Von der juristischen Anspruchsmethode zum Konfliktmanager

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Von der juristischen Anspruchsmethode zum Konfliktmanager
Studienpraxis
Ad Legendum 2/2015
stieg nicht erforderlich ist. Wir bieten Interessierten
gerne Praktika an, um erste Einblicke zu bekommen.
Stellt sich das aktuelle Patentrecht Ihrer Meinung
nach als zukunftsfest dar oder besteht möglicherweise Reformbedarf, so wie es aktuell immer wieder
gefordert wird?
Das Patentrecht als solches ist unseres Erachtens zukunftsfest, zumal durch die Durchsetzungsrichtlinie
und deren Umsetzung vor einigen Jahren bereits einige notwendige Änderungen erfolgt sind. Die Frage ist
eher die nach der Praxis insbesondere der Erteilungsbehörden. Es wird verstärkt die Frage laut, ob Patente
nicht „zu einfach“ erteilt werden und dem hohe Vernichtungszahlen gegenüber stehen.
Wird manchmal der Patentschutz aufgrund von
Firmeninteressen überstrapaziert bzw. instrumentalisiert? Wo sehen Sie dort eine Grenze des Schutzumfangs?
Die Durchsetzung von Patenten ist ein wichtiger Motor für Innovation, denn nur wenn sich die Kosten
für Forschung und Entwicklung amortisieren, wird
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auch weiter geforscht und entwickelt. Insofern ist ein
Einsatz von Patenten für die Zwecke des Patentinhabers gerade Sinn und Zweck des Patentsystems. Deshalb stehen die Interessen des Patentinhabers an einer
Nutzung des Patentschutzes für die eigenen Firmeninteressen natürlich im Vordergrund. Die Grenzen
der Durchsetzung werden durch die Normen und die
Rechtsprechung zur Bestimmung des Schutzumfanges,
zu den Voraussetzungen der Schutzfähigkeit und auch
etwa zu den kartellrechtlichen Schranken definiert.
Die Klärung der Frage, wo die Grenze zwischen dem
berechtigtem und vom Patentsystem gewollten Schutz
des Patentinhabers und den Interessen der Allgemeinheit bzw. des Wettbewerbs im Einzelfall verläuft,
verlangt die Bewertung komplexer rechtlicher und
technischer Sachverhalte. Genau diese Fragen werden
typischerweise im Patentverletzungsverfahren geklärt.
Dabei gibt es sicherlich Fälle, in denen das Ergebnis als
„Überstrapazieren“ des Patentschutzes oder im Gegenteil als „Unterstrapazieren“ des Schutzes empfunden wird - jedenfalls von der unterlegenen Partei. Dies
ist jedoch kein Problem des Patentrechts, sondern ein
generelles Phänomen, welches bei der Entscheidung
komplexer juristischer Wertungsfragen nicht zu vermeiden ist.
DER RECHTSANWALTSBERUF
Dr. Reiner Ponschab*
Von der juristischen Anspruchsmethode zum
Konfliktmanager – Anforderungen an künftige Anwälte
Richard Susskind1 sieht das Ende der Anwaltschaft
nahen, wenn sich deren Ausbildung2 und Tätigkeit
nicht ändern. Durch den bevorstehenden Wegfall des
Rechtsberatungsprivilegs der Anwaltschaft würden
immer mehr Kanzleien aufgeben müssen, zumindest
im Bereich kleiner und mittlerer Kanzleien.
Ist das zu schwarz gesehen?
Vermutlich ja. Doch auch ernst zu nehmende Stimmen
der deutschen Anwaltschaft weisen auf die drohenden
Veränderungen und die daraus entstehenden Folgen
hin:
„Hält diese Entwicklung an, so ist eine radikale
Marktveränderung, verbunden mit einem heute noch
unvorstellbaren Kanzleisterben, nicht auszuschließen - am Ende könnte eine flächendeckende Rechts-
versorgung nicht mehr gewährleistet sein. Das klingt
unvorstellbar, ist bei Ärzten aber schon Realität.” 3
Nachfolgende Gedanken sollen darauf aufmerksam
machen, dass Anwälte durch zusätzliche Kenntnisse
*
1
2
3
Dr. Reiner Ponschab ist Senior Partner von Ponschab und Partner Mediatoren und hat zuvor über 30 Jahre als Partner in einer
größeren Wirtschaftskanzlei gearbeitet.
Susskind, The end of lawyers? Rethinking the nature of legal
services, University Press, Revised edition, 2010.
