Original Downloaden

Transcription

Original Downloaden
 The Draughtsman, the Architect, his Wife and her Lover. Kunstrezeption in den Filmen Peter Greenaways Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades einer Magistra der Philosophie an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Karl-­‐Franzens Universität Graz vorgelegt von Barbara HUBER am Institut für Kunstgeschichte Begutachter: Ao. Univ.-­‐ Prof. Mag. Dr. Josef Ploder Graz, 2012 i Eidesstattliche Erklärung Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe. Alle Ausführungen, die anderen veröffentlichten oder nicht veröffentlichten Schriften wörtlich oder sinngemäß entnommen wurden, habe ich kenntlich gemacht. Die Arbeit hat in gleicher oder ähnlicher Fassung noch keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegen. Graz, 08. Juni 2012 (Barbara Huber) ii Vorwort Vorwort Nach eingehender Beschäftigung mit dem Thema Intermedialität, entschied ich mich, meine Diplomarbeit über einen Teilbereich dieses Gebiets zu verfassen, um mein bisheriges Wissen zu vertiefen. Besonders interessant erschien mir in diesem Zusammenhang das Zentralmedium Film, das durch seine Hauptbestandteile Bild und Ton bereits zwei Disziplinen vereinte. Obwohl der Film in der Bildtradition der Fotografie und der Malerei steht, musste ich nach meiner Recherche feststellen, dass der Film als wissenschaftliches Betätigungsfeld der kunstgeschichtlichen Forschung bisher wenig Beachtung fand. Die Bearbeitung des Mediums Film fand vermehrt in der Literaturwissenschaft statt, die sich jedoch hauptsächlich mit den narrativen Komponenten des Films in Form von Story-­‐Analysen, Literaturverfilmungen oder den Wechselbeziehungen zwischen Film und Literatur beschäftigte. Ich wollte in meiner Arbeit die Korrelation zwischen Film und den bildenden Künsten, also den visuellen Bereichen, beleuchten, daher entschied ich mich für das Œuvre Peter Greenaways, dessen Filme intermediale Verfahrensweisen in komprimierter Art aufzeigen und mit Disziplinen wie Malerei, Architektur und Fotografie, aber auch Literatur und Theater in Verbindung stehen. An dieser Stelle möchte ich all jenen danken, die mir bei der Erstellung dieser Arbeit Unterstützung zukommen ließen, allen voran meinen Eltern, die mir stets mit Rat und Tat zur Seite standen. Danke, für wertvolle Gespräche und Anmerkungen hinsichtlich Inhalt und Form und euren Zuspruch, wenn mich die Motivation verließ. Besonderer Dank gilt auch Herrn Ao. Univ.-­‐Prof. Dr. Josef Ploder für die Betreuung der Diplomarbeit und die angenehme Zusammenarbeit am Institut für Kunstgeschichte. Ich danke ebenso Herrn SR Gerfried Stockinger, Autor der „Sprachbausteine“ -­‐ Deutsch für Höhere und Mittlere Lehranstalten, für seine Beratung in den Bereichen Orthografie, Interpunktion und Stilistik. Weiters gilt mein Dank Herrn Univ.-­‐Prof. Dr. Werner Wolf für seine Hilfestellung in Fragen zur Intermedialität. iii i Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Einleitung ............................................................................................................................. 3 I. „DER KOCH BIN ICH.“ – WERDEGANG UND FRÜHWERK .................................................... 6 1. „Sehen lernen.“ Eine Blickschulung .................................................................................... 6 2. Frühwerk und formale Organisation der Filme ................................................................... 7 2.1 Erste Versuche, das Chaos zu ordnen ........................................................................... 8 2.2 Die Experimentalfilme der 70er-­‐Jahre ........................................................................ 10 3. Greenaways Helden: Die Entstehung immer wiederkehrender Figuren .......................... 13 3.1 Tulse Luper: die Figur als Alter Ego und Sprachrohr des Regisseurs ........................... 14 4. Autoreflexivität und Metareferenz ................................................................................... 16 II. DAS KUNSTWERK IM FILM UND DER FILM ALS KUNSTWERK .......................................... 21 1. Die Kunsthistoriker und der Film. Zur ambivalenten Konstellation: Film und Kunst ........ 21 2. Der Kunstfilm .................................................................................................................... 24 3. Das Problem der Adaption bildender Kunst und der Bildverfilmung ................................ 25 4. Möglichkeiten der filmischen Wiedergabe bildender Kunst: intermediale Bezüge ......... 27 III. INTERMEDIALITÄT IM ŒUVRE GREENAWAYS ............................................................... 32 1. Hybride Werke .................................................................................................................. 33 2. Prospero’s Books als intermediale Superlative ................................................................. 34 3. Der Ton macht die Musik: Peter Greenaway und Michael Nyman ................................... 37 IV. KUNSTREZEPTION GREENAWAYS ANHAND AUSGEWÄHLTER BEISPIELE ........................ 40 1. The Draughtsman’s Contract (Der Kontrakt des Zeichners, 1982) .................................... 40 1.1 Entstehung des Filmes ................................................................................................ 41 1.2 Der Plot und formale Konstruktionsverfahren ............................................................ 42 1.3 Der Zeichner hinter der Kamera ................................................................................. 45 1.4 Das Gemälde innerhalb der filmischen Handlung als Gegenstand der Reflexion ....... 47 1.5 Die Landschaft, die Zeichnung und das Filmbild davon .............................................. 49 2. A Zed and two Noughts (Ein Z und zwei Nullen, 1985) ..................................................... 52 2.1 Inhalt und Querverweise des Filmes ........................................................................... 53 2.2 Die Malerei Vermeers als Vorlage ............................................................................... 54 2.2.1 Der Fälscher Han van Meegeren .......................................................................... 55 2.2.2 Tableau vivant: Die Malkunst .............................................................................. 57 2.2.3 Die Musikstunde und Das Konzert ....................................................................... 60 1 2.2.4 Sugimotos Musikstunde ...................................................................................... 61 2.3 Symmetrie und Dualität .............................................................................................. 62 2.3.1 Kommentarbilder ................................................................................................. 64 3. The Belly of an Architect (Der Bauch des Architekten, 1986) ........................................... 66 3.1 Plot und Strukturierung .............................................................................................. 66 3.2 Die Kreisparabel als formale und inhaltliche Form ..................................................... 69 3.2.1 Von Kugeln und Bäuchen ..................................................................................... 71 3.2.2 Original, Postkarte, Foto und Fotokopie .............................................................. 72 3.3 Boullée und die Revolutionsarchitektur ..................................................................... 73 3.4 Die Architektur Roms als Kulisse ................................................................................. 77 4. The Cook, the Thief, his Wife and her Lover (Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber, 1989) ................................................................................................................... 79 4.1 Charaktere, Plot und serielle Organisation ................................................................. 80 4.2. Organisation der Räume ............................................................................................ 82 4.3 Die Farbräume ............................................................................................................ 83 4.3.1 Trennung von Farbe und Objekt .......................................................................... 84 4.4 Das „Mahl“ als Vorlage. .............................................................................................. 86 4.5 „Der Koch bin ich.“ ...................................................................................................... 87 5. 8 ½ Women (8 ½ Frauen, 1999) ........................................................................................ 89 5.1 Inhalt und Kapitelstruktur ........................................................................................... 90 5.2 Federico Fellini als Vorbild .......................................................................................... 92 5.2.1 Ein Film über einen Film in einem Film = Meta2 .................................................. 93 5.2.2 Adaption von Otto e mezzo in 8 ½ Women .......................................................... 94 V. KONKLUSION UND AUSBLICK ......................................................................................... 96 QUELLEN UND VERZEICHNISSE ........................................................................................... 98 1. Literaturverzeichnis ........................................................................................................... 98 2. Filmverzeichnis ................................................................................................................ 104 3. Abbildungsverzeichnis ..................................................................................................... 106 BILDTEIL ........................................................................................................................... 111 2 Einleitung Einleitung „Cinema is dead -­‐ long live cinema?“1 lautete der Titel eines Vortrags von Peter Greenaway an der Berliner Humboldt-­‐Universität. Hinter diesem Satz steht das Bestreben des britischen Allround-­‐Künstlers das Kino zu revolutionieren. Das veränderte Shakespeare Zitat spricht vom Kino als alten König und vom HD-­‐Movie als dessen möglichen Erben im digitalen Zeitalter, meint aber auch die von Greenaway geforderte Veränderung der Position des Zusehers2 in Form vermehrter Interaktivität, und die Abkehr vom herkömmlichen Hollywoodkino. Er strebt nach einer neuen Bildsprache, die den Film, den der Regisseur als Bildmedium versteht, von seiner Textlastigkeit befreit und dem Bild größere Relevanz verleiht. Der am 5. April 1942 in Newport/Wales3 geborene Peter Greenaway begann seine künstlerische Karriere nicht wie vermutet als Regiestudent, sondern entschied sich dafür, am Walthamstow College of Art in London Malerei zu studieren. In seinen Anfängen als Maler ist vermutlich die große Leidenschaft für das Bild begründet. Während des Studiums entwickelte sich Greenaways starkes Interesse für Film. Nachdem er jedoch an der Royal Collage of Art Film School abgelehnt wurde, begann er ab 1965 als Schnittmeister in der Film-­‐Abteilung des Central Office of Information zu arbeiten, das für die Herstellung öffentlicher Informationsfilme zuständig ist. In dieser Zeit entstanden seine ersten experimentellen Kurzfilme im 16 mm Format. Mit Filmen wie Train (1966), Intervals (1969) oder H is for House (1976) veranschaulichte Greenaway bereits zu Beginn seines Œuvres seine Vorliebe für strenge Struktur und Form. Den großen Durchbruch erzielte er mit seinem Spielfilmdebüt The Draughtsman’s Contract (1982), der internationale Anerkennung fand. Damit etablierte sich Peter Greenaway als innovativer Filmemacher und wurde zur „Gallionsfigur eines intellektuellen Ideenkinos“4 erhoben. Alle Filme Greenaways zeigen deutlich, dass er nicht nur als Regisseur tätig war, sondern auch seine anderen Professionen – Maler, Autor und Cutter – großen Einfluss auf Gestaltung und Form hatten. Greenaways Malereiausbildung und umfassende Kenntnis der abendländischen Kunst-­‐ und Kulturgeschichte, vor allem der Renaissance-­‐ und Barockmalerei in Italien und den Niederlanden, prägten sein Schaffen sowohl inhaltlich als auch auf visueller Ebene. Kaum einer seiner Filme kommt ohne 1
Jensen 2009, 119. Aufgrund der einfacheren Lesbarkeit wird im vorliegenden Manuskript lediglich die männliche Form ver-­‐
wendet, wobei natürlich auch die weibliche Form mit eingeschlossen ist. 3
Biografische Daten wurden, wenn nicht anders gekennzeichnet aus dem AKL entnommen. 4
Frommer 1994, 1. 2
3 Einleitung historischen oder kunsthistorischen Verweis aus. Der Regisseur ist der Meinung, Kino ist „an incomplete amalgam of other forms of art which have still not completely reaches autonomy.“5 Diese anderen Kunstformen – Malerei, Zeichnung und Fotografie als Bildmedien, Architektur in Form von Kulissen und Bühnenbildern aber auch Theater, Literatur und Musik – bilden gemeinsam das Konglomerat Film. Greenaway interessiert nicht nur das Endprodukt, er setzt sich auch mit dessen Einzelteilen auseinander und stellt in seinem Schaffen oftmals Bezüge zu anderen Disziplinen her, oder thematisiert diese innerhalb der filmischen Handlung oder Form. Die vorliegende Arbeit kreist also um die Fragestellung der Kunstrezeption Peter Greenaways und dessen Methode, das Reflektierte zu bearbeiten und in neue Werke zu transformieren. Der Fokus liegt dabei auf den Wechselbeziehungen der Künste, ihrem Auftreten und ihrer Wirkung. Das erste Kapitel der Arbeit behandelt die Genese und das Frühwerk Peter Greenaways. Die Kurz-­‐ und Experimentalfilme dieser Periode veranschaulichen die Intentionen des Regisseurs und enthalten viele Gestaltungs-­‐ und Strukturelemente, die als Wegweiser der Spielfilme angesehen werden können. Erste Berührungspunkte mit weiteren künstlerischen Disziplinen, sowie intermediale Tendenzen sind bereits sichtbar. Abgeschlossen wird dieses Kapitel mit der theoretischen Aufbereitung von Autoreflexivität und Metareferenz, zwei Komponenten, die sich durch Greenaways gesamtes Schaffen ziehen. Kapitel zwei – Das Kunstwerk im Film und der Film als Kunstwerk – beginnt mit der Stellung des Films innerhalb der kunstwissenschaftlichen Forschung und dem schwierigen Verhältnis zwischen Kunstgeschichte und Film. Im Anschluss werden die Möglichkeiten sowie Problemstellungen der Integration von Kunstwerken in filmische Werke erörtert und ein Verfahren vorgestellt, dass es ermöglicht, die vielfältigen Varianten zu strukturieren und somit nachvollziehbarer zu gestalten. Ein von der Autorin entwickeltes grafisches Schema soll dies demonstrieren und dient gleichzeitig zur Darstellung intermedialer Bezüge von Film und bildender Kunst. Bevor sich die Arbeit ihrem Hauptthema widmet, folgt ein kurzer Exkurs über Intermedialität im Filmwerk Greenaways, der den Film Prospero’s Books paradigmatisch heranzieht. Auch Musik ist ein wesentlicher Faktor aller seiner Werke, vor allem die Zusammenarbeit mit Michael Nyman. Den Hauptteil der Arbeit stellt die Analyse fünf Greenaway-­‐Filme dar, die hinsichtlich ihrer filmischen Beschaffenheit der Fragestellung entsprechend ausgewählt wurden. Jeder Film 5
Greenaway zit. n. Werner 2010, 380. 4 Einleitung stellt die Rezeption einer künstlerischen Disziplin bzw. eines Teilgebiets der Kunstformen dar, beginnend mit der Zeichnung und der Abbildung von Wirklichkeit, dann der Malerei in Gegenüberstellung mit ihrer fotografischen Reproduktion, gefolgt von der Architektur. Ein weiterer Film reflektiert Farbe und Form und schließlich, das Kapitel abschließend, das filmische Kunstwerk selbst, ein Klassiker der Filmgeschichte, den Greenaway in sein Werk übernimmt. 5 Werdegang und Frühwerk I. „DER KOCH BIN ICH.“ – WERDEGANG UND FRÜHWERK 1. „Sehen lernen.“ Eine Blickschulung Greenaways Kunstausstellung Stairs von 1994 in Genf6, deren Bestreben es war, den Blick des Betrachters zu schulen, hebt den vielfachen Zusammenhang seines filmischen Werkes und der bildenden Kunst hervor. Hundert weiße Treppen waren in der Stadt verteilt, die auf das hundertjährige Jubiläum des Films 1995 hinweisen sollten. Passanten konnten die Treppenpoteste empor steigen, um durch Gucklöcher zu sehen, die ausgewählte Teile von Genf intensiv ins Bewusstsein rückten. Diese Begrenzung des Blickfeldes, dieses »Framing« setzt der Regisseur auch als Gestaltungsmittel in seinen Filmen ein. Laut Peter Greenaway7 hat die heutige Gesellschaft verlernt, richtig hinzusehen und sei nicht im Stande, Bezüge, Zusammenhänge und Zeichen richtig zu deuten, da sie zu stark von verbaler Kommunikation bestimmt ist, im Unterschied zur niederländischen Malerei des 16./17. Jahrhunderts, die dazu sehr wohl in der Lage gewesen war. In diesem Zusammenhang nennt er den Maler Jan Vermeer, der nonverbale Symbolik einsetzte, um Botschaften zu vermitteln, die heute schwer zu verstehen sind. „Wir verlernen das Sehen, das Erfassen von Kompositionen und die Wahrnehmung von Beziehungen zwischen Form und Inhalt. Mir geht es darum, den Vorgang des Sehens, die Betrachtung des Zusehers zu reaktivieren – in meinen Filmen wie in meinen 8
Ausstellungen.“ Die Ausstellung weist viele Parallelen mit Greenaways drittem Spielfilm, The Belly of an Architect auf, der in Rom gedreht wurde und Treppen als ästhetische Elemente einsetzt. Die Treppenanlagen faszinierten den Künstler so sehr, dass er einen Film darüber machen wollte. Greenaways ursprünglichen Vorstellungen waren jedoch nicht realisierbar, so entwickelte er daraus zwei Projekte – einen Film über Architektur, und eine Ausstellung über das Sehen.9 Die Sensibilisierung für das Bild und die Blickschulung des Publikums sind zentrale Elemente des greenawayschen Œuvre und sollen den Zuseher durch aktive Mitarbeit aus seiner Passivität reißen. 6
vgl. hierzu Dvorak/Kamer 1994, 90-­‐93: Interview mit Peter Greenaway über seine Ausstellung; sowie auch Frommer 1994, 12. 7
vgl. Dvorak/Kamer 1994, 90. 8
Greenaway zit. n. Dvorak/Kamer 1994, 91. 9
vgl. Dvorak/Kamer 1994, 92. 6 Werdegang und Frühwerk 2. Frühwerk und formale Organisation der Filme Bei Betrachtung des Spielfilmwerks Peter Greenaways kommt man nicht umhin, auch den Beginn seines Schaffens zu beleuchten. Viele Charakteristika der formalen und strukturellen Disposition der Spielfilme wurden bereits in seiner Frühphase entwickelt.10 Die Zeit, in der Greenaway begann, Filme zu realisieren, war geprägt durch filmische Veränderung. Speziell in Europa, aber auch in den USA war man versucht, neue Formensprachen und filmische Strategien zu entwickeln, die als Gegenpol zur klassisch narrativen Erzählmethode verstanden wurden, wie es Hollywood propagierte. In Großbritannien formierte sich eine Gruppe von Filmemachern, die sich intensiv mit dem »structural film«11 beschäftigte. Der Terminus structural film bezeichnet Filme, welche die Strukturen des Mediums Film aufzeigen und dessen Prozesse bewusst machen. Solche Filme besitzen einen klaren Aufbau, der meist durch die Verwendung eines Systems entsteht. Thematisiert werden Projektion, Herstellungsprozess und Sehgewohnheiten der Zuseher, vor allem aber distanziert sich der Strukturfilm entschieden vom herkömmlichen Erzählkino.12 Greenaways frühe Filme Ende der 60er-­‐ und Anfang der 70er-­‐Jahre weisen Gemeinsamkeiten mit den Anliegen dieser Avantgarde auf, -­‐ obgleich er sich selbst nie als Teil dieser Gruppe oder Vertreter des structural films sah.13 „Though the evidence of Intervals suggests that I am interested in structural film-­‐making, very much so, I would never say structural cinema was the only cinema because, you know, it doesn’t use the vast aural and visual history of the cinema, it leaves out so much, 14
pares it down too economically perhaps.“ Seine artifiziellen Experimentalfilme können auf die Spielfilme bezogen als »Vorstudien« des experimentierfreudigen Regisseurs gesehen werden, mittels derer er verschiedene Möglichkeiten der visuellen Gestaltung auslotet. Was nicht heißen soll, dass sie keine eigenständige Berechtigung besäßen. Bevor jedoch näher auf die Experimentalfilme 10
Greenaway zitiert in den Vorbemerkungen zu den Kurzfilmen (DVD-­‐Produktion des British Film Institut: Peter Greenaway. Frühe Filme 1: Einführung) François Truffaut, der der Meinung war, dass die ersten Filme eines Regisseurs viel über seinen weiteren Werdegang aussagen. Siehe auch Frommer 1994, 32. 11
„The structural film insists on it’s shape and what content it has is minimal and subsidiary to the outline.“ Sitney 1969, 1. Structural film wird auch als formal film oder Materialfilm bezeichnet; vgl. Monaco/Bock 2011, 152. 12
vgl. Barchfeld 1993, 41-­‐44. 13
vgl. Auty 1978, 14,15. 14
Greenaway zit.n. Auty 1978, 14. 7 Werdegang und Frühwerk eingegangen wird, sind grundlegende Bemerkungen zu den Charakteristika der anfänglichen Filmästhetik Greenaways erforderlich. 2.1 Erste Versuche, das Chaos zu ordnen Wie Peter Greenaways Affinität für die Anliegen des structural films erahnen lässt, liegen seinen Filmen zumeist exakte Strukturen zugrunde. In der Anfangsphase unternahm der Regisseur verschiedene Versuche, mit arithmetischen Strukturen zu experimentieren, die seine Filme formal und nicht inhaltlich gliedern sollten.15 „Ebenso wichtig ist es für mich, ein inneres und ein äußeres Skelett zu haben – das innere Skelett dabei als Erzählung verstanden, im Sinne eines Parameters, einer Begrenzung, wie ein Buchumschlag. Und das war bei mir sehr oft eine abstrakte Überlegung. Oft stand das 16
Bemühen, neue abstrakte Strukturen zu finden, am Anfang eines Films.“ Das äußere Skelett beschreibt die visuelle Form. Ein wesentliches Merkmal der Greenaway-­‐
Filme ist die Entwicklung formaler Ordnungssysteme, bezogen auf die darstellenden Ebenen, die nahezu all seinen Werken, sowohl den Experimentalfilmen als auch den Spielfilmen immanent sind. Sein erstes und am öftesten verwendetes formales Ordnungsprinzip ist das der Serie.17 Oft ist es ein Aufzählen scheinbar beliebiger Reihen, Daten oder Zahlen. Dadurch erstellt Greenaway Chronologien. Sie geben den Rahmen vor, innerhalb dessen sich die filmische Handlung abspielt. Der Filmemacher ist fasziniert von Listen, Lexika oder Landkarten, die für ihn menschliche Versuche darstellen, das irdische Chaos zu organisieren.18 Genau das versucht er mit dem Material seiner Filme zu tun: katalogisieren, vergleichen, Ordnung erzeugen. „Im Lexikon stehen unter dem Buchstaben »H« Wörter wie Hitler, hysterectomy, hemlock, happyness – lauter zusammenhanglose Einheiten, die nur deshalb eine Gruppe bilden, weil sie den gleichen Anfangsbuchstaben haben. Ein blödsinniges System, aber bequem zu benutzen, und ich unterstelle, daß in allen Kategorisierungssystemen die gleiche Geistlosigkeit herrscht. Es ist dieses Vergnügen an der Geistlosigkeit, der Versuch, die 19
Welt zu verstehen, was mich fasziniert und belustigt. Und es durchdringt meine Filme.“ 15
vgl. Walder 1988, 20. Greenaway zit. n. Walder 1988, 20. 17
vgl. hierzu Petersen 2009, 20-­‐24. 18
Poppenberg/Weinrichter 1984, 18. 19
Greenaway zit. n. Poppenberg/Weinrichter 1984, 18. 16
8 Werdegang und Frühwerk Eine weitere, bereits in der Frühphase entwickelte signifikante Strategie ist der Aspekt der immer wiederkehrenden Form, der Wiederholung.20 Verschiedene Aufnahmen von Straßenszenen in Venedig werden beispielsweise im frühen Kurzfilm Intervals (1969) aneinander gereiht und nach ihrem Ablauf in gleicher Reihenfolge zweimal wiederholt. Der Film ist in drei Abschnitte gegliedert, deren Soundebenen zunehmend komplexer werden. Die drei Teile bekommen, dem differenten akustischen Kontext entsprechend, jeweils eine andere Beschaffenheit. Als Grundlage der musikalischen Struktur nennt Greenaway ein Notationssystem, das Vivaldi im bekannten Musikstück Die vier Jahreszeiten verwendete.21 In einem späteren Experimentalfilm, Vertical Features Remake (1978), greift der Regisseur das Schema der Wiederholung erneut auf, indem er filmisches Material auf vier verschiedene Arten anordnet. Greenaway bekräftigte in einem Interview mit Beate Glur, dass Filme wiederholbar sein sollten. Der ganze Film oder einzelne Bereiche davon sollten mehrmalig betrachtbar sein. Die Filmwahrnehmung könne dadurch jedes Mal anders, im besten Falle reichhaltiger werden.22 In seiner späteren Schaffensphase wird die reine Wiederholung des Filmmaterial zur „Wiederholung und Verarbeitung konkreter vorgängiger [...] Bilder“23 erweitert. Er nimmt erstmals „Kunst“ in seine Filme auf. Bei den Kurzfilmen sind es noch seine eigenen Malereien und Zeichnungen, während die Spielfilme Gemälde berühmter Meister zitieren. Die erneute Wiedergabe existierender Kunstwerke in seinen Filmen, und somit Wiederholung dieser in einem anderen Medium, ist der wohl charakteristischste Wesenszug seiner Werke und fußt bereits in den frühen Perioden des Regisseurs. Gleichermaßen bezeichnend für sein Schaffen ist der filmische Aufbau auf der Grundlage musikalischer Kompositionen oder Partituren. Entgegen der verbreiteten Ansicht, Filmmusik sei lediglich vorhanden, das Bild zu begleiten und zu untermalen, ist sie bei Greenaway oft formgebend. Der Kurzfilm Train (1966) erfuhr seine Gestaltung basierend auf einem Orchesterstück von Anton von Webern. Die rhythmische Komposition bildete das Gerüst, nach dem der Film montiert wurde. Greenaway stellt hier den Versuch an, das Musikstück 1:1 ins filmische Material zu übertragen.24 Er orientierte sich auch am französischen Komponisten Erik Satie. Dieser entwickelte einzelne „Bausteine“, bestehend aus simplen rhythmischen Zusammenstellungen, die er nach dem Prinzip der Addition aneinander ordnete. Das Bestreben dieser Technik ist es, maximale Freiheit in der Arrangierung zu erreichen; so 20
vgl. hierzu Frommer 1994, 17-­‐18, vgl. Brown 1982, 75; sowie die DVD-­‐Produktion des British Film Institut: Peter Greenaway. Frühe Filme 1: Kommentar des Regisseurs zum Film Intervals. 22
vgl. Glur 1991, 27. 23
Frommer 1994, 20. 24
vgl. Kapp 1992, 6-­‐7. 21
9 Werdegang und Frühwerk bekommen die Einzelteile mehr Bedeutung, der Gesamtkomposition wird eine geringere Wichtigkeit zugemessen.25 Diese Baustein-­‐Variante setzt Greenaway, sowohl akustisch als auch visuell, im bereits erwähnten Kurzfilm Intervals um. 2.2 Die Experimentalfilme der 70er-­‐Jahre Die vorliegende Arbeit stellt bei der Bearbeitung der Experimentalfilme keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ihre Erwähnung zielt lediglich auf die nachvollziehbare Darstellung der Stilgenese Peter Greenaways ab. Galt sein Interesse Ende der 60er mit Filmen wie Intervals oder Train noch rein dem strukturalistischen Montageprinzip, so widmete er sich Anfang der 70er verstärkt dem Dokumentarfilm. Doch handelt es sich meist um pseudo-­‐wissenschaftliche Studien oder ernst wirkende, authentisch vorgetragene Fallbeispiele erfundener Situationen, die durch dokumentarische Inszenierung vorgeben, der Wirklichkeit zu entsprechen.26 Dies führte zu zunehmender Wichtigkeit des kommentierenden Sprechers. Hans-­‐Jörg Kapp nennt dies die Phase der Referenzialität, da der Regisseur begann, andere Genres zu rezipieren und mit Autorenschaft und Metaebenen zu spielen.27 Im Kurzfilm Windows (1974)28 thematisiert Greenaway mehrere fiktive Fensterstürze. Ursprünglich wollte er einen Dokumentarfilm über die mysteriösen Fensterstürze politischer Häftlinge in Süd-­‐Afrika drehen. Da er nicht über die erforderlichen Mittel verfügte, kreierte er eine metaphorische Statistik über Fensterstürze und transformierte die politischen Gefangenen in fiktive Charaktere.29 Der vierminütige Film zeigt ausschließlich Aufnahmen durch diverse Fenster hindurch, unterlegt mit einer sachlichen Erzählerstimme, die dem Film betont dokumentarischen Charakter verleiht. Nach drei Fenster-­‐Einstellungen setzt das voice-­‐
over ein: „In 1973, in the parish of W, 37 people were killed as a result of falling out of windows.“30 In weiterer Folge erfährt man zusätzliche Informationen über die verunglückten Personen wie Beruf, Alter, Grund sowie Tageszeit des Sturzes. Anfänglich fehlt der Zusammenhang der durch Fenster aufgenommenen sommerlichen Landschaftsbilder und der aufgezählten Fakten des Off-­‐Kommentars. Schon bald aber lassen sich Relationen zwischen 25
vgl. Kapp 1992, 8. Fiktionale oder Pseudo-­‐Dokumentarfilme werden auch Mockumentaries genannt. Sie bezeichnen Spiel-­‐
filme, die im Stile eines Dokumentarfilms hergestellt sind; siehe Monaco/Bock 2011, 160. 27
vgl. Kapp 1992, 8. 28
vgl. hierzu Barchfeld 1993, 49-­‐50; Frommer 1994, 32-­‐36. 29
vgl. DVD-­‐Produktion des British Film Institut: Peter Greenaway. Frühe Filme 1: Kommentar des Regis-­‐
seurs zum Film Windows. 30
Off-­‐Kommentar: 00:00:21 – 00:00:30 26
10 Werdegang und Frühwerk den verschiedenen Filmebenen herstellen. Eine der erwähnten Personen ist Cembalospieler. Cembalomusik dient wiederum als Untermalung des gesamten Films und verleiht der tragischen Thematik Leichtigkeit. Die Mehrheit der Toten steht außerdem in Beziehung zu Fenstern oder zum Fliegen. „Of the 11 adolescents who fell, [...] one was a window cleaner and five were students of aeronautics, one of whom played the harpsichord. Among the 19 adults who fell, were an air stewardess, [...] an ornithologist, a glazier and a seamstress.“31 So wird bei Erwähnung der Näherin (seamstress) eine im Garten nähende Frau gezeigt, und die Bezugnahme von Bild-­‐ und Tonebene unterstrichen. Im Verlauf des Films wird immer deutlicher, dass alle Aufnahmen aus demselben Landhaus getätigt wurden, was indirekt impliziert, alle Personen seien aus diesem Haus gesprungen oder hinausbefördert worden. Im letzten Satz bringt Greenaway das Haus auch im Text in Verbindung mit den Todesfällen, indem der trockene Kommentar besagt: „At sunset on the 14th April 1973, the seamstress and the student of aeronautics who played the harpsichord jumped into a plum-­‐tree from a window in this house.“32 Die Tatsache, dass „this house“ Greenaways eigenes Haus ist, verleiht dem Ganzen zusätzliche Skurrilität und setzt den Regisseur selbst mitten ins Geschehen.33 In Windows ist ein Großteil der filmischen Strategien, die Greenaways späteres Schaffen auszeichnen, bereits sichtbar. Seine Leidenschaft für Aufzählungen und Statistiken, der strenge „Strukturalismus“ der visuellen Anordnung, die Korrelation zwischen Bild und Musik, der Hang zur Thematisierung des Todes und der Verweis auf den Spielleiter hinter der Kamera, den Regisseur selbst. Der 41-­‐minütige Film A Walk through H. The Reincarnation of an Ornithologist (1978) leitete die postrukturalistische Phase Peter Greenaways ein.34 Dieses Opus zeigt wie kein anderes Greenaways Passion für Pläne und Landkarten. Auf Grundlage der Kartografie entstanden mehrere Zeichnungen des Regisseurs, die er in A Walk through H integrierte. Insgesamt 92 solcher Zeichnungen ergeben die Organisationsstruktur des Films. Die kleinformatigen Aquarelle zeigen abstrakte Landkarten, Pläne imaginärer Städte, Wege und Straßen, sowie Markierungen in Form von Kreuzen. Der Film beginnt in einer Galerie, in der die 92 Karten an der Wand hängen. Die Kamera bewegt sich durch den Ausstellungsraum und fährt auf ein Aquarell zu, bis es bildfüllend zu sehen ist. Im Off schildert ein fiktiver Ornithologe als Ich-­‐
Erzähler, wie er mit Hilfe der 92 Karten eine Reise durch »H« antrat, eine Reise von dieser 31
Off-­‐Kommentar: 00:01:54 – 00:02:35 Off-­‐Kommentar: 00:03:08 – 00:03:22 33
vgl. Pym 1982, 75. 34
vgl. Kapp 1992, 10. Er kennzeichnet die Phase durch Konstruktion eines Ordnungssystems, und anschließe Demontage desselben und der Reflexion künstlerischer Bewegungen wie der Konzeptkunst oder der Land-­‐Art. 32
11 Werdegang und Frühwerk Welt in die nächste. Während die Kamera den Wegen und Linien der kartografischen Landschaft folgt, erläutert der Sprecher, wie er in den Besitz der Karten gekommen sei. Zusammengestellt wurden sie von Tulse Luper, ebenfalls Ornithologe und Herausgeber des Buches Some Migratory Birds of the Northern Hemisphere, der ihm einige davon kurz vor seinem Tod zukommen lassen hatte.35 Auch die Figur des Tulse Luper hat Greenaway erfunden, sie existiert lediglich in seinen Filmen. Der Rest der Karten wurde gekauft, gestohlen oder als Geschenk überreicht. Luper gab auch Anweisungen über deren Verwendung. Peter Greenaway beschrieb die Karten als Transportmittel, welche die Seele – glaubt man an Wiedergeburt – vom Augenblick des Todes an einen Ort befördern, sei es nun Himmel oder Hölle, wofür auch immer »H« steht.36 Diese Frage wird auch im Film thematisiert. So erwähnt der Erzähler: „Tulse Luper suggested my journey through H needed 92 maps. Anticipating my question, he suggested the time to decide what H stood for was at the end of the journey and by that time it’s scarcely mattered.“37 Zwischenzeitlich werden die Aufnahmen der Aquarelle unterschnitten durch reale Aufnahmen diverser vom Erzähler erwähnter Vögel, um die Künstlichkeit des Films aufzubrechen. Die 92ste Karte markiert das Ende der, nach Aussage des Sprechers, 1418 Meilen langen Reise. Die Kamera fährt vom Bild zurück in den ersten Ausstellungsraum, wo die Galerieangestellte bereits das Licht abdreht, um abzuschließen. Die Kamerabewegung endet über einem Buch auf dem Schreibtisch der Dame. Es ist Tulse Lupers Buch Some Migratory Birds of the Northern Hemisphere, mit dem Untertitel: 92 maps, 1418 birds in colour. Peter Greenaways integriert in diesem Film erstmal Malerei. Man kann ihn als Startpunkt seines intensiven Zwiegesprächs zwischen künstlerischen Disziplinen, wie etwa der Malerei und dem Medium Film, betrachten. In A Walk through H thematisiert Greenaway explizit die Zweidimensionalität der Leinwand. Im Kino wird normalerweise Dreidimensionalität suggeriert, um möglichst tief in die Geschichte einzutauchen. Diesen Aspekt bricht Greenaway durch bewusste Reduktion auf die Flächigkeit der Aquarelle. Er erzeugt Räumlichkeit durch den literarischen Text der Erzählung, nicht durch optische Verfahren. Die beschriebenen Orte, die zurückgelegte Distanz von Karte zu Karte und die Binnengeschichten lassen einen narrativen Erzählraum entstehen. Christiane Barchfeld sieht die Reise des Ornithologen durch die Landkarten als Metapher für die Verschmelzung von Malerei und 35
vgl. Barchfeld 1993, 53. vgl. DVD-­‐Produktion des British Film Institut: Peter Greenaway. Frühe Filme 1: Kommentar des Regis-­‐
seurs zum Film A Walk through H. 37
Kommentarsprecher: 00:06:40 – 00:06:53 36
12 Werdegang und Frühwerk Film.38 Die Kamera dringt in das Gemälde ein, ist so nahe am Bild, dass sie nur Ausschnitte von diesem wiederzugeben vermag. Der Rahmen der Aquarelle wird selten gezeigt; meist füllen sie den gesamten Bildraum der Kamera aus. Den Verzicht auf den Rahmen nennt André Bazin die erste Revolution des Films.39 Durch das Verschwinden der Grenzen legt das Bild seinen vordergründigen Status als Kunstwerk ab und wird Teil der filmischen Welt. 3. Greenaways Helden: Die Entstehung immer wiederkehrender Figuren Im Laufe seines Werks entwickelte Peter Greenaway Figuren und Charaktere, die ihn auf seiner Reise als Filmemacher begleiteten. Einer davon ist der bereits erwähnte Tulse Luper. Mit der Zeit versammelten sich immer mehr fiktive Personen um Luper, die auf unterschiedliche Weise mit ihm in Verbindung traten. Diese Charaktere beschränken sich nicht auf einen Film, sondern ziehen sich wie ein roter Faden durch das Œuvre des Filmemachers. Einige davon werden nur namentlich erwähnt und spärlich eingesetzt, anderen wiederum widmet er ganze Spielfilme, in denen die Figuren Weiterentwicklung erfahren. Auf die Frage, warum sie immer wieder auftauchen, argumentierte Greenaway, dass er sein gesamtes Schaffen als ein einziges Werk verstehe. In seinen Filmen, so unterschiedlich sie auch sein mögen, bestehe Kontinuität. Für ihn seien sie „alle Teil ein und derselben Suche nach Antworten auf Fragen aller Art“, und es sei natürlich, dass es „Rückgriffe und Vorausnahmen“ gibt.40 Ende der 70er begann er mit der Entwicklung seines privaten Kosmos. In A Walk through H (1978) betraten Tulse Luper und sein Widersacher Van Hoyten erstmals die Leinwand Greenaways. Van Hoyten41, Eulenwärter des Amsterdamer Zoos, war ursprünglicher Besitzer der „Amsterdam-­‐Karte“, einer der 92 im Film behandelten Landkarten. Beide Figuren kommen hier lediglich in der Erzählung des Sprechers vor, da, wie im vorhergegangenen Kapitel bereits dargelegt, A Walk through H nur aus Nahaufnahmen der gezeichneten Karten und Einstellungen von Vögeln besteht und auf Darsteller gänzlich verzichtet. 38
vgl. Barchfeld 1993, 55. vgl. Bazin 2004, 232. 40
Greenaway zit. n. Walder 1988, 20-­‐21. 41
Er tritt auch in den späteren Spielfilmen The Draughtsman’s Contract und A Zed and two Noughts auf, die in Kapitel 4 analysiert werden. 39
13 Werdegang und Frühwerk 3.1 Tulse Luper: die Figur als Alter Ego und Sprachrohr des Regisseurs 1978 erschien auch Greenaways Film Vertical Features Remake -­‐ An Investigation into the Work of Tulse Luper by the Institute of Reclamation and Restoration.42 Wie der Titel bereits erläutert, dreht sich dieses Werk erneut um Tulse Luper, genauer gesagt um die filmische Hinterlassenschaft der Figur. Naturgemäß ist der Nachlass einer fiktiven Person als nonexistent anzusehen. Dass es sich hierbei gewissermaßen um eine Paradoxie handelt, ist vom Filmemacher intendiert.43 Eine weitere Erfindung ist das IRR (Institut of Reclamation and Restoration), das im Laufe des Films versucht, den nicht vollendeten Film des verstorbenen Lupers über vertikale Merkmale in der Landschaft (vertical features) zu rekonstruieren. Nach dem ersten Remake seitens des IRR melden sich im Film Wissenschafter und Akademiker zu Wort und zweifeln das Ergebnis an. Sie verfügen über weitere Informationen, welche neue Aufschlüsse über die Anordnung des Materials geben. Unter ihnen ist auch Tulse Lupers Verbündete Cissie Colpitts, die ebenfalls in mehreren Filmen vorkommt.44 Das IRR unternimmt drei weitere Versuche einer Neuanordnung, da es abermals zu Unstimmigkeit der Experten kam, die mittlerweile sogar die Existenz Lupers anzweifeln. Er sei eine Erfindung des IRR, damit dieses ein Projekt durchführen könne, bei dem es sich lediglich um eine akademische Filmschnittübung handle. So führt Peter Greenaway auf ironische Weise die seriöse wissenschaftliche Debatte ad absurdum und unterstreicht damit seine Vorliebe für ironische Fiktion. Der Film erinnert stilistisch stark an A Walk through H, weil er wiederum ausschließlich aus zweidimensionalem Bildmaterial organisiert ist: Fotografien, Zeichnungen und Skizzen, Manuskripte und die vermeintlichen Landschaftsaufnahmen Lupers. Die Ereignisse werden mittels sachlichem Kommentar erzählt, der an Fernsehdokumentationen erinnert und Authentizität suggeriert. Der entstehende Pseudo-­‐Dokumentarismus kann in dieser Phase schon als bekanntes und etabliertes Merkmal Greenaways angeführt werden. Auch die formalen Ordnungsschemata der Serie und der Wiederholung finden sich in diesem Werk wieder. VFR behandelt also jene Fragen, die sich auch Greenaway bei der Erstellung seiner Filme stellt, und zeigt diverse Möglichkeiten der strukturellen Anordnung filmischen Materials auf. 42
Der Film wird im Folgenden mit VFR abgekürzt. vgl. DVD-­‐Produktion des British Film Institut: Peter Greenaway. Frühe Filme 2: Kommentar des Regis-­‐
seurs zum Schöpferischen Prozess des Film VFR. 44
vgl. Pym 1981, 12. 43
14 Werdegang und Frühwerk Was Tulse Luper betrifft, so kam es seit A Walk through H zum Evolutionsprozess. Er entwickelte sich von einer Filmfigur zum zweiten ICH und Sprachrohr des Regisseurs.45 Nigel Andrews schrieb ihm bereits 1979 Kultstatus zu. „There is no doubt who the British cinema’s new folk hero is: Tulse Luper, ornithologist, extraordinary member of the IRR (Institution of Reclamation and Restoration) and apocryphal hero of British filmmaker Peter Greenaway’s two most recent films.“46 Zu diesem Zeitpunkt war Luper nur durch die Erwähnung seines Namens und seiner Lebensgeschichte bekannt. Was Greenaway in den frühen Filmen entwickelte, kulminierte 2003 im gigantischen Multimediaprojekt The Tulse Luper Suitcases, das neben einem On-­‐line-­‐Spiel und diversem Zusatzmaterial auch drei Spielfilme über Tulse Lupers Abenteuer enthält. Die Vereinigung der Greenaway’schen Charaktere bringt der dreieinhalbstündige Film The Falls (1980), in dem wiederum Realität und Fiktion zu verschwimmen beginnen. Er dokumentiert die Lebensgeschichten von 92 Personen, die alle Opfer eines Phänomens namens VUE (Violent Unknown Event)47 worden sind. Die Biografien schildern Anekdoten aus dem Leben der Betroffenen, sowie die Auswirkungen, die das Ereignis auf ihren Gesundheitszustand gehabt hat. Die 92 Personen sind aus einer Masse von insgesamt 19 Millionen Opfern auf Grund ihres Nachnamens herausgegriffen. Alle Namen beginnen mit dem Präfix »FALL«, von Orchard Falla über Erik Fallfree bis Anthior Fallwaste.48 Die 92 Episoden werden in alphabetischer Reihenfolge in Form von Kurzfilmen nach dem Prinzip der Addition aneinander gereiht und beginnen jeweils mit der Nummer der Episode (von 1 – 92) und dem Namen der vorgestellten Person. „The film in some ways is an attempt to understand what this VUE is. Many theories are put forward, because in some ways this film is about 92 different ways to envisage the end of the world, and also, self-­‐reflexively, 92 different ways in which to make a film.“49 Die „Falls“ haben außerdem alle, wie könnte es bei Greenaway anders sein, entfernt mit Vogelkunde, Landschaft oder dem Wunsch zu fliegen zu tun: Tolly Falluger, Vogelzähler; Melorder Fullaburr, Flughistoriker in Rente; Appropinquo Fallcatti, Veterinär-­‐Ornithologe aus Turin usw. Daher ist es kaum verwunderlich, dass der Ornithologe par excellence, Tulse Luper, auch in The Falls seinen Auftritt bekommt, sowie der mit ihm verbundene Personenkreis um Cissie Colpitts, Van Hoyten und Gang Lion. Sie sind nicht Teil der 92 45
vgl. Walder 1988, 21. Andrews 1979, 94. 47
Forbes 1981, 25. 48
vgl. Kennedy 1981, 19. 49
vgl. DVD-­‐Produktion des British Film Institut: Peter Greenaway. Frühe Filme 2: Kommentar des Regis-­‐
seurs zum schöpferischen Prozess des Film The Falls. 46
15 Werdegang und Frühwerk Biografien, treten jedoch in diversen Episoden mit den VUE-­‐Opfern in Verbindung. Der Film ist somit eine Enzyklopädie, ein Sammelband über die Helden der Greenaway-­‐Mythologie. Episode Nummer 30, über einen jungen Mann namens Coppice Fallbatteo, birgt ein kunsthistorisches Zitat. Coppice, ein Kunsthistoriker, ist begeistert von Piero della Francescas Gemälde La Pala Montefeltro, das Madonna mit dem Kind in einem Kirchenraum umgeben von Heiligen und dem Stifter Federico da Montefeltro zeigt. Besondere Wichtigkeit maß Coppice dem über der Gottesmutter und dem Kind schwebenden Straußenei zu. Das Ei besitzt in verschiedenen Religionen und Kulturen eine Vielzahl von Bedeutungen und ist ein oft verwendetes Symbol. Für die Figur Coppice Fallbatteo war das Ei Symbol des Violent Unknown Event. Greenaway verbindet diese Episode auf subtile Weise mit jener des dreizehnjährigen Throper Fallcaster (Nummer 54.)50 Während Throper auf einem Sofa sitzend Witze über Vögel erzählt, und die Erzählerstimme seine Sammelleidenschaft für Vogeleier erwähnt, schwebt vor seinem Kopf ein Straußenei vorbei, dem die Augen des jungen Throper wie unter Hypnose folgen. Das schwebende Ei ähnelt in Position und Aussehen stark dem Ei in Piero della Francescas Gemälde. Das Zitat kommt also in zweifacher Ausführung vor: Einmal in Form der Einbindung des Gemäldes Piero della Francescas in den Film, und zum Zweiten als motivische Wiederholung des Straußeneis. Es ist dies das erste Mal, dass der Künstler ein bekanntes Gemälde der Kunstgeschichte mit seinen Geschichten in Beziehung bringt. Die formal-­‐ästhetische Relevanz des Gemäldes wird hier noch nicht aufgegriffen; die Zitation findet auf inhaltlicher Ebene statt, da das Straußenei zum angesprochenen Themenkreis „Vögel und Fliegen“ passt. 4. Autoreflexivität und Metareferenz Die Termini Autoreflexivität und Metareferenz51 stammen ursprünglich aus der Literaturwissenschaft und kennzeichnen Werke, die den Gesichtspunkt der Referenz aufweisen und „[...] ihren Status als Artefakt thematisieren und reflektieren bzw. problematisieren.“52 Darüber hinaus ist sich ein auto-­‐ bzw. metareflexives Werk seiner selbst 50
vgl. Kennedy 1981, 20. vgl. Wolf 2009, 15; „Metareference is not yet a received notion in the humanities. In literary studies, one may instead encounter a plethora of partly overlapping terms which all have various degrees of affinity with »metareference«, in particular »self-­‐consciousness«, »self-­‐reference« or »self-­‐referentiality«, »autoreferentiality«, »self-­‐reflexity«, »metanarrativity«, »metafiction«.“ 52
Barchfeld 1993, 13. 51
16 Werdegang und Frühwerk bewusst und ist abhängig von einem Kontext.53 Selbstbezüge sind zweifelsohne auch in anderen Disziplinen als der Literatur möglich, wie beispielsweise in der Malerei, im Film, ja jedem künstlerischen Betätigungsfeld. In seinem Essay von 1971 Reflection and Reality verwies Thomas Elsaesser auf den hohen Grad an Autoreflexivität des modernen europäischen Kinos während der letzten Jahrzehnte.54 Autoreflexive Tendenzen im filmischen Erzählen gab es jedoch lange vor der Zeit, die Elsaessers Aufsatz bespricht. Einer Vielzahl an Filmen der Stummfilmära sind bereits Selbstbezüge eigen, und sie reflektieren filmischen Produktionsprozess und Filmmilieu.55 In Behind the Screen von 1916 mimt Charlie Chaplin den Assistenten eines Bühnentechnikers, dessen Aufgabe darin besteht, das Szenenbild aufzubauen und einzurichten. Der Film schildert auf humorvolle Weise die Vorbereitungen der Filmcrew und die anschließenden Dreharbeiten. In vielerlei Hinsicht kann der Film als frühes Beispiel eines „Making Of’s“56 angesehen werden, da die Abläufe eines Filmdrehs gezeigt werden. Auch spätere Filme wie Hellzapoppin von Henry Potter (1941) oder Sunset Boulevard von Billy Wilder (1950) thematisierten die Mechanismen des Filmbetriebs und übten Kritik am System Hollywood. Abgesehen von den USA zeichnet sich das Interesse an Autoreflexivität vor allem im europäischen, speziell dem französischen Kino ab. Referenz zu Filmgeschichte und Filmästhetik ist den Filmen der Nouvelle Vague Regisseure Godard, Rivette oder Truffaut inhärent, aber auch Klassiker von Bunuel (Un chien andalou), Fellini (Otto e mezzo) oder Bergman (Persona) manifestieren die autoreferentiellen Tendenzen im europäischen Art-­‐Film. Elsaesser sieht sie als Kritik an der herkömmlichen narrativen Form des Spielfilms und an der Art und Weise, wie die Filmindustrie organisiert ist.57 Für Filme über das Filmemachen und solche, die das Medium sichtbar machen, ist auch der Begriff »Metafilm« gebräuchlich.58 Als Metafilme werden ganz allgemein auch Werke über den 53
Kawin zit. n. Barchfeld 1993, 13. Elsaesser 1971, 2: „Fiction films have increasingly turned inward and upon themselves, in ever more tor-­‐
tuous coils, while the whole concept of self-­‐contained film has been challenged by the at least quantitatively very important number of film-­‐makers who are resorting to a revival of ciné vérité methods and the deliberately artless filming of banal and random events. In a sense history can be seen to repeat itself.“ 55
Robert Stam nennt hier Filme von Buster Keaton wie Sherlock Jr. (1924) und Charlie Chaplin His new Job (1915), siehe Stam 1985, 37-­‐39 und 77-­‐79. Siehe hierzu auch Bordwell 1985, 58. Er erwähnt in diesem Zusammenhang Filme Sergej Eisensteins. 56
Unter dem Begriff Making Of (auch: Behind the scenes) versteht man eine Dokumentation, welche die Entstehung des Films und die Dreharbeiten dokumentiert. Heutzutage beinhaltet fast jede DVD Bonusmaterial wie ein Making Of oder Interviews mit Cast und Crew. Siehe hierzu Monaco/Bock 2011, 151. 57
vgl. Elsaesser 1971, 3-­‐9. 58
Filmstellen VSETH/VSU (Hrsg.) zit. n. Barchfeld 1993, 25. 54
17 Werdegang und Frühwerk „schöpferischen Prozess in der Kunst“ bezeichnet.59 Sie können in der Welt des Films angesiedelt sein; z.B. spielt Woody Allen in seinem Film Stardust Memories (1980) selbst einen Regisseur und Drehbuchautor, dessen Leben der Film zum Inhalt hat), doch können auch künstlerische Gattungen wie Literatur, Malerei oder Fotografie in Filmen reflektiert werden. Als Beispiel hierfür dient Derek Jarmans Caravaggio (1986), ein Film über den berühmten Maler Michelangelo Merisi da Caravaggio. Die Bezüge sind in diesen Fällen immer noch in die »Story-­‐Ebene« eingeschrieben. David Bordwell untersuchte die Beziehung zwischen narrativen Strategien und formalen Bereichen eines Films und hebt dabei drei Kategorien hervor: Fabula, Syuzhet [sic] und Style.60 Er betont den Unterschied zwischen der Geschichte, die den Film repräsentiert, und seiner Form. Die Fabula oder Story enthält die Handlung des Films als chronologische Kette von Ereignissen. Das Syuzhet oder der Plot eines Films beschreibt die tatsächliche Anordnung und die Präsentation der Fabula und gibt Aufschluss darüber, wie die Geschichte angeordnet ist. Den Style benennt Bordwell als die Systematik des Films unter Verwendung cineastischer Bestandteile. Beide, Syuzhet und Style, haben mit der Form des Films zu tun und interagieren miteinander. Das Syuzhet beinhaltet die dramaturgischen und der Style die technischen Aspekte der filmischen Gestaltung. Auf diesen drei Ebenen kann sich Autoreflexivität im Film offenbaren. Die Story-­‐Ebene wurde bereits durch die oben erwähnten Filme erläutert, in denen das Leben eines Künstlers oder die Herstellung eines Films oder Kunstwerkes den Ausgangspunkt derartiger Reflexionen bilden. Aber auch die Darlegung der filmischen Strukturen und das Bewusstmachen des Mediums sind Varianten des autoreflexiven Phänomens, die sich auf der Plot-­‐Ebene abspielen.61 Im Film The Draughtsman’s Contract weist Greenaway auf den Regisseur hinter der Kamera hin, also auf sich selbst, und widerlegt dadurch bewusst den Illusionscharakter des Mediums. Auf der Style-­‐Ebene beschäftigen sich selbstreflexive Verfahren meist mit der Offenlegung technischer Komponenten wie dem filmischen Material, der Montage oder dem Medium an sich. Dies legt, wie bereits erwähnt, Greenaways Vertical Features Remake dar. Er spielt mit dem Filmmaterial und dessen Anordnungsversuch des Instituts of Reklamation and Restoration. Durch die mehrmalige Verwendung der vermeintlichen Tulse Luper Aufnahmen rezipiert der Regisseur den Prozess des Filmschnitts und gibt gewissermaßen Einblick in die Postproduktion eines Films. Außerdem kann VFR als Reflexion des strukturellen Films angesehen werden. Die vier Rekonstruktionsversuche zeigen die Variationsbreite der 59
Barchfeld 1993, 26. siehe dazu Bordwell 1985, 49-­‐51. Syd Field verwendet statt Fabula den Begriff STORY und für Syuzhet und Style den Begriff PLOT siehe Field 2006, 32. 61
vgl. Barchfeld 1993, 27. 60
18 Werdegang und Frühwerk formalen Organisation filmischen Materials auf Grundlage verschiedener Konzepte unter Einbeziehung der musikalischen Elemente. Autoreflexivität und Metareferenz finden ebenso auf der Ebene der Filmfiguren statt. Dafür kommen mehrere Möglichkeiten in Frage: So kann sich ein Charakter beispielsweise seines Fiktionsstatus bewusst sein, wie dies im Film Stranger than fiction (2006) der Fall ist: Protagonist Harold Crick erfährt im Laufe der Geschichte, dass er lediglich ein Charakter der Autorin Karen Eiffel ist, indem er beginnt, die Erzählerstimme des Films zu hören. Dieses Phänomen wird in der Narratologie mit dem Begriff Metalepsis umschrieben. Metalepsis bezeichnet zwei oder mehrere getrennte Erzählebenen, die logikwidrig miteinander vermischt werden. Es kommt zu einem Überschreiten der Grenze zwischen Filmwelt und Rahmenwelt und zur Durchbrechung der Realitätsebene. Werner Wolf definiert Metalepsis als „a salient phenomenon occurring exclusively in representations, namely as a usually non-­‐
accidental and paradoxical transgression of the border between levels or (sub)worlds that are ontologically or logically differentiated.“62 Das kann zum einen bedeuten, dass sich eine Figur in die Handlung der Geschichte einmischt, wie es Harold Crick tut, der während des Films den Versuch unternimmt, mit seiner Schöpferin in Verbindung zu treten. Zum anderen kommt auch der umgekehrte Fall vor, indem eine Figur der Binnenerzählung die ebenfalls fiktive „Wirklichkeit“ der Rahmenerzählung betritt. In Woody Allens The Purple Rose of Cairo (1985) tritt ein Charakter eines Schwarzweißfilms aus der Leinwand heraus und erkundet die Welt dieser Filmebene. Auch ihm und seinen Schauspielerkollegen, die ebenfalls die Leinwand verlassen möchten, aber dazu nicht in der Lage sind, ist die Illusion bewusst, da sie dies im Dialog diskutieren. Weiters kann Autoreflexivität erzeugt werden, indem Figuren vorkommen, die bereits vor ihrem Filmauftritt bekannt und somit schon als fiktional ausgewiesen sind. Durch den oftmaligen Einsatz Tulse Lupers in Greenaways Arbeiten wird deutlich, dass dieser nicht real ist, da er bereits in früheren Filmen als Figur charakterisiert wurde. Indem Luper und sein Kreis an Genossen mehrere Greenaway-­‐Filme bevölkern, treten diese Werke in Beziehung zueinander. Ideen werden zusammengebracht und Bezüge hergestellt. So kann sein Spielfilm Drowning by Numbers (1988) trotz fehlender inhaltlicher Entsprechungen mit VFR oder The Falls in Verbindung gebracht werden, nur auf Grund der Tatsache, dass Cissie Colpitts in all den Filmen als Protagonistin fungiert. 62
Wolf 2009, 50. Zur weiteren Vertiefung bezüglich Definition und Prototypen empfiehlt sich die ausführ-­‐
liche Dissertation von Jeff Thoss: Metalepsis in Contemporary Popular Fiction, Film, and Comics. Thoss 2011, 17-­‐35. 19 Werdegang und Frühwerk Ganz offensichtlich zum Typus der Autoreferenz gehörig ist das Selbstzitat. Viele Charakteristika Greenaways Kurz-­‐ und Experimentalfilmschaffen finden ihren Höhepunkt im Film The Falls. In Episode 56 zitiert sich Greenaway selbst. Sie handelt von einem Mann namens Appropinquo Fallcatti, der kritische Vorführungen von Filmen ornithologischen Inhalts organisiert. Der Kommentarsprecher des Film schildert: „To ingratiate himself with Tulse Luper he anticipated showing a little-­‐man film called A Walk through H or The Reincarnation of an Ornothologist.“ Durch die Erwähnung seines eigenen Films adelt sich Greenaway quasi selbst, bricht dieses Eigenlob allerdings durch die Beifügung „a little-­‐man film“. In weiterer Folge heißt es: „However, nobody could find a copy of the film [...]“, was ebenfalls auf einen niedrigen Bekanntheitsgrad verweist. Nach der Betrachtung einiger Experimentalfilme kann zusammenfassend festgehalten werden, dass Greenaway in rund zehn Jahren des Experimentierens eine Methode entwickelte, seine Filme zu organisieren und in Form zu bringen. Strukturen, welcher Art sie auch sein mögen -­‐ ob Zahlen, Reihen, Serien oder Kataloge – bilden stets das Gerüst seiner Filme, an welches die Spielfilme anknüpfen und darauf aufbauen. Metareferenzielle, selbstreflexive sowie intermediale Bezüge stellen bereits im Frühwerk Beschäftigungsfelder dar, doch waren sie vielmehr an Form als an Narration gebunden. Mit den ersten Spielfilmen kommt es zu einer Erweiterung der Intermedialität in seinem Schaffen, die bislang nur mit Musik und selten mit Nachbardisziplinen wie Malerei oder Zeichnung in Beziehung trat. So ist Greenaways Frühwerk als Vorbote der Spielfilme zu verstehen, dem Weg weisende Funktion zukommt. 20 Das Kunstwerk im Film und der Film als Kunstwerk II. DAS KUNSTWERK IM FILM UND DER FILM ALS KUNSTWERK Bevor sich die vorliegende Studie ihrem Hauptteil widmet, folgt ein Exkurs über die Stellung des Films als Kunstwerk. Erörtert werden die schwierige Position des Mediums innerhalb der kunstgeschichtlichen Forschung, die Problematik der Kunstverfilmung sowie die Möglichkeiten der filmischen Wiedergabe von bildender Kunst. 1. Die Kunsthistoriker und der Film. Zur ambivalenten Konstellation: Film und Kunst Im Herbst 1988 fand in Frankfurt am Main der 21. Kongress des Verbandes Deutscher Kunsthistoriker statt, der sich erstmalig mit dem Thema „Kunst und Künstler im Film“ auseinandersetzte, denn wie schon beim vorangegangenen 20. Kongress in Berlin sollten kunsthistorische „Tabus“ aufgebrochen werden.63 Es ist deshalb von „Tabus“ die Rede, da sich die Kunstgeschichte bislang nicht durchringen konnte, den Film als adäquaten Forschungsgegenstand anzusehen und ihn daher eher stiefmütterlich behandelte. Dies ist umso paradoxer, haben sich bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts große Namen der Kunstwissenschaft um die »siebente Kunst« bemüht. In den 1920ern bat Béla Balázs um Aufnahme des Films in den Fachkreis der Kunstgeschichte. Die Filmkunst bedürfe einer Bearbeitung seitens der Kunstwissenschaft und wünsche nicht länger vor den „heiligen Hallen der Theorie“ zu stehen.64 Balázs wandte sich auch an die Filmemacher selbst mit der Bitte, sich gleichfalls mit der Theorie ihrer Materie auseinanderzusetzen, um unterschiedliche Möglichkeiten des Mediums auszuschöpfen.65 Auch der wegweisende Aufsatz Erwin Panofskys On Movies von 1936 (später als überarbeitete Version unter dem Titel Style and Medium in the Motion Picture erschienen) unterstrich die Bedeutung und den Stellenwert des Films. „Heute ist offensichtlich, daß Spielfilme nicht nur »Kunst« sind – selten große Kunst, sicherlich, aber das ist in anderen Gattungen genauso –, sondern außer Architektur, der Karikatur und der Gebrauchsgrafik auch die einzige bildende Kunst, die wirklich lebt. Der Film hat wieder eine lebendige Beziehung hergestellt zwischen Kunstschaffen und 63
vgl. Röttgen 1990, 7. vgl. Balázs 1982, 45. 65
vgl. Balázs 1982, 48-­‐49. 64
21 Das Kunstwerk im Film und der Film als Kunstwerk Kunstgebrauch, eine Beziehung, die auf vielen anderen Gebieten künstlerischer Tätigkeit sehr gelockert, wenn nicht gänzlich unterbrochen ist.“66 Panofsky bezeichnete den Film bereits 1936 als Kunst und appellierte an die Kunstwissenschaft, sich seiner anzunehmen: Der Film beginne nicht wie die Malerei mit einer leeren Leinwand, nicht wie die Skulptur mit Lehm oder einem unbehauenen Steinblock, der erst durch den Künstler Form annimmt. Er entstehe nicht durch einen Künstler, dessen Idee und Handwerk formloser Materie Gestalt verleiht, sondern gebe „materiellen Dingen und Personen, nicht neutralem Stoff, einen Sinnzusammenhang, der seinen Stil [...] weniger durch die Vorstellung des Künstlers enthält als durch die Arbeit mit den äußeren Objekten und der Aufnahmeapparatur.“67 Alle Bestandteile des Films also, die Panofsky als äußere Objekte beschreibt, -­‐ von den Schauspielern, der Bildgestaltung und Lichtsetzung, den Bühnenbildern und Kulissen -­‐, müssen arrangiert und zu einem Kunstwerk zusammengefügt werden. Trotz seiner Differenz zu den älteren Künsten hielt Panofsky die Aufgabe des Films für nicht minder „legitim“ noch „schwierig“.68 In weiterer Folge nahm Panofsky dieses Thema mehrmals auf, doch fand er kein dementsprechendes Echo. Ein weiterer Meilenstein der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Thema Films ist das Werk Rudolf Arnheims. Sein Buch Film und Kunst von 1932 beschäftigt sich mit Theorie und Ästhetik des Films und veranschaulicht erstmal die medieninhärenten Ausdrucksmittel.69 Arnheim verweist in einer Vielzahl von Artikeln und Aufsätzen auf die Beziehung von Film und anderen Bildkünsten, speziell im Beitrag von 1934 Malerei und Film wo er von den gleichen Gestaltungsmöglichkeiten eines Bildes spricht, gleich ob es sich um Malerei, Fotografie oder Film handle.70 Durch das nationalsozialistische Regime endete das aufkommende Interesse der Kunsthistoriker im deutschsprachigen Raum am Medium Film abrupt. Auch als sich die Kunstgeschichte nach 1945 neu orientierte, wurde der Film als Untersuchungsgegenstand des Fachbereiches nicht miteinbezogen, und die Euphorie der 30er-­‐Jahre verebbte. In den Folgejahren fand der Film nur spärlich Beachtung, unter anderem durch Institutionen wie den Ulmer Verein – Verband für Kunst-­‐ und Kulturwissenschaften – oder Kunsthistoriker wie Karl Stamm, der ein konstanter Verfechter der Auseinandersetzung der Kunstgeschichte mit dem Film war.71 66
Panofsky 1999, 22. Panofsky 1999, 53, 54. 68
Panofsky 1999, 54. 69
vgl. Zahlten 1990, 15. 70
Arnheim 1977, 151. 71
vgl. Zahlten 1990, 16-­‐17. Siehe hierzu auch Thomas Meders Aufsatz „Die Verdrängung des Films aus der deutschen Kunstwissenschaft 1925 – 1950“, Meder 1994, 9-­‐16. 67
22 Das Kunstwerk im Film und der Film als Kunstwerk Die Ignoranz der Kunstgeschichte rührt auch aus der Unterschiedlichkeit des Mediums Film zu Disziplinen wie Architektur, Malerei oder Plastik, die als „hohe Kunst“ verstanden werden, während der Film als populäre Kunst gilt.72 Durch inflationäre Produktion von anspruchslosen Mainstream-­‐Blockbustern wurde der Film oft als Massenmedium und als trivial abgetan, der rein den Ansprüchen der Auftraggeber genüge und auf Kommerz ausgerichtet sei. Dieser Vorwurf hat sicherlich etwas Wahres, doch darf man derartige Filme nicht mit der Vielzahl an niveauvollen, künstlerisch anspruchsvollen Produktionen über einen Kamm scheren. Hier hat sich in den letzten Jahrzehnten besonders der »Autorenfilm«73 hervorgehoben, der sich deutlich von den weniger aufwenigen »B-­‐Movies« absetzt. Für Martin Norden ist diese Ausklammerung der Tatsache geschuldet, dass das Verhältnis von Film und bildender Kunst weniger stark sei, als seine Verbindung zu Gattungen wie der Literatur oder dem Theater.74 Dies bestätigt die verhältnismäßig häufige Auseinandersetzung der Literaturwissenschaft mit dem Film, vor allem bezogen auf Intermedialitätsforschung, verstärkt durch Literaturverfilmungen und Analyse der Story-­‐Ebene, also der narrativen Elemente eines Films. Da sich die Kunstgeschichte als Bildwissenschaft versteht, steht sie den visuellen Aspekten näher. Laut Johannes Zahlten wäre gerade die Kunstwissenschaft für die Untersuchung der ästhetischen Mittel besonders geeignet. „Es besteht kein Grund dafür, das Feld den Kommunikationsforschern, Literaturwissenschaftlern, Soziologen oder Politologen zu überlassen, sondern interdisziplinär wäre mit ihnen der Sache wegen zusammenzuarbeiten. [...] Wenn hier von kunsthistorischer Methodenvielfalt ausgegangen wird und man auch Fragestellungen der Nachbardisziplin nicht aus dem Auge läßt, ist eine breite Basis zur Erweiterung des Gegenstandsbereichs der Kunstgeschichte um das Gebiet Film geboten.“75 Die eingangs erwähnte Kunsthistorikertagung von 1988 kann als Schritt in die richtige Richtung angesehen werden, insbesondere Zahltens Forderung interdisziplinärer Zusammenarbeit. Es wurden erstmalig verschiedene filmische Formate und deren Öffnung neuer Forschungsbereiche beleuchtet. In diese Kerbe schlägt auch der 2006 von Thomas Hensel, Klaus Krüger und Tanja Michalsky herausgegebene Tagungsband Das Bewegte Bild.76 Kunsthistoriker und Filmwissenschaftler diskutierten die Wechselbeziehungen von 72
vgl. Berger 2009, 13. Sowie Norden 1988, 17, der diese Disziplinen als „fine arts“ und Film als „popular art“ bezeichnet. 73
Unter Autorenfilmen versteht man Filme die unter (fast) alleiniger Schöpfung des Filmemachers (Regie, Autor, Produzent) entstehen. Vgl. Monaco/Bock 2011, 24. 74
vgl. Norden 1988, 17. 75
Zahlten 1990, 18-­‐19. 76
vgl. Hensel/Krüger/Michalsky 2006 23 Das Kunstwerk im Film und der Film als Kunstwerk Kunstgeschichte, Bild und Film sowie die Verbindung des Films zu kontemporären künstlerischen Methoden. Es wird der Versuch einer Sensibilisierung für die Wahrnehmung des Mediums unternommen und anhand zahlreicher Beispiele der Filmgeschichte dargelegt. 2. Der Kunstfilm Wenn die Kunstgeschichte sich des Films annimmt, ist dies oft eine Beschäftigung mit dem Kunstfilm. Da in wissenschaftlichen Publikationen zu dieser Thematik dem Terminus Kunstfilm verschiedenste Bedeutungen zugeschrieben werden, soll hier eine detailliertere Darstellung des Begriffes Platz finden. Während Richard Schönenbach darunter Filme versteht, die „hohen künstlerisch-­‐intellektuellen Anspruch haben und dadurch auch kein Massenpublikum ansprechen“77, sich aber nicht zwingend mit Kunst auseinandersetzen müssen, benennen Jens Thiele, Ellen Fischer und Joanna Barck jene Werke als Kunstfilme, die sich mit dem Bild und bildender Kunst auseinandersetzen und diese thematisieren.78 Um Missverständnisse zu vermeiden, wird im Rahmen dieser Arbeit in weiterer Folge der Begriff Filmkunst für den Film als Kunstform verwendet, wohingegen Kunstfilm für jene Filme gebraucht wird, die in Bezug zu Kunst, Künstlern oder Kunstproduktion stehen. Ein solcher Film kann jedoch zusätzlich auch als Filmkunst bezeichnet werden, wenn er über formalästhetische Mittel von hohem künstlerischen Wert verfügt. Paradigmatisch hierfür ist Jean-­‐Luc Godards Film Passion (1982), der sich intensiv berühmten Werken der Kunstgeschichte widmet, abgesehen davon auch über inhaltliche und formale Parameter verfügt, die den Film zu einem Kunstwerk machen. Umgekehrt muss ein Film, der sich mit Kunst beschäftigt, nicht automatisch als Kunstfilm im Schönenbachschen Sinne aufgefasst werden. Als Subterminus zum Kunstfilm ist der Begriff Künstlerfilm gebräuchlich, der, egal ob Spiel-­‐ oder Dokumentarfilm, die Biografie eines Künstlers als Basis der Story-­‐Line gebraucht. Dabei handelt es sich meist um Künstler mit hohem Bekanntheitsgrad, die besonders ereignisreiche, dramatische oder tragische Viten haben und der allgemeinen Vorstellung vom Mythos des Künstlers entsprechen.79 Martin Norden hebt vor allem die Zeitspanne zwischen den 1940ern bis Mitte der 1960er hervor, in der europäische und amerikanische Filmemacher reges Interesse am Leben und Werk bekannter Künstlerpersönlichkeiten wie Michelangelo, Van Gogh, Rubens oder Picasso 77
Schönenbach 2000, 3. Er benennt explizit Filme von Jean-­‐Luc Godard, Federico Fellini, Peter Greenaway und Pier Paolo Pasolini. 78
vgl. Thiele 1974, 2,13; vgl. Fischer 1994, 112; und Barck 2008, 10. 79
vgl. Fischer 1994, 104. 24 Das Kunstwerk im Film und der Film als Kunstwerk zeigten.80 Durch ihre Popularität entstanden zu den Biografien auch Künstlerromane, die oft als literarische Grundlage der Drehbücher dienten. Viele Künstlerfilme sind also zunächst Literaturverfilmungen. Vincente Minnellis Van Gogh-­‐Film Lust for Life (1956) entstand nach dem gleichnamigen Roman von Irving Stone, wie Katharina Bantleon in ihrer Arbeit ausführlich schildert,81 oder der 1952 erschienene Film Moulin Rouge über Toulouse-­‐Lautrec, der auf der Romanvorlage von Pierre La Mure basiert. Der Künstlerfilm orientiert sich ebenso am Heldenmythos und zeigt oft ein stereotypes Bild des leidenden Künstlers zwischen Genie und Wahnsinn.82 3. Das Problem der Adaption bildender Kunst und der Bildverfilmung Ein Spielfilm ist abhängig von einer Handlung, die sich entlang einer zeitlichen Achse erstreckt. Genau dies bietet die Lebensgeschichte eines Künstlers, anhand derer man einen Film aufbauen kann. Ein Kunstwerk jedoch als Ausgangspunkt für einen Film zu nehmen, ist ungleich schwieriger. Es bildet meist eine rein optische Vorlage, die lediglich als Referenz der formalen Filmebene herangezogen wird. Selten ist ein Bild, eine Skulptur oder ein anderes Kunstwerk unter Verzicht auf die Biografie des Künstlers, in einen anderen Kontext gesetzt, Ursprung eines Films. Kunstwerke werden größtenteils als Part einer Kulisse oder als Ausstattungsgegenstände eingesetzt.83 Als solche sind sie ohne narrative Funktion zur reinen Verschönerung des Szenenbildes verwendet. Das einzelne Werk, spielt meist keine Rolle, es sei denn, es handelt sich um Historienfilme, in denen auf getreue Wiedergabe von Szenerie Wert gelegt wird. Ein als Kunstfilm ausgewiesener Film nimmt auf das einzelne Kunstwerk selbst Bezug und erhebt es durch seine Integration zu einem wichtigen Inszenierungsfaktor. Hierbei wird es von seiner reinen Dekorationshaftigkeit befreit und zum Objekt der Dramaturgie. Kunstwerke erlangen laut Joachim Paech84 Bedeutung, indem sich Filmfiguren mit ihnen beschäftigen. Wenn also Ed Harris als Jackson Pollock ein Action-­‐Painting erstellt oder Pierce Brosnan in The Thomas Crown Affair (1999) ein berühmtes Monet-­‐Gemälde aus dem Metropolitan Museum of Art stiehlt, werden diese Werke zu Handlungsbestandteilen 80
vgl. Norden 1988, 21. vgl. Bantleon 2008, Vincent van Gogh im Spielfilm. Leben und werk des Künstlers in Vincente Minnellis Lust for Life. 82
vgl. Heeling 2009, 15. 83
vgl. Schönenberg 2000, 3. 84
vgl. Paech 1990, 49. 81
25 Das Kunstwerk im Film und der Film als Kunstwerk von dramaturgischer Wichtigkeit. Weiters schildert Peach, dass Kunstwerke in ihrer Funktion als Objekt der Filmhandlung vom ästhetischen Konnex zum Filmbild ablenken und der „vor-­‐
filmischen Objektwelt“ angehören. Damit meint er, dass sie ihren Stellenwert als Kunstwerk einbüßen. Wenn sie hingegen als „Anspielungen“ im Film integriert sind, lösen sie beim Betrachter, falls dieser sie als Kunstwerke erkennt, gewissermaßen einen Wiedererkennungs-­‐
Effekt aus.85 Greenaway versucht, die angesprochenen Phänomene zu verbinden und sich der Problematik der „Bildverfilmung“86 zu stellen. Ausgangspunkt seines Films Nightwatching (2007) sind die Verschwörungstheorien rund um Rembrandts berühmtes Gemälde Die Nachtwache. Auf Grund unterschiedlicher Indizien und Details des Gemäldes versucht Greenaway aufzuzeigen, dass es einen Mord darstellt. Nun handelt es sich hierbei nicht um den klassischen Künstlerfilm, da das Leben Rembrandts zwar Thema ist, die Schaffung des Gemäldes mit anschließender Aufdeckung der Verschwörung jedoch eindeutig Vorrang hat. Das Kunstwerk und nicht die Biografie rückt in den Mittelpunkt. Gleichzeitig setzt Peter Greenaway es nicht nur als reines Objekt der Filmhandlung ein, er schafft vielmehr einen Nexus von Gemälde und Filmbild, in dem die visuelle Gestaltung der Filmbilder Rembrandts Malerei entspricht. Das Kunstwerk erhält sich somit seinen Eigenwert und wird nicht zum dramaturgischen Operator degradiert. Zum Verlust der Autonomie meldete sich bereits 1936 Walter Benjamin in seinem Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit zu Wort. Das Auratische eines Kunstwerks verkümmere, so Benjamin, durch den Verlust seiner Einzigartigkeit und durch massenhafte Vervielfältigung. Dies stehe in Zusammenhang mit den Massenbewegungen seiner Zeit, deren mächtigster Agent der Film sei.87 André Bazin hingegen sieht Filme über Kunstwerke nicht als Zerstörung deren Auren, sondern bezeichnet sie als neue ästhetische Werke, die aus der Begegnung beider Künste entstehen. „Der Film ist nicht gekommen, um der Malerei zu »dienen« oder sie zu verraten, sondern um ihr eine weitere Daseinsform hinzuzufügen. Der Malerei-­‐Film ist eine ästhetische Symbiose zwischen Leinwand und Gemälde wie die Flechte zwischen Alge und Pilz. Die Empörung darüber ist so unsinnig wie die Verdammung der Oper im Namen von Theater und Musik.“88 85
vgl. Peach 1990, 49. Paech 1990, 49. 87
vgl. Benjamin 2006, 16, 17. 88
Bazin 2004, 229. 86
26 Das Kunstwerk im Film und der Film als Kunstwerk Dies entspricht der Intention Greenaways. Seine Filme sind keine Ab-­‐ oder Nachbildungen, er strebt nach Neuschöpfung. Sein Werk The Belly of an Architect (1986) ist eine Auseinandersetzung mit dem Schaffen des französischen Theoretikers und Vertreters der Revolutionsarchitektur Étienne-­‐Louis Boullée. Er bedient sich also einer Persönlichkeit aus der Kunstgeschichte, orientiert sich allerdings an deren Hinterlassenschaft. Protagonist ist die fiktive Figur Stourley Kracklite, ebenfalls Architekt, der eine Retrospektive über Boullées Architekturutopien plant. Boullée selbst kommt im Film nie vor, sondern ist lediglich durch sein Werk anwesend. Greenaway entzieht sich somit dem Zwang, sich streng an Boullées Vita zu halten und in einer Spielfilmlänge von etwa zwei Stunden sein gesamtes Leben und Werk unterzubringen. Boullées Arbeiten büßen durch Greenaways Film nichts von ihrer Aura ein, weil sie Gegenstand einer filmischen Neuschöpfung sind, die eine Brücke zwischen der antiken Architektur Roms, den Entwürfen Boullées und der modernen Ausstellungsarchitektur schlägt. 4. Möglichkeiten der filmischen Wiedergabe bildender Kunst: intermediale Bezüge Die nächstliegende Variante der Wiedergabe stellt die bloße Abbildung von Kunst dar, als Interieur oder Dekoration der Filmkulisse, Kunst im musealen Kontext oder bei Auktionen sowie am originalen „Aufstellungsort“, der vor allem auf Architektur, Skulpturen oder Kunst im öffentlichen Raum zutrifft. Wie man aus dem Vorangegangenen entnehmen kann, ist die Darstellung der bildenden Künste im Film in erster Linie die Darstellung von Malerei. Dies kommt nicht von ungefähr, da sowohl die Malerei als auch der Film aus Bildern bestehen, und deren Verwandtschaft sowie Divergenz anschaulich thematisiert werden kann. Jennifer Heeling unterscheidet bei der filmischen Übersetzung von Kunstwerken zwischen der expliziten Form „telling“, welche das Verhältnis zwischen den Künsten beispielsweise durch Figuren vermittelt, die im Dialog oder Monolog über Kunst reden, und der implizierten Form „showing“, bei der Kunstwerke im Film vorkommen.89 Der explizite Modus findet im Film My Dinner with André (1981) von Louis Malle Verwendung. Es treffen sich die Freunde Wally und André, die sich seit langer Zeit nicht mehr gesehen haben, zum Essen in einem Restaurant in New York. Während des Essens sprechen die beiden unter anderem auch über Kunst. Das 89
vgl. Heeling 2009, 28. 27 Das Kunstwerk im Film und der Film als Kunstwerk gesamte Gespräch findet im Restaurant statt; man sieht das Erzählte also nie, es ist nur die Rede von Kunst, die durch intensive Beschreibung Bilder erzeugen kann. Was den Aspekt der implizierten Referenz des „showings“ betrifft, existieren diverse Möglichkeiten der filmischen Darstellung. Ein Kunstwerk wird durch sein Vorhandensein interpretiert und in Beziehung zur Handlung eines Films gesetzt. Es kann als Kunstwerk selbst anwesend sein, sowie den Handlungsablauf eines Films kommentieren oder metaphorisch eingesetzt werden und durch seine Präsenz Gedanken oder Assoziationen hervorrufen. Der folgende Strukturbaum90 (Diagramm 1) soll verschiedenen Varianten der intermedialen Bezüge von Film auf bildende Kunst illustrieren. Implizite Referenz bezeichnet die Imitation bestimmter Formen, Strukturen oder Regeln eines Bezugssystems und deren Übernahme ins eigene System.91 Der Filmemacher besitzt in diesem Fall also die Fähigkeit, auf imitative Verfahren zurückzugreifen, die es ihm ermöglichen, Teilaspekte oder ganze Werke anderer Kunstformen im eigenen Medium zu integrieren. Dies kann, wie im Strukturbaum ersichtlich, mittels Evokation, formaler Imitation oder (Teil)-­‐Reproduktion realisiert werden. Diagramm 1: Darstellung intermedialer Bezüge von Film auf bildende Kunst Evozierende Referenz wird durch inhaltliche oder optische Ähnlichkeit eines Aspektes oder Bereiches des Kontaktmediums konstruiert. Wenn Film bildende Kunst reflektiert und es filmisch veranschaulichen möchte, kann dies durch Hervorrufen von Assoziationen erfolgen. 90
Ausgangspunkt bildet der Strukturbaum Werner Wolfs aus Wolf 2008, 18. Dieser wurde allerdings zur Darstellung der intermedialen Beziehung von Literatur und Musik erstellt und daher von der Autorin thematikspezifisch abgeändert und erweitert. Siehe auch Rajewsky 2002, 157. 91
vgl. Rajewsky 2002, 84. 28 Das Kunstwerk im Film und der Film als Kunstwerk Der Filmkonsument muss das Referenzobjekt nicht zwingend (er)kennen, um der Handlung zu folgen, tut er dies jedoch, so hat er, zumindest im Bezug auf Greenaways Filme, zumeist einen Informationsgewinn, der zur besseren Entschlüsselung der Werke beiträgt und das Bestreben des Regisseurs verdeutlicht. Evokation kann mittels Einzelbildreferenz stattfinden, eine filmische Einstellung entspricht also auf inhaltlicher oder formalästhetischer Ebene einem Referenzbild bzw. Referenzobjekt, das meist ein bekanntes Meisterwerk darstellt. Der Verweis auf dieses ist umso eindeutiger, wenn sich beide Medien mit der gleichen Thematik beschäftigen. Als problematisch gestaltet sich eine rein formale Anspielung ohne inhaltliche Entsprechungen.92 Ein derartiges Beispiel findet sich in Robert Altmans Militärsatire M.A.S.H (1976). Der Film spielt in einem Militärlazarett, wo sich der Chirurg Walt das Leben nehmen will. Er gedenkt eine Zyankalikapsel zu nehmen, die allerdings nur ein Schlafmittel enthält. Vor der Einnahme der Kapsel nehmen er und seine Kollegen noch ein gemeinsames Mahl zu sich. Diese Szene gleicht in Aufbau und Komposition völlig Leonardos Abendmahl.93 (Abb. 1 +2) Die dreizehn Militärärzte sitzen hinter einem langen Tisch und korrespondieren in Anordnung und Position mit Christus und seinen Jüngern des Leonardo-­‐Freskos. Walt, über dessen Kopf eine Lampe hängt, die stark einem christlichen Nimbus gleicht, nimmt dabei den Platz Jesu ein. Robert Altman kopiert mit dieser Einstellung alle Kompositionsschemata Leonardos, was das Bild eindeutig als Zitat des Originals ausweist. Obwohl die dargestellten Personen gänzlich anders aussehen – alle Ärzte tragen weiße OP-­‐Kleidung – und die Szenerie, ein Tisch in einem Militärzelt, keinesfalls der Örtlichkeit des Letzten Abendmahls entspricht, evoziert es Gedanken und Assoziationen, die unweigerlich an die Leonardo-­‐Vorlage erinnern. Auch die thematische Verwandtschaft des (vermeintlich) letzten gemeinsamen Essens weist darauf hin. Weiters hat ein Filmemacher die Möglichkeit, Werke der bildenden Kunst als Vorlage für die Optik eines Films zu verwenden, wie dies im bereits erwähnten Greenaway-­‐
Film Nightwatching der Fall ist. Komposition, Farbigkeit sowie Beleuchtung erinnern an die Malerei Rembrandts und verleihen dem Film einen optischen Rahmen. In Unterscheidung zur Evokation ist bei formaler Imitation nicht der Aspekt der Ähnlichkeit ausschlaggebend. Wie der Name schon erahnen lässt, geht es um Imitation und Reproduktion eines Werkes. Werner Wolf führt hierfür als Paradigma der Literaturwissenschaft eine Textstellt aus Kapitel 5 von Thomas Hardys Under the Greenwood Tree an.94 Der Text schildert 92
vgl. Keitz 1994, 32. vgl. Schönenberg 2000, 64; sowie Keitz 1994, 33. 94
Diesen Vergleich erwähnte Wolf bei seinem Vortrag Intermedialität am 26.01.2012 in Graz 93
29 Das Kunstwerk im Film und der Film als Kunstwerk minutiös eine Situation, in der ein junges Mädchen, eine Kerze in seiner linken Hand haltend, ans Fenster tritt. 95 Die literarische Beschreibung erweckt ein Bild zum Leben, welches das Bildnis Junges Mädchen mit Kerze von Godfried Schalcken (Abb. 4) imitiert. Das Gemälde wird quasi literarisch nachgestellt. Übertragen auf den Film, existieren zahlreiche Beispiele der Nachahmung eines Gemäldes, was als tableau vivant bezeichnet wird. Die Praxis des »Lebenden Bildes«, die Imitation von Gemälden durch Gegenstände, Kulissen und lebende Personen entstand bereits vor der Existenz des Films. Es war eine Form der Unterhaltung, die um 1850 begann, im Theater und in Unterhaltungsetablissements zum Einsatz kam und in weiterer Folge ihren Weg zum Film fand.96 Um die Divergenz zur Einzelbildreferenz zu verdeutlichen, wird als filmisches Paradigma eines tabelau vivant eine Szene aus Giulio Cesare Antamoros Stummfilm Christus (1916) herausgegriffen, die ebenfalls Leonardos Letztes Abendmahl als Referenzbild heranzieht. (Abb. 3) Der Passionsfilm Christus zeichnet sich durch außergewöhnliche Darbietung der Thematik und starke Bezugnahme auf religiöse Bildkunst durch oftmalige Verwendung von tableaux vivants aus.97 Gegensätzlich zu Altmans Persiflage imitiert Antamoro das Fresko bis ins kleinste Detail, da auch thematische Korrespondenz herrscht. Die Figuren im Film stellen die selbe Bibelstelle dar, die auch Leonardo malerisch umsetzte. Auf formaler Ebene bildet Antamoro exakt die Situation nach, sowohl was Arrangierung der Figuren betrifft als auch die Darstellung des Raums, der in zentralperspektivischer Manier gezeigt wird. Räumliche Details wie die drei Fenster im Hintergrund oder die Kassettendecke werden ebenso übernommen. Was den Terminus der (Teil)-­‐Reproduktion betrifft, so fasst dieser diverse Phänomene zusammen: wie Kunst, die als Dekoration fungiert, oder Kunstwerke mit dramaturgischer Funktion. Als Medium, das sich aus dem fotografischen „Standbild“ entwickelte, sind dem Film reproduzierende Parameter von jeher inhärent. Vor allem der Dokumentarfilm ist versucht, die Wirklichkeit, das tatsächliche Geschehen möglichst authentisch abzubilden. Somit ist dem Film eigen, was beispielsweise die Literatur nicht zu tun vermag: exakte Wiedergabe oder Reproduktion, sodass der Unterschied nur darin besteht, ein Gemälde auf 95
„When the expectant stillness consequent upon the exclamation had nearly died out of them all, an increasing light made itself visible in one of the windows of the upper floor. It came so close to the blind that the exact position of the flame could be perceived from the outside. Remaining steady for an instant, the blind went upward from before it, revealing to thirty concentrated eyes a young girl framed as a picture by the window architrave, and unconsciously illuminating her countenance to a vivid brightness by a candle she held in her left hand, close to her face, her right hand being extended to the side of the window.“ Text aus Hardy, Thomas, Under the greenwood tree or the mellstock quire, London 1959, 36. 96
vgl. Barck 2008, 12. 97
vgl. Barck 2008, 83. 30 Das Kunstwerk im Film und der Film als Kunstwerk der Kino-­‐Leinwand anstatt im Museum zu betrachten. Dieser Gedanke erscheint frevelhaft, gerade im Bezug auf die angesprochene Problematik des Verlusts der Aura eines Kunstwerks im Falle seiner Reproduzierung98, ganz zu schweigen von der filmischen Abbildung eines dreidimensionalen Kunstwerks durch ein zweidimensionales Medium. Doch ist dies nicht Thema der vorliegenden Studie. Sie zielt auf die Untersuchung der unterschiedlichen Darstellungsformen von Kunst im Film ab, die, ganz gleich in welcher Art und Weise, immer Reproduktion ist. Der (Teil)-­‐Reproduktion ist auch die »Bild-­‐im-­‐Bild«-­‐Verfahrensweise oder mise en abyme99 zuzuordnen. Der Begriff stammt ursprünglich aus der Heraldik und bezeichnet im engen Sinne die Wiederholung des Wappenmotivs im Wappen bzw. Bilder, die sich selbst enthalten..100 André Gide dehnte den Terminus auf Narrationsstrukturen der Erzählkunst sowie der bildenden Kunst aus.101 In erweiterter Auffassung des Begriffs kann auch die Produktion eines Bildes, sprich ein im Bild entstehendes Bild102, als mise en abyme bezeichnet werden wie etwa in Diego Velazquez’ Las Meninas (1656), das die Herstellung eines Gemäldes zum Inhalt hat, wobei umstritten ist, ob es sich bei dem entstehenden Werk um Las Meninas selbst handelt, das Velazquez vor einem Spiegel malt, oder ob es den Künstler beim Portraitieren des spanischen Königpaares zeigt (Abb. 5). Als filmisches Beispiel wäre Peter Weibels Experimentalfilm The Endless Sandwich (1969) zu nennen, der einen Mann vor einem Fernseher sitzend zeigt (Abb. 6). Im Fernseher sieht man dasselbe Bild: derselbe Mann sitzt vor einem Fernseher usw. Das Filmbild wiederholt sich also in verkleinerter Form und bildet eine mise en abyme totale. Abb. 4 Abb. 5 Abb.6
98
vgl. Benjamin 2006, 16,17. vgl. Barck 2008, 165. 100
vgl. Barck 2008, 165. 101
vgl. Gide zit. n. Barck 2008, 166. 102
vgl. Wolf 2007, 373. 99
31 Intermedialität im Œuvre Greenaways III. INTERMEDIALITÄT IM ŒUVRE GREENAWAYS „Seit den Anfängen der Fotografie sind viele Maler häufig Fotografen geworden, wohingegen es kaum ein Beispiel dafür gibt, daß ein bedeutender Filmkünstler früher Maler gewesen wäre“103, schrieb Rudolf Arnheim 1934; dennoch sprach er der Malerei bereits einen starken Einfluss auf das junge Medium zu. Aus heutiger Sicht kann gesagt werden, dass es einige namhafte Regisseure gab und gibt, die in der Malerei oder anderen Form der bildenden Kunst ihr erstes künstlerisches Betätigungsfeld fanden, bevor sie ins Regiefach wechselten.104 Zu ihnen zählt auch Peter Greenaway, der, wie bereits erwähnt, stark von Malerei inspiriert ist. So zeichnen sich seine Filme besonders durch ihre Bildgewaltigkeit aus. Der Bildgestalter Greenaway wählt oft die statische Einstellung als Basis, in der sich lediglich die Schauspieler bewegen, die ansonsten aber als »Bild« bezeichnet werden kann. Arnheim betont weiters, dass grundsätzlich die gleichen „Prinzipien der Flächenaufteilung“ und Komposition gelten. Formale Gestaltungsparameter wie der Goldene Schnitt, Symmetrie, Gewichtung der Objekte im Bild sowie Farbgestaltung betreffen alle Bildmedien.105 Film ist für Greenaway die Aneinaderreihung von Bildern. Er wirft dem Mainstreamkino „visuellen Analphabetismus“106 vor, da zu sehr auf den Text wertgelegt werde. Wer erzählen möchte, soll Schriftsteller werden, so Greenaway, er konzentriere sich auf Bilder und Symbole, weswegen er oft als „Maler der Bildleinwand“ gefeiert wird.107 Bezogen auf den kunsthistorischen Diskurs über Kunst und Film soll Greenaways Oeuvre besondere Erwähnung finden. Er sieht den Film als Nachfolger der Malerei, so wie auch die Fotografie. Beide stehen demnach in einer Reihe mit den älteren Künsten. Greenaway vermisst in der Kinogeschichte die Kontinuität zu den wichtigen Werken der bildenden Kunst. „Ich mag es mich auf die Malerei als ein Beispiel der Perfektion zu beziehen, als eine Metapher des Sehens und des Blicks; dies ist meine Anerkennung im Hinblick auf zweitausend Jahre europäischer Malerei, deren ganz junger Erbe das Kino ist: 103
Arnheim 1977, 151. Zu diesen zählen Walter Ruttmann, Fritz Lang, Derek Jarman, Julian Schnabel und Davis Lynch um nur einige zu nennen. 105
vgl. Arnheim 1977, 151. 106
3sat Kulturzeit – Gespräch mit Peter Greenaway am 10. Juni 2009: http://www.3sat.de/page/?source=/ kulturzeit/themen /134850/index.html 107
3sat Kulturzeit – Gespräch mit Peter Greenaway am 10. Juni 2009: http://www.3sat.de/page/?source=/ kulturzeit/themen /134850/index.html. Siehe auch IMDb Hompage / Peter Greenaway: „If you want to tell stories, be a writer, not a filmmaker“.http://www.imdb.com/name/nm0000425/bio 104
32 Intermedialität im Œuvre Greenaways Annerkennung, daß die Malerei, und ich hoffe auch der Film, gleichwertige Vehikel des Räsonierens und der philosophischen Spekulation sind.“108 Filmemacher hätten vernachlässigt, dass ihre Kunst und ihr Handwerk die gleichen, historisch über 7000 Jahre zurückverfolgbaren Fragen und Aufgaben zu bewältigen hätten.109 Durch Verweise und Zitation schreibt sich Greenaway deutlich in die Chronologie der Kunstgeschichte ein. Die Konzentration auf das Kunstwerk zu legen, es in einen neuen Rahmen zu setzen und durch den veränderten Kontext ein neues Ganzes zu erzeugen, entspricht Greenaways Intention, mit Kunst zu agieren. Er zahlt in einem neuen Medium den alten Meistern Tribut. Seine Filme sind, um es mit den Worten Korte und Zahlten110 zu sagen, künstlerische Werke und Träger kunsthistorischer Information. 1. Hybride Werke Man könnte sich die Frage stellen, warum Greenaway nicht bei der Malerei geblieben ist, wo ihm die Bilder doch so wichtig sind. Oder warum er sich nicht der Schriftstellerei gewidmet hat, ist er doch im Stande, ganz außergewöhnliche Dialoge voller Wortwitz und Doppelbödigkeit zu kreieren. Auf Grund der intermedialen Qualität ist der Film wohl das richtige Medium für den Allround-­‐Künstler Greenaway, denn kein anderes vermag es, derart viele Disziplinen aufzunehmen, miteinander zu verbinden und Gesamtkunstwerke zu erzeugen. So gesehen ist Film ein polymediales Medium, eine Medienkombination111, weil der Film – mit Ausnahme des Stummfilms – aus den Komponenten Ton und Bild besteht. Was den Ton oder die Soundebene betrifft, so besteht diese aus der Filmmusik, den Geräuschen und Atmos sowie den gesprochenen Dialogen, die wiederum eine Verknüpfung mit der Literatur herstellen können. Die Bildebene besteht aus den im Vorangegangenen erläuterten formalästhetischen Gestaltungsmitteln. Doch diese beiden Parameter müssen erst verbunden werden durch das Fundament des Films, das Konzept oder Drehbuch, das dem Film zu Grunde liegt, egal ob narrativer Spielfilm, Experimental-­‐ oder Dokumentarfilm. Die einseitige Betrachtung eines solch hybriden Mediums112 könnte den Gesamteindruck verzerren. Der intermediale Aspekt in Greenaways Œuvre bleibt nicht auf Bild und Ton beschränkt. Film bildet die Basis eines Gesamtkunstwerkes, das Bildtraditionen der Malerei, 108
Greenaway in einem Interview mit Pilard zit. n. Schuster 1998, 13. Jensen 2009, 115. 110
Korte/Zahlten 1990, 3. 111
vgl. Rajewsky 2002, 15. 112
vgl. Müller 1996, 46. 109
33 Intermedialität im Œuvre Greenaways Fotografie, der Architektur, des Theaters und der Oper verkettet, dessen zentrales Thema die Bildlichkeit darstellt.113 Abgesehen von den kunstwissenschaftlichen Kategorien greift Greenaway auch auf historische Fakten oder naturwissenschaftliche Klassifikationsmethoden zurück. All dies wird durch die bereits erwähnten Ordnungssysteme wie Zahlen, Reihen, Alphabet ect. durch Verkoppelung in Form gebracht. Zur Darlegung der greenawayschen Arbeitsweise empfiehlt es sich, den Film Prospero’s Books (1991) als Beispiel heranzuziehen. Er soll als Präzedenzfall zur Darstellung des Zusammenspiels unterschiedlicher Disziplinen im Greenawayschen Schaffen dienen. 2. Prospero’s Books als intermediale Superlative Prospero’s Books basiert auf dem Stück Der Sturm (The Tempest) von William Shakespeare, das als sein letztes gilt. Die Idee dazu kam vom Hauptdarsteller des Films, Sir John Gielgud, der schon oft als Charakter Prospero auftrat und die Figur auch filmisch verkörpern wollte. Greenaway schnitt das Drehbuch auf Gielgud zu, der außer Prospero noch einen Großteil anderer Charaktere verkörperte. Der Film wurde so konzipiert, dass Prospero das Drama während des Films erschafft. Er gestaltet und erfindet die Szenen und wird zum Puppenspieler, der Macht über Figuren, ihre Dialoge und das Stück selbst besitzt.114 In Shakespeares Sturm ist Prospero Herzog von Mailand. Gestürzt und verbannt vom eigenen Bruder, flieht er gemeinsam mit seiner Tochter Miranda in einem Boot weg von Italien. Vor der Abfahrt hat ihm der Edelmann Gonsalo noch einen Teil seiner geliebten Bücher mitgegeben. Greenaways Adaption spekuliert darüber115, um welche Bücher es sich handeln könne, und sie werden zu tragenden Elementen der filmischen Handlung. Die 24 Bücher aus Prosperos Bibliothek, denen Greenaway unterschiedliche Namen gibt, sind Gliederungselemente zur Strukturierung und erinnern an Zwischentitel. Alan Woods sieht die Bücher als „magic, animated objects“, welche die Grenzen zwischen Wort und Bild und den Dingen, für die Wort und Bild stehen, aufheben.116 Prospero schildert und schreibt die Geschichte, während sie abläuft. Laut Greenaway spielt Gielgud drei verschiedene Prosperos: den Charakter, den Shakespeare erschaffen hat, den omnipotenten Autor der Geschichte, in 113
vgl. Spielmann 1998, 7. vgl. Greenaway 1991, 7; Vorbemerkungen zum Drehbuch Prospero’s Books. 115
vgl. Greenaway 1991, 9. 116
vgl. Woods 1996, 102. 114
34 Intermedialität im Œuvre Greenaways der die »Prospero-­‐Figur« mitwirkt, und schließlich den dritten Prospero, der den einzigartigen John Gielgud selbst darstellt.117 Was nun den Aspekt der Intermedialität betrifft, so kommt es in Prospero’s Books zu allererst zu einem Medienwechsel. Dieses Phänomen bezeichnet im Rajewskyschen Sinne die Transformation eines Produktes z.B. eines Textes oder Romans in ein anderes Medium. Dazu zählen Literaturverfilmungen, Hörspiele, Inszenierungen von literarischen Stücken als Theater, Sprechstück oder Oper.118 Das Ursprungswerk oder die Quelle muss nicht zwingend mit dem im anderen Medium entstandenen Werk in Beziehung stehen. In Prospero’s Books trifft man diese Medienbeziehung jedoch an. Gleich zu Beginn wird Prospero als Schreiber des Textes ausgewiesen und übernimmt somit im Film die Rolle Shakespeares. In Großaufnahme wird Prosperos Hand beim Schreiben einer Textpassage aus The Tempest gezeigt, die sich auf die Bücher Prosperos bezieht (Abb. 7). Das erste Buch oder Kapitel des Films „A Book of Water“ verweist auf eine Sturm-­‐Szene119, in der die Flotte des Königs von Neapel in ein Unwetter gelangt. Während in einer Einstellung das Wort „boatswain“ (Bootsmann) sorgfältig mit Feder zu Papier gebracht wird, sieht man in der nächsten Prospero, in einem Badehaus den Schiffspatron spielend, das Wort „boatswain“ vortragen. In weiterer Folge übernimmt er auch die Dialoge der anderen Charaktere der Szene, als wäre er gerade erst dabei, diese zu kreieren. Die Einstellungen werden miteinander verbunden, indem die Schrift „boatswain“ transparent über die Szene im Badehaus gelegt wird. (Abb. 8) Irina Rajewsky spricht hierbei vom „Verfahren der Bedeutungskonstruktion eines medialen Produkts durch Bezugnahme auf ein Produkt, oder das semiotische System eines konventionell als distinkt wahrgenommenen Mediums“.120 Die Bezugnahme auf ein Produkt ist in diesem Fall die Einzelreferenz (siehe Diagramm 1) auf den Text Shakespeares, während die Bezugnahme auf das semiotische System die Systemreferenz auf Literatur und die Schöpfung eines Textes darstellt. Bezogen auf die Bildgestaltung des Films ist die kunsthistorische Vorlage, ob evozierend oder imitierend, ein bedeutender Faktor. Dies lässt sich aus der Figur des Prospero ablesen. Er erinnert an Giovanni Bellinis Portrait des Dogen Leonardo Loredan121 (1501-­‐1504). Greenaway übernimmt Kleidung und Kopfbedeckung des Gemäldes als Kostüm für John Gielgud, der große Ähnlichkeit mit dem Dogen aufweist. (Abb. 9+10) Ebenso greift er bei der Gestaltung der Filmkulissen auf kunsthistorische Vorbilder zurück. Die Aufbereitung des 117
vgl. Yacowar zit. n. Petersen 2001, 95. vgl. Rajewsky 2002, 16. 119
William Shakespeare: The Tempest, erster Aufzug, erste Szene 120
Rajewsky 2002, 19. 121
vgl. Greenaway 1991, 10; Zu Vertiefung siehe auch Spielmann 1998, 234-­‐252; sowie Werner 2010, 317. 118
35 Intermedialität im Œuvre Greenaways Szenenbilds erinnert an vielen Stellen an pompöse, theatrale Inszenierung, was dem Film mitunter zu seiner Bildgewaltigkeit verhilft. Prosperos Schreibzimmer basiert auf dem Gemälde Der heilige Hieronymus im Gehäuse (1474) von Antonello da Messina, das Hieronymus mit einem Buch zeigt.122 (Abb. 11) Das offene Schreibgehäuse im Inneren einer leeren mittelalterlichen Halle befindet sich auf einer hölzernen Estrade mit Bücherregalen und wirkt wie ein bühnenartiger Fremdkörper im Raum. Das Bild wird von einem offenen Steinportal mit gedrücktem Korbbogen umrahmt, das den Blick in den Innenraum freigibt.123 Der in sein Buch vertiefte gelehrte Kirchenvater Hieronymus, der unter anderem als Eremit gelebt hat, weist als historische Person inhaltliche Bezüge zu Prospero auf, der mit nur wenigen Gefährten und seinen Büchern auf der Insel in Verbannung lebt. Greenaways Schreibgehäuse ist ebenfalls in einen leeren, freien Raum eingebettet (Abb. 12). Es ist als Kulisse in einer Kulisse organisiert und steht wie die Schreibstube Messinas auf einem Podest. Prospero, in eine Robe gehüllt inmitten von Büchern, lesend, nimmt die Position des Hieronymus ein und gleicht ihm auch, was die Platzierung betrifft. Die Stube ist als mobiles Element konstruiert, das am Filmset hin und her bewegt wird. In Anlehnung an das rahmende Steinportal des Gemäldes verleiht Greenaway seinem Bild Rahmung durch Vorhänge zu beiden Seiten, die den bühnenartigen Charakter des Binnenbildes noch steigern. Als architektonische Vorlage einer Filmkulisse dient Michelangelos Biblioteca Laurenziana (Abb. 13). Greenaway lässt Teile der Bibliothek wie das Vestibül oder die Treppe originalgetreu als betretbare Kulisse nachbauen.124 In einer Sequenz wird die Treppe der Bibliothek zuerst als Papp-­‐Modell gezeigt (Abb. 14), von dem aus auf eine Einstellung der gebauten Treppen-­‐
Kulisse, die Prospero im Begriff ist herabzuschreiten, überblendet wird. (Abb. 15) Original, nachempfundene Kulisse sowie Papiermodell stehen in einer Reihe und thematisieren den Reproduktionsakt sowie die Erinnerung an das Original. In die lange, rechteckige Kopie des Florentiner Bibliothek stellt der Regisseur in einer Szene das Antonello da Messina nachempfundene mobile Schreibgehäuse, da dieses, wie Greenaway im Drehbuch zu Prospero’s Books vermerkt, überall stehen könnte: „in einem Palast, einem Seminar, einer Bibliothek, in einer Universität oder in einem Haus.“125 Neben dem Einsatz von Kulissen oder Kostümen nach kunsthistorischen Vorlagen verweist Greenaway auch auf Malerei mittels formaler Imitation. Rembrandts Anatomische Vorlesung des Dr. Deymann (1656) und Die Anatomie des Dr. Nicolas Tulp (1632) dienen als Basis einer Autopsieszene im Film, die als 122
vgl. Greenaway 1991, 33. Siehe auch Werner 2010, 318. vgl. da Messina 1940, 11. 124
vgl. Greenaway 1991, 47. 125
Greenaway 1991, 33. 123
36 Intermedialität im Œuvre Greenaways tableau vivant inszeniert ist.126 (Abb. 16-­‐18) Erstmals in seinem filmischen Œuvre wendet Greenaway in Prospero’s Books eine Form der Bild-­‐im-­‐Bild-­‐Montage an, die technisch erzeugt wird. Seine Strategie zur Verdichtung des Bildraumes verbindet verschiedene filmische Einstellungen im Stile der Collage miteinander. Unterschiedliche Bildebenen werden durchscheinend übereinander, nebeneinander oder aufeinander arrangiert, sodass jeweils mehrere filmische Binnenbilder gleichzeitig eine Einstellung ergeben. Gegensätzlich zur mise en abyme, wobei es sich wie bereits beschrieben ebenfalls um ein Einfügeverfahren handelt, ist dieses Prinzip an die Montage bzw. digitale Bildbearbeitung gebunden. Yvonne Spielmann bezeichnet dieses Phänomen als Inferierungskonstruktion, die dadurch in Erscheinung tritt, dass sich Bilder transparent überlagern, „wodurch der Effekt einer räumlichen Verdichtung von zeitlichen Ebenen zum Cluster entsteht.“ 127 Gleichzeitig illustriert Greenaway mit dieser Technik den Artefaktcharakter des Films, indem er die Vorstellung, die Leinwand sei ein Fenster zu einer anderen Welt, bricht und das Simulieren einer Illusion demaskiert. Überdies kommen diese visuellen Cluster in Greenaways The Pillow Book sowie in 8 ½ Women vor, wobei sich in diesem Filmen die Verdichtung vor allem zwischen Bild und Text ergibt. Die intermedialen Verstrickungen, die Greenaway vornimmt, reichen über die Beziehung zwischen Film und bildender Kunst hinaus. Wie aufgezeigt, kommt es in Prospero’s Books zur Verbindung von Literatur/Theaterstück und Film. Der theatrale Charakter wird durch diverse Tanzeinlagen, Choreografien und Chöre, sowie Gesang noch gesteigert.128 Schließlich kommt noch die musikalische Komponente in Form von Michael Nymans Filmmusik hinzu, die den Film vollends als intermediales und interdisziplinäres Produkt ausweist. Auf Grund der Wichtigkeit der Audio-­‐Ebene in Greenaways Werk soll dies im folgenden Absatz kurz abgehandelt werden. 3. Der Ton macht die Musik: Peter Greenaway und Michael Nyman Durch die Zusammenarbeit mit Komponisten und Tonkünstlern erzielte Greenaway eine künstlerische Verdichtung seiner Filme. Die Künstler „vertonten“ seine Filme nicht nachträglich sondern schufen Kompositionen, die mit der Filmebene adäquat kooperieren. Wie bei den Experimentalfilmen bereits angeschnitten, ist eine musikalische Formation oft Ausgangspunkt der formalen Organisation. Durch die fruchtbare Kooperation mit Musikern 126
vgl. Spielmann 1998, 239. Spielmann 1998, 235. 128
vgl. Spielmann 1998, 240. 127
37 Intermedialität im Œuvre Greenaways wie Michael Nyman entstanden auf Bild-­‐ und Tonebene Schöpfungen in Augenhöhe. Seit 1975 zeichnet Nyman für die Musik aller Greenawayfilme bis 1991 verantwortlich. Dies ist nicht ungewöhnlich, betrachtet man die vielen Gemeinsamkeiten der beiden Künstler. Sie teilen die Leidenschaft für Zahlen, Listen und Ordnungsschemata129, was Greenaway dazu bewegte, sich bei der musikalischen Gestaltung seines Kurzfilm 1-­‐100 an den Komponisten zu wenden. Der Titel ist Programm, denn der Film basiert auf den Zahlen 1-­‐100, die als einzelne Sequenzen aneinander gereiht sind. „Peter fragte mich, ob ich nicht eine musikalische Parallele zu diesem additiven arithmetischen Prozess finden könne, um den Sequenzen einen Rhythmus beizuordnen.“130 Nyman begann zu experimentieren und erkannte, dass der Strauss`sche Walzer auch aus 100 Takten gebildet wird, woraus er Sequenzen isolierte und eine neue Komposition schuf.131 Darüber hinaus verbindet Nyman und Greenaway ihre Auseinandersetzung mit der Geschichte. In gleicher Weise, in der Peter Greenaway mit der Kunstgeschichte verfährt, tut dies Michael Nyman mit Musikgeschichte. Beide zitieren aus verschiedenen Epochen und kombinieren die Zitate mit avantgardistischen Formen. Sie versuchten ein System zu entwickeln, bei dem Musik und Bild Gleichwertigkeit und Unabhängigkeit besitzen.132 Als Vorlage für seine Musik nimmt Nyman oft Stücke namhaften Komponisten wie von dem britischen Barockkomponisten Purcell,133 dessen Werk er für die Filmmusik von The Draughtsman’s Contract reflektiert hat, sowie von Mozart in Drowning by Numbers oder vom böhmischen Komponisten Biber in A Zed and two Noughts. Greenaway bezeichnete Nyman als Mann, der mit einem Bein im 18. Jahrhundert und dem anderen im 20. stehe.134 Nach über fünfzehn Jahren endete die Zusammenarbeit abrupt. Nach dem Film Prospero’s Books 1991 kam es zu Unstimmigkeiten. Laut Nyman hätte Greenaway seine Musik nicht mit dem nötigen Respekt behandelt135, und auch der Regisseur äußerte in einem Interview, dass er das gemeinsame Wirken als beendet ansehe.136 Greenaways Werk veranlasste auch zeitgenössische Musiker, sich damit zu beschäftigen; so auch den Elektronikmusiker Ian Hicks137, der alte Filme des Central Office of Information neu vertonte und somit revitalisierte. Er verfremdete die Filme durch düstere Atmosphären, 129
vgl. DVD aus der Arthaus Collection: The Draughtsman’s Contract. Interview mit Michal Nyman Nyman zit. n. Kapp 1992, 10. 131
vgl. Kapp 1992, 10. 132
Andrews, 1979, 95. 133
Mit dem Werk Henry Purcell setzte sich Nyman auch theoretisch auseinander siehe Kapp 1992, 8. 134
vgl. Arthaus Collection DVD: Der Kontrakt des Zeichners, Interview mit Michal Nyman 135
vgl. Hippen 2008, 2. 136
„I’m pretty certain Michael and I will never ever work together again.“ vgl. IMDb Hompage: http:// www.imdb.com/name/nm0000425/bio 137
Ian Hicks ist vor allem unter dem Synonym Baron Mordant oder Mordant Music bekannt. 130
38 Intermedialität im Œuvre Greenaways erzeugt mittels Echo-­‐Effekt und sphärischer Klänge. Er operierte auch mit den Filme The Sea in their Blood (1983) und Inkjet Printer (1979) von Greenaway, letzteres ein Werk, das die Tintenstrahldrucktechnik in surrealen Szenen zeigt. Musikalisch wurde die Absurdität noch zusätzlich durch Hicks Neukomposition erhöht.138 Er spielt wie Greenaway mit den Wechselbeziehungen unterschiedlicher Medien und versucht den historischen Aufnahmen der Informationsfilme ein neues Gesicht zu verleihen. 138
vgl. Höller 2011, 11. 39 Kunstrezeption Greenaways IV. KUNSTREZEPTION GREENAWAYS ANHAND AUSGEWÄHLTER BEISPIELE Das folgende Kapitel untersucht fünf Filme Peter Greenaways hinsichtlich ihrer Parallelen zu Werken der bildenden Kunst. Die Auswahl erfolgte nach dem jeweiligen Schwerpunkt des Spielfilms. So liegt das Hauptaugenmerk in A Zed and two Noughts auf Greenaways Reflexion der Malerei Jan Vermeers; The Belly of an Architect widmet sich der Korrelation des Films mit Architektur und Fotografie. In The Draughtsman’s Contract, Greenaways erstem kommerziell erfolgreichen Spielfilm, werden Zeichnung und Abbildung der Wirklichkeit thematisiert. The Cook, the Thief, his Wife and her Lover setzt sich mit der Trennung von Farbe und Objekt in der Malerei des 20. Jahrhunderts auseinander; Farbe und Objekt werden somit frei verfügbar. Den Schluss der Betrachtung bildet der Film 8 ½ Women, der Federico Fellinis Werk 8 ½ (Otto e mezzo) rezipiert und durch inhaltliche Verwandtschaft auf klassische Frauendarstellungen der Malerei, des Theaters und des Kinos verweist.139 Die Analyse soll vor allem die Berührungspunkte zwischen den Disziplinen und ihre Einsatzbereiche zeigen. Es gilt zu erarbeiten, ob ein Kunstwerk aus formalen Gründen in den Film integriert wird, ob inhaltliche Entsprechungen zwischen Werk und filmischer Handlung vorherrschen, oder ob alle Kriterien zusammenwirken. 1. The Draughtsman’s Contract (Der Kontrakt des Zeichners, 1982) Peter Greenaway hatte zu Beginn der 1980er etwa zwanzig Filme realisiert, deren Strategie, Technik und Struktur mehr auf dokumentarischen Prämissen als auf narrativen Erzählmustern basierten. Dies liegt an der intensiven Beschäftigung des Regisseurs mit dem Dokumentarfilm und seinem Job als Cutter beim britischen Fernsehen, wo er hauptsächlich mit dokumentarischen Arbeiten und Aktivitäten konfrontiert war. The Draughtsman’s Contract markiert eine Wende im Filmwerk Greenaways. Zwei Jahre nach The Falls präsentiert er einen Film, der vom Experimentalfilm hin zum Erzählkino führt. Erstmals inszeniert Greenaway narrative Szenen einer Story mittels Schauspieler, behielt jedoch strukturelle Muster und Strenge der Anordnung durch formale Ordnungsschemata bei. Der Film fand bei einer Vielzahl von Kritikern große Zustimmung140, dennoch warfen ihm Einige Mängel in Punkto 139
vgl. Petersen 2009, 159. vgl. hierzu beispielsweise Brown 1981, 34-­‐35; Gregor 1984, 21; Baridon 1984, 12; sowie Blanchet 1984, 47. 140
40 Kunstrezeption Greenaways – The Draughtsman’s Contract Handlung vor. Sie könne vom Betrachter nicht klar nachvollzogen werden und stiftet mehr Verwirrung als sie Auflösung bringt.141 The Draughtsman’s Contract wird nicht ganz gerechtfertigt als „barocker Thriller142 oder Kostüm-­‐Krimi im Stile Agatha Christies143 bezeichnet, doch steht das whodunit144, die Jagd nach dem Täter, und die Aufklärung des Verbrechens nicht im Vordergrund. Greenaways Werke allein auf ihre filmische Handlung reduziert zu lesen, wäre wie einen Bilderrahmen ohne Gemälde darin zu betrachten, denn oftmals gibt die Story nur den Rahmen seiner Filme vor. Abgesehen von der Narration ist der Film gespickt mit intermedialen und autoreflexiven Bezügen, die er raffiniert miteinander zu verstricken versteht. 1.1 Entstehung des Filmes Eines der Diktate der Kunstakademien, die Greenaway als Student vermittelt wurden, war zu malen, was man sieht, und nicht, was man weiß. Diesen Leitsatz machte er zur zentralen Fragestellung des Filmes, denn auch sein Protagonist Neville, dem „Naturalismus“ verschrieben, lässt seine Zeichnungen nach diesem Kredo entstehen.145 Greenaway wollte also einen Film über das, was man sieht machen, vor dem Hintergrund nordeuropäischer Barockmalerei. „The film is essentially about a draughtsman drawing a landscape and the facets of the drawing and the landscape are compared on another level of representation, the film. I want those three ideas to be present in the whole structure of the movie, so that one is aware that we are making comparison all the time between the real landscape, Mr. 141
„The sterile camerawork and consciously confused plot were perfectly complemented by a cast of largely indistinct characters. But this is not the critical point, many fine films have had convoluted plots and dubious characterisation. Where the film really failed was in purpose -­‐ what was the point?“ Jones 1984, 13. 142
siehe hierzu Prill 1984, 343. 143
vgl. Blanchet 1984, 47. „En ce sens, Meurtre dans un jardin anglais constitue une sorte de pari dont le but est d’inclure une intrigue policière à la »Agatha Christie« dans le monde libertin du dix-­‐huitième siècle. 144
Der Terminus whodunit (auch whodunnit) steht für „who done it“ (wer ist der Täter) und ist eine Methode, eine Kriminalgeschichte zu erzählen. Siehe Truffaut 1973, 63. Bei dieser Methode, die auch Agatha Christie einsetzte, geht es um die Aufklärung eines Verbrechens, das am Ende des Films gelöst wird. Der Leser oder Zuseher weiß immer nur so viel wie die handelnden Figuren. Im Gegensatz zu dem von Hitchcock verwendeten „suspense“, bei dem es wichtg ist, dass der Zuseher über Vorkommnisse, die eine Rolle spielen informiert ist. Siehe Truffaut 1973, 62. 145
vgl. DVD aus der Arthaus Collection: The Draughtsman’s Contract. Einführung von Peter Greenaway. 41 Kunstrezeption Greenaways – The Draughtsman’s Contract Neville’s image of it and, ultimately, us as viewers seeing those ideas represented on film.“146 Die Idee zum Film kam dem Regisseur beim Urlaubsaufenthalt in einem englischen Landhaus in der Nähe von Salisbury. Er wollte das Haus malerisch festhalten, die Schatten bewegten sich jedoch sehr schnell und veränderten in Kürze das Aussehen und die Struktur des Gebäudes. Da Greenaway malen wollte, was er sieht, nicht, was er weiß, musste er bis zum nächsten Morgen warten, um ähnliche Lichtverhältnisse anzutreffen. So richtete er sich insgesamt vier Zeichenpositionen ein, eine an jeder Seite des Hauses und bewegte sich mit dem Licht.147 Greenaway stellt sich die Frage, ob sich eine solche Geschichte – ein Besitzer beauftragt einen Künstler, Zeichnungen seines Hauses anzufertigen – im 20. Jahrhundert zutragen könnte. Da ihm dies ziemlich unwahrscheinlich erschien – man würde wohl eher Fotos machen lassen –, beschloss er, in die Zeit vor der Erfindung der Fotografie zurückzugehen in das Jahr 1694, als das zeichnerische Festhalten herrschaftlicher Anwesen üblich war.148 1.2 Der Plot und formale Konstruktionsverfahren Obwohl die Analyse von Story und Style nicht Thema dieser Arbeit sind, sollten sie zur besseren Nachvollziehbarkeit des Folgenden kurz erläutert werden. Inhaltliche Kenntnis ist außerdem für das Erkennen interdisziplinärer Verbindungen zwischen erzählter Handlung und Inhalt der Referenzobjekte erforderlich. Der Film beginnt mit einer Soiree auf Compton Anstey, dem Anwesen der Herberts, der auch der Zeichner Mr. Neville beiwohnt. Er wird von Mrs. Herbert gebeten, Zeichnungen ihres Hauses samt Gärten als Geschenk für ihren Gatten anzufertigen. Der Hausherr verweilt für zwei Wochen in Southampton und sollte bei seiner Rückkehr das Präsent erhalten. Nachdem Mr. Neville das Gesuch Mrs. Herberts ablehnt, schickt sie ihre Tochter Mrs. Talmann vor, um erneut zu bitten. Mit einiger Überredungskunst der beiden Damen willigt Neville schließlich ein. Es kommt zwischen Mr. Neville, Mrs. Herbert und deren Hausverwalter Mr. Noyes zum Abschluss eines Vertrages, der folgende Übereinkunft festhält: Neville stellt für zwölf Tage seine Dienste als Zeichner zur Verfügung; zur Anfertigung von zwölf Zeichnungen. Er kann frei 146
Greenaway zit. n. Brown 1981, 35. vgl. DVD aus der Arthaus Collection: The Draughtsman’s Contract. Einführung von Peter Greenaway. 148
vgl. Poppenberg/Weinrichter 1984, 20. 147
42 Kunstrezeption Greenaways – The Draughtsman’s Contract über Blickwinkel und Perspektive der Zeichnungen entscheiden, die, Gebäude, sowie Gärten und Parks des Anwesens beinhalten sollen. Mrs. Herbert willigt ein, ihm dafür acht Pfund pro Werk zu zahlen, und seinem Diener und ihm freie Verköstigung zu gewähren. Der Vertrag enthält außerdem die delikate Zusatzleistung, dass sich der Zeichner während seines Aufenthalts mit Mrs. Herbert privat „vergnügen“ darf. Neville diktiert den Anwesenden auf Compton Anstey einen genauen Plan, wo sie sich während der Anfertigung der Zeichnungen nicht aufhalten dürfen und was sie zu unterlassen haben. „For drawing number one: From seven o’clock in the morning until nine o’clock in the morning, the whole of the back of the house from the stable block to the laundry garden will be kept clear. No person shall use the main stable yard gates whatsoever and no person shall use the back door or interfere with the windows or furniture of the back part of the house.“149 Auf Grund der vertraglich festgehaltenen Zugeständnisse nimmt der Zeichner eine ungewöhnliche Machtposition auf Compton Anstey ein, da er einerseits Kontrolle über die Dienerschaft, die seine Anweisungen ausnahmslos einzuhalten hat, andererseits sexuelle Macht über die Hausherrin besitzt. Trotz der strikten Instruktionen Mr. Nevilles tauchen immer wieder Gegenstände oder Kleidungsstücke in den Bereichen auf, die er zu Papier bringt. Da er zeichnet, was er sieht, und nicht, was er weiß, integriert er diese. Mit der Zeit hegt er den Verdacht, es handle sich nicht um banale Gegenstände, die zufällig erscheinen, sondern um Indizien eines Verbrechens. Sechs Tage sind vergangen, es ist jedoch noch keine Nachricht von Mr. Herbert gekommen. Mrs. Talmann, die mit ihrem impotenten Gatten ebenfalls das Anwesen bewohnt, verstärkt Nevilles Verdacht, indem sie ihn als Zeuge eines Unglücks bezeichnet, da sie befürchtet, ihrem Vater sei etwas zugestoßen. Sie redet ihm ein, auf Grund der rätselhaften Indizien in seinen Zeichnungen verdächtig zu erscheinen, und um ihn zu schützen, schließt sie mit Neville einen zweiten Vertrag ab, der ihr als Gegenleistung sexuelle Kontrolle über den Zeichner zuspricht. Seine Bilder werden zu Allegorien, deren Gegenstände auf etwas anderes verweisen.150 Nach der Vollendung des Auftrags wird tatsächlich die Leiche Mr. Herberts in einem Wassergraben gefunden, was Neville zur raschen Abreise bewegt. Die übrigen Anwesenden sehen in den belastenden Zeichnungen verschiedene Deutungen und befürchten Demütigung, was Mr. Noyes dazu bewegt, die Zeichnungen zu erstehen. Er verkauft sie schließlich an Mr. Talmann, da dieser befürchtet, die Zeichnungen würden die Affäre seiner Frau ersichtlich machen. Als sich die Situation beruhigt, kehrt Neville nach Compton Anstey zurück, um eine dreizehnte Zeichnung des Anwesens anzufertigen. Die 149
Monolog aus dem Film 00:11:10 – 00:11:49 vgl. Prill 1984, 346. 150
43 Kunstrezeption Greenaways – The Draughtsman’s Contract Damen des Hauses klären ihn auf, dass der zweite Kontrakt nur zur Zeugung eines Erben und zur Sicherung des Vermögens gedacht war. Die Machtverhältnisse haben sich umgekehrt, Neville ist lediglich Mittel zum Zweck und Opfer ihrer Intrigen gewesen. Die Männer des Anwesens sehen in Neville eine Gefahr oder wollen Rache nehmen, töten ihn unter dem Vorwand, er hätte Mrs. Herbert vergewaltigt, und vernichten seine Zeichnungen. Der Film endet mit dem Tod des Zeichners. Er trägt aber nicht zur Klärung der Vorkommnisse bei, sondern lässt sie weiterhin im Unklaren. Trotz der narrativen Handlung weisen strukturelle Anordnung und formale Organisation große Ähnlichkeit mit Greenaways früheren Filmen auf. Er sagte in einem Interview mit Hans-­‐
Jörg Kapp über The Draughtsman’s Contract, dass dieser Film Vertical Features Remake mit Schauspielern ist, denn es geht um die Konstruktion eines Systems und anschließende Demontage desselben.151 Durch das Vorhandensein einer Geschichte und das Spiel der Schauspieler ist dieses System nicht vordergründig sichtbar. Die Handlung ist einer formalen Struktur unterworfen, in diesem Fall den zwölf Zeichnungen, welche die Handlung gliedern und Greenaways Aufzählungen, Listen und Statistiken entsprechen.152 Wie bei vielen experimentellen Arbeiten wird das Prinzip der Serie deutlich. Die ersten sechs Zeichnungen sind klar nach dem Tagesablauf und der jeweiligen Lichtsituation des Motivs strukturiert. So widmet Neville jeweils zwei Stunden des Tages einer Zeichnung und wechselt danach die Position. Er geht streng nach Plan vor, so wie auch die filmische Gliederung strenger Ordnung unterworfen ist. Zur Verdeutlichung des seriellen Systems wirkt auch die musikalische Komposition Michael Nymans unterstützend. Er ordnet jeder der sechs Zeichnungen ein anderes musikalisches Thema zu.153 All dies spiegelt auf formaler Ebene Macht und Kontrolle des Zeichners wider, doch bereits am Tag zwei seines Aufenthalts, schleichen sich kleine „Unordnungen“ ein. Die merkwürdigen Gegenstände, die Neville innerhalb seiner Bildausschnitte findet, also dekonstruktive Elemente der Handlung, stehen in Beziehung zur abnehmenden Bedeutung der formalen Gliederung. Die klar etablierte Struktur wird destabilisiert, indem sie im weiteren Filmverlauf immer mehr vom ursprünglichen Plan abweicht, die strikte Reihenfolge vernachlässigt und willkürlicher wird. Die vormalige Ordnung wird von Rätselhaftigkeit eingenommen. Auch die Autorität des Zeichners nimmt ab und so kommt es nach den ersten sechs Zeichnungen zum zweiten Vertrag mit Mrs. Talmann. 151
vgl. Kapp 1992, 11. vgl. Barchfeld 1993, 66. Die weiteren Ausführungen wurden, wenn nicht anders gekennzeichnet aus Barchfeld 1993, 66-­‐69 entnommen. 153
vgl. Kapp 1992, 12. 152
44 Kunstrezeption Greenaways – The Draughtsman’s Contract Die Frauen haben nun die Zügel in der Hand. Neville wird vom Spielleiter zur Spielfigur, mit der die Damen des Hauses spielen. Sehr passend erweist sich die Analogie zum Dame-­‐Spiel (Draughts), bei dem der Spielstein als draughtsman bezeichnet wird.154 Die Serie der zweiten sechs Zeichnungen folgt kaum noch formalen Strukturvorgaben und so wird auch die Geschichte immer diffuser. Wie in Vertical Features Remake experimentiert Greenaway mit einem strengen System, das mit einer eigenartigen Story verbunden ist. Die Geschichte scheint wie ein Kriminalfilm aufgebaut zu sein, doch macht sich der Regisseur nur die Konvention des Genres zunutze. Er spielt mit Erwartungshaltungen des Zusehers, der die Aufklärung des Verbrechens und der merkwürdigen Vorkommnisse verlangt. Anstatt dies einzulösen, kehrt Greenaway den Spieß um und führt den Betrachter noch tiefer in das Rätsel hinein.155 Bei The Draughtsman’s Contract ist eine Vielzahl an Deutungen möglich. Nahezu jede der handelnden Personen könnte der Täter gewesen sein, und so entledigen sie sich der wahrscheinlich einzig unschuldigen Figur, des Zeichners. 1.3 Der Zeichner hinter der Kamera In der Figur des Zeichners reflektiert Greenaway seine Tätigkeit als Filmemacher. Er schafft als Ersatz seiner selbst eine Figur auf der Story-­‐Ebene, gibt ihr jedoch nicht seinen ausführenden Beruf, Regisseur, sondern entwickelt mit dem Zeichner Neville einen Charakter, der als Regisseur agiert. Mit Akribie plant er die Zeichnungen, die an Einstellungen eines Filmes erinnern, und bestimmt, was im Bild zu sehen ist. Sein Handeln gleicht dem eines Regisseurs an einem Filmset. Er erteilt „Regieanweisungen“ an die Anwesenden auf Compton Anstey und manipuliert die Landschaft nach seinen Vorstellungen.156 Sein Zeichengerät bietet ebenso einen autoreflexiven Kommentar zum Film, da es stark einer Filmkamera gleicht. Das Gitter der Apparatur, die sich „Dioptavisur“157 nennt, begrenzt wie eine Kamera das Blickfeld und kadriert durch dünne vertikale und horizontale Linien die Bildfläche (Abb. 19). Durch diese Zeichenhilfe ist eine exakte Abbildung der Wirklichkeit möglich. Der gleiche Raster findet sich auf Nevilles Zeichenblatt sowie auf der Mattscheibe einer Filmkamera.158 In einigen Einstellungen blickt die Kamera direkt durch das Zeichengerät hindurch. Sie nimmt die 154
vgl. Görling 1992, 24. vgl. Hohenberger 1986, 46. 156
vgl. Barchfeld 1993, 73. 157
Werner 2010, 189. Es wird als Weiterentwicklung Fadengitters (Velum) Albertis beschrieben. 158
vgl. Barchfeld 1993, 70. 155
45 Kunstrezeption Greenaways – The Draughtsman’s Contract Position des Zeichners ein und ermöglicht, dass der Bildraum der Kamera den Ausschnitt zeigt, den auch Neville durch das Gerät hindurch sieht und den er zu Papier bringt (Abb. 20). Diese Korrespondenz unterstreicht die Entsprechungen zwischen Kamera und Zeichenapparatur. Den Aspekt der Statik der Zeichnungen übernimmt Greenaway in sein Auflösungskonzept159, denn seine filmischen Bilder wirken wie Tableaus und haben nichts von der oftmaligen Bewegtheit in Filmen. Greenaway arbeitet vermehrt mit unbewegten Totalen160 vom Stativ, die eine gewisse Künstlichkeit evozieren. Selten verwendet er Kamerabewegungen, und auch dann sind diese meist ruhige Fahrten. Auch die Zeichnungen selbst sind alle als Totale in zentralperspektivischer Manier konzipiert. Durch die strenge Geometrie und Organisation der barocken Gärten und die ebenfalls verwendete Zentralperspektive der Kameraeinstellungen, kommt es hierbei zu einem weiteren Berührungspunkt zwischen Zeichnung und Filmbild.161 So sind Zeichner und Zeichengerät gleichzusetzen mit Regisseur und Kamera. Als Zeichner hinter der Kamera wird Greenaway jedoch nicht nur auf Grund der Surrogatfunktion Nevilles gesehen, er ist tatsächlich der Schöpfer aller zwölf Zeichnungen, die im Film zu sehen sind.162 Greenaway spielt durch den Einsatz des optischen Zeichengitters auf die Thematik des Rahmens an. Der Zeichner sieht die Welt durch den Rahmen seines Apparats, der Filmbetrachter durch den „Rahmen“, den die Kamera vorgibt. Der Unterschied zwischen dem Rahmen eines Bildes und der Umgrenzung der Leinwand liegt André Bazin zu Folge darin, dass die Leinwand keinen Rahmen (cadre) habe, sondern eine Abdeckung, eine Maske (cache).163 Während beispielsweise der Rahmen eines Gemäldes den Raum nach innen fokussiert und den Mikrokosmos des Gemalten von der Umgebung abgrenzt, also eine Grenze zwischen Bild und Wand erzeugt, zeigt die Leinwand nur einen Teil der Wirklichkeit und vermittelt die Vorstellung, das Filmbild ginge über den gezeigten Ausschnitt, die Leinwand, weiter in den Raum hinaus. „Der Rahmen ist zentripetal, die Leinwand zentrifugal.“164 Oft wählt Greenaway Ausschnitte, die das Zeichengitter derart ins Bild setzen, 159
Auflösung ist hier im Sinne filmischer Auflösung verstanden, sprich die Art und Weise wie der Regisseur die Geschichte in einzelne Einstellungen „auflöst“. 160
Als Totale oder long shot wird eine Einstellungsgröße bezeichnet, die Menschen und Umgebung aus größerem Abstand zeigt und die gesamte mise en scene erfasst. Die genaue Größe ist variable, doch ist der Mensch immer ganz im Bild zu sehen. vgl. Monaco/Bock 2011, 251. 161
vgl. Barchfeld 1993, 70. 162
Poppenberg/Weinrichter 1984, 19 sowie Jenny 1987, 274. Die Zeichnungen wurden 1984 auf der Bien-­‐
nale in Venedig ausgestellt. 163
vgl. Bazin 2004, 225. 164
Bazin 2004, 225. 46 Kunstrezeption Greenaways – The Draughtsman’s Contract dass es Bild füllend zu sehen ist und dessen Rahmen auch die filmische Einstellung rahmt (Abb. 21). Das Filmbild wird zusätzlich begrenzt. Diese Rahmung intensiviert den Tableaucharakter der filmischen Bilder, indem sie auf die Verwandtschaft zur Malerei verweist. „Mir ist natürlich klar, daß [!] die Künstlichkeit des Rahmens als eine Disziplin [...] nicht nur ein fester Bestandteil des Kinos und des Fernsehens ist, sondern gleichfalls der Malerei und eines großen Teils der dramatischen Künste, die stets durch einen Rahmen gesehen werden. [...] Denn ganz offensichtlich stellt der Rahmen eine sehr bequeme Organisationsform dar, die von vielen Malern und Schöpfern aller Art angewandt worden ist, um darin eine Welt einzufangen [...].“165 Greenaways Integration der Zeichnung in sein filmisches Werk erzeugt ein Bild innerhalb eines Bildes, eine mise en abyme. Noch dazu handelt es sich oftmals um denselben Ausschnitt, den die Einstellung gezeigt hat. Zudem entsteht durch das Zeigen der Zeichenapparatur in Film ebenfalls ein Bild im Bild, da das Gerät einen gewissen Bereich innerhalb des Bildraums einfängt und diesem Rahmung verleiht. Somit wird ein Teil des Bildes innerhalb dessen reproduziert, da es sich um die deckungsgleiche Aufnahme einer Ansicht handelt (Abb. 22). 1.4 Das Gemälde innerhalb der filmischen Handlung als Gegenstand der Reflexion Als weiteres Bild-­‐im-­‐Bild-­‐Motiv wird ein Gemälde hervorgehoben, das inhaltlich mit dem Film korrespondiert. Als Paradigma soll es die Funktion und Aufgabe eines Gemäldes als Referenzobjekt im Kontext des Filmes veranschaulichen. In The Draughtsman’s Contract beginnt bei Minute zweiundfünfzig eine Szene, in der Mr. Neville die Hausherrin auf das gemalte Werk von Januarius Zicks Allegorie auf Newtons Verdienste um die Optik (1794)(Abb. 23) aufmerksam macht, das sich im Besitz ihres Gatten befindet.166 Er erwähnt es nicht nur, sondern nimmt es von der Wand und stellt es derart auf einen Stuhl, dass es sowohl für ihn und Mrs. Herbert als auch für den Betrachter sichtbar ist (Abb. 24). Das Gemälde tritt aus seiner Passivität heraus und wird Teil der filmischen Handlung. Während der gesamten Szene sind die Figuren mit dem Rücken zum Betrachter platziert und blicken auf das Bild. Neville stellt Vermutungen an, warum Mr. Herbert das Bild wohl gekauft hat. „Perhaps he has an eye 165
Greenaway 1995, 77. für die Ausführungen dieses Kapitels wurde, wenn nicht anders gekennzeichnet, Schuster 1998, 41-­‐50 herangezogen. 166
47 Kunstrezeption Greenaways – The Draughtsman’s Contract for optical theory? Or complains of lovers? Or the passing of time? What do you think?”167 Nevilles Fragen sind jeweils unterlegt mit Aufnahmen des Gemäldes, die kurz eingeblendet werden. Zuerst ist die Gesamtansicht zu sehen, auf die Frage nach den „Leiden der Liebenden“ folgt ein Ausschnitt des Werkes, der die beobachtende Figurengruppe am linken Bildrand zeigt, die dritte Einstellung gibt ein Detail der Sonnenuhr der rechten Bildhälfte wieder. Abgeschlossen wird die Serie mit einer weiteren Ansicht der gesamten Gemäldeszenerie (Serie 1), im Anschluss wird wieder auf Neville und Mrs. Herbert bei der Betrachtung des Werks geschnitten. Auf die Frage des Kaufmotivs ihres Mannes antwortet Mrs. Herbert kühl, das Gemälde stelle einen Garten dar, und dies wäre Grund genug. Die weiteren Bemerkungen Nevilles zielen darauf ab zu erörtern, was innerhalb des Gemäldes vor sich geht, Bemerkungen, die wiederum mit Ausschnitten des Bildes verbunden sind. Er stellt in den Raum, ob die scheinbar nicht zusammenhängenden Episoden eine Geschichte erkennen lassen. „There is drama is there not in this over populated garden? What intrigue is here? Do you think the characters have something to tell us?”168 Es folgt eine letzte Abfolge von Bilddetails, die schließlich erneut mit der Gemäldetotale endet, und so schließt auch Neville die Spekulationen mit der Frage ab, ob Mrs. Herbert glaube, dass man einen Mord vorbereite. Es gilt nun die Frage zu diskutieren, warum Greenaway dieses Gemälde in seinen Film integrierte. Zum Ersten fokussiert und illustriert es die bisherigen Vorkommnisse auf Compton Anstey, da es Neville zu Folge all jenes beinhalten könnte, was auch dem Film eigen ist: einen Garten, eine Intrige und einen möglichen Mord. Dabei handelt es sich bei Allegorie auf Newtons Verdienste um die Optik um ein eher unbekanntes Bild, dessen Titel oder Erschaffer im Film nie erwähnt werden. Es ist für die Deutung scheinbar irrelevant, wer es schuf, wichtig ist die kontextuelle und motivische Verbindung mit der Narration des Filmes. Der Garten, die rätselhaften Figuren, das Motiv des Sieges und der Überlegenheit -­‐ das Gemälde scheint ein Abbild der Ereignisse innerhalb des herrschaftlichen Anwesens zu sein. Durch seine Bedeutung für die Charaktere fügt sich das Gemälde in die Fiktion des Films ein. Es verschmilzt mit der Handlung, büßt dadurch seine Autonomie ein und wird Bestandteil des filmischen Diskurses.169 Für den Betrachter, der das Thema des Gemäldes trotz seines geringen Bekanntheitsgrads dennoch kennt, erschließt sich eine weitere Bedeutungsebene, 167
Monolog Mr. Neville ab 00:53:10. Monolog Mr. Neville ab 00:53:42 169
vgl. Schuster 1998, 68. 168
48 Kunstrezeption Greenaways – The Draughtsman’s Contract da er weiß, was auch der Titel verrät, dass es sich um eine Darstellung Newtons handelt. Die Figur der linken Bildhälfte, die Newton darstellt170 (Abb. 25), dominiert das Bild ihrer erhöhten Position, Größe und Gestik wegen. Michael Schuster beschreibt den Zeichner Neville als „kleinen Bruder“ Newtons, der für Rationalitäten und Wissenschaft steht.171 Die Frage Nevilles, ob Mrs. Herbert in der Lage sei, die einzelnen Episoden zu einer Geschichte zusammenzusetzen, verweist auf seine Position innerhalb der Geschichte und auf die des Zusehers. Durch das Auftauchen allerhand mysteriöser Dinge ist der Zeichner versucht, diese rational zu erklären, scheitert aber. Auch der Zuseher begibt sich auf Spurensuche, um eine Lösung zu finden und die Indizien wie Puzzelteile zusammenzusetzen. Das Gemälde Zicks fungiert somit auch als „Vorlage für eine semiotische Übung.“172 Bei genauer Betrachtung der Datierung des Bildes (1794) fällt auf, dass es zum Zeitpunkt des Filmes, dieser spielt wie bereits erwähnt im Jahre 1694, noch nicht hätte existieren dürfen. Weiters fallen Unstimmigkeiten bei Kostüm und Frisuren auf, so sind die Perücken viel zu hoch und die Kleider zu aufwändig gestaltet. Greenaway gibt zu, dass auch die Zeichnungen Nevilles „nicht korrekt“ sind, da sie „zu früh“ wären. Er sagt weiters: „Die Vorstellung eines Zeichners, der zeigt, was er sieht, diese Sensibilität für die Wirklichkeit kam bei den europäischen Malern erst ca. 80 Jahre später auf, mit Constable und Turner. Im Zentrum des Films steht also ein ästhetischer Anachronismus. Es gibt noch eine Reihe weiterer »Zeitfehler« in diesem Film, doch ich denke, sie sind unwesentlich.“173 1.5 Die Landschaft, die Zeichnung und das Filmbild davon The Draughtsman’s Contract beschreibt unterschiedliche Möglichkeiten der Repräsentation und vergleicht diese untereinander. So differenziert man zwischen der realen Landschaft selbst, des Zeichners Sicht von ihr und der Sichtweise der Kamera.174 Letzteres betrifft den Zuseher, dessen Augen im Grunde genommen die Funktion der Kamera übernehmen. Laut Axel Roderich Werner geht es im Film nicht nur „um die Differenz von dargestellter Zeichnung und dargestellter »Realität«, sondern zudem noch um die Differenz von dargestellter Zeichnung und dargestelltem Filmbild.“175 Wenn also abwechselnd die Kameraaufnahme 170
Wagner zit. n. Schuster 1998, 46. Schuster 1998, 51. 172
Schuster 1998, 56. 173
Poppenberg/Weinrichter 1984, 19. 174
Poppenberg/Weinrichter 1984, 19. 175
Werner 2010, 191. 171
49 Kunstrezeption Greenaways – The Draughtsman’s Contract einer bestimmten Ansicht des Hauses (Abb. 26) und die kongruente Aufnahme der Zeichnung der gleichen Sicht auf das Haus (Abb. 27) gezeigt werden, so wird die Analogie zwischen Filmbild und Zeichnung deutlich sichtbar. Man kann allerdings auch die Unterschiede erkennen, wenn plötzlich die mysteriösen Gegenstände auftauchen. Was im Filmbild zu sehen ist fehlt auf der Zeichnung. Dies stellt dar, dass es sich beide Male um Abbilder der Wirklichkeit handelt und nicht um Wirklichkeit selbst. Vertragesgemäß ist Neville verpflichtet, zwölf realitätsgetreue Zeichnungen des Anwesens zu erstellen, deren Perspektive er selbst wählt, da ihm dieses Privileg bewilligt worden ist. Dies relativiert den Wahrheitsgehalt der Zeichnungen, denn bereits die Wahl der Perspektive stellt eine willkürliche Handlung dar. Durch den Ausschnitt ist man lediglich in der Lage, einen Teil der Wirklichkeit wiederzugeben, da ein Ausschnitt immer Einschränkung der Sichtweise und somit Manipulation der Wirklichkeit bedeutet.176 Die subjektive Entscheidung des Zeichners für diese zwölf Ansichten von Compton Anstey, wie sie im Film vorkommen, schließt alle anderen aus und gibt im Grunde nur Nevilles Sicht des Anwesens und der Landschaft wider. An dieser Stelle soll auf die Realisation von Raum und Landschaft im Film hingewiesen werden. Durch die Sicht der Kamera auf die Dinge werden sie nicht so vermittelt, wie sie »wirklich« sind, sondern wie sie der Film präsentiert, sprich künstlich begrenzt. Die filmische Landschaft wird entweder künstlich erzeugt, oder die reale Landschaft wird nach den Vorstellungen des Regisseurs manipuliert. Er formt sie nach Belieben und macht sie für Handlungsverlauf und Aktionen im Film kompatibel. Dies entspricht dem Handeln Nevilles, wenn er versucht ist, die Landschaft von allem zu befreien, was ihm störend erscheint. Eine Szene in The Draughtsman’s Contract thematisiert dieses Phänomen. Mr. Talmann äußert sich im Beisein seiner Frau über Nevilles „gottlose Macht, die Landschaft zu leeren“ damit ihm nichts die Sicht auf das Gebäude verstellt.177 Reale Landschaft ist Vorbild für ihre filmische Präsentation oder um es mit den Worten Reiner Matzkers auszudrücken, „Landschaft wird nach dem Muster ihrer selbst neu fabriziert“.178 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Peter Greenaway in The Draughtsman’s Contract in Doppelfunktion agiert: als Schöpfer der zwölf Zeichnungen des Anwesens und als Regisseur des Filmes. Der Maler beziehungsweise Zeichner Greenaway und der Regisseur 176
vgl. Frommer 1994, 63. Mr. Talmann ab 00:13:12; siehe auch Petersen 2009, 105. 178
Matzker 1987, 4. 177
50 Kunstrezeption Greenaways – The Draughtsman’s Contract Greenaway gehen eine Symbiose ein und schaffen gemeinsam eine durchkomponierte Bildgeschichte und ein Rätsel ohne Auflösung. 51 Kunstrezeption Greenaways – A Zed and two Noughts 2. A Zed and two Noughts (Ein Z und zwei Nullen, 1985) Greenaways zweiter Spielfilm nimmt an Komplexität gegenüber The Draughtsman’s Contract noch zu und bietet Gelegenheit für zahlreiche Reflexionen. Zu Beginn seines Schaffens experimentierte Greenaway mit Systemen und Strukturen. Im Mittelpunkt stand die Form, nicht der Inhalt. Dieses Bestreben ist ihm geblieben. In A Zed and two Noughts ging es ihm anfangs um die Entwicklung neuer, abstrakter Ordnungen, denn der gesamte Film beruht auf die Zahl zwei.179 Inhaltlich handelt er von Zwillingen, der Doppelgängertheorie und Dualität. Indem die Form des Filmes durch ein mathematisches System wie der Zahl zwei organisiert wird, kongruiert sie mit dem Filminhalt, der ebenfalls das Phänomen des Dualismus behandelt. „Viele meiner Filme sind wie Dissertationen oder Essays oder Betrachtungen zu einem bestimmten Thema“, so Greenaway, und „besessen von der Idee des Katalogisierens.“180 Den Katalog in A Zed and two Noughts stellt der Hauptschauplatz des Filmes, ein holländischer Zoo dar, als Beispiel für einen lebenden Katalog. ZOO ist auch das Wort, das sich aus dem Titel des Filmes, ein Z und zwei Nullen, ergibt. Doch wäre es kein Greenaway, würde sich dahinter nicht noch etwas anderes verbergen. So kann ZOO auch für Zebra, Oliver und Oswald stehen. Das Zebra ist ein Tier, das filmische Relevanz im Bezug auf Darwins Evolutionstheorie bekommt, Oliver und Oswald sind die Vornamen der angesprochenen Zwillinge, zwei Zoologen und forschende Nullen (two noughts).181 Der Titel fasst Peter Greenaway zu Folge eigentlich drei „Filme“ oder Überlegungen zusammen. Der erste und vordergründigste Part beleuchtet das Phänomen der Zwillinge, das zweite große Thema sind die Evolutionstheorie Darwins, das Verhältnis zwischen Mensch, Tier und Pflanze sowie die Welt als ein Zoo. Die dritte Überlegung beschäftigt sich mit seiner Faszination für „the manipulation of light“182, angelegt als Hommage an Jan Vermeer van Delft183. Der holländische Maler ist für Greenaway der erste Kameramann, weil er in der Lage war, außerordentliche Stimmungen durch Lichtsetzung zu erzeugen.184 Diese drei umfangreichen Bereiche verstrickte er miteinander und verband sie zu einem Werk. Die folgende Analyse 179
vgl. Walder 1988, 20. Greenaway zit. n. Walder 1988, 23. 181
vgl. Ruggle 1987, 47. 182
vgl. Arthaus DVD: Ein Z und zwei Nullen. Einführung von Peter Greenaway. 183
In der deutschsprachigen Literatur herrscht die Verwendung des Vornamens Jan vor. Ebenso ist die Vari-­‐
ante „Johannes Vermeer“ gebräuchlich, da sein niederländischer Taufname „Joannis“ lautete. vgl. Wheelock 1995, 15. 184
vgl. Arthaus DVD: Ein Z und zwei Nullen. Einführung von Peter Greenaway. 180
52 Kunstrezeption Greenaways – A Zed and two Noughts konzentriert sich auf die Einbeziehung Vermeers sowie auf die Korrespondenz zwischen Inhalt und Form. 2.1 Inhalt und Querverweise des Filmes Der Film beginnt mit einem Unfall, bei dem ein Auto und ein entflohener Schwan kollidieren. Zwei Insassinnen, die Ehefrauen der Zwillinge Oliver und Oswald, sterben, die Fahrerin Alba Bewick überlebt den Zusammenstoß, verliert dabei jedoch ein Bein. Zufällig ereignete sich der Unfall in der Nähe des Zoos, in dem Oliver und Oswald arbeiten. Der plötzliche Tod der Frauen trifft die beiden Zwillinge schwer und sie versuchen auf unterschiedliche Weise, ihre Trauer zu bewältigen. Oliver kann sich mit der Unmittelbarkeit des Todes nicht abfinden, so sucht er nach dem Ursprung und Sinn des Lebens, um eine Antwort auf das tragische Ereignis zu finden. Als Zoologe nimmt er sein Wissen über Biologie in Anspruch und setzt zunächst bei naturwissenschaftlichen Erklärungen an. Dabei analysiert er Dokumentarfilme, die sich mit den verschiedenen Lebensformen der Erde, deren Entstehung und Entwicklung beschäftigen. Oswald hingegen, der den Gedanken nicht erträgt, dass seine Frau verwest, hegt seit dem Unfall eine perfide Faszination für das Vergehen von Leben und kreiert selbst „Filme“, indem er verschiedene Stadien des Verfalls von Tieren und Früchten mittels Zeitrafferaufnahmen dokumentiert. Die Koexistenz von Leben und Tod zählt zu den zentralen Themen der Greenawayfilme, worauf noch ausführlich bei der Analyse von The Belly of an Architect hingewiesen wird. In der Zwischenzeit befindet sich Alba zur Genesung im Krankeinhaus, wo sie von den Brüdern regelmäßig besucht wird. Oswald löchert sie mit Fragen zum genauen Unfallhergang und zu den Ereignissen davor, und Oliver beschuldigt sie der Tötung seiner Frau, da sie das Schicksal herausgefordert hat. Auf Grund des Unfalls fühlen sich beide Zwillinge, die, wie sich herausstellt sogar siamesische Zwillinge sind, mit Alba auf seltsame Weise verbunden und beginnen ein Verhältnis mit ihr. Alba interessiert auch den Chirurgen Van Meegeren, der sie operiert hat, weil sie ihn an Modelle des Malers Vermeer erinnert. Sein Hobby ist es, Gemälde Vermeers fotografisch nachzustellen, und Alba sieht er als ideales Modell. Laut Van Meegeren habe Vermeer malerisch nie Frauenbeine dargestellt. So möchte er Alba zu einer Kunstfigur ohne Beine machen, und es gelingt ihm sogar, sie zu überzeugen, der Symmetrie wegen auch das zweite Bein zu amputieren. Inzwischen ist Alba erneut schwanger. Sie will den Brüdern nicht verraten, von welchem der beiden das Kind ist, sie sollen beide „Vater“ sein. Außerdem möchte sie Oliver und Oswald bei der Geburt dabei 53 Kunstrezeption Greenaways – A Zed and two Noughts haben, um sie mit Leben zu konfrontieren und von ihren Verwesungsmanien zu heilen. Zu diesem Zeitpunkt weiß sie noch nicht, dass auch sie Zwillinge, zwei Buben, zur Welt bringen wird. Die beiden Brüder arbeiten indes weiterhin an ihren Studien und kümmern sich immer weniger um ihren Beruf. Oliver lässt willkürlich Tiere frei, und Oswald verwendet Apparaturen und tote Tiere des Zoos für seine makabren Zerfall-­‐Experimente, was ihnen Probleme mit der Zooleitung und dem Angestellten Van Hoyten einbringt. Letzterer ist als Charakter bereits von früheren Filmen Greenaways bekannt. Wie bereits erwähnt, kommt er als Kontrahent Tulse Lupers in A Walk through H. The Reincarnation of an Ornithologist, sowie in Vertical Features Remake und The Falls vor. Sogar im Film The Draughtsman’s Contract erhält er einen sehr kurzen Auftritt, wurde aber auf Grund seiner Unwichtigkeit in der vorherigen Analyse nicht erwähnt. Greenaway schafft durch die Figur Van Hoyten Verbindungen zu seinen anderen Filmen und thematisiert Illusionscharakter und autoreferentielle Bezüge seiner Werke. Alba hat inzwischen Zwillinge zur Welt gebracht, ist nach der Operation allerdings sehr geschwächt. Durch eine Prostituierte und Freundin der Zwillinge, die sich Venus de Milo nennt, eine weitere kunsthistorische Anspielung, lernt Alba einen Mann namens Felipe Arc-­‐
en-­‐Ciel kennen. Er sitzt wie sie im Rollstuhl, bemüht sich sehr um sie, und nach einiger Zeit verlieben sie sich. Alba möchte nun, dass er an Stelle von Oliver und Oswald der rechtmäßige Vater ihrer Söhne wird. Nach einer weiteren Eskalation im Zoo werden die Brüder fristlos entlassen. Im Verlauf des Films sind sie sich immer näher gekommen, haben sich immer ähnlicher gesehen und spielen sogar mit dem Gedanken, sich von Van Meegeren wieder zusammennähen zu lassen. Nach weiterer Verschlechterung von Albas Gesundheitszustand stirbt sie. Mit ihrem Tod starten die Brüder ihr letztes Experiment, die Verfallsstudie eines Menschen – die letzte Stufe der Evolution – und stellen sich selbst als Versuchsobjekte zur Verfügung. Wie zuvor die toten Tiere legen sie sich unter den Apparat, der Zeitrafferaufnahmen erstellt, verabreichen sich gegenseitig eine Giftspritze und geben sich ihrer Verwesung preis. Doch die Sicherungen der Apparaturen brennen durch und bereiten dem Experiment ein abruptes Ende. 2.2 Die Malerei Vermeers als Vorlage Wenn im Vorangegangenen vom Zeichner hinter der Kamera die Rede war, so können in A Zed and two Noughts drei Personen als Maler hinter der Kamera bezeichnet werden: Jan Vermeer, dessen Malerei dem Film als Vorlage dient, Peter Greenaway, der auf Basis der 54 Kunstrezeption Greenaways – A Zed and two Noughts Vermeer-­‐Werke neue Bildkompositionen schafft und schließlich Sacha Vierny, Kameramann und Meister des Lichts, der die Farb-­‐ und Lichtgestaltung Vermeers annahm und den Filmbildern ihr bemerkenswertes Aussehen verlieh. A Zed and two Noughts stellt die erste Zusammenarbeit von Greenaway und Vierny dar. Der Franzose Vierny arbeitete zuvor mit Filmemachern wie Luis Bunuel und Alain Resnais. Gemeinsam erstellten Vierny und Greenaway eine Liste von 26 verschiedenen Möglichkeiten, ein Filmset auszuleuchten.185 Sie studierten die Gemälde eingehend mit dem Ergebnis, dass das Hauptlicht sehr oft von der linken Seite aus anderthalb Meter Höhe einfällt, und übernahmen dies als Regel ins Beleuchtungskonzept des Films.186 Die Verwendung einer Lichtquelle innerhalb des Filmbildes als ästhetisches Gestaltungsmerkmal, wie beispielsweise das Neonschild »ZOO« der ersten Szene (Abb. 28), sieht Alan Woods als Referenz zu kontemporären Strömungen wie der Lichtkunst und zieht Vergleiche zu Dan Flavins fluoreszierenden Leuchtkörpern.187 Greenaway schätzt Vermeer „as a man as well as a painter“188. Das veranlasste ihn dazu, den Maler nicht nur in Form seiner Werke zu integrieren, sondern auch Teile seiner Vita und Personen seines Umfelds in den Filminhalt aufzunehmen. Es ist nur wenig über ihn bekannt und vieles nicht historisch gesichert189, so war auch Raum für Erfindungen gegeben. Vermeer wird durch implizite sowie explizite Referenzen in die Filmstruktur eingeschrieben. In mehreren Szenen wird Vermeer im Dialog thematisiert, was dem expliziten Modus – Rede über Kunst allgemein – entspricht. Implizite Referenz kommt in Form der gezeigten Werke vor: formal imitierend als tableau vivant, (teil)reproduzierend, indem Bildausschnitte von Gemälden eingeblendet werden sowie dem allgemeinen Bild-­‐im-­‐Bild Motiv und evozierend als Vorlage des angesprochenen Beleuchtungskonzept. 2.2.1 Der Fälscher Han van Meegeren In der Inhaltsangabe wurde des Öfteren der Name Van Meegeren erwähnt. Dabei handelt es sich um eine historisch belegbare Person, die als einer der talentiertesten Kunstfälscher in die 185
„I cannot now at this stage remember them all, but it was of course lighting a set by morning light, afternoon light, moonlight, sunlight, starlight, but also all sorts of forms of artificial light by bonfires, by candles, by lamps, and than the whole series of very contemporary ways of lighting by car headlamps, […] by all sort of light which will probably only be used by industrial circumstances…” vgl. Arthaus DVD: Ein Z und zwei Nullen. Einführung von Peter Greenaway. 186
vgl. Greenaway 1995, 83. 187
vgl. Woods 1996, 83. 188
vgl. Arthaus DVD: Ein Z und zwei Nullen. Einführung von Peter Greenaway. 189
vgl. Wheelock 1995, 15. 55 Kunstrezeption Greenaways – A Zed and two Noughts Geschichte einging und mit Jan Vermeer als dessen Fälscher in Verbindung steht.190 Vermeer zeichnet für ein sehr kleines Œuvre verantwortlich191, was Anlass zur Spekulation über die Existenz weiterer Werke gab; ein Ansporn für Kunstfälscher, den Kunstmark mit bisher unentdeckten Gemälden aller Art zu bereichern. Unter ihnen auch Han van Meegeren, der in der Lage war, ganz außerordentliche und vor allem perfekte Fälschungen herzustellen, die, von Experten als Originale bestätigt, Museen sowie Sammler zum Kauf bewog.192 Greenaways Van Meegeren stellt den fiktiven Verwandten des echten Vermeer-­‐Fälschers dar. In A Zed and two Noughts verkörpert er Albas Chirurgen, einen Hobbyfotograf, der in seiner Freizeit Gemälde von Vermeer präzise nachstellt und belebt. Er inszeniert die Gemälde als tableaux vivants, um sie fotografisch zu reproduzieren. In einer Szene im Krankenhaus193 erzählt Alba den Zwillingen von ihrem Chirurgen, der sich als zweiter Vermeer versucht. Die Charaktere greifen daraufhin den kunsthistorischen Diskurs auf: OSWALD: Vermeer only painted 26 paintings and three of those are dubious. ALBA: That’s enough. OLIVER: Obviously not. Van Meegeren tried to paint some more. Greenaway thematisiert mit dieser Dialogstelle die geringe Anzahl der Vermeerwerke, die Schwierigkeiten von Datierung und falscher Zuweisung sowie die Problematik der Fälschungen. Warum er eine beliebige Zahl an Werken nennt (26), erschließt sich aus der Tatsache, dass Greenaway eine Vorliebe für Fiktionsironie hat und Erfundenes als Faktum verkauft. Die Erfindungen weichen jedoch nie gänzlich von der Wahrheit ab, sondern verschleiern sie lediglich ein wenig.194 Durch die klare Vorlage und die Deutlichkeit der Verweise entlastet Greenaway den Rezipienten. Dieser muss sich nicht selbst die Frage stellen, wer oder was Gegenstand der Reflexionen ist, steht dennoch vor der Frage des Zusammenhangs des Angesprochenen mit der übrigen Filmhandlung. Die kunsthistorische Anlehnung ist durch eindeutige Bezugnahme auf die Kunst Vermeers klar dargelegt. Die konkrete Offenlegung der Referenzbezüge ermöglicht dem Betrachter zusätzliche 190
vgl. Broos 1995, 62; sowie Hennefeld 2002, 14. Es werden ihm lediglich knapp 40 Werke zugesprochen, von denen nur drei genau datiert sind. vgl. Hennefeld 2002, 39. 192
vgl. Hennefeld 2002, 42. 193
Gespräch im Krankenhaus: 00:33:47 194
siehe zu dieser Problematik auch Kapitel IV.3.3, indem das »Fake«-­‐Phänomen näher behandelt wird. 191
56 Kunstrezeption Greenaways – A Zed and two Noughts Information, die er allerdings einordnen muss. Falls dies nicht gelingt, wird viel mehr Verwirrung gestiftet als Erleichterung geschaffen. Zusätzlich verweigert man dem Rezipienten die Möglichkeit der eigenen Identifikation.195
Dem Charakter Van Meegeren stellt Greenaway die Assistentin Caterina Bolnes zur Seite. Sie trägt den Namen von Vermeers Ehefrau (Catharina Bolnes)196 und ist den gesamten Film hindurch in einem roten Kleid mit ausladendem rotem Hut, dargestellt (Abb.29). Der Hut weist deutliche Parallelen mit Vermeers Mädchen mit rotem Hut (um 1665)197 auf (Abb. 30).198 Das Gemälde zeigt eine junge Frau, seitlich sitzend, die ihren Kopf in Richtung Betrachter dreht. Am Kopf thront ein mächtiger Hut in stechendem Rot, der größte Farbwert des Gemäldes. Vermeer verfügt über außergewöhnliche Sensibilität für Licht und Lichteffekte, wie deutlich am Gesicht des Mädchens zu lesen ist, dass die kaum wahrnehmbare Reflexion des Hutes leicht rötlich zeichnet.199 Diese Fähigkeit mit Licht zu zeichnen fand Greenaway an Vermeer besonders reizvoll. Die dargestellte Frau sieht der Schauspielerin Guusje van Tilborgh, die Caterina Bolnes verkörpert, sehr ähnlich, was den Vergleich verdeutlicht. Sie ist Van Meegeren bei der Erstellung der Kopien und seinen Plänen mit Alba behilflich. Der Chirurg und Caterina Bolnes sind also die Figuren im Film, die mit Vermeers Kunst „operieren“. Die Reproduktionen hängen überall, sogar im Operationssaal des Chirurgen. 2.2.2 Tableau vivant: Die Malkunst Vermeers Die Malkunst (Abb.) 31, im Original De Schilderconst, wurde erstmals 1676 erwähnt, entstand mit großer Wahrscheinlichkeit um 1666/1667 und stellt ein „Produktionsszenario in der dritten Person“ dar.200 Gemeint ist ein Bild, das die Schöpfung eines Bildes zum Inhalt hat (mise en abyme). Somit steht einer anderen Person die Autorenschaft des im Bild entstehenden Bildes zu. Der präsentierte Künstler sitzt mit dem Rücken zum Betrachter und verbirgt seine Identität. Sein Kopf neigt sich ein wenig nach links, da sein Blick das Modell fixiert, das er soeben zu Papier zu bringen versucht. Das Modell posiert vor einer Landkarte; in einer Hand eine Posaune, in der anderen ein Buch haltend, 195
vgl. Frommer 1994, 76. Wheelock 1995, 16. 197
Alle Angaben bezogen auf Datierungen und Titel der Vermeer-­‐Gemälde wurden aus Wheelock 1995 ent-­‐
nommen. 198
vgl. Millar, 1985/86, 62. 199
vgl. Wheelock 1995, 160. 200
Stoichita 1998, 286. 196
57 Kunstrezeption Greenaways – A Zed and two Noughts repräsentiert sie die Muse Klio.201 Die Objekte am Tisch wie die Maske und das aufgeschlagenes Heft stellen gemeinsam mit Landkarte, Muse und dem Akt des Malens eine Allegorie der Malkunst dar.202 Indem das Bild im Unklaren lässt, welchen Künstler es wiedergibt, ist es kein Portrait eines bestimmten Malers beim Malakt, wie es von zahlreichen Malerportraits bekannt ist, sondern es handelt schlicht von einem undefinierten Malenden. Stoichita schreibt Vermeer die Position eines „exotopischen Malers“203 zu, bezeichnet ihn also als Maler, dessen Topos außerhalb des Gezeigten zu suchen ist. Das Bild zeigt einen anderen, „endotopischen“ Schöpfer innerhalb der Szenerie. Der Anonyme könnte auch Vermeer selbst sein, doch scheint die Identifizierung einer gewissen Person unbedeutend, da das Bild allegorischen Charakter besitzt. Durch die Rückenansicht wird der Dargestellte immer ein Dritter bleiben. Vergleicht man nun Vermeers Gemälde mit Greenaways filmischer Imitation davon (Abb. 32), so fallen Verwandtschaften sowie Unterschiede auf. Die wesentlichen Gegenstände des Bildes werden übernommen: die Landkarte und der Stuhl an der Wand, der Luster, der Tisch mit darauf liegenden Attributen, sowie der zurückgeschlagene Vorhang. Die dargestellten Figuren weichen jedoch deutlich vom Original ab. Der anonyme Maler wird durch van Meegeren ersetzt, Staffelei, Leinwand und Pinsel durch dessen Fotoapparat. Die Position und Wiedergabe als Rückenfigur wird allerdings beibehalten. Die größte Veränderung widerfährt dem Modell. Anstatt der mit blauem Gewand, Lorbeerkranz und Attributen ausgestatteten Klio stellt Greenaway Van Meegerens Assistentin Caterina Bolnes ins Bild. Sie ist vollkommen nackt, lediglich der charakteristische rote Hut ist ihr geblieben. Auch die Attribute werden minimal verändert, da sie statt der Posaune eine Trompete hält. Die Inszenierung zielt nicht auf bildgetreue Reproduktion ab, sondern übernimmt die Eckpfeiler des Raumes, um das „Vor-­‐Bild“ zu erkennen.204 Die Figuren sind eine Mischung aus historischen Fakten und der Vorstellung des Filmemachers. Durch die Reinszenierung Greenaways wird doppelte Metareferenz erwirkt, da das Ausgangsbild Vermeers bereits metareferenziellen Charakter besitzt. Die filmische Bezugnahme auf ein Gemälde, das seinerseits bereits auf die Malerei und den Malakt verweist erzeugt »meta2«205 (meta-­‐square). Dieses Phänomen soll hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Näher besprochen wird es jedoch im Punkt 5 dieses Kapitels, der Analyse des Films 8 ½ Women. 201
vgl. van Gelders zit. n. Badt 1961, 101. vgl. Badt 1961, 101. 203
Stoichita 1988, 287. 204
vgl. Barchfeld 1993, 113. 205
vgl. Bantleon 2011, 326. 202
58 Kunstrezeption Greenaways – A Zed and two Noughts Auf Grund des Wechsels von Leinwand und Pinsel zu Stativ und Kamera kommt es im Film scheinbar zum Verlust des erzeugten Werks innerhalb des Filmbildes. In Vermeers Bild hat der Maler bereits begonnen, Teile der Muse auf der Leinwand festzuhalten. Die Entstehung wird thematisiert. Der Film löst das Problem in Form des Kamerablitzes. Im Abstand von einigen Sekunden wird durch das Auslösen der Kamera in der filmischen Einstellung geblitzt. Dