Von der juristischen Anspruchsmethode zum Konfliktmanager
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Von der juristischen Anspruchsmethode zum Konfliktmanager
Studienpraxis Ad Legendum 2/2015 stieg nicht erforderlich ist. Wir bieten Interessierten gerne Praktika an, um erste Einblicke zu bekommen. Stellt sich das aktuelle Patentrecht Ihrer Meinung nach als zukunftsfest dar oder besteht möglicherweise Reformbedarf, so wie es aktuell immer wieder gefordert wird? Das Patentrecht als solches ist unseres Erachtens zukunftsfest, zumal durch die Durchsetzungsrichtlinie und deren Umsetzung vor einigen Jahren bereits einige notwendige Änderungen erfolgt sind. Die Frage ist eher die nach der Praxis insbesondere der Erteilungsbehörden. Es wird verstärkt die Frage laut, ob Patente nicht „zu einfach“ erteilt werden und dem hohe Vernichtungszahlen gegenüber stehen. Wird manchmal der Patentschutz aufgrund von Firmeninteressen überstrapaziert bzw. instrumentalisiert? Wo sehen Sie dort eine Grenze des Schutzumfangs? Die Durchsetzung von Patenten ist ein wichtiger Motor für Innovation, denn nur wenn sich die Kosten für Forschung und Entwicklung amortisieren, wird 169 auch weiter geforscht und entwickelt. Insofern ist ein Einsatz von Patenten für die Zwecke des Patentinhabers gerade Sinn und Zweck des Patentsystems. Deshalb stehen die Interessen des Patentinhabers an einer Nutzung des Patentschutzes für die eigenen Firmeninteressen natürlich im Vordergrund. Die Grenzen der Durchsetzung werden durch die Normen und die Rechtsprechung zur Bestimmung des Schutzumfanges, zu den Voraussetzungen der Schutzfähigkeit und auch etwa zu den kartellrechtlichen Schranken definiert. Die Klärung der Frage, wo die Grenze zwischen dem berechtigtem und vom Patentsystem gewollten Schutz des Patentinhabers und den Interessen der Allgemeinheit bzw. des Wettbewerbs im Einzelfall verläuft, verlangt die Bewertung komplexer rechtlicher und technischer Sachverhalte. Genau diese Fragen werden typischerweise im Patentverletzungsverfahren geklärt. Dabei gibt es sicherlich Fälle, in denen das Ergebnis als „Überstrapazieren“ des Patentschutzes oder im Gegenteil als „Unterstrapazieren“ des Schutzes empfunden wird - jedenfalls von der unterlegenen Partei. Dies ist jedoch kein Problem des Patentrechts, sondern ein generelles Phänomen, welches bei der Entscheidung komplexer juristischer Wertungsfragen nicht zu vermeiden ist. DER RECHTSANWALTSBERUF Dr. Reiner Ponschab* Von der juristischen Anspruchsmethode zum Konfliktmanager – Anforderungen an künftige Anwälte Richard Susskind1 sieht das Ende der Anwaltschaft nahen, wenn sich deren Ausbildung2 und Tätigkeit nicht ändern. Durch den bevorstehenden Wegfall des Rechtsberatungsprivilegs der Anwaltschaft würden immer mehr Kanzleien aufgeben müssen, zumindest im Bereich kleiner und mittlerer Kanzleien. Ist das zu schwarz gesehen? Vermutlich ja. Doch auch ernst zu nehmende Stimmen der deutschen Anwaltschaft weisen auf die drohenden Veränderungen und die daraus entstehenden Folgen hin: „Hält diese Entwicklung an, so ist eine radikale Marktveränderung, verbunden mit einem heute noch unvorstellbaren Kanzleisterben, nicht auszuschließen - am Ende könnte eine flächendeckende Rechts- versorgung nicht mehr gewährleistet sein. Das klingt unvorstellbar, ist bei Ärzten aber schon Realität.” 3 Nachfolgende Gedanken sollen darauf aufmerksam machen, dass Anwälte durch zusätzliche Kenntnisse * 1 2 3 Dr. Reiner Ponschab ist Senior Partner von Ponschab und Partner Mediatoren und hat zuvor über 30 Jahre als Partner in einer größeren Wirtschaftskanzlei gearbeitet. Susskind, The end of lawyers? Rethinking the nature of legal services, University Press, Revised edition, 2010. Juristenausbildung ist vor allem Anwaltsausbildung (Stand 2010): Von ca. 235 .000 Volljuristen in Deutschland sind 25.000 Richter und Staatsanwälte (11 %), 35.000 im Öffentlichen Dienst (15 %), 25.000 in der Wirtschaft (11 %), 150.000 Rechtsanwälte (63 %). So Rechtsanwalt und Notar Herbert P. Schons, Duisburg Mitherausgeber des Anwaltsblatts in DAnwBl, 2013. 