Juristenausbildung ist vor allem Anwaltsausbildung (Stand
2010): Von ca. 235 .000 Volljuristen in Deutschland sind 25.000
Richter und Staatsanwälte (11 %), 35.000 im Öffentlichen
Dienst (15 %), 25.000 in der Wirtschaft (11 %), 150.000 Rechtsanwälte (63 %).
So Rechtsanwalt und Notar Herbert P. Schons, Duisburg Mitherausgeber des Anwaltsblatts in DAnwBl, 2013.
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und Fähigkeiten ihre Kompetenzen stärken und dadurch ihren Tätigkeitsbereich gegenüber der gegenwärtig überwiegend praktizierten Anspruchsmethode
erweitern könnten.
A. Anspruchsdenken- Die juristische Methode der Konfliktbehandlung4
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den bedeutet aber oft nichts anderes als Erschöpfung
der Parteien, der finanziellen Mittel oder des Rechtsweges. Fight for peace nennt man das wohl.
Kaum einer beschreibt diesen Kampf besser als Rudolf
von Ihering:
„Das Mittel aber, wie verschiedenartig es auch gestaltet sein möge, reducirt sich stets auf den Kampf
gegen das Unrecht. Im Begriff des Rechts finden sich
die Gegensätze: Kampf und Frieden zusammen - der
Frieden als das Ziel, der Kampf Mittel des Rechts,
beide durch den Begriff desselben gleichmäßig gesetzt und von ihm unzertrennlich(…)
Der Kampf ist mithin nicht etwas dem Recht Fremdes, sondern er ist mit dem Wesen desselben unzertrennlich verbunden(…)“ 8
I. Die juristische Methode als Kampf ums Recht
Als Quintessenz einer mehr als 35-jährigen Tätigkeit
als zivilrechtlich tätiger Anwalt5 in einer Großkanzlei,
Aus- und „Um“bilder zahlreicher junger Kollegen,
Dozent an Hochschulen im In- und Ausland und Seminarleiter hatte ich ausreichend Möglichkeit, mein
eigenes Denken und das anderer Juristen zu studieren.
Dabei kam ich zu dem Ergebnis, dass Anwälte neben
der Fähigkeit zu strukturiertem Denken meist ein Verhalten auszeichnet, das ich als „Beissreflex“ bezeichne.
Hierunter verstehe ich den Umstand, dass der Anwalt
eine Person, die dem Interesse seines Mandanten zuwider handelt, im Regelfall als Gegner empfindet und
sie im Regelfall auch so nennt.
Woran könnte das liegen?
Wohl daran, dass der Anwalt wie alle anderen Juristen seit Jahrhunderten an den Universitäten im
Anspruchsdenken ausgebildet wird und seinen Beruf
auch so praktiziert. Die Fragen, die sich der Anwalt
bei den Konflikten seines Mandanten stellt, lauten:
„Wer hat etwas falsch gemacht? Wer ist schuld? Welchen Anspruch kann ich geltend machen? Wie kann
ich ihn beweisen?“. Es ist eine Ausprägung anwaltlichen Denkens, dass an allen negativen Geschehnissen
irgendjemand schuld sein muss.6 Es geht also letztlich
darum, den „Schuldigen“ für ein Ereignis festzustellen, gegen ihn einen Anspruch geltend zu machen und
diesen zu beweisen.
Dieses aktionenrechtliche Denken wurde schon von
den römischen Juristen praktiziert und von ihren mittelalterlichen Nachfahren in dem berühmten Merksatz
„Quis, quid, a quo, qua causa?“ zusammengefasst.
Auf Deutsch: “Wer kann was von wem, aus welchem
Rechtsgrund verlangen?“. Die Professoren Bucher
(ein Schweizer) und Wiegand (ein Deutscher), haben
die Eigenart dieses Denkens so beschrieben:
„Die Beherrschung der Technik der Konflikt-Entscheidung ist auch außerhalb eigentlicher Streitsituationen immer noch das Hauptelement des beruflichen Handwerkszeugs... Im Mittelpunkt dieses
dem aktionenrechtlichen Denken entstammenden
Vorgehens steht die Frage nach der Durchsetzbarkeit
von Rechten oder Ansprüchen, weshalb sie auch die
Anspruchsmethode genannt wird.“7
Anwälte wollen und sollen nicht verständnisvoll diskutieren, sondern (das Gericht) überzeugen. Sie haben
festgestellt, dass der, der Ansprüche begründen kann,
Recht bekommt. So ist man erfolgreich im Kampf ums
Recht, dem Mittel, um das Recht durchzusetzen und
damit den „Rechtsfrieden“ herzustellen. Rechtsfrie-
In mehr als 30 Jahren anwaltlicher Praxis ist es mir
allerdings nicht gelungen, eine Partei zu treffen, die
nach einer Niederlage vor Gericht dessen Weisheit gepriesen und die Entscheidung als gerecht und richtig
akzeptiert hätte.
