Bibliotheken für die Zukunft

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Bibliotheken für die Zukunft
Universität Salzburg & University of Salzburg Business School
Universitätslehrgang Executive MBA International Arts Management
Lehrgangsleitung:
Univ.-Prof. Dr. Adolf Haslinger
Prof. Herwig Pöschl
Bibliotheken der Zukunft
Strategieentwicklung an wissenschaftlichen Bibliotheken
am Beispiel der Universitätsbibliothek Wien
Master Thesis vorgelegt von:
Dr. Andreas Brandtner
Esteplatz 3/14
1030 Wien
Wien, im Oktober 2010
Eidesstattliche Erklärung
Ich erkläre hiermit ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und
ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benützt und die
den benützten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche klar
gemacht habe.
Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen
Prüfungsbehörde vorgelegt und auch nicht veröffentlicht.
Dr. Andreas Brandtner
2
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
3
Einleitung
5
1. Bibliotheken in der Wissensgesellschaft
8
1.1. Was heißt Bibliothek?
8
1.2. Hybride Bibliotheken zwischen analoger und digitaler Information
10
1.2.1. Digitalisierung von analoger Information
17
1.2.2. Bereitstellung von originärer digitaler Information
22
1.2.3. Langzeitarchivierung von digitaler Information
23
1.3. Die neue Qualität des analogen Bibliotheksraums
26
1.4. Teaching Library
28
1.5. Bibliothek 2.0 / 3.0 / 4.0
30
1.6. Bibliothekstypologisches und Ausdifferenzierung der Bibliotheken
32
2. Die Universitätsbibliothek Wien als Dienstleistungseinrichtung
der Universität Wien
35
2.1. Geschichte
35
2.2. Aktuelle Daten und Fakten
37
2.3. Organisatorische Verankerung
40
2.4. Ablauforganisation und neue Handlungsfelder
41
2.5. Aufbauorganisation
45
Exkurs 1: Zweischichtigkeit, Einschichtigkeit und funktionale
Einschichtigkeit von Bibliothekssystemen in Universitäten
47
2.6. Aufgaben und Kernkompetenzen
48
3. Strategieentwicklung für Organisationen
50
3.1. Positionen der Managementtheorie
50
3.2. Strategieentwicklung für und von Bibliotheken
62
3.2.1. Allgemeine bibliothekarische Zukunfts- und Strategieentwürfe
63
3.2.2. Konkrete bibliothekarische Strategieentwicklung
72
4. Strategieentwicklung der Universitätsbibliothek Wien
4.1. Voraussetzungen und Vorbereitung
77
77
4.1.1. Aufbauorganisation
77
4.1.2. Ablauforganisation und Geschäftsprozessmanagement
79
Exkurs 2: Geschäftsprozess: Personenbezogene Änderungen
bei bestehender Entlehnberechtigung
79
4.1.3. Organisationskultur
90
4.1.4. Personalentwicklung
93
4.1.5. Interne Kommunikation
95
4.1.6. Kernkompetenzen
96
4.2. Rahmenbedingungen und relevante Umwelten
100
4.2.1. Gesetzliche Rahmenbedingungen
100
4.2.2. Inneruniversitäre Rahmenbedingungen
100
4.2.3. Erfolgskritische außeruniversitäre Umwelten
102
4.2.4. Systemische Konsequenzen
104
4.3. Initiierung und Grundausrichtung
105
4.4. Zielsetzung und Prozess
106
4.4.1. Zielsetzung
106
4.4.2. Struktur
106
4.4.3. Verlauf
107
4.5. Nächste Schritte
116
4.5.1. Evaluation der Prototypen durch die Steuerungsgruppe
116
4.5.2. Evaluation der Strategieentwicklung durch die Peer-Evaluation
116
5. Zwischenbilanz und Zukunftsperspektiven
118
5.1. Ergebnisse der Evaluationen
118
5.2. Zwischenbilanz zur Strategieentwicklung – Lessons Learned
118
5.2.1. Stärken
118
5.2.2. Schwächen
119
5.2.3. Chancen
119
5.2.4. Risiken
120
5.3. Erfolgskritische Perspektiven
120
5.3.1. Etablierung eines strategischen Managements
120
5.3.2. Weiterentwicklung der Organisationskultur
121
5.3.3. Innovation durch Prototyping
121
Resümee
123
Literaturverzeichnis
124
2
Vorwort
Die vorgelegte Arbeit greift das Thema des strategischen Managements auf und
behandelt es am Beispiel eines der differenziertesten, dynamischsten, turbulentesten
und
auch
zukunftsmächtigsten
Märkte
des
frühen
21.
Jahrhunderts,
des
Informationsmarkts. Dabei wird der Bereich der Bibliothek als einer der zentralen (und
bisweilen zu wenig bedachten) Marktplayer herausgegriffen und exemplarisch am
Beispiel der Universitätsbibliothek Wien – einer der größten wissenschaftlichen
Bibliotheken des deutschen Sprachraums und auch in gesamteuropäischer Perspektive –
abgehandelt.
Rekonstruiert
und
kritisch
reflektiert
wird
der
Strategieentwicklungsprozess, den die Bibliothek der Universität Wien nach
umfangreicher
und
intensiver
Vorbereitung
als
zentrale
Maßnahme
zur
Organisationsentwicklung im Jahr 2008 gestartet hat und der zum Abfassungszeitraum
der Master Thesis noch nicht abgeschlossen ist.
Die Studie rekurriert auf einen Teil der beruflichen Biographie ihres Verfassers und
resultiert aus seiner Tätigkeit in vier Gedächtnisinstitutionen: dem Adalbert-StifterInstitut des Landes Oberösterreich in Linz, dem Österreichischen Literaturarchiv der
Österreichischen Nationalbibliothek in Wien, der Handschriftensammlung der Wiener
Stadt- und Landesbibliothek (heute: Wienbibliothek im Rathaus) und schließlich und
vor
allem
der
Dienstleistungseinrichtung
Bibliotheks-
und
Archivwesen
(Universitätsbibliothek / Universitätsarchiv) der Universität Wien. Als stellvertretender
Leiter des Bibliotheks- und Archivwesens der Universität Wien war der Verfasser
zentral
an
der
Vorbereitung
Strategieentwicklungsprozesses
beteiligt
und
und
Initiierung
des
dargestellten
verantwortet
seine
Durchführung
maßgeblich mit.
Die
Untersuchung
fokussiert
vornehmlich
auf
die
Management-
und
Organisationspraxis. Zentral ist der Erfolg des rekonstruierten und begleiteten
Strategieentwicklungsprozesses und nicht seine theoretische Verallgemeinerung und
Quasi-Objektivierung. Dennoch wird die entsprechende Managementtheorie gründlich
miteinbezogen und in die Praxis vermittelt. Dies ist vor dem Hintergrund der
beruflichen Verstrickung des Verfassers in seinen Untersuchungsgegenstand dringend
notwendig: Denn die Untersuchung möchte auch die unternehmerische Praxis mit
Komplexität anreichern sowie konsequent und beharrlich in Frage stellen, die blinden
3
Flecken des Managementalltags ausleuchten. Gerade in einer Situation turbulenter
Umwelten, diskontinuierlicher, nicht-linearer Prozesse, die sich der Prognose zu
entziehen scheinen, verspricht der Rückgriff auf theoretische Abstraktion, die
Wahrnehmung so zu flexibilisieren, dass Organisationsgestaltung und Organisieren mit
robusten wie gleichzeitig fragilen Netzwerken, mit mehrdeutigen Umwelten und mit
einer unbekannten Zukunft produktiv interagieren können.
Als Konsequenz aus ihrer praktischen Fundierung bezieht diese Master Thesis auch klar
Position. Sie ergreift Partei für die Institution Bibliothek als Ort des freien,
uneingeschränkten und offenen Umgangs mit Information, als Ort von Kommunikation
und sozialer Interaktion, als Einrichtung, die Zugänge schafft und Austausch
ermöglicht. Angesichts der zunehmenden Ökonomisierung und Kommerzialisierung
von Information und Wissen kommt der Bibliothek – flankiert von anderen
Gedächtnisinstitutionen – eine immer wichtiger werdende Funktion in einer
demokratisch organisierten Informations- und Wissensgesellschaft zu, der die freie
Zugriffsmöglichkeit auf Information vorausgesetzt ist. Die Arbeit bezieht ihre Position
nicht rhetorisch und damit im verhandelten Kontext naiv, sondern sie versucht, den
Bibliotheken ein erfolgskritisches Aktionsfeld aufzubereiten und einschlägiges Material
verfügbar zu machen, um diese für ihre eigene Profilierung in einem durch starke
Konkurrenz ausgezeichneten Markt zu stärken.
Bei Herwig Pöschl, dem Gründer und langjährigen Leiter des ICCM (International
Centre for Culture and Management), bedanke ich mich sehr herzlich für die Begleitung
dieser Master Thesis und darüber hinaus für die immer gewinnbringenden Gespräche,
verstreut über zahlreiche Jahre. Ich bedanke mich ebenfalls bei Mag. Maria Seissl, der
Leiterin des Bibliotheks- und Archivwesens der Universität Wien, die den dargestellten
Strategieentwicklungsprozess entscheidend mit gestaltet und intensiv gefördert hat.
Mag. Gerda Mraczansky, der Leiterin der Abteilung Personalentwicklung der
Universität Wien, danke ich besonders, weil sie das dargestellte Vorhaben ideell, in
seiner Finanzierung auch budgetär und immer konzeptionell unterstützt hat.
Fanø, September 2010
4
Einleitung
Bibliotheken sind als Informationsdienstleister feste Größen des aktuellen und
historischen Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftsbetriebs. Seit dem späten 20.
Jahrhundert ändert sich allerdings der Informationsmarkt rapide, teilweise turbulent und
gewiss auch nachhaltig. Das alteuropäische Leitmedium Buch ist grundlegend
relativiert, Information wird vermehrt digital gehandelt, und das Internet erlaubt den
Zugriff auf Daten orts- und zeitunabhängig. Information wird zur zentralen Ressource
des 21. Jahrhunderts und Bildung ein signifikanter Standortvorteil in einer
globalisierten Welt. Aber Information und Wissen sind nur dann marktfähig, wenn sie
durch Informationsarbeit aufbereitet und zugänglich gemacht werden, ein klassisches
Terrain der Bibliotheken und ein attraktives Feld für neue Player am Markt.
Vor
dem
Hintergrund
der
aktuellen
gesellschaftlichen
und
technologischen
Entwicklung, die das Verhältnis von Informationserstellung, -angebot und -nachfrage
neu ordnen wird, widmet sich die Master Thesis der Frage nach der Zukunft der
Bibliotheken. In einer Art Werkstattbericht wird der aktuell seit etwa zwei Jahren
laufende Strategieentwicklungsprozess der Universitätsbibliothek Wien dargestellt,
sowie in soziokultureller und managementtheoretischer wie -praktischer Hinsicht
kontextualisiert und reflektiert. Die Universitätsbibliothek Wien gerät dabei nicht nur
als Einzelorganisation in den Blick, sondern dient auch als repräsentatives Beispiel für
wissenschaftliche Bibliotheken in der gegenwärtigen scheinbar paradoxen Situation,
dass die Entwicklung hin zur Wissensgesellschaft keinesfalls den Organisationstyp
Bibliothek automatisch begünstigt, obwohl die bibliothekarische Gemeinschaft konform
zu den Grundwerten der Wissensgesellschaft agiert. Zentrales Anliegen der Arbeit ist
es, in einer Zeit eines diagnostizierten Umbruchs die Strategiediskussionen von
Universitäts- und Hochschulbibliotheken aus der Perspektive einer Einzelorganisation
kritisch zu unterstützen, um deren Erfolgspositionen im Wettbewerb zu stärken. Denn
erst durch intensive Positionierungsarbeit kann es Bibliotheken gelingen, am
Informationsmarkt langfristig erfolgreich zu bleiben.
Im ersten Kapitel „Bibliotheken in der Wissensgesellschaft“ werden nach einem kurzen
Blick auf den aktuellen Bibliotheksbegriff die Konsequenzen sowohl der neuen
Informations-
und
Kommunikationstechnologien
als
auch
gegenwärtiger
soziokultureller Prozesse für den Bibliotheksbereich dargestellt. Besonders zu bedenken
5
sind hier die Veränderungen, die aus der rasant fortschreitenden Digitalisierung der
Informations- und Wissenswelt resultieren. Insgesamt soll deutlich gemacht werden,
welche Anforderungen aktuell an Gedächtnisinstitutionen gestellt werden, und zudem
veranschaulicht werden, wie sich diese Einrichtungen proaktiv in eine freilich nur
schwierig prognostizierbare Zukunft, die teilweise durch disruptive Innovationen
gekennzeichnet ist, bewegen können.
Im zweiten Teil „Die Universitätsbibliothek Wien als Dienstleistungseinrichtung der
Universität Wien“ wird die im Mittelpunkt der Arbeit stehende Organisation sowohl
hinsichtlich betriebswirtschaftlicher Kerngrößen und -faktoren als auch hinsichtlich der
Prämissen ihrer Organisationskultur vorgestellt. Die ins Auge gefasste Organisation
erweist sich dabei als typische Repräsentantin einer Universitätsbibliothek, die sich vor
allem durch ihre markante Größe und innerbetriebliche Komplexität sowie durch
infrastrukturelle
Herausforderungen,
aber
auch
durch
ihren
spezifischen
organisationalen Entwicklungsstand auszeichnet.
Im
dritten
Abschnitt
„Strategieentwicklung
für
Organisationen“
werden
unterschiedliche Ansätze und Schulen strategischen Managements rekonstruiert, wobei
sowohl auf aktuelle als auch historische Positionen abgehoben wird. Dieser Rekurs ist
umso notwendiger, als der Ausgangspunkt der Arbeit kein systematischer der
Managementtheorie sein kann, sondern ein praktischer des konkreten Managements ist.
Dieser
hier
bewusst
(lösungs-)pragmatisch
gewählte
Ansatz
einer
aktiven
Unternehmensführung soll die Zusammenführung und Synthese unterschiedlicher und
bisweilen systematisch unvereinbarer Ansätze der Managementlehre erlauben, dort wo
die Organisation in ihrer Entwicklung und Zukunftsausrichtung profitiert. Ein Blick auf
rezente Beispiele von Strategieentwicklung an und für Bibliotheken schärft die
Aufmerksamkeit auf den in der Master Thesis betrachteten Organisationstyp.
Das vierte Kapitel „Strategieentwicklung der Universitätsbibliothek Wien“ beschäftigt
sich mit der derzeit laufenden Organisationsentwicklungsmaßnahme und den dafür
notwendigen Vorarbeiten. Der von einem externen Beratungsteam begleitete Prozess ist
fundamental
partizipatorisch
angelegt
und
resultiert
aus
dem
kooperativen,
postheroischen Führungsstil des Top Managements der Bibliothek, der von grandiosen
Gesten grundsätzlich absieht. Er intendiert Konsequenzen für die Organisationskultur
und wurde auch von entsprechenden Optimierungsmaßnahmen – vor allem bei der
6
Verbesserung der betriebsinternen Kommunikation – basiert und flankiert. Mitbedacht
werden an dieser Stelle auch die Rahmenbedingungen und relevanten Umwelten.
Im fünften Kapitel „Zwischenbilanz und Zukunftsperspektiven“ wird einerseits der
Strategieentwicklungsprozess mit Stand September 2010 bewertet, andererseits werden
mögliche Zukunftsperspektiven verfolgt. Dabei wird besonders auf die langfristige
Etablierung von strategischem Management, die kontinuierliche Optimierung der
Organisationskultur und die Mobilisierung von Innovationspotential abgehoben. Der
Anlage als Werkstattbericht folgend, werden keine konkreten Handlungsanweisungen
entwickelt, sondern mögliche Spuren in die Zukunft verfolgt. Ein Resümee fasst die
Ergebnisse zusammen und beschließt die Arbeit.
Die Master Thesis versteht sich als beispielhafter und punktueller Beitrag zur Reflexion
der
Ökonomisierung
des
Informationsmarkts
und
ihrer
gesellschaftlichen
Konsequenzen. Ihre Ergebnisse sollen für die Bibliothekswelt insofern reflexions- und
handlungsrelevant sein, als Perspektiven einer strategischen Ausrichtung und damit
(pro-)aktiven Zukunftsgestaltung eröffnet werden. Damit wird gegenüber einer bloß
reaktiven Anpassung an geänderte Umweltbedingungen eine neue Dimension
strategischer und folglich auch operativer Aktivität gewonnen, die eine kurz- und
mittelfristige
Perspektive
zu
überschreiten
versucht,
um
einen
langfristigen
Entwicklungshorizont zu eröffnen. Nicht nur die Inhalte der Strategieentwicklung der
Universitätsbibliothek Wien sollen dabei relevant sein, sondern – und das vor allem –
ihre sehr bewusst gewählte Form. Insofern Organisation in der vorliegenden Arbeit als
in ihrer Bewegung, Aktivität und Veränderung, das heißt als permanenter Prozess des
Organisierens verstanden wird, kann auch Strategie nicht als abgeschlossener Vorgang
bzw. als Produkt aufgefasst werden, sondern wird ebenso als anhaltender
Organisationsentwicklungsprozess begriffen. Diese Sichtweise konzentriert den Blick
auf die Prozessualität der Strategieentwicklung, deren Qualität maßgeblich ihren Erfolg
mitbestimmt.
7
1. Bibliotheken in der Wissensgesellschaft1
1.1. Was heißt Bibliothek?
Wirft man einen Blick auf die neueste Geschichte des Begriffs Bibliothek, 2 ist auffällig,
dass es um die Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert zu einem markanten Wandel
kommt: Die etymologische Basis, nämlich Bibliothek als Sammlung bzw.
Aufbewahrungsort (θήκη: Ablage) von Büchern (Βιβλίον: Buch), wird zugunsten des
Begriffs Information verlassen. Zwei Beispiele mögen das veranschaulichen:
Rupert Hacker vertritt in seinem einführenden Lehrbuch „Bibliothekarisches
Grundwissen“ noch die ältere Ansicht:
Das Wort Bibliothek kommt aus dem Griechischen und bedeutet
Büchersammlung. Da sich in einer funktionierenden Bibliothek die Bücher in
einer bestimmten Ordnung befinden und zur Benutzung durch den Leser
verfügbar sein müssen, kann man eine Bibliothek definieren als eine geordnete
und benutzbare Sammlung von Büchern. 3
Die neuere Version findet sich etwa im „Lehrbuch der Bibliotheksverwaltung“ von
Gisela Ewert und Walther Umstätter:
Die Bibliothek ist eine Einrichtung, die unter archivarischen, ökonomischen und
synoptischen Gesichtspunkten publizierte Information für die Benutzer sammelt,
ordnet und verfügbar macht. 4
„Publizierte Information“ meint hier gedruckte Dokumente, audiovisuelle Medien in
analoger und digitaler Form sowie digitale Medien usw., „archivarisch“ verweist auf die
Bewahrung der Medieneinheiten, „ökonomisch“ bedeutet informationslogistisches
1
Die hier verwendete Begriffsfassung von Wissensgesellschaft orientiert sich an den Arbeiten von Nico
Stehr; vgl. z. B.: Nico Stehr: Moderne Wissensgesellschaft. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 36 (2001),
S. 7–14, hier S. 10: „Wenn Wissen in steigendem Maße nicht nur als konstitutives Merkmal für die
moderne Ökonomie und deren Produktionsprozesse und -beziehungen, sondern insgesamt zum
Organisationsprinzip und zur Problemquelle der modernen Gesellschaft wird, ist es angebracht, diese
Lebensform als Wissensgesellschaft zu bezeichnen.“
2
Vgl. etwa Gisela Ewert / Walther Umstätter: Die Definition der Bibliothek. Der Mangel an Wissen über
das unzulängliche Wissen ist bekanntlich auch ein Nichtwissen. In: Bibliotheksdienst 33 (1999), S. 957–
971.
3
Rupert Hacker: Bibliothekarisches Grundwissen. 7., neu bearb. Aufl. München: Saur 2000, S. 11.
4
Gisela Ewert / Walther Umstätter: Lehrbuch der Bibliotheksverwaltung. Auf der Grundlage des Werkes
von Wilhelm Krabbe und Wilhelm Martin Luther. Stuttgart: Hiersemann 1997, S. 10.
8
Handeln, das heißt, dass die richtige Information in richtiger Form am richtigen Ort zur
richtigen Zeit zu ökonomisch vertretbaren Kosten verfügbar gehalten wird, und
„synoptisch“ stellt fest, dass Bibliotheken eine Zusammenschau des gesamten
Informationsangebots leisten.
Parallel zu dieser Neudefinition sind vor allem im universitätsbibliothekarischen
Kontext Ansätze zu beobachten, den Begriff Bibliothek zu vermeiden und stattdessen
Komposita mit den Termen Medien, Information usw. (z. B. Informationszentrum) zu
bilden. 5 Dies resultiert häufig aus der Tendenz, die institutionelle Trennung zwischen
Universitätsbibliotheken
und
vergleichbaren
bzw.
vermeintlich
vergleichbaren
Einrichtungen der Wissensspeicherung und Informationsvermittlung aufzubrechen und
etwa
Bibliothek,
Medienzentrum
und
Rechenzentrum
organisatorisch
zusammenzuführen. So ist etwa im Jahr 2002 an der Universität Ulm ein Informationsund Kommunikationszentrum entstanden, im Jahr 2004 an der Brandenburgisch
Technischen
Universität
Cottbus
ein
Informations-,
Kommunikations-
und
Medienzentrum.
Auch die disziplinäre Identität der Bibliothekswissenschaft 6 ist dann in Frage gestellt,
wenn die Bibliothek in einer engen Begriffsauslegung als organisierendes Korrelat der
Druck- und Schriftkultur gedacht wird, die momentan ihre Paradigmen bildende Rolle
zugunsten von Techniken des netzbasierten Umgangs mit digitalen Informationen
einbüßt. Der Begriff „Digitale Bibliothek“ erscheint in dieser Sichtweise als
kontraproduktive Metapher, die die wesentliche Differenz zwischen analog und digital
verstellt und den Blick auf das grundsätzlich Neue im Digitalen versperrt. 7 Da der
Gegenstand der Bibliothekswissenschaft zusehends marginalisiert wird, wäre eine
Neukonstitution anzudenken, die die bisherige Bibliothekswissenschaft ausrichtet als
Wissenschaft von den technischen, sozialen und institutionellen Formationen, deren
Fokus auf dem kollektiven Umgang im Kontext digitaler Wissenschaft liegt. 8
5
Vgl. Ulrich Naumann: Über die Zukunft der namenlos gemachten Bibliothek. In: Bibliotheksdienst 38
(2004), S. 1399–1416.
6
Zu aktuellen Positionen vgl. Hans-Christoph Hobohm: Desiderate und Felder
bibliothekswissenschaftlicher Forschung. In: Bibliothekswissenschaft – quo vadis? Eine Disziplin
zwischen Traditionen und Visionen. Programme – Modelle – Forschungsaufgaben. Hg. von Petra Hauke.
München: Saur 2005, S. 47–64.
7
Vgl. Stefan Gradmann: Gibt es „Digitale Bibliotheken“? Wird es sie jemals geben? Zu den Grenzen
einer allzu populären Metapher. In: Digitalität und Literalität. Zur Zukunft der Literatur im Netzzeitalter.
Hg. von Harro Segeberg und Simone Winko. Paderborn, München: Fink 2005, S. 295–314.
8
Vgl. Stefan Gradmann: Hat Bibliothekswissenschaft eine Zukunft? Abweichlerische Gedanken zur
Zukunft einer Disziplin mit erodierendem Gegenstand. In: Bibliothekswissenschaft – quo vadis? Eine
9
Zurück zur Transformation des Bibliotheksbegriffs: Die Verabschiedung einer explizit
ortsorientierten (Sammlung bzw. Aufbewahrungsort) und produktorientierten (Bücher)
Definition und Hinwendung zu einer funktions- und zielorientierten (archivarisch,
ökonomisch und synoptisch) und kundenorientierten (Information) Auffassung vollzieht
(verspätet) – freilich ohne sich dessen auch nur ansatzweise bewusst zu sein – eine
zentrale Marketing-Erkenntnis. Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Theodore
Levitt führt in seinem berühmten und häufig zitierten Artikel „Marketing Myopia“ aus
dem Jahr 1960 aus, 9 dass nur Unternehmen, die sich an ihren Kundinnen und Kunden
orientieren und nicht nur an ihren Produkten, auf Dauer Produkte herstellen können, die
am Markt absetzbar sind. Zuerst ist das Bedürfnis der Kundinnen und Kunden
festzustellen, auf das das Produkt abgestimmt werden muss, nicht umgekehrt zuerst das
Produkt zu erstellen. Um erfolgreich zu sein und dauerhaft zu bleiben, haben
Unternehmen von einer Produktorientierung auf Kundenorientierung umzustellen.
1.2. Hybride Bibliotheken zwischen analoger und digitaler Information 10
Von den frühen Hochkulturen bis heute sind Bibliotheken integrativer Bestandteil der
kulturellen Praxis und für differenzierte Gesellschaften als Daten-, Informations- und
Wissenszentren funktional. Dabei ist ihre etwa zweieinhalbtausendjährige Geschichte
durchgehend von der Speicherung und Bereitstellung physischer Objekte an physischen
Orten bestimmt. Mit der zunehmenden Digitalisierung analoger Information, mit der
Produktion genuin digitaler Daten (Born Digital) und mit der Möglichkeit, über das
Internet digital zu kommunizieren, hat sich der Informationsmarkt mit Ausgang des 20.
Jahrhunderts grundlegend geändert. Information ist vom physischen Medium getrennt
und zumindest potentiell orts- und zeitunabhängig allgemein verfügbar. Die
Wissenstradierung ist nicht mehr unmittelbar an bestimmte Institutionen bzw.
Disziplin zwischen Traditionen und Visionen. Programme – Modelle – Forschungsaufgaben. Hg. von
Petra Hauke. München: Saur 2005, S. 97–102.
9
Theodore Levitt: Marketing Myopia. In: Harvard Business Review 38 (1960), S. 55–68.
10
Vgl. Andreas Brandtner: Digitale Medien, analoge Speicher, hybride Bibliotheken. Nachrichten aus der
bibliothekarischen und (literatur-)archivarischen Praxis. In: Germanistik im Kontakt. Tagung
österreichischer und kroatischer Germanist/inn/en. Opatija, 29. 9.–1. 10. 2005. Hg. von Svjetlan Lacko
Vidulić, Doris Moser und Sladan Turkovic. Zagreb: Abteilung für Germanistik der Philosophischen
Fakultät der Universität Zagreb 2006 (= Zagreber Germanistische Beiträge. Beih. 9; zugl. Stimulus
2005), S. 347–351.
10
Institutionstypen gebunden, sondern in den virtuellen Raum des World Wide Web
(WWW) verlagert, wo eine Vielzahl von Akteurinnen und Akteuren angetreten ist,
Information verfügbar zu machen, als Wissen aufzubereiten und schließlich das Netz zu
organisieren. Neben zahllosen staatlich-öffentlichen, privatwirtschaftlichen und nichtkommerziell persönlich privaten Initiativen, die punktuell agieren (z. B. mit WWWPortalen), finden sich hier auch Weltkonzerne, wie der Suchmaschinen-Betreiber
Google, die globalen Anspruch erheben. Markant heißt es im Mission Statement von
Google, des derzeit wohl einflussreichsten Players am Informationsmarkt: „Das Ziel
von Google besteht darin, die auf der Welt vorhandenen Informationen zu organisieren
und allgemein zugänglich und nutzbar zu machen.“ 11 Damit formuliert die im Jahr 1998
gegründete Internet-Firma Google eine Aussage, die direkt dem Selbstverständnis der
Traditionsunternehmung Bibliothek entnommen scheint.
Die Bibliotheken ihrerseits haben seit dem frühen 19. Jahrhundert zuerst im
angloamerikanischen und dann auch im kontinentaleuropäischen Raum einen Prozess
einer
tief
greifenden
Professionalisierung
durchlaufen. 12
Mit
der
Bibliothekswissenschaft wurde eine spezielle Disziplin für das Bibliothekswesen
etabliert, in der Folge ein fachspezifischer Kompetenzkanon ausgebildet und ein eigener
Berufsstand ausdifferenziert. Es wurden Ausbildungswege und Curricula definiert,
Verbände gegründet, Bibliothekszentren mit koordinierender Funktion eingerichtet und
in
manchen
Staaten
Bibliotheksgesetze
erlassen.
Mittlerweile
hat
dieser
hochprofessionelle, international vernetzte und auch bürokratisierte Apparat zahlreiche
Standards, Regelwerke und Normen zur Bewältigung seiner traditionellen Aufgaben der
Sammlung, Erschließung, Bereitstellung und Bewahrung von Information entwickelt,
zumeist national und zusehends auch international akkordiert. Dass sich dieser Apparat
dabei auf das Leitmedium Buch konzentriert hat, war mediengeschichtlich konsequent
und
resultierte
zudem
aus
der
funktionalen
Aufgabenverteilung
Gedächtnisinstitutionen Archiv (Verwaltung von Originalen),
11
13
unter
den
Bibliothek (Verwaltung
http://www.google.de/corporate/; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010.
Vgl. Uwe Jochum: Kleine Bibliotheksgeschichte. 2., durchges. und bibliographisch erg. Aufl. Stuttgart:
Reclam 1999 (= Universal-Bibliothek 8915), S. 114–129.
13
Vgl. etwa Angelika Menne-Haritz: Schriftgutverwaltung und Archivierung. In: Grundlagen der
praktischen Information und Dokumentation. Hg. von Marianne Buder. 4. Aufl. München u. a.: Saur
1997, S. 460–472, hier S. 465f.
11
12
publizierter
Information), 14
Museum
(Verwaltung
Objekte) 15
musealer
und
Dokumentation (Nachweis von Information). 16
Für den Entwicklungsstand von Bibliotheken und anderen Gedächtnisinstitutionen, die
sich mit der Auswahl / Aufnahme, Bearbeitung, Speicherung und Bereitstellung /
Übertragung von Information beschäftigen, ist strukturell auch zu bedenken, dass sie
eng an medienhistorische Bedingungen gebunden sind und die spezifische Materialität
der historischen und aktuellen Datenträger, die es zu verwalten gilt, massiv den Aufbau
und Ablauf ihrer Organisation bestimmt. Mediengeschichtliche Veränderungen oder gar
Brüche
machen
in
diesen
Gedächtnis-
bzw.
Speicherinstitutionen
teilweise
grundlegende Umbauten notwendig, soll der Anspruch erhalten bleiben, auf rezenten
Trägern transportierte Information bereitzuhalten oder auch zu archivieren. Die
ausschließliche Orientierung an historischen Medien würde unweigerlich zu einer
Musealisierung und damit Marginalisierung am Informationsmarkt führen.
Der aktuelle „besonders dynamische(r) Umbruch in der Evolution der Medien und in
den
Modi
neuzeitlicher
Kommunikation“ 17
wurde
von
einer
mittlerweile
transdisziplinär expandierenden Medienwissenschaft etwa im Anschluss an Marshall
McLuhan als Ende der Gutenberg-Galaxis beschrieben. In der Folge wird die aktuelle
Gegenwart als Epochenschwelle zwischen Buchzeitalter und elektronischer Ära
(mitunter auch Turing-Galaxis) aufgefasst. Begriffe wie Informations-, Wissens-,
Kommunikations-
oder
Netzwerkgesellschaft
versuchen,
die
gesamtkulturelle
Dimension des sich vollziehenden Transformationsprozesses zu formulieren. Dabei
liegt der zukunftsrelevante Faktor wohl gar nicht so sehr in der Vielzahl und Vielfalt der
neuen Medientechnologien, die sich im Verlauf des 20. und 21. Jahrhunderts
ausdifferenziert haben, sondern wesentlich in der Möglichkeit, analoge Text-, Bild-
14
Vgl. etwa Gisela Ewert / Walther Umstätter: Lehrbuch der Bibliotheksverwaltung. Auf der Grundlage
des Werkes von Wilhelm Krabbe und Wilhelm Martin Luther. Stuttgart: Hiersemann 1997, S. 10.
15
Vgl. etwa Statuten des International Council of Museums ICOM, angenommen von der ICOMGeneralversammlung in Den Haag, Niederlande, am 5. September 1989 und geändert auf den ICOMGeneralversammlungen in Stavanger, Norwegen, am 7. Juli 1995 und Barcelona, Spanien, am 6. Juli
2001.
16
Vgl. etwa Outline of a Long-Term Policy of the International Federation of Documentation. Den Haag
1960, S. 9.
17
Horst Wenzel: Vom Anfang und vom Ende der Gutenberg-Galaxis. In: Kulturwissenschaften.
Forschung – Praxis – Positionen. Hg. von Lutz Musner und Gotthart Wunberg. Wien: WUV
Universitätsverlag 2002, S. 339–355, hier S. 350.
12
oder Toninformation in digitalen Code zu übersetzen und in diesem weiter zu
prozessieren. 18
Mit dem Abschied von der Gutenberg-Galaxis – inklusive fundamentaler Relativierung
des Leitmediums Buch sowie umfassender Digitalisierung von Information – und mit
dem Eintritt in eine globalisierte Informations- und Wissensgesellschaft begegnen
Bibliotheken nun einer doppelten Herausforderung: ihrer Selbstverortung in der
Infrastruktur
des
virtuellen
Raums
und
ihrer
Selbstbehauptung
in
einer
posttypographischen Wissenskultur. Nachdem innerhalb der Bibliothekswelt um die
Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert der interne Konsens über die Funktion von
Bibliotheken brüchig geworden war und sich das Bibliothekswesen in einer
Identitätskrise sah, scheint sich mittlerweile ein Set von Innovationsaktivitäten
herauskristallisiert zu haben, das fachimmanent auf breitere Akzeptanz stößt.
Traditionell auf die Verarbeitung und Bereitstellung analoger Daten angelegt, zählen
sich die Bibliotheken heute zu den Protagonisten der elektronischen Ära. Um der
medienhistorischen Entwicklung zu folgen und standzuhalten, wird im Rahmen des
Konzepts
der
sogenannten
Hybridbibliothek 19
digitale
Information
in
das
bibliothekarische Leistungsspektrum integriert und vorhandene analoge Information
digitalisiert.
Auch
der
Wissenschaftsrat
–
deutsches
Beratungsgremium der
Bundesregierung und der Regierungen der Länder – trägt in seinen „Empfehlungen zur
digitalen Informationsversorgung durch Hochschulbibliotheken“ dieser Entwicklung
Rechnung:
Auf absehbare Zeit werden „Hybridbibliotheken“, welche eine Mischung aus
gedruckten und digitalen Publikationen und Informationsquellen vorhalten, das
vorherrschende Modell sein, zu welchen sich die Bibliotheken weiterentwickeln
müssen. 20
18
Vgl. z. B. Norbert Bolz: Am Ende der Gutenberg-Galaxis. Die neuen Kommunikationsverhältnisse.
München: Fink 1993, S. 111f.: „Der Terminus Medienverbund besagt, daß es keine Einzelmedien mehr
gibt. Und da alle technischen Medien heute digitalisierbar sind, können alle Daten im selben Speicher
abgelegt werden. Der Medienverbund funktioniert dann als computergesteuertes Algorithmensystem.
Eben das aber ist das Betriebsgeheimnis einer Kultur, die sich heute anschickt, ihre alteuropäische
Identität wie eine Schlangenhaut abzustreifen“.
19
Der Begriff Hybridbibliothek ist als Fachterminus seit den späten 1990er Jahren eingeführt; vgl. Chris
Rusbridge:
Towards
the
Hybrid
Library.
In:
D-Lib
Magazine
4
(1998);
http://www.dlib.org/dlib/july98/rusbridge/07rusbridge.html; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010.
20
Wissenschaftsrat. Empfehlungen zur digitalen Informationsversorgung durch Hochschulbibliotheken.
Greifswald 2001, S. 29; http://www.wissenschaftsrat.de/texte/4935-01.pdf; zuletzt aufgerufen: 20.
September 2010; vgl. dazu Dietmar Haubfleisch: Hybride Bibliotheken. Einige Anmerkungen zu den
Empfehlungen
des
Wissenschaftsrates
zur
digitalen
Informationsversorgung
durch
13
Um die vorhandenen Medienbrüche sowohl im Bereich der Metadaten (Daten, die
Informationen über andere Daten enthalten, wie z. B. Bibliothekskataloge) als auch der
Information (Bestände bzw. Daten) auszugleichen, haben Bibliotheken umfangreiche
Projekte zur Retrokatalogisierung (digitale Neukatalogisierung analog katalogisierter
Medieneinheiten) bzw. Retrokonversion (Überführung eines analogen Katalogs in einen
Online-Katalog) und (Retro-)Digitalisierung unternommen. Diese befassen sich
einerseits mit den Katalogen, die retrokonvertiert, also in maschinenlesbare Form
überführt werden, andererseits mit den Beständen. Sind die Bibliotheken bei der
Retrokatalogisierung ihrer Bestände bzw. der Retrokonversion ihrer konventionellen
Kataloge auf Vollständigkeit aus, so hat – zumindest für die momentane Situation – der
deutsche Wissenschaftsrat empfohlen, „die Retrodigitalisierung vorhandener Bestände
aus Gründen des hohen Personalaufwandes auf Grundlagen- oder Teilbestände [zu]
konzentrieren“. 21 Eine weitere Einschränkung ergibt sich aus dem Urheberrecht.