170 Ad Legendum 2/2015 und Fähigkeiten ihre Kompetenzen stärken und dadurch ihren Tätigkeitsbereich gegenüber der gegenwärtig überwiegend praktizierten Anspruchsmethode erweitern könnten. A. Anspruchsdenken- Die juristische Methode der Konfliktbehandlung4 Studienpraxis den bedeutet aber oft nichts anderes als Erschöpfung der Parteien, der finanziellen Mittel oder des Rechtsweges. Fight for peace nennt man das wohl. Kaum einer beschreibt diesen Kampf besser als Rudolf von Ihering: „Das Mittel aber, wie verschiedenartig es auch gestaltet sein möge, reducirt sich stets auf den Kampf gegen das Unrecht. Im Begriff des Rechts finden sich die Gegensätze: Kampf und Frieden zusammen - der Frieden als das Ziel, der Kampf Mittel des Rechts, beide durch den Begriff desselben gleichmäßig gesetzt und von ihm unzertrennlich(…) Der Kampf ist mithin nicht etwas dem Recht Fremdes, sondern er ist mit dem Wesen desselben unzertrennlich verbunden(…)“ 8 I. Die juristische Methode als Kampf ums Recht Als Quintessenz einer mehr als 35-jährigen Tätigkeit als zivilrechtlich tätiger Anwalt5 in einer Großkanzlei, Aus- und „Um“bilder zahlreicher junger Kollegen, Dozent an Hochschulen im In- und Ausland und Seminarleiter hatte ich ausreichend Möglichkeit, mein eigenes Denken und das anderer Juristen zu studieren. Dabei kam ich zu dem Ergebnis, dass Anwälte neben der Fähigkeit zu strukturiertem Denken meist ein Verhalten auszeichnet, das ich als „Beissreflex“ bezeichne. Hierunter verstehe ich den Umstand, dass der Anwalt eine Person, die dem Interesse seines Mandanten zuwider handelt, im Regelfall als Gegner empfindet und sie im Regelfall auch so nennt. Woran könnte das liegen? Wohl daran, dass der Anwalt wie alle anderen Juristen seit Jahrhunderten an den Universitäten im Anspruchsdenken ausgebildet wird und seinen Beruf auch so praktiziert. Die Fragen, die sich der Anwalt bei den Konflikten seines Mandanten stellt, lauten: „Wer hat etwas falsch gemacht? Wer ist schuld? Welchen Anspruch kann ich geltend machen? Wie kann ich ihn beweisen?“. Es ist eine Ausprägung anwaltlichen Denkens, dass an allen negativen Geschehnissen irgendjemand schuld sein muss.6 Es geht also letztlich darum, den „Schuldigen“ für ein Ereignis festzustellen, gegen ihn einen Anspruch geltend zu machen und diesen zu beweisen. Dieses aktionenrechtliche Denken wurde schon von den römischen Juristen praktiziert und von ihren mittelalterlichen Nachfahren in dem berühmten Merksatz „Quis, quid, a quo, qua causa?“ zusammengefasst. Auf Deutsch: “Wer kann was von wem, aus welchem Rechtsgrund verlangen?“. Die Professoren Bucher (ein Schweizer) und Wiegand (ein Deutscher), haben die Eigenart dieses Denkens so beschrieben: „Die Beherrschung der Technik der Konflikt-Entscheidung ist auch außerhalb eigentlicher Streitsituationen immer noch das Hauptelement des beruflichen Handwerkszeugs... Im Mittelpunkt dieses dem aktionenrechtlichen Denken entstammenden Vorgehens steht die Frage nach der Durchsetzbarkeit von Rechten oder Ansprüchen, weshalb sie auch die Anspruchsmethode genannt wird.