Schauen wir uns die Auswirkungen des Anspruchsdenkens einmal an einem kleinen Beispielsfall an:
Sie – der Mandant – kommen emotionsgeladen in das
Zimmer des Anwalts und berichten davon, dass Ihr
Nachbar Ihre Frau beleidigt habe.
Der Anwalt fragt: „Können Sie beweisen, dass diese
Äußerungen gefallen sind? Gibt es Zeugen für den
Vorfall?“ Da sind Sie als Mandant erst einmal ziemlich
enttäuscht, weil Sie gerne von den gesamten Untaten
des Nachbarn erzählen möchten, nämlich, dass der
Nachbar ein schlimmer Bursche ist, der ständig seine
HiFi-Anlage so laut aufdreht, wenn er auf der Terrasse
sitzt, dass Sie nicht einmal bei geschlossenem Fenster
schlafen können und... und... Das zu erzählen, haben
Sie gar keine Chance, weil der Anwalt sich offensichtlich nicht für ihr ganzes Problem interessiert, sondern
nur unverständliche Fragen stellt.
Was macht er?
4
5
6
7
8
Eine ausführliche Schilderung der juristischen Methode findet
sich in Ponschab/Schweizer, Kooperation statt Konfrontation:
Neue Wege anwaltlichen Verhandelns, 2. Aufl., 2009.
Wenn ich nachfolgend von „Anwalt“ spreche, meine ich den
zivilrechtlichen Anwalt, Ähnlichkeiten bei anderen Anwälten
sind allerdings nicht zufällig.
Besondere Vorbilder hierfür sind wohl die amerikanischen Anwälte, die für Ihr Begehren auch immer wieder Gerichte finden,
die in unseren Augen seltsame Ansprüche bejahen. So trugen
sie beispielsweise zum ewigen Ruhm der 81-jährigen Stella
Liebeck bei, die 1992 einen Becher Kaffee beim Autofahren
zwischen den Schenkeln einquetschte und sich den Kaffee, den
sie zuvor bei Mc Donalds erworben hatte, prompt beim ersten
Bremsen über die Beine schüttete und anschließend angeblich
2.9 Millionen Dollar Schadenersatz erhielt, weil sie nicht auf
die Tatsache hingewiesen worden sei, dass der Kaffee heiß ist.
Aufgrund dieses Vorfalls wird nun jährlich der Stella-LiebeckPreis an diejenigen verliehen, die im jeweils vergangenen Jahr
mit genialer Unverfrorenheit Schadenersatz gerichtlich forderten und erhielten.
Bucher/Wiegand, Übungen im Obligationenrecht: Fallsammlung mit Lösungsvorschlägen, 1. Aufl., 1985; zwischenzeitlich
erschienen in 3. Auflage 2001 mit Markus Reber.
Jhering, Der Kampf um‘s Recht, 1872.
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Er reduziert den ihm vorgetragenen Lebensausschnitt
auf juristisch relevante Sachverhalte, subsumiert diese
unter die in Betracht kommenden Rechtsnormen, findet und begründet die Ansprüche seines Mandanten
und sucht die Entscheidung beim Richter. Er skelettiert – notgedrungen - den Lebenssachverhalt zum
Gerippe des anspruchsbegründenden Sachvortrags.
Der Student erhält in seiner Übungsklausur diesen
skelettierten Sachverhalt bereits „anspruchsfertig“ serviert, um nach Ansprüchen suchen zu können.
Und so wird es auch der Anwalt des Nachbarn machen. Beide Anwälte werden vorbildlich nach den Regeln ihres Berufsstandes vorgehen, aber trotzdem den
Konflikt nicht lösen. Im Gegenteil: Der Streit eskaliert
und, artet mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Kampf oder gar zum Krieg aus. Zu einem
Krieg, den man mit Savigny als den „Kampf ums
Recht“ bezeichnen könnte.
Die Anspruchsmethode führt auch für die Wirtschaft
zu Ergebnissen, die zunehmend Probleme bereiten.
Bei einer Unternehmensumfrage 2014 bei 120 Unternehmen in Bayern9 begründeten die befragten Unternehmen ihre Unzufriedenheit mit der Konfliktentscheidung durch ein Gericht u.a. damit, dass zwar der
konkrete Rechtsstreit gelöst werde, aber nicht der dahinterstehende Konflikt (76,8 %).
