carl andre

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carl andre
CARL
ANDRE
144 STEEL SQUARE, 1967
„The function of sculpture is to seize
and hold space.“
1
12 × 12 Platten aus Stahl mit einer
Kantenlänge von jeweils 12 × 12 Inches
(30,6 × 30,6 cm) formieren auf dem Boden
des Museums für Moderne Kunst ein
Quadrat mit einer Kantenlänge von 144 ×
144 Inches (367 × 367 cm). Die entstande-
und Materialien so nimmt, wie sie aus
der Fabrik kommen. Für Andre entsprach
es dem Wesen des Stahls mit seiner spezifischen Form und seinem spezifischen
Gewicht auf dem Boden zu liegen.
Seiner Konzeption liegt kein anthro-
pomorphes Weltbild zugrunde, er vermied
die vertikale Ausrichtung, die sich in den
ne Fläche ist die logische Folgerung aus
Werken des von ihm wegen seiner struk-
Module, wobei Carl Andre die amerikani-
Brancusi findet. Da 144 Steel Square direkt
der Gestalt der einzelnen unverbundenen
schen Maßeinheiten und die Anzahl der
Module präzise aufeinander abgestimmt
hat.
1966 begann Carl Andre mit der
turalen Klarheit geschätzten Bildhauers
auf dem Boden platziert ist und keinen
Sockel besitzt, gibt es keine ideale Ansicht.
Das fordert den Betrachter in besonderer
Weise heraus: Er kann beispielsweise die
klare mathematische Struktur erfassen,
Entwicklung flacher Bodenarbeiten, in
muss dann jedoch feststellen, dass er
Plastik bricht: Er vermeidet den Idealis-
sehen kann, denn je nach Position ent-
Arbeiten nicht nur mathematischen
ren. Weiterhin wird er bemerken, dass er
denen er mit den Prinzipien traditioneller
mus einer Komposition, indem er seine
Richtlinien unterwirft, sondern Formen
nicht eine einzelne vollkommene Form
stehen verschiedene geometrische Figuzunehmend den Umraum als die Arbeit
konstituierendes Element wahrnimmt.
Besitzer die Arbeit allerdings nach eige-
man sich die unterschiedlichen Präsen-
Im Museum für Moderne Kunst entfaltet
Augen: Carl Andre schuf diese Arbeit
Potential je nach Installation die postmo-
lungen in der Dwan Gallery in New York.
nehmung zu integrieren: Kunst wird vom
Besonders anschaulich wird dies, führt
tationskontexte von 144 Steel Square vor
1967 für eine seiner ersten EinzelausstelSie gehörte zu einer Serie von insgesamt
sieben Werken, die in den Jahren 1967,
1969, und 1975 entstanden. In der Aus-
stellung wurden neben 144 Steel Square,
144 Aluminium Square und 144 Zinc
Square gezeigt. Die beiden erstgenann-
ten Arbeiten orientierten sich mit ihrer
nen Vorstellungen im Raum auslegen.
144 Steel Square in besonderem Maße das
derne Museumsarchitektur in die WahrOrt her neu definiert.
Von 1960–1964 war Carl Andre bei
einer Eisenbahngesellschaft als Bremser
und Zugführer beschäftigt. Eine Tätigkeit,
die nicht ursächlich für sein skulpturales
Interesse gesehen werden kann, aber
Mittelachse an der Mittelachse des ersten
sicherlich dazu beigetragen hat, ihn für
gegen war auf die Wände und Raumach-
nen zu sensibilisieren.
Ausstellungsraumes. 144 Zinc Square hinsen eines zweiten Ausstellungsraumes
bezogen, so dass sich ein komplexer Dia-
log zwischen Bodenarbeit, Raum und Be-
industrielle Materialien und Formatio-
In den späten 1960er Jahren eta-
blierte sich für die Arbeiten von Carl
trachter entwickelte. Auch das Material
Andre, Donald Judd, Robert Morris u. a.
