aber nicht auf die heimischen Erzeugnisse zu beschränken. Wir dürfen vielmehr
auch fürderhin im Sinne hanseatischen Weitblicks der ausländischen Produktion innerhalb gewisser Grenzen Zutritt verschaffen.“
Es kommt zu einem „Skandal ums Mohnfeld“ - konservative Künstler argumentieren gegen den Kauf. So
Carl Vinnen in den „Bremer Nachrichten“ ( 3. Januar 1911) mit seinem „Mahnwort an den Kunstverein“.
• „Angesichts der großen Invasion französischer Kunst, die sich seit einigen Jahren bei uns wie in den sogenannten fortgeschrittenen deutschen Kunstkreisen vollzieht, scheint es mir ein Gebot der Notwendigkeit
zu sein, dass deutsche Künstler ihre warnende Stimme erheben. (...)
Seit längerer Zeit kämpfe ich mit dem Entschlusse, Gedanken über die Entwicklung unseres Bremer
Kunstlebens, wie es sich in unserm Kunstverein äußert, öffentlich Ausdruck zu geben Abgesehen von
den langjährigen freundschaftlichen Beziehungen, die mich mit dessen verdientem Leiter, Herrn Dr. Pauli,
verknüpfen, und den Gefühlen aufrichtiger Hochschätzung und Anerkennung, die ich für ihn hege, liegt
die Gefahr nahe, dass meine Worte missverstanden werden...Wer mit so großer Tatkraft wie Pauli an sein
Werk der Erneuerung unserer bremischen Kunstpflege gegangen ist, der musste begreiflicherweise viele
Vertreter und Anhänger des Alten vor den Kopf stoßen. Diese Kräfte haben angesichts der Entwicklung
der Dinge geschwiegen, aber sie sind nur latent geblieben und sie werden bereit sin, sich um eine Fahne
zu scharen, die gegen die jetzige Leitung sich erheben sollte.
• ...wie z.B. der Fall unseres neuen van Gogh zeigt, der 30.000 Mark kostete, dass im allgemeinen eine
derartige Preistreibung französischer Bilder stattgefunden hat, dass hier eine Überwertung vorzuliegen
scheint, die das deutsche Volk nicht auf Dauer mitmachen sollte.“
• „Ein großer Teil der Malereien van Goghs ist im Irrenhause entstanden. Von diesem, vor 21 Jahren verstorbenen und bereits seit mehreren Jahren in Mode gekommenen, unglücklichen und geisteskranken
Maler erwarb der Kunstverein also das Bild „Mohnfeld“ für 30.000 Mark.“
Philipp Sparkuhle, Mitglied des Kunstvereins.
Aus: Matthias Arnold: Van Gogh und seine Vorbilder, München - New York, 1997, S. 164 ff
(…) später kommentierte Vincent dem Bruder sein soeben gemaltes Bild des eigenen Schlafzimmers von dem
er später noch zwei Repliken schuf, unter anderem so: »Schatten und Schlagschatten sind weggelassen, und
die Farben sind flach und einfach aufgetragen wie bei Japandrucken.« (Brief 554) Weitere zwei Wochen später schrieb er Theo in einem Postskriptum: »Freilich, wenn wir auch keine Bilder mit Rahmen produzieren wie
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KUNST
S. 64
diese Holländer, so fabrizieren wir, Du und ich, doch jedenfalls Bilder wie Japandrucke, und dabei wollen wir‘s
bewenden lassen.« (Brief 555)
Van Goghs Arleser Werke: »Bilder wie Japandrucke«. Diese Charakterisierung durch den Maler selbst belegt, wie wichtig die gestalterische Revolution war, die der japanische Farbholzschnitt bei diesem sensiblen,
geschmackssicheren Ausdruckskünstler bewirkt hat. Aus Saint-Remy, wo wieder andere Vorbilder für ihn
wichtig wurden, schrieb Vincent einmal resümierend im September 1889: »Mein lieber Bruder, Du weißt, dass
ich tausend Gründe hatte, in den Süden zu gehen und mich in die Arbeit zu stürzen. Ich wollte ein anderes
Licht sehen, ich dachte, wenn man die Natur unter einem helleren Himmel betrachtete, so bekäme man eine
bessere Vorstellung von der Art, wie die Japaner empfinden und zeichnen.« (Brief 605) Nach zwei Jahren des
Aufenthaltes in seinem »Ersatzjapan« Provence kehrte van Gogh schließlich wieder in den Norden zurück.
Im Jahre 1911 erinnerte sich Emile Bernard an seinen Kameraden van Gogh:
• »Wir hatten uns vorgenommen, zu zeichnen, wie man schreibt, mit derselben Leichtigkeit wie ein Hokusai oder ein Utamaro.
• Wir waren, das muß ich gestehen, glühende Verehrer der japanischen Drucke ... Unaufhörlich sättigten
wir daran Geist und Augen. Diesen Einfluß Japans auf die modernen Künstler darf man nicht vergessen;
er war nützlich, belebend und stellte den Bezug zwischen der Interpretation und dem Sinn für das Dekorative wieder her und befreite seine Bewunderer von der platten Alltäglichkeit und dem stillosen Kopieren der Umwelt. Trotz der Gefahr, dass man uns damit eine jeder europäischen Tradition fremde Form
einflößen wollte, waren wir da in einer guten Schule, denn gerade in der Einfachheit dieser Drucke liegt
ihre reine Kunst, ihre hohe Kultur. Stil ist ihr hervor-stechender Zug, die Farbe schafft Harmonie, und Vornehmheit ist ihr Kennzeichen. Hier verbindet sich das größte Raffinement mit den einfachsten Mitteln.«
Die Beeinflussung durch die Japaner, auf die sich van Gogh in vielen Arleser Briefen berief, ist hauptsächlich
eine mittelbare. Die Sujets, die er sich in Arles suchte, sind »japanisch« zu nennen: Blütenbäume, Brücken,
Boote, Blumen. »Japanisch« beeinflußt sah van Gogh die darzustellende Alltagswelt, »japanisch« war nun
in hohem Maße sein Empfinden vor der Natur. Wichtiger noch als das Inhaltliche wurde ihm in Arles das
Formale. Er übernahm von den Japanern den überraschenden, ungewohnten Bildausschnitt, die asymmetrische Komposition, die Verwendung eines diagonalen Bildaufbaus, gewisse »Vergitterungen« des Bildvordergrundes, das Ersetzen von Räumlichkeit durch die Arabeske und mitunter durch Zweidimensionalität, dann
flächenhafte Stilisierungen, dekorative Bildrhythmisierungen, überhaupt eine gewisse dekorative Raffinesse,
das Ablassen von naturalistischer Nachahmung, ferner weitgehende Schattenlosigkeit, konturierte Farbflächen, die gleichmäßige Stärke und Präsenz der Zeichnung auf allen Bildplänen, strukturierende graphische
Kürzel, schließlich die Autonomie und Gleichrangigkeit von Linie, Punkt, Fläche und Farbe. Auch inspirierten
ihn zweifellos die oftmals mehrteilig angelegten japanischen Farbholzschnitte dazu, seine Bilder als Gegenstücke zu begreifen, sie zu Diptychen oder Triptychen, ja ganzen Dekorationsfolgen anzuordnen.
Wenn van Gogh beispielsweise über seine beiden mit der Rohrfeder gezeichneten großen Montmajour-Panoramalandschaften sagt, sie sähen zwar nicht japanisch aus, seien aber japanischer als andere seiner Arbeiten
(Brief 509), so drückt sich hier aus, was er in der Auseinandersetzung mit jener fernöstlichen Kunst gewonnen
hatte: nichts weniger als seinen eigenen, meisterhaften Stil, seine eigene bildliche Sprache. Die Auseinandersetzung mit diesen japanischen »Vorbildern« war die wichtigste, die entscheidende in seinem Künstlerleben.
Federzeichnung ca.1888
KUNST
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Van Gogh im seinen Briefen
1 1888 an Emile Bernard„:
Meine Pinselführung hält sich an keine bestimmte Technik. Ich haue
unregelmäßige Pinselstriche auf die Leinwand und lasse sie, wie sie
sind. Dicke Farbkleckse, unbemalte Leinwandstellen, hier und da eine
völlig unfertige Ecke, Übermalungen, Roheiten; kurz, das Ergebnis
ist, fürchte ich, ziemlich beunruhigend und ärgerlich und wird Leute
mit vorgefaßten Meinungen über Technik keinesfalls beglücken ... Ich
arbeite immer direkt an Ort und Stelle und suche in der Zeichnung das
Wesentliche zu erfassen – die Flächen, die mit Konturen umzogen sind,
mit vorhandenen oder nicht vorhandenen, jedenfalls immer empfundenen, die fülle ich dann mit gleichfalls vereinfachten Tönen aus ... Kurz,
lieber Freund, jedenfalls keine Augentäuscher-Malerei.“
2 1889 an seinen Bruder Theo:
„Ich sehe in der ganzen Natur, z.B. in den Bäumen Ausdruck, sogar
Seele. (...) Ich habe versucht, in die Landschaft dieselbe Empfindung
zu legen wie in die menschliche Figur; das gleichsam krampfhafte und
leidenschaftliche Sicheinwurzeln in die Erde und ein dabei doch halb
Losgelöstsein durch die Stürme. Ich wollte etwas vom Kampfe des
Lebens darin ausdrücken.“
3 1889 an seinen Bruder Theo:
„Ich würde mich nicht wundern, wenn die Impressionisten bald allerlei
gegen meine Malweise einzuwenden hätten, die eher durch die Ideen
von Delacroix befruchtet ist als durch die ihren. Denn statt genau
wiederzugeben, was mir die Augen zeigten, bediene ich mich der Farbe
eigenmächtiger, um mich stark auszudrücken. (...) Kein Pointillismus,
keine Strichelung, nichts – flach aufgetragene Farben, die aber miteinander harmonisieren. (...) Ich merke jedoch , dass alles, was ich in Paris
gelernt habe, entschwindet, und ich komme auf die Ideen zurück, die
ich mir früher auf dem Lande zusammengedacht habe, bevor ich noch
die Impressionisten kannte.