II. Die Überzeugungen hinter der juristischen
Methode10
Der Grund liegt nach meiner Meinung nicht nur in der
juristischen Methode, sondern auch in den Überzeugungen, die dieser Methode zugrunde liegen.
1. Der Glaube an eine objektive Wirklichkeit
Richter und Anwälte versuchen, so etwas wie eine objektive Wirklichkeit aus dem herauszufiltern, was die
Parteien als subjektive Darstellung schildern, als ob
es hinter der subjektiven Wahrnehmung von Lebensumständen eine objektiv feststellbare Wirklichkeit
gäbe. Dabei wird ein Teil der Lebenswirklichkeit, auf
den es den Parteien ankommt, völlig ausgeblendet.
Im Gegensatz zu dieser absoluten Betrachtungsweise
steht die Auffassung der Konstruktivisten, die davon
ausgehen, dass es keine objektive, sondern nur eine
subjektive Wirklichkeit gibt, die der Betrachter selbst
erschafft („konstruiert“). Sie nehmen Abschied von
der Annahme einer existenten objektiven Wirklichkeit
und wenden sich ganz der Untersuchung zu, wie der
Beobachter die Welt wahrnimmt.
Auch die Naturwissenschaften folgen dieser relativierenden Ansicht seit der Formulierung der Relativitätstheorie durch Einstein im Jahre 1905. Einstein hat festgestellt, dass alles, was wir über „die Welt“ aussagen,
abhängig ist von unserem Standpunkt: Wenn eine Person einer anderen Person einen Ball zuwirft, so sieht
die Flugbahn des Balles für einen irdischen Beobachter wie ein Bogen aus. Für einen außergalaktischen
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Beobachter wäre die Flugbahn, bedingt durch die
Bewegung der Erde, des Sonnensystems und unserer
Galaxis, eine komplizierte Schraubenbahn und einem
Menschen, der auf dem Ball säße, würde die einfache
Parabelbahn, die der irdische Beobachter wahrnimmt,
durch die Rotation des Balles wie eine Achterbahnfahrt vorkommen. Wahrheit ist also immer relativ zum
jeweiligen Bezugssystem zu sehen und so etwas wie
eine objektive Wahrheit gibt es nicht.
Das Problem ist, dass die juristische Methode schon
zweitausend Jahre vor den Konstruktivisten und Einstein entstanden ist. Für die juristische Betrachtung
gibt es immer noch objektive Wirklichkeit, richtig und
falsch, Recht und Unrecht.
2. Der Anwalt ist der „Legionär“ seines Mandanten
Der Anwalt ist in den uns bekannten Rechtsordnungen
parteiischer „Interessenvertreter“ seines Mandanten.
In dieser Stellung sieht er seine Rolle darin, dass er
seinen Mandanten als exzellenter Kampfgefährte zum
Sieger und die Gegenseite zum Verlierer macht. Doch
manchmal fühlen wir uns nach einem Sieg vor Gericht
an den berühmten Spruch von König Phyrrhus von
Epirus erinnert, der nach seinem Sieg über die Römer
zu seinem Berater gesagt hat: „Noch so ein Sieg und
wir sind verloren“.
3. Der Anwalt ist vergangenheitsorientiert
Bei unserer Analyse der anwaltlichen Arbeit haben
wir herausgefunden, dass der typische, erfolgreiche
Anwender der juristischen Methode fragt, ob für ein
vorgefallenes Verhalten ein Anspruch existiert und wie
dieser Anspruch zu begründen sei. Der größte Teil des
Buchbestandes eines Juristen besteht aus der Sammlung von Bänden, in welchem ein Gericht von gestern
über einen Sachverhalt von vorgestern geurteilt hat. In
England können Urteile, die einen Prozess der Gegenwart entscheiden sollen, hunderte von Jahren alt sein.
4. Der Anwalt sucht nach den Fehlern anderer Parteien
Der Anwalt ist bestrebt, seinen Anspruch zu begründen und den Anspruch der Gegenpartei zu entkräften. Dabei empfiehlt es sich, nichts ungeprüft zu lassen. Der Anwalt, der mir die Kunst der Jurisprudenz
beigebracht hat, schottete sich einmal in einer großen
Kartellsache von der Außenwelt ab und arbeitete hunderte von Ordnern Blatt für Blatt durch. Schließlich
fand er nach drei Wochen einen Vermerk, der die Kartellstrafe seiner Mandantin von einer hohen zweistelligen Millionenzahl auf wenige Millionen reduzierte.
9
IW Consult, Evaluation des Rechts- und Justizstandorts Bayern.
10 näher dazu Ponschab/Schweizer, Kooperation statt Konfrontation: Neue Wege anwaltlichen Verhandelns.
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Sein Ruf bei der Mandantin war ab diesem Zeitpunkt
wie Donnerhall.
Nach all diesen Erfahrungen begannen wir uns dafür
zu interessieren, welche anderen Ansätze zur Konfliktbehandlung es neben der juristische Methode
gäbe. Gibt es vielleicht eine Methode, mit der ich mein
Ziel erreichen kann, ohne die andere Seite zum Verlierer stempeln zu müssen?
B. Die kooperative Methode – eine Alternative zur juristischen Konfliktbehandlung
Was passierte, wenn man versuchte, herauszufinden,
was die Konfliktparteien (wirklich) wollen, also nach
deren Interessen fragte und nicht, wer recht hat. Unter Interessen verstehen wir Werte und Bedürfnisse,
Grundmotive menschlichen Handelns, die die Frage
nach dem „Warum?“ eines konkreten Verhaltens beantworten. Die Lösungen, die aus den Antworten auf
diese Frage resultieren, richten sich nach vorne, in die
Zukunft. Wir nennen dieses zukunftsorientierte und
interessenbasierte Vorgehen die kooperative Methode11. Sie fragt nach den Interessen, Motiven, Bedürfnissen, also dem, was hinter einer Position steckt.
Wenn die Interessen der Parteien klar sind, werden die
Parteien hieraus häufig Lösungen entwickeln können,
die alle Beteiligten zufrieden stellen.
Denken und Handeln der kooperativen Methode
funktionieren also anders als die Juristische Methode,
sie folgen vielmehr einem konträren Paradigma:
– Statt in der Vergangenheit nach dem Schuldigen
für den Konflikt zu suchen, fragt die kooperative
Methode nach Lösungen für das aufgetretene Problem.
– Statt auf Standpunkten zu beharren versucht man,
die unterschiedliche Sichtweise des Anderen zu
verstehen.
– Statt dem Richter den Konflikt zu überantworten,
lösen ihn die Parteien selbstverantwortlich.
– Statt nach Ansprüchen zu suchen, sucht man nach
Interessen und Bedürfnissen der Parteien und nach
Lösungen, die die Interessen (aller Beteiligten!) erfüllen.
Statt sich auf die Fehler des Anderen zu konzentrieren versucht man, eine gemeinsame Lösung zu finden.Vielleicht wird der Unterschied der Methoden an
einem kleinen Beispiel klar:
Eines Tages kam meine Sekretärin in mein Zimmer und
forderte mit einem ultimativen Unterton in der Stimme:„ Ich brauche mehr Geld“. Ich war schon versucht,
zu antworten: „Sie wissen doch, dass wir gerade eine
Erhöhungsrunde der Gehälter hatten, bei der auch Ihr
Gehalt erhöht wurde, außerdem müssten wir dann alle
Gehälter erhöhen. Eine Gehaltserhöhung kommt also
nicht in Frage.“
Gerade rechtzeitig biss ich mir auf die Zunge und
fragte sie, was der Grund für dieses ungewöhnliche
Verhalten sei. Sofort klagte sie mir ihr Leid, dass ihr
ständig Kollegen Diktate kurz vor Ablauf ihrer Ar-
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beitszeit mit dem Hinweis auf den Tisch legten, dieses Diktat müsse unbedingt noch heute (meist wegen
Fristablaufs) geschrieben werden. Da ich meine Sekretärin als einsatzbereite Mitarbeiterin und „Anwaltsversteherin“ kannte, wollte ich natürlich vor dem
Hintergrund, dass Überstunden stets in Freizeit ausgeglichen wurden, wissen, was denn daran so schlimm
sei. Den Tränen nahe und sehr aufgewühlt erklärte sie
mir, dass sie ihr Kind zu einer bestimmten Zeit vom
Kindergarten abholen müsse und sie daher stets unter Stress gerate, wenn sie befürchten müsste, wieder
einmal ihr eingeschüchtertes Kind von aufgebrachten
Kindergärtnerinnen „ausgehändigt“ zu bekommen
und dabei erneut an die Abholzeiten erinnert zu werden. Sie brauche das Geld, um eine „Abholperson“
zu engagieren. „Wenn ich Sie richtig verstehe, geht
es Ihnen also gar nicht so sehr um mehr Geld, sondern darum, dass ihr Kind betreut wird und Sie sich
nicht den Ärger der Kindergärtnerinnen zuziehen.“,
sagte ich. „Ja, das stimmt, aber dazu brauche ich halt
mehr Geld“ erwiderte meine Sekretärin. „Lassen Sie
uns einmal nachdenken, vielleicht finden wir da noch
eine andere Lösung“ beharrte ich und wollte mich, da
wir das Interesse erkannt hatten, nicht gleich auf eine
einzige Lösung festlegen lassen. Nach einigem Nachdenken und Herumfragen fanden wir dann schließlich
eine Option , die allen Interessen (Sichere Abholung
des Kindes ohne Gehaltserhöhung) gerecht wurde: Die
Frau eines unserer Kollegen hatte ihr Kind im gleichen
Kindergarten und erklärte sich bereit, das Kind meiner
Sekretärin immer dann mit sich nach Hause zu nehmen, wenn sie wieder einmal durch ihre Büropflichten
aufgehalten wurde.