Ziel der Bibliotheken ist es, den Medienbruch zwischen analog und digital für die
Benützerinnen und Benützer möglichst auszugleichen, indem ein einheitlicher OnlineZugriff geschaffen wird, um „den integrierten Zugang zu weltweit verfügbaren
Informationsangeboten zu gewährleisten“. 22 Für die Benützung soll die Bibliothek als
Lern-, Kommunikations- und Wissensort einen integrierten Zugang zu weltweit
verfügbaren Informationsangeboten garantieren.
Damit ist ein weiterer Paradigmenwechsel in der Bibliothekswelt angesprochen, den die
Zeit- und vor allem die Ortsunabhängigkeit von Information in ihrer OnlineVerfügbarkeit verursacht. Der physische Bestand vor Ort in den Bibliotheksmagazinen
und Lesesälen wird sekundär gegenüber WWW-Zugriffsmöglichkeiten auf digitale
Information in weltweit verstreuten Servern. Folglich legen Bibliotheken nunmehr ihr
Hauptaugenmerk nicht mehr auf Besitz und Bestand, sondern auf Versorgung und
Zugang (Access versus Ownership). 23 Bibliotheken werden als Bring-Bibliotheken
konzipiert, die den Benützerinnen und Benützern die benötigten Informationen schnell
am jeweiligen Arbeitsplatz zur Verfügung stellen. 24
Hochschulbibliotheken. In: Marburger Bibliotheksinformationen 7 (2001), H. 3, S. 29–34;
http://archiv.ub.uni-marburg.de/sonst/2001/0002/welcome.html; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010.
21
Ebd., S. 21.
22
Ebd.
23
Vgl. Eleanor A. Gossen / Suzanne Irving: Ownership versus Access and Low-Use Periodical Titles. In:
Library Resources & Technical Services 39 (1995), H. 1, S. 43–52.
24
Vgl. Helge Steenweg: Von der Hol- zur Bringbibliothek. In: ABI-Technik 20 (2000), S. 364–382.
14
Der Umstieg von Eigentum bzw. Besitz (Ownership) auf Zugang (Access) kann auch
im Rahmen der vom US-amerikanischen Soziologen Jeremy Rifkin allgemein
beobachteten Transformation des traditionellen Markts gesehen werden, an dessen
Stelle Netzwerke treten. Im prognostizierten Access-Zeitalter ist aus dem Streben nach
Eigentum ein Streben nach Zugriff geworden, nach Zugriff auf das, was diese
Netzwerke zu bieten haben. Die Bibliothek wird damit insofern zum Pförtner bzw.
Gateway, Gatekeeper oder Portal, als sie Regeln und Bedingungen des Zutritts zu
Information definiert und bestimmt. 25 Bereits im 1979 erstveröffentlichten Entwurf
einer postmodernen Wissensgesellschaft „La condition postmoderne“ des französischen
Philosophen Jean-François Lyotard emergiert die „Verfügung über die Informationen“
zur wesentlichen Entscheidungskategorie für gesellschaftliches Handeln. 26
Wie grundlegend dieser Übergang zur sogenannten Bring-Bibliothek die Konditionen
des
Bibliothekswesens
ändert,
kann
eine
schlaglichtartige
Erinnerung
bzw.
Vergegenwärtigung der alten Hol-Bibliothek – die freilich oft noch immer
bibliothekarische Realität und damit Alltag für die Benützerinnen und Benützer ist –
andeuten. Zentral wirken hier die Restriktionen, die diese Bibliothek aufgrund ihrer
spezifischen
Benützerinnen
materiellen
und
Benützungsaktivität
und
Benützern
ist
räumlich-architektonischen
strukturlogisch
institutionell
definiert.
Verfasstheit
auferlegen
Magazinlagerung,
ihren
muss.
Jede
Leseräume,
Öffnungszeiten, Bestellmengen, Ausgabetermine, Entlehnfristen usw. schränken den
Informationsfluss lokal, temporal und quantitativ empfindlich ein. Der Weg zu den
Speicherinhalten ist weit, mitunter voll von Hindernissen und verlangt von den
Benützerinnen und Benützern hohe Aktivität, ausgeprägte Kondition und große
Frustrationstoleranz.
Diese
Bibliothek
der
Gutenberg-Galaxis
ist
in
der
kontinentaleuropäischen Bilderwelt noch immer stereotyp verankert, und es ist auch
genau diese Art von Bibliothek, die der italienische Semiotiker und Schriftsteller
Umberto Eco in seiner Rede „Die Bibliothek“ mit seinem „Modell einer schlechten
Bibliothek in 19 Punkten“ im Sinn einer paradoxen Intervention therapieren möchte. 27
Doch die geschlossene analoge Informationskette, die in der Bibliothekswelt die
Qualität der Zugriffsmethoden auf Information entscheidend festlegte und die
25
Vgl. Jeremy Rifkin: Access. Das Verschwinden des Eigentums. Warum wir weniger besitzen und mehr
ausgeben werden. Frankfurt am Main, New York: Campus 2000, S. 118f., 238–244.
26
Jean-François Lyotard: Das postmoderne Wissen. Ein Bericht. Hg. von Peter Engelmann. Wien:
Edition Passagen 1986 (= Edition Passagen 7), S. 52.
15
skizzierten Restriktionen systemimmanent verantwortet, ist mittlerweile äußerst brüchig
geworden. Nimmt man die Entwicklung des österreichischen Bibliothekswesens als –
durchaus repräsentatives – Beispiel, 28 so lässt sich die Einführung der elektronischen
Datenverarbeitung bis in die frühen 1970er Jahre zurückverfolgen. Damals – nachdem
bereits einzelne Bibliotheken in den 1960er Jahren die EDV zur Katalogisierung und
Entlehnung eingesetzt hatten – haben die wissenschaftlichen Bibliotheken national
koordiniert begonnen, ihre administrativen und bibliothekarischen Kernprozesse zu
automatisieren.
Sukzessive
wurden
Nominalkatalogisierung,
Sacherschließung,
Entlehnung, Zeitschriftenverwaltung usw. in maschinenlesbare Form gebracht und in
einem integrierten System zusammengeführt. Dies implizierte auch die Aufgabe der
konventionellen Bestandsnachweise – in der Regel Zettelkataloge –, die durch
Datenbanken ersetzt wurden. Für die Öffentlichkeit wurden diese Datenbanken vorerst
innerhalb der Bibliotheksräumlichkeiten als Online-Kataloge und schließlich mit der
Durchsetzung des WWW ab der Mitte der 1990er Jahre orts- und zeitunabhängig als
Web-Online-Katalog zugänglich gemacht. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt tauchen im
Umfeld der Futurologie erste Ansichten digitaler Bibliotheken auf. So schreibt etwa der
Mitbegründer des Media Labs am Massachusetts Institute of Technology (MIT)
Nicholas Negroponte mit Blick auf eine der größten und bedeutendsten Bibliotheken
der Welt, die Library of Congress in Washington / D. C.:
Thomas Jefferson erdachte das Konzept einer Bibliothek, aus der man
unentgeltlich Bücher ausleihen konnte. Aber dieser große Pionier hätte sich in
den kühnsten Träumen nicht vorstellen können, daß eine Zeit kommen würde, in
der zwanzig Millionen Menschen gleichzeitig auf eine digitale Bücherei
zugreifen und deren Inhalt kostenlos abrufen. 29
Komplementär zu dem Einbruch in die geschlossene analoge Bibliothekswelt, der aus
der freien Bereitstellung digitaler Metadaten im WWW resultiert, selbst allerdings auf
analog verfügbare Information abzielt (z. B. Druckwerke, Handschriften), tut sich ein
27
Umberto Eco: Die Bibliothek. München, Wien: Hanser 1987, S. 15–19.
Vgl. Heinz Hauffe: Bibliotheksautomation in Österreich – State of the Art. In: Bibliotheksmanagement
– Kulturmanagement: Vorträge und Berichte. 24. Österreichischer Bibliothekartag. Congress Innsbruck,
3.–7. 9. 1996. Wien: Österreichische Nationalbibliothek 1998 (= Biblos-Schriften 168), S. 113–126; Eva
Bertha: Elektronische Datenverarbeitung an Österreichischen Universitätsbibliotheken. Ein Streifzug
durch die letzten drei Jahrzehnte. In: Bibliothek Technik Recht. Festschrift für Peter Kubalek zum 60.
Geburtstag. Hg. von Hans Hrusa. Wien: Manz 2005, S. 25–34.
29
Nicholas Negroponte: Total digital. Die Welt zwischen 0 und 1 oder Die Zukunft der Kommunikation.
München: Bertelsmann 1995, S. 10f.
16
28
zweiter Riss auf, der der Dynamik des (wissenschaftlichen) Kommunikationsmarkts
folgt. Im Zuge der Abkehr von traditionellen Informationsträgern und der Hinwendung
zu elektronischen Medien werden digitale Daten unmittelbar hergestellt und sind von
Bibliotheken im Sinn ihrer Archiv- und Informationsversorgungsfunktion in ihre
Speicher zu transferieren. Dieser Digitalisierung der Produktion und Distribution von
Information begegnen Bibliotheken mit der Öffnung von Zugängen zu elektronischen
Archiven für Datenbanken, elektronische Zeitschriften und E-Books. 30
1.2.1. Digitalisierung von analoger Information
In Deutschland haben die Bibliotheken frühzeitig mit der Digitalisierung ihrer Bestände
begonnen.
Auslösendes
Moment
war
die
Förderung
durch
die
Deutsche
Forschungsgemeinschaft (DFG), die 1997 ein Programm für die „Retrospektive
Digitalisierung von Bibliotheksbeständen“ ausgeschrieben hatte. 31 Ziel war der Aufbau
einer „Verteilten Digitalen Forschungsbibliothek“. Verzeichnete die Programmlinie
einerseits
durch
die
starke
Beteiligung
von
Bibliotheken,
Archiven
und
Forschungseinrichtungen einen großen Erfolg, haben andererseits die unterschiedlichen
organisatorischen Voraussetzungen der geförderten Projekte zu äußerst heterogenen
Vorgehensweisen geführt. So unterstützte diese erste Förderphase de facto weniger den
Aufbau einer verteilten digitalen Forschungsbibliothek, sondern erprobte vielmehr die
Digitalisierung in unterschiedlichen Fachbereichen und Anwendungen sowie mit
unterschiedlichen Materialtypen. 32
30
Vgl. etwa Regine Schmolling: Paradigmenwechsel in wissenschaftlichen Bibliotheken? Versuche einer
Standortbestimmung. In: Bibliotheksdienst 35 (2004), S. 1037–1060.
31
Vgl. Elmar Mittler: Digitalisierung als Aufgabe der Bibliotheken. Ein Rückblick in die Zukunft. In:
Bibliotheken gestalten Zukunft. Kooperative Wege zur Digitalen Bibliothek. Dr. Friedrich Geißelmann
zum 65. Geburtstag. Hg. von Evelinde Hutzler, Albert Schröder und Gabriele Schweikl. Göttingen:
Universitätsverlag 2008, S. 11–27; http://epub.uni-regensburg.de/4564/1/hutzler_digitale_bibliothek.pdf;
zuletzt aufgerufen: 20. September 2010.
32
Vgl. „Retrospektive Digitalisierung von Bibliotheksbeständen“. Evaluierungsbericht über einen
Förderschwerpunkt der DFG. Gesamtredaktion Manfred Thaller. Köln 2005; http://www.deutschedigitale-bibliothek.de/pdf/retro_digitalisierung_eval_050406.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September
2010.
17
Aus dieser Pilotphase hat die DFG mehrere Konsequenzen gezogen, die sich unter
anderem
in
den
im
Jahr
2006
erstmals
vorgelegten
„DFG-Praxisregeln
‚Digitalisierung’“ ausdrücken. Diese Praxisregeln (aktueller Stand 2009) 33 wollen
durch die Formulierung von Standards einen Beitrag zur Nachhaltigkeit und
Zukunftsfähigkeit der unterstützen Projekte leisten. Neben technischen Aspekten (z. B.
Auflösung und Bildqualität, Farbtiefe, Dateiformate) werden dabei auch die Auswahl
und konservatorische Prüfung des für die Digitalisierung vorgesehenen Materials, die
Vermeidung von Doppeldigitalisierungen, die Volltextgenerierung, Lesung mittels
OCR
(Optical
Character
Recognition),
Metadaten
usw.
angesprochen.
Für
Digitalisierungen stehen Forschungsrelevanz und wissenschaftliche Nachfrage sowie
Bestandsschutz für häufig genutzte oder unikale Materialien im Vordergrund.
Derzeit hat die DFG im Förderbereich „Erschließung und Digitalisierung“ drei
Programme
und
Aktionslinien
ausgeschrieben.
Erstens
zielt
das
Programm
„Erschließung und Digitalisierung handschriftlicher und gedruckter Überlieferung“ auf
herausragende und für die Forschung überregional relevante Bestände der
handschriftlichen und / oder gedruckten Überlieferung (z. B. seltene oder schwer
zugängliche Druckwerke, unveröffentlichte Nachlässe bedeutender Provenienz,
historisch wichtige Akten und Urkunden, mittelalterliche Handschriften). Zweitens
schließt
die
Aktionslinie
„Digitalisierung
der
in
nationalen
Verzeichnissen
nachgewiesenen Drucke – VD 16 / VD 17“ an die jahrzehntelang betriebene
nationalbibliographische Verzeichnung der Drucke des 16. und 17. Jahrhunderts an und
kann damit auf bereits vorhandenen hochwertigen Metadaten aufsetzen. Aus dem
Bereich des VD 16, also des Verzeichnisses der im deutschen Sprachbereich
erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts, wird derzeit etwa an der Bayerischen
Staatsbibliothek in München und an der Universitäts- und Landesbibliothek SachsenAnhalt in Halle digitalisiert. Die Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
ist zum Beispiel mit der Digitalisierung ihrer preußischen Drucke im VD 17, also im
Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 17. Jahrhunderts,
befasst.
Drittens
greift
die
Aktionslinie
„Digitalisierung
der
DFG-
Sondersammelgebiete“ ebenfalls eine bereits langfristig erarbeitete Struktur auf. Die im
33
Deutsche Forschungsgemeinschaft: Wissenschaftliche Literaturversorgungs- und Informationssysteme
(LIS): DFG-Praxisregeln „Digitalisierung“. Stand: April 2009;
http://www.dfg.de/download/pdf/foerderung/programme/lis/praxisregeln_digitalisierung.pdf;
zuletzt
aufgerufen: 20. September 2010.
18
Rahmen der DFG-geförderten überregional agierenden nahezu vollständigen fachlichen
Sammlungen des national und international publizierten Wissens sollen digitalisiert und
überregional elektronisch bereitgestellt werden. Die Aktionslinie ist auf besonders
umfangreiche
Bestandssegmente
ausgerichtet,
insbesondere
in
folgenden
Schwerpunktbereichen: historische Zeitschriftenbestände und Monographien ab 1800,
nicht gemeinfreie Zeitschriften und Monographien und fachlich relevante Produktlinien
einzelner Verlage.
Zudem sind umfangreiche Digitalisierungsmaßnahmen aus dem aktuell in einer
Pilotphase geführten VD 18, also dem Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich
erschienenen Drucke des 18. Jahrhunderts, zu erwarten. In dieser bis 2011 projektierten
Einführungsphase sollen ca. 80.000 Drucke erschlossen und digitalisiert sowie
gleichzeitig verschiedene Workflows zur Massendigitalisierung erprobt werden.
Digitalisate liegen bereits online vor von der Sächsischen Landesbibliothek – Staatsund
Universitätsbibliothek
Dresden,
der
Niedersächsischen
Staats-
und
Universitätsbibliothek Göttingen und der Universitäts- und Landesbibliothek SachsenAnhalt.
Zusätzliche koordinative Unterstützung erhält die deutsche Bibliothekenlandschaft
durch die „Allianz Schriftliches Kulturgut“, die im Jahr 2001 von elf deutschen
Archiven und Bibliotheken mit umfangreichen historischen Beständen gegründet
wurde. Diese Allianz will die in ihrer Existenz gefährdeten Originale der reichen
kulturellen und wissenschaftlichen Überlieferung in Deutschland sichern und diese
Überlieferung als nationale Aufgabe im öffentlichen Bewusstsein verankern. Dabei
wird
ebenfalls
die
Digitalisierung
unterstützt,
wobei
als
Handlungsmaxime
„Originalerhaltung und Digitalisierung“ ausgegeben wird. Denn Originalerhalt und
technische Reproduktion ergänzen sich hervorragend und sind deshalb differenziert
einzusetzen:
Das Digitalisat eines Originals ermöglicht die weltweite Verfügbarkeit eines
Teils seiner Merkmale und Aussagen – aber nur der Originalerhalt sichert
dauerhaft die Möglichkeit historischer Einordnung und wissenschaftlichen
Verstehens. Die Digitalisierung leistet einen wertvollen Beitrag zur
Bestandsschonung und erleichtert die Zugänglichkeit: Was digital vorliegt, muss
nur noch in besonderen Fällen im Original bereitgestellt werden und kann in
virtuelle Forschungsumgebungen integriert werden. Die realen Studien- und
19
Forschungsorte, das Archiv und die Bibliothek, gewinnen an Attraktivität, weil
hier mit den Originalen gearbeitet werden kann. 34
Als Beispiele für Massendigitalisierungen in Österreich können zwei Aktivitäten der
Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB) in Wien genannt werden: Im Rahmen des
Projekts ANNO werden historische österreichische Zeitungen und Zeitschriften
digitalisiert und über die Website der ÖNB verfügbar gemacht (http://anno.onb.ac.at/),
im
Projekt
ALEX
historische
österreichische
Rechts-
und
Gesetzestexte
(http://alex.onb.ac.at/).
Auf europäischer Ebene wurde mit Europeana (http://europeana.eu/) eine WWWPlattform geschaffen, die als Europäische Digitale Bibliothek digitale und digitalisierte
Bestände aus zahlreichen europäischen Gedächtnisinstitutionen zugänglich macht. Mit
Stand September 2010 enthält Europeana etwa sechs Millionen digitale Objekte. Zu
dieser gesamteuropäischen Initiative wurde auf regional-lokaler Ebene mit Europeana
local (http://www.europeanalocal.eu/) ein Äquivalent geschaffen, das in nationalen
Versionen ausgeprägt ist (z. B. Deutschland: http://www.europeanalocal.de/ bzw.
Deutsche Digitale Bibliothek: http://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/; Österreich:
http://www.europeanalocal.at/).
In einer Kooperation mit Bibliotheken hat auch Google mit der Digitalisierung von
Bibliotheksbeständen
begonnen.
Im
Rahmen
von
Google
Books
(http://books.google.de/) kooperieren zahlreiche US-amerikanische Bibliotheken und
mittlerweile auch eine Reihe europäischer Bibliotheken mit dem Weltkonzern, um einen
Teil ihrer Bestände digitalisiert online verfügbar zu machen. Als derzeit einzige
deutsche Bibliothek ist die Bayerische Staatsbibliothek, als einzige österreichische die
Österreichische Nationalbibliothek beteiligt. 35
Ein weiterer Beitrag, den Bibliotheken zur Überlieferung des digitalen kulturellen Erbes
leisten, kann hier ebenfalls nur kurz erwähnt werden: die Archivierung von Websites. 36
Die Archivierung des Web als wichtiges Kommunikations- und Publikationsmittel liegt
34
http://www.allianz-kulturgut.de/original-und-digital.html; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010.
In dieser Thesis kann und soll das auch in Bibliothekskreisen heftig diskutierte Engagement von
Google nicht näher kommentiert werden, würde das (vor allem die Behandlung urheberrechtlicher
Fragen) doch den inhaltlichen Rahmen dieser Arbeit bei weitem sprengen.
36
Vgl. Andreas Rauber / Hans Liegmann: Web-Archivierung zur Langzeiterhaltung von InternetDokumenten. In: nestor Handbuch. Eine kleine Enzyklopädie der digitalen Langzeitarchivierung. Version
2.0. Hg. von Heike Neuroth, Achim Oßwald, Regine Scheffel, Stefan Strathmann und Mathias Jehn.
Boizenburg: vwh, Hülsbuch 2009;
35
20
primär im Aufgabenbereich von National- und Staatsbibliotheken. Ziel der
Webarchivierung ist die Sammlung und Archivierung des gesamten jeweils nationalen
Webspace.
Für
Österreich
übernimmt
diesen
Auftrag
die
ÖNB,
deren
Sammlungsauftrag in der Mediengesetznovelle 2009 um den Bereich der OnlineMedien erweitert wurde. Im Rahmen der Webarchivierung werden Websites mit
sogenannten Webcrawlern automatisiert gesammelt. So werden regelmäßig die gesamte
nationale Top-Level Domain „.at“ sowie Seiten mit Österreich-Bezug archiviert
(Domain Harvesting). Ebenso speichert man Websites zu speziellen Themenbereichen
wie Politik, Kultur, Medien, Gesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung in
häufigeren Intervallen (selektives Harvesting). Online-Inhalte zu speziellen Anlässen
und Großereignissen (z. B. Nationalratswahlen) werden in weiteren Momentaufnahmen
archiviert (Event Harvesting). Dadurch sollen auch Websites, die nur für den Zeitraum
des Ereignisses zur Verfügung stehen, für die Nachwelt festgehalten werden.
Universitätsbibliotheken
wiederum,
deren
Zentralaufgabe
in
der
Informationsversorgung der Universitätsangehörigen liegt, stellen vermehrt eine
Digitalisierung on Demand bereit und verzichten – sofern kein bedeutsamer Altbestand
vorliegt – auf systematische Digitalisierungen. So bieten im Rahmen des Netzwerks
EOD (E-Books on Demand: http://www.books2ebooks.eu/), das innerhalb des EUProgramms eTEN unter Koordination der Universitätsbibliothek Innsbruck aufgebaut
wurde, mehr als zwanzig europäische Bibliotheken als kostenpflichtiger Service die
vollständige elektronische Kopie von urheberrechtsfreien Büchern an. Nach einer von
den einzelnen Bibliotheken festgelegten Embargo-Zeit wird das benützungsorientiert
hergestellte Digitalisat kostenfrei allgemein zugänglich gemacht.
Dass die Nachweissituation für digitalisierte Drucke im deutschsprachigen Raum
ungenügend ist, ist mittlerweile ein Gemeinplatz der Digitalisierungsdiskussion
geworden. Seit 2005 bauen die Arbeitsgemeinschaft Sammlung Deutscher Drucke, die
Verbundzentrale
des
Gemeinsamen
Bibliotheksverbunds
und
das
Hochschulbibliothekszentrum, gefördert von der DFG, das Zentrale Verzeichnis
digitalisierter Drucke (ZVDD: http://www.digitalisiertedrucke.de/) auf, um einen
zentralen
Nachweis
und
Zugang
zu
digitalisierten
Bibliotheksmaterialien
http://nestor.sub.uni-goettingen.de/handbuch/artikel/nestor_handbuch_artikel_293.pdf;
aufgerufen: 20. September 2010.
zuletzt
21
bereitzustellen. Aufgrund der Heterogenität der Digitalisierungsaktivitäten ist der
Nachweis im ZVDD noch sehr unterschiedlich.
1.2.2. Bereitstellung von originärer digitaler Information
Seit den 1990er Jahren nimmt die Bedeutung originärer digitaler Publikationen für
Bibliotheken stetig zu. Vor allem für die Universitätsbibliotheken als wissenschaftliche
Informationsversorger bedeutete dies anfangs, bibliographische Datenbanken und
Fachdatenbanken zu erwerben, um ihren Benützerinnen und Benützern die
Möglichkeiten der elektronischen Informationsrecherche zu eröffnen. Damit sollten die
seit den 1980er Jahren eingerichteten Informationsvermittlungsstellen abgelöst werden,
bei denen Bibliotheksmitarbeiterinnen und -mitarbeiter benützerseitig beauftragte
Informationsrecherchen in Fremddatenbanken durchführten. In den 1990er Jahren
dynamisierte sich der bibliothekarische Aufbau des Bestands an elektronischen Medien
durch die rasche Verbreitung von elektronischen Zeitschriften. Diese E-Journals
breiteten sich zuerst in den Bereichen Naturwissenschaft, Technik und Medizin aus und
griffen dann in andere Disziplinen und nun auch auf die Kulturwissenschaften über. Die
Bibliotheken
erwerben
die
elektronischen
Zeitschriften
in
der
Regel
über
Lizenzverträge, in denen der spezifische Zugriff auf die Volltexte geregelt ist. Die
digitalen Daten verbleiben auf den Servern der Verlage, die Bibliotheken erhalten
Freischaltungen für einen definierten Benützerkreis, üblicherweise über CampusLizenzen für alle Universitätsangehörigen. Mitunter kann dies dazu führen, dass bei
Abbestellung einer rein digital vorliegenden Zeitschrift der entsprechenden Bibliothek
auch der Zugriff auf diejenigen Jahrgänge verwehrt wird, für die sie bereits
Abonnementsgebühren bezahlt hat. Durch die enormen Preissteigerungen von vor allem
elektronischen STM-Zeitschriften (Science-Technics-Medicine-Zeitschriften) wurde
zudem die sogenannte Zeitschriftenkrise im Bibliothekswesen verschärft. Bibliotheken
sind dabei also mit galoppierenden Preisentwicklungen angesichts stagnierender oder
rückläufiger Bibliotheksetats konfrontiert. Nach den Datenbanken und den E-Journals
halten seit ein paar Jahren die E-Books Einzug in die Bibliotheken.
Neben den Datenbanken, E-Journals und E-Books steigt der Bestand an E-Ressourcen
in Universitätsbibliotheken auch deutlich durch die elektronisch eingereichten und
aufbewahrten Qualifikationsschriften der Studierenden und Publikationen der
22
Forschenden, die die Bibliotheken in der Regel über eigens eingerichtete Institutional
Repositories zugänglich machen. Befördert wird diese Publikationspraxis an manchen
Universitäten
durch
eine
offensive
Open
Access
Policy,
die
den
Universitätsangehörigen zumindest nahelegt, sämtliche ihrer Publikationen über einen
solchen Hochschulschriftenserver allgemein online zugänglich zu machen. In jüngster
Zeit gewinnt für Universitätsbibliotheken die Administration wissenschaftlicher Primärund Forschungsdaten an Bedeutung, also Datenmaterial, das für Forschungszwecke
erhoben wurde, oft irgendwo von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern
individuell abgelegt bzw. abgespeichert wird und insofern weitgehend hinter der
Publikation verschwindet. 37
Dass die veränderten Arbeits- und Publikationsformen in der Wissenschaft zu einem
rasanten Anstieg der digitalen Medien vor allem in Universitätsbibliotheken führen
werden, ist evident. Nach einer Schätzung der British Library zu wissenschaftlichen
Publikationen im Jahr 2020 werden 40% ausschließlich digital, 50% gedruckt und
digital und 10% ausschließlich gedruckt vorliegen. 38
1.2.3. Langzeitarchivierung von digitaler Information
Sowohl die Digitalisierung von analoger Information als auch die Bereitstellung von
originärer digitaler Information verlangt von Bibliotheken, soll Nachhaltigkeit
gewährleistet sein, die Langzeitarchivierung dieser Daten zu sichern. Dabei resultiert
die wachsende Herausforderung aus der raschen Alterung der Datenträger, der
Datenformate und der involvierten Hard- und Software. Um die Nutzbarkeit digitaler
Daten langfristig zu garantieren, ist es deshalb notwendig, Aktivitäten der
Digitalisierung und Vorhaltung originärer digitaler Daten bereits frühzeitig und proaktiv
mit Strategien zur digitalen Langzeitarchivierung zu flankieren. Aus der begrifflichen
Definition der Langzeitarchivierung folgert die grundsätzliche Aufgabenstellung:
„Langzeit“ ist die Umschreibung eines nicht näher fixierten Zeitraumes,
währenddessen wesentliche, nicht vorhersehbare technologische und
37
Vgl. z. B. das Projekt „Publication and Citation of Scientific Primary Data“ (STD-DOI);
http://www.std-doi.de/; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010.
38
Vgl. http://www.bl.uk/news/2005/pressrelease20050629.html; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010.
23
soziokulturelle Veränderungen eintreten; Veränderungen, die sowohl die Gestalt
als auch die Nutzungssituation digitaler Ressourcen in rasanten
Entwicklungszyklen vollständig umwälzen können. Es gilt also, jeweils
geeignete Strategien für bestimmte digitale Sammlungen zu entwickeln, die je
nach Bedarf und zukünftigem Nutzungsszenarium die langfristige Verfügbarkeit
und Nachnutzung der digitalen Objekte sicherstellen. […]
„Archivieren“ bedeutet zumindest für Archive, Museen und Bibliotheken mehr
als nur die dauerhafte Speicherung digitaler Informationen auf einem
Datenträger. Vielmehr schließt es die Erhaltung der dauerhaften Verfügbarkeit
und damit eine Nachnutzung und Interpretierbarkeit der digitalen Ressourcen
mit ein. 39
Da zusehends mehr relevante Information in digitaler Form entsteht und vorliegt, wird
die
Langzeitarchivierung
zu
einer
der
wesentlichen
Bedingungen
der
Weiterentwicklung des Bildungs- und Wissenschaftssystems und damit zu einer der
Grundbedingungen der Informationsgesellschaft. Daraus erhellt, dass digitale
Langzeitarchivierung nicht von einem Institutionstyp allein getragen werden kann,
sondern kollaborativ erarbeitet werden muss.
Aus
dieser
Überlegung
wurde
in
Deutschland
mit
nestor
(http://www.langzeitarchivierung.de/) ein nationales Kompetenznetzwerk für digitale
Langzeitarchivierung geschaffen. Vorrangiges Ziel von nestor ist die Bündelung von
Standardisierungsaktivitäten und Vermittlung von Standards in die AnwenderCommunities. nestor wurde im Jahr 2003 als Kooperationsverbund mit Partnern aus
verschiedenen Bereichen, die mit der Langzeitverfügbarkeit digitaler Daten zu tun
haben, begründet. Als Bibliotheken sind aktuell die Bayerische Staatsbibliothek, die
Deutsche
Nationalbibliothek
und
die
Niedersächsische
Staats-
und
Universitätsbibliothek Göttingen vertreten.
Wie bereits gesehen, ist Langzeitarchivierung für Bibliotheken insofern ein
erfolgskritischer Faktor, als die von ihnen verwaltete und aufbereitete Information
zusehends digital vorliegt. 40 Langzeitarchivierung für Bibliotheken setzt sowohl den
Aufbau großer Datenspeicher als auch die Entwicklung von Prozessen voraus, die die
39
Hans Liegmann / Heike Neuroth: Einführung. In: nestor Handbuch. Eine kleine Enzyklopädie der
digitalen Langzeitarchivierung. Version 2.0. Hg. von Heike Neuroth, Achim Oßwald, Regine Scheffel,
Stefan Strathmann und Mathias Jehn. Boizenburg: vwh, Hülsbuch 2009; http://nestor.sub.unigoettingen.de/handbuch/artikel/nestor_handbuch_artikel_381.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September
2010.
40
Vgl. Mathias Jehn / Sabine Schrimpf: Bibliotheken. In: nestor Handbuch. Eine kleine Enzyklopädie der
digitalen Langzeitarchivierung. Version 2.0. Hg. von Heike Neuroth, Achim Oßwald, Regine Scheffel,
Stefan Strathmann und Mathias Jehn. Boizenburg: vwh, Hülsbuch 2009; http://nestor.sub.uni24
archivierten Datenmengen adressierbar und nutzbar halten. Zudem sind die Daten für
die drei heute gängigen Verfahren der Langzeitarchivierung, nämlich Migration,
Emulation oder Konversion, vorzubereiten. 41 Auch hier zeigt sich, dass die anstehenden
Aufgaben nur kollaborativ bewältigt werden können. Folglich wurde von der Deutschen
Nationalbibliothek mit kopal (http://kopal.langzeitarchivierung.de/) ein Projekt initiiert,
das ein kooperativ entwickeltes und betriebenes Langzeitarchiv für digitale Daten
aufgebaut hat. Mitte 2007 ist dieses Langzeitarchivsystem in den Regelbetrieb der
Deutschen Nationalbibliothek übernommen worden. Zur dauerhaften Adressierung der
Online-Objekte vergibt die Deutsche Nationalbibliothek persistente Identifikatoren in
Form eines URN (Uniform Resource Name), der anders als eine URL (Uniform
Resource Locator) dauerhaft adressierbar und damit zitierbar bleibt.
Im Sommer 2008 wurde die Schwerpunktinitiative „Digitale Information“ von
bedeutenden deutschen Wissenschaftsorganisationen gestartet, um gemeinsam die
Informationsversorgung in Forschung und Lehre zu verbessern. Dazu zählen etwa die
(DFG), die Fraunhofer-Gesellschaft, die Hochschulrektorenkonferenz, die LeibnizGemeinschaft,
sogenannte
die
Max-Planck-Gesellschaft
Allianz-Initiative
und
der
Wissenschaftsrat.
(http://www.allianzinitiative.de/)
bearbeitet
Diese
die
Handlungsfelder Nationale Lizenzierungen, Open Access, Nationale Hosting-Strategie,
Forschungsprimärdaten,
Virtuelle
Forschungsumgebungen
und
Rechtliche
Rahmenbedingungen. Dabei steht die Nationale Hosting-Strategie vor der Aufgabe, die
zunehmend erworbenen digitalen Verlagspublikationen (vor allem E-Journals)
dauerhaft über eine entsprechende Infrastruktur verfügbar zu machen. Es besteht
Einigkeit darüber, dass eine nationale Strategie hier aus Kostengründen sowie aus
Gründen der technischen und organisatorischen Bewältigung unverzichtbar sowie
umgehend zu entwickeln und umzusetzen ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn
wissenschaftliche Publikationen nach dem von vielen Bibliotheken angestrebten EOnly-Prinzip nur noch in elektronischer Form beschafft und vorgehalten werden. Ziel
einer nationalen Hosting-Strategie ist es, eine leistungsfähige Infrastruktur zum
goettingen.de/handbuch/artikel/nestor_handbuch_artikel_377.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September
2010.
41
Bei der Migration werden die digitalen Objekte durch äußere Einwirkung so modifiziert, dass sie unter
veränderten Umgebungsbedingungen ohne inhaltlichen oder strukturellen Informationsverlust
weiterverwendet werden können. Bei der Emulation wird das originäre Umfeld der digitalen Objekte
simuliert, das neue Umfeld also an die digitalen Objekte angepasst. Bei der Konversion werden die
digitalen Objekte in analoge, menschenlesbare Form umgewandelt und auf einem alterungsbeständigen
Informationsträger wie entsprechendem Papier oder Mikrofilm gespeichert.
25
Speichern digitaler Volltexte aufzubauen und zu betreiben (Hosting), die den
nachhaltigen Zugriff auf lizenzierte Verlagspublikationen und retrodigitalisierte
Bestände sicherstellen soll.
1.3. Die neue Qualität des analogen Bibliotheksraums
In der Folge des orts- und zeitunabhängigen Zugriffs auf digitale Information im WWW
wird der real-physische Bibliotheksbesuch für den direkten Informationszugang an
Bedeutung verlieren, er ist zumindest nur mehr in Ausnahmefällen zwingend, die
allerdings ebenso rückläufig sind (z. B. durch zunehmende Digitalisierung alter und
wertvoller Bestände). Der englische Philosoph Anthony Appiah formuliert pointiert:
„The library I never go to is already one of the most important places in my life”. 42
Im Gegenzug scheint aber der analoge Bibliotheksraum eine neue Qualität auszuprägen
und an Relevanz zu gewinnen. Er kann für die Bibliotheksbenützerinnen und -benützer
zunehmend wichtig werden, um an einem optimalen Lernort Wissen anzueignen, zu
reflektieren und in Kommunikationsprozessen sozial produktiv zu machen; – oder
vielleicht auch etwas ganz anderes zu tun, das momentan gar nicht absehbar ist und der
Kreativität nachfolgender Generationen überlassen ist.
Der öffentlich zugängliche Bibliotheksraum wird zum dritten Ort, der im Unterscheid
zum ersten Ort (Wohnraum) und zum zweiten Ort (Arbeitsplatz) ein neutraler Ort ist, in
dem man verweilt und soziale Bindungen zur Umwelt aufrecht erhält. 43 Da er weder
den Funktionsbereichen Privatsphäre noch Arbeit zuzuordnen ist, kann er Zuflucht
gewähren und jenseits von Job und Familie soziale und kulturelle Interaktion
ermöglichen.
Besonders öffentliche Bibliotheken im angloamerikanischen Raum setzen seit dem
frühen 21. Jahrhundert auf das Konzept des dritten Orts und orientieren sich dabei an
anderen Dienstleistungseinrichtungen oder auch kommerziellen Handelsunternehmen.
Auffällig häufig wird Bibliotheken empfohlen, sich an Starbucks zu orientieren, einem
Konzern, der sich auf Kaffeeprodukte spezialisiert hat und diese über konzerneigene
42
Anthony Appiah: Realizing the Virtual Library. In: Gateways to Knowledge. The Role of Academic
Libraries in Teaching, Learning, and Research. Hg. von Lawrence Dowler. Cambridge / Massachusetts:
MIT Press 1997, S. 35–39, hier S. 39.
43
Vgl. zum Konzept der „Third Places“ Ray Oldenburg: The Great Good Place: Cafes, Coffee Shops,
Community Centers, Beauty Parlors, General Stores, Bars, Hangouts, and How They Get You Through
the Day. New York: Paragon House 1989.