Ich halte die beiden Ansichten von der Crau und von der Gegend am
Rhoneufer für meine besten Federzeichnungen... Schon öfters habe
ich Dir gesagt, wie stark die Camargue und die Crau, abgesehen vom
Unterschied in der Farbe und der Klarheit, mich an das alte Holland
zu Ruysdaels Zeiten erinnern.... Diese endlosen Flächen üben einen
ungeheuren Reiz auf mich aus... Du siehst jedoch, dass es keinerlei
Effekt gibt, auf den ersten Blick ist es eine Landkarte, ein strategischer
Lageplan, was die Ausführung betrifft.“
4 1889 an seinen Bruder Theo
"Ich möchte Männer und Frauen mit dem gewissen Ewigen malen,
wofür früher der Heiligenschein das Symbol war und das wir durch das
Leuchten, durch das bebende Schwingen unserer Farben auszudrücken
versuchen... Die Liebe eines Paares ausdrücken durch die Vermählung
von zwei Komplementärfarben, durch ihre Mischung und ihre Kontraste, durch das geheimnisvolle Vibrieren einander angenäherten Töne.
Das Geistige einer Stirn auszudrücken durch das Leuchten eines hellen
Tones auf einem dunklen Untergrund. Die Hoffnung durch einen Stern
ausdrücken. Die Leidenschaft eines Menschen durch einen leuchtenden
Sonnenuntergang."
Brief mit Illustration
KUNST
S. 66
Gabriele Münter
Gabriele Münter wird 1877 in Berlin geboren. Ihre wohlhabenden und Neuem
gegenüber aufgeschlossenen Eltern, die ihre Ausbildung zur Malerin unterstützten, sterben früh. Nach einem ersten privaten Zeichenunterricht, dem Besuch
einer Damenkunstschule in Düsseldorf 1897 und einer zweijährigen Reise durch
die USA zieht Münter 1901 nach München. Zu dieser Zeit wurden Frauen jedoch
noch nicht an der dortigen Kunstakademie aufgenommen. Münter setzt daher ihr
Studium an der Malschule des Künstlerinnen-Vereins fort. Sie arbeitete damals eng
mit Wassily Kandinsky zusammen, den sie als Schülerin seiner neu gegründeten
Phalanx-Kunstschule 1902 in München kennen gelernt hatte. Der russische Maler
stand zu dieser Zeit selbst am Beginn seiner Laufbahn, experimentierte mit impressionistischer Plein-Air-Malerei und war von dem Durchbruch zur Abstraktion noch
weit entfernt.
Während ihres ersten gemeinsamen Aufenthaltes in Paris 1906/07 sieht Münter Bilder von Henri Matisse und
den anderen Fauves, was ihren Malstil nachhaltig verändert. Sie schafft zahlreiche Holz- und Linolschnitte, es
entsteht über ein Viertel ihres graphischen Werkes.
Als unverheiratetes Paar ließen sie sich nach langen Reisen 1908 in Murnau nieder, wo Münter ein Haus
erwarb. Der befreundete Maler Alexej Jawlensky berichtete ihnen von den neuesten Kunstströmungen in
Paris, insbesondere der vibrierend-kräftigen Farbmalerei von Henri Matisse. Jawlenskys charismatische Partnerin Marianne von Werefkin fachte die Diskussionen mit ihren Ideen über eine neu zu schaffende, »wahre«
Kunst an. Es herrschte Aufbruchsstimmung: Im künstlerischen Wettstreit schufen Münter und Kandinsky
Landschaftsbilder in leuchtenden Farben, die sich immer mehr vom Naturvorbild lösten. Bei Kandinsky führte
dieser Weg um 1910 zur abstrakten Malerei, für Münter jedoch blieb die Auseinandersetzung mit der sichtbaren Wirklichkeit unverzichtbar. 1911 formulierte sie in einer Tagebucheintragung ihr künstlerisches Ziel: »vom
Naturabmalen ... zum Fühlen eines Inhalts - zum Abstrahieren - zum Geben eines Extraktes«.
Beispiel: Wind und Wolken
G. Münter: Wind und Wolken 1910
Wolken jagen über den Himmel, Bäume biegen sich im Wind. Auf dem Gemälde Gabriele Münters scheinen
selbst die Berggipfel, Hausdächer und Gartenmauern die Bewegung des Sturms nachzuvollziehen, der über
die Landschaft hinwegjagt. Alle Linien schwingen in einem großen, übergreifenden Rhythmus, doch trotz des
dynamischen Gesamteindrucks wirkt die Komposition in sich stabil, jeder Gegenstand unverrückbar. Schwarze
Umrisslinien geben den Dingen Festigkeit, eine eindeutige Form und bilden das Grundgerüst des Bildgefüges.
Hart stoßen die klaren Farbflächen in Blau, Rot, Ocker und Grün aneinander. Gabriele Münter verarbeitete in
diesem Bild einen konkreten Landschaftseindruck, den sie an einem stürmischen Tag des Jahres 1910 in den
Voralpen bei Murnau er-lebte. Dabei verzichtete sie auf alles Unwesentliche, auf störende Details, naturalistische Schattierungen, Farbnuancen und steigerte so den Ausdruck des Bildes. Wolken und Wind ist charakteristisch für Gabriele Münters Stil in den Jahren 1908 - 1910, einer äußerst produktiven und entscheidenden
Phase in ihrer Entwicklung.
Mit Franz Marc und anderen schlossen sich Kandinsky und Münter zur expressionistischen Bewegung Blauer
Reiter, zusammen einer kurzlebigen, aber äußerst einflussreichen Künstlergemeinschaft, deren hochfliegende
Pläne durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs zunichte gemacht wurden.
KUNST
S. 67
Die Künstlerin des „Blauen Reiters“
Das Haus in der Kottmüllerallee, das heutige Münter-Haus, war seit 1909 und bis zur späten Schaffenszeit
Münters Ausgangspunkt für ihre Exkursionen. Münter und Kandinsky waren begeistert von der großflächigen, im Süden von der Alpensilhouette gerahmten Landschaft mit ihren klaren Farben, dem intensiven Licht
und dem darin ruhenden Ort. Der Marktort war seit 1906 von dem Architekten Emanuel von Seidl nach
seiner Konzeption mit farbig-frischen Fassaden, Gewerbeschildern und Baumschmuck verschönert worden.
In dieser Umgebung entstehen in intensiver gemeinsamer Arbeit mit Alexej von Jawlensky und Marianne von
Werefkin zahlreiche Landschaftsbilder und Ortsansichten, die völlig die vorangegangene „spätimpressionistische“, in Spachteltechnik ausgeführte Malerei der Künstler zurücklassen: „Ich habe nach einer kurzen Zeit
der Qual einen großen Sprung gemacht - vom Naturabmalen - mehr oder weniger impressionistisch- zum
Fühlen eines Inhaltes - zum Abstrahieren zum Geben eines Abstraktes“ - so beschreibt Gabriele Münter für
sich diesen Neuanfang.
Gegen Abend, 1909, Privatbesitz
Charakteristisch für dieses Neue ist eine leuchtende Farbigkeit, die kontrastreich und in großflächiger Malweise die auf die Grundform reduzierte Farbigkeit füllt. Die Umrisszeichnung gibt in großen Zügen das Gerüst.
Die weite klare Landschaft, die Straßenzüge und Gebäude des Ortes, Motive des alltäglichen Lebens, der
Blick aus ihrem Haus auf den Ort boten reiche Anregung, diesen Malstil weiterzuentwickeln. Er wird auch
durch die bayerische Volkskunst stark beeinflusst, vor allem durch die volkstümliche bayerische Hinterglasmalerei mit ihren schwarz eingefassten, auf flächig gemalte Hauptformen reduzierte Motiven, die ihrer Vorstellung von Ursprünglichkeit und der ihr gemäßen künstlerischen Form entsprach.
Wind und Wolken, 1910, Sprengelmuseum Hannover
KUNST
S. 68
Murnau
In Murnau und seiner Landschaft hat Gabriele Münter seit ihrem Studienaufenthalt im Sommer 1908 Motive für einen Großteil ihrer Bilder gefunden. Sie malte mit Vorliebe die Häuser und Straßen Murnaus, das
Murnauer Moos und den Staffelsee. Die Landschafts- und Ortsdarstellungen nahmen in ihrem künstlerischen
Schaffen einen besonderen Raum ein. In der Wahrnehmung der Murnauer Landschaft und in Landschaftsstudien begann die Umsetzung neuer künstlerischer Prinzipien wie Abstrahierung, Konturierung, Flächigkeit
und intensive Farbigkeit. In diesen Gemälden lässt sich nicht nur ihre gemeinsam mit Kandinsky, Jawlensky
und Werefkin entwickelte expressionistische Malweise erfahren, es lässt sich auch das Charakteristische des
oberbayerischen Ortes Murnau und seiner heute z.T. unter Naturschutz stehenden Landschaft kennenlernen.
Murnau war zu Lebzeiten Gabriele Münters noch ein kleiner, ländlicher und überschaubarer Ort und spiegelte
eine heute vergangene Zeit: weniger Menschen, Häuser, Straßenverkehr, vor allem von Handwerkern und
Bauern sowie von Villenbesitzern und in der jeweiligen Saison von Sommerfrische- und Wintergästen geprägt.
Gabriele Münter erfasste in ihrer Malerei das Wesentliche, Typische dieser Landschaft und gab es in ihren
charakteristischen, auf das Wesentliche reduzierten Ausdrucksformen wieder. Ihre Malerei spiegelt wiederholt
den Wechsel der Tages- und Jahreszeiten, Wetterstimmungen wie etwa Gewitter, bei Föhn und Tauwetter
etc., die für den Beobachter wie kaum anderwo ausgeprägt und in unerwarteter Vielfalt und Schönheit erfahrbar sind.
Murnau, 1910, Schloßmuseum Murnau
Kandinsky musste 1914 als russischer Staatsbürger in seine Heimat zurückkehren. Obwohl die Beziehung
durch wachsende Spannungen belastet war, rechnete Münter mit seiner Rückkehr, berief sich auf sein einstiges Heiratsversprechen und erwartete ihn ab 1915 im neutralen Schweden.