“7 Anwälte wollen und sollen nicht verständnisvoll diskutieren, sondern (das Gericht) überzeugen. Sie haben festgestellt, dass der, der Ansprüche begründen kann, Recht bekommt. So ist man erfolgreich im Kampf ums Recht, dem Mittel, um das Recht durchzusetzen und damit den „Rechtsfrieden“ herzustellen. Rechtsfrie- In mehr als 30 Jahren anwaltlicher Praxis ist es mir allerdings nicht gelungen, eine Partei zu treffen, die nach einer Niederlage vor Gericht dessen Weisheit gepriesen und die Entscheidung als gerecht und richtig akzeptiert hätte. Schauen wir uns die Auswirkungen des Anspruchsdenkens einmal an einem kleinen Beispielsfall an: Sie – der Mandant – kommen emotionsgeladen in das Zimmer des Anwalts und berichten davon, dass Ihr Nachbar Ihre Frau beleidigt habe. Der Anwalt fragt: „Können Sie beweisen, dass diese Äußerungen gefallen sind? Gibt es Zeugen für den Vorfall?“ Da sind Sie als Mandant erst einmal ziemlich enttäuscht, weil Sie gerne von den gesamten Untaten des Nachbarn erzählen möchten, nämlich, dass der Nachbar ein schlimmer Bursche ist, der ständig seine HiFi-Anlage so laut aufdreht, wenn er auf der Terrasse sitzt, dass Sie nicht einmal bei geschlossenem Fenster schlafen können und... und... Das zu erzählen, haben Sie gar keine Chance, weil der Anwalt sich offensichtlich nicht für ihr ganzes Problem interessiert, sondern nur unverständliche Fragen stellt. Was macht er? 4 5 6 7 8 Eine ausführliche Schilderung der juristischen Methode findet sich in Ponschab/Schweizer, Kooperation statt Konfrontation: Neue Wege anwaltlichen Verhandelns, 2. Aufl., 2009. Wenn ich nachfolgend von „Anwalt“ spreche, meine ich den zivilrechtlichen Anwalt, Ähnlichkeiten bei anderen Anwälten sind allerdings nicht zufällig. Besondere Vorbilder hierfür sind wohl die amerikanischen Anwälte, die für Ihr Begehren auch immer wieder Gerichte finden, die in unseren Augen seltsame Ansprüche bejahen. So trugen sie beispielsweise zum ewigen Ruhm der 81-jährigen Stella Liebeck bei, die 1992 einen Becher Kaffee beim Autofahren zwischen den Schenkeln einquetschte und sich den Kaffee, den sie zuvor bei Mc Donalds erworben hatte, prompt beim ersten Bremsen über die Beine schüttete und anschließend angeblich 2.9 Millionen Dollar Schadenersatz erhielt, weil sie nicht auf die Tatsache hingewiesen worden sei, dass der Kaffee heiß ist. Aufgrund dieses Vorfalls wird nun jährlich der Stella-LiebeckPreis an diejenigen verliehen, die im jeweils vergangenen Jahr mit genialer Unverfrorenheit Schadenersatz gerichtlich forderten und erhielten. Bucher/Wiegand, Übungen im Obligationenrecht: Fallsammlung mit Lösungsvorschlägen, 1. Aufl., 1985; zwischenzeitlich erschienen in 3. Auflage 2001 mit Markus Reber. Jhering, Der Kampf um‘s Recht, 1872. Studienpraxis Er reduziert den ihm vorgetragenen Lebensausschnitt auf juristisch relevante Sachverhalte, subsumiert diese unter die in Betracht kommenden Rechtsnormen, findet und begründet die Ansprüche seines Mandanten und sucht die Entscheidung beim Richter. Er skelettiert – notgedrungen - den Lebenssachverhalt zum Gerippe des anspruchsbegründenden Sachvortrags. Der Student erhält in seiner Übungsklausur diesen skelettierten Sachverhalt bereits „anspruchsfertig“ serviert, um nach Ansprüchen suchen zu können. Und so wird es auch der Anwalt des Nachbarn machen. Beide Anwälte werden vorbildlich nach den Regeln ihres Berufsstandes vorgehen, aber trotzdem den Konflikt nicht lösen. Im Gegenteil: Der Streit eskaliert und, artet mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Kampf oder gar zum Krieg aus. Zu einem Krieg, den man mit Savigny als den „Kampf ums Recht“ bezeichnen könnte. Die Anspruchsmethode führt auch für die Wirtschaft zu Ergebnissen, die zunehmend Probleme bereiten. Bei einer Unternehmensumfrage 2014 bei 120 Unternehmen in Bayern9 begründeten die befragten Unternehmen ihre Unzufriedenheit mit der Konfliktentscheidung durch ein Gericht u.a. damit, dass zwar der konkrete Rechtsstreit gelöst werde, aber nicht der dahinterstehende Konflikt (76,8 %). II. Die Überzeugungen hinter der juristischen Methode10 Der Grund liegt nach meiner Meinung nicht nur in der juristischen Methode, sondern auch in den Überzeugungen, die dieser Methode zugrunde liegen. 