zogen, sowohl durch die Oberflächen-
nete diejenige Kunst, die mit industriel-
wurde in die Wahrnehmung mit einbeunterschiede, die das Auge erfasste, als
der Begriff der Minimal Art. Er bezeichlen Materialien und Fertigungsweisen,
auch durch den Klang, den das Betreten
elementaren Formen und seriellen An-
öffnungsausstellung des MMK im Jahr
der Minimal Art eine Radikalisierung der
der Bodenskulptur erzeugte. Für die Er-
ordnungen arbeitete. Einerseits ging mit
1991 hingegen installierte Carl Andre die
Wahrnehmungsästhetik einher, da nicht
terklosters. Vor dem Eingang zum Kreuz-
der Betrachter und der Umraum eine
quadratischen Bodenplatten platziert,
kamen. Andererseits kann ihr Interesse
Arbeit im Foyer des Frankfurter Karmeligang und dem Treppenaufgang auf den
mehr das einzelne Kunstwerk sondern
werkkonstitutive Rolle zugewiesen be-
gerieten die Asymmetrien des mittelal-
für industrielle Materialien und serielle
allem, da die Arbeit hier auch in Aufsicht
ren der Pop Art verglichen werden. So
terlichen Grundrisses in den Blick, vor
von der Galerie des Foyers aus gesehen
werden konnte.
Die Form seiner Bodenarbeiten legt
Andre in einem dem ausgeführten Werk
beigegebenen Zertifikat fest, das signiert
und datiert ist. Nach Erwerb kann der
Ordnungen mit künstlerischen Verfah-
weist der amerikanische Kunsthistoriker
Hal Foster darauf hin, dass die Auseinandersetzung mit seriellen Formationen im
Minimalismus und in der Pop Art jeweils
unterschiedliche Reaktionen auf dasselbe Moment in der Dialektik zwischen
Moderne — mit ihrer Forderung eines
autonomen Werkes — und der Massenkultur waren. Wenn Andy Warhol mit
seinen seriellen Verfahren Massenkultur
CARL ANDRE
(*1935, Quincy, USA — lebt in New York, USA)
in die Kunst integriert, betont die Mini-
144 STEEL SQUARE, 1967
reflektiert dadurch negativ die neue Ord-
Gewalzte Stahlplatten
Minimal Art können so als Widerstand
Frankfurt am Main
mal Art Präsenz und Wahrnehmung und
nung der Serienproduktion. Werke der
gegen die Welt der Repräsentation und
Medialisierung verstanden werden.
2
Hal Foster beschreibt allerdings auch
die „Crux des Minimalismus“: Denn die
Museum für Moderne Kunst,
Ehemalige Sammlung Karl Ströher,
Darmstadt
Inv. Nr. 1981/1
„universellen Formen“, die man auch in
144 Steel Square von Carl Andre beobachten kann, lassen an die sich in den 1950er
und 1960er Jahren etablierenden Architekturen und Firmenlogos der amerika-
nischen Wirtschaft denken. Jüngere,
in der Sammlung des MMK vertretene
Künstler, wie Sarah Morris greifen letztere Thematiken in ihren Werken auf,
an Formsprachen des Minimalismus
anknüpfend ermöglichen sie einen aktualisierten Blick auf 144 Steel Square.
Antje Krause-Wahl
1
Carl Andre zitiert in Barbara Rose, ABC ART,
in: Art in America 53 (5), Oktober 1965, S. 67
2
Hal Foster, Die Crux des Minimalismus,
in: Minimal Art. Eine kritische Retrospektive,
hg. v. Gregor Stemmrich, Dresden 1995, S.589–633
CARL ANDRE
144 STEEL SQUARE, 1967
“The function of sculpture is to seize
and hold space.”
1
12 x 12 steel sheets, each of which
is sized 12 x 12 inches respectively, combine to form a square on the floor of
Museum für Moderne Kunst in Frankfurt
raw post-factory form. For Andre it was
entirely commensurate with the essence
of steel and its particular shape and
weight to lay it on the ground in sculpture.
Andre’s conception is not based on
an anthropomorphic view of the world.
that then boasts sides of 144 × 144 inches
Indeed, he avoids the vertical alignment
is the logical consequence of the shape
Andre admired for their structural clarity.
whereby artist Carl Andre has precisely
direct on the floor and has no supporting
ment and the number of modules to one
which to view it. This challenges the ob-
(367 × 367 cm). The surface thus created
of the individual unconnected modules,
calibrated the American units of measureanother.
Andre began creating flat floor pie-
ces in 1966, breaking with the tradition-
used by Brancusi, a sculptor whose works
Because 144 Steel Square is positioned
plinth, there is no ideal perspective from
server in a very special way. For example,
you can capture the sculpture‘s strict
mathematical structure, but are forced to
recognize that you cannot view a single
al precepts of sculpture in the process.
complete shape, since different geomet-
not just by submitting his sculptures to
angle from which sculpture is viewed.
working with materials and shapes in
the surrounding space as the key element
He avoids the idealism of composition
mathematical principles, but also by
ric figures emerge depending on the
Furthermore, you will also soon notice
defining the piece. This becomes particu-
integrating post-modern museum archi-
ous contexts in which 144 Steel Square has
depending on the installation: Here, art
larly clear if you look closely at the varibeen presented. Indeed, Andre created
the work in 1967 for his first solo show
at the Dwan Gallery in New York. It be-
tectures into the viewer’s perception
is re-defined by the space it occupies.
Andre was employed as a brakes-
longed to a series of seven pieces which
man and conductor by a railway company
side 144 Steel Square, Andre also present-
which cannot be seen as the root cause of
he made in 1967, 1969, and 1975. Along-
ed 144 Aluminum Square and 144 Zinc
Square in the exhibition. The first two
works were aligned in terms of their central axes to the central axis of the exhibi-
tion hall in which they were shown. The
between 1960 and 1964, an occupation
his interest in sculpture, but which must
have contributed to sensitizing him to in-
dustrial materials and formations.
In the late 1960s, the concept of
layout of 144 Zinc Square, by contrast,
Minimal Art was developed to describe
of a second exhibition hall, such that a
and Robert Morris among others. It
referenced the walls and axes of the room
the works of Carl Andre, Donald Judd
complex dialogue arose between floor
refers to the type of art which works with
ture’s material is incorporated in the pro-
turing, elementary forms and shapes
piece, room and observer. Even the sculp-
cess of perception in the form of both
the surface differences which catch the
viewer’s eye and the sound you hear on
industrial materials, modes of manufac-
aligned in series. On the one hand, Minimal Art was accompanied by a radicalization in the aesthetics of perception,
walking across the floor sculpture. For
since it was no longer the artwork, but
exhibition in 1991, Andre installed the
space which were accorded a key role
Museum für Moderne Kunst’s opening
work in the foyer of the Carmelite Mon-
astery in Frankfurt. Positioned in front
rather the observer and the exhibition
in determining the work. On the other
hand, the artists’ interest in industrial
of the entrance to the cloister and the
materials and their combination of ar-
of the Medieval building, particularly
with the processes of Pop Art. American
staircase, it highlighted the asymmetries
as the work could also be seen from the
foyer’s gallery.
Andre specified the shape of his
floor pieces in detailed accompanying
certificates, signed and dated by the
artist. On acquiring the work, however,
ranging shapes in series can be compared
art historian Hal Foster points out that
the critical inquiry into serial formations
in Pop Art and Minimalism respectively
involved different reactions to the same
element in the dialectic between Modernism (with its insistence on the autonomy
of the artwork) and mass culture. While
a new owner can, however, display it
Andy Warhol integrated mass culture
Moderne Kunst 144 Steel Square em-
cesses, Minimal Art by contrast empha-
in any way he sees fit. At Museum für
phasizes the particular potential for
into the artistic process via his serial pro-
sized perception and presence, negatively
reflecting the new order serial production
created. Works of Minimal Art can thus
be seen as acts of resistance to the world
2
CARL ANDRE
(b. 1935 in Quincy, USA — lives in New York, USA)
of representation and the media. Yet Hal
144 STEEL SQUARE, 1967
ism”, since the “universal forms” which
Hot-rolled steel
144 Steel Square force you to think of the
Frankfurt am Main
Foster also talks of the “crux of Minimalare also to be discerned in Carl Andre’s
company logos and architectures pre-
valent in America of the 1950s and 1960s.
Younger artists represented in the MMK
collection, such as Sarah Morris, likewise
Museum für Moderne Kunst,
Former Karl Ströher Collection,
Darmstadt
Inv. no. 1981/1
take these up in their works; latching
onto the formal idiom of Minimalism,
they offer us an updated view of 144 Steel
Square.
Antje Krause-Wahl
Translation: Jeremy Gaines
1
Carl Andre quoted in Barbara Rose, ABC ART,
in: Art in America 53 (5), October 1965, p. 67
2
Hal Foster, Die Crux des Minimalismus (‘The
Crux of Modernism’). In: Minimal Art. Eine kritische
Retrospektive), Gregor Stemmrich ed., Dresden 1995,
pp.589–633
MMK MUSEUM FÜR MODERNE KUNST
FRANKFURT AM MAIN