Kandinsky jedoch heiratete 1917 in Moskau eine junge Russin, was Münter erst wesentlich später erfuhr. Sie
verfiel in tiefe Depressionen und geriet in eine Schaffenskrise. Erst lange danach nahm sie auf Drängen ihres
späteren Lebenspartners, des Privatgelehrten Johannes Eichner, die Malerei wie-der auf. Die Gemälde Kandinskys, die bei ihr zurückgeblieben waren, stiftete sie 1957 zusammen mit eigenen Arbeiten dem Münchener
Lenbachhaus. Ihr Haus in Murnau ist heute ein Museum.
KUNST
S. 69
David Hockney
Geboren 1937 in Bradford, England. An der
dortigen School of Art studierte er von 1953 bis
1957. Bis 1959 arbeitet er in einem Krankenhaus
im Rahmen des National Service als Kriegsdienstverweigerer. 1959 bis 1962 studiert er am Royal
College of Art in London. Hier trifft er Begründer
der englischen Pop Art und sieht Werke des amerikanischen Abstrakten Expressionismus. Ab 1960
beteiligt er sich an Ausstellungen. Die ersten
«Tea Paintings» und «Love Paintings», gemalte
Kompositionen aus Warenimages und Psychogrammen, entstehen bis 1961. In diesen Bildern
ist er der Pop-Art-Bewegung am nächsten. 1961
beteiligt er sich an der Biennale in Paris, erhält
den Guiness Award für Radierungen. 1962 wird
er Dozent am Maidstone College of Art. 1963
reist er nach Los Angeles und trifft Henry Geldzahler, Andy Warhol, Dennis Hopper. Die ersten Duschbilder
entstehen, er entwickelt seinen kalifornischen Stil. 1963 bis 1964 nimmt er eine Lehrtätigkeit an der University of Iowa auf. 1964 übersiedelt er nach Los Angeles, es entstehen die ersten Swimmingpool-Bilder und
Polaroids. Er lehrt an der University of Colorado 1965 bis 1966, an der University of California in Berkley bis
1967. Er reist nach Italien und Frankreich, 1968 auch nach Deutschland und Irland. 1968 übersiedelt er nach
London.
«I paint what I like when I like and where I like» (Ich male was ich will, wann ich will und wo ich will) - ein oft
zitiertes Leitmotiv von David Hockney, das sich auf seinen biografisch geprägten Realismus bezieht. Für Hockney hat seine Biografie eine besondere Bedeutung im künstlerischen Sinn: In dem Buch «David Hockney über
David Hockney» breitet er detailreich die wesentlichen Quellen seiner Bilderwelt aus. Neben privaten Ebenen
spürt er auch diejenigen Einflüsse auf, die mit kunst- und mediengeschichtlichen Aspekten verbunden sind.
Hockney spricht von dem «Gleichgewicht von Form und Inhalt» in seiner Malerei. Weder solle die formale
Ambition den Inhalt überdecken - wie nach seiner Ansicht in manchen abstrakt-expressionistischen Gemälden
-, noch dürfe der Inhalt die Form unterordnen - wie in der viktorianischen Malerei der Jahrhundertwende.
Hockney artikuliert ein Kriterium, das durchgehend in der Pop-Bewegung zu finden ist: die Gleichwertigkeit
aller dinglichen und formalen Erscheinungen im Bild, das Design eines Stuhls, das Gesicht eines Menschen,
die Farbe eines Vorhangs, das Ornament eines Teppichs und undefinierbare, zeichenhafte Elemente.
Hockney hat den für ihn charakteristischen Weg früh erkannt: «Mit elf Jahren beschloss ich für mich, ich
wolle Künstler werden, aber die Bedeutung des Wortes Künstler war mir sehr unklar - der Mann, der Weihnachtskarten machte, war ein Künstler, der Mann, der Plakate malte, war ein Künstler, und sogar der Mann,
der die Beschriftung der Plakate machte, war ein Künstler. Jeder war ein Künstler, der in seinem Beruf einen
Pinsel ergriff und etwas malte... Ich wusste freilich, dass es in Büchern und in Kunstgalerien Gemälde gab,
aber ich glaubte, die würden am Abend gemacht, wenn die Künstler mit ihren Wirtshausschildern oder Weihnachtskarten oder womit sie sonst ihren Lebensunterhalt verdienten fertig waren.» Seine subjektiven Bedürfnisse und Erwartungen trennt Hockney in seinen Arbeiten nicht von den anonymen Vorbildern, die er in der
Aussenwelt vorfindet - die Welt der Reklame, der Verpackungen sowie die Volkskunst und die Bilder von Kindern. Seine Blumensträusse, Palmen, Kakteen erinnern an die anerzogene Biederkeit von Schülerzeichnungen.
Die Naivität in seinen Bildern ist nicht gesteuert oder kalkuliert, sondern aus dem ursprünglichen Bedürfnis
nach Wahrnehmung und eigenem Schaffen herausgewachsen. Ein Selbstporträt aus dem Jahre 1954 zeigt
den 17jährigen wie ein Schulkind, unbeholfen, wie unberührt von allem, aber die Fülle, den Reichtum der
Formen und Farben in seiner Umgebung spürt er in stiller Nachdenklichkeit auf. Die Klarheit der Körperlinien,
die Gleichwertigkeit dekorativer Elemente, der freien Formen und Gegenstände in dieser Zeichnung strahlt
bereits alles das aus, was besonders für die zeichnerische Arbeit Mitte der sechziger Jahre charakteristisch ist:
Wie im atmosphärischen Reichtum badend, nimmt Hockney die Umgebung genau wahr und übersetzt sie in
eine klare, nuancenreiche Sprache, die von seinem ruhigen Temperament geprägt ist.
1960 begann Hockney von seinen persönlichen Erfahrungen auszugehen und Bilder zu malen, die nur mit
ihm zu tun hatten, mit der Aussenwelt, in der er lebte, mit dem, was für ihn wichtig war und ihn interessierte.
Diese Bilder leiteten eine erste Phase seines Schaffens ein, die sich bis 1964 exzessiv und expressiv entfaltete.
Kontrastreich in dumpfen Tönen und grellen roten Leuchtfarben gemalt und aufgebaut in perspektivischen
Disharmonien und kompositorischen Verzerrungen, stellen sie die persönliche Innenwelt unruhigen Aussenwelteinflüssen wie Graffiti oder Werbebildern gegenüber. Die Tea-Paintings(1960/61) zeigen die immer
gleichen Warenhauselemente in Spannungen mit Figuren und freien Farb-Linien und Raum-Bewegungen.
Hockney sieht sich in diesen Bildern «der Pop Art so nahe wie sonst nie». Zur gleichen Zeit entstanden die
Love Paintings, wo körperliche und seelische Empfindungen in eine zeichenhafte, frei assoziierende Bilder-
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S. 70
welt geführt werden. Die Sprache des Designs und der Reklame spielt mit Symbolen der Liebe auf einem
expressiv bewegten Hintergrund. Die private Erfahrung zu objektivieren, ist eines der zentralen künstlerischen
Anliegen Hockneys. Es geht ihm um «erkennbare Elemente» im weitesten Sinn. Ein Hauptwerk dieser Zeit ist
die Radierfolge A Rakes Progress (1961-1963) nach der Oper von Benjamin Britten. Es ist die erste grössere
zeichnerische Arbeit, eine Technik, die für ihn immer wichtiger werden sollte.
1961 reiste David Hockney nach New York; er lernte dort aber nur Claes Oldenburg kennen. 1963 zeigt ihn
ein Foto in Los Angeles mit Andy Warhol und Henry Geldzahler, einem der ersten grossen Beobachter und
Interpreten der Pop Art. 1964 siedelte er nach Los Angeles über und blieb dort bis 1968. Hockney lebte in
Santa Monica und liess sich von dem Milieu der Villen, des satten Wohlstands, von Palmen, Schwimmbädern,
Licht und Hitze in Kalifornien faszinieren. Er beobachtete in Bildern und detailreichen Zeichnungen mit entschiedenen Linien und nuancenreichen Farben das «dolce far niente», charakterisierte die langsamen Rhythmen des Nichtstuns, das lustvolle Auskosten einer paradiesisch-exotisch wirkenden Fülle. Mit den Stimmungen, der Atmosphäre, dem Klima und dem Milieu identifizierte er sich unbekümmert und näherte sich ihm
künstlerisch-sachlich.
Hockney malt in dieser Umgebung in klaren Farben und einfachen Raum-Kompositionen die Wechselwirkungen von Räumen und Licht, von stillem und bewegtem Wasser in farbig ornamentierten Pools, die Muster
von Stoffen, die Wohnrequisiten wie Möbel, Nippes, Haushaltswaren, Duschen - «Die Amerikaner duschen
sich die ganze Zeit. Das wusste ich aus Erfahrung und aus Zeitschriften über Körperkultur.» Seine Bilder schildern einen atmosphärischen Zusammenhang eigenwilliger, auch verquerer Dinge in nüchterner und akribischer Malerei. Die Wahrnehmungen erscheinen wie vernetzt: Die Tatsache, dass «ein Vorhang genau wie ein
Bild ist» und «dass man ein Bild ist» und «dass man ein Bild wie einen Vorhang aufhängen» könnte, fasziniert
ihn. Bilder sind nicht Übersetzer von Illusionen, sondern in gewissem Sinne selbst Realität. Bilder über Wasser
sind «Bilder über Bewegung». Seine Bilder halten gelebte und klischierte Aspekte des Alltäglichen wie in vorübergehenden Stilleben fest.
In den Zeichnungen entfaltet Hockney eine äusserst gegenstandsnahe Sorgfalt. Die Liniensprache kristallisiert
die atmosphärischen, materiellen, äusseren und inneren Befindlichkeiten heraus. Die Linien sind unverrückbar und dennoch sehr behutsam gesetzt, sie reagieren äusserst sensibel auf das Beobachtete, das heisst, sie
thematisieren das Sehen.
Hockneys Beziehungen zu kunst- und kulturgeschichtlichen Aspekten zeigt sein unbekümmerter, aber auch
selbstbewusster Umgang mit fertigen Bildern oder Geschichten. Kinderbücher und Märchenbücher haben ihn
immer wieder fasziniert. Bereits 1961 begann er mit grafischen Blättern zu Spieglein, Spieglein an der Wand
und Rumpelstilzchen. Die kindliche Erlebniswelt wurde ihm als eigene Erfahrung bewusst. Sinnlichkeit und
Einfachheit prägen die Darstellungsweise, die das Besondere im Unauffälligen entdeckt.
An der Fotografie zeigt Hockney die Unwahrhaftigkeit und Künstlichkeit der Medien. Er durchschaut mehr
die Rolle des Betrachters oder des Fotografen, die die Beobachteten und ihr Verhalten beeinflusst. Hockney
fotografierte ständig parallel zu seiner Malerei, entwickelte jedoch erst spät in den achtziger Jahren ein künstlerisch-künstliches Spiel mit der Fotografie. In oft sehr grossen Formaten kombiniert er die fotografischen
Möglichkeiten der Verfremdung, wie Verzerren, Doppelbelichten, Strecken, Überlagern usw. Diese Techniken
beeinflussten dann auch seine Malerei.
Hockneys Beziehungen zur Kunstgeschichte geben ein eigenartiges Bild: 1965 malte er einige abstrakte Bilder,
um - wie er sagte - ein abstraktes Bild als einen Gegenstand begreiflich zu machen. Umgekehrt wirken auf
seine abbildende Malerei deutlich gegenstandsfreie Elemente ein, gerade auch dann, wenn es sich um dekorative und ornamentale Aspekte handelt (Stoffe, Teppiche, Vorhänge). In der Kunstgeschichte interessieren
ihn Pierro della Francesca, Fra Angelico, Pablo Picasso - besonders dessen «klassische» Bilder der zwanziger
Jahre. An der ägyptischen Kunst reizte Hockney nicht die Zeichenhaftigkeit, sondern die unpersönliche Ausdruckssprache, «dass die Bilder frei von jedem Individualismus» sind. «Die anonyme Seite des Künstlers, nicht
die Kunst» war ihm wichtig. Wie kaum ein anderer aber hat gerade David Hockney die Anonymität - ein
wesentliches Selbstcharakteristikum der Pop Art - mit seinen ganz persönlichen Erlebnissen verbunden. Seine
freie wie gegenstandsgebundene Formensprache lässt die verschiedenen Interpretationsebenen verschwimmen.
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Geschichte der Landschaftsmalerei
Landschaft ist ohne die dahinter liegende Geschichte nicht zu verstehen, denn sie verkörpert die Kontinuität
des Wirkungszusammenhanges von Natur und Kultur. Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Lebensweise der Menschen und der sie umgebenden Natur - Kulturen werden selbstverständlich durch die sie umgebende Landschaft geprägt-, dann aber natürlich auch einen ebenso wichtigen Zusammenhang zwischen Kulturlandschaft und den Bedingungen menschlicher Produktion und Reproduktion. So kann vermutet werden,
dass man nicht nur die ökonomischen Epochen anhand der technischen Arbeitsmittel unterschieden werden
können, sondern auch die Kulturlandschaften.
Die frühen Bauten der Menschheit (z.B. Stonehedge) lassen kultische Beziehungen zur Landschaft vermuten:
die Bauten verweisen auf abbildende Beziehungen zwischen Bau und Landschaft (hier etwa eine Waldlichtung). Mit der Sesshaftigkeit, d.h. der Heimat an den Standorten der Produktion zeichnet sich eine andere
Entwicklung ab: der Mensch zielt auf die Naturbeherrschung, sich z.B. im Bau eines Hofes äußernd, der ja
Schutz und klimatische Unabhängigkeit vor und von der Natur gewährt.
Mit der Ausweitung dieser Entwicklung entstehen die Städte, die sich von dem Land abzusondern beginnen
und einen Gegenpol zum Landleben bilden. Die mittelalterliche Agrarwirtschaft formt die Landschaft in einer
spezifischen Weise, die unser heutiges Bild von Landschaft prägen.
Mit der Entfaltung der Städte spitzte sich der Gegensatz zwischen Stadt und Land zu, besonders noch
geprägt durch die sich entwickelnde Spezialisierung in der Naturbeherrschung. Die Natur entwickelt sich zu
einem Gegenstand, den man benutzt, dessen Macht man zurückdrängt und den man verbraucht.
In Anlehnung an die Entwicklung der Städte entstanden Distrikte der Manufaktur, die sich auf bestimmte
Produkte spezialisierten und in den großen Bezirken der Länder mit der buntscheckigen Grundbesitzverteilung
der mittelalterlichen Flure aufräumte.
Im Zeitalter des Absolutismus kündigt sich ein Wandel an. Neben den Veränderungen der Landschaft, die
durch besondere wirtschaftliche Entwicklungen verursacht wurden (so z.B. die Umwandlung von Acker- und
Waldland in Schaftriften in England) werden Vegetationen fremder Länder in Europa eingeführt, die die heutige Vegetation bestimmen.
Offenkundig hat sich die Zusammensetzung der Vegetation in weiten Landstrichen nach wirtschaftlichen
Kriterien von Zeit zu Zeit fast völlig verändert. Stand die Wolle hoch im Kurs, so wurde Weideland bevorzugt.
Kaffee- und Teeplantagen verdrängten große Teile des Regenwaldes.
Walderzeugung scheint für die nächste Stufe der Industrialisierung eine Notwendigkeit gewesen zu sein,
denkt man an die frühe Eisengewinnung und -verarbeitung. Mit dem Abbau von Kohle ändern sich riesige
Landschaftsstriche nochmals.
Die neu produzierte Natur entsprach nicht dem Ideal der freien Natur, die Landschaft wird durch den rapiden
Ausbau der Technologie geprägt: Eisenbahnbau, Kanalisation und Flussregulierung und damit verbunden das
Schwinden der heimischen Landschaft.
Ab nun beherrscht die Landschaft die Vorstellung einer idealen Landschaft - der Blick zurück oder nach vorne
- und all das, was im Gegensatz zur Stadt landschaftliches Ansehen genoss wie etwa das Bauerntum.
Hand in Hand damit entwickelte sich eine Verländlichung der Städte, die Gartenstadtidee entsteht um 1900
und ist immer noch wirksam.
ZUM BEGRIFF DER LANDSCHAFT
Die Landschaft bezeichnete die besondere Beschaffenheit, die charakteristische Ordnung des Landes, einer
Gegend, wie sie von der Natur gegeben war, was den Menschen miteinschloss. Land bezeichnet so einen
Boden, der durch Arbeit zum Land wird., Landschaft die vom Menschen und der Natur gemeinsam gebildete
Einheit.
Im Mittelalter war Landschaft demgemäß ein politischer Begriff, denn er bezeichnete ja auch die Ordnung
des Landes, die ihm ja der Feudalherr gab, ein Zustand, der sich durch unterschiedliche Feudalordnungen
hindurch verändert und erst im 19.Jh. verfällt.
Heute wird Landschaft mehr im wissenschaftlich „wertfreien“ Sinn definiert, aus dem subjektiven und ästhetischen Zusammenhang gelöst, wobei sich die Landschaft als
objektives, durch historische oder geologische Prozesse entstandenes Gattungssubjekt präsentiert. Nicht mehr
der Mensch bestimmt die Grenzen, den Charakter der Landschaft, sondern sie ist etwas, was unabhängig von
Subjekt existiert.
URUK
Ursprünge von Landschaftsdarstellungen finden wir in der Uruk-Periode (3200 v.) usw. bis Assyrien (z.B.
Reliefs von Sargon II in Dur Scharrukin, heute Khorsabad), in der ägypi­schen Kunst , bei den Kretern, bei
den Chinesen. In der griechischen und römischen Antike fin­den wir einige Höhepunkte. Wesentlich für die
Geschichte der abendländi­schen Kunst ist die Verbindung der antiken Tradition zum Mittelalter.
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MITTELALTER
Eine Fülle von Landschaftsdarstellungen bis zum 10. Jh. zeigt das Fortleben antiker Traditionen an; meist
sind die Dar­stellungen allerdings symbolbezogen. In Italien findet sich dann die Wiederentdeckung des Gartens, zunächst an den traditionellen Garten Eden anknüpfend. Die Darstellungen bleiben aber in der Regel in
mittelalterliche Dekorationssy­steme einbezogen (z.B. auf Teppichen).
14./15. JAHRHUNDERT
Mit der Gotik gewinnt die Tafelmalerei zunehmend an Bedeutung. Hier beginnen sich die Gestalten - bisher
durch den Goldgrund in eine höhere Sphäre versetzt - körperlich-plastisch zu runden. Der Goldgrund weicht
einer natürlichen Umgebung mit Pflanzen und Tieren. Man sieht Landschafts- und Innenraumansichten, die
von einer neuen Erzähl- und Detailfreude geprägt sind.
In 15.Jh. richtet sich das Bemühen der Maler darauf, die sichtbaren Welt zu einem räumlich-sichtbaren Kontinuum zu verbinden. Linear- und Luftperspektive bewirken dreidimensionale Scheinbilder, in denen Körper
und Atmosphäre, Nähe und Ferne zu einer Ganzheit verschmelzen: Der Mensch wird zum Mittelpunkt, die
Welt zum Begleitakkord. Daraus ergibt sich die Stellung der Landschaftsmalerei: Sie darf mitreden. In dieser
Funktion wird sie im Norden als Hintergrund für das Heilsgeschehens aufgefasst (K. Witz, J. van Eyck).
Im Süden entwirft Alberti die schmückende, profane Rolle der Landschaftsmalerei. Die gemalte Natur wird
aus humanistischer Sicht radikal verweltlicht und so abgewertet. Sie lässt den Menschen bloß in seiner freizeitlichen Intimsphäre oder in alltäglichen Verrichtungen auftreten.
Konrad Witz (1400-1446) Der wunderbare Fischzug Christi, 1444
1444 gibt Konrad Witz im Wunderbaren Fischzug mit der Schilderung der Pfahlbauten im Genfer See erstmals ein nachprüfbares Landschaftsporträt, und selbst, wenn die Proportionen vom Menschen zu seiner
Umwelt nicht ganz stimmen, wird doch die Raumtiefe zu einem wesentlichen Bestandteil der Bildaussage.