1. Der Glaube an eine objektive Wirklichkeit Richter und Anwälte versuchen, so etwas wie eine objektive Wirklichkeit aus dem herauszufiltern, was die Parteien als subjektive Darstellung schildern, als ob es hinter der subjektiven Wahrnehmung von Lebensumständen eine objektiv feststellbare Wirklichkeit gäbe. Dabei wird ein Teil der Lebenswirklichkeit, auf den es den Parteien ankommt, völlig ausgeblendet. Im Gegensatz zu dieser absoluten Betrachtungsweise steht die Auffassung der Konstruktivisten, die davon ausgehen, dass es keine objektive, sondern nur eine subjektive Wirklichkeit gibt, die der Betrachter selbst erschafft („konstruiert“). Sie nehmen Abschied von der Annahme einer existenten objektiven Wirklichkeit und wenden sich ganz der Untersuchung zu, wie der Beobachter die Welt wahrnimmt. Auch die Naturwissenschaften folgen dieser relativierenden Ansicht seit der Formulierung der Relativitätstheorie durch Einstein im Jahre 1905. Einstein hat festgestellt, dass alles, was wir über „die Welt“ aussagen, abhängig ist von unserem Standpunkt: Wenn eine Person einer anderen Person einen Ball zuwirft, so sieht die Flugbahn des Balles für einen irdischen Beobachter wie ein Bogen aus. Für einen außergalaktischen Ad Legendum 2/2015 171 Beobachter wäre die Flugbahn, bedingt durch die Bewegung der Erde, des Sonnensystems und unserer Galaxis, eine komplizierte Schraubenbahn und einem Menschen, der auf dem Ball säße, würde die einfache Parabelbahn, die der irdische Beobachter wahrnimmt, durch die Rotation des Balles wie eine Achterbahnfahrt vorkommen. Wahrheit ist also immer relativ zum jeweiligen Bezugssystem zu sehen und so etwas wie eine objektive Wahrheit gibt es nicht. Das Problem ist, dass die juristische Methode schon zweitausend Jahre vor den Konstruktivisten und Einstein entstanden ist. Für die juristische Betrachtung gibt es immer noch objektive Wirklichkeit, richtig und falsch, Recht und Unrecht. 2. Der Anwalt ist der „Legionär“ seines Mandanten Der Anwalt ist in den uns bekannten Rechtsordnungen parteiischer „Interessenvertreter“ seines Mandanten. In dieser Stellung sieht er seine Rolle darin, dass er seinen Mandanten als exzellenter Kampfgefährte zum Sieger und die Gegenseite zum Verlierer macht. Doch manchmal fühlen wir uns nach einem Sieg vor Gericht an den berühmten Spruch von König Phyrrhus von Epirus erinnert, der nach seinem Sieg über die Römer zu seinem Berater gesagt hat: „Noch so ein Sieg und wir sind verloren“. 3. Der Anwalt ist vergangenheitsorientiert Bei unserer Analyse der anwaltlichen Arbeit haben wir herausgefunden, dass der typische, erfolgreiche Anwender der juristischen Methode fragt, ob für ein vorgefallenes Verhalten ein Anspruch existiert und wie dieser Anspruch zu begründen sei. Der größte Teil des Buchbestandes eines Juristen besteht aus der Sammlung von Bänden, in welchem ein Gericht von gestern über einen Sachverhalt von vorgestern geurteilt hat. In England können Urteile, die einen Prozess der Gegenwart entscheiden sollen, hunderte von Jahren alt sein. 4. Der Anwalt sucht nach den Fehlern anderer Parteien Der Anwalt ist bestrebt, seinen Anspruch zu begründen und den Anspruch der Gegenpartei zu entkräften. Dabei empfiehlt es sich, nichts ungeprüft zu lassen. Der Anwalt, der mir die Kunst der Jurisprudenz beigebracht hat, schottete sich einmal in einer großen Kartellsache von der Außenwelt ab und arbeitete hunderte von Ordnern Blatt für Blatt durch. Schließlich fand er nach drei Wochen einen Vermerk, der die Kartellstrafe seiner Mandantin von einer hohen zweistelligen Millionenzahl auf wenige Millionen reduzierte. 9 IW Consult, Evaluation des Rechts- und Justizstandorts Bayern. 10 näher dazu Ponschab/Schweizer, Kooperation statt Konfrontation: Neue Wege anwaltlichen Verhandelns. 172 Ad Legendum 2/2015 Sein Ruf bei der Mandantin war ab diesem Zeitpunkt wie Donnerhall. Nach all diesen Erfahrungen begannen wir uns dafür zu interessieren, welche anderen Ansätze zur Konfliktbehandlung es neben der juristische Methode gäbe. Gibt es vielleicht eine Methode, mit der ich mein Ziel erreichen kann, ohne die andere Seite zum Verlierer stempeln zu müssen? B. Die kooperative Methode – eine Alternative zur juristischen Konfliktbehandlung Was passierte, wenn man versuchte, herauszufinden, was die Konfliktparteien (wirklich) wollen, also nach deren Interessen fragte und nicht, wer recht hat. Unter Interessen verstehen wir Werte und Bedürfnisse, Grundmotive menschlichen Handelns, die die Frage nach dem „Warum?“ eines konkreten Verhaltens beantworten. Die Lösungen, die aus den Antworten auf diese Frage resultieren, richten sich nach vorne, in die Zukunft. Wir nennen dieses zukunftsorientierte und interessenbasierte Vorgehen die kooperative Methode11. Sie fragt nach den Interessen, Motiven, Bedürfnissen, also dem, was hinter einer Position steckt. Wenn die Interessen der Parteien klar sind, werden die Parteien hieraus häufig Lösungen entwickeln können, die alle Beteiligten zufrieden stellen. Denken und Handeln der kooperativen Methode funktionieren also anders als die Juristische Methode, sie folgen vielmehr einem konträren Paradigma: – Statt in der Vergangenheit nach dem Schuldigen für den Konflikt zu suchen, fragt die kooperative Methode nach Lösungen für das aufgetretene Problem. – Statt auf Standpunkten zu beharren versucht man, die unterschiedliche Sichtweise des Anderen zu verstehen. – Statt dem Richter den Konflikt zu überantworten, lösen ihn die Parteien selbstverantwortlich. – Statt nach Ansprüchen zu suchen, sucht man nach Interessen und Bedürfnissen der Parteien und nach Lösungen, die die Interessen (aller Beteiligten!) erfüllen. Statt sich auf die Fehler des Anderen zu konzentrieren versucht man, eine gemeinsame Lösung zu finden.Vielleicht wird der Unterschied der Methoden an einem kleinen Beispiel klar: Eines Tages kam meine Sekretärin in mein Zimmer und forderte mit einem ultimativen Unterton in der Stimme:„ Ich brauche mehr Geld“. Ich war schon versucht, zu antworten: „Sie wissen doch, dass wir gerade eine Erhöhungsrunde der Gehälter hatten, bei der auch Ihr Gehalt erhöht wurde, außerdem müssten wir dann alle Gehälter erhöhen. Eine Gehaltserhöhung kommt also nicht in Frage.“ Gerade rechtzeitig biss ich mir auf die Zunge und fragte sie, was der Grund für dieses ungewöhnliche Verhalten sei. Sofort klagte sie mir ihr Leid, dass ihr ständig Kollegen Diktate kurz vor Ablauf ihrer Ar- Studienpraxis beitszeit mit dem Hinweis auf den Tisch legten, dieses Diktat müsse unbedingt noch heute (meist wegen Fristablaufs) geschrieben werden. Da ich meine Sekretärin als einsatzbereite Mitarbeiterin und „Anwaltsversteherin“ kannte, wollte ich natürlich vor dem Hintergrund, dass Überstunden stets in Freizeit ausgeglichen wurden, wissen, was denn daran so schlimm sei. Den Tränen nahe und sehr aufgewühlt erklärte sie mir, dass sie ihr Kind zu einer bestimmten Zeit vom Kindergarten abholen müsse und sie daher stets unter Stress gerate, wenn sie befürchten müsste, wieder einmal ihr eingeschüchtertes Kind von aufgebrachten Kindergärtnerinnen „ausgehändigt“ zu bekommen und dabei erneut an die Abholzeiten erinnert zu werden. Sie brauche das Geld, um eine „Abholperson“ zu engagieren. „Wenn ich Sie richtig verstehe, geht es Ihnen also gar nicht so sehr um mehr Geld, sondern darum, dass ihr Kind betreut wird und Sie sich nicht den Ärger der Kindergärtnerinnen zuziehen.“, sagte ich. „Ja, das stimmt, aber dazu brauche ich halt mehr Geld“ erwiderte meine Sekretärin. „Lassen Sie uns einmal nachdenken, vielleicht finden wir da noch eine andere Lösung“ beharrte ich und wollte mich, da wir das Interesse erkannt hatten, nicht gleich auf eine einzige Lösung festlegen lassen. Nach einigem Nachdenken und Herumfragen fanden wir dann schließlich eine Option , die allen Interessen (Sichere Abholung des Kindes ohne Gehaltserhöhung) gerecht wurde: Die Frau eines unserer Kollegen hatte ihr Kind im gleichen Kindergarten und erklärte sich bereit, das Kind meiner Sekretärin immer dann mit sich nach Hause zu nehmen, wenn sie wieder einmal durch ihre Büropflichten aufgehalten wurde. Was ist da geschehen? Statt nach einem Anspruch zu fragen haben wir das Interesse herausgefunden und dann eine Lösung gefunden, die den Interessen der Beteiligten entsprach. C. Konfliktdiagnose: Die richtige Methode für den Konflikt Gemäß dem Satz :„ Wer gut mit dem Hammer umgehen kann, sieht jedes Problem als Nagel“ wird ein Anwalt den ihm vorgetragenen Sachverhalt im Regelfall nach der beschriebenen Anspruchsmethode prüfen und im Regelfall wird der Mandant zunächst auch nichts anderes erwarten, wenn er das Büro eines Anwalts betritt. Wenn er aber dann erlebt, dass unter diesen Prämissen Lösungen herauskommen, die er vielleicht gar nicht will, das Recht aber keine anderen Ergebnisse zulässt, könnte bei ihm Unzufriedenheit entstehen, etwas, was gemeinhin als Rechtsverdrossenheit bezeichnet wird. Kann und darf man von einem Anwalt überhaupt erwarten, dass er einen ihm vorgetragenen Fall mit anderen als mit dem von ihm im Studium erlernten An11 Alles Weitere dazu in Ponschab/Schweizer, Kooperation statt Konfrontation: Neue Wege anwaltlichen Verhandelns. Studienpraxis spruchsdenken löst? Im Regelfall nicht, wenn er sich nicht in anderen Konfliktlösungen fortgebildet hat. Die einfache Wahrheit ist: Das Recht kann nur Lösungen anbieten, die das Gesetz vorsieht. Deshalb gibt es keinen Rechtsanspruch auf Entschuldigung, Anerkennung, Freiheit etc., also Grundbedürfnisse, die oft hinter einem geltend gemachten Anspruch stehen. Hier spürt der sensible Anwalt das Ende seiner juristischen Fähigkeiten. Wie wäre es dagegen, wenn der Anwalt zunächst die Natur des Konflikts und die dahinter stehenden Beweggründe diagnostizierte und dann eine „Therapie“ vorschlüge, die diese Umstände berücksichtigt.12 Ein Beispiel für ein solches Vorgehen ist das vom Harvard-Professor Frank Sander 1976 auf der PoundKonferenz in seinem Vortrag „Varieties of dispute processing“13 vorgestellte „Multidoor- Courthouse“: Bei diesem Modell untersucht das Gericht die eingehenden Fälle in einem Eingangsverfahren nach Kriterien wie Dauer, Kosten, Einbindung der Öffentlichkeit, Erhaltung der Beziehung, Präzedenzbedeutung, Eskalationsstufe, Ziele der Parteien, Zahl der Problemfelder etc. und stellt fest, welches Konfliktlösungs- oder Entscheidungsverfahren sich zur Behandlung dieser Sache am besten eignet. Viel sachgerechter schiene es, wenn dieses „Conflict Screening“, also die Konfliktdiagnose nicht erst beim Gericht, sondern dort erledigt würde, wo Konflikte meist auflaufen: beim Anwalt. Aber kann der Anwalt das überhaupt? Im Regelfall eher nicht, denn diese Fähigkeit wird ihm weder in der Universität noch in der Referendarsausbildung vermittelt, ebenso wenig wie das Generieren interessengerechter Lösungen oder das erfolgreiche Plädieren und andere social skills, wenn man einmal von den geringen und von manchen Professoren wenig geschätzten Ausbildungsangeboten zu Schlüsselqualifikationen absieht. Um den Anwalt zum professionellen Konfliktlöser14 auszubilden, bräuchte es eine zielgerichtete Fortbildung, wie sie von Großkanzleien ihren jungen Kollegen vermittelt wird, um ihnen ein solides Handwerkszeug an die Hand zu geben, das ihre soft skills