Was ist da geschehen? Statt nach einem Anspruch zu
fragen haben wir das Interesse herausgefunden und
dann eine Lösung gefunden, die den Interessen der
Beteiligten entsprach.
C. Konfliktdiagnose: Die richtige Methode
für den Konflikt
Gemäß dem Satz :„ Wer gut mit dem Hammer umgehen kann, sieht jedes Problem als Nagel“ wird ein
Anwalt den ihm vorgetragenen Sachverhalt im Regelfall nach der beschriebenen Anspruchsmethode
prüfen und im Regelfall wird der Mandant zunächst
auch nichts anderes erwarten, wenn er das Büro eines
Anwalts betritt. Wenn er aber dann erlebt, dass unter
diesen Prämissen Lösungen herauskommen, die er
vielleicht gar nicht will, das Recht aber keine anderen
Ergebnisse zulässt, könnte bei ihm Unzufriedenheit
entstehen, etwas, was gemeinhin als Rechtsverdrossenheit bezeichnet wird.
Kann und darf man von einem Anwalt überhaupt erwarten, dass er einen ihm vorgetragenen Fall mit anderen als mit dem von ihm im Studium erlernten An11 Alles Weitere dazu in Ponschab/Schweizer, Kooperation statt
Konfrontation: Neue Wege anwaltlichen Verhandelns.
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spruchsdenken löst? Im Regelfall nicht, wenn er sich
nicht in anderen Konfliktlösungen fortgebildet hat.
Die einfache Wahrheit ist: Das Recht kann nur Lösungen anbieten, die das Gesetz vorsieht. Deshalb gibt
es keinen Rechtsanspruch auf Entschuldigung, Anerkennung, Freiheit etc., also Grundbedürfnisse, die
oft hinter einem geltend gemachten Anspruch stehen.
Hier spürt der sensible Anwalt das Ende seiner juristischen Fähigkeiten.
Wie wäre es dagegen, wenn der Anwalt zunächst die
Natur des Konflikts und die dahinter stehenden Beweggründe diagnostizierte und dann eine „Therapie“
vorschlüge, die diese Umstände berücksichtigt.12
Ein Beispiel für ein solches Vorgehen ist das vom
Harvard-Professor Frank Sander 1976 auf der PoundKonferenz in seinem Vortrag „Varieties of dispute processing“13 vorgestellte „Multidoor- Courthouse“: Bei
diesem Modell untersucht das Gericht die eingehenden
Fälle in einem Eingangsverfahren nach Kriterien wie
Dauer, Kosten, Einbindung der Öffentlichkeit, Erhaltung der Beziehung, Präzedenzbedeutung, Eskalationsstufe, Ziele der Parteien, Zahl der Problemfelder
etc. und stellt fest, welches Konfliktlösungs- oder Entscheidungsverfahren sich zur Behandlung dieser Sache
am besten eignet. Viel sachgerechter schiene es, wenn
dieses „Conflict Screening“, also die Konfliktdiagnose
nicht erst beim Gericht, sondern dort erledigt würde,
wo Konflikte meist auflaufen: beim Anwalt.
Aber kann der Anwalt das überhaupt? Im Regelfall
eher nicht, denn diese Fähigkeit wird ihm weder in der
Universität noch in der Referendarsausbildung vermittelt, ebenso wenig wie das Generieren interessengerechter Lösungen oder das erfolgreiche Plädieren und
andere social skills, wenn man einmal von den geringen und von manchen Professoren wenig geschätzten
Ausbildungsangeboten zu Schlüsselqualifikationen
absieht. Um den Anwalt zum professionellen Konfliktlöser14 auszubilden, bräuchte es eine zielgerichtete
Fortbildung, wie sie von Großkanzleien ihren jungen
Kollegen vermittelt wird, um ihnen ein solides Handwerkszeug an die Hand zu geben, das ihre soft skills
fördert und ihnen eine Konfliktdiagnose ermöglicht.