15/16.JAHRHUNDERT
Typisch für den Süden wird die überschaubare, menschenfreundlich gegliederte Landschaft, das Leitmotiv der
italienischen Landschaftsmalerei (in Venedig später auch „Locus amoenus“ genannt, ein angenehmer Ort,
dessen idyllische Einsamkeit zum Verweilen einlädt.)
• Im 15. und Anfang des 16.Jhs. existieren also nebeneinander:
• topografisch aufgefasste Landschaften (da Vinci, Brueghel)
• Landschaften als Metapher (z.B. Naturkatastrophen = Natur = Kräfte, die den Menschen bedro-
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S. 73
hen)
• schöne Natur (als Begleitstimme für den „schönen Menschen“)
Hier sind also bereits die kommenden motivischen Differenzierungen der folgenden Jahrhunderte angelegt.
ZUR GESCHICHTE ARKADIENS
In der siebten Idylle seiner „ländlichen Gedichte“ läßt Vergil den Meliböus erzählen, wie an einem Frühlingsabend der Ziegenhirt Corydon den Schäfer Thyrsis im Wettgesang besiegt hat. Stattgefunden hat dieses
Treffen in einer von Frieden und Lieblichkeit umgrenzten südlichen Landschaft, in einem Sizilien mit viehreichen, satten Weiden, von schattenspendenden Eichenbäumen unterbrochen und belebt von Nymphen an
rohrbestandenen Flussufern. Vergil zeichnet eine Landschaft natürlicher Glückseligkeit- die Verwirklichung
des goldenen Zeitalters- das sich in paradiesischer Unschuld fern von den Konflikten der rauen Wahrheit
erstreckt: das ideale Land Arkadien. Arkadien wird in der Renaissance zum Sinnbild einer agrarischen Lebensform umgedeutet, deren Ordnung als gottgegeben und also natürlich dem Veränderungswillen jener
entgegensteht, die von der Herrschaft ausgeschlossen sind. Der Verweis auf die freie Natur wird hier also
zur Tarnung der wahren Verhältnisse benutzt und gemalte Ideallandschaften, in die Architektur einbezogen,
täuschen schöne Aussichten vor und verdrängen die banale Realität draußen vor die Tür.
IDEALE LANDSCHAFTEN
Die Richtung der idealen Landschaftsmalerei wird im 16.Jh. beschritten, um dann an der Wende zum 17.Jh.
deutlich in Erscheinung zu treten. Aus einer bereits gefilterten Naturerfahrung (der Maler durchwandert
Landschaften und skizziert ausgewählte Teile) wählt der Maler die Elemente seines idealen Landschaftsgemäldes. Der künstlerische Akt bringt hier also eine Natur hervor, die es in der Wirklichkeit nicht gibt, aber geben
könnte, ein Idealzustand des Natürlichen. Spuren der Gegenwart kommen nicht zu Wort. So wird diese Landschaft zum Gleichnis einer Lebensweise, die dem Menschen edle Ursprünglichkeit verleiht.
Im Gegensatz dazu tauchen in den Niederlanden Landschaften auf, die Alltagserfahrungen wiedergeben, die
für jedermann zugänglich sind: Landschaft zwischen Nutzung und freiem Wildwuchs.
Die Ideale Landschaft, für die zwar die Natur mit ihrem Formen das Vorbild bleibt, in der aber diese Formen
aus der Willkür des Zufalls gelöst und in sinnvoller Auswahl zu einer klassisch ausgewogenen Komposition
voller Sonne und Licht zusammengefügt werden; meist, dem Geschmack der Zeit entsprechend, mit biblischer
oder antiker Staffage. Ist diese für die Bildaussage bestimmend, dann spricht man, wobei sich die Grenzen
verwischen, von einer Heroischen Landschaft.
NATURVORSTELLUNGEN DES BAROCK - Bernard de Fontenelle
„Ich stelle mir die Natur als ein großes Schauspiel vor, das einer Oper nicht unähnlich sieht. Von dort aus,
wo sie sitzen, sehen Sie nicht die ganze Bühne, wie sie gemacht ist. Man hat die Kulissen und Menschen so
gestellt, dass sie von weitem einen angenehmen Anblick bieten, und man verbirgt vor ihnen die Räder und
Gewichte, durch die alle Bewegung zustande kommen. Sie kümmern sich auch nicht sonderlich darum, wie
das alles zugeht. Vielleicht sitzt nur ein einziger tüchtiger Werkmeister unter den Zuschauern, der sich bei
einem Aug beunruhigt, dem er ganz außerordentlich erscheint und der durchaus erfahren will, wie dieser
Flug bewerkstelligt wurde. Sie sehen wohl, dass dieser Meister unseren Philosophen sehr ähnlich ist. Allein,
was bei Ihnen die Schwierigkeit vergrößert, ist dieses, dass in den Maschinen, welche die Natur uns vorstellt, alle Seile unseren Blicke vollkommen entzogen sind, so dass man in sehr langer Zeit nicht erraten
konnte, was die Bewegung der Welt verursacht. Denn stellen Sie sich vor, dass sämtliche Weisen, Pythagoras, Platon Aristoteles und alle anderen in einer Oper säßen. Nähmen wir an, dass sie einen Phaeton (d.i.
der Sohn des Sonnengottes Helios) den die Winde in die Höhe trügen, und dass sie weder Seile entdecken
könnten und wüssten, wie der hintere Teil der Bühne beschaffen ist. Der eine von ihnen würde sagen ( es
folgen verschiedene Erklärungsansätze). Endlich kam Descartes mit einigen anderen Neueren, die erklärten:
„Phaeton steigt in die Höhe, weil er durch Seile gezogen wird... (usw.). Wer die Natur so sehen will, wie sie
ist, würde nichts anderes als die Rückseite einer Opernbühne sehen. (Auf diese Weise ist die Philosophie)
so mechanisch (geworden), dass ich glaube, man wird sich deshalb bald schämen. Man wünscht, die ganze
Welt sei eben das im Großen, was eine Uhr im Kleinen ist, und dass in ihr alles auf ordentliche Bewegungen ankomme, die von dem Ineinandergreifen der Teile herrühre.() Die meisten Leute haben falsche Wunderdinge im Kopf. Sie sind in einer Finsternis befangen und verehren sie noch. Sie bewundern die Natur nur
deshalb, weil sie sie für eine Art Zauberei halten, von der man nichts versteht. Und es ist gewiss, dass sie
ein Ding sofort verachten, sobald sie es begreifen.“
Bernard de Fontenelle, Ende 17.Jh.
Niederländische Landschaften 16./17. Jh.
In der niederländischen Kunst, die im 17. Jh. eine nie zuvor dagewesene Fülle auf höchstem Niveau schöpferischer Meister hervorbringt, erhält die Landschaft als ausschließliches Bildthema eine so in die Breite gehende
Bedeutung und Vielgestaltigkeit, dass sie sich einem kurzen Überblick entzieht. Sie füllt eines der umfangreichsten Kapitel in der Geschichte der Malerei, nämlich zu folgenden:
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Genrehafte Landschaftsdarstellung (z.B. Pieter Bruegel)
Landschaft mit weiter Fernsicht (z.B. Joost de Momper)
Flußlandschaften (z.B. Cornelis Vroom), Dünenlandschaft (z.B. Jan van Goyen), Holländische Flachlandschaft (z.B. Hercules Seghers) - die Horizontlinie wird ins unterste Drittel des Bildraums herabgezogen.
Raumgreifende Panoramagemälden (z.B. Aert van der Neer), bei denen die Lokalfarben gegenüber den
Valeurs an Bedeutung verlieren.
Himmel, Licht und das Spiel der Wolken, um das Atmosphärische (z.B. Salomon Ruisdael)
Diese und viele anders Maler sondern sich in Spezialisten für bestimmte Themen, beeinflussen einander
und teilen die Arbeit, indem sie auf dem vorzugsweise von ihnen kultivierten Gebiet, für die Staffage
oder die Vordergrundgestaltung, dem Lehrer oder dem Schüler ihr Können leihen. Sie malen in sachlich
topographischer Abschilderung der Umwelt oder als idealisierend erträumtes Arkadien - oft mit geheimem Hang zum Genre - ihre Küsten-, Weide-, Winter- und Mondscheinlandschaften, einsam ragende
Windmühlen, ausgefahrene Sandwege zwischen Kornfeldern und blühenden Wiesen, nebelverhangene
Waldseen und stille Grachten, in denen sich rote Backsteinbauten spiegeln.
Englands Landschaftsmaler ab dem 18. Jh.
Ausgehend von einer klassisch-idealen Landschaft Mitte des 18. Jhs. Wird in England die Aquarellmalerei in
die große Malerei eingeführt ( Paul Sandby (»The father of English water-color art«). John Robert Cozens
erzielt ganz neuer atmosphärische Effekte - schon ein Vorausahnen des Impressionismus und leitet die von
Stimmungen erfüllter Landschaften ein, die zum Impressionismus hinüber leiten und zu Joseph Mallord
William Turner. In Turner, einem der genialsten und wandlungsfähigsten Landschaftsmaler überhaupt erreicht
die englische Romantik ihren Höhepunkt – mit eigenwilligem Stil und subjektiven Farben.
John Constable bricht mit der Gewohnheit, in der Landschaft nur Skizzen und Studien zu machen, das Bild
später im Atelier zu malen. Er wählt gern schlichte Motive aus seiner engsten Heimat, fordert aber »die
Wahrheit aus erster Hand« und steigert beim Malen unter freiem Himmel durch exakte Naturbeobachtung
auch seine Farben zu einer einzigartigen Unmittelbarkeit und Naturtreue, die ihn zum wichtigsten Vorläufer
der realistischen Landschaftsmalerei werden lassen. Sein Einfluss, vor allem auf die Maler von Barbizon, die
bewusst auf ihn zurückgreifen, bleibt in der gesamten Landschaftsmalerei bis zum Impressionismus wirksam.