fördert und ihnen eine Konfliktdiagnose ermöglicht. So äußert sich die Personalverantwortliche von Baker McKenzie , Claudia Trillig, in einem Interview, nachdem sie die Bedeutung von soft skills für die Bewerberauswahl betont hat: „Genau hier liegt allerdings die Crux: Soft Skills stehen häufig nicht auf dem Lehrplan der Schulen und Universitäten. Daher hat beispielsweise unsere Kanzlei das Ruder selbst in die Hand genommen: Wir lehren selbst Nachwuchsjuristen früh in Sachen Soft Skills und tragen auf diesem Wege dazu bei, diese Ausbildungslücke zu schließen“ 15 Es fehlen also Türhüter, die die Tür zur richtigen Konfliktbehandlung öffnen - und nicht wie in Kafkas „Der Prozess“- den Eintritt Suchenden vor der (richtigen) Tür abweisen. Welche Türen könnten sich da neben der klassischen juristischen Methode in Richtung auf eine autonome Ad Legendum 2/2015 173 Konfliktlösung noch öffnen?16 Ohne die einzelnen Methoden an dieser Stelle vertiefen zu wollen und zu können, seien die wichtigsten genannt: – (Kooperatives) Verhandeln17 – Moderation – Schlichtung (ohne bindenden Vorschlag) – Adjudikation18 – Mediation19 D. Ablauf einer Wirtschaftsmediation als Beispiel eines Verfahren der kooperativen Methode Beispielhaft für ein autonomes Verfahren möchte ich hier den Ablauf einer Wirtschaftsmediation skizzieren. Kern dieses Verfahrens ist es, Konflikte auf der Basis von Verhandlungen durch Principled Negotiation zu einer interessengerechten Lösung zu führen. Dabei gelten im wesentlichen folgende Prinzipien: – Die Sichtweise des anderen verstehen – Auf Interessen konzentrieren, nicht auf Positionen (Ansprüche) – Optionen zur Erfüllung der Interessen entwickeln – Bei Bedarf: Neutrale Beurteilungskriterien (objektive Kriterien oder neutrale Verfahren) anwenden – Sich für oder gegen eine Verhandlungsübereinkunft durch den Vergleich mit der besten Alternative (so genannte BATNA (Best Alternative To Negotiated Agreement oder Risikoanalyse)) entscheiden. Ein lösungsorientierter Mediator wird im Regelfall diese Prinzipien so anwenden: Zunächst wird er die Interessen der Parteien erforschen, die hinter ihren Foderungen/Ansprüchen stehen und wechselseitig verständlich machen. Dann lässt er die Parteien Lösungsvorschläge erarbeiten, die er gemeinsam mit den Parteien auf ihre Realisierbarkeit, Angemessenheit, Erweiterungsmöglichkeit und Kombinationsmöglichkeiten mit anderen Optionen hinterfragt, ebenso wie deren Wirkung auf die Gegenseite. Manchmal wird es nicht möglich sein, solche Lösungen im Wege von kreativen Optionen zu erarbeiten, vor allem, wenn es sich um Verteilung von 12 In diese Richtung gehen auch die von Greger unter dem Titel „Für jeden Konflikt das passende Verfahren“ veröffentlichten Gedanken: Greger, ZKM 2014, 140 ff. unter dem Titel: Für jeden Konflikt das passende Verfahren veröffentlichten Gedanken. 13 Sander, Varietes of Dispute Processing, 70 Federal Rules Decisions 79, 111 ff. (1976); vgl. auch Birner, Das Multi-Door Courthouse, 2003. 14 Näher hierzu Ponschab, Der Anwalt als professioneller Konfliktlöser, Anwaltsblatt 11/2001, 591 ff. 15 http://www.bakermckenzie.com/files/Uploads/Documents/ Germany/Careers/SoftSkills_Trillig_Baker.pdf. 16 Der erfahrene Konfliktnavigator wird auch heteronome Konfliktbehandlungen ( Konfliktentscheidungen durch Dritte wie alle Formen von Arbitration, Schiedsgutachten etc.) in Betracht ziehen. Da diese aber der Anspruchsmethode folgen, sollen sie hier einmal außer Betracht gelassen werden. 17 Näher hierzu: Ponschab/Schweizer, Kooperation statt Konfrontation: Neue Wege anwaltlichen Verhandelns. 174 Ad Legendum 2/2015 Gütern, also um ein distributives Verfahren handelt. Dann wird der Mediator dazu übergehen, mit den Parteien nach neutralen Beurteilungskriterien (objektiven Kriterien oder neutralen Verfahren) zu suchen. Bei einer Übereinkunft, die sich auf solche Kriterien stützt, hat keine Partei das Gefühl, dass sich die andere Seite durchgesetzt habe, sondern sich die Einigung auf objektive Feststellungen von Personen außerhalb des Verhandlungskontextes oder das Ergebnis eines Verfahrens stützt, das nicht von einer Partei zu ihrem Vorteil beeinflusst werden kann. Objektive Kriterien sind Maßstäbe, die außerhalb des Verhandlungskontextes stehen, wie Industrienormen, objektivierte Werte, Handelsbräuche. An einem kleinen Beispiel mag dies deutlich werden:20 Stellen Sie sich vor, es ginge um eine Mediation zwischen zwei Parteien, bei denen der Preis von Fliesen streitig ist. Sie können dieses Problem z.B. dadurch lösen, dass Sie bei fünf verschiedenen Fliesenhändlern anrufen und den Preis der Fliese dort feststellen. Die Lösung wäre dann der Durchschnitt aller fünf genannten Preise. Bei Neutralen Verfahren wird die Lösung durch ein gemeinsam akzeptiertes Verfahren gefunden. Es geht hierbei nicht darum, dass dieses Verfahren zu einem „richtigen Ergebnis“ führt, sondern, dass es nicht von einer Partei durchgesetzt wurde. So kann man z.B. bei der Auflösung einer Gesellschaft, die zwei Gesellschaftern je zur Hälfte gehört und die jeder allein fortführen möchte, vereinbaren, dass ein Gesellschafter ein Angebot für seinen Anteil abgibt. Der andere Gesellschafter kann dann das Angebot annehmen; dann bekommt er den Anteil des anderen zum genannten Preis. Lehnt er dagegen ab, muss der Anbietende den Anteil des anderen zu diesem Preis übernehmen. Erfolg dieses Verfahrens ist es, dass ganz sicher der anbietende Gesellschafter einen fairen Preis an der oberen Grenze benennen wird. Die durch kreative Verfahren oder neutrale Beurteilungskriterien generierten Lösungsmöglichkeiten müssen für die Akzeptanz der Parteien ein besseres Studienpraxis Ergebnis darstellen als eines, das sie außerhalb des Verhandlungskontextes erreichen könnten. Bei Zweifeln erörtert der Mediator mit den Parteien in Einzelgesprächen mögliche Lösungen für den Fall, dass die Verhandlung keine Einigung bringt, die so genannte BATNA (Best Alternative To Negotiated Agreement oder Risikoanalyse). Erweist sich das in der Mediation erzielbare Ergebnis als die beste mögliche Lösung, werden die Parteien dies in der Abschlussvereinbarung niederlegen. E. Resümee Für die Tätigkeit als Anwalt genügt es wohl nicht mehr, allein die juristische (Anspruchs)-Methode der Konfliktbehandlung in seinem Werkzeugkasten zu haben. Die zunehmend als Einstellungsvoraussetzung geforderten soft skills und die Fähigkeit, den Mandanten geeignete Methoden für ihre Konflikte anzubieten, erfordern Fortbildungen, die im Rahmen der juristischen Ausbildung nur selten angeboten werden. Hierbei geht es nicht um die auf juristischer Methodenlehre basierenden Fertigkeiten, sondern um eine Kunst, die im wesentlichen Erkenntnisse anderer Wissenschaften basiert (Psychologie, Soziologie, Neurobiologie etc.). Es ist Zeit, zu erkennen, dass der erfolgreiche Anwalt in Zukunft mehr braucht als nur die Fähigkeit, Sachverhalte Ansprüchen zuzuordnen. Der Luther zugeschrieben Satz: „Ein Jurist, der nur ein Jurist ist, ist ein armer Tropf“ erreicht so von neuem Bedeutung. 18 vgl. hierzu mit zahlreichen Literaturnachweisen Teubner, ZKM, 2012, 176 ff. 19 Statt Hinweise auf die fast unübersehbare Literatur sei hier nur verwiesen auf Haft/Schlieffen, Handbuch der Mediation, 2. Aufl., 2008; in diesem Werk werden alle Aspekte einer einvernehmlichen Konfliktlösung unter Berücksichtigung der Parteiinteressen mithilfe einer dritten neutralen Person gewürdigt. Zur Definition der Mediation vgl. § 1 Ziff. 1 MediationsG. 20 Dieses Beispiel verdanke ich Herrn Kollegen Hans-Jörg Risse, Frankfurt.