26
Kaffeehäuser vertreibt. Besonders vorbildlich werden dabei spezifische MarketingStrategien – vor allem im Bereich Community Building – als auch die Ausstattung der
Geschäftslokale – vor allem freier Internet-Zugang über WLAN (Wireless Local Area
Network) – angesehen. 44
Die wissenschaftlichen Bibliotheken gehen vermehrt dazu über, ihre real-physischen
Bibliotheksräume als Learning (Resources) Centres einzurichten. 45 Das Konzept
stammt bereits aus den 1970er Jahren und wurde seitdem entsprechend den
informations- und kommunikationstechnologischen Rahmenbedingungen modifiziert
und vor allem in der angloamerikanischen Bibliothekswelt realisiert. Seit den 1990er
Jahren stehen in Großbritannien die Learning (Resources) Centres und in Australien,
Kanada und in den USA die Information Commons bzw. Learning Commons usw. für
die Aufbereitung von Bibliotheksräumen als Kommunikations- und Lernorte. Sie zielen
darauf ab, sich den Bedürfnissen der studierenden Nutzerinnen und Nutzer sowie den
veränderten Lernprozessen – vor allem der von der konstruktivistischen Lerntheorie
abgeleiteten Verschiebung vom Lehren zum selbstbestimmten Lernen – und
Studienbedingungen
anzupassen
und
diese
mit
den
bibliothekarischen
Rahmenbedingungen zu verknüpfen. Im Idealfall fungiert das Learning Centre als OneStop-Shop für Studierende, die hier alle Services der unterschiedlichen Einrichtungen
(z.
B.
Angebote
zur
Studien-
und
Finanzberatung,
zur
Lern-
und
Rechercheunterstützung, zur Informations- und IT-Kompetenz, zur beruflichen
Entwicklung) gebündelt vorfinden.
Im deutschsprachigen Raum gehörte die Universitätsbibliothek Göttingen zu einer der
ersten Bibliotheken, die ein Learning Resources Centre eingerichtet haben. 46 Das im
Jahr 2005 eröffnete Zentrum bietet einen integrierten Zugriff auf Hard- und Software
sowie technische Systeme, mit denen Recherche, Kommunikation, E-Learning,
Multimedia, Produktion und Druck sowie die Nutzung unterschiedlicher digitaler
Medien möglich sind. Das Learning Resources Centre ist zentral im Bibliotheksgebäude
44
Vgl. z. B. John Stanley: The Third Place. The Role of the Library in Today’s Society. In: Australian
Library and Information Association, April 2005;
http://www.alia.org.au/publishing/incite/2005/04/john.stanley.html; zuletzt aufgerufen: 20. September
2010.
45
Vgl. Christine Gläser: Die Bibliothek als Lernort – neue Servicekonzepte. In: Bibliothek. Forschung
und Praxis 32 (2008), S. 171–182.
46
Vgl. Tobias Möller-Walsdorf: Das Göttinger Learning Resources Center – ein neues computerbasiertes
Serviceangebot der Bibliothek. In: Tradition und Zukunft – die Niedersächsische Staats- und
Universitätsbibliothek Göttingen. Eine Leistungsbilanz zum 65. Geburtstag von Elmar Mittler. Hg. von
Margo Bargheer und Klaus Ceynowa. Göttingen: Universitätsverlag Göttingen 2005, S. 337–347.
27
auf dem geisteswissenschaftlichen Campus angesiedelt. Auf einer Fläche von 400
Quadratmetern umfasst es einen Rechnerpool mit vierzig PC-Arbeitsplätzen, spezieller
Software,
umfangreichen
Druck-,
Kopier-
und
Scan-Möglichkeiten,
Videokonferenztechnologien und verschiedenen Medienausgabesystemen. Vor allem
Studierende nutzen hier die Möglichkeit, ausgewählte Programme für Internetrecherche,
Textverarbeitung und Grafikanwendungen, leistungsstarke A3-Scanner, Posterdrucker
oder CD-Brenner einzusetzen. Bei der Nutzung der Hard- und Software stehen
Bibliotheksmitarbeiterinnen und -mitarbeiter für Beratung und Betreuung zur
Verfügung. Spezielle Schulungsangebote sollen besonders den Studierenden den
Umgang mit der modernen Technik erleichtern.
1.4. Teaching Library
Eine weitere Perspektive der Bibliothek, die in engem Zusammenhang mit dem
Learning Resources Centre gesehen werden kann, allerdings nicht unbedingt an einen
physischen Ort gebunden ist, stellt die Teaching Library dar. Der Begriff der Teaching
Library geht ursprünglich auf eine Bezeichnung der Berkeley Library der University of
California für ihr Kurs- und Schulungsangebot zurück. Die damit verbundenen
Intentionen der Library Education, Information Literacy bzw. der Benützerschulung
waren indes bereits ab der Mitte des 20. Jahrhunderts geläufig, sind also im Grundsatz
nicht neu.
Auf der Basis des Modells der Teaching Library soll die Bibliothek verstärkt als Teil
des Bildungssystems auftreten und selbst Angebote im Rahmen von universitärer und
außeruniversitärer Aus-, Fort- und Weiterbildung machen. Besonderes Augenmerk ist
dabei der Entwicklung von Informationskompetenz zu widmen. Informationskompetenz
wird als Schlüsselqualifikation der modernen Informationsgesellschaft angesehen, die
ein entscheidender Faktor für den Erfolg in Forschung, Studium und Beruf darstellt. Sie
wird definiert als Fähigkeit, die es ermöglicht, bezogen auf ein bestimmtes Problem
Informationsbedarf zu erkennen, Informationen zu ermitteln und zu beschaffen sowie
Informationen zu bewerten und effektiv zu nutzen.
Bibliotheken in Deutschland und Österreich, die sich am Konzept der Teaching Library
orientieren, haben ein modulares Kursangebot und sind mit diesem in das Curriculum
28
der kooperierenden Schule, Hochschule oder Universität eingebunden, gelegentlich
wird zusätzlich Prüfungsverantwortung übernommen. 47
Das Konzept der Teaching Library ist momentan hoch im Kurs, und seine
Protagonistinnen und Protagonisten sehen selbstbewusst weitere Erfolge auf sich
zukommen:
Die Teaching Library dürfte aufgrund der durch Bildungsberichte, Lehrplanund Studienreformen günstigen Rahmenbedingungen, aber auch wegen der
unbestrittenen Bedeutung, die den Schlüsselqualifikationen Informations- und
Medienkompetenz
für
das
lebenslange
Lernen
zukommt,
gute
48
Realisierungschancen auch im deutschsprachigen Raum haben.
Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass die Generation, die in den 1990er Jahren geboren
und mit dem WWW sozialisiert wurde, zwar viel im Internet recherchiert und auch
weiß, wo sie suchen muss, mit der Masse der Informationen jedoch kaum umgehen
kann: Inhalte werden wenig kritisch hinterfragt, analysiert oder eingeordnet. Diese
sogenannte Generation Google greift in der Regel bei ihrer Informationsrecherche
zuerst zu Suchmaschinen, dann erst zum Buch. Der Report „Information Behaviour of
the Researcher of the Future” des University College London, der die Google
Generation als nach 1993 Geborene definiert, stellt fest, dass „internet research shows
that the speed of young people’s web searching means that little time is spent in
evaluating information, either for relevance, accuracy or authority”. 49 Angesichts dieses
zwar extensiven und intensiven, allerdings wenig reflektierten Medienumgangs der
Generation Google, die in absehbarer Zeit an die Universitäten strömen wird, scheint
die Teaching Library weiterhin – vor allem mit Einsatz von Blended Learning –
benötigt zu werden.
47
Vgl. z. B. Wilfried Sühl-Strohmenger: Hochschulbibliothek. Informationskompetenz und pädagogischdidaktische Qualifizierung. Lehren und Lernen in der Bibliothek – neue Aufgaben für Bibliothekare. In:
B.I.T. online 6 (2003), S. 317–326; http://www.b-i-t-online.de/archiv/2003-04/fach1.htm; zuletzt
aufgerufen: 20. September 2010.
48
http://www.bibliotheksportal.de/hauptmenue/themen/bibliothek-und-bildung/teaching-library/; zuletzt
aufgerufen: 20. September 2010.
49
Information Behaviour of the Researcher of the Future. A Ciber Briefing Paper. London: University
College London 2008;
29
1.5. Bibliothek 2.0 / 3.0 / 4.0
Ein weiterer Schritt im Übergang von der analogen zur digitalen Bibliothek ist die
konsequente Integration sowohl der bibliothekarischen als auch der nutzerseitigen
Aktivitäten in das WWW. Die im Web 2.0 bzw. im Social Web ausgeprägten
interaktiven und kollaborativen Elemente des Internet, die den User ins Zentrum rücken
lassen, weisen eine Reihe von Funktionalitäten auf, die von Bibliotheken sehr
vorteilhaft verwendet werden können. Zudem entspricht die starke User-Orientierung
dem anhaltenden Trend in der Bibliothekswelt, die Benützerinnen und Benützer in den
Mittelpunkt der Aufmerksamkeit treten zu lassen und sie auch in die bibliothekarische
Produkt- und Servicegestaltung miteinzubeziehen.
Im Jahr 2005 wurde in Analogie zum Terminus Web 2.0 der Begriff Library 2.0 von
dem Informationsexperten Michael Casey in seinem Blog „Library Crunch“ geprägt 50
und findet sich heute in fast allen Beiträgen, die die Zukunft der Bibliotheken
thematisieren. Trotz seiner Konjunktur ist das Konzept Bibliothek 2.0 nicht einheitlich
definiert. Grundkonsens scheint aber darin zu bestehen, dass nun im Unterschied zur
traditionellen Bibliothek – post festum die Bibliothek 1.0 – die grundsätzliche
Ausrichtung auf die Benützerinnen und Benützer zentral ist. Dabei wird auf die dem
Web 2.0 zugeschriebenen Grundprinzipien wie Partizipation, Kollaboration, Interaktion
bzw. Zwei-Wege-Kommunikation zurückgegriffen. Als basale, teilweise visionäre
Prinzipien werden genannt und mitunter kontroversiell diskutiert:
•
OPAC (Online Public Access Catalogue) + Browser + Web 2.0Eigenschaften + Offenheit für Verbindungen zu Anwendungen Dritter =
OPAC 2.0.
•
Bibliotheksbenützerinnen und -benützer haben an der Gestaltung und an der
Implementierung von Dienstleistungen teil und sind in der Lage, sie zu
benützen und auf ihre individuellen Bedürfnisse zuzuschneiden.
•
Offenheit: Bibliothek 2.0 ist kein geschlossenes Konzept.
http://www.jisc.ac.uk/media/documents/programmes/reppres/gg_final_keynote_11012008.pdf;
zuletzt
aufgerufen: 20. September 2010.
50
Vgl. Michael Casey: Working Towards a Definition of Library 2.0. In: Library Crunch, 21. Oktober
2005, http://www.librarycrunch.com/2005/10/working_towards_a_definition_o.html; zuletzt aufgerufen:
20. September 2010.
30
•
Permanente Verbesserung anstatt Upgrade-Zyklen („perpetual beta“).
•
Kopieren und Integrieren von Programmen und Ideen Dritter in die
Bibliotheksdienstleistungen.
•
Dienstleistungen ständig überprüfen, verbessern und dazu bereit zu sein,
diese jederzeit durch neue, bessere Dienstleistungen zu ersetzen. 51
Unter OPAC 2.0 bzw. Next (New) Generation OPAC wird ein Online-Katalog
verstanden, der sich neben dem großen Datenpool, schnellen Antwortzeiten, der
Integration von Normdaten und der Anreicherung der Titelaufnahmen (mit
Inhaltsverzeichnissen, Textauszügen usw.) vor allem durch seine Interaktivität mit den
Benützerinnen und Benützern auszeichnet. Beispiele dafür sind der WorldCat
(http://www.worldcat.org/) der OCLC (Online Computer Library Center) oder Primo
(http://www.exlibrisgroup.com/de/category/PrimoOverview), ein Produkt der auf
Bibliothekssoftware spezialisierten Firma Ex Libris.
Übrigens werden mittlerweile auch weitere Versions-Upgrades der Bibliothek
verhandelt: also Bibliothek 3.0 und Bibliothek 4.0. So riskiert etwa die Trend- und
Zukunftsforscherin Wendy Schultz im Jahr 2006 eine Vision der Bibliothek 4.0.
Nachdem sie die Bibliothek 3.0 ganz in den virtuellen Raum verlegt hat („Web 3D to
Library 3D“), sieht sie mit der Bibliothek 4.0 den real-physischen Ort zurückkehren:
But Library 4.0 will add a new mode, knowledge spa: meditation, relaxation,
immersion in a luxury of ideas and thought. In companies, this may take the
form of retreat space for thought leaders, considered an investment in
innovation; in public libraries, the luxurious details will require private partners
as sponsors providing the sensory treats. Library 4.0 revives the old image of a
country house library, and renovates it: from a retreat, a sanctuary, a pampered
experience with information – subtle thoughts, fine words, exquisite brandy,
smooth coffee, aromatic cigar, smell of leather, rustle of pages – to the dream
economy’s library, the LIBRARY: a WiFREE space, a retreat from
technohustle, with comfortable chairs, quiet, good light, coffee and single malt. 52
51
Vgl. Patrick Danowski / Lambert Heller: Bibliothek 2.0 – Die Zukunft der Bibliothek? In:
Bibliotheksdienst 40 (2006), S. 1259–1271, hier S. 1261f.;
http://www.zlb.de/aktivitaeten/bd_neu/heftinhalte2006/DigitaleBib011106.pdf; zuletzt aufgerufen: 20.
September 2010.
52
Wendy Schultz: To a Temporary Place in Time. In: Next Space – The OCLC Newsletter 2006/2,
http://www.oclc.org/nextspace/002/6.htm; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010; vgl. dazu HansChristoph Hobohm: Bibliothek(swissenschaft) 2.0. Neue Auflage oder Wende in Forschung und Lehre?
Vortrag auf dem 2. gemeinsamen Bibliothekstag Berlin / Brandenburg am 29. September 2007 in
Frankfurt / Oder. In: LIBREAS – Library Ideas 3/4 (2007), S. 1–14; http://www.ib.huberlin.de/~libreas/libreas_neu/ausgabe10/003hob.htm; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010.
31
1.6. Bibliothekstypologisches und Ausdifferenzierung der Bibliotheken
In der Folge der geänderten Marktsituation, in der sich Bibliotheken bewegen, der
beschränkten Ressourcen, die dem Bibliothekswesen zur Verfügung stehen, der neuen
Dynamiken am Informationsmarkt und natürlich auch in der Folge der zahlreichen
neuen bibliothekarischen Profilierungsansätze kommt es zu einer weiteren funktionalen
Ausdifferenzierung der Bibliotheken. Zudem verstärkt sich die Konkurrenz unter den
Bibliotheken zunehmend, da sich der lokale Vorteil im elektronischen Zeitalter
drastisch reduziert. Bibliotheksleistungen können daher auch über große Entfernungen
angeboten werden. Um sich am Informationsmarkt zu behaupten, werden vorrangig
Qualität, Effektivität und Effizienz und nicht Standortvorteile zählen.
Momentan ist von folgender Situation auszugehen: Traditionell gliedert sich das
Bibliothekswesen im deutschsprachigen Raum in zwei Sparten: die öffentlichen
Bibliotheken bzw. Büchereien und die wissenschaftlichen Bibliotheken.
Auf der Basis dieser Bibliothekstypologie obliegt den öffentlichen Bibliotheken (früher:
Volksbüchereien),
z.
B.
Stadt-
oder
Gemeindebibliotheken,
die
allgemeine
Literaturversorgung. Sie wenden sich an die gesamte Bevölkerung, an Erwachsene,
Jugendliche und Kinder, und dienen der allgemeinen Information, der Aus-, Fort- und
Weiterbildung, der Leseförderung, der Förderung der Medienkompetenz, der
Unterhaltung und der Freizeitgestaltung. Bei den öffentlichen Bibliotheken steht die
Gebrauchsfunktion im Vordergrund.
Die wissenschaftlichen Bibliotheken, z. B. National-, Staats-, Landes-, Universitäts-,
Instituts- und Spezialbibliotheken, stellen ihre Bestände für wissenschaftliche und
berufliche Zwecke zur Verfügung. Sie dienen vorwiegend der Forschung, der Lehre,
dem Studium oder auch dem spezifischen Bedarf von Behörden und Firmen. Die
meisten Bibliotheken werden von öffentlichen Trägern unterhalten (Bund, Länder,
Gemeinden), es gibt jedoch auch Firmen-, Kirchen-, Verbandsbibliotheken usw. Bei
den
wissenschaftlichen
(Universitätsbibliotheken)
Bibliotheken
als
auch
steht
die
sowohl
die
Archivfunktion
Gebrauchsfunktion
(Nationalbibliotheken,
Regionalbibliotheken) im Vordergrund. Innerhalb der Gruppe der wissenschaftlichen
Bibliotheken gibt es je nach Aufgabe und Zweckbestimmung verschiedene Arten von
Bibliotheken. Differenziert werden können Bibliotheken von nationaler und
32
überregionaler Bedeutung (wie National- und Staatsbibliotheken), Landesbibliotheken
und andere Regionalbibliotheken, Universitäts- und Hochschulbibliotheken und
Spezialbibliotheken (Fachbibliotheken).
Da es sich bei Bibliotheken um Dienstleistungseinrichtungen handelt, ist das
Dienstleistungsspektrum maßgeblich durch die spezifische strategische Ausrichtung
und die jeweilige Kundennachfrage geprägt. Die Bibliotheksentwicklung der letzten
Jahre ist dadurch bestimmt, dass die Bibliotheksaufgaben diversifiziert wurden. Das
traditionelle Aufgabenspektrum der Mediendienste – Erwerbung (Bestandsaufbau),
Erschließung (Bestandsbearbeitung als Formalkatalogisierung und Sacherschließung),
Bereitstellung (Benützung) und Erhaltung (Archivierung) von Medieneinheiten – wird
um die Informationsdienste – allgemeine und wissenschaftliche Auskunft, Schulungen,
Führungen und Öffentlichkeitsarbeit – erweitert. Diese beiden Schwerpunkte der
Mediendienste und Informationsdienste prägen aktuell das Dienstleistungsangebot für
Bibliotheksbenützerinnen und -benützer. Bibliotheksinterne Aufgaben wie Verwaltung,
technische Dienste oder Aus-, Fort- und Weiterbildung unterstützen dieses
Aufgabenspektrum.
Bernd Vogel und Silke Cordes skizzieren in ihrer Studie „Bibliotheken an Universitäten
und Fachhochschulen“ mögliche weitere Ausdifferenzierungsperspektiven im Bereich
der wissenschaftlichen Bibliotheken. 53 Die mit Blick auf die wachsende Diskrepanz
zwischen Leistungssteigerungen und Ressourcenbeschränkungen aufgestellte These,
dass das vollständige bibliothekarische Aufgabenspektrum zukünftig von weniger
Bibliotheken erbracht werden kann, führt zur Forderung nach verstärkter Profilbildung
und strategischer Positionierung. 54 In der Folge werden von Vogel und Cordes
idealtypisch vier Bibliotheksprofile entworfen: Die „Universelle Bibliothek“ deckt
sämtliche Aufgabenschwerpunkte einer Hochschulbibliothek bei der konventionellen
und digitalen Informationsversorgung ab und erfüllt zudem Archivaufgaben; die
53
Bernd Vogel / Silke Cordes: Bibliotheken an Universitäten und Fachhochschulen. Organisation und
Ressourcenplanung. Hannover: HIS 2005 (= Hochschulplanung 179); vgl. dazu Andreas Brandtner:
[Rez. zu:] Bernd Vogel / Silke Cordes: Bibliotheken an Universitäten und Fachhochschulen. Organisation
und Ressourcenplanung. Hannover: HIS 2005 (= Hochschulplanung 179). In: Mitteilungen der
Vereinigung österreichischer Bibliothekarinnen & Bibliothekare 60 (2007), H. 3, S. 90–94.
54
Vgl. Theresia Simon: Die Positionierung einer Universitäts- und Hochschulbibliothek in der
Wissensgesellschaft. Eine bibliothekspolitische und strategische Betrachtung. Frankfurt am Main:
Klostermann 2006 (= Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie: Sonderband 91); vgl. dazu
Andreas Brandtner: [Rez. zu:] Theresia Simon: Die Positionierung einer Universitäts- und
Hochschulbibliothek in der Wissensgesellschaft. Eine bibliothekspolitische und strategische Betrachtung
33
„Gebrauchsbibliothek“ versorgt die primäre Nutzergruppe mit aktueller Information
und zeichnet sich durch ein Nettonullwachstum ihrer gedruckten Bestände aus; die
„Digitale Bibliothek“ stellt ihre Informationsangebote zum größten Teil in digitaler
Form bereit; die „Virtuelle Bibliothek“ ist eine digitale Bibliothek ohne eigene
Medienbestände, deren Hauptaufgabe darin besteht, mit Lizenzen, Portalen,
Kooperationen usw. Zugänge zu Information zu schaffen.
(= Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie: Sonderband 91). In: Mitteilungen der Vereinigung
österreichischer Bibliothekarinnen & Bibliothekare 61 (2008), H. 4, S. 168–171.
34
2. Die Universitätsbibliothek Wien als
Dienstleistungseinrichtung der Universität Wien
2.1. Geschichte 55
Die Geschichte der Universitätsbibliothek war immer eng mit der Universität Wien
verknüpft – schon seit der Bibliotheksgründung im Jahr 1365 durch Herzog Rudolf IV.,
wodurch die UB Wien die älteste Universitätsbibliothek im deutschen Sprachraum ist.
Angesiedelt war die sogenannte „publica libraria“ an der Stelle des heutigen
Universitätsplatzes. Die Hohe Schule bestand aus einer Reihe von Fakultäten. Jede
Fakultät besaß ihre eigene Bibliothek.
Im 15. Jahrhundert wuchsen die Buchbestände erheblich. Bald war jeweils ein eigener
„bibliothecarius“ damit betraut, die Werke vor Beschädigung und Entwendung zu
schützen. Entlehnen konnte man die angeketteten Bände (libri catenati) nur in
Ausnahmefällen.
Bedingt durch die Türkenkriege und die Pestepidemien nahm der Stellenwert der
Universität Wien im 16. und 17. Jahrhundert stark ab. Mit der Bedeutung der
Universität
verfiel
auch
die
ihrer
Bibliothek.
Schließlich
übernahm
die
Klosterbibliothek der Jesuiten die Aufgaben der UB, deren letzte Bestände 1756 der
Hofbibliothek in Wien, der heutigen Österreichischen Nationalbibliothek, inkorporiert
wurden.
Erst in der Regierungszeit von Kaiserin Maria Theresia, genauer am 13. Mai 1777,
wurde die UB neu eröffnet, vornehmlich mit den Beständen der aufgelassenen
Jesuitenklöster, wobei die wertvollsten Bücher an der Hofbibliothek blieben. Die neue
Bibliothek war im barocken Bibliothekssaal des Akademischen Jesuitenkollegs und
einigen Nebenräumen untergebracht und im Unterschied zu ihrer Vorgängerin
allgemein zugänglich. Damals wurde die Bestimmung erlassen, dass die UB direkt dem
Staat (und nicht etwa der Universität) unterstand; die Leitung der Bibliothek war also
direkt dem zuständigen Minister verantwortlich. Diese Bestimmung änderte sich erst
am 1. Jänner 2000, als die UB dem Rektor der Universität unterstellt wurde.
55
Vgl. bis in die Mitte der 1970er Jahre: Walter Pongratz: Geschichte der Universitätsbibliothek Wien.
Wien, Köln, Graz: Böhlau 1977.
35
Schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts musste ein Erweiterungsbau in Angriff
genommen werden, da sowohl der Buchbestand kontinuierlich anwuchs, als auch die
Benützungsfrequenz
ständig
zunahm.
Die
UB
Wien
wurde
zur
führenden
Forschungsbibliothek der österreichisch-ungarischen Monarchie. Im Jahr 1884 folgte
die Bibliothek der Universität in den Neubau auf dem Ring nach. Die drückende
Raumnot blieb bestehen, da keinerlei Möglichkeiten zur Erweiterung eingeplant waren.
Dennoch erlebte die UB eine Blütezeit, die allerdings mit dem Ersten Weltkrieg zu
Ende ging: Problematisch waren Personalknappheit durch die Einberufungen im Ersten
Weltkrieg und später durch die Wirtschaftskrise, sowie Lücken im Bestandsaufbau, vor
allem bei ausländischen Zeitschriften.
Während des Zweiten Weltkriegs wurde der Buchbestand nach Niederösterreich in
bombengeschützte Räume ausgelagert, doch gingen durch Transport, schlechte
Lagerung und andere kriegsbedingte Komplikationen viele Bücher verloren oder
wurden beschädigt. 1951 war der Wiederaufbau des bombenbeschädigten Gebäudes
wesentlich abgeschlossen; man zog dem Lesesaal einen höheren Boden ein und gewann
dadurch Raum für ein zusätzliches Magazin.
Nach der Übersiedlung von Universitätsinstituten in das 1961 in der Universitätsstraße
errichtete Neue Institutsgebäude (NIG) konnten ein Foyer mit Garderobe, eine
Entlehnabteilung, ein Kleiner Lesesaal, die Zeitschriftenabteilung sowie Räume für die
Buchbearbeitung und zusätzlicher Stellraum geschaffen werden. Doch war dieser
Raumgewinn ein Rückschlag, denn ursprünglich hätte das NIG kein Instituts-, sondern
ein reines Bibliotheksgebäude werden sollen; ein Beschluss der Universität im Jahr
1955 hatte die seit langem geplante Zentralbibliothek verhindert.
Das Universitätsorganisationsgesetz 1975 (UOG 1975) etablierte eine engere
organisatorische Verbindung der Bibliothek mit der Universität, ohne jedoch deren
Unabhängigkeit anzutasten. Sukzessive wurde die innere Struktur den Erfordernissen
der Zeit angepasst, so z. B. ein Referat für die Planung der ADV (Allgemeine
Datenverarbeitung) eingerichtet oder die Informationsvermittlungsstelle für maschinelle
Literatursuche (IVS; seit 2001: Zentrum für elektronische Recherchen) ausgebaut. Die
Koordination
der
Fachbibliotheken
Literaturauswahl
wurde
zwischen
Hauptbibliothek,
Fakultäts-
und
verbessert. Sammelrichtlinien wurden erarbeitet und
veröffentlicht.
36
Seit dem Wintersemester 1986 kann die Entlehnverbuchung (beginnend mit der
Lehrbuchsammlung) und seit 1989 auch die Katalogisierung automationsunterstützt
durchgeführt werden, seit 1999 durch das integrierte Bibliothekssystem Aleph, das die
israelische Firma Ex Libris entwickelte und betreut.
Als im Jahr 1998 die Magazine so weit gefüllt waren, dass für neue Bücher kein Platz
mehr vorhanden war, wurden die Räume der ehemaligen Niederösterreichischen
Landesbibliothek in der Teinfaltstraße 8 angemietet und etwa 300.000 Bücher dorthin
ausgelagert. Diese Außenstelle wurde im Mai 1999 eröffnet, wenig später konnte die
neue Lehrbuchsammlung im Hauptgebäude ihren Betrieb aufnehmen.
Nach den im Universitätsorganisationsgesetz 1993 (UOG 1993) vorgegebenen
Reformen untersteht nun seit 1. Jänner 2000 die UB nicht mehr dem Ministerium,
sondern
direkt
dem
Universitätsgesetzes
Rektor
2002
der
(UG
Universität
2002)
am
Wien.
1.
Mit
Jänner
Inkrafttreten
2004
wurde
des
die
Universitätsbibliothek Wien gemeinsam mit dem Archiv der Universität Wien und den
zu Fachbereichsbibliotheken neu zusammengelegten ehemaligen Fakultäts-, Fach- und
Institutsbibliotheken zur Dienstleistungseinrichtung Bibliotheks- und Archivwesen
zusammengeschlossen.
2.2. Aktuelle Daten und Fakten
Mit einem Bestand von über 6,8 Millionen Büchern ist die Universitätsbibliothek Wien
deutlich
vor
der
Österreichischen
Nationalbibliothek
die
größte
Druckschriftenbibliothek Österreichs und eine der größten Universitätsbibliotheken
Europas. Einen schematischen Überblick über die Bibliothek und ihre Situierung in der
Universität Wien sollen folgende Kennzahlen vermitteln, die sich auf das Jahr 2009
beziehen: 56
56
Vgl. Der Bibliotheksindex. BIX-Ergebnisse 2009: wissenschaftliche Bibliotheken; http://www.bixbibliotheksindex.de/; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010.
37
Bibliotheken insgesamt (Hauptbibliothek, Fachbereichsbibliotheken,
48
Institutsbibliotheken)
Zahl der aktiven Entlehnerinnen und Entlehner, die keine
12.244
Universitätsangehörigen sind
Zahl der Studierenden
85.781
Zahl der Lehrenden
6.747
Zahl der Benützerarbeitsplätze gesamt
3.377
Zahl der Computerarbeitsplätze
415
Zahl der Benützerarbeitsplätze mit Internetzugang
415
Quadratmeter Benützungsbereich
34.451
Mitglieder der primären Nutzergruppe (wissenschaftliches Personal,
92.528
allgemeines Personal, Studierende)
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Vollzeitäquivalente)
Wochenöffnungsstunden
299
73
Bibliotheksbesuche physisch
2,911.948
Bibliotheksbesuche virtuell
9,024.664
Aktive Entlehnerinnen und Entlehner
76.070
Schulungsteilnehmerinnen und -teilnehmer
12.058
Entlehnungen ohne Vormerkung
Entlehnungen insgesamt
814.380
1,169.726
Ausgaben Erwerb elektronische Medien
1,888.220 €
Ausgaben Medienerwerb
7,119.448 €
Ausgaben der Bibliothek
21,199.690 €
Ausgaben Personal
12,748.886 €
Zahl der beschafften Medien
Fortbildungstage Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Dritt- und Sondermittel der Bibliothek
Gesamtmittel der Bibliothek
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für elektronische Dienste
118.022
1.549
617.975 €
22,828.976 €
19,1
Setzt man diese Werte in Beziehung zu Kennzahlen vergleichbarer Bibliotheken im
deutschsprachigen Bereich, erscheinen folgende Aspekte signifikant:
38
1. Die UB Wien als Bibliothek der mit rund 86.000 Studierenden größten Universität im
deutschen Sprachraum hat eine von anderen Bibliotheken nicht ansatzweise erreichte
Mitgliederzahl ihrer primären Nutzergruppe zu betreuen. In Relation zu dieser Zahl ist
die infrastrukturelle Ausstattung als unterdurchschnittlich zu bezeichnen. So stehen der
UB Konstanz für den Medienerwerb 3,103.009 € zu Verfügung, zu versorgen sind
allerdings nur 11.484 primäre Benützerinnen und Benützer. Damit verfügt die UB
Konstanz über 43,6% der Höhe des Erwerbungsbudgets der UB Wien, betreut allerdings
nur 12,4% der Zahl der primären Benützerinnen und Benützer der UB Wien. Ähnliche
Relationen
ließen
sich
in
den
Kategorien
Benützungsbereich,
Bibliotheksmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, Ausgaben für Literatur / Information,
Bibliotheksbesuche, Schulungsstunden und Bibliotheksausgaben (immer pro primäre
Benützerinnen und Benützer gerechnet) aufzeigen.
2. Die UB Wien arbeitet entschlossen am Ausbau der digitalen Bibliothek: Der Anteil
der Ausgaben für elektronische Medien, die elektronische Nutzung pro primäre
Benützerinnen und Benützer und auch der Anteil des Personals für elektronische
Dienste liegen vergleichsweise im guten Mittelfeld.
3. Die Öffnungszeiten der UB Wien bleiben deutlich hinter denen deutscher
Hochleistungsbibliotheken zurück. Dies resultiert vor allem aus der schwierigen
räumlichen Situation der UB Wien, die für die Öffnung der Benützungsbereiche einen
erhöhten Personaleinsatz erfordern würde.
4. Der Anteil der Dritt- und Sondermittel an den Bibliotheksmitteln ist vergleichsweise
niedrig. Dies resultiert zu einem Teil aus der in Relation zu Deutschland weniger
ausgeprägten Förderstruktur.
Dieser etwas holzschnittartige Kennzahlenvergleich zeigt vor allem, dass sich die UB
Wien
in
der
Situation
eines
Massenversorgers
befindet,
dessen
Entwicklungsperspektive durch die begrenzten Ressourcen in vielerlei Hinsicht
eingeschränkt ist. Umso anspruchsvoller erscheinen deswegen die Herausforderungen
an das Management hinsichtlich der Organisationsentwicklung der Bibliothek.
39
2.3. Organisatorische Verankerung
Die Universitätsbibliothek bildet gemeinsam mit dem Universitätsarchiv die
Dienstleistungseinrichtung (DLE) Bibliotheks- und Archivwesen der Universität Wien,
der größten Lehr- und Forschungseinrichtung in Österreich. Der Organisationsplan der
Universität Wien definiert in § 15 ihre acht Dienstleistungseinrichtungen (Bibliotheksund Archivwesen, Finanzwesen und Controlling, Forschungsservice und Internationale
Beziehungen, Öffentlichkeitsarbeit und Veranstaltungsmanagement, Personalwesen und
Frauenförderung, Raum- und Ressourcenmanagement, Studien- und Lehrwesen und
Zentraler Informatikdienst) wie folgt:
Dienstleistungseinrichtungen sind Organisationseinheiten der Universität, die
die Universität, ihre Organisationseinheiten und Organe sowie ihre Angehörigen
bei ihrer Aufgabenerfüllung unterstützen. Sie haben im allgemeinen keine
Forschungs- oder Lehraufgaben, können aber mit aufgabenspezifischen
wissenschaftlichen Tätigkeiten betraut werden und Ausbildungsfunktionen
wahrnehmen. 57
Die DLE Bibliotheks- und Archivwesen gehört somit dem administrativen Bereich der
Universität an und ist direkt dem Rektorat unterstellt, wobei die bibliotheksspezifischen
Agenden
von
einem
Vizerektor
wahrgenommen
werden.
Das
zentrale
Steuerungselement für das Rektorat sind die Zielvereinbarungen, die jährlich zwischen
Rektorat
und
Fakultäten
/
Zentren,
Studienprogrammleiterinnen
und
Studienprogrammleitern (wissenschaftlicher Bereich) sowie zwischen Rektorat und
Dienstleistungseinrichtungen (administrativer Bereich) geschlossen werden. Sie stellen
auch das Bindeglied zur Leistungsvereinbarung zwischen Bund und Universität dar. In
diesen Zielvereinbarungen wird festgehalten, welche Ziele die Einrichtungen im
nächsten Jahr erreichen sollen und welches Budget ihnen – im Sinn einer leistungs- und
bedarfsorientierten Ressourcenverteilung – zur Verfügung gestellt wird. Die
Maßnahmen zur Erreichung der gesetzten Ziele werden von der Leitung der jeweiligen
Einrichtung
selbstständig
ausgewählt.
Als
weiteres
Führungs-
und
Steuerungsinstrument zur Umsetzung der Leistungs- und Zielvereinbarungen ist an der
Universität Wien das Jahresgespräch implementiert. Im Sinn einer Top-Down-Strategie
57
Organisation der Universität Wien im Universitätsgesetz 2002. 13. Oktober 2006, S. 10;
http://www.univie.ac.at/rektorenteam/ug2002/organisation.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010.
40
findet ein solches Gespräch zwischen dem zuständigen Vizerektor und der Leiterin der
DLE Bibliotheks- und Archivwesen einmal jährlich statt.
2.4. Ablauforganisation und neue Handlungsfelder
Bei der Beschreibung der Ablauforganisation der UB Wien ist zu berücksichtigen, dass
sie als Teil des funktional ausdifferenzierten Bibliothekswesens agiert und vor allem
innerhalb des Kontextes des deutschsprachigen Bibliothekswesens zu denken ist.
Die UB Wien als wissenschaftliche Bibliothek agiert ganz im Zeichen ihrer Integration
in die Universität Wien. So ist sie primär wissenschaftliche Informationsversorgerin
und
in
ihrem
Leistungsspektrum
vom
Bedarf
der
Universitätsangehörigen
(wissenschaftliches Personal, allgemeines Personal, Studierende) bestimmt. Sie verfolgt
einerseits die Mediendienste (Erwerbung, Erschließung, Bereitstellung und Erhaltung)
und baut andererseits den Aufgabenschwerpunkt Informationsdienste aus, um sich
verstärkt als Dienstleistungszentrum rund um verschiedene Medien zu etablieren.
Bei der Ausprägung und Gestaltung der bibliothekarischen Arbeitsabläufe ist neben der
erfolgreichen Abwicklung sowohl der Medien- als auch der Informationsdienste an die
grundsätzliche Bestandserweiterung durch digitale Medien zu denken. Das bedeutet,
dass der bibliothekarische Apparat so ausdifferenziert sein muss, dass er sowohl
analoge als auch digitale Medien verarbeiten kann. Die UB Wien setzt momentan – wie
die meisten anderen wissenschaftlichen Bibliotheken im deutschsprachigen Raum – auf
die Umsetzung des Konzepts der Hybridbibliothek, die nicht nur Zugang zu
elektronischen (digitalen) Ressourcen und traditionellen (analogen) Bibliotheksquellen
gewähren will, sondern alle Arten von Informationen unter denselben oder mehreren
Nutzeroberflächen
integriert,
um
digitale
und
nicht-digitale
Dienstleistungen
anzubieten.
Neben der Bewältigung der traditionellen Aufgaben und der Entwicklung hin zur
Hybridbibliothek hat die UB Wien im Verlauf der letzten Jahre zudem neue
Handlungsfelder übernommen, die zum Teil dem Bereich der digitalen Bibliothek
zugehören, zum Teil aus der neuen Aufgabenverteilung am Informationsmarkt
resultieren. Ein kurzer Überblick über diese neuen Services soll verdeutlichen, in
41
welchem komplexen Aufgabenspektrum sich wissenschaftliche Bibliotheken aktuell
bewegen:
PHAIDRA (Permanent Hosting, Archiving and Indexing of Digital Resources and
Assets)
PHAIDRA
ist
ein
Digital
Asset
Management
System
mit
Langzeitarchivierungsfunktionen. Ein Digital Asset Management System dient der
Speicherung und Verwaltung von beliebigen digitalen Inhalten, insbesondere von
Mediendateien wie Grafiken, Videos, Musikdateien, Textbausteinen usw. PHAIDRA
eröffnet für Forschung, Lehre, Verwaltung und die einzelnen Akteurinnen und Akteure
die Möglichkeit, ihre Publikationsleistungen zu speichern, zu dokumentieren und auf
lange Zeit zu archivieren. Mit PHAIDRA erhalten die gespeicherten und entsprechend
mit Metadaten versehenen Objekte (z. B. Texte, Bilder, Videos, Audiodateien) einen
permanenten Link. Sämtliche digitale Objekte können somit rasch und effizient
aufgefunden und abgerufen werden.
EOD (E-Books on Demand)
Die UB hat das Service E-Books on Demand (EoD) eingerichtet, bei dem
urheberrechtsfreie Bücher (siebzig Jahre nach dem Tod der Verfasserin bzw. des
Verfassers) auf Wunsch digitalisiert und als E-Books im PDF-Format mit automatisch
erkanntem Volltext – OCR (Optical Character Recognition) ohne Korrektur –
ausgeliefert werden. Wie bei einem Document Delivery Service (z. B. die
kostenpflichtige Beschaffung von Dokumenten über die Fernleihe) zahlen die
Kundinnen und Kunden für das Service. Zusätzlich zur Auslieferung an Kundinnen und
Kunden werden die Digitalisate langfristig im Digital Asset Management System
PHAIDRA archiviert und im Internet mit einem E-Book-Viewer der Öffentlichkeit zur
Verfügung gestellt.
Hochschulschriftenserver E-Theses
An der Universität Wien ist die Abgabe von Abschlussarbeiten in elektronischer Form
für alle Studienrichtungen verpflichtend. Ist diese elektronische Abgabe erfolgt, werden
die nachfolgenden Prozesse weitgehend automatisiert abgewickelt: Verständigungen
der Beteiligten, Erfassung der Arbeit im Katalog der Universitätsbibliothek und
42
Veröffentlichung auf dem Hochschulschriftenserver. Die hochgeladenen Arbeiten
werden im Sinn einer guten wissenschaftlichen Praxis einer Plagiatsprüfung unterzogen,
die von der UB koordiniert wird. Der Hochschulschriftenserver bietet die Möglichkeit,
die Abschlussarbeiten weltweit verfügbar zu machen. Mit Hilfe strukturierter Metadaten
werden die Dokumente bibliographisch beschrieben und über nationale und
internationale Bibliothekskataloge, Suchmaschinen und andere Nachweisinstrumente
erschlossen und somit suchbar gemacht. Die Zitierfähigkeit wird durch eine dauerhafte
und stabile Internetadresse garantiert.
Open Access
Ziel ist es, den Open-Access-Gedanken (also die kostenlose Bereitstellung
wissenschaftlicher Literatur im Internet) an der Universität Wien bekannter zu machen
und die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern der Universität diese neue Form des Publizierens ermöglicht. Als konkrete
Maßnahmen sind die Erstellung einer Informationswebsite der Universität zu diesem
Thema sowie die Inbetriebnahme eines Institutional Repository vorgenommen. Mit
Hilfe dieses Volltextservers soll der gesamte wissenschaftliche Output von
Angehörigen der Universität Wien, also Diplom-, Magister- und Masterarbeiten,
Dissertationen,
Habilitationsschriften,
Publikationen,
Projektberichte,
Konferenzbeiträge, Working Papers, Vorträge usw., einer breiten Öffentlichkeit via
Internet zur Verfügung gestellt werden. Open Access wird an der Universität Wien von
der UB koordiniert.
RAD (Research Activities Documentation)
RAD ist die Forschungsdokumentation der Universität Wien und verzeichnet die
Forschungsleistungen ihrer Angehörigen. Dazu zählen insbesondere Publikationen,
Vorträge, Drittmittelprojekte, Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftler,
Funktionen in wissenschaftlichen / universitären Gremien und Engagement in
wissenschaftlichen Zeitschriften. Das Ziel ist, Daten nur mehr an einer zentralen Stelle
für verschiedene Zwecke laufend zu erfassen. Die Daten aus RAD dienen nicht nur der
Erstellung der Wissensbilanz, sondern auch als Grundlage für Fakultätsevaluierungen
und Zielvereinbarungsgespräche. RAD ist organisatorisch an der UB Wien situiert.
43
Informationsvermittlung
Neben
den
traditionellen
Mediendiensten
hat
sich
die
bibliothekarische
Aufmerksamkeit in den letzten Jahren verstärkt den Informationsdiensten zugewandt.
Unter der Voraussetzung, dass Wettbewerbsvorteile zentral in der qualifizierten
Beratung der Endnutzerinnen und Endnutzer zu finden sind, wurden Ressourcen aus
dem Back Office in das Front Office verlagert. Als koordinierende Einrichtung der
Benützerbetreuung wurde an der UB Wien das Zentrum für elektronische Recherchen
eingerichtet, das sowohl Anfragen entgegennimmt und beantwortet als auch Führungen
und Schulungen veranstaltet.
Szientometrie und Bibliometrie
Eine der größten Herausforderungen im universitären Bereich ist derzeit die
Forschungsevaluation
Universitätsleitung
und
bei
die
daraus
Entscheidungen
resultierende
bezüglich
der
Unterstützung
der
Entwicklung
von
Forschungsschwerpunkten (Science Policy). Mit Hilfe der Szientometrie (Untersuchung
der
wissenschaftlichen
Forschung)
und
ihrem
Teilgebiet
der
Bibliometrie
(Beobachtung, Analyse und Evaluation von Publikationen und ihrer Zitierhäufigkeit)
kann der wissenschaftliche Output einer Universität gemessen werden. An der
Universität Wien spielt dabei die Bibliothek nicht nur eine wichtige Rolle bei der
Aufbereitung (Gewinn, Analyse, Strukturierung) der Daten, sondern auch durch die
Kenntnisse und praktischen Erfahrungen ihrer Spezialistinnen und Spezialisten im
Bereich der Szientometrie und Bibliometrie. Die UB Wien koordiniert diese neuen
Aufgaben an der Universität Wien und bündelt die vorhandenen Kompetenzen.
Vienna University Press
Die Vienna University Press ist ein Verlag, den die Universität Wien und V&R unipress
in Kooperation gegründet haben. Rechtlich gehört die Vienna University Press als
Imprint
zu
V&R
unipress,
einem
Tochterunternehmen
des
renommierten
geisteswissenschaftlichen Verlagshauses Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen. Die
Universität steuert über den wissenschaftlichen Beirat das Verlagsprogramm und
überwacht das vereinbarte Leistungsspektrum des Verlags. Die UB Wien ist im Beirat
vertreten und fungiert als Koordinationsstelle innerhalb der Universität.
44
Sammlungen an der Universität Wien
Die erste vorrangige Aufgabe dieses neuen Handlungsfeldes war, alle Sammlungen, die
sich in den verschiedenen Instituten und Departments der Universität Wien befinden, zu
identifizieren, sämtliche Daten zu den Sammlungen (Geschichte, Bestand, Umfang,
Erschließung, Adresse, Kontaktperson, Benützungsbeschränkungen) systematisch zu
erfassen und ein Gesamtverzeichnis zu erstellen, das über eine eigene Website abrufbar
ist
(http://sammlungen.univie.ac.at/).
Mittelweile
werden
die
Sammlungen
infrastrukturell unterstützt und koordiniert, wobei die Kuratorenaufgabe von der UB
Wien wahrgenommen wird.
Provenienzforschung
Auch österreichische Bibliotheken erhielten in der Zeit des Nationalsozialismus oft
beschlagnahmtes Bibliotheksgut von aufgelösten Einrichtungen wie Vereinen oder
Schulen und aus Enteignungen oder Zwangsverkäufen von Privatpersonen. So befinden
sich auch in den Beständen der UB Wien Bücher aus solchen bedenklichen
Erwerbungsvorgängen.
Die
Provenienzforschung
der
UB
Wien
durchforstet
systematisch die Eingänge aus den Jahren 1938 bis 1945. Die Bibliothek kommt damit
ihrer Aufgabe zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit den eigenen Beständen und der
Aufarbeitung der Erwerbungspolitik während der NS-Zeit nach. Zudem restituiert sie
die unrechtmäßig erworbenen Bestände an die rechtmäßigen Eigentümerinnen und
Eigentümer. Aufgrund der komplexen Sachlage ist diese Arbeitsaufgabe als langfristig
anzusetzen und deswegen innerhalb der Organisationsstruktur der Bibliothek zu
verankern.
2.5. Aufbauorganisation
Die Dienstleistungseinrichtung Bibliotheks- und Archivwesen der Universität Wien ist
organisatorisch
gegliedert
in
die
Universitätsbibliothek
(Hauptbibliothek,
39
45
Fachbereichsbibliotheken und acht Institutsbibliotheken), das Universitätsarchiv, zwölf
Zentrale Services und einige Subeinheiten, denen Spezialaufgaben zugeteilt sind. 58
Dem Universitätsarchiv obliegt die Erhaltung, Erschließung und Bereitstellung der
historischen Überlieferung der Universität Wien und der universitätsgeschichtlichen
Sammlungen für Zwecke der Universitätsverwaltung, der wissenschaftlichen Forschung
und Lehre sowie zur Wahrnehmung berechtigter persönlicher Belange. Es nimmt mit
Publikationen, Vorträgen und Ausstellungen aktiven Anteil an der universitäts- und
wissenschaftsgeschichtlichen
Arbeit
und
unterstützt
facheinschlägige
Forschungsprojekte. Für die Archivbenützung wird ein Lesesaal- und fachlicher
Beratungsdienst durchgeführt, darüber hinaus werden schriftliche Auskünfte erteilt. Die
Direktion des Universitätsarchivs ist direkt der Leitung der DLE Bibliotheks- und
Archivwesen unterstellt.
Die 48 Bibliotheken der UB befinden sich an Standorten in ganz Wien, wobei die
Hauptbibliothek seit 1884 im damals neu eröffneten Hauptgebäude am Ring
untergebracht ist. Die Fachbereichs- und Institutsbibliotheken sind in der Regel in
unmittelbarer Nähe zu den Instituten, Fakultäten / Zentren aufgestellt, deren
Fachbereich
sie
abdecken.
Der
Unterschied
zwischen
Fachbereichs-
und
Institutsbibliothek besteht darin, dass die Fachbereichsbibliotheken organisatorisch
komplett in die UB integriert sind, das Personal der Institutsbibliotheken hingegen den
Instituten bzw. Fakultäten zugeordnet ist. Ihr Erwerbungsbudget beziehen die
Institutsbibliotheken von der UB. Die Direktion der Hauptbibliothek wird von der DLELeitung
in
Personalunion
wahrgenommen,
die
Leiterinnen
und
Leiter
der
Fachbereichsbibliotheken sind direkt der Leitung der DLE Bibliotheks- und
Archivwesen unterstellt.
Die Zentralen Services haben für den gesamten Bereich zentrale und koordinierende
Aufgaben wahrzunehmen und sind als interne Dienstleister etabliert (z. B. Team EDVInfrastruktur, Team Koordinierter Bestandsaufbau). Die Zentralen Services haben den
Charakter von Stabsstellen, ihre Leitungen sind direkt der Leitung der DLE Bibliotheksund Archivwesen unterstellt.
58
Vgl. das Organigramm: http://bibliothek.univie.ac.at/wir_ueber_uns.html; zuletzt aufgerufen: 20.
September 2010.
46
In
Bezug
auf
den
engeren
Bereich
Bibliothek
(Hauptbibliothek,
Fachbereichsbibliotheken, Institutsbibliotheken) befindet sich die UB am Weg von der
Zweischichtigkeit in die angestrebte funktionale Einschichtigkeit.
Exkurs 1: Zweischichtigkeit, Einschichtigkeit und funktionale Einschichtigkeit von
Bibliothekssystemen in Universitäten 59
Duale (zweischichtige) Bibliothekssysteme
An den traditionellen Universitäten war die Literaturversorgung früher so organisiert,
dass eine zentrale Bibliothek (die eigentliche Universitätsbibliothek) und eine große
Zahl von selbstständigen fachlichen Instituts-, Seminar- oder Lehrstuhlbibliotheken
unverbunden nebeneinander bestanden. Dabei war der Bestand der Zentral- bzw.
Hauptbibliothek im geschlossenen Magazin untergebracht, während die Bücher der
Institutsbibliotheken meist als Freihandbestände aufgestellt waren. Die zentrale
Universitätsbibliothek
fungierte
vorwiegend
als
Entlehnbibliothek,
die
Institutsbibliotheken waren in der Regel Präsenzbibliotheken. Das entscheidende
Merkmal
dieser
dualen
Literaturversorgung
ist
die
Unabhängigkeit
der
Institutsbibliotheken von der zentralen Universitätsbibliothek.
Die Ursprünge dieses Systems lassen sich in allen traditionsreichen deutschen
Universitäten auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückführen. Im Laufe der
Jahrzehnte bis in die 1960er Jahre hinein haben sich daher solche Bibliothekssysteme
entwickelt, die häufig deutlich über 150 selbstständige Institutsbibliotheken haben. Um
das Bild noch unübersichtlicher und rational noch schwerer nachvollziehbar zu machen,
haben sich darüber hinaus an vielen Standorten quasi auf einer Mesoebene
institutsübergreifende Bibliotheken auf Fachbereichs- oder Fakultätsebene entwickelt –
nicht
selten
unter
Beibehaltung
von
Kleinbibliotheken
auf
Instituts-
oder
Arbeitsgruppenebene.
59
Vgl. Ulrich Naumann: Hochschulbibliothekssysteme im Vergleich. 5. Aufl. Vorlesungsskript einer
geplanten Lehrveranstaltung am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der HumboldtUniversität zu Berlin Sommersemester 2007,
47
Integrierte (einschichtige) Bibliothekssysteme
Das einschichtige System findet man häufig bei Hochschulen, die nach 1960 gegründet
wurden (z. B. Universitäten Bochum, Konstanz, Regensburg). Einschichtigkeit im
Bibliothekswesen zeichnet sich durch die zentrale Verwaltung von Personal- und
Sachmitteln aus. Beschaffung, Erschließung und Bereitstellung der Medien geschieht
nach einheitlichen Grundsätzen.
Funktionale einschichtige Bibliothekssysteme
Traditionell zweischichtige Bibliothekssysteme werden ihre individuelle Ausprägung
der funktionalen Einschichtigkeit entwickeln oder haben dies bereits erreicht. Hierzu
gehören, soweit möglich, die Bildung von (Fach-)Bereichsbibliotheken, die
Zusammenführung
von
materiellen
Ressourcen
für
bestimmte
Materialien
(Zeitschriften, elektronische Dokumente), Aufbau von Gesamt-Online-Katalogen,
universitätsinterne Abstimmung der Erwerbungen durch möglichst umfassenden Einsatz
integrierter Bibliothekssysteme und Verbundteilnahme der Bibliotheken, Beteiligung an
Personalauswahlverfahren, zentrale Schulungsangebote für die Bibliothekarinnen und
Bibliothekare in den dezentralen Bibliotheken, Abschluss von / und Beteiligung an
Konsortialprodukten usw.
Die UB Wien arbeitet seit Jahren daran, die Institutsbibliotheken, deren Personal den
Instituten zugehört, in ihren Verband zu integrieren. Zumeist ist das mit baulichen
Veränderungen verbunden, in deren Folge Bibliotheken zusammengelegt werden.
Zudem wurde von der Universitätsleitung aufgegeben, Institutspersonal, das mit
bibliothekarischen Agenden befasst ist, in den Bereich der Bibliothek zu übernehmen.
2.6. Aufgaben und Kernkompetenzen
Die derzeitige offizielle Aufgabenbeschreibung der UB Wien ist kein selbst erstelltes
Mission Statement, sondern wurde großteils aus dem – juristisch überholten und außer
Kraft gesetzten – UOG 1993 übernommen (vgl. § 78):
http://www.ub.fu-berlin.de/~naumann/biblsysteme/Vorlesungsskript_2007.pdf; zuletzt aufgerufen: 20.
September 2010.
48
Die Aufgaben der Universitätsbibliothek umfassen:
•
•
•
•
•
•
•
Beschaffung, Erschließung und Bereitstellung aller für Forschung, Lehre
und Studium erforderlichen Informationsträger unter Beachtung
weitgehender Kontinuität und Vollständigkeit
Bereitstellung der Bestände für die Universitätsangehörigen und für die
wissenschaftlich interessierte Öffentlichkeit
Vermittlung von Information unter Nutzung weltweiter Datennetze (z. B.
Internet) und Datenbanken einschließlich der Dokumentenlieferung
Vermittlung von Informationskompetenz
Pflege und Erschließung des wertvollen historischen Buchgutes
Mitarbeit an Gemeinschaftsunternehmen des österreichischen und
internationalen wissenschaftlichen Informationswesens
Kooperation und Koordination mit den anderen wissenschaftlichen
Bibliotheken Österreichs und des übrigen Europas
Der Sammelauftrag des Bibliotheks- und Archivwesens umfasst die Beschaffung
der Informationsträger aus allen an der Universität Wien gelehrten
Wissenschaftsdisziplinen, wobei der UB die Stellung eines bibliographischen
Zentrums für die Universität zukommt. Überdies besitzt die UB das
Pflichtexemplarrecht für Wien, Niederösterreich und Burgenland. Gemäß § 43
Mediengesetz sind von jedem Druckwerk (Bücher und Zeitschriften) kostenlos zwei
bzw. drei Exemplare an die UB abzugeben. 60
Im Rahmen der Strategieentwicklung der UB Wien wird diese Aufgabenbeschreibung
nicht nur dahin gehend geprüft werden, inwieweit sie mit dem gegenwärtigen IstZustand übereinstimmt bzw. von aktuellen Entwicklungen abweicht. Es wird vielmehr
notwendig sein, sie durch ein selbstformuliertes Mission Statement abzulösen. Dabei ist
besonders auf das Management der Kernkompetenzen zu achten, die auf die
Bedürfnisse der Endkundinnen und Endkunden zentral Bezug nehmen.
Damit ist die UB als wissenschaftliche Bibliothek der Universität Wien positioniert,
deren Hauptaufgabe in der Informationsversorgung der Universitätsangehörigen
besteht. Diese ihre primäre Nutzergruppe setzt sich aus den Studierenden, den
Angehörigen des wissenschaftlichen Personals und den Angehörigen des allgemeinen
Personals zusammen. Mit derzeit 86.000 Studierenden und 8.900 Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern
der
Wissenschaftler)
Universität
zählt
die
Wien
UB
(davon
Wien
in
6.700
Wissenschaftlerinnen
europäischer
Perspektive
zu
und
den
Universitätsbibliotheken mit den quantitativ größten primären Nutzergruppen (ein
rascher Vergleich aktueller Zahlen ist über den Bibliotheksindex BIX / http://www.bixbibliotheksindex.de/ möglich: z. B. UB Frankfurt am Main: 41.600, UB München:
49
49.900 Primärnutzerinnen und -nutzer). – Die wissenschaftlich interessierte
Öffentlichkeit, die nicht Teil der Universität Wien ist, wird als sekundäre Nutzergruppe
wahrgenommen.
60
http://bibliothek.univie.ac.at/aufgaben.html; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010.
50
3. Strategieentwicklung für Organisationen
3.1. Positionen der Managementtheorie
Innerhalb der Managementlehre und -theorie war und ist der Bereich des strategischen
Managements deutlichen Konjunkturen unterworfen. Das Konzept der Strategie leitet
sich wie viele andere Aspekte des Managements aus dem Militärwesen ab und meinte
ursprünglich
die
Kunst
der
Heerführung. 61
Der
preußische
General
und
Militärtheoretiker Carl von Clausewitz interpretierte den Begriff in seinem Hauptwerk
„Vom Kriege“ (1832–1834) neu. Für ihn ist Strategie „der Gebrauch des Gefechts zum
Zweck des Krieges“. 62 Strategie setzt dem kriegerischen Akt ein Ziel, das dem Zweck
entspricht, und entwirft den Kriegsplan.
In
den
1950er
Jahren
wurde
der
Strategiegebegriff
systematisch
in
die
Managementlehre und folglich ins Management integriert, indem die in vielerlei
Hinsicht einflussreiche Harvard Business School begann, Strategie im Rahmen ihrer
Managementausbildung zu unterrichten. Sowohl im Studium als auch in der Praxis galt
Strategie dementsprechend als die wichtigste Aufgabe des Chief Executive Officers
(CEO). Damit wurde das Top Management, das den Gesamtkurs des Unternehmens zu
steuern hat, für die Formulierung und auch für die Umsetzung der Strategie als
Gesamtplanung verantwortlich.
Die 1960er Jahre erweisen sich als Zeit einer weitverbreiteten Begeisterung für
strategische Planung. Einen frühen Beitrag dazu lieferte der amerikanische
Wirtschaftshistoriker und Ökonom Alfred D. Chandler jr. mit seiner Studie „Strategy
and Structure“ (1962). Er fasste den Strategiebegriff folgendermaßen:
Strategy can be defined as the determination of the basic long-term goals and
objectives of an enterprise, and the adoption of courses of action and the allocation
of resources necessary for carrying out these goals. 63
61
Vgl. Wolfgang H. Staehle: Management. Eine verhaltenswissenschaftliche Perspektive. 8., überarb.
Aufl. München: Vahlen 1999 (= Vahlens Handbücher der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften), S.
573–575.
62
Carl von Clausewitz: Vom Kriege. Auswahl. Hg. von Ulrich Marwedel. Stuttgart: Reclam 1980 (=
Universal-Bibliothek 9961), S. 178.
63
Alfred D. Chandler jr.: Strategy and Structure. Chapters in the History of the Industrial Enterprise.
Cambridge / Massachusetts: MIT Press 1962, S. 13.
51
In der Folge deklarierte Chandler in seinem Hauptwerk anhand seiner Formel „structure
follows strategy“ einen Primat der Strategie vor der Struktur. Die Organisationsstruktur
muss der Strategie entsprechen und sollte von dieser gesteuert werden – nicht
umgekehrt. Dieser Ansatz wurde in der Nachfolge zunächst kontroversiell diskutiert
und gilt heute als simplifizierend, da mittlerweile über systemische Positionen deutlich
wurde, dass Organisationen nicht monokausal zu deuten und auch nicht zu führen sind.
Die wesentlichen Arbeiten zur Strategiediskussion der 1960er Jahre steuerte der
amerikanische Mathematiker und Wirtschaftswissenschaftler Harry Igor Ansoff bei. Mit
seiner Studie „Management-Strategie“ (Corporate Strategy, 1965) hatte er zentralen
Anteil an der Begründung des strategischen Managements. 64
Bis heute berühmt geblieben und auch immer wieder zitiert ist seine Marktfeldstrategie
(Ansoff-Matrix bzw. Ansoff Model of Strategic Planning), die eine praktische Methode
zur Fällung strategischer Entscheidungen liefern soll. Diese Matrix, die die Elemente
„Bestehende Märkte“, „Neue Märkte“, Bestehende Produkte“ und „Neue Produkte“
miteinander verbindet, eröffnet vier unterschiedliche Wachstumsstrategien:
•
Marktdurchdringung (Market Penetration): Das Unternehmen wächst mit
bestehenden Produkten in seinem aktuellen Marktsegment. Hierzu muss es in
einem Verdrängungswettbewerb mit Konkurrenten seinen Marktanteil erhöhen.
•
Markterschließung (Market Development): Das Unternehmen erschließt für die
bestehenden Produkte neue Marktsegmente.
•
Produktentwicklung (Product Development): Das Unternehmen entwickelt neue
Produkte für die bereits bestehenden Marktsegmente, in denen es aktiv ist.
•
Diversifikation (Diversification): Das Unternehmen entwickelt neue Produkte
für neue Märkte.
Ebenfalls bereits in den 1960er Jahren sind Ansätze zur Fokussierung auf eine Vision
als Herzstück unternehmerischen Agierens auszumachen. So legten der Soziologe Tom
Burns und der Psychologe George M. Stalker mit „The Management of Innovation“ 65
eine Untersuchung von zwanzig Firmen vor, die sie nach mechanischen und
organischen Managementsystemen (Mechanistic vs. Organic Systems of Management)
64
Harry Igor Ansoff: Management-Strategie. München: Verlag Moderne Industrie 1966.
52
unterschieden. Im Unterschied zu den mechanischen operierten die organischen
Systeme auf unsicheren Märkten mit rapide wechselnden Technologien. Sie konnten
dort dann erfolgreich agieren, wenn sie sich netzwerkartig ausdifferenzierten,
Teamarbeit forcierten, gemeinsame Wertvorstellungen und eine gemeinsame Vision
ausprägten, um sich ihren dynamischen Umwelten möglichst gut anzupassen. Da Burns
und Stalker davon überzeugt waren, dass sich die Märkte der Zukunft durch wachsende
Instabilität auszeichnen werden – der Informationsmarkt ist ein gutes Beispiel dafür –,
erwarteten sie sich eine Ausbreitung dieser organischen Systeme.
Zur wissenschaftlichen Disziplin entwickelte sich das strategische Management in den
1970er Jahren. 66 Dabei konzentrierte sich der Fachbereich auf die Langfristplanung
bzw. strategische Planung und stieß rasch an seine Grenzen: Planungsprozeduren
verkommen zu bürokratischen Zielfestschreibungen, Implementierungsprobleme häufen
sich und Änderungen der Umwelten werden nicht adäquat prognostiziert.
In den 1980er Jahren gewannen vor allem die Arbeiten des Wirtschaftswissenschaftlers
Michael Porter an Bedeutung. Anfang der 1980er Jahre publizierte er mit seiner Studie
„Wettbewerbsstrategie“
(Competitive
Strategy,
1980) 67
eines
der
seither
einflussreichsten Managementbücher. Im Jahr 1985 legte Porter dann seinen zweiten
Management-Klassiker vor, das Handbuch „Wettbewerbsvorteile“ (Competitive
Advantage, 1985). 68 Stellen diese Arbeiten keine besonders große Hilfe bei der
Entdeckung profitabler Strategien dar, sind sie jedoch ein wichtige Instrumente bei der
Entscheidung, ob eine bestimmte Strategie voraussichtlich zu einem nennenswerten
Gewinn führen wird oder nicht.
Strategie wird hier als „Entscheidung, wie man konkurrieren will“ gefasst, wobei drei
Strategietypen unterschieden werden: a) Kostenführerschaft als Kostenvorsprung
gegenüber Konkurrenz, b) Differenzierung als Konkurrieren auf der Basis eines
zusätzlichen Werts für die Kundinnen und Kunden (z. B. Qualität) und c) Konzentration
auf Schwerpunkte. Die Spielregeln des Wettbewerbs und damit auch die Wahl der
Strategie einer Organisation bestimmt nur die Kombination des externen und internen
65
Tom Burns / George M. Stalker: The Management of Innovation. London: Tavistock Publications
1961.
66
Vgl. Günter Müller-Stewens / Christoph Lechner: Strategisches Management. Wie strategische
Initiativen zum Wandel führen. Stuttgart: Schäffer-Poeschel 2001, S. 8–11.
67
Michael Porter: Wettbewerbsstrategie. Methoden zur Analyse von Branchen und Konkurrenten.
Frankfurt am Main: Campus 1983.
68
Michael Porter: Wettbewerbsvorteile. Spitzenleistungen erreichen und behaupten. Frankfurt am Main:
Campus 1986.
53
Umfelds einer Branche. Porter identifiziert mit seinen berühmten Five Forces fünf
Wettbewerbskräfte, deren Kombination das Erfolgspotential einer Branche definieren:
die Verhandlungsmacht der Lieferanten, die Verhandlungsmacht der Kunden, die
Bedrohung durch neue Wettbewerber, die Bedrohung durch Substitute bzw.
Ersatzprodukte oder -leistungen und die Konkurrenz zwischen bestehenden
Wettbewerbern.
Ebenfalls in den 1980er Jahren lenkten die US-amerikanische Wirtschaftskrise und die
beginnende Hausse der japanischen Ökonomie die traditionellen Management-Schulen
auf das japanische Management, das zu dieser Zeit in den angelsächsischen und
kontinentaleuropäischen Raum importiert wurde. Der japanische Unternehmensberater
Kenichi Ohmae stellte in seinem Buch „Japanische Strategien“ (The Mind of the
Strategist, 1982) den Unterschied zwischen amerikanischem und japanischem
Management dar. Im Zentrum seines Buches steht die gegen die Planungsobsession der
1970er Jahre gerichtete These,
dass erfolgreiche Unternehmensstrategien nicht aus möglichst genauen Analysen
erwachsen, sondern aus einer ganz bestimmten Geisteshaltung. […] Große
Strategien, wie große Kunstwerke oder große wissenschaftliche Entdeckungen
auch, erfordern eine technische Meisterschaft bei der Ausarbeitung, entspringen
jedoch aus Erkenntnissen, die außerhalb der Reichweite der bewußten Analyse
liegen. 69
Als eine genuin US-amerikanische Antwort auf die Probleme der eigenen Wirtschaft
und der Krise zahlreicher US-Unternehmen, die als „over-managed“ und „under-led“
angesehen wurden, ist die Fokussierung auf Leadership und charismatische Führung zu
sehen, die in der europäischen Tradition bereits bei dem deutschen Soziologen Max
Weber formuliert ist. Im Rahmen seiner Herrschaftssoziologie konstatierte Weber drei
Typen legitimer Herrschaft, den rationalen, den traditionalen und den charismatischen
Typus. Die Legitimität der charismatischen Herrschaft basiert „auf der außeralltäglichen
Hingabe an die Heiligkeit oder die Heldenkraft oder die Vorbildlichkeit einer Person
und der durch sie offenbarten oder geschaffenen Ordnungen“. 70
69
Kenichi Ohmae: Japanische Strategien. Hamburg: McGraw-Hill 1986, S. 2f.
Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie. Tübingen: Mohr
1922, S. 124.
54
70
Sechzig Jahre später entwarfen die Managementtheoretiker Warren Bennis und Burt
Nanus in ihrem Bestseller „Führungskräfte“ (Leaders, 1985) 71 vier Strategien des
erfolgreichen Führens, die im Zeichen eines neocharismatischen Führungsstils stehen:
•
Mit einer Vision Aufmerksamkeit erzielen
•
Sinn vermitteln durch Kommunikation
•
Eine Position einnehmen und damit Vertrauen erwerben
•
Entfaltung der Persönlichkeit durch ein positives Selbstwertgefühl
Besonders markant ist hier zu erkennen, dass neocharismatische Ansätze ihren
Schwerpunkt von der Strategie auf die Vision verlagern. Die knapp und
enthusiasmierend formulierte Vision bezieht sich auf einen zukünftigen Zustand und
soll als langfristige Zielvorgabe die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter motivieren, eine
gemeinsame Identität herstellen und eine einheitliche Entwicklungsrichtung vorgeben.
Sie
korreliert
mit
der
transformationalen
Führung
einer
charismatischen
Führungspersönlichkeit, die die Geführten zur Selbstverwirklichung in der Arbeit
stimuliert.
Der US-amerikanische Organisationstheoretiker Peter M. Senge setzte in seinem
Konzept der „Lernenden Organisation“, das auch Aspekte der Strategieentwicklung
beinhaltet, ebenfalls auf Vision. In seinem Standardwerk „Die fünfte Disziplin“ (The
Fifth Discipline, 1990), das mit seinen „Five Forces“ die fünf Komponenten einer
lernenden Organisation vorführt, nennt er – neben Personal Mastery, mentalen
Modellen, Team-Lernen und dem integrativen Systemdenken – als vierte Disziplin die
gemeinsame Vision. 72 Dabei ist wichtig mitzubedenken, dass Senge die lernende
Organisation nicht als Produkt, sondern als Prozess begreift.
Der Organisationspsychologe Edgar Schein brachte ebenfalls in der Mitte der 1980er
Jahre mit seiner Arbeit „Unternehmenskultur“ (Organizational Culture and Leadership,
1985) 73 einen weiteren Aspekt, der für die Strategiediskussion wichtig wurde, ins Spiel:
die Organisationskultur. Zentral ist dabei seine Erkenntnis, dass die Qualität der
71
Warren Bennis / Burt Nanus: Führungskräfte. Die vier Schlüsselstrategien erfolgreichen Führens.
Frankfurt am Main, New York: Campus 1992.
72
Vgl. Peter M. Senge: Die fünfte Disziplin. Kunst und Praxis der lernenden Organisation. Stuttgart:
Klett-Cotta 1996, S. 251–283.
73
Edgar Schein: Unternehmenskultur. Ein Handbuch für Führungskräfte. Frankfurt am Main, New York:
Campus 1995.
55
Organisationskultur einen entscheidenden Einfluss auf den Erfolg von Unternehmen
hat. Für die Strategieentwicklung maßgeblich ist, dass die Unternehmenskultur die
Unternehmensstrategie dann unterstützt, wenn es einen über Partizipation hergestellten
Konsens in der Mission, den Zielen und den Mitteln zur Erreichung der Ziele usw. im
Unternehmen gibt. Die Partizipation ist auch deswegen zu unterstützen, um auf allen
Ebenen das Engagement und die Lernfähigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu
fördern.
In den 1990er Jahren war strategisches Management in der Managementlehre
weitgehend diskreditiert. Lean Management 74 und Business Reeingeenering 75
beanspruchten den größten Teil der Aufmerksamkeit.
Indem
sie
auf
Strategieentwicklung
setzten,
versuchten
die
beiden
Managementtheoretiker Gary Hamel und C. K. Prahalad explizit, das teilweise für die
unternehmerische Praxis destruktive Business Reeingeenering zu überwinden. In ihrem
Management-Standardwerk „Wettlauf um die Zukunft“ (Competing for the Future,
1994) 76 gehen sie von einer Situation aus, die durchaus auf die heutige Herausforderung
für Bibliotheken übertragbar ist, nämlich die Situation unstrukturierter Industrien, für
die „die Zahl der zukünftigen Kombinationsmöglichkeiten so groß [ist], daß eine
herkömmliche Szenarienplanung kaum in der Lage wäre, die ganze Bandbreite an
potentiellen Ergebnissen aufzuzeigen“. 77 Nach ihrer Diagnose findet der Wettbewerb
um die Zukunft häufig in diesen unstrukturierten Arenen statt, „in denen es noch keine
Regeln für den Wettbewerb gibt“. 78 Als markantes Beispiel für unstrukturierte
Industrien wird die Digitalindustrie angeführt, an der Bibliotheken mittlerweile massiv
partizipieren. Ihre Schlussfolgerung für unstrukturierte Industrien lautet:
Industrievorausblick muß auf fundierte Einsichten in die Entwicklung von
Lebensgewohnheiten, Technologie, Bevölkerungsstruktur und Geopolitik beruhen,
aber er hängt ebensosehr von der Vorstellungsgabe wie von Vorhersagen ab. Um die
74
Vgl. James P. Womack / Daniel T. Jones / Daniel Roos: Die zweite Revolution in der Autoindustrie.
Konsequenzen aus der weltweiten Studie des Massachusetts Institute of Technology. Frankfurt am Main,
New York: Campus 1992.
75
Vgl. Michael Hammer / James Champy: Business Reengineering. Die Radikalkur für das
Unternehmen. Frankfurt am Main, New York: Campus 1993.
76
Gary Hamel / C. K. Prahalad: Wettlauf um die Zukunft. Wie Sie mit bahnbrechenden Strategien die
Kontrolle über Ihre Branche gewinnen und die Märkte von morgen schaffen. Wien: Ueberreuter 1995 (=
Manager-Magazin-Edition).
77
Ebd., S. 136.
78
Ebd., S. 71f.
56
Zukunft gestalten zu können, muß ein Unternehmen zuerst in der Lage sein, sich die
Zukunft vorzustellen. 79
Insofern hat das Top Management die Aufgabe, den gegenwärtigen Chancenhorizont zu
erweitern, um in der Zukunft erfolgreich zu sein. Dies kann gelingen, wenn das
Unternehmen nicht als Portfolio einzelner Geschäftseinheiten, sondern als Portfolio von
Kernkompetenzen, die anhand einer allgemeinen Beschreibung des Kundennutzens
definiert werden, begriffen wird (z. B. „Benutzerfreundlichkeit“ bei Apple,
„Taschengröße“ bei Sony). Spannend und logisch folgerichtig dabei ist die Feststellung,
dass „ein Unternehmen, das es sich zum Ziel gesetzt hat, die Zukunft als erstes zu
erreichen, […] über bloße Kundenorientiertheit hinausgehen“ 80 muss.
Aus dieser Grundfokussierung resultiert Hamels und Prahalads Vorbehalt gegenüber
Planung, die einen Exaktheitsgrad erfordern würde, der nicht erreicht werden kann,
wenn man über die nächsten zwei, drei Jahre hinausblickt. Planung, die stets an den
gegenwärtigen Bedingungen ausgerichtet ist, führt folglich zu Anpassung und
Unbeweglichkeit. Um langfristig Kundennutzen zu sichern, ist es notwendig,
Kernkompetenzen statt strategische Geschäftseinheiten sowie Funktionen versus
Produkte wahrzunehmen, unverstellt naiv wie ein Kind zu denken, neugierig zu sein, im
Sinn eines Eklektizismus alles durch eine Vielzahl von Objektiven zu betrachten und
gelegentlich dem zu misstrauen, was man zu sehen vermeint. Es ist nötig,
eine Vorstellung davon zu haben, welche neuen Vorteile oder „Funktionen“ den
Kunden im Lauf der nächsten zehn Jahre angeboten werden sollen, welche neuen
Kernkompetenzen erforderlich sein werden, um diesen Kundennutzen zu schaffen,
und welche Veränderung die Kundenschnittstelle erfahren muß, um den Kunden den
Zugang zu den neuen Vorteilen zu erleichtern. 81
Für Hamel und Prahalad wird deswegen die strategische Architektur zum
unternehmerischen Erfolgsfaktor, die festlegt, „‚was wir heute tun müssen’, um die
Zukunft vorwegzunehmen. Eine strategische Architektur ist das wesentliche Bindeglied
zwischen Heute und Morgen, zwischen kurzfristigem und langfristigem Zeithorizont“. 82
Als Zentrum der strategischen Architektur wird die strategische Intention gedacht, die
für die Reise in die Zukunft die emotionale und intellektuelle Energie mobilisiert. „Die
79
Ebd., S. 137.
Ebd., S. 162.
81
Ebd., S. 172.
80
57
strategische Intention muß ein Ziel vermitteln, das den Respekt und die Gefolgschaft
jedes einzelnen Mitarbeiters verdient“. 83 Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter muss
diese zu personalisierende Intention verstehen, sie teilen und zu ihrer Verwirklichung
beitragen. – Bei der Strategieentwicklung der UB Wien fungiert die Vision als
strategische Intention.
Ebenfalls spannend ist Hamels und Prahalads Aufforderung an das Top Management,
„einen Anspruch zu erheben, der per definitionem eine Kluft zwischen Ambition und
Ressourcen erzeugt“. 84 Denn mittelfristige Herausforderungen verlangen mehr von der
Organisation, als sie derzeit für möglich hält, und perfekte Harmonie garantiert
Atrophie und Stagnation. Deshalb hat der Strategieprozess von einer bewusst
herbeigeführten mangelnden Harmonie zwischen der gegenwärtigen und der
angestrebten Position der Organisation ausgehen.
Anregend für den bibliothekarischen Bereich kann auch Hamels und Prahalads
Bestehen auf einer Perspektive auf Kernkompetenzen sein, die einer ausgeprägten
Diversifikation
des
Produkt-
und
Serviceportfolios
entgegen
gehalten
wird.
Kernkompetenzen werden als die dauerhaftesten und komplexesten Bausteine für die
Strategiekonstruktion angesehen und sind damit die Wurzeln der Wettbewerbsfähigkeit.
– Für Bibliotheken ließe sich hier eine Diskussion darüber anschließen, ob die
einfachen Suchstrategien von Google übernommen werden sollen oder ob die
eigenspezifische differenzierte Suchmöglichkeit in ihren einheitlich strukturierten Daten
forciert werden sollte.
Für Hamel und Prahalad stellt Strategie die Möglichkeit dar, die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter eines Unternehmens, die durch Empowerment aktiviert wurden, auf eine
gemeinsame Linie zu bringen. Erst damit wird – immer in Koalition mit der
Möglichkeit zu eigenverantwortlichem Handeln – das Kollektiv einer Organisation in
die Richtung des Erfolgs bewegt. Zudem kann strategisches Denken die Planung der
kleinen Schritte transzendieren, die in einer Welt tiefgreifender Veränderungen nicht
hilfreich ist.
Diesen Faktor der Ungewissheit über die Entwicklung der Zukunft hat besonders
prominent der Wirtschafts- und Sozialphilosoph Charles Handy in die Diskussion
82
Ebd., S. 176.
Ebd., S. 210.
84
Ebd., S. 228.
83
58
gebracht. In seiner Studie „The Age of Unreason“ (1989) 85 wird Zukunft als
diskontinuierlicher Wandel gedacht. Im neu eingetretenen Zeitalter der Unvernunft
bestätigt sich als einzige Voraussage, dass sich eben keine bestätigen wird. Strategische
Planung wird insofern immer unzuverlässiger. Für Organisationen stellt sich als
besondere Herausforderung die Anpassung an sich laufend verändernde Umwelten,
wobei Handy den Begriff der Veränderung als Synonym für Lernen auffasst und daher
jedes Veränderungsmodell auch als Lernmodell denkt:
Those who are always learning are those who can ride the waves of change and who
see a changing world as full of opportunities rather than of damages. They are the
ones most likely to be the survivors in a time of discontinuity […]. If you want to be
in control of your change, take learning more seriously. 86
Der Management-Experte Jim Collins zeigte in seinem Bestseller „Der Weg zu den
Besten“ (Good to Great, 2001) deutliche Distanz zur Strategieentwicklung. Priorität hat
zuallererst die Rekrutierung von exzellentem Personal für die Organisation:
Die entscheidende Erkenntnis ist: „Wer“-Fragen kommen vor „Was“Entscheidungen – vor Visionen, vor Strategien, vor einer Organisationsstruktur, vor
Taktik. Erst „Wer“, dann „Was“ – als rigorose Regel. 87
Zudem stellte er auf der Basis seiner breiten empirischen Untersuchung fest, dass
Strategie
keinen
Unterschied
zwischen
besonders
erfolgreichen
Unternehmen) und weniger erfolgreichen Unternehmen ausmacht,
88
(Take-off-
bekennt sich
allerdings zu einer Perspektive auf Kernkompetenzen mit einem Unternehmensportfolio
kleinstmöglicher Streuung. 89 – Hier ist für Bibliotheken zu konstatieren, dass sie als
Einrichtungen des öffentlichen Dienstes oder als den Ministerien oder öffentlichen
Körperschaften nachgeordnete Einrichtungen nur eingeschränkte Möglichkeiten der
Personalpolitik haben und deswegen auf andere Managementmaßnahmen setzten
müssen, z. B. auf Strategieentwicklung. Interessant ist, dass Collins diese Situation
85
Charles Handy: The Age of Unreason. Boston / Massachusetts: Harvard Business School 1989; vgl.
zum selben Thema auch Handys Essaysammlung „Ohne Gewähr“ (Beyond Certainty, 1995): Charles
Handy: Ohne Gewähr. Abschied von der Sicherheit – Mit dem Risiko leben lernen. Wiesbaden: Gabler
1996.
86
Ebd., S. 55f.
87
Jim Collins: Der Weg zu den Besten. Die sieben Management-Prinzipien für dauerhaften
Unternehmenserfolg. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2003 (= dtv 34039), S. 88.
88
Vgl. ebd., S. 153.
59
eingeschränkter Personalpolitik am Beispiel akademischer Institutionen mitbedenkt, an
seinem Prinzip festhält und die Entwicklung hier langfristig ansetzt. 90
Spannender für die strukturell technikorientierten und -affinen Bibliotheken kann die
von Collins behauptete Technologiefalle sein: „Technologisch induzierter Wandel ist
nichts Neues. Die entscheidende Frage heißt nicht: ‚Welche Rolle spielt die Technik’?,
sondern: ‚Wie gehen Take-off-Unternehmen mit Technik um?’“. 91 – Hier werden
Bibliotheken vor die Aufgabe gestellt, technologische Innovation nicht bloß wegen
ihrer Emergenz und Verfügbarkeit einzusetzen, sondern auf ihre Unterstützung für ihren
Geschäftserfolg zu prüfen und dies zum Implementierungskriterium zu machen.
In der Tradition eines Managements by Values scheinen bei Collins die
Wertorientierung die Rolle von Strategieentwicklung einzunehmen:
Dauerhafte Spitzenunternehmen bewahren ihre zentralen Werte und Zielsetzungen,
während sie ihre Unternehmensstrategien und -praktiken ununterbrochen an die sich
verändernden Verhältnisse anpassen. Das ist die magische Kombination aus
„Bewahre den Kern und fördere die Weiterentwicklung“. 92
Für eine organisationale Strategieentwicklung ist hier allerdings einzuräumen, dass
gerade sie Werte in einer Organisation sichtbar und allgemein machen kann.
Entscheidend ist hier der Prozess der Strategieentwicklung, der lanciert wird. In einem
partizipatorisch angelegten Verfahren können positive Unternehmenswerte tief in der
Belegschaft verankert werden.
Dieser Diskreditierung unternehmerischer Strategie, die bei Jim Collins exemplarisch
nachgelesen werden kann, wurde neuerdings mit ihrer Rehabilitierung begegnet. So
betonte etwa jüngst die Betriebswirtschaftlerin Cynthia A. Montgomery, dass Strategie
zu einer Wettbewerbstaktik verengt wurde und damit vom übergeordneten Zweck des
Unternehmens abgelöst wurde. Dabei ist in Vergessenheit geraten, dass Strategie eine
dynamische Orientierungshilfe für die langfristige Organisationsentwicklung sein sollte.
Folglich hat der Unternehmenszweck im Zentrum der Strategie zu stehen, die in einem
infiniten Prozess zu entwickeln ist, der vom Geschäftsführer selbst geleitet wird.
89
Vgl. ebd., S. 181.
Vgl. ebd., S. 274f.
91
Ebd., S. 189.
92
Ebd., S. 247.
90
60
Das Puzzle namens Strategie lässt sich nicht auf einmal zusammenfügen. Was den
Strategen von allen anderen Personen im Unternehmen unterscheidet, ist seine
Aufgabe, immer wieder neue Gründe für den Fortbestand des Unternehmens zu
finden. Zum einen muss er die Wertschöpfung im Auge behalten, zum andern
Veränderungen innerhalb und außerhalb des Unternehmens, die entweder dessen
Position bedrohen oder neue Möglichkeiten zur Wertschöpfung bergen. Diesen
unendlichen Prozess zu begleiten, inmitten des Schlachtengetümmels dem Handeln
im Unternehmen Richtung und Sinn zu geben, ist die krönende Aufgabe des
CEOs. 93
Abschließend
soll
strategisches
Management
noch
aus
der
Sicht
des
Managementtheoretikers Henry Mintzberg rekonstruiert werden, und dies vor allem
deswegen, weil sein holistischer Ansatz die Basis der Strategieentwicklung an der UB
Wien bildet. Nach seiner grundlegenden Arbeit „Die strategische Planung“ (The Rise
and Fall of Strategic Planning, 1994) 94 fasste Mintzberg gemeinsam mit seinen
Kollegen Bruce Ahlstrand und Joseph Lampel seine Überlegungen in dem auch für die
Management-Praxis sehr anregenden und spannenden Buch „Strategy Safari – Eine
Reise durch die Wildnis des strategischen Managements“ (Strategy Safari, 1999)
zusammen. 95
Mintzberg geht in seiner Strategielehre von einer Rekonstruktion der verschiedenen
Denkschulen strategischen Managements aus und differenziert dabei zehn Ansätze:
1. Designschule
Strategieentwicklung als konzeptioneller Prozess: Die Strategie wird aus einer
Anpassung der internen Fähigkeiten der Organisation an die externen
Möglichkeiten formuliert.
2. Planungsschule
Strategieentwicklung als formaler Prozess: Die Strategie wird auf der Basis
eines faktenorientierten Planungsprozesses festgelegt.
3. Positionierungsschule
Strategieentwicklung als analytischer Prozess: Die strategische Positionierung
einer Organisation erfolgt auf der Basis der Analyse des Geschäftskontextes.
93
Cynthia A. Montgomery: Die Rückkehr der strategischen Führung. In: Harvard Business Manager 30
(Mai 2008), S. 10–18, hier S. 18.
94
Henry Mintzberg: Die strategische Planung. Aufstieg, Niedergang und Neubestimmung. München:
Hanser 1995.
95
Henry Mintzberg / Bruce Ahlstrand / Joseph Lampel: Strategy Safari. Eine Reise durch die Wildnis des
strategischen Managements. Wien: Ueberreuter 1999.
61
4. Unternehmerschule
Strategieentwicklung als visionärer Prozess: Der visionäre Prozess wird von
einer charismatischen Führungspersönlichkeit entwickelt.
5. Kognitive Schule
Strategieentwicklung als mentaler Prozess: Mit Hilfe der kognitiven Psychologie
wird die Strategieentwicklung als Prozess der Informationsverarbeitung
analysiert.
6. Lernschule
Strategieentwicklung als sich herausbildender Prozess: Da die Welt als zu
komplex wahrgenommen wird, als dass Strategien geschlossen und kohärent
entwickelt werden können, erfolgt strategische Positionierung in kleinen
Schritten während eines organisationalen Lernprozesses.
7. Machtschule
Strategieentwicklung als Verhandlungsprozess: Die Strategie wird als ein
Prozess der Vermittlung zwischen Machtinhabern innerhalb der Organisation
und / oder zwischen der Organisation und ihren externen Stakeholdern
entwickelt.
8. Kulturschule
Strategieentwicklung als kollektiver Prozess: Die Strategie wird in einem
kooperativen Prozess entwickelt und ist eine Reflexion der Organisationskultur.
9. Umweltschule
Strategieentwicklung als reaktiver Prozess: Die Strategie ist eine Antwort auf
die Herausforderungen, die durch externe Umwelten auferlegt werden.
10. Konfigurationsschule
Strategieentwicklung als Transformationsprozess: Alle anderen neun Schulen
werden
als
relevant
erachtet,
wobei
jede
Schule
ihre
Zeit
und
Anwendungssituation hat. Die Strategieformulierung ist ein Prozess des
Umwandelns der Organisation von einer Art Entscheidungsstruktur in eine
andere. Die Konfigurationsschule ist die von Mintzberg selbst vertretene
Position.
Mintzberg selbst greift die pointierteste Kritik an seiner Konfigurationsschule auf, die
von dem Organisationstheoretiker Lex Donaldson stammt und Mintzberg vorwirft, über
62
keinen kohärenten Theoriezugang zu verfügen. 96 Doch gerade der synkretistische
Ansatz der Konfigurationsschule macht diese Position für das praktizierende
Management so attraktiv und unmittelbar in der Organisationsrealität einsetzbar.
Deswegen bildete Mintzbergs Ansatz auch die Basis für die Strategieentwicklung an der
UB Wien.
3.2. Strategieentwicklung für und von Bibliotheken
Angesichts
der
sich
aktuell
massiv
ändernden
medienhistorischen
und
wissensökonomischen Bedingungen werden in der Bibliothekswelt zunehmend
Anstrengungen unternommen, Zukunft planerisch und strategisch zu gestalten. Dabei
werden alternative kurz-, mittel- und langfristige Szenarien des Informationsmarkts
erarbeitet, um die Institution Bibliothek mit ihren spezifischen Kompetenzen und ihrem
Innovationspotential entsprechend positionieren zu können. Besonders berücksichtigt
werden hierbei die Rolle der neu auf den Markt drängenden Informationsdienstleister
(vor allem Google) und des veränderten Informationsverhaltens der zukünftigen
Bibliotheksbenützerinnen und -benützer (vor allem Digital Natives).
Um die Anforderungen, die an Information und damit an Informationsdienstleister
gestellt werden, abzuleiten und die Zukunftsressourcen der Gedächtnisinstitution
Bibliothek einzuschätzen, kann vor allem auf folgende Quellen und Instrumente
zurückgegriffen werden: 97
•
Nationale und internationale Strategiepapiere (z. B. Bibliothek 2007)
•
Visionen, Leitbilder, Strategien und Mission Statements einzelner Bibliotheken
•
Nationale und internationale Good-Practice-Modelle
•
Innovative Einzelprojekte (z. B. Innovationsmanagement an der Bibliothek der
ETH Zürich)
96
Vgl. ebd., S. 386–390.
Vgl. Hans-Christoph Hobohm: Bibliothek(swissenschaft) 2.0. Neue Auflage oder Wende in Forschung
und Lehre? Vortrag auf dem 2. gemeinsamen Bibliothekstag Berlin/Brandenburg am 29. September 2007
in Frankfurt / Oder. In: LIBREAS – Library Ideas 3/4 (2007), S. 1–14; http://www.ib.huberlin.de/~libreas/libreas_neu/ausgabe10/003hob.htm; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010.
63
97
•
Bibliotheksneubauten, die eine langfristige Entwicklungsplanung voraussetzen
bzw.
statuieren
(z.
B.
Sächsische
Landesbibliothek
–
Staats-
und
Universitätsbibliothek Dresden)
•
Systematische Beobachtung und Analyse des Informationsmarkts
•
Untersuchungen zum Informationsverhalten der primären Nutzergruppe
•
Benützerbefragungen (z. B. Conjoint-Analyse der Universitätsbibliothek
Bielefeld)
•
Trendforschung, Zukunftskonferenzen, Expertenbefragungen, Delphi-Studien
und Szenariotechniken
•
Literaturstudien
In der Folge sollen einige dieser Hilfsmittel für die Strategieentwicklung exemplarisch
vorgestellt werden.
3.2.1. Allgemeine bibliothekarische Zukunfts- und Strategieentwürfe
Bibliothek 2007
Als Flagschiff-Projekte für den deutschsprachigen Raum können die Studien
„Bibliothek 2007“ und „Bibliothek 2012“ gelten.
Die Studie „Bibliothek 2007“, die von der Bertelsmann Stiftung und der
Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände e. V. verantwortet wird, setzt als
Grundkonsens voraus, dass Bibliotheken „als gesellschaftlich wertvolle Institutionen,
deren Funktionen nicht substituiert werden können“ 98 , weiterbestehen. Diese Prämisse
mag
für
den
bibliothekarischen
identitätsvergewissernd
wirken,
Berufsstand
bedingt
aber
in
seiner
notwendig
Legitimationskrise
eine
hochselektive
Realitätswahrnehmung. Auf der Basis einer Expertenbefragung, einer Ist-Analyse der
derzeitigen Situation der Bibliotheken in Deutschland und einer internationalen GoodPractice-Recherche zu vorbildlichen nationalen Entwicklungen im Bibliotheksbereich
wurde im Jahr 2004 ein nationales Strategiepapier vorgelegt, 99 das aufzeigen soll, wie
die Bibliotheken in Zukunft zu einer optimalen Infrastruktur für Bildung und Kultur
98
http://www.bibliothek2007.de/; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010.
64
beitragen können. Aufgrund des Befunds, dass in Deutschland eine strategische
Verankerung der Bibliotheken als Teil der Bildungs- und Wissenschaftsinfrastruktur
fehle, wurde die Einrichtung einer nationalen Bibliotheksentwicklungsagentur zur
länderübergreifenden Koordination und Unterstützung der Bibliotheken gefordert. Mit
dem Kompetenznetzwerk für Bibliotheken (KNB) wurde 2004 eine vergleichbare
Organisation gegründet.
Für die Entwicklung der einzelnen Bibliotheken werden fünf Handlungsmaximen
formuliert:
•
•
•
•
•
Im Zentrum aller Innovation steht der Kunde der Bibliothek.
Die lokale, regionale, nationale und internationale Zusammenarbeit zwischen
Bibliotheken ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor.
Zur Finanzierung innovativer Projekte müssen Bibliotheken alle Möglichkeiten
ausschöpfen (z. B. Einwerbung von Drittmitteln).
Innovative Veränderungen dürfen vor den eigenen Organisationsstrukturen nicht
Halt machen.
Personaleinsatz und -entwicklung in Bibliotheken müssen auf den Erkenntnissen
moderner und leistungsorientierter Betriebsführung beruhen. 100
Bibliothek 2012
Das 2007 gestartete Projekt „Bibliothek 2012“ setzte die Arbeiten von „Bibliothek
2007“ fort und legte 2009 die Publikation „21 gute Gründe für gute Bibliotheken“
vor. 101 Das Papier richtet sich nicht in erster Linie an die Fachöffentlichkeit, sondern
insbesondere an die Unterhaltsträger von Bibliotheken, an Politikerinnen und Politiker
und an Verwaltungsangehörige. Wohl aus diesem Grund ist es zu einer Werbebroschüre
für Bibliotheken geworden, das für eine innerbibliothekarische Diskussion wertlos
bleibt.
99
Bibliothek 2007. Strategiekonzept. Hg. von der Bertelsmann Stiftung und der Bundesvereinigung
Deutscher Bibliotheksverbände e. V. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung 2004.
100
Ebd., S. 23.
101
21 gute Gründe für gute Bibliotheken. Hg. von der BID – Bibliothek & Information Deutschland.
Berlin: Bibliothek & Information Deutschland 2009;
http://www.bideutschland.de/download/file/21%20GUTE%20GRUENDE_endg_16-1-09.pdf;
zuletzt
aufgerufen: 20. September 2010.
65
Bibliotheken 2040
Das Projekt „Bibliotheken 2040“ wurde im Jahr 2000 von der Niederländischen
Vereinigung Öffentlicher Bibliotheken initiiert und wirft die Frage nach der Zukunft der
öffentlichen Bibliotheken auf. Die vorgelegte Publikation 102 dokumentiert die Idee,
Bibliotheken für die Zukunft zu entwerfen. Es werden sieben experimentelle und
phantasievolle Zukunftsideen von Bibliotheken vorgestellt, die ganz bewusst die
Grenzen des Wahrscheinlichen und Möglichen sprengen. Sie entstanden in Kooperation
von Bibliothek, Design, Architektur, Kunst und Bibliotheksbenützung. Da die
Zukunftswerkstatt „Bibliotheken 2040“ auf öffentliche Bibliotheken ausgerichtet ist, ist
es für wissenschaftliche Bibliotheken wie Universitätsbibliotheken schwierig, die
Ergebnisse in ihren Bereich zu importieren.
Taiga Forum
Eine Gruppe amerikanischer Bibliotheksdirektorinnen und -direktoren nahm sich im
März 2006 der Erforschung der eigenen Zukunft an und kam zu dem provozierendpessimistischen Schluss, dass für Hochschulbibliotheken die nächste Zukunft eher einer
Verödung gleich kommt: Sie nannten sich deshalb „Taiga Forum“, tatsächlich in
Assoziation zur bekannten unwirtlichen Klimazone der Nordhalbkugel. Ihre zentrale
These in ihren „Fifteen Provocative Statements“ 103 lautet: In fünf Jahren wird die
Bibliothek nicht mehr sein, was sie war („traditional library organizational structures
will no longer be functional“), vor allem weil die physisch vorhandenen Einrichtungen
und Objekte bis hin zum Personal stark ausgedünnt werden und Google die Rolle der
wissenschaftlichen
Informationsvermittlung
übernommen
hat
(„all
information
discovery will begin at Google“).
Auf dieses erste Treffen folgten bislang drei weitere Zusammenkünfte, wobei im
Rahmen des letzten Workshops im Jänner 2009 die „Statements“ zu den „Taiga 4
Provocative Statements“ 104 aktualisiert wurden. Dieser Update der Thesen radikalisiert
die ursprüngliche Ausrichtung zu einer Auflösung der Bibliotheken, die physisch mit
den Universitäten verschmelzen („library buildings will no longer house collections and
102
Bibliotheken 2040. Die Zukunft neu entwerfen. Bad Honnef: Bock + Herchen 2001.
Taiga Forum: Fifteen Provocative Statements. 2006;
http://www.taigaforum.org/documents/ProvocativeStatements.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September
2010.
104
Taiga Forum: Taiga 4 Provocative Statements. 2009;
103
66
will become campus community centers that function as part of the student services
sector“). Die hoch professionalisierte bibliothekarische Kompetenz wird nicht mehr als
adäquat erachtet, Bibliotheken als Informationsdienstleister erfolgreich zu prozessieren:
„University administrators will see that librarians do not have the skills they need and
will hire leaders from other parts of the academy, leading both to a realignment of the
library within the university and to the decline of the library profession“.
Horizon Reports
Das New Media Consortium (NMC) beschäftigt sich als internationales Non-ProfitKonsortium, dem Hunderte von Universitäten, Colleges, Museen, Forschungszentren
und Think Tanks weltweit angehören, mit dem Einsatz neuer Medien und neuer
Technologien in lernfokussierten Organisationen. Mit seinen Horizon Reports gibt es
seit dem Start des Horizon Projekts (http://www.nmc.org/horizon) im Jahr 2003 hoch
angesehene Berichte über Technologieentwicklungen im Bildungssektor heraus. Jedes
Jahr fasst ein Advisory Board die Ergebnisse der Expertengespräche und von
Literaturstudien in einem Report zusammen.
Die Einschätzungen von Horizon 2007 treffen sich ziemlich genau mit den Prognosen
des Taiga Forums. Vom Jahr 2007 an gerechnet werden als Key Trends für
Universitätslehre und -studium und damit auch für Bibliotheken sechs Bereiche als
relevant identifiziert: 105
•
Kurzfristig:
o User Generated Content
o Social Networking
•
Kurz- bis mittelfristig:
o Mobile Phones
o Virtual Worlds
•
Mittelfristig:
http://www.taigaforum.org/documents/Taiga%204%20Statements%20After.pdf; zuletzt aufgerufen: 20.
September 2010.
67
o The New Scholarship and Emerging Forms of Publication
o Massively Multiplayer Educational Gaming
Horizon 2008 entwirft folgendes Bild: 106
•
Kurzfristig:
o Grassroots Video
o Collaboration Webs
•
Kurz- bis mittelfristig:
o Mobile Broadband
o Data Mashups
•
Mittelfristig:
o Collective Intelligence
o Social Operating Systems
Horizon 2009 benennt folgende Aspekte als wichtig: 107
•
Kurzfristig:
o Mobiles
o Cloud Computing
•
Kurz- bis mittelfristig:
o Geo-Everything
o The Personal Web
•
Mittelfristig:
o Semantic-Aware Applications
o Smart Objects
105
The Horizon Report. Hg. von The New Media Consortium und Educause Learning Initiative. Stanford
/ California: The New Media Consortium 2007. http://www.nmc.org/pdf/2007_Horizon_Report.pdf;
zuletzt aufgerufen: 20. September 2010.
106
The Horizon Report. Hg. von The New Media Consortium und Educause Learning Initiative. Stanford
/ California: The New Media Consortium 2008. http://www.nmc.org/pdf/2008-Horizon-Report.pdf;
zuletzt aufgerufen: 20. September 2010.
107
The Horizon Report. Hg. von The New Media Consortium und Educause Learning Initiative. Stanford
/ California: The New Media Consortium 2009. http://www.nmc.org/pdf/2009-Horizon-Report.pdf;
zuletzt aufgerufen: 20. September 2010.
68
Horizon 2010 erkennt folgende Trends: 108
•
Kurzfristig:
o Mobile Computing
o Open Content
•
Kurz- bis mittelfristig:
o Electronic Books
o Simple Augmented Reality
•
Mittelfristig:
o Gesture Based Computing
o Visual Data Analysis
Hype Cycle for Emerging Technologies
Interessant
zur
Einschätzung
neuer
bzw.
zukünftiger
Informations-
und
Kommunikationstechnologie ist auch der „Hype Cycle for Emerging Technologies“ der
Firma Gartner Consulting (http://www.gartner.com/). Dieser jährlich publizierte
Technologieradar zeigt die jeweilige Marktreife neuer Entwicklungen.
Studien des OCLC (Online Computer Library Center)
OCLC, das Online Computer Library Center in Dublin / Ohio, griff die Frage nach der
Zukunft von Bibliotheken schon 2003 in der von der angloamerikanischen
Bibliothekswelt viel beachteten Studie „Environmental Scan 2003“ auf, 109 mit der
OCLC eine ganze Reihe von Trendstudien zur Unterstützung der Neudefinition ihrer
Mitgliedsbibliotheken eröffnete. In der Folge erschienen folgende Berichte:
„Information Format Trends: Content, Not Containers” (2004), „Perceptions of
Libraries and Information Resources” (2005), „College Students’ Perceptions of
Libraries and Information Resources” (2006), „Sharing, Privacy and Trust in Our
Networked World” (2007), „From Awareness to Funding: A Study of Library Support
in America” (2008), „Online Catalogs: What Users and Librarians Want” (2009) und
„How Libraries Stack Up: 2010” (2010).
108
The Horizon Report. Hg. von The New Media Consortium und Educause Learning Initiative. Stanford
/ California: The New Media Consortium 2010. http://www.nmc.org/pdf/2010-Horizon-Report.pdf;
zuletzt aufgerufen: 20. September 2010.
109
The 2003 OCLC Environmental Scan: Pattern Recognition. Hg. von Alane Wilson. Dublin / Ohio:
OCLC Online Computer Library Center 2004; http://www.oclc.org/reports/escan/; zuletzt aufgerufen: 20.
September 2010.
69
Untersuchungen zum Informationsverhalten der Benützerinnen und Benützer
Das Informationsverhalten der Benützerinnen und Benützer gerät zunehmend in den
Blick der Bibliotheken. Nicht mehr die eigenen Standards, Regeln und Normen
scheinen primär handlungsleitend, sondern der Bedarf und die Interessen der primären
Nutzergruppe. Aus diesem Grund werden verstärkt Befragungen der primären
Nutzergruppe durchgeführt, die Aufschlüsse über die Aufbereitung der Informationen,
die die jeweilige Bibliothek vorhält, geben sollen. Entsprechende Studien wurden im
Rahmen der Aktivitäten des Horizon-Projekts, von OCLC usw. durchgeführt.
Conjoint-Analyse der Universitätsbibliothek Bielefeld
An der UB Bielefeld wurde in einem Projekt, das die Bibliothek gemeinsam mit der
Universität Bielefeld durchgeführt hat, die Conjoint-Analyse zur Ermittlung zukünftiger
Serviceangebote auf das Bibliothekswesen übertragen. Die Conjoint-Analyse ist ein
allgemein anerkanntes Instrument der Marketingforschung und ermöglicht eine
systematische Erfassung und Analyse von Kundenpräferenzen. Die Fragestellung lautet
dabei nicht, wie bei Befragungen zur Leistungsmessung allgemein üblich: „Wie werden
die derzeitigen Serviceleistungen beurteilt?“ Die Conjoint-Analyse zielt vielmehr
ausdrücklich auf die zukünftige Gestaltung von Dienstleistungen und setzt mit der
Ermittlung von Kundenpräferenzen für eine vorgegebene Auswahl von realisierbaren
alternativen Dienstleistungsoptionen methodisch anders an. Die Fragestellung der
Conjoint-Analyse lautet daher: „Welche Dienstleistungsoptionen bringen den
Kundinnen und Kunden zukünftig den größten Nutzen?“ – „Welche umsetzbaren
Optionen sollen das zukünftige Serviceangebot bilden?“
Ziel des Projekts war daher, durch die Anwendung der Conjoint-Analyse als Instrument
der Marketingforschung einen umfassenden Analyse- und Simulationsrahmen für
wissenschaftliche Bibliotheken zu entwickeln, der auf Basis von Präferenzmessungen
eine empirisch und wissenschaftlich fundierte Strategieplanung für die gezielte
Weiterentwicklung des Dienstleistungsspektrums ermöglicht. Dieser allgemeine
Analyse- und Simulationsrahmen wurde aus einer empirischen Untersuchung am
Beispiel der UB Bielefeld extrahiert und anschließend über eine zweite Untersuchung
am Informations-, Kommunikations- und Medienzentrum der Universität Cottbus
überprüft und validiert. Mit Abschluss des Projekts wurde dieser Analyse- und
70
Simulationsrahmen über einen Leitfaden zur allgemeinen Nachnutzung anderen
Bibliotheken zur Verfügung gestellt. 110
Literaturstudien
Mittlerweile liegen zahlreiche Publikationen vor, die sich mit der strategischen
Ausrichtung und der Zukunft von Bibliotheken befassen. Die wichtigsten Arbeiten
werden in der Thesis an anderen Stellen erwähnt und ausgewertet, so dass sie hier nicht
gesondert aufgeführt werden müssen. Die schlaglichtartige Auseinandersetzung mit
zwei Positionen – einer deutschsprachigen und einer aus dem US-amerikanischen
Bereich – mag einen exemplarischen Einblick in die Ausrichtung und Bandbreite dieser
Arbeiten geben, da beide Ansätze extrem divergieren und die Pole der Diskussion
markieren.
Im Jahr 2005 legte der deutsche Bibliothekar Jürgen Seefeldt seinen Aufsatz
„Zukunftsvisionen: Die Bibliotheken von morgen“ vor. 111 Ausgang nehmend von der
Diagnose eines radikalen Wandels am Informationsmarkt, vermutet er, dass die
Bibliothek langfristig nicht mehr die Hauptlieferantin von Informationen aller Art für
Bildung und Wissenschaft sein wird, sondern nur noch eine unter mehreren
Informationslieferanten. Dabei scheint eine große Rolle zu spielen, dass es den
Bibliotheksverantwortlichen nicht gelungen ist, im politischen Diskurs gegenüber den
politischen Entscheidungsträgern die Rolle der Bibliotheken klar zu akzentuieren. Es
fehlt an nationaler Koordinierung, Steuerung und entsprechender Etatzuweisung.
Die Zukunft der Bibliothek verortet Seefeldt ganz stark im Kontext des Schlagworts
„Local Access, Global Information“. Bibliotheken haben die Digitalisierung der
Medien, den Medientransport, die Auskunftstätigkeit und die Strukturierung des
Wissens
voranzutreiben.
Gleichzeitig
sollen
sie
Lernorte
sein
und
damit
Multimediazentren ausprägen. Bibliothek ist folglich ein Zusammenspiel realer und
virtueller Räume. Als ein Hauptcharakteristikum der Bibliothek der Zukunft kann die
„Just-in-Time-Bibliothek“ gelten, die auf Abruf alle momentan notwendigen
Informationen zugänglich macht. Damit unterscheidet sie sich von der traditionellen
„Just-in-Case-Bibliothek“, die auf die Lagerung von Information für eine potentielle
Nutzung beschränkt ist. Im Rekurs auf einen Aufsatz von Elmar Mittler, damals
110
Vgl. http://www.prosebica.de/; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010.
71
Direktor der UB Göttingen, aktualisiert Seefeldt, was die Benützerinnen und Benützer
in der Bibliothek der Zukunft bekommen:
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Robert
alles, was man braucht;
alles, wie man es braucht;
alles, wann man es braucht;
alles, wohin man es braucht;
mehr, als man weiß;
alle veröffentlichten Informationen im freien Zugriff. 112
Darnton,
Historiker
an
der
Harvard
University,
wo
er
auch
die
Universitätsbibliothek leitet, publizierte im Jahr 2009 seinen Beitrag „Die Bibliothek im
Informationszeitalter. 6.000 Jahre Schrift“. 113 Der Beitrag geht davon aus, dass
Information explosionsartig wächst, sich Informationstechnologie rasch ändert und
Bibliotheken grundsätzlich vor der Herausforderung stehen, sich in diesen neuen
Gegebenheiten zu orientieren.
Im historischen Rückblick erscheint das Tempo der Veränderungen atemberaubend:
4.300 Jahre von der Schrift zum Kodex, 1.150 Jahre vom Kodex zu den beweglichen
Lettern, 524 Jahre von den beweglichen Lettern zum Internet, 19 Jahre vom Internet zu
den Suchmaschinen und sieben Jahre von den Suchmaschinen zu Google. Dennoch geht
Darnton in seinem Beitrag von Stabilität bzw. Longue durée aus und schlägt als
Grundgedanken vor: Jedes Zeitalter war auf seine Art ein Informationszeitalter, und
Information war immer instabil. Heute leben wir in einer Welt, die eine Vielzahl von
Information vorhält, zugänglich macht und auch der Bewertung entzieht. Information
wird dabei zu einer (Un-)Menge multipler, veränderbarer Texte, die unterschiedlich
interpretiert werden kann.
Darnton begreift die Bibliothek emphatisch als Zitadelle des Wissens, weil einzig sie in
der Lage sein wird, Information langfristig zu speichern. Das historische Buch kann in
seiner physischen Präsenz für die Forschung nicht als Digitalisat ersetzt werden und
111
Jürgen Seefeldt: Zukunftsvisionen: Die Bibliotheken von morgen. In: B.I.T 8 (2005), S. 11–18;
http://www.b-i-t-online.de/archiv/2005-01/fach1.htm; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010.
112
Elmar Mittler: Die Bibliothek der Zukunft. Überlegungen aus Anlaß der Planungen zu einem
Informations- und Kommunikationszentrum in Adlershof (Berlin). In: Bibliothek 20 (1996), S. 259–261,
hier S. 259; http://www.bibliothek-saur.de/1996_2/259-261.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010.
113
Robert Darnton: Die Bibliothek im Informationszeitalter. 6.000 Jahre Schrift. In: Telepolis, 17.
Dezember 2009; http://www.heise.de/tp/r4/artikel/31/31742/1.html; zuletzt aufgerufen: 20. September
2010.
72
benötigt seine gesicherte Aufbewahrung. Darnton schließt mit einem Plädoyer für die
alte Bibliothek:
Als Zitadelle des Lernens und als Plattform für Internet-Abenteuer verdient es die
wissenschaftliche Bibliothek immer noch, der Mittelpunkt der Universität zu sein,
der die Vergangenheit erhält und Energie für die Zukunft sammelt.
3.2.2. Konkrete bibliothekarische Strategieentwicklung
An
einzelnen
Bibliotheken
finden
mitunter
explizite
und
theoriegeleitete
Strategieentwicklungen statt. Diese individuellen Aktivitäten, die häufig nicht über
Publikationen vermittelt werden, können für die eigene Strategieentwicklung die Rolle
von Good-Practice-Beispielen bzw. Benchmarks übernehmen. Zwei aktuelle Beispiele
sollen kurz vorgestellt werden, die Universitätsbibliothek der Technischen Universität
München und die Bibliothek der Eidgenössisch Technischen Hochschule Zürich.
Universitätsbibliothek der Technischen Universität München
Die UB der TU München hat aufgrund mehrfacher Evaluierungen ein Reformkonzept
erarbeitet, das die Literaturversorgung der Universität grundlegend verändert hat. 114 Die
Neustrukturierung betraf sowohl interne Geschäftsabläufe als auch die Positionierung
der UB gegenüber ihren Kundinnen und Kunden.
1996 wurde das zweischichtige Bibliothekssystem intern evaluiert, wobei in der Folge
die geplanten Umsetzungsmaßnahmen in Richtung Einschichtigkeit aufgrund innerer
Widerstände blockiert wurden. 1998 wurde mit einer externen Evaluierung ein zweiter
Anlauf genommen, wobei die Ergebnisse der früheren Untersuchung großteils bestätigt
wurden. Der externen Beratung wurde eine höhere Bedeutung zugemessen, so dass ab
1999 mit den Reformen begonnen werden konnte.
Der Umstrukturierungsprozess dabei war insofern partizipatorisch angelegt, als alle
geplanten Veränderungsmaßnahmen organisationsweit vorgestellt und diskutiert
wurden. Als erster Schritt wurde flächendeckend in allen Abteilungen Teamarbeit
eingeführt, nicht ohne dass flankierend zu den Korrekturen an der Aufbauorganisation
73
extern begleitete Teamfindungsmaßnahmen gesetzt wurden und besonderes Augenmerk
auf die Entwicklung der internen Kommunikation gelegt wurde. Als zweiter, äußerst
komplexer Schritt wurde die Neuordnung des Bibliothekssystems angegangen, das heißt
aus
bibliothekarischer
Sicht
die
Integration
der
zahlreichen
Instituts-
und
Lehrstuhlbibliotheken in die Universitätsbibliothek, ein bekanntermaßen heikles
Unterfangen, weil hier auch Etathoheit zu verhandeln ist. Im Zuge dessen wurde eine
neue Bibliotheksordnung vorbereitet, und Benützerbefragungen wurden durchgeführt,
um die Literaturversorgung bedarfsgerecht weiterentwickeln zu können. Für die
zukünftige Bibliotheksentwicklung wurde festgelegt, Benützerbefragungen als feste
Einrichtung der bibliothekarischen Arbeit zu etablieren. Organisationsintern wurde an
der
Kommunikationskultur
gearbeitet,
ein
Leitbild
erstellt,
ein
hausinternes
Fortbildungsangebot etabliert und Führungskultur über Führungskräfte-Workshops
vermittelt. Hierarchien wurden verflacht und Arbeitsgruppen zur Ausarbeitung von
Geschäftsgängen für alte und neue Dienstleistungen gebildet. Reiner Kallenborn, der
Direktor der UB der TU München fasst in seinem Aufsatz „Aspekte der
Organisationsentwicklung am Beispiel der Universitätsbibliothek der Technischen
Universität München“ zusammen und hebt dabei auf die veränderte Organisationskultur
ab:
Durch die hier dargestellten Ansätze ist kein neuer Zustand entstanden, sondern eine
Kultur des Wandels, die von den Mitarbeiter(inn)en der Universitätsbibliothek
gemeinsam getragen wird und durch die Einbindung aller Interessierten eine
deutlichere Wahrnehmung von Fortschritten und Erfolgen der eigenen Arbeit
ermöglicht. Es ist wohl allen Beteiligten klar geworden, dass in der heutigen Zeit
Transparenz, Kooperation und Effizienz keinen Luxus darstellen, sondern dass es
kontinuierlicher
Anstrengungen
bedarf,
um
nach
innen
größere
Arbeitsgerechtigkeit, nach außen noch bessere Dienstleistungen zu ermöglichen. 115
Aus all diesen Aktivitäten entstanden der Bibliotheksentwicklungsplan 2004–2008 116
und der Library Strategic Plan 2006–2010, 117 die die Ziele der Bibliothek jeweils
mittelfristig zusammenstellen.
114
Vgl. Reiner Kallenborn: Aspekte der Organisationsentwicklung am Beispiel der Universitätsbibliothek
der Technischen Universität München. In: Bibliothek 28 (2004), S. 318–326; http://www.bibliotheksaur.de/2004_3/318-326.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010.
115
Ebd., S. 325f.
116
http://www.ub.tum.de/bibliothek/profil/bibliotheksentwicklungsplan.html; zuletzt aufgerufen: 20.
September 2010.
74
Als weiterer und systematischer Ausbau des Reformkonzepts wurde an der UB der TU
München Qualitätsmanagement implementiert, wobei die Bibliothek im April 2007 als
erste deutsche Universitätsbibliothek nach DIN EN ISO 9001:2000 zertifiziert
wurde. 118 Der ausgeprägt partizipatorische Ansatz am Weg dorthin wird etwa über die
Beschreibung der Leitbildfindung deutlich:
Im Sommer 2004 wurde das Leitbild der Universitätsbibliothek erarbeitet. Etwa
zwei Drittel aller Mitarbeiter nahmen an einem ganztägigen Workshop teil, in dem
Grundsätze der eigenen Arbeit und des Erscheinungsbildes der Bibliothek diskutiert
wurden. In teilweise kontroversen Auseinandersetzungen wurden das
Selbstverständnis der Bibliothek sowie die Reformprozesse der vorangegangenen
Jahre diskutiert und Schwerpunkte für die künftigen Jahre erörtert. Das Leitbild
wurde im Internet sowie in der Mitarbeiterzeitung publiziert. 119
Bibliothek der Eidgenössisch Technischen Hochschule Zürich
Die Bibliothek der ETH Zürich hat einen Organisationsentwicklungsprozess lanciert,
der sich durch eine ausgeprägte Top-Down-Lenkung auszeichnet. In seinem Vortrag
„Warum Veränderung und warum jetzt? Ein Beispiel aus der Schweiz“ aus dem Jahr
2003
erläutert
Wolfram
Neubauer,
der
Direktor
der
ETH-Bibliothek,
den
Reformprozess, den seine Bibliothek durchlaufen hat und durchläuft. 120 Ausgehend von
der Beobachtung, dass sich die Umwelten der Bibliotheken in den letzten Jahren stark
verändert haben (technologische Neuerungen, Veränderungen im Wissenschaftsbetrieb,
Kostendruck auf Bibliotheken, Konkurrenzdruck), Bibliotheken allerdings äußerst stabil
bzw. nur reaktiv geblieben sind, wurde an der ETH-Bibliothek ein Change Management
Prozess eingeleitet. Orientiert hat sich dieser Prozess an dem dreistufigen
Veränderungsmodell des Psychologen Kurt Lewin (Unfreeze / Auftauen – Move /
Bewegen – Refreeze / Einfrieren). In der ersten Phase wird die Veränderung vorbereitet,
117
http://www.ub.tum.de/bibliothek/profil/Library_Strategic_Plan_2010.pdf; zuletzt aufgerufen: 20.
September 2010.
118
Vgl. Caroline Becker / Caroline Leiß: Qualitätsmanagement in Universitätsbibliotheken. Als erste
deutsche Universitätsbibliothek wurde die Bibliothek der TU München im April 2007 von TÜV SÜD
nach DIN EN ISO 9001:2000 zertifiziert. In: Bibliotheksforum Bayern 3 (2009), S. 172–177;
http://www.bsb-muenchen.de/fileadmin/imageswww/pdf-dateien/bibliotheksforum/20093/BFB_0309_06_Becker-Leiss_V04.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010.
119
Ebd., S. 174.
120
Vgl. Wolfram Neubauer: Warum Veränderung und warum jetzt? Ein Beispiel aus der Schweiz
[Tagungsvortrag
„Die
lernende
Bibliothek“
an
der
Universität
Bozen,
2003];
http://www.unibz.it/it/library/about/events/Documents/Biblioteca_apprende/relazioni_presentazioni_GER
/2003-09_learninglibrary_neubauer-folien.ppt; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010.
75
in der zweiten durchgeführt und in der dritten wird der veränderte Zustand
stabilisiert. 121
In der ersten Etappe des Veränderungsprozesses (Unfreeze) an der ETH-Bibliothek
wurden folgende Maßnahmen gesetzt:
•
Durchführung einer Umfrage zur Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter
•
Konstitution einer Gruppe „pro Veränderung“
•
Formalisierung des Austauschs zwischen der Erwerbungsabteilung und den
beiden Katalogisierungsabteilungen (Formal- und Sacherschließung)
•
Einsatz einer Arbeitsgruppe mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der drei
Abteilungen Erwerbung, Formalkatalogisierung und Sachkatalogisierung
•
Besuch von anderen Bibliotheken, die die angepeilte Organisationsstruktur
bereits umgesetzt haben
•
Durchführung einer Plenarveranstaltung zur Präsentation der Vision
Im zweiten Abschnitt des Change Managements (Move) standen folgende Aktivitäten
auf dem Plan:
•
Einsatz einer abteilungsübergreifenden Arbeitsgruppe, die mit neuen Abläufen
experimentierte
•
Einführung einfacherer Katalogisierungsregeln
•
Installation einer „Kummertante“
•
Sicherstellung des Trainings für neue Aufgaben
•
Entwicklung interner Marketingmaßnahmen, um die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter kontinuierlich zu informieren
In der dritten Episode (Refreeze) wurde wie folgt agiert:
•
121
Einsatz von drei definitiven Gruppen mit Teamleadern
Vgl. Kurt Lewin: Frontiers of Group Dynamics. In: Human Relations 1 (1947), S. 5–41.
76
•
Räumliche Zusammenlegung der Gruppenmitglieder
•
Belohnung des ersten Teams
•
Dokumentation der neuen Prozesse in einem Handbuch
•
Bekanntmachung der Entwicklung in der Universität
•
Einladung zu einem Empfang zum Abschluss der Entwicklung
Darüber hinausgehend wurde damit in der Bibliothek ein kontinuierlicher
Veränderungsprozess installiert, der von der Skizzierung des Ist-Zustands ausgeht,
Messgrößen bestimmt, den Prozess reflektiert, die Performance misst und daraus
wiederum Verbesserungen identifiziert und implementiert.
Einen aktuellen Einblick in die Fortschritte dieses Prozesses gibt der Leiter der an der
ETH-Bibliothek im Verlauf der Organisationsreform neu gegründeten Abteilung für
Innovation und Marketing Rudolf Mumenthaler. 122
122
Vgl. Rudolf Mumenthaler: Innovations- und Produktmanagement an einer Hochschulbibliothek am
Beispiel der ETH-Bibliothek [Tagungsvortrag am 4. Leipziger Kongress für Bibliothek und Information
2010]; http://www.opus-bayern.de/bib-info/volltexte/2010/856/; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010.
77
4. Strategieentwicklung der Universitätsbibliothek Wien
4.1. Voraussetzungen und Vorbereitung
Der Wechsel der Leitung und der stellvertretenden Leitung der DLE Bibliotheks- und
Archivwesen
in
den
Jahren
2004/05
hat
erstmals
managementorientierte
Persönlichkeiten an die Spitze der Organisation gebracht, die den bürokratischen Ansatz
ihrer Vorgängergenerationen nicht fortsetzten. Rasch war der Plan gefasst, einen
Strategieentwicklungsprozess der gesamten DLE Bibliotheks- und Archivwesen in
Gang zu setzen. Bevor dieser jedoch konkret gestartet wurde, wurde geprüft, welche
dafür notwendigen Vorarbeiten noch zu erledigen sind. Diese Evaluation erfolgte im
Bewusstsein eines historischen Verständnisses von Organisationen, die bestimmte
Phasen bzw. Stadien durchlaufen. 123 Als wichtig wurde erachtet, zu klären, in welcher
Entwicklungsphase sich die eigene Organisation befindet, um davon ausgehend gezielt
Maßnahmen zur weiteren Entwicklung zu setzen. Folgende Maßnahmen der
Organisationsentwicklung
wurden
von
2005
bis
2008
realisiert,
um
den
Strategieentwicklungsprozess optimal in der Dienstleistungseinrichtung umsetzen zu
können:
4.1.1. Aufbauorganisation
Klare Definition und transparente interne und externe Kommunikation der
Organisationsstruktur
In einem ersten Schritt wurden sämtliche Organigramme der DLE Bibliotheks- und
Archivwesen aktualisiert. Dies erfolgte in einer Kombination von Top-Down- und
Bottom-Up-Verfahren. 124
Um zu gewährleisten, dass die Organigramme die
Organisationsrealität abbilden, wurden sie in den einzelnen Abteilungen von den
123
Vgl. z. B. Larry E. Greiner: Evolution and Revolution as Organizations Grow. In: Harvard Business
Review 50 (1972), H. 4, S. 37–46; Larry E. Greiner: Commentary and Revision of HBR Classic,
„Evolution and Revolution as Organizations Grow”. In: Harvard Business Review 76 (1998), H. 3, S.
55–68.
124
Vgl. Christine Hohnschopp: Die Katze in der Bibliothek. Eine systemische Studie zu Aufbauten und
Abläufen. In: Wissensnester – Wissenshöhlen. Über die Gegenwart und über die Zukunft. Hg. von
Andreas Ernst Lieben. Düsseldorf: Pegasus 2005, S. 19–60.
78
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern diskutiert. Allfällige Änderungsvorschläge wurden
an die Direktion weitergegeben. Diese Vorgehensweise sorgte auch für die allgemeine
Verbreitung und Bekanntheit der Organigramme, die zudem im Intranet und teilweise
auf der Website (http://bibliothek.univie.ac.at/wir_ueber_uns.html) veröffentlicht
wurden. Zudem wurde die informelle Organisation (Arbeitsgruppen, Projekte) ebenfalls
dokumentiert und im Intranet abgebildet.
Ausprägung einer Matrixorganisation
Im Zuge der Aktualisierung der Organigramme wurde die Organisationsstruktur sowohl
punktuell geändert, wo einzelne Verbesserungen notwendig erschienen, als auch
systematisch hin zu einer Matrixorganisation entwickelt, um die Funktionalität der
Aufbauorganisation zu stärken. Dabei wurden traditionell von der Hauptbibliothek
übernommene Aufgaben (z. B. Öffentlichkeitsarbeit, Redaktion der Sacherschließung)
zu Zentralen Services ausgelagert, die als Stabsstellen direkt der Direktion unterstellt
sind und aus einem Selbstverständnis als interne Dienstleister serviceorientiert
fungieren.
Integration der neuen Handlungsfelder in die Organisationsstruktur
Die veränderte Position von Bibliotheken am Informationsmarkt hat auch für die UB
Wien neue Handlungsfelder eröffnet, die als Abteilungen bzw. Teams in die
Aufbauorganisation eingegliedert wurden (Research Activities Documentation RAD,
Digital
Asset
Management
System PHAIDRA,
Bibliometrie,
Open
Access,
Sammlungen an der Universität Wien).
Am Weg zur funktionalen Einschichtigkeit
Zudem wurde konsequent an der Umsetzung des Konzepts der funktionalen
Einschichtigkeit
weitergearbeitet.
Von
2005
bis
2009
wurden
folgende
Institutsbibliotheken in Fachbereichsbibliotheken integriert oder transformiert und
damit vollständig von der UB Wien übernommen: Astronomie, Meteorologie,
Musikwissenschaft, Numismatik, Orientalistik und Sonder- und Heilpädagogik.
79
4.1.2. Ablauforganisation und Geschäftsprozessmanagement
Um die Ablauforganisation zu optimieren und möglichst effizient und effektiv zu
gestalten, wurde Geschäftsprozessmanagement implementiert. Dabei wurden in einem
ersten
Schritt
die
Kerngeschäftsprozesse
dokumentiert
und
im
Sinn
des
Prozessmanagements bearbeitet. In einem weiteren Schritt werden auch die
Supportprozesse dokumentiert und optimiert.
Um das Geschäftsprozessmanagement an der UB Wien mit einem Beispiel zu
veranschaulichen, wird im folgenden Exkurs der Prozess „Personenbezogene
Änderungen bei bestehender Entlehnberechtigung“ dargestellt.
Exkurs 2: Geschäftsprozess: Personenbezogene Änderungen bei bestehender
Entlehnberechtigung
Status/Version
IST / Version 0.3
Geltungsdauer
von: unbekannt
ProzessVerantwortung
DLE Bibliotheks- und Archivwesen
Inhalt
bis: laufend
1. Allgemeines
2. Prozess-Darstellung
3. Prozess-Beschreibung
Phase 1: Personenbezogene Änderungen bei bestehender Entlehnberechtigung
Arbeitsschritt 1: Bekannt geben der Änderung
Arbeitsschritt 2: Aktualisieren der Daten und Ermitteln des Benutzerstatus
Arbeitsschritt 3: Entrichten des Benutzungsgebühr und / oder der Kaution
Arbeitsschritt 4: Prüfen ob neuer Bibliotheksausweis erforderlich
Arbeitsschritt 5: Erstellen eines neuen Bibliotheksausweises
4. Interaktion mit anderen Prozessen
5. Prozess-Kennzahlen
6. Kritische Erfolgsfaktoren
80
1. Allgemeines
Verfügt eine Person über eine Entlehnberechtigung für Medieneinheiten aus den Beständen der
bibliothekarischen Einrichtungen der Universität Wien und ändern sich persönliche Daten dieser
Person, sind diese Änderungen unverzüglich der Universitätsbibliothek bekannt zu geben. Diese
Änderungen führen zu einer Aktualisierung der personenbezogenen Daten bzw. können zur
Ausstellung eines neuen Benutzerausweises / eines Benutzeretiketts führen.
Was ist das Prozessziel?
Das Ziel des Prozesses ist die Berücksichtigung von Änderungen zu
bestehenden Entlehnberechtigungen.
Wer trägt die
Prozessverantwortung?
DLE Bibliotheks- und Archivwesen
Wer ist für die
Abwicklung zuständig?
DLE Bibliotheks- und Archivwesen
Wie gestaltet sich der
Prozessablauf?
• Die Person ändert ihre E-Mailadresse oder Telefonnummer online
(„Mein Konto“) selbst bzw.
• gibt eine Adressänderung, Namensänderung oder die Ergänzung eines
akademischen Grades oder Titels der Bibliothek bekannt.
• Kommt es aufgrund der Änderung der persönlichen Daten zu einer
Änderung des Benutzerstatus (z. B. Studierender wird Mitarbeiter),
werden die Daten aktualisiert und gegebenenfalls ein neuer
Benutzerausweis / ein Benutzeretikett ausgestellt.
Welche Voraussetzungen
sind zu erfüllen?
Welche Unterlagen sind
beizubringen?
Bestehende Entlehnberechtigung
• Meldenachweis
• Studierendenausweis bzw. amtlicher Lichtbildausweis,
Schülerausweis
• Mitgliedsausweis des Alumniverbandes
• Antrag auf Ausstellung / Änderung eines Bibliotheksausweises
deutsch bzw. englisch bzw.
• Antrag auf Erteilung eines Diplomand/innen- bzw. Dissertant/innenStatus für Studierende der Universität Wien
• Urkunde bei Namensänderung (Heiratsurkunde, Scheidungsurkunde)
• Bescheid über die Verleihung eines akademischen Grades oder eines
anderen Titels
Wer kann den Prozess
auslösen?
Welche Fristen sind für
den Prozessauslöser zu
beachten?
• Personen, die über eine Entlehnberechtigung verfügen
Keine
81
Wie lange ist die
Bearbeitungsdauer?
Welche Rahmenbedingungen / rechtliche
Grundlagen gibt es?
1 Arbeitstag (die Änderung wird sofort durchgeführt bzw. der Ausweis
sofort ausgestellt, die Bearbeitung dauert etwa 5 Minuten)
• „Benützungsordnung für Bibliotheken“ veröffentlicht im
Mitteilungsblatt der Universität Wien, Studienjahr 2007/2008, 46.
Stück, ausgegeben am 30.09.2008, Nr. 390
• Richtlinien für die Vergabe des Benutzerstatus
Welche Schnittstellen gibt
es?
Input für den Prozess
o
Vom Antragsteller: Änderungsmeldung und Vorlage
erforderlicher Dokumente
o
Aus dem Prozess „Erteilen einer neuen Entlehnberechtigung“:
Entlehnberechtigung je nach Benutzerstatus
Output aus dem Prozess
Was bedeuten die
verwendeten
Abkürzungen?
o
In den Prozess „Entlehnung“: Entlehnberechtigung je nach
Benutzerstatus, Bibliotheksausweis / Benutzeretikett
o
In den Prozess „Beenden einer Entlehnberechtigung“:
Entlehnberechtigung je nach Benutzerstatus
o
In den Prozess „Personenbezogene Änderungen bei bestehender
Entlehnberechtigung“: Entlehnberechtigung je nach
Benutzerstatus
o
In den Prozess „Bezahlen von Gebühren“: Benutzergebühr /
Kaution
Erklärung der im Prozess verwendeten Abkürzungen:
Aleph
Ist hier keine Abkürzung, sondern erster Buchstabe
des hebräischen Alphabets und Eigenname des
Bibliothekssystems der israelischen Firma Ex
Libris
DLE
Dienstleistungseinrichtung
82
2. Prozess-Darstellung
Prozessablauf
Output
Phase 1
Input
83
3. Prozess-Beschreibung
Rollen im
Prozess:
Benutzer – Referent
Phase 1: Personenbezogene Änderungen bei bestehender Entlehnberechtigung
Verfügt eine Person über eine Entlehnberechtigung und es ändern sich persönliche Daten dieser
Person, sind diese Änderungen unverzüglich der Hauptbibliothek oder einer für die Ausstellung von
Bibliotheksausweisen ausgerüsteten Fachbereichsbibliothek bekannt zu geben. Diese Bekanntgabe
kann bei der Änderung der Telefonnummer oder E-Mailadresse online oder persönlich erfolgen.
Die Bekanntgabe von Änderungen, die die Ausstellung eines neuen Benutzerausweises / eines
Benutzeretiketts nach sich ziehen, erfolgt persönlich in der Hauptbibliothek oder in einer für die
Ausstellung von Bibliotheksausweisen ausgerüsteten Fachbereichsbibliothek mittels Vorlage der
entsprechenden Unterlagen.
Verantwortlich:
DLE Bibliotheks- und Archivwesen
Durchgeführt:
DLE Bibliotheks- und Archivwesen
Dauer:
Die Datenänderung erfolgt sofort bzw. der Ausweis wird sofort ausgestellt, die
Bearbeitung dauert etwa 5 Minuten
Arbeitsschritt 1: Bekanntgeben der Änderung
Eine Person, die über eine Entlehnberechtigung verfügt, gibt eine Änderung ihrer personenbezogenen
Daten bekannt. Dies kann online erfolgen (im Fall der Änderung der E-Mailadresse oder der
Telefonnummer) oder persönlich (im Fall der Änderung der Adresse, der E-Mailadresse oder der
Telefonnummer, einer Namensänderung, des akademischen Grades oder des Benutzerstatus) mit den
entsprechenden Unterlagen am Ausweisschalter in der Entlehnung der Hauptbibliothek oder in einer
für die Ausstellung von Bibliotheksausweisen ausgerüsteten Fachbereichsbibliothek.
Input:
• Meldenachweis
• Studentenausweis bzw. amtlicher Lichtbildausweis
• Antrag auf Ausstellung / Änderung eines Bibliotheksausweises deutsch bzw.
englisch bzw.
• Antrag auf Ausstellung eines Bibliotheksausweises für eine Lehrveranstaltung
bzw. ein Projekt bzw.
• Antrag auf Erteilung eines Diplomand/innen- bzw. Dissertant/innen-Status für
Studierende der Universität Wien
• Urkunde bei Namensänderung (Heiratsurkunde, Scheidungsurkunde)
• Bescheid über die Verleihung eines akademischen Grades oder eines anderen
Titels
• Richtlinien für die Vergabe des Benutzerstatus
Output:
• Änderungsmeldung und Vorlage erforderlicher Dokumente
84
Verantwortlich:
DLE Bibliotheks- und Archivwesen
Durchgeführt:
Universitätsbibliothek / Referent
Ergebnis: Bekannt gegebene Änderung und Vorlage erforderlicher Dokumente
Ö Arbeitsschritt 2: Aktualisieren der Daten und Ermitteln des Benutzerstatus
Arbeitsschritt 2: Aktualisieren der Daten und Ermitteln des Benutzerstatus
Der Referent ändert gegebenenfalls in Aleph folgende Daten des Benutzers
• Name
• Titel
• Matrikelnummer (wenn der Antragsteller Studierender, Diplomand oder Dissertant der Universität
Wien ist)
• Staatsbürgerschaft
• Benutzerstatus
• Adresse(n)
• Akademischer Grad
Aufgrund der entsprechenden Unterlagen ändert der Referent die Daten des Benutzers. Bei folgenden
personenbezogenen Änderungen kommt es zu einer Änderung des Benutzerstatus und / oder zur
Ausstellung eines neuen Benutzerausweises:
• Studierender der Universität Wien wird (Nicht-)EU-Bürger oder Mitarbeiter oder Alumnimitglied
oder Mitarbeiter einer Institution oder Studierender einer anderen Bildungseinrichtung
• Änderung des Vornamens und / oder Zunamens
• Ergänzung des akademischen Grades (neuer Bibliotheksausweis, wenn nicht genug Platz am
Bibliotheksausweis vorhanden ist, um den Titel einfach zu ergänzen)
Bei folgenden Statuswechseln muss kein neuer Benutzerausweis / Benutzeretikett ausgestellt werden:
• Studierender der Universität Wien wird Diplomand / Dissertant
• Mitarbeiter der Universität Wien wird EU-Bürger
• Ergänzung des akademischen Grades (wenn genug Platz am Bibliotheksausweis vorhanden ist,
wird der Titel ergänzt)
• Schüler, EU-Bürger, Gastbenutzer, Angehöriger einer bestimmten österreichischen Institution,
Alumnimitglied wird Studierender oder Mitarbeiter der Universität Wien (neuer
Bibliotheksausweis nur wenn notwendig)
Entweder fällt eine Benutzungsgebühr oder / und Kaution an oder nicht.
Input:
• Änderungsmeldung und Vorlage erforderlicher Dokumente
• Daten des Benutzers und die Entlehnberechtigung je nach Benutzerstatus (aus
85
dem Prozess „Erteilen einer neuen Entlehnberechtigung“)
Output:
• Aktualisierte Daten
• Geänderte Entlehnberechtigung je nach Benutzerstatus (in den Prozess
„Entlehnung“,
in
den
Prozess
„Beenden
einer
bestehenden
Entlehnberechtigung“ und in den Prozess „Personenbezogene Änderungen bei
bestehender Entlehnberechtigung“)
Verantwortlich:
DLE Bibliotheks- und Archivwesen
Durchgeführt:
Universitätsbibliothek / Referent
Möglichkeit 1: Benutzungsgebühr / Kaution
fällt an
Möglichkeit 2: Benutzungsgebühr / Kaution
fällt nicht an
Ö Arbeitsschritt 3: Entrichten der
Benutzungsgebühr und / oder der Kaution
Ö Arbeitsschritt 4: Prüfen ob neuer
Bibliotheksausweis erforderlich
Arbeitsschritt 3: Entrichten des Benutzungsgebühr und / oder der Kaution
Je nach Benutzerstatus hat der Antragsteller eine Benützungsgebühr und eine Kaution (Nicht EUBürger mit Wohnsitz in Österreich) zu entrichten. Ist eine Kaution zu entrichten, füllt der Referent ein
Kautionseinzahlungsformular als Bestätigung der Einzahlung dreifach aus. Diese werden vom
Antragsteller und vom Referenten unterschrieben. Ein Exemplar erhält der Antragsteller, ein Exemplar
verbleibt in der Entlehnung und ein Exemplar wird an die Bibliotheksdirektion übermittelt.
Input:
• Aktualisierte Daten
• Geänderte Entlehnberechtigung je nach Benutzerstatus
• Benutzungsgebühr / Kaution
Output:
• Aktualisierte Daten
• Geänderte Entlehnberechtigung je nach Benutzerstatus
• Entrichtete Benutzungsgebühr / Kaution (in den Prozess Bezahlung von
Gebühren)
Verantwortlich:
DLE Bibliotheks- und Archivwesen
Durchgeführt:
Universitätsbibliothek / Referent
Ergebnis: entrichtete Benutzungsgebühr / Kaution
Ö Arbeitsschritt 4: Prüfen ob neuer Bibliotheksausweis erforderlich
Arbeitsschritt 4: Prüfen ob neuer Bibliotheksausweis erforderlich
Der Referent prüft, ob ein neuer Bibliotheksausweis erstellt werden muss. Dies ist der Fall, wenn:
86
• ein Studierender der Universität Wien EU-Bürger oder Mitarbeiter oder Alumnimitglied oder
Mitarbeiter einer Institution oder Studierender einer anderen Bildungseinrichtung wird,
• eine Änderung des Vornamens und / oder Zunamens vorliegt oder eine
• Ergänzung des akademischen Grades (neuer Benutzerausweis, wenn nicht genug Platz am
Bibliotheksausweis vorhanden ist, um den Titel zu ergänzen) erfolgt.
Input:
• Aktualisierte Daten
• Geänderte Entlehnberechtigung je nach Benutzerstatus
Output:
• Aktualisierte Daten
• Geänderte Entlehnberechtigung je nach Benutzerstatus
Verantwortlich:
DLE Bibliotheks- und Archivwesen
Durchgeführt:
Universitätsbibliothek / Referent
Möglichkeit 1: neuer Bibliotheksausweis
Möglichkeit 2: keine neuer
Bibliotheksausweis
Ö Arbeitsschritt 5: Erstellen eines neuen
Bibliotheksausweises
Ö–
Arbeitsschritt 5: Erstellen eines neuen Bibliotheksausweises
Ist aufgrund der bekannt gegebenen Änderung die Ausstellung eines neuen Bibliotheksausweises
notwendig, erfolgt die Ausstellung durch den Referenten.
Input:
• Aktualisierte Daten
• Geänderte Entlehnberechtigung je nach Benutzerstatus
Output:
• Bibliotheksausweis (an den Antragsteller übergeben, in den Prozess
„Entlehnung“)
Verantwortlich:
DLE Bibliotheks- und Archivwesen
Durchgeführt:
Universitätsbibliothek / Referent
Ergebnis: geänderte Entlehnberechtigung und erstellter Benutzerausweis
87
4. Interaktion mit anderen Prozessen
2.
Daten des Benutzers und
Entlehnberechtigung je nach
Benutzerstatus
3.
Bibliotheksausweis
Erstellen einer neuen
Entlehnberechtigung
Entlehnung
4.
geänderte Entlehnberechtigung je nach
Benutzerstatus
1.
Änderungsmeldung und Vorlage
erforderlicher Dokumente
Beenden einer
Entlehnberechtigung
5.
geänderte Entlehnberechtigung je nach
Benutzerstatus
Personenbezogene Änderungen bei
bestehender Entlehnberechtigung
6.
geänderte Entlehnberechtigung je nach
Benutzerstatus (bei weiteren Änderungen)
Personenbezogene
Änderungen bei
bestehender
Entlehnberechtigung
Bezahlen von
Gebühren
7.
Benutzungsgebühr / Kaution
8.
Bibliotheksausweis
Input
1.
Änderungsmeldung
und Vorlage
erforderlicher
Dokumente:
Die Änderungsmeldung und Vorlagen erforderlicher Dokumente vom
Antragsteller gehen in den Prozess „Personenbezogene Änderungen bei
bestehender Entlehnberechtigung“ ein.
2.
Daten des Benutzers
und
Entlehnberechtigung je
nach Benutzerstatus:
Die Daten des Benutzers und die Entlehnberechtigung je nach
Benutzerstatus aus dem Prozess „Erstellen einer neuen
Entlehnberechtigung“ gehen in den Prozess „Personenbezogene
Änderungen bei bestehender Entlehnberechtigung“ ein.
Output
3.
Bibliotheksausweis:
Der Bibliotheksausweis aus dem Prozess „Erteilen einer neuen
Entlehnberechtigung“ geht in den Prozess „Entlehnung“ ein.
4.
Geänderte
Entlehnberechtigung je
nach Benutzerstatus:
Die Entlehnberechtigung je nach Benutzerstatus aus dem Prozess
„Personenbezogene Änderungen bei bestehender Entlehnberechtigung“
geht in den Prozess Entlehnung ein.
88
5.
Geänderte
Entlehnberechtigung je
nach Benutzerstatus:
Die geänderte Entlehnberechtigung je nach Benutzerstatus aus dem
Prozess
„Personenbezogene
Änderungen
bei
bestehender
Entlehnberechtigung“ geht in den Prozess „Beenden einer
Entlehnberechtigung“ ein.
6.
Geänderte
Entlehnberechtigung je
nach Benutzerstatus:
Die geänderte Entlehnberechtigung je nach Benutzerstatus aus dem
Prozess
„Personenbezogene
Änderungen
bei
bestehender
Entlehnberechtigung“ geht bei einer weiteren Änderung wieder in den
Prozess
„Personenbezogene
Änderungen
bei
bestehender
Entlehnberechtigung“ ein.
7.
Benutzergebühr /
Kaution:
Die Benutzergebühr / Kaution aus dem Prozess „Personenbezogene
Änderungen bei bestehender Entlehnberechtigung“ geht in den Prozess
„Bezahlen von Gebühren“ ein.
8.
Bibliotheksausweis:
Der Bibliotheksausweis aus dem Prozess „Personenbezogene
Änderungen bei bestehender Entlehnberechtigung“ wird an den
Antragsteller ausgehändigt.
89
5. Prozess-Kennzahlen
Die Prozess-Kennzahlen beschreiben die Wirksamkeit bzw. Entwicklung eines
Prozesses im zeitlichen Verlauf bezogen auf das Prozessziel:
Personenbezogene Änderungen bei bestehender Entlehnberechtigung
Prozessname:
Bezug zum Prozessziel:
Kennzahl:
Sollwert:
Messmethode:
Messfrequenz:
Verantwortlich:
Beispiel für das weitere Erfassen einer Kennzahl:
MessFrequenz
Istwert
Sollwert
Kennzahlen-Entwicklung
10
1
8
5
2
10
5
3
5
5
7
4
4
5
6
5
7
5
10
9
Messwerte
8
8
7
5
5
4
4
3
2
Sollwert
1
Istwert
0
1
2
3
Messfrequenz
4
5
90
6. Kritische Erfolgsfaktoren
Prozessname:
Personenbezogene Änderungen bei bestehender Entlehnberechtigung
Problemstellung:
Derzeit ist nur der Antrag auf Ausstellung / Änderung eines
Bibliotheksausweises auf Englisch verfügbar.
Lösungsvorschlag:
Wir schlagen vor, auch eine englische Version für
•
Antrag auf Ausstellung eines Bibliotheksausweises für eine
Lehrveranstaltung bzw. ein Projekt
•
Antrag auf Erteilung eines Diplomand/innen- bzw. Dissertant/innenStatus für Studierende der Universität Wien
•
Zustimmungs- und Haftungserklärung des/der Erziehungsberechtigten
für Personen unter 18 Jahren
•
Abholberechtigung
zur Verfügung zu stellen.
4.1.3. Organisationskultur
Nach der weit verbreiteten Definition des Organisationspsychologen Edgar Schein ist
Organisationskultur
„ein Muster gemeinsamer Grundprämissen, das die Gruppe bei der Bewältigung
ihrer Probleme externer Anpassung und interner Integration erlernt hat, das sich
bewährt hat und somit als bindend gilt; und das daher an neue Mitglieder als
rational und emotional korrekter Ansatz für den Umgang mit Problemen
weitergegeben wird“. 125
Das Top Management der UB Wien beschäftigt sich mit der Organisationskultur auf
allen drei von Edgar Schein beschriebenen Ebenen: den Artefakten, den bekundeten
Werten und den Grundprämissen.
Artefakte
Artefakte bestehen an der Oberfläche und meinen alle Phänomene, die man sieht, hört
und fühlt (z. B. Leitbild, Logo, Architektur, Stil der Kleidung und Sprechweise,
Kommunikation, verwendete Technologie, Rituale). Um die Corporate Identity zu
125
Edgar Schein: Unternehmenskultur. Ein Handbuch für Führungskräfte. Frankfurt am Main, New
York: Campus 1995, S. 25.
91
stärken und die Zugehörigkeit zur Universität Wien zu unterstreichen, wurden an der
UB Wien verschiedene Maßnahmen durchgeführt. So wurde etwa damit begonnen, das
Corporate Design der Universität Wien konsequent umzusetzen. Angesichts von mehr
als vierzig bibliothekarischen Standorten in der Stadt Wien und der nur eingeschränkt
zur Verfügung stehenden Ressourcen ist dieser Prozess, der vor allem auf die
Adaptierung der Leitsysteme abzielt, zeitlich als mittelfristiges Unterfangen
einzuschätzen. Unterstützt wird die UB Wien dabei von der DLE Öffentlichkeitsarbeit
und Veranstaltungsmanagement der Universität Wien. Im Bereich Corporate
Communication wurden etwa einheitliche Telefoniestandards implementiert, um die
Kommunikation nach innen und außen effizienter und effektiver zu gestalten.
Bekundete Werte
Die bekundeten Werte bestimmen das Verhalten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
und meinen das Gefühl, wie die Dinge sein sollen (z. B. Ehrlichkeit, Freundlichkeit,
Flexibilität, spielerisch, konservativ, erfahren). Hier wurde im Sinn eines Managements
by Values stark auf die Vorbildwirkung der Führungskräfte gesetzt, die vom Top
Management der Bibliothek ausging und mit gezieltem Führungskräftetraining in der
gesamten Organisation verbreitet wurde. Diese gemeinsame Wertgrundlage, die als
gelebtes Wertsystem zu etablieren ist, basiert auf dem Selbstverständnis der Bibliothek
als
Partnerin
von
Forschung,
Lehre
und
Studium.
Damit
werden
Dienstleistungscharakter und Serviceorientierung ins Zentrum der Aufmerksamkeit
gestellt. Der Wertschätzung nach außen – den Kundinnen und Kunden gegenüber –
korreliert eine Wertschätzung nach innen – den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
gegenüber. Im Rahmen einer Vereinbarungskultur, dem als Instrument etwa das
Jahresgespräch zur Verfügung steht, werden an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Entscheidungskompetenzen delegiert, um den Rahmen motivierter Arbeit zu schaffen.
Grundprämissen
Die Grundprämissen legen die hauptsächlichen Ziele der Organisation fest und sind
betriebsweit bekannt, akzeptiert und unterstützt. Als fundamentale Grundprämisse, aus
der alle Handlungsaktivitäten der Bibliothek abgeleitet werden können, gilt, dass die
UB Wien die zentrale Informationseinrichtung der Universität Wien ist und alle
Universitätsangehörigen in Forschung, Lehre und Studium bestmöglich unterstützt. Die
92
Durchsetzung dieser Grundprämisse ist angesichts des historischen Fundaments der
Universitätsbibliotheken in Österreich insofern nicht selbstverständlich, als sie bis zur
Umsetzung des Universitätsorganisationsgesetzes 1993 im Jahr 2000 nicht dem
Rektorat der jeweiligen Universität, sondern dem Wissenschaftsministerium zugeordnet
und unterstellt waren. Zudem resultiert aus der Überregulierung bibliothekarischer
Arbeit – Standards, Regelwerke, Normen – tendenziell eine spezifische Eigendynamik
des bibliothekarischen Handelns, die sich traditionell weniger an den Bedürfnissen und
Interessen der jeweiligen primären Zielgruppe ausrichtet, sondern mehr am hoch
professionellen und spezialisierten bibliothekarischen Apparat. Wobei hier auch daran
erinnert werden soll, dass das Bibliothekswesen bereits frühzeitig die Orientierung auf
die Benützerinnen und Benützer erkannt und auch programmatisch formuliert hat. So
beziehen sich die ersten vier der berühmten „Fünf Gesetze der Bibliothekswissenschaft“
des indischen Mathematikers und Bibliothekars Shiyali Ramamrita Ranganathan aus
dem Jahr 1931 ausschließlich auf Kundenorientierung, erst das fünfte Gesetz ist auf die
Bibliothek als Organisation gerichtet: 1) Books are for use. 2) Every book its reader. 3)
Every reader his book. 4) Save the time of the reader. 5) A library is a growing
organism. 126
Um die Orientierung auf die Benützerinnen und Benützer in der UB Wien
innerorganisatorisch zu intensivieren, wurden regelmäßige Benützerbefragungen
flächendeckend eingeführt. Jedes Semester werden etwa fünf Befragungen in den
Fachbereichsbibliotheken
durchgeführt,
alle
fünf
Jahre
eine
Befragung
der
Hauptbibliothek. Zudem werden spezielle Zielgruppen gesondert befragt. So wurden
bisher die Studierenden in der Studieneingangsphase und im PhD-Studium untersucht.
Mit 1. Oktober 2008 trat nach intensiver Diskussion die neue Benützungs- und
Gebührenordnung
in
Kraft,
Vorgängerversion
beinhaltet
die
und
wesentlich
die
weniger
Bibliothek
als
Restriktionen
als
die
dienstleistungsorientierte
Gebrauchsbibliothek positioniert.
126
Vgl. Shiyali Ramamrita Ranganathan: The Five Laws of Library Science. London: Goldstone;
Madras: Madras Library Association 1931 (= Madras Library Association Publication Series 2);
http://www.cro.sanita.fvg.it/reposCRO/Biblioteca/5_leggi_ranganathan.pdf; zuletzt aufgerufen: 20.
September 2010.
93
4.1.4. Personalentwicklung
Aus dem postheroisch-partizipatorisch angelegten Führungsstil 127 des Managements der
UB Wien folgert eine konsequente Personalentwicklung, die stark auf Empowerment
der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter setzt. Mitgestaltung soll ermöglicht werden durch
konsequente Delegation der Entscheidungs- und Umsetzungskompetenz an die
Personen, die über entsprechendes Sach- und Organisationswissen verfügen. In Gestalt
von Arbeitsgruppen, Projekten und Teams wurde ergebnis- und ressourcenorientierte
Arbeit implementiert.
Konsequentes Fort- und Weiterbildungsmanagement
Gut qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bilden das Fundament betrieblichen
Erfolgs. Einen wesentlichen Anteil an der Qualifikation und damit an der Kompetenz
kommt dabei einer konsequenten und arbeitsplatzorientierten Fort- und Weiterbildung
zu. Um die Fort- und Weiterbildung in der UB Wien weiter zu verbessern und den
aktuellen Erfordernissen anzupassen, wurde abgekoppelt vom Jahresgespräch und in
enger Kooperation mit der Abteilung für Personalentwicklung der Universität Wien an
der Bibliothek eine Fort- und Weiterbildungsschiene etabliert, die mit ihren jeweiligen
Bildungsmaßnahmen möglichst exakt den Erfordernissen des Arbeitsplatzes und den
Entwicklungsperspektiven der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entspricht.
Jeweils im Oktober wird der konkrete Bildungsbedarf in der UB Wien erhoben. Die
Erhebung erfolgt über einen Fragebogen, der eine Reihe von Themen enthält, die für die
UB Wien relevant sind. Zudem ist über Freitext die Möglichkeit gegeben, die genannten
Themenfelder sowohl spezifisch als auch allgemein zu ergänzen. Um Arbeitsplatznähe
und auch Teamorientierung zu erreichen, werden die Fragebögen an die Leiterinnen und
Leiter aller Abteilungen, Teams, Zentralen Services und Fachbereichsbibliotheken zur
konkreten Bedarfserhebung in ihrer jeweiligen Organisationseinheit ausgegeben. Die
Ergebnisse der Auswertungen stellen die Basis für das Fort- und Weiterbildungsangebot
der UB Wien für das folgende Jahr und punktuell auch darüber hinaus dar. Zudem
verfolgt die UB Wien aus strategischen Überlegungen als besonderen Schwerpunkt die
127
Vgl. Charles Handy: The Age of Unreason. Boston / Massachusetts: Harvard Business School 1990,
S. 166: „Whereas the heroic manager of the past knew all, could do all, and could solve every problem,
the postheroic manager asks how every problem can be solved in a way that develops other people’s
94
Entwicklung
ihrer
Führungskräfte.
Gemeinsam
mit
der
Abteilung
für
Personalentwicklung wurde für diesen Bereich ein eigenes Programm ausgearbeitet.
Welcome Kit
Um neu aufgenommene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter möglichst rasch in die
Arbeitsumgebung der Bibliothek einzuführen und um wichtige Voraussetzungen des
gemeinsamen Arbeitens in der Organisation standardisiert zu kommunizieren, wurde
ein Welcome Kit eingeführt. Dieses Welcome Kit, das als Broschüre physisch und im
Intranet digital vorliegt, enthält in Form eines Glossars die für die Arbeit in der
Bibliothek relevanten Informationen.
Workshops Führungskompetenz
In Vorbereitung des Strategieentwicklungsprozesses wurde an der UB Wien ein
kontinuierliches Führungskräftetraining etabliert. Um die Führungskräfte der UB Wien
in der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu unterstützen und intensiver miteinander zu
vernetzen, wurden von Dezember 2007 bis November 2008 vier jeweils zweitägige
Workshops zum Thema Führungskompetenz veranstaltet. Als externer Trainer für alle
Workshops konnte Günther Kienast (http://www.kienast-kienast.at/) gewonnen werden.
Aufgrund der hohen Qualität der Beratung und der deutlichen Akzeptanz durch die
Teilnehmerinnen und Teilnehmer war damit auch die Beratungsfirma gefunden, die den
vorzubereitenden Strategieentwicklungsprozess begleiten sollte.
In den Workshops Führungskompetenz reflektierten die Teilnehmerinnen und
Teilnehmer gemeinsam aufgrund ihrer bisherigen Praxis ihre Führungsaufgaben und die
dafür erforderlichen Kompetenzen und arbeiteten Pläne für nötige Veränderungen aus.
Theorieimpulse des Beraters unterstützten die Teilnehmenden in ihrem Reflexions- und
Arbeitsprozess. Wichtig war die intensive Beteiligung der Führungskräfte und ein
lösungsorientierter Ansatz: Die bisherigen Erfahrungen mit dem Thema „Ich und meine
Führungsaufgaben“ waren Ausgangspunkt für zukunftsorientierte Lösungen. Einzelund Gruppenarbeiten wechselten mit Impulsreferaten und Diskussionen im Plenum ab.
An diesen fakultativen Workshops haben ca. fünfzig Personen und damit fast alle
Führungskräfte der UB Wien (Leiterinnen und Leiter der Fachbereichsbibliotheken, der
capacity to handle it”; vgl. auch Dirk Baecker: Postheroisches Management. Ein Vademecum. Berlin:
Merve 1994 (= Internationaler Merve-Diskurs 185).
95
Abteilungen
und
Teams
der
Hauptbibliothek
und
der
Zentralen
Services)
teilgenommen.
Internationalisierung der Bibliothek
Um die Bibliothek weiter zu internationalisieren, wurde das an der Universität Wien
eingeführte Programm Erasmus Staff Mobility, das die Mobilität allgemein Bediensteter
zu Fortbildungszwecken unterstützt, in der UB Wien erfolgreich implementiert. Als
Outgoing unterstützt die Universität Wien dabei einen mindestens fünftägigen
Auslandsaufenthalt
von
Mitarbeiterinnen
und
Mitarbeitern
des
allgemeinen
Universitätspersonals zu Fortbildungszwecken an einer anderen Universität innerhalb
Europas. Die Antragstellung kann mit Unterstützung einer Führungskraft und auf Basis
klar definierter Ziele erfolgen. Als Incoming betreut die UB Wien Personen, die über
Erasmus Staff Mobility an die UB Wien kommen. Sie besuchen während ihres
mindestens
fünftägigen
Aufenthalts
verschiedene
Einrichtungen
der
Universitätsbibliothek.
Im Jahr 2007 hat die UB Wien erstmals an der Benchmarking-Initiative
„Bibliotheksindex
Wissenschaftliche
Bibliotheken“
(BIX-WB;
http://www.bix-
bibliotheksindex.de/) teilgenommen, die Daten zum Bibliotheksvergleich liefert. Damit
sollte die Leistungsfähigkeit und Ressourcenausstattung der Bibliothek über einen
Kennzahlenvergleich im internationalen Rahmen vergegenwärtigt werden. Zudem
wurde die Transparenz der Organisation nach innen und nach außen weiter gesteigert.
4.1.5. Interne Kommunikation
Verbesserung der internen formellen Kommunikation
Besonderes Augenmerk wurde auf die Verbesserung der formellen internen
Kommunikation gelegt, die von zahlreichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als
suboptimal wahrgenommen wurde. Zudem kann ein partizipatorisch angelegter
Strategieentwicklungsprozess nur dann reüssieren, wenn die interne Kommunikation
der
Organisation
funktioniert.
Erfolgreich
eingeführt
wurden
ein
interaktiv
ausgerichtetes Intranet und ein zweimonatiger interner Newsletter, der mittlerweile auf
große Resonanz stößt. Zudem ist das Jahresgespräch als Managementinstrument
96
obligatorisch flächendeckend implementiert, die DLE-weiten Mailinglisten wurden
aktualisiert und die Sitzungskultur wurde grundlegend geändert. Sowohl die
Abteilungsleitersitzung – Direktion, Leiterinnen und Leiter der Zentralen Services und
der Abteilungen und Teams der Hauptbibliothek – als auch die Außenbereichssitzung –
Direktion,
Leiterinnen
und
Leiter
der
Zentralen
Services
und
der
Fachbereichsbibliotheken – wurden von monologisch angelegten Treffen zu
Workshops, bei denen gemeinsam Lösungen erarbeitet werden, transformiert.
Zudem wurde das interne Berichtswesen optimiert, indem Quartalsberichte der Projekte
eingeführt wurden, die selbstzweckhaften Monatsstatistiken hingegen wurden
abgeschafft, die Bibliotheksjahresstatistik wurde erneuert. Die Neuausrichtung des
Jahresberichts wurde zumindest vorgenommen.
Verbesserung der internen informellen Kommunikation
Die informelle interne Kommunikation unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
wurde
insofern
ebenfalls
verbessert,
als
die
Motivation
dazu
und
die
Rahmenbedingungen optimiert wurden. Zu diesen Verbesserungsmaßnahmen zählen
ebenso die Verstärkung von Arbeitsgruppen-, Projekt- und Teamarbeit mit
unterschiedlich
zusammengestellten
Personengruppen
wie
die
Modernisierung
traditioneller Kommunikationsformen wie Betriebsausflug und Weihnachtsfeier.
4.1.6. Kernkompetenzen
Wie bereits bei der Beschäftigung mit den beiden Managementtheoretikern Gary Hamel
und C. K. Prahalad dargestellt, ist der Kernkompetenzansatz wichtig für
Strategiefestlegungen. Die Betriebswirtschaftler Christian Homp und Wilfried Krüger
haben das Kernkompetenzkonzept übernommen und ausgebaut. Dabei entwerfen sie das
Modell einer dreischichtigen Unternehmenskompetenz. 128 Die äußerste Schicht bildet
die Kompetenz 1. Ordnung, die dann erreicht ist, wenn eine Organisation ihre
Fähigkeiten und Ressourcen so entwickelt und kombiniert, dass sie erfolgreich im
Wettbewerb mithalten kann. Nach dieser Sicherstellung von Wettbewerbsfähigkeit
128
Vgl. Christian Homp / Wilfried Krüger: Kernkompetenz-Management. Steigerung von Flexibilität und
Schlagkraft im Wettbewerb. Wiesbaden: Gabler 1997, S. 26–29.
97
prägt eine Unternehmung Wettbewerbsvorteile mit Hilfe besonderer Fähigkeiten aus,
die als Kompetenz 2. Ordnung gedacht werden. Von Kernkompetenz im eigentlich Sinn
– die Kompetenzen 3. Ordnung – wird gesprochen, wenn eine Unternehmung in der
Lage ist, ihre Ressourcen und Fähigkeiten zum Aufbau neuer Produkte und / oder
Märkte einzusetzen.
Flankierend zu ihrem Strategieentwicklungsprozess hat die UB Wien mit einer Task
Force folgenden thematischen Rahmen definiert, in dem Kernkompetenzen zu stärken
sind. Dafür wurden fünf Grundpositionen vorgegeben: die UB Wien als Raum der
Innovation, als digitale und analoge Bibliothek, als sozialer Raum, als Teaching Library
und als Learning Library.
Die UB Wien als Raum der Innovation
Die Universitätsbibliothek ist Trägerin innovativer Entwicklungen im Rahmen des
Informationsmanagements
Beobachtung
und
für
Auswertung
die
Universität
des
Wien.
Durch
Informationsmarkts
sowie
kontinuierliche
strategisches
Partnerschaftsmanagement werden an ihr Wissen und Kompetenz gebündelt und
weiterentwickelt.
Die
Universitätsbibliothek
lernt
durch
ihre
inner-
und
außeruniversitären Kooperationen von anderen Organisationseinheiten und Institutionen
auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene. Die dadurch erworbenen Kenntnisse
werden gewinnbringend für die Universität Wien eingesetzt. Durch ihr konsequentes
Innovationsmanagement ist die Universitätsbibliothek eine gefragte Partnerin
internationaler Kooperationen und wissenschaftlicher Projekte. In den Bereichen, in
denen die Universitätsbibliothek bereits exzellente Leistungen erbringt, engagiert sie
sich richtungsweisend in der Entwicklung und Gestaltung neuer Produkte. Dort, wo sie
innovative Entwicklungen identifiziert, positioniert sie sich auf Grund ihrer
Kompetenzen als Early Adopter.
Die UB Wien als digitale und analoge Bibliothek
Die Universitätsbibliothek stellt ihren Benützerinnen und Benützern Information digital
und analog zur Verfügung. Dabei ist sowohl der elektronische als auch der
konventionelle Bestand über ein gemeinsames Recherche-Portal integriert unter einer
Nutzeroberfläche recherchierbar. Der Bestandsaufbau orientiert sich an den
Erfordernissen von Forschung, Lehre und Studium an der Universität Wien. Um einen
98
zeit- und ortsunabhängigen Zugang zur Information zu ermöglichen, erwirbt die
Universitätsbibliothek
wenn
möglich
elektronische
Medien.
Dort,
wo
Benützungsinteressen oder andere Gründe es erfordern, werden weiterhin gedruckte
Informationsträger angekauft. Der gesamte Bestand der Universitätsbibliothek ist nach
internationalen Standards formal und inhaltlich erschlossen. Die Bestandspflege erfolgt
nach
qualitätsgesicherten
Aussonderungskriterien.
Basierend
auf
gesamt
österreichischen Archivierungsvereinbarungen und dem kontinuierlichen Ankauf von
elektronischen Backfiles wird eine optimale Stellraumbewirtschaftung betrieben. Wo es
der Lehr- und Studienbetrieb erfordert, werden Lehrbücher in mehreren Exemplaren zur
Verfügung gestellt. Eine Bereinigung dieses Bestands erfolgt bedarfsgemäß durch
Aussonderung älterer Exemplare. In den Magazinen werden nur mehr unikal
vorhandene Print-Bestände aufbewahrt.
Die UB Wien als sozialer Raum
Die Universitätsbibliothek ist identitätsstiftender Raum für die Universitätsangehörigen,
insbesondere für die Studierenden, und Präsentationsort universitärer Leistungen (z. B.
Konferenzen,
Ausstellungen,
Benützungsbedingungen,
Lesungen,
niedrig
Interviews).
schwellige
Barrierefreiheit,
Zugänglichkeit
und
liberale
aktuelle
infrastrukturelle Versorgung bieten größtmögliche Benützerfreundlichkeit. Änderungen
der Verfügbarkeit und Benützung von Medien (von analog zu digital) und neue
Curricula
erfordern
Universitätsbibliothek
entsprechende
begegnet
Lerndieser
und
Arbeitsumgebungen.
Herausforderung
mit
Die
flexibler
Raumbewirtschaftung und -gestaltung und trägt dadurch zur weiteren Verbesserung der
Studienbedingungen
bei.
Diesem
differenzierten
Raumangebot
entsprechen
unterschiedliche Öffnungszeiten und die jeweilige Verfügbarkeit bestimmter Services,
wie etwa qualifizierte Beratung.
Die UB Wien als Teaching Library
Die Universitätsbibliothek fungiert als Teaching Library für die Angehörigen der
Universität Wien. Sie ist im Bereich Information und Informationskompetenz in die
Curricula der Bachelor-, Master- und Doktorats- bzw. PhD-Studiengänge aller
Fachbereiche integriert. Informationskompetenz wird dabei als Schlüsselqualifikation
der modernen Informationsgesellschaft angesehen, die ein entscheidender Faktor für
99
den Erfolg in Studium, Forschung und Beruf darstellt. Die Expertinnen und Experten
der Universitätsbibliothek bieten im Rahmen des universitären Lehrangebots
modularisierte Kurse zur Vermittlung von Informationskompetenz mit Lernzielen und
Inhalten, die für jedes Fach Gültigkeit haben und durch fachspezifische Module ergänzt
werden können. Zudem ist die Universitätsbibliothek mit ihrem Kursangebot in der
Personalentwicklung der Universität Wien vertreten und veranstaltet weiterhin
zielgruppenspezifisch eigene Schulungen. Für die zeit- und ortsunabhängige
selbstständige Kompetenzaneignung sind interaktive Online-Tutorials als eigenständige
multimediale Lerneinheiten eingerichtet. Das digitale Informationsangebot der
Bibliothek ist über Schnittstellen direkt mit den in der Universität Wien eingesetzten
Lernplattformen vernetzt.
Die UB Wien als Learning Library
Angesichts der rasanten Dynamik des zukunftsmächtigen Informationsmarkts ist die
Bibliothek als Organisation und in der Folge das bibliothekarische Berufsbild massiven
Veränderungen
ausgesetzt.
Diese
Veränderungsprozesse
fordern
von
den
Bibliothekarinnen und Bibliothekaren in vielen Fällen gesteigerte und teilweise
hochgradig spezialisierte Fachkompetenz, weitreichende Schlüsselqualifikationen und
ausgeprägte Flexibilität. Vor dem Hintergrund dieses Befunds ist besonders auf die
exzellente Ausbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu achten und für
kontinuierliche Fort- und Weiterbildung zu sorgen. Komplementär zu dieser
individuellen Kompetenzerweiterung ist Lernen auch auf organisationaler Ebene zu
situieren, um nachhaltigen Erfolg sicherzustellen. Insofern versteht sich die
Universitätsbibliothek als Lernende Organisation. Ausgehend von klaren Visionen,
Zielen und Strategien sowie der grundsätzlichen Orientierung am Nutzen der
Kundinnen und Kunden fördert ein partizipativer Führungsstil projekt- und
teamorientiertes Arbeiten. Die Personal- und Organisationsentwicklung ist an der
Erreichung der Organisationsziele ausgerichtet. Die Organisationskultur zeichnet sich
durch Kooperations- und Konfliktlösungsfähigkeit, wechselseitiges Vertrauen und
Teamgeist, Unterstützung neuer Ideen, Belohnung von Engagement, konstruktive
Fehlerkultur und transparente interne Kommunikation aus.
100
4.2. Rahmenbedingungen und relevante Umwelten
4.2.1. Gesetzliche Rahmenbedingungen
Die Organisation von Universitäten ist in Österreich durch das Universitätsgesetz 2002
(UG 2002) geregelt. Dieses österreichische Bundesgesetz wurde erstmals im
Bundesgesetzblatt I Nr. 120/2002 kund gemacht. 129 Im Unterschied zu den
Vorgängergesetzen UOG 1975 und UOG 1993 enthält das UG 2002 keine direkten
Regelungen des Bibliothekswesens an der Universität, die Existenz einer UB geht bloß
implizit aus einzelnen Gesetzesformulierungen hervor. Auch in Zukunft scheint die
Gesetzgebung als mögliche Rahmenbedingung der Strategieausrichtung der UB Wien
eher sekundär zu sein, da die Tendenz der Legislative klar gezeigt hat, dass die
Regelungsdichte in Bezug auf Universitätsbibliotheken kontinuierlich abnimmt. Zudem
ist zu bedenken, dass eine Reihe von Gesetzen die bibliothekarische Arbeit direkt
mitbestimmt (z. B. Mediengesetz und Urheberrechtsgesetz) und dass in Österreich im
Unterschied etwa zu manchen deutschen Bundesländern kein eigenes Bibliotheksgesetz
ausformuliert ist.
4.2.2. Inneruniversitäre Rahmenbedingungen
Universität Wien
Die Universität Wien hat als Instrument zur Planung ihrer strategischen Ausrichtung
einen Entwicklungsplan formuliert, der vor allem Zielsetzungen im Hinblick auf die
Gestaltung von Forschung und Lehre im europäischen Kontext beinhaltet. 130 Nach dem
Prinzip der rollierenden Planung wird etwa einmal jährlich auf gesamtuniversitärer
Ebene sowie in den Fakultäten und Zentren die Entwicklungsplanung überprüft und
gegebenenfalls angepasst. Der Planungshorizont des Entwicklungsplans reicht aktuell
129
Vgl. http://www.bmwf.gv.at/wissenschaft/national/gesetze/organisationsrecht/ug_2002/; zuletzt
aufgerufen: 20. September 2010.
130
Universität
Wien
2012.
Entwicklungsplan
der
Universität
Wien;
http://www.univie.ac.at/rektorenteam/ug2002/entwicklung.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010.
101
bis ins Jahr 2012. Da die Dienstleistungseinrichtungen der Universität Wien nicht
berücksichtigt werden, hat der Entwicklungsplan für die Strategieentwicklung der UB
keine unmittelbare Konsequenz. Für den operativen Bereich ist er insofern wichtig, als
er Schwerpunkte in Forschung und Lehre definiert, die auch entsprechend in der
Organisationsentwicklung der UB Wien zu berücksichtigen sind.
Die DLE Bibliotheks- und Archivwesen kooperiert eng mit den anderen
Dienstleistungseinrichtungen der Universität Wien, vor allem mit dem Zentralen
Informatikdienst (ZID), der DLE Personalwesen und Frauenförderung und der DLE
Öffentlichkeitsarbeit und Veranstaltungsmanagement und mit spezifischen Abteilungen,
vor allem der Besonderen Einrichtung für Qualitätssicherung oder auch dem Center for
Teaching and Learning.
In der Zielvereinbarung 2009 zwischen dem Rektorat der Universität Wien und der
Leitung der DLE Bibliotheks- und Archivwesen wurde festgelegt, dass „die UBLeitung bis Oktober 2009 ein Zukunftskonzept der UB zu entwickeln und dem Rektorat
vorzulegen“ hat.
Bologna-Prozess und Europäischer Hochschulraum
Der Bologna-Prozess ist ein europäisches Projekt, das in den späten 1990er Jahren
entwickelt wurde. Neben der Förderung der Mobilität von Forschenden, Lehrenden und
Studierenden soll vor allem die internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas und des
europäischen Hochschulsystems gesteigert werden. Im Juni 1999 fand die
Unterzeichnung
der
Bologna-Erklärung
während
einer
Konferenz
von
Bildungsministerinnen und Bildungsministern aus 29 europäischen Staaten in Bologna
statt. Die Bologna-Erklärung setzte sich zum Ziel, bis zum Jahr 2010 einen
gemeinsamen Europäischen Hochschulraum zu verwirklichen.
Kernpunkte
der
Bologna-Erklärung
waren
die
Schaffung
eines
gestuften
Studiensystems leicht verständlicher und vergleichbarer Abschlüsse, die Verwendung
von ECTS (European Credit Transfer and Accumulation System) oder eines ähnlichen
Kreditpunktesystems, die Förderung von Mobilität, Flexibilität und Qualitätssicherung,
wie die Betonung einer europäischen Dimension in der Hochschulbildung.
Auf Universitätsbibliotheken hat der Bologna-Prozess vor allem zwei Konsequenzen,
die bei der Strategieentwicklung der UB Wien auch zu berücksichtigen sind. Erstens
intensiviert der Bologna-Prozess die universitäre Vermittlung von berufsfeldorientierten
102
bzw.
allgemein
berufsbefähigenden
Kompetenzen.
Da
zu
diesen
Schlüsselqualifikationen auch Informations- und Medienkompetenz gezählt werden,
bietet sich für Universitätsbibliotheken die Chance, im Rahmen der Teaching Library
im Curriculum als Kursanbieter vertreten zu sein. 131 Zweitens tendiert das dreistufige
Studienmodell (Bachelor – Master – PhD) zu einer starken Standardisierung und
Verschulung der Lehre. Für Universitätsbibliotheken macht das den Medienbedarf vor
allem der Undergraduate-Studierenden wesentlich kalkulierbarer und damit auch
begrenzbar.
Gut
bestückte
physische
und
in
Zukunft
auch
virtuelle
Lehrbuchsammlungen tragen damit zum Studienerfolg unter den derart normierten
Lehrbedingungen bei.
4.2.3. Erfolgskritische außeruniversitäre Umwelten
Dynamik des Informationsmarkts und Bibliotheken im Ausdifferenzierungsprozess
Wie bereits dargestellt, bewegen sich Bibliotheken momentan aufgrund der Dynamik
des Informationsmarkts mit neuen Playern – Stichwort „Google“ – sowie neuen
Technologien – Stichwort „Web 2.0 und 3.0“ – und aufgrund sinkender Etats vor allem
bei den Erwerbungsmitteln in einem verschärften Ausdifferenzierungsprozess. Nur
mehr wenige Bibliotheken werden in Zukunft als Voll- und Universalbibliotheken
sämtliche bibliothekarische Aufgabenbereiche abdecken können. Die meisten werden
sich in Kooperation mit anderen Informationseinrichtungen je spezifisch profilieren.
Die UB Wien hat sich im Rahmen ihres Strategieentwicklungsprozesses auch dieser
Profilierungsfrage systemisch zu stellen.
Bibliotheksstandort Wien
Im Zuge der Globalisierung des Informationsmarkts wird der Standortfaktor von
Bibliotheken vor dem Hintergrund der wachsenden digitalen Informationsversorgung
zunehmend sekundär. Im Bereich der Kulturwissenschaften ist allerdings zu erwarten,
131
Vgl. z. B. HIS-Workshop „Der Beitrag der Bibliotheken zum Bologna-Prozess“. Hannover, 22.
Februar 2007. Vermittlung der Schlüsselqualifikationen Informations- und Medienkompetenz in den
neuen Studiengängen. Ziele, Anforderungen, Konzepte, Strategien – am Beispiel ausgewählter
Hochschulbibliotheken (UB Freiburg u. a.);
http://www.his.de/publikation/seminar/bibliotheken/Vermittlung.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September
2010.
103
dass das physische Buch mittel- bis langfristig nicht virtuell substituiert wird. Zudem
spielen die Bibliotheksräume als physische Kommunikations- und Lernorte eine immer
größere
Rolle.
Insofern
ist
auch
der
Bibliotheksstandortfaktor
Wien
im
Strategieentwicklungsprozess der UB Wien zu berücksichtigen. Dieser Standort
zeichnet sich durch eine hohe Bibliotheksdichte aus, wobei vor allem die
Österreichische
Nationalbibliothek,
die
Wienbibliothek
im
Rathaus,
andere
Universitätsbibliotheken der fachlich spezialisierten Universitäten (z. B. Technische
Universität, Wirtschaftsuniversität) und eingeschränkt auch die Büchereien der Stadt
Wien für die UB Wien im Aktionsradius von Kooperation bis Konkurrenz relevant sind.
Benützerinnen und Benützer als Digital Immigrants und Digital Natives
Um am hoch kompetitiv gewordenen Informationsmarkt bestehen zu können, ist die
spezifische Erwartungshaltung der Nachfrage zu berücksichtigen. Besonders folgende
Qualitäten werden benützerseitig von der Ware „Information“ gefordert: Aktualität,
Vollständigkeit und Kontinuität; Qualität und Authentizität; strukturierte Erschließung;
dauerhafte, orts- und zeitunabhängige sowie möglichst kostenfreie bzw. kostengünstige
Zugänglichkeit;
hoher
Schnittstellenkomfort
(unmittelbar,
schnell,
benützungsfreundlich).
Zudem ist zu bedenken, dass Universitätsbibliotheken unmittelbar davor stehen, die
Angehörigen der Google Generation, also die nach 1993 Geborenen, zu ihrer primären
Nutzergruppe zu zählen. Diese Digital Natives sind mit dem Internet in all seinen
Facetten aufgewachsen und unterscheiden sich in ihrem Informationsverhalten
(Information Behavio[u]r) deutlich von den Digital Immigrants. So wird es für
Bibliotheken immer wichtiger, sich mit dem spezifischen Informationsverhalten dieses
Personenkreises auseinandersetzen und es bei der Erstellung ihres eigenen
Leistungsangebots zu berücksichtigen. Das Bibliothekswesen kann dabei auf die
Ergebnisse eines relativ jungen Forschungsfelds der Informationswissenschaft
rekurrieren, 132 bzw. es werden auch eigene Untersuchungen durchgeführt. 133
132
Vgl. z. B. New Directions in Human Information Behavior. Hg. von Amanda Spink and Charles Cole.
Dordrecht: Springer 2005 (= Information Science and Knowledge Management 8).
133
Vgl. Perceptions of Libraries and Information Resources. A Report to the OCLC Membership. Dublin
/
Ohio:
OCLC
Online
Computer
Library
Center,
Inc.
2005;
http://www.oclc.org/reports/pdfs/Percept_all.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010; Information
Behaviour of the Researcher of the Future. A Ciber Briefing Paper. London: University College London
2008;
http://www.jisc.ac.uk/media/documents/programmes/reppres/gg_final_keynote_11012008.pdf;
zuletzt aufgerufen: 20. September 2010; vgl. dazu Urs Naegeli: „Key findings“ aus aktuellen
104
Unterstützt wird dieses bibliothekarische Interesse am Informationsverhalten ihrer
Kundschaft von dem Trend, die Kundinnen und Kunden zunehmend in die
Produktentwicklung und -gestaltung der Bibliotheken zu integrieren. 134 Auch diese
Beobachtungen
bzw.
Entwicklungen
hat
die
UB
Wien
bei
ihrem
Strategieentwicklungsprozess zu beachten.
4.2.4. Systemische Konsequenzen
Aus den kurz skizzierten Rahmenbedingungen und Umwelten ergeben sich markante
systemische Konsequenzen für den Strategieentwicklungsprozess. Vor allem kann nicht
mehr von einem stabilen und vertrauten Bild von Bibliothek ausgegangen werden,
sondern vom Informationsmarkt mit seiner Dynamik, seinen Produktivfaktoren,
Technologien, Strukturen, Akteurinnen und Akteuren sowie Umwelten, wobei für den
Informationsmarkt bzw. die Informationsteilmärkte mehrere alternative Zukunftsbilder
denkbar sind. Für den für die Strategieentwicklung relevanten Prognosezeitraum von
fünf bis zehn Jahren sind vor allem folgende Bereiche zu berücksichtigen:
•
Technologische Entwicklungsperspektiven, vor allem im Bereich Internet und
Medien (z. B. Web 2.0, Web 3.0, Semantic Web)
•
Medienhistorische Perspektiven (z. B. Konvergenz von Print-, Audio- und
audiovisuellen Medien hin zu multimedialen Angeboten)
•
Tendenzen im Bildungs- und Wissenssystem (z. B. E-Learning und neue
Lernkultur, Zukunft der Universität)
•
Veränderung im Medienverhalten und in der Informationsverbreitung (z. B.
Verschiebung der traditionellen Rollenverteilung zwischen Wissensproduktion
und Wissenskonsumation, Wissensportale, Wikipedia)
Nutzerstudien zum Informationsverhalten der „Google generation“ oder: Leidet die „Google generation“
an Informationsmangel? In: Bibliotheken und Dokumentationszentren als Unternehmen: Antworten von
Bibliotheken und Dokumentationszentren auf die Herausforderungen der digitalen Gesellschaft. Chur:
Arbeitsbereich Informationswissenschaft 2009 (= Churer Schriften zur Informationswissenschaft 30), S.
6–20; http://www.fh-htwchur.ch/uploads/media/CSI_30_FachtagungBIS.pdf; zuletzt aufgerufen: 20.
September 2010.
134
Vgl. in allgemeiner Perspektive: Produktentwicklung mit virtuellen Communities. Kundenwünsche
erfahren und Innovationen realisieren. Hg. von Cornelius Herstatt und Jan G. Sander. Wiesbaden: Gabler
2004.
105
•
Neuordnung des wissenschaftlichen Publikationswesens (z. B. Open Access
Initiative)
•
Entwicklung des Urheberrechts (z. B. Digital Rights Management)
•
Programme
von
„Wissenschaftliche
Deutschen
Fördergebern
auf
nationaler
Literaturversorgungs-
Forschungsgemeinschaft)
und
und
(z.
B.
Förderschiene
Informationssysteme“
internationaler
Ebene
(z.
der
B.
Aktionsplan eEurope 2005, 6. und 7. EU-Forschungsrahmenprogramm, EUInitiative i2010)
•
Konkrete laufende Pilotprojekte im Informations- und Mediensektor
•
Neue Forschungsrichtungen (z. B. die gerade im Entstehen begriffene WebWissenschaft)
4.3. Initiierung und Grundausrichtung
Nach der erfolgreichen Bewältigung der dargestellten Vorarbeiten hat die DLE-Leitung
Mitte 2008 entschieden, den Strategieentwicklungsprozess mit Ende des Jahres 2008
einzuleiten und konsequent zu betreiben. In dem mit dem Rektorat geführten
Zielvereinbarungsgespräch für das Jahr 2009 wurde der Strategieentwicklungsprozess
bestätigt und festgeschrieben, und es konnten die für die Finanzierung der
Beratungsfirma notwendigen Budgetmittel gesichert werden.
Als Grundausrichtung wurde von der DLE-Leitung definiert: Der Prozess sollte die
gesamte DLE umfassen, also die Universitätsbibliothek und das Universitätsarchiv. Er
sollte realitätsnah und nachhaltig angelegt sein, potentiell alle Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter einbeziehen, offen sein, um Kreativität zu fördern, und insofern komplex
sein, als die relevanten Umwelten zu bedenken sind. Von der DLE-Leitung wurde als zu
behandelnde Frage einzig die Thematisierung der institutionellen Zugehörigkeit der UB
Wien zur Universität Wien ausgeklammert, die für die gegenwärtige Situation als
unproduktiv erachtet wurde. Das Hauptgewicht der Strategieentwicklung sollte auf der
Prozessualität liegen, um möglichst die Organisationskultur zu optimieren. Nach der
erfolgreichen Kontaktnahme mit der Beratungsfirma von Barbara Kienast und Günther
Kienast (Kienast & Kienast; http://www.kienast-kienast.at/), Kostenvoranschlag und
106
Zuschlag wurden in Gesprächen zwischen der DLE-Leitung und der externen
Begleitung die Zielsetzung und der Prozess definiert und konkretisiert.
4.4. Zielsetzung und Prozess
4.4.1. Zielsetzung
Zentrales
Ziel
ist
die
Erarbeitung
von
Vision,
Mission,
erfolgskritischen
Handlungsfeldern, mittelfristigen Zielen und entsprechenden Strategien sowie
Maßnahmen für die DLE Bibliotheks- und Archivwesen. Der Prozess ist ausgeprägt
partizipatorisch anzulegen, um allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Möglichkeit
der Mitgestaltung zu geben.
4.4.2. Struktur
Um diese Zielsetzung erreichen zu können, werden folgende Gremien bzw.
Arbeitsformen eingerichtet:
Entscheidungsteam
Das Entscheidungsteam, das aus der DLE-Leitung besteht, entscheidet über die
Meilensteine des Prozesses und über die Ergebnisse auf der Basis der Empfehlungen
aus der Steuerungsgruppe.
Steuerungsgruppe
Die Steuerungsgruppe lenkt gemeinsam mit der externen Begleitung den gesamten
Strategieentwicklungsprozess
auf
der
Basis
der
Entscheidungen
des
Entscheidungsteams. Diese Steuerung bezieht sich sowohl auf die Inhalte als auch auf
die
Prozessgestaltung.
Sie
ist
auch
mitverantwortlich
für
die
auf
den
Entwicklungsprozess bezogene Kommunikationsarbeit hin zu den anderen Mitgliedern
der
Organisation.
Sie
bereitet
Unterlagen
für
die
Entscheidungen
des
Entscheidungsteams (sowohl hinsichtlich der Inhalte als auch der Prozessgestaltung)
107
vor. Die Steuerungsgruppe erteilt in Abstimmung mit dem Entscheidungsteam
Arbeitsaufträge (Projektaufträge) an erforderliche Arbeitsgruppen, die ihre Ergebnisse
wiederum in die Steuerungsgruppe einbringen.
Um den Prozess möglichst breit in Bibliothek und Archiv zu verankern, hat das
Entscheidungsteam die Steuerungsgruppe so zusammengesetzt, dass die gesamte DLE
mit ihren unterschiedlichen Subeinheiten und Arbeitsbereichen optimal repräsentiert ist.
Zudem wurde darauf geachtet, eine gute Verteilung bei Alter, Berufserfahrung und
Geschlecht zu erreichen und sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter ohne Führungsverantwortung einzubinden.
Arbeitsgruppen
Arbeitsgruppen
sind
in
ihrer
Zusammensetzung
gemischte
Gruppen,
die
Teilthemenbereiche im Auftrag der Steuerungsgruppe bearbeiten.
Großgruppen
Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der DLE Bibliotheks- und Archivwesen sind
eingeladen, im Rahmen von Großgruppen an der Erarbeitung der Vision, Mission,
Handlungsfelder usw. mitzuwirken.
4.4.3. Verlauf
Konstitution der Steuerungsgruppe und erste Arbeiten
Entsprechend den erwähnten Kriterien hat das Entscheidungsteam im Frühjahr 2009 14
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der DLE Bibliotheks- und Archivwesen als Mitglieder
in die Steuerungsgruppe nominiert. Die Delegation war ausdrücklich freiwillig und
wurde von allen Betroffenen angenommen. Bald allerdings zeigte sich, dass die
Arbeitstreffen der Steuerungsgruppe so bibliothekslastig waren, dass der Delegierte des
Universitätsarchivs auf eigenen Wunsch das Gremium verlassen hat. Damit war eine
selbst gesetzte Zielvorgabe, nämlich die Beteiligung von Bibliothek und Archiv, zu
korrigieren. Das Universitätsarchiv hat in der Folge ein eigenes Strategiepapier
erarbeitet.
108
Am 26. März 2009 hat sich die Steuerungsgruppe zum ersten Mal getroffen und unter
der Moderation von Kienast & Kienast ihre Arbeit aufgenommen. Es folgten weitere
Treffen, teilweise unter Beteiligung des Entscheidungsteams. Die Aufgaben dieser
Treffen bestanden in der Prozessplanung, der inhaltlichen Strukturierung der
Strategieentwicklung und Identifikation ihrer Bausteine sowie der Vorbereitung des
ersten Großgruppentags.
Erster Großgruppentag
Der erste Großgruppentag fand am 2. Juli 2009 in den Räumlichkeiten des Juridicums
der Universität Wien – dem Gebäude der Fakultät für Rechtswissenschaften und der
Fachbereichsbibliothek Rechtswissenschaften – statt. Um allen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, an diesem Ereignis, das in Anlehnung an die
Methode „Open Space“ gestaltet war, teilzunehmen, und um die Priorität des
Strategieentwicklungsprozesses intern zu kommunizieren, hat die DLE-Leitung an
diesem Tag sämtliche Benützungsbereiche der UB Wien geschlossen. Der erste
Großgruppentag wurde zum vollen Erfolg. Etwa 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
der UB Wien haben im Rahmen von 26 Workshops teilgenommen und kooperativ
zahlreiche und qualitativ hochwertige Ergebnisse erarbeitet, ein eventueller Protest der
Benützerinnen und Benützer der Bibliothek wegen der Bibliotheksschließung ist fast
gänzlich ausgeblieben.
Aufgabe des ersten Großgruppentags war es, Visionen, Ziele, Handlungsfelder und
Lösungsansätze für die Zukunft zu sammeln und zu diskutieren, neue kooperative und
dialogorientierte Arbeitsformen gemeinsam zu praktizieren und einander besser kennen
zu lernen.
Treffen der Steuerungsgruppe
Zwischen erstem und zweitem Großgruppentag haben sich die Steuerungsgruppe und
die externe Beratung unter teilweiser Beteiligung des Entscheidungsteams mehrmals
getroffen. Die Aufgaben dieser Treffen waren die Sichtung und Bündelung der
umfangreichen Ergebnisse des ersten Großgruppentags, die Zuordnung der in der
Bibliothek bereits laufenden Projekte zu den Handlungsfeldern, eine erste Formulierung
einer kohärenten Vision, die weitere Prozessplanung und die Vorbereitung des zweiten
Großgruppentags. So hat die Steuerungsgruppe auf der Basis der Ergebnisse des ersten
109
Großgruppentags elf Handlungsfelder definiert und dazu elf Vorbereitungsgruppen
einberufen, die mit 15. Juli 2009 starteten und mit 31. August 2009 ihre Ergebnisse
vorzulegen hatten:
1. Organisationskultur
2. Organisationsstruktur
3. Soziale, wirtschaftliche und ökologische Verantwortung / Corporate Social
Responsibility (CSR)
4. Budget – Infrastruktur – Räume
5. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
6. Bestand
7. Services und neue Aufgaben
8. Kooperationen
9. Benützerinnen und Benützer
10. Wissens- und Informationsvermittlung
11. Öffentlichkeitsarbeit
Die elf Vorbereitungsgruppen hatten konkret den Auftrag, zu den elf Handlungsfeldern
jeweils Mission Statements und Strategiefelder auszuarbeiten. Dabei waren jedem
Handlungsfeld ein Mission Statement und mehrere Strategiefelder zuzuordnen. Zu
jedem der elf Handlungsfelder sollte in weiterer Folge jeweils von der
Steuerungsgruppe
ein
Arbeitsauftrag
für
mit
Oktober
2009
einzurichtenden
Arbeitsgruppen formuliert sein.
Zweiter Großgruppentag
Der zweite Großgruppentag fand am 22. September 2009 im Juridicum statt, wobei
wieder alle Benützungsbereiche der UB Wien geschlossen wurden. Auch der zweite
Großgruppentag, an dem ebenfalls etwa 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
teilgenommen haben, geriet zum großen Erfolg.
Aufgabe des zweiten Großgruppentags war es, die von der Steuerungsgruppe
gebündelten Ergebnisse der Arbeitsgruppen in Workshops weiter zu entwickeln und zu
präzisieren.
110
Treffen der Steuerungsgruppe
Nach dem zweiten Großgruppentag haben sich die Steuerungsgruppe und die externe
Beratung unter teilweiser Beteiligung des Entscheidungsteams erneut mehrmals
getroffen. Die beiden Aufgaben dieser Treffen waren erstens die Ausformulierung des
Strategieentwicklungskonzepts für das Rektorat und zweitens die Vorbereitung von
sogenannten Prototypengruppen, die ausgehend von den Arbeitsgruppen zu den elf
Handlungsfeldern gebildet wurden.
Strategieentwicklungskonzept
Im Oktober 2009 legte die Steuerungsgruppe ihr Strategieentwicklungskonzept vor, das
nun mit dem Entscheidungsteam diskutiert und partiell modifiziert wurde. Wie im
Zielvereinbarungsgespräch für 2009 mit dem Rektorat vereinbart, wurde es beim
Rektorat als Diskussionsbasis für das Zielvereinbarungsgespräch für 2010 eingebracht.
Es versteht sich als Startschuss für zahlreiche (kurzfristig realisierbare) Maßnahmen.
Deren Umsetzung erfolgte nun in den nächsten Monaten bis Mitte 2010. In diesem
Zeitraum wurden noch weitere Umsetzungsmaßnahmen ausgearbeitet und zukünftige
Entwicklungslinien aufgezeigt.
Prototypen
Bei der Implementierung von Prototypen in den Strategieentwicklungsprozess wurde
der Theorie U des Management- und Organisationstheoretikers sowie Forschers am
Massachusetts Institute of Technology (MIT) Claus Otto Scharmer gefolgt. 135 Mit
seiner Theorie U zeigt Scharmer auf, in welchen Hinsichten internalisierte traditionelle
Theorien und Methoden, Veränderungsprozesse zu initiieren, zu gestalten und zu
moderieren, blind sind. Eine solche Blindheit liege darin, dass nicht gesehen werde,
dass die Haltung von Veränderungsagenten zentral ist. Die innere Haltung bestimme
letztlich den Erfolg. Dabei werden sieben Prozesse unterschieden, die die Haltung
beeinflussen und damit auch soziale Kommunikationsprozesse letztlich strukturieren:
1. Runterladen [Downloaden]: Muster der Vergangenheit wiederholen sich
– die Welt wird mit den Augen gewohnheitsmäßigen Denkens betrachtet.
135
Vgl. C. Otto Scharmer: Theorie U. Von der Zukunft her führen. Heidelberg: Auer 2009.
111
2. Hinschauen [Seeing]: Ein mitgebrachtes Urteil loslassen und die Realität
mit frischem Blick betrachten – das beobachtete System wird also von
dem Beobachter getrennt wahrgenommen.
3. Hinspüren [Sensing]: Sich mit dem Feld verbinden, eintauchen und die
Situation aus dem Ganzen heraus betrachten – die Grenze zwischen
Beobachter und Beobachteten verschwimmt, das System nimmt sich
selber wahr.
4. Anwesend werden [Gegenwärtigung bzw. Presencing]: sich mit dem
Quellort – dem inneren Ort der Stille – verbinden, von dem aus die im
Entstehen begriffene Zukunft wahrnehmbar werden kann.
5. Verdichten [Kristallisieren] der Vision und Intention – Kristallisieren
und Bewusstmachen der Intention und Vision, die aus der Verbindung zu
diesem tieferen Quellort entstehen.
6. Erproben [Prototyping] des Neuen in Prototypen, in denen die Zukunft
durch praktisches Tun gemeinsam erkundet und entwickelt wird.
7. Das Neue praktisch anwenden und institutionell verkörpern [in die Welt
bringen bzw. Performing]: das Neue durch beispielsweise Infrastrukturen
und Alltagspraktiken in eine Form bringen. 136
Auf den laufenden Strategieentwicklungsprozess der UB Wien gewendet, ist dieses
Modell zum gegenwärtigen Verlaufszeitpunkt der Entwicklung von Prototypen wie
folgt zu verstehen: Mit den Vorarbeiten der Steuerungsgruppe und dem ersten
Großgruppentag wurde der Bereich „Runterladen“ abgearbeitet. Das eigene Feld, die
eigene Umgebung, die jetzige Situation wurde wahrgenommen. Die Beteiligten haben
sich selbst in Bewegung gebracht, ihre Perspektive der eigenen Wahrnehmung erweitert
und sich schließlich von dem üblichen „Downloading“ verabschiedet. Ebenfalls bereits
abgeschlossen sind „Hinschauen“ und „Hinspüren“ (erster Workshop am zweiten
Großgruppentag)
und
„Anwesend
werden“
(zweiter
Workshop
am
zweiten
Großgruppentag). Neben dem „Kristallisieren“, das mit der Entwicklung der Prototypen
erreicht wurde, stehen 2010 die Aspekte „Erproben“ und „Das Neue praktisch
anwenden und institutionell verkörpern“ am Plan. In diesen letzten Phasen geht es um
die Umsetzung. Das Neue erscheint zuerst vielleicht nur in einem Bild oder einem Satz.
Damit das Neue realisiert werden kann, muss es sich zu einem konkreten Bild
verdichten, das in einem ersten Prototyp möglichst rasch in die Tat umgesetzt wird,
noch nicht perfekt, sondern ausbau- und entwicklungsfähig. Es ist notwendig, zügig ins
Handeln zu kommen und einen neuen Gedanken umzusetzen und in die bestehende
Praxis einzubetten.
136
Ebd., S. 63.
112
Prototypengruppen
Um Handeln und Praxis rasch zu realisieren, wurden von der Steuerungsgruppe nach
Abstimmung mit dem Entscheidungsteam folgende elf Prototypen, die sich jeweils auf
Strategiefelder beziehen, definiert und Prototypengruppen, die die einzelnen
Versuchsprojekte zu bearbeiten hatten, gebildet:
1. Weg womit? (Strategiefeld: Bestand)
Geplant ist die Einrichtung einer Clearingstelle, in der es in erster Linie um eine
übergreifende Bestandsanalyse geht. Danach sollen ein Bestandsabbaukonzept und
verordnende und ausführende Richtlinien erstellt werden.
2. Bücher Arche Noah / E-Ark (Strategiefeld: Bestand)
Dieser Prototyp ist ein Folgeprototyp zum Prototyp „Weg womit?“. Im Rahmen von
„Bücher Arche Noah“ ist ein dezentrales Bücherdepot mit Bestellfunktion zu
konzipieren. Im Rahmen von „E-Ark“ werden die auszulagernden Bestände definiert,
wobei nur jene Bestände ausgelagert werden sollen, die es noch in einer anderen Form
(z. B. digital oder als Mikroform) gibt. Zudem soll eine Bedarfserhebung über
Räumlichkeiten
mit
optimalen
Verkehrsanbindungen
sowie
Lagerbedingungen
durchgeführt werden.
3. Workflow für E-Medien (Strategiefeld: Bestand)
Dieser Prototyp dient der internen und externen Kommunikation und Transparenz. Es
sollen Standards festgeschrieben werden für den Workflow für E-Medien, durch den
Arbeitsabläufe effizienter werden. Die Bestellung von E-Ressourcen soll vereinfacht
und die E-Medien sollen inhaltlich erschlossen werden.
4. Öffentlichkeitsarbeit up2date (Strategiefeld: Öffentlichkeitsarbeit)
Die Services und Leistungen der Öffentlichkeitsarbeit werden unter Nutzung
unterschiedlicher Medien zielgruppenorientiert bekannt gemacht. Alle PR-Aktivitäten
sollen professionell unterstützt werden, Fundraising bzw. die Lukrierung von
113
Drittmitteln soll ausgebaut werden. Die Öffentlichkeitsarbeit mit einem beständigen
Kernteam wird durch eine Basisgruppe (mit breiter Zusammensetzung) verstärkt.
5. P4L (Prototypes for Libraries) (Strategiefeld: Services und neue Aufgaben)
Es soll eine permanente Möglichkeit geboten werden, Prototypen zu entwickeln. An
wen kann man sich wenden, wenn man eine gute Idee hat, und welche Ressourcen
stehen für die Entwicklung zur Verfügung?
6. Job Visiting (Strategiefeld: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter)
Die Job Visite dient dazu, andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und deren
Arbeitsfelder kennenzulernen. Diese Visiten sollen auf freiwilliger Basis geschehen und
ermöglichen es, andere Abteilungen und Arbeitsaufgaben kennenzulernen.
7. Ein Sofa für jede Bibliothek (Strategiefeld: Benützerinnen und Benützer)
In allen Bibliotheken soll das gleiche Sofamodell aufgestellt werden, das als
Erkennungszeichen für die UB Wien als Wohlfühlort, Ort der Kommunikation und des
Austausches steht.
8. Online-Tutorials und Screen Casts (Strategiefeld: Benützerinnen und Benützer)
Online-Tutorials sollen angedacht werden und dann via Facebook und Twitter verbreitet
werden. Screen Casts werden gedreht und auf YouTube gestellt.
9. Fortbildungspass (Strategiefelder: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter / Wissens- und
Informationsvermittlung)
In modularer Form soll ein auf den Infodienst der Hauptbibliothek und der
Fachbereichsbibliotheken zugeschnittener Fortbildungspass eingeführt werden. Dieser
ist für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Infodienstes verpflichtend und muss in
einem gewissen Abstand aufgefrischt werden.
10. Mentoring (Strategiefelder: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter)
Jede neue Mitarbeiterin bzw. jeder neuer Mitarbeiter kann eine Kollegin bzw. einen
Kollegen als Mentorin bzw. Mentor zur Seite gestellt bekommen.
114
11. Bessere Zusammenarbeit (Strategiefeld: Organisationskultur)
Der Austausch und die Kommunikation zwischen diversen Abteilungen, Services und
Fachbereichsbibliotheken der UB Wien sollen ausgebaut und gestärkt werden.
Zur Mitarbeit an diesen Prototypen waren alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der UB
Wien eingeladen. Nach den erfolgten Anmeldungen wurden die Gruppen beauftragt,
ihre Prototypen mit 29. Jänner 2010 abzuschließen, so dass ab Februar Zeit zum
Erproben und Einbringen von Verbesserungen zur Verfügung steht. Im Gegensatz zu
Pilotprojekten – und das ist einer der Vorteile des Prototypenkonzepts – können
Prototypen bei einem negativen Ergebnis auch wieder verworfen werden. Der
Schwerpunkt bei der Prototypenentwicklung liegt im Erkunden und im Learning by
Doing.
Prototypen im Dialog
Im Sinn von Scharmers Punkt „Erproben“ haben die Prototypengruppen Dialogrunden
einberufen, zu denen UB-interne und -externe Expertinnen und Experten eingeladen
wurden. Bei diesen Meetings wurden die einzelnen Prototypen vorgestellt und der
Expertise der Gäste ausgesetzt. Dabei wurden die Prototypen in anregenden und
abwechslungsreichen Diskussionen erprobt und gegebenenfalls auch modifiziert und
auch weiter präzisiert und konkretisiert.
Präsentation der Prototypen
Am 17. Februar 2010 wurden im Juridicum von den elf Entwicklungsgruppen ihre elf
Prototypen vorgestellt. An dieser halbtägigen Veranstaltung haben etwa 100
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der UB Wien teilgenommen.
Prototypen in der Praxis
Im Sinn von Scharmers „Das Neue praktisch anwenden und institutionell verkörpern“
werden die Prototypen nach der Schlusspräsentation in der Praxis unter realen
Bedingungen getestet. Die Praxis zeigte, dass die Prototypen je nach Intensität ihrer
Beschäftigung und auch Komplexität ihrer Aufgabenstellung unterschiedliche
Entwicklungsgeschwindigkeiten eingeschlagen hatten. Manche Prototypen konnten
115
unmittelbar nach ihrer Präsentation und Diskussion im Februar 2010 in Test gehen,
manche befinden sich noch in der Konzeptionsphase.
Zwei Beispiele aus dem Handlungsfeld „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ sollen diese
unterschiedliche Umsetzungsschnelligkeit veranschaulichen: der bereits in der
Organisationspraxis umgesetzte Prototyp „Job Visiting“ und der noch in Planung
befindliche Prototyp „Mentoring“. Die Steuerungsgruppe hat die Aufgabe, diese
organisationalen Ungleichzeitigkeiten auszugleichen.
Zum Thema „Job Visiting“ hat eine siebenköpfige Prototypengruppe seit Oktober 2009
daran gearbeitet, diese Idee in ein Pilotprojekt umzusetzen. Dabei wurden Zielsetzung,
Rahmenbedingungen
und
Verfahrensweisen
abgeklärt
und
innerhalb
von
Dialoggruppen die für die Realisierung notwendigen Personen miteinbezogen. Nach
dem Commitment der Verantwortlichen und Zuständigen wurde der Prototyp innerhalb
der UB über verschiedene Kommunikationskanäle (z. B. Intranet, Newsletter)
beworben. Mit Juni 2010 startete der Prototyp in der Praxis und wird seither intensiv
genützt. Die Prototypengruppe steht während dieser Testphase als Auskunfts- und
Unterstützungsinstanz zur Verfügung und sammelt die für die Evaluation notwendigen
Informationen, wobei die Evaluation dann über eine dauerhafte Implementierung in der
Bibliothek entscheiden wird.
Im Unterschied zum Prototyp „Job Visiting“ ist „Mentoring“ noch nicht in die Phase
der Umsetzung eingetreten, sondern befindet sich derzeit im Erproben. Hier zeigte sich,
dass ausführlichere Vorbereitungsarbeiten mit der Abteilung für Personalentwicklung
der Universität notwendig sind, um ein Schulungsangebot für die Mentorinnen und
Mentoren zu entwerfen und aufzustellen. Denn erst nach dem Absolvieren einer solchen
Schulung können Bibliotheksangehörige erfolgversprechend als Mentorinnen und
Mentoren fungieren. In realistischer Einschätzung wird sich der Start von Mentoring an
der UB Wien in das Frühjahr 2011 verschieben.
Weiterführung des Prozesses und personelle Erneuerung der Steuerungsgruppe
In der Zielvereinbarung zwischen der Leitung der DLE Bibliotheks- und Archivwesen
und dem Rektorat der Universität Wien für das Jahr 2010 konnte vereinbart werden,
dass der Strategieentwicklungsprozesse weitergeführt und auch budgetiert wird. Die
Beratungsfirma Kienast & Kienast wurde dazu wieder als externe Begleitung
gewonnen. Außerdem wurde in der Zielvereinbarung beschlossen, dass der
116
Strategieentwicklungsprozess im Rahmen der für das Jahr 2010 vorgenommenen PeerEvaluation der DLE Bibliotheks- und Archivwesen evaluiert wird.
Auf Initiative der Steuerungsgruppe hat das Entscheidungsteam mit Mitte 2010 etwa die
Hälfte der Mitglieder dieses Lenkungsgremiums ausgetauscht. Diese Rotation erfolgte
bei einem Treffen der Steuerungsgruppe, des Entscheidungsteams und der externen
Beratung am 28. Juni 2010. Da die Mitarbeit in der Steuerungsgruppe von der UBLeitung auch als Personalentwicklungsmaßnahme angesehen wird, gibt das die
Möglichkeit, neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entsprechend zu fördern. Weiters
werden die über einen längeren Zeitraum engagierten Mitglieder durch ihr Ausscheiden
wieder für andere Aufgaben frei gespielt. Zudem wird eine neue Dynamik in die
Steuerungsgruppe hineingetragen. Als nächste Aufgabe kommt auf diese aktualisierte
Steuerungsgruppe die Evaluation der Prototypen zu.
4.5. Nächste Schritte
4.5.1. Evaluation der Prototypen durch die Steuerungsgruppe
In weiterer Folge ist geplant, dass die Steuerungsgruppe in Abstimmung mit dem
Entscheidungsteam die Ergebnisse der Praxiserprobung der Prototypen nach einer rund
viermonatigen Laufzeit im Herbst 2010 evaluiert und prüft, ob eine Weiterführung des
jeweiligen Prototyps im Regelbetrieb der UB Wien möglich bzw. sinnvoll ist. Aus
dieser Evaluation werden die nächsten konkreten Schritte abgeleitet.
4.5.2. Evaluation der Strategieentwicklung durch die Peer-Evaluation
Im Rahmen des siebenjährigen Zyklus der Evaluation von Dienstleistungseinrichtungen
und Stabsstellen an der Universität Wien wird die UB Wien im Jahr 2010 evaluiert.
Unterstützt wird die Evaluation von der Besonderen Einrichtung für Qualitätssicherung
der Universität Wien. Die Evaluierung von Dienstleistungseinrichtungen und anderen
administrativen Einheiten erfolgt in einem zweistufigen Prozess mit einer
Selbstevaluation inklusive einer Befragung der Benützerinnen und Benützer sowie einer
117
Fremdevaluation durch externe Expertinnen und Experten. Für die Fremdevaluation der
UB Wien wurden folgende Personen ausgewählt und gewonnen: Sheila Corrall,
Professorin für Bibliothekswesen und Informationsmanagement an der University of
Sheffield, Michael Cotta-Schönberg, stellvertretender Generaldirektor der Royal
Library Denmark und Direktor der Universitätsbibliothek Kopenhagen, James J.
Duderstadt, emeritierter Professor und ehemaliger Präsident der University of Michigan
in Ann Arbor, und Petra Hätscher, Direktorin der Bibliothek der Universität Konstanz.
Diese vier Fachleute werden die UB Wien bei ihrem Site Visit am 30. September und 1.
Oktober 2010 besuchen. Nach dem Site Visit verfassen die Evaluatorinnen und
Evaluatoren einen Endbericht, zu dem die UB Wien Stellung nehmen kann. Der
Endbericht der Peers sowie die Stellungnahme der DLE werden veröffentlicht. Das
Follow-Up umfasst die Erstellung eines Maßnahmenkatalogs zur Qualitätssicherung
inklusive Zeitplan sowie das Monitoring dieser Maßnahmen durch die Besondere
Einrichtung für Qualitätssicherung und das Rektorat.
Im
Rahmen
dieser
Peer-Evaluation
werden
auch
die
Resultate
des
Strategieentwicklungsprozesses geprüft werden. Diese Prüfergebnisse werden neben der
bibliotheksinternen Einschätzung des Strategieentwicklungsprozesses die weitere
Vorgehensweise der UB Wien bei Form und Inhalt ihrer Strategieentwicklung
maßgeblich mitbestimmen.
118
5. Zwischenbilanz und Zukunftsperspektiven
5.1. Ergebnisse der Evaluationen
Im Herbst 2010 wird die Strategieentwicklung der UB Wien auf zwei Ebenen evaluiert:
Die Prototypen werden UB-intern von der Steuerungsgruppe evaluiert, der
Gesamtprozess UB-extern von den Peers. Hier gilt es, die Ergebnisse abzuwarten und
für die weitere Optimierung der Organisationsentwicklung zu nützen.
5.2. Zwischenbilanz zur Strategieentwicklung – Lessons Learned
Um Zukunftsperspektiven zu entwerfen, ist es notwendig, das Erreichte zu prüfen und
als Ausgangsbasis für weitere Entwicklungen zu bewerten. Im Sinn von
Qualitätsmanagement ist es angeraten, Lernerfahrungen, die während des Prozesses
gemacht wurden, zusammenzutragen und wieder in den Prozess hineinzutragen. Als
Grundschema der kurzen Zwischenbewertung werden nach dem SWOT-Modell die
Stärken (Strengths), Schwächen (Weaknesses), Chancen (Opportunities) und Risiken
(Threats) der bisherigen Strategieentwicklung dargestellt.
5.2.1. Stärken
Die Stärken des Strategieentwicklungsprozesses an der UB Wien liegen in der
Umsetzung der Ergebnisse in der Praxis. Dies kann in zweierlei Hinsicht gesehen
werden. Erstens ist es gelungen, den Großteil der Prototypen in überschaubarer Zeit und
auf adäquatem Qualitätsniveau in die operative Ebene der Organisation zu bringen. Es
wurde nicht (nur) Papier produziert, sondern die Aktivität der Organisation wurde
tatsächlich verändert. Zweitens hat der Prozess die Organisationskultur der UB Wien
massiv und nachhaltig weiterbewegt. Breit unterstützt wurden neue Formen des
gemeinsamen Arbeitens eingeübt und für viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter neue
Kommunikationsverfahren (z. B. moderierte Diskussionen) praktiziert, die – flankiert
durch spezielle Trainingsmaßnahmen – gleich Eingang in den Regelbetrieb der
119
Bibliothek gefunden haben. Partizipation und Empowerment wurden von den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht nur als Konzepte verstanden, sondern als
Realitäten
erfahren.
Dies
stärkte
das
Vertrauen
in
die
DLE-Leitung
und
verallgemeinerte das Verantwortungsbewusstsein gegenüber der UB Wien und in Folge
der Universität Wien. Die UB Wien hat sich vor allem während der beiden
Großgruppentage als starke Organisation erlebt, und das hat vermutlich nachhaltig das
Selbstbewusstsein erhöht.
5.2.2. Schwächen
Die Schwächen des Strategieentwicklungsprozesses an der UB Wien liegen in der
Erstellung von kohärenten Konzepten. Die Strategiebildung erfolgte in der
Steuerungsgruppe sehr am Beispielfall, am Konkreten orientiert. Dadurch wurde ein
systematisches Herangehen an die strategische Positionierung der UB Wien
vernachlässigt.
Das
Strategieentwicklungskonzept
zeigt
insofern
diese
Unausgewogenheit in der Schwerpunktsetzung, als manchen Handlungsfeldern
Maßnahmen zugeordnet sind, manchen nicht, die Qualität der Mission Statements sehr
unterschiedlich ausgefallen ist und die Vision über ein Abstimmungsverfahren
gewonnen wurde.
Eine weitere Schwäche liegt in der äußerst geringen Einbindung der Stakeholder der
UB Wien in den Prozess. Weder die Studierenden noch wichtige Leitungsorgane der
Universität wurden strukturell beteiligt. Einzig in den Dialogrunden zu den Prototypen
wurden Stakeholdervertreter als Gäste eingeladen. Es kann aber auf dem bisher
Geleisteten aufgebaut und an die Stakeholder herangetreten werden.
5.2.3. Chancen
Die Chancen, die aus dem Strategieentwicklungsprozess resultieren, sind vor allem in
der veränderten Organisationskultur zu sehen. Denn dabei entstand ein Pool hochaktiver
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die miteinander vernetzt sind, gemeinsame
Arbeitserfahrung gemacht haben und über die notwendigen Tools verfügen, Arbeit
120
innovativ, effektiv und effizient zu gestalten. Hier ist eine organisationale
Eigendynamik zu erwarten, von der die UB Wien sehr profitieren wird. Zudem haben
auch
jüngere
Mitarbeiterinnen
und
Mitarbeiter
ihre
Auftrittsflächen
im
Strategieentwicklungsprozess dahingehend genützt, dass sie innerhalb der Organisation
und ihren bislang eingespielten Verfahren sowie stereotypen Verhaltensmustern
plötzlich erhöhte Aufmerksamkeit erfahren und ihr Potential friktionsfrei einbringen
können. Die Chancen entstehen vor allem aus der konsequenten Ausrichtung des
Strategieentwicklungsprozess als großräumige Personalentwicklungsmaßnahme.
5.2.4. Risiken
Die Risiken, die der Strategieentwicklungsprozess in sich trägt, sind Demotivation und
Frustration der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Diese treten unabänderlich ein, wenn
die geweckten Erwartungen in Verbesserungen jeglicher Art enttäuscht werden, wenn
die vorgenommenen und zumeist lautstark deklarierten Ziele aus den Augen geraten,
wenn die Leitung das Interesse verliert und wenn sich der Prozess, ohne ans Ziel
gekommen
zu
sein,
verläuft.
Strategieentwicklungsprozess
Diese
der
Risiken
UB
eignen
Wien,
nicht
sondern
spezifisch
dem
wohnen
allen
Organisationsveränderungsprozessen, die partizipatorisch angelegt sind, inne. Sollte der
Prozess scheitern, würde es Jahre dauern, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu
einem neuen Anlauf zu gewinnen, der Vertrauensverlust wäre zu hoch.
5.3. Erfolgskritische Perspektiven
5.3.1. Etablierung eines strategischen Managements
Vor dem Hintergrund der hier brainstormartigen SWOT-Analyse zeigt sich das
ausgeprägte Potential des Strategieentwicklungsprozesses, und es zeigt sich auch
augenfällig seine markanteste Schwäche: die fehlende Kohärenz, die mangelnde
Systematik, das zu geringe Abstraktionsniveau, der zu wenig ausgeprägte Blick auf das
Ganze
der
Organisation.
Vermutlich
wird
es
an
diesem
Punkt
der
121
Organisationsentwicklung notwendig sein, die Top-Down-Aktivität zu intensivieren
und die Leitung der UB Wien stärker in die Strategieentwicklung zu involvieren.
Vermutlich wird die Leitung der UB Wien ein strategisches Management zu etablieren
haben, das aus der Gesamtperspektive der Organisation agiert und Kohärenz schafft.
5.3.2. Weiterentwicklung der Organisationskultur
Wie mehrfach gezeigt wurde, war die Weiterentwicklung der Organisationskultur eines
der zentralen Ziele und auch eine der Stärken des Strategieentwicklungsprozesses. Die
Arbeit an der Kultur einer Organisation ist ein nicht abzuschließendes Vorhaben und
damit als permanenter Prozess zu vergegenwärtigen. Die UB Wien wird hier sowohl die
erfolgreich beschrittenen Wege weitergehen, als auch entschieden, kreativ und
experimentierfreudig Neues erproben.
5.3.3. Innovation durch Prototyping
Im Rahmen der Strategieentwicklung der UB Wien wurde der Prototyp P4L (Prototypes
for Libraries) entwickelt. Als allgemeine Definition von Innovation, auf deren
Grundlage weiter aufgebaut werden soll, wurde ausgegeben: Innovationen sind
Produkte oder Dienstleistungen, die im österreichischen Bibliothekswesen noch nicht
eingesetzt werden oder nur wenig verbreitet sind. Sie wirken auf sämtliche Bereiche der
Bibliothek und umfassen z. B. neue Technologien und die Entwicklung neuer und die
Verbesserung bestehender Services.
Basierend auf dieser Definition ergaben sich für die DLE-Leitung überzeugende
Argumente, die für die Errichtung einer Innovationsstelle an der UB Wien sprachen, um
ein innovationsfreundliches Umfeld innerhalb der Bibliothek aufzubauen:
•
Das allgemeine Bestreben der Bibliothek, sich als innovative Einrichtung
gegenüber der Universität und der Öffentlichkeit zu positionieren und zu
präsentieren,
122
•
die Ausarbeitung von Antworten auf die rasante technologische Entwicklung im
Bereich der Informationstechnologie,
•
die systematische Erfassung, Analyse und Koordination innovativer Ideen und
Vorschläge zu gewährleisten und
•
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei der Umsetzung ihrer Ideen
Unterstützung anzubieten.
Als Kernaufgaben der Innovationsstelle wurden folgende Handlungsfelder definiert:
Trendbeobachtung und -analyse, Freiräume für Ideen und Projekte, Projektberatung und
-entwicklung und strategische Planung. Um diese Vorhaben zu unterstützen, wurde P4L
in die ständige Einrichtung von ubw:innovation als Stabsstelle überführt, beginnend mit
Mitte 2010, wobei eine Vollzeitstelle innerhalb der UB Wien für diese neue Aufgabe
umgeschichtet wurde. Eine Arbeitsplanung wird derzeit erstellt, die ersten Ergebnisse
sollen im Oktober 2010 präsentiert werden.
Hier wird sich zu erweisen haben, welche Rolle die Produktion von Prototypen für die
Organisationsentwicklung der UB Wien einnehmen kann und wie erfolgreich diese
neue Stelle ist, die unmittelbar aus dem Strategieentwicklungsprozess generiert wurde.
Organisatorische Herausforderungen sind sicherlich die Abstimmung mit der DLELeitung, die Koordination mit der noch immer aktiven Steuerungsgruppe und die
Verankerung in der Gesamtorganisation.
123
Resümee
Universitätsbibliotheken sind aktuell angesichts der Dynamik und Transformation des
Informationsmarkts in einer Situation der Ungewissheit über ihre zukünftige Relevanz
für ihre primäre Nutzergruppe. Sie stehen vor drängenden, gewiss auch unangenehmen,
aber allemal herausfordernden Fragen: Werden Forschende, Lehrende und Studierende
an Universitäten ihre Bibliothek konsultieren, wenn sie Information benötigen? In
welchem Ausmaß und in welcher Weise werden sie das tun? Werden die
Universitätsleitungen bzw. die Unterhaltsträger ihre personal- und kostenintensiven
Bibliotheken weiter ausfinanzieren, sobald sich Möglichkeiten einer kostengünstigeren
Informationsversorgung bei gleichem Qualitätslevel abzeichnen?
Die erste Antwort auf diese Fragen ist selbst eine Frage: Was müssen Bibliotheken tun,
um als Informationszentren zu reüssieren? Die Universitätsbibliothek Wien hat sich
diese Frage auch gestellt und ihre Beantwortung – zumindest teilweise – in einen von
der Bibliotheksleitung initiierten Strategieentwicklungsprozess gelegt. Die UB Wien
sollte aus einem bloßen Reagieren auf sich rasant verändernde Umwelten herausgeführt
werden, um proaktiv Zukunft selbst gestalten zu können.
Um den kooperativen Führungsstil der UB-Leitung dem Strategieentwicklungsprozess
einzuschreiben, wurde eine partizipatorisch ausgerichtete Vorgangsweise gewählt, an
der alle Bibliotheksmitarbeiterinnen und -mitarbeiter teilnehmen können. Top-DownVerfahren wurden mit einer starken Bottom-Up-Bewegung verschränkt.
Die vorgelegte Master Thesis hatte sich vorgenommen, diesen Prozess bis zu seinem
Zwischenstand im September 2010 zu rekonstruieren. Dabei galt es zuerst, die Kontexte
und
Voraussetzungen
zu
Organisationsentwicklungsmaßnahme
auszuweisen,
bewegt.
in
Sodann
der
wurde
sich
das
diese
Zielssystem
dargestellt und der Prozess selbst detailliert in Struktur, Verlauf und Ergebnissen
geschildert. Dies erschien umso wichtiger, als eine der wesentlichen Absichten bei der
Prozessinitiierung in die Stärkung der partizipatorischen Prozessualität gelegt wurde,
um eine kooperative Organisationskultur zu forcieren. Eine Bewertung und eine
Perspektivensetzung der Strategieentwicklung schließen die Thesis ab.
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