Links: Jacob Isaaksz. van Ruisdael, Blick auf Haarlem, 43 × 38 cm, Rijksmuseum, Amsterdam
Rechts: John Constable: Cirruswolken, Öl auf Papier, 1821/22, 11,4 × 17,8 cm
18. JAHRHUNDERT
Gegen die Idee dieser idealen Landschaft tritt gegen Ende des 18.Jhs. ein Subjektivismus an, der diesen
strenge Regeln die Bereiche ursprüngliches Erleben entgegensetzt. Das Suchen nach einer, objektiv gültigen
Wahrheit wird nun vom Leitbild der subjektiv gerechtfertigten Wahrheit abgelöst. Demnach ist Schönheit
nicht von vorgefundenen Modellen abzulesen, sie wird vielmehr im Erlebnis vorgebracht. Die Landschaftsmalerei gewinnt also an Bedeutung. Bizarre und ungewöhnliche Motive werden gewählt, zivilisationsferne
Ursprünglichkeit wird verherrlicht, Ruinen, Abgründe und Einöden dargestellt.
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ÜBER LANDSCHAFT: Salomon Gessner
Meine Neigung ging vorzüglich auf die Landschaft und ich fing mit Eifer an zu zeichnen. Aber mit begegnete, was so vielen begegnet. Das Beste und der Hauptzweck ist doch immer die Natur. So dachte ich und
zeichnete nach der Natur. Aber was für Schwierigkeiten, da ich mich doch nicht genug nach den besten
Mustern in der verschiedenen Art des Ausdrucks der Gegenstände geübt hatte. Ich wollte der Natur allzu
genau folgen und sah mich in Kleinigkeiten des Details verwickelt, welche die Wirkung des Ganzen stören;
fast immer fehlte mir die Manier, die den wahren Charakter der Gegenstände der Natur beibehält, ohne
sklavisch und ängstlich zu sein. Meine Gründe waren mit verwickelten Kleinigkeiten überhäuft, die Bäume ängstlich und nicht in herrschende Hauptpartien geordnet, alles durch Arbeit ohne Geschmack sehr
durchbrochen. Kurz: mein Auge war noch nicht geübt, die Natur wie ein Gemälde zu betrachten, und ich
wusste noch nichts davon, ihr zu geben und zu nehmen da, wo die Kunst nicht hinreichen kann. Ich fand
also, dass ich mich erst nach den besten Künstlern bilden müsse.
(Es folgt eine Belehrung, dass man sich nur nach den besten Meistern zu richten habe)
Ich wagte mich zuerst an Bäume; da wählte ich mir vorzüglich den Waterloo (1)( ). Für Felsen wählte ich
die großen Massen des Berghem(2) und S.Rosa(3) (
usw...).
Jetzt finde ich immer etwas auf meinem Wege. Ich kann oft lange umsonst suchen, um einen Baum zu
finden, der in seiner malerischen Form schön ist. Aber wenn meine Auge gewöhnt ist, zu finden, so find‘
ich in einem sonst schlechten Baum eine einzelne Partie, ein paar schön geworfene Aste eine schöne Masse von Laub, eine einzelne Stelle am Stamm, die, vernünftig angebracht, meinen Werken Wahrheit und
Schönheit gibt.
(Es folgt eine Anleitung zur Komposition von Gemälden, ebenfalls an berühmten Vorbildern orientiert)
Mein ( ) Wunsch ist, dass ein Werk entstehen möchte, worin in jeder Art der Malerkunst die besten Werke
umständlich beschrieben und nach allen Regeln des Schönen untersucht und beurteilt würden; nur
solche, worin die Regeln des wahren Schönen mit dem besten Verstand angebracht sind und aus denen sie
vorzüglich deutlich gemacht werden können.
aus einem Brief an K. Füßli, 1788
Salomon Gessner 1786, Illustration zur Idylle. Kupferstich
LANDSCHAFT UND LANDSCHAFTSFOTOGRAFIE
Die Landschaftsmalerei des ausgehenden 18.Jhs wird geprägt durch die enge Verknüpfung von wissenschaftlicher und ästhetischer Betrachtungsweise. Die exakte Wiedergabe benennbarer Landschaftsausschnitte und Naturgegenstände wird zu einer bedeutungsvollen künstlerischen Aussage und Aufgabe, und
von hier aus führt ein direkter Weg zum fotografierten Landschaftsbild. Kennzeichen dieser Art von Malerei
sind:
• häufig keine hinweisenden Repossoirs im Bild
• alltägliche Gegenden
• „zufällige“, d.h. eine Abkehr von den kunstvollen Landschaftskompositionen verdeutlichenden Ausschnitte
• z.T. ist der Maler selbst im Bild.
Die reale Beschaffenheit der Natur wird zum zentralen Anliegen. Ein besonderer Grund hierfür liegt auch
darin, dass mit der Aufklärung die letzten Reste des Glaubens an den biblische Schöpfungsmythos zweifelhaft
werden. Man versucht, die Welt nicht mehr mit der Offenbarung, sondern mit Wissenschaft zu erklären.
Einen besonderen Platz nimmt hierbei die Geologie ein, die die Landschaftsformationen untersucht. Die
Alpen, die die Entstehung der Erde besonders eindrucksvoll dokumentieren, werden zum Mittelpunkt der
Untersuchungen. Waren die bisherigen Darstellungen der Alpen durch die Wucht und Größe der Berge,
künstlerische Formsteigerungen und Übersichten geprägt, kommen jetzt detaillierte Gletscherdarstellungen
und die Wiedergabe von Gesteinsformationen auf, deren „wissenschaftliche“ Bedeutung man anhand der
Beschriftung erkennen kann: die Bilder werden oft auf die Stunde genau datiert.
Diese neue Form der Alpendokumentation entspricht der wissenschaftlichen Haltung dieser Zeit, der das
objektiv gegebene Ausgangspunkt der Erkenntnis ist. In der äußeren Beschaffenheit der Natur sieht man ihr
innerstes Wesen geborgen, das sich durch exakte Beobachtung erschließen lässt.
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Deutschrömer und Romantiker
Um 1790 kann von einem Neubeginn der deutschen Landschaftsmalerei die Rede sein: panoramahaften
Weiträumigkeit unter einem hohen Himmel und Stimmungslandschaften.
Der Süden beginnt klassizistisch mit heroischen Landschaften (Jacob Philipp Hackert), zur Romantik hinüberleitend, (Joseph Anton Koch) mit monumentaler Gestaltung der Hochgebirgswelt. Die Deutschrömer (z.B.
Karl Philipp Fohr) wählen Motive als Italien.
Ihren Gipfelpunkt hat diese Bewegung jedoch im Norden Deutschlands, wo das kosmische Naturgefühl der
Romantik, von der klassizistischen Landschaft fortstrebend, am ursprünglichsten zum Ereignis wird. Man schildert bisher nicht erfasste, noch stärker differenzierte Erscheinungsformen im Ablauf der Jahres- und Tageszeiten, des Vorfrühlings etwa, des Frühwinters, der Klarheit des Morgens, die Mittagshitze und die Dämmerung,
und sucht in ihnen menschliche Empfindungen, der Vereinsamung, der Melancholie, des Heranwachsens oder
des Absterbens, auszudrücken.
Das bewusst Neuartige, durch gedankliche Überbefrachtung gelegentlich die Grenzen der Malerei Sprengende zeigt sich schon darin, dass der Theoretiker dieser Epoche, Carl Gustav Carus, in seinen »Neun Briefen
über die Landschaftsmalerei« (1815-1824) anstelle des »trivialen« Begriffs »Landschaft« als treffenderen
Terminus »Erdlebenbild« vorschlägt. Er fordert, »Mensch und Menschenwerke... im Erdlebenbild durch die
Erdnatur bestimmt erscheinen« zu lassen, und gibt - im Hauptberuf Arzt, als Maler Autodidakt - traumhaftzwielichtige Landschaftsgemälde, die ihn als Künstler von hohen Graden ausweisen.
Theoretiker, noch vor ihm, ist auch Philipp Otto Runge, der mit den führenden Geistern seiner Zeit über den
Begriff des Romantischen diskutiert und gegen das Historienbild einer Erneuerung der Kunst ganz aus der
Landschaft den Boden bereiten möchte: »Sie greifen falsch wieder zur Historie und verwirren sich. Ist denn in
dieser neuen Kunst - der Landschafterei, wenn man so will - nicht auch ein höchster Punkt zu erreichen, der
vielleicht noch schöner wird wie die vorigen?« Er betont dabei, dass erst aus der Verbindung des geschauten
Gegenstandes mit der durch Anschauung wachgerufenen persönlichen Empfindung eine Komposition entsteht, und klagt: »Es hat noch keinen Landschafter gegeben, der eigentliche Bedeutung in seinen Landschaften hätte, der Allegorien und deutliche schöne Gedanken in eine Landschaft gebracht hätte«. Doch kommt
er selbst, da er kaum 33jährig stirbt, in der Landschaftsdarstellung nicht über die Ansätze hinaus und bleibt in
seinem nur fragmentarischen Werk stärker im Gestalten des Figürlichen und des Ornamentalen.
Komplexer als Maler der Landschaft und im Bewusstsein der Nachwelt der eigentliche Repräsentant der
deutschen Romantik ist Caspar David Friedrich. In seinem OEuvre ist erfüllt, was bei Runge im Theoretischen
steckenbleibt: denn Friedrich begreift die unterschiedlichen Naturstimmungen ebenso als Offenbarung des
Göttlichen wie als Zustände der Seele des Menschen, den er mit Vorliebe als Rückenfigur in den Anblick der
Natur versunkenen wiedergibt (Zwei Männer, den Mond betrachtend). Er ist ganz ein Eigener, lehnt italienische Einflüsse ab und vollzieht die entschiedene Abkehr von der im Süden entstandenen, nach ästhetischen
Gesichtspunkten komponierten idealen Landschaft.
WEISSHORN -ZERMATT Aquatinta von Hans Frey erste Hälfte 19. Jh
Romantik
Die Romantik steht vor dem Problem, dass sich das Landschaftsbild aus äußerlichen Zufälligkeiten zusammensetzt, ihm also die innere Notwendigkeit abgeht (die z.B. das Historienbild in Form des handelnden Menschen
aufweist). Das Ziel der Romantiker ist aber eine Erneuerung der Landschaft und radikale Selbstmitteilung;
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beide Vorhaben müssen also miteinanderverkoppelt werden bzw. sich bedingen. Der umgeworfene Baum
z.B., in der Klassik ein nutzloses Ding, bestenfalls eine Möglichkeit, einen Mastbaum daraus zu verfertigen,
nicht aber, subjektives Empfinden dareinzuprojizieren, wird in der Romantik z.B. zum Sinnbild eigener Einsamkeit. Die Natur wird zum Ausdruck göttlicher Offenbarung und Geordnetheit, die Landschaft zum Behältnis
subjektiver Religiösität. Es entstehen also symbolische Gemälde, die Offenbares verbergen und das Verborgene offenbar machen wollen. Daraus bezieht die romantische Landschaftsmalerei ihre Lizenz zur Vieldeutigkeit. Da kein allgemein festgelegter Bedeutungskodex vorliegt, ist ihm und seinen Interpreten ein breiter
Ermessenspielraum eingeräumt. Die Romantiker treten in dieser Beziehung also eindeutig in Widerspruch zur
idealen und realistischen Position.
Briefe zur Landschaft - C.G.CARUS (1798-1869)
...“der Gesamteindruck, welcher die Form eines Gebirges macht, die eigne Art der Linien, welch die Umrisse bilden, das Verschmelzende oder Rauhe seiner Erhebung usw....“.(kann nicht wiedergeben werden.
Vielmehr gehört hierzu)..“die lebendige Auffassung eines künstlerischen Auges.“
(Wird der).“ eigentümliche Charakter im äußeren einer Gebirgsformation richtig aufgefasst, wird es ferner
möglich werden, zwischen diesem und der inneren Beschaffenheit die geistige Beziehung zu entdecken,
kurz, eine Physiognomik der Gebirge aufzustellen.“
In der äußeren Beschaffenheit der Landschaft sieht man ihr innerstes Wesen verborgen, das sich durch exakte Beschreibung erschließen lässt. Knappe Ausschnitte einer Felsenformation werden so zu repräsentativen
Aussagen über das Wesen von Gebirge schlechthin.
Diese Malerei ist also einem Ideal verpflichtet, dessen Prinzip, die exakte Objekterfassung, auch für die
Naturwissenschaften neue Horizonte erschließt. Das genaue Abbilden stellt somit eine bedeutende Technik
künstlerisch-wissenschaftlicher Annäherung an die Wahrhaftigkeit der Dinge dar- eine bildnerische Aufgabe, für deren Übernahme die Fotografie wie geschaffen erscheinen musste.
Demgemäß wird von den Künstlern das vormalige Landschaftsideal als inhaltslose Form empfunden. VomLandschaftsmaler wird ein größtmöglicher Realismus gefordert, die Künstler ziehen mit ihren Staffeleien ins
Freie und konzentrieren sich auf knappe Landschaftsausschnitte, die Naturformen selbst werden als „kunstschön“ empfunden.
Josef Anton Koch: Der Schmadribachfall, 1794, Aquarell über Bleistift, Feder in Braun, weiss gehöht
Höhe 49.6 cm | Breite 41.3 cm
19.JAHRHUNDERT
Das 19.Jh. tritt mit einer Vielzahl unterschiedlicher Landschaftsauffassungen an. Bestimmend ist jedoch eine
subjektive Sicht: die Landschaft liegt außerhalb der Stadt und wird als ihr Gegensatz definiert und erlebt. Das
Individuum fühlt sich angesichts der Natur frei, und zwar in einer Freiheit, die es in der Stadt vermisst.
Fernow: (Kunsttheoretiker):
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„Auch der gesellige Mensch sucht zuweilen die Einsamkeit und verläßt das Geräusch der Städte, um sich
des Genusses der schönen Natur ungestört zu freuen; aber er flieht nicht in Einöden, die nie ein menschlicher Fuß betrat; er entfernt sich nur aus der Gesellschaft, um seine zerstreuten Kräfte zu sammeln, und
neugestärkt ins thätige Leben zurückzukehren.“
Die Landschaftsmalerei habe „durch Darstellung idealistischer Naturscenen eine ästhetische Stimmung zu
bewirken“, welche eigentlich darin besteht „,dass das Gemüth sich von allen Bestimmungen frei und doch
beschäftigt fühlt.”
Friedrich Caspar David: Kreidefelsenauf Rügen, Öl, Leinwand, 90 X 70 cm, um 1818
Immer wieder wird auf die Verderbtheit der Stadt hingewiesen und je hilfloser sich aber das Subjekt in und
gegenüber der Gesellschaft fühlt, desto radikaler wird sein Ruf nach reiner, elementarer, unverfälschter Natur.
Der Mensch erscheint also nur noch als das reagiernde Subjekt, die Landschaft steht ihm gegenüber. Die
Rolle der Kunst nun ist die der ästhetischen Integration, der Vermittlung des Gegensatzes zwischen Mensch
und Natur.
Die Landschaftsgemälde sind bald nicht mehr identisch mit den Landschaften, sie verselbständigen sich zu
eigenen künstlerischen Formen- die Form und der Gegenstand brechen als Folge dieses Ästhetisierungsprozesses auseinander.
Moderne Landschaften stellen oft keine konkreten Ausschnitte der Natur mehr da, sie spiegeln in erster Linie
das Verhältnis ihrer Produzenten zur Gesellschaft wieder, sich an einer Auseinandersetzung des Künstlers mit
der künstlerischen Tradition orientierend. Landschaft wird hier zu einem Abstraktum, zu einer Spielwiese verschiedener künstlerischer Techniken, nicht mehr bestimmt durch ein fühlendes Subjekt, sondern durch eine
Vorstellung, die mit der Realität kaum noch etwas gemein hat, es sei denn, deren Verunstaltung.
Doch selbst in der Vorstellung wird Natur als die schöne Natur allmählich unmöglich.
Landschaft, Eisenbahn und Impressionismus
Das 19.Jh gewinnt durch die Eisenbahn eine völlig andere Perspektive zur Landschaft. Hatte sich die Reise
durch ein Landschaft bisher als eine von Mühsal, Zeitaufwand und Schweiß gekennzeichnetes Abenteuer herausgestellt, gewinnt eine solche Reise nun den Charakter eine Siesta auf einem Plüschsofa; mit Polstern von
der Gefährlichkeit des Transportmittels abgeschirmt, den Blick auf die Landschaft verwehrt - die Landschaft
verflüchtigt sich hier zu einer flüchtigen Impression - und die Durcheilung der Landschaft schrumpft auf das
Weiterrücken des Uhrzeigers zusammen. Kein Wunder also, dass die Landschaft nicht mehr als das erlebt
wird, was sie einst war; aber auch in der künstlerischen Darstellung lassen sich derartige Elemente wiederfinden, z.B. im Impressionismus.
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Georg Anton Wallis: Schweizer Alpenlandschaft mit Hirtenstaffage (1816)
Die Impressionisten:
Hier geht es um einen primären Abbild­aspekt. Die Wahrnehmung wird auf die Summe von Einzelhei­ten
reduziert. Damit verliert die Landschaft zur Hälfte ihre ge­genständliche Dimension (i.S. von Bedeutung); es ist
gewis­sermaßen zunächst egal, um welche Landschaft es sich da handelt. Natürlich bevorzugen die Impressionisten bestimmte Land­schaften, nämlich solche, die gewissermaßen sorgenfrei sind, nämlich Freizeitlandschaften (Flussufer, Badestand und Gärten). Formal werden die Landschaften vor allem flächig; die
Kompositionen unterscheiden sich nur in wenigen Fällen gravierend von traditionellen Formen.
Schule von Barbizonne:
Die Durchsetzung einer reinen Freilichtmalerei (»Plein-air-Malerei«) vollzog sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts in Frankreich. Die zahlreichen Skizzen und Studien, die in den Jahrhunderten zuvor einer in Öl
gemalten Landschaft vorausgegangen waren, wurden somit überflüssig. Natureindrücke wurden unmittelbar
auf die Leinwand umgesetzt. Entscheidend an dieser Entwicklung beteiligt war die »Gruppe von Barbizon«,
die diesen Namen von einem Dorf am Rande des Forêt de Fountainebleau bei Paris übernommen hatten.
Dort kam seit den 1830er Jahren in den Sommermonaten eine immer größer werdende Gruppe an Künstlern zusammen, die sich, mit wenigen Ausnahmen, ausschließlich der Landschaftsmalerei widmete - die erste
Künstlerkolonie im Sinne der klassischen Moderne. Zur ersten Generation gehörten Theodor Rousseau und
Narcisse Diaz de la Peña.
20.JAHRHUNDERT
Eine neue lkonografie der Landschaft t - van Gogh:
Er sieht die Natur der Dinge in ihrer „kosmischen Kraft“, die Bezüge zum eigenen Leben haben. Deshalb finden wir auch eine Auflösung der impressionistischen Komplexität und die Arbeit hin auf einfache Linien
(gleichzeitig Symbole).
„Die Werke von Van Gogh und Munch hatte ich kennengelernt, begeistert verehrend und liebend...Versuchend arbeitete ich dauernd immer weiter, zuweilen einige leuchtend verbundene Farben ein wenig mir
genügten, und dann wieder war alles dunkel. - Mit den Mitteln des Impressionismus schien mir ein Weg
beschritten, kein Ziel, das mir genügte. Ich möchte so gern, dass meine Bilder mehr sind, keine zufällige
schöne Unterhaltung, nein, dass sie heben und bewegen und dem Beschauer einen Vollklang vom Leben
und menschlichem Sein geben. -Die Urmenschen leben mit ihrer Natur, sind eins mit ihr und Teil vom ganzen
All. I c h male und zeichne und suche einiges vom Urwesen festzuhalten. Die künstlerischen Erzeugnisse
der Naturvölker sind ein letzes Überbleibsel einer Urkunst. Die Kunstäußerungen der Naturvölker sind unwirklich, rhythmisch, ornamental, wie wohl immer die primitive Kunst aller Völker es war - inclusive des
germanischen Volkes in seinen Uranfängen. .- Das Absolute, Reine, Starke war meine Freude, wo ich es
fand, von primitiver Ur- und Volkskunst an bis zur höchsten Trägerin freier Schönheit. - Die Bilder, welche
ich auf den Südseeinseln malte, entstanden künstlerisch unbeeinflusst von exotischer Art zu bilden,...blieben in Empfindung und Darstellung so heimatlich nordisch deutsch, wie alte Plastiken es waren - und
ich selbst es bin. -Alles Ur- und Urwesenhafte immer wieder fesselt meine Sinne. Das tosende Meer ist
noch im Urzustand, der Wind, die Sonne, ja der Sternenhimmel wohl fast auch noch so, wie er von 5000
Jahren war.“
Die Landschaften des 20.Jahrhunderts sind zu verschieden, als dass man sie in einen Topf werfen könnte. Es
seinen deswegen nur einige Glanzlichter herausgestellt:
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Landschaften um die Jahrhundertwende:
Neoimpressionistische Dekoration, Blut-und Boden-Landschaften, Jugendstil-Tümpel-Landschaften mit sich
aalenden Elfen - mehr erbauliche Landschaften für das gehobene Bürgertum zweiter Generation.
Paul Gaugin: Matamoe, 1893, Öl auf Leinwand
Landschaften mit expressionistischem Einschlag:
Hier finden wir (mit Ausnahmen: Futurismus z.B.) beeindruckende Landschaften im Sinne einer Idee-Landschaft; das kann man natürlich auch auf das Gebirge übertragen; manchmal sind die „heile Landschaften“
mit kleinen nackten Figuren bevölkert.
Landschaften nach dem ersten Weltkrieg:
Landschafen sind aber sehr selten geworden. Wir finden z.B. einige in der neuen Sachlichkeit (Kanold), bei
den Surrealisten, angefüllt mit disparaten Elementen, die uns auf eine höhere, tatsächlich existierende
Realität hinweisen sollen; abstrakte Bauhauslandschaften, die von mystischen Guruvisionen bis hin zu architektonisch begriffener Landschaft reichen. Schließlich noch die nationalsozialistische Landschaftsmalerei mit allegorischen Landschaften, die „Urweihen natürlicher Ordnung“ wiedergeben sollen. Georgia
O´Keefe gestaltet neue mythologischen Landschaften in New Mexiko.
Landschaften nach dem zweiten Weltkrieg:
Neben tachistischen Wirrwarr-Bildern, aus dem man nur vom Titel her die Landschaft herauslesen kann, findet sich im Prinzip erst mit der Pop-Art in Sachen Landschaft wieder etwas an, die der Reklame- und Medienwelt entsprießen (Comic-Landschaften von Lichtenstein etwa), die uns entweder in unserem Konsumrausch
aufrütteln sollen, oder die der Künstler aus einem inneren Bedürfnis heraus formuliert (was aber an dem
Phänomen selbst nichts ändert). Es folgen die Landschaften der Photorealisten. Daneben gibt es Land-Art
usw. bis zu Videos. Ein herausragender Vertreter neuer Landschaftskunst ist Anselm Kiefer.
In der UDSSR und in der DDR finden wir eine einmalige Situ­ation vor. Hie gibt sie nämlich „ sowohl die
unberührte wie auch die durch die schöpferische Arbeit des Menschen des Menschen umgestaltete Natur
wieder und erzieht mit ihren Werken zur naturbejahenden, sinnenfrohen Heimatliebe“ (Lexikon der Kunst).
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Topothesie
Das Wort Topothesie bedeutet im Griechischen so etwas wie "lebhafte Erzählung von einem aufregenden
vorgestellten Ort".
Beispiel: Die Landschaft ist wie auf den mittelalterlichen Bildern als Topothesie gestaltet. Ein schmaler rahmenparalleler Streifen deutet den Boden an, zwei bis drei Bäume markieren vor homogener blauer Himmelsfolie den Locus amoenus (lieblichen Ort). Der Baum vorn rechts freilich ist, vergleicht man ihn mit jenen auf
der „Frühlingslandschaft” der „Carmina Burana”, der botanischen Realität schon stärker angenähert.
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Topografie
Unter Topographie versteht man die Gesamtheit aller Erscheinungen des Geländes eines Landes oder Kontinentes. So z.B. die Höhenunterschiede aufgrund von Bergen und Tälern, das Vorhandensein verschiedener
Gewässer wie Flüsse, Wasserfälle und Seen sowie die Erschließung durch Straßen und Wege. Man kann im
weiteren Sinne auch von „Landesnatur“ sprechen.
Topographie in der Malerei ist gleichsam Porträtierung einer Landschaft. Für einen Grundbesitzer zum Beispiel
stellte ein topographisches Gemälde eine Aufzeichnung seines Besitzes dar, prosaisch und realistisch; ein Reisender betrachtete es einfach als Erinnerung an eine bestimmte Gegend.
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Immersion
In einem gewissen Sinne sind alle Medien Immersionsmedien, Sie bündeln die Aufmerksamkeit und fordern
ein Abblenden der eigenen und umgebenden Wirklichkeit. Das trifft zu auf Bild- und Schriftmedien und
andere Arten der Inszenierungen wie religiöse Riten, Theater, Musik, Schaustellungen aller Art usw. (z.B. Museen, Erlebnisparks). Von der Felsenmalerei über die Erfindung der Hieroglyphen und der Schrift, der Zentralperspektive, den Buchdruck, des Panoramas und seiner Weiterentwicklungen, über die Fotographie und den
Film bis zu digital erzeugten virtuellen Realitäten nimmt das Immersionserlebnis zu.
„Immersion“ (lat. immergere) meint das Eintauchen oder Versinken in einer anderen Erlebniswelt. Eine totale
Immersion setzt voraus, dass alle Bezüge zur realen Welt abgebrochen werden. Je perfekter die Ersatzstimuli
der virtuellen Realität sind, desto mehr ist ein Mensch davon überzeugt, dass alles real erlebt wird und „desto
weniger kann der Mensch unterscheiden, ob er sich in einem eingetauchten oder einem aufgetauchten Zustand befindet.“
Romantik
In der Romantik war der Begriff der Immersion unbekannt, aber Gegenstand der Reflexion bei Dichtern,
Schriftstellern, Philosophen und Malern und die Illusionsmöglichkeiten selbst werden zum Thema.
Der Name „Romantik“ bezieht sich auf die literarische Form des Romans. Er war der Inbegriff alles Poetischen, eine Art zu denken, die etwas produziert und gleichsam ihren Stoff selbst hervorbringt: „Erfindungskunst ohne Data“ (Novalis).
„Ohne Data“ bedeutet, das sich die Kunst nicht auf fertige Elemente stützt und die Bedeutung sich erst im
Kontext der Zusammenstellung ergibt.
Die entsprechende Landschaft Friedrichs wird auch als „Kompositlandschaft“ bezeichnet. Natur- und Architekturstudien, Blumen, Kräuter, Bäume, Gesteins-, Landschafts-, Gebirgsformationen, Fischernetze, Ruinen,
Gebäude, Personen usw., werden mehrfach und in unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet und auch
verändert. So werden die verwendeten Elemente innerhalb der Bildkomposition zu Daten, zu Elementen
künstlerische Produktion, die sich selbst zum Gegenstand der Reflexion machte.
Was die Romantiker hier leisteten Aufklärung im eigentlichen Sinne, nämlich Aufklärung über eine Täuschung, wie sie auch von Kant thematisiert wird.
Er zeigte, dass wir nicht die Dinge an sich erkennen, sondern lediglich die Dinge, wie sie uns auf Grund
unserer Erkenntnismöglichkeiten und -bedingen erscheinen. Er entlarvte die naive Ansicht, dass wir die Welt
erkennen wie sie ist, als Verblendung. Und so ist für die Romantiker jede Form geistiger Produktion eine Produktion von Schein, einschließlich der „Wirklichkeit“.
Aber in der Kunst verfügen wir freier über diese Möglichkeiten als in unserer alltäglichen Wirklichkeit. Und so
signierte und untertitelte Friedrich seine Werke nicht - er setzte auf den Betrachter. Es soll nur andeuten vor
allem geistig aufregen und der Phantasie Spielraum geben.
Landschaften
Seit dem 15. Jhd. bemühen sich die Maler sich darum, die sichtbaren Welt zu einem Zusammenhängenden zu
verbinden, z.B. mit Hilfe der Linear- und Luftperspektive. Es entstanden scheinbar dreidimensionale Bilder.
Der Bildraum, den die Linearperspektive eröffnete, ist vergleichbar eines starren Blickes aus einem Fenster.
Der Beobachter blickt unbewegten Auges durch ein Fenster, welches der Bildrahmen markiert. Der Rahmen
ist das Portal, durch das hindurchgeblickt werden kann.
Auch der Blick in eine Ideale Landschaft soll eine Landschaft zeigen, als gäbe es diese Landschaft und nähme
der Betrachter den Betrachterstandpunkt außerhalb dieser Landschaft ein.
Kant und die Vernunft
In seiner „Kritik der reinen Vernunft“ macht Kant ein für alle mal klar, dass wir die Dinge nicht so sehen wie
sie an sich sein mögen, sondern wie sie uns auf Grund unserer Anschauungsbedingungen erscheinen.
Der Fensterblick der Linearperspektive erwies sich nicht als objektiver Blick, sondern als subjektiv verzerrter
Blick auf die Dinge, als Erscheinung und die Objektivität bezieht sich nun auf die subjektiven Wahrnehmungsmöglichkeiten eines Individuums.
Panoramen
Die 380-Grad-Ansicht des Panoramas suggeriert so etwas wie einen freien Blick. Der Betrachter kann frei
umherschweifen als befände er sich in einer freien Landschaft; er ist nicht „festgenagelt“ wie in den zentralperspektivischen „Fensterbildern“. Er betrachtet gefahrlos gewaltige aber gezähmte Bilder – ähnlich wie der
mitreisende Professor Arronax in Jules Vernes 20.000 Meilen unter dem Meer. Das Panorama ist das neue
Medium eines distanzierenden Blicks auf die Welt. Leid und Elend, Aufregendes, Gefährliches ereignen sich
anderswo, aber nicht an dem Ort der eigenen Existenz.