So äußert sich die Personalverantwortliche von Baker
McKenzie , Claudia Trillig, in einem Interview, nachdem sie die Bedeutung von soft skills für die Bewerberauswahl betont hat:
„Genau hier liegt allerdings die Crux: Soft Skills
stehen häufig nicht auf dem Lehrplan der Schulen
und Universitäten. Daher hat beispielsweise unsere
Kanzlei das Ruder selbst in die Hand genommen:
Wir lehren selbst Nachwuchsjuristen früh in Sachen
Soft Skills und tragen auf diesem Wege dazu bei, diese Ausbildungslücke zu schließen“ 15
Es fehlen also Türhüter, die die Tür zur richtigen Konfliktbehandlung öffnen - und nicht wie in Kafkas „Der
Prozess“- den Eintritt Suchenden vor der (richtigen)
Tür abweisen.
Welche Türen könnten sich da neben der klassischen
juristischen Methode in Richtung auf eine autonome
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Konfliktlösung noch öffnen?16 Ohne die einzelnen
Methoden an dieser Stelle vertiefen zu wollen und zu
können, seien die wichtigsten genannt:
– (Kooperatives) Verhandeln17
– Moderation
– Schlichtung (ohne bindenden Vorschlag)
– Adjudikation18
– Mediation19
D. Ablauf einer Wirtschaftsmediation als Beispiel eines Verfahren der kooperativen Methode
Beispielhaft für ein autonomes Verfahren möchte ich
hier den Ablauf einer Wirtschaftsmediation skizzieren. Kern dieses Verfahrens ist es, Konflikte auf der
Basis von Verhandlungen durch Principled Negotiation zu einer interessengerechten Lösung zu führen.
Dabei gelten im wesentlichen folgende Prinzipien:
– Die Sichtweise des anderen verstehen
– Auf Interessen konzentrieren, nicht auf Positionen
(Ansprüche)
– Optionen zur Erfüllung der Interessen entwickeln
– Bei Bedarf: Neutrale Beurteilungskriterien (objektive Kriterien oder neutrale Verfahren) anwenden
– Sich für oder gegen eine Verhandlungsübereinkunft
durch den Vergleich mit der besten Alternative (so
genannte BATNA (Best Alternative To Negotiated
Agreement oder Risikoanalyse)) entscheiden.
Ein lösungsorientierter Mediator wird im Regelfall
diese Prinzipien so anwenden:
Zunächst wird er die Interessen der Parteien erforschen, die hinter ihren Foderungen/Ansprüchen stehen und wechselseitig verständlich machen. Dann lässt
er die Parteien Lösungsvorschläge erarbeiten, die er
gemeinsam mit den Parteien auf ihre Realisierbarkeit,
Angemessenheit, Erweiterungsmöglichkeit und Kombinationsmöglichkeiten mit anderen Optionen hinterfragt, ebenso wie deren Wirkung auf die Gegenseite.
Manchmal wird es nicht möglich sein, solche Lösungen im Wege von kreativen Optionen zu erarbeiten, vor allem, wenn es sich um Verteilung von
12 In diese Richtung gehen auch die von Greger unter dem Titel
„Für jeden Konflikt das passende Verfahren“ veröffentlichten
Gedanken: Greger, ZKM 2014, 140 ff. unter dem Titel: Für
jeden Konflikt das passende Verfahren veröffentlichten Gedanken.
13 Sander, Varietes of Dispute Processing, 70 Federal Rules Decisions 79, 111 ff. (1976); vgl. auch Birner, Das Multi-Door Courthouse, 2003.
14 Näher hierzu Ponschab, Der Anwalt als professioneller Konfliktlöser, Anwaltsblatt 11/2001, 591 ff.
15 http://www.bakermckenzie.com/files/Uploads/Documents/
Germany/Careers/SoftSkills_Trillig_Baker.pdf.
16 Der erfahrene Konfliktnavigator wird auch heteronome Konfliktbehandlungen ( Konfliktentscheidungen durch Dritte wie
alle Formen von Arbitration, Schiedsgutachten etc.) in Betracht
ziehen. Da diese aber der Anspruchsmethode folgen, sollen sie
hier einmal außer Betracht gelassen werden.
17 Näher hierzu: Ponschab/Schweizer, Kooperation statt Konfrontation: Neue Wege anwaltlichen Verhandelns.
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Gütern, also um ein distributives Verfahren handelt.
Dann wird der Mediator dazu übergehen, mit den
Parteien nach neutralen Beurteilungskriterien (objektiven Kriterien oder neutralen Verfahren) zu suchen.
Bei einer Übereinkunft, die sich auf solche Kriterien
stützt, hat keine Partei das Gefühl, dass sich die andere Seite durchgesetzt habe, sondern sich die Einigung
auf objektive Feststellungen von Personen außerhalb
des Verhandlungskontextes oder das Ergebnis eines
Verfahrens stützt, das nicht von einer Partei zu ihrem
Vorteil beeinflusst werden kann.
Objektive Kriterien sind Maßstäbe, die außerhalb des
Verhandlungskontextes stehen, wie Industrienormen,
objektivierte Werte, Handelsbräuche. An einem kleinen Beispiel mag dies deutlich werden:20 Stellen Sie
sich vor, es ginge um eine Mediation zwischen zwei
Parteien, bei denen der Preis von Fliesen streitig ist. Sie
können dieses Problem z.B. dadurch lösen, dass Sie bei
fünf verschiedenen Fliesenhändlern anrufen und den
Preis der Fliese dort feststellen. Die Lösung wäre dann
der Durchschnitt aller fünf genannten Preise.
Bei Neutralen Verfahren wird die Lösung durch ein
gemeinsam akzeptiertes Verfahren gefunden. Es geht
hierbei nicht darum, dass dieses Verfahren zu einem
„richtigen Ergebnis“ führt, sondern, dass es nicht von
einer Partei durchgesetzt wurde. So kann man z.B.
bei der Auflösung einer Gesellschaft, die zwei Gesellschaftern je zur Hälfte gehört und die jeder allein fortführen möchte, vereinbaren, dass ein Gesellschafter
ein Angebot für seinen Anteil abgibt. Der andere Gesellschafter kann dann das Angebot annehmen; dann
bekommt er den Anteil des anderen zum genannten
Preis. Lehnt er dagegen ab, muss der Anbietende den
Anteil des anderen zu diesem Preis übernehmen. Erfolg dieses Verfahrens ist es, dass ganz sicher der anbietende Gesellschafter einen fairen Preis an der oberen Grenze benennen wird.
Die durch kreative Verfahren oder neutrale Beurteilungskriterien generierten Lösungsmöglichkeiten
müssen für die Akzeptanz der Parteien ein besseres
Studienpraxis
Ergebnis darstellen als eines, das sie außerhalb des
Verhandlungskontextes erreichen könnten. Bei Zweifeln erörtert der Mediator mit den Parteien in Einzelgesprächen mögliche Lösungen für den Fall, dass die
Verhandlung keine Einigung bringt, die so genannte
BATNA (Best Alternative To Negotiated Agreement
oder Risikoanalyse). Erweist sich das in der Mediation erzielbare Ergebnis als die beste mögliche Lösung,
werden die Parteien dies in der Abschlussvereinbarung niederlegen.
E. Resümee
Für die Tätigkeit als Anwalt genügt es wohl nicht mehr,
allein die juristische (Anspruchs)-Methode der Konfliktbehandlung in seinem Werkzeugkasten zu haben.
Die zunehmend als Einstellungsvoraussetzung geforderten soft skills und die Fähigkeit, den Mandanten
geeignete Methoden für ihre Konflikte anzubieten,
erfordern Fortbildungen, die im Rahmen der juristischen Ausbildung nur selten angeboten werden. Hierbei geht es nicht um die auf juristischer Methodenlehre
basierenden Fertigkeiten, sondern um eine Kunst, die
im wesentlichen Erkenntnisse anderer Wissenschaften
basiert (Psychologie, Soziologie, Neurobiologie etc.).
Es ist Zeit, zu erkennen, dass der erfolgreiche Anwalt
in Zukunft mehr braucht als nur die Fähigkeit, Sachverhalte Ansprüchen zuzuordnen. Der Luther zugeschrieben Satz: „Ein Jurist, der nur ein Jurist ist, ist ein
armer Tropf“ erreicht so von neuem Bedeutung.
18 vgl. hierzu mit zahlreichen Literaturnachweisen Teubner,
ZKM, 2012, 176 ff.
19 Statt Hinweise auf die fast unübersehbare Literatur sei hier nur
verwiesen auf Haft/Schlieffen, Handbuch der Mediation, 2.
Aufl., 2008; in diesem Werk werden alle Aspekte einer einvernehmlichen Konfliktlösung unter Berücksichtigung der Parteiinteressen mithilfe einer dritten neutralen Person gewürdigt.
Zur Definition der Mediation vgl. § 1 Ziff. 1 MediationsG.
20 Dieses Beispiel verdanke ich Herrn Kollegen Hans-Jörg Risse,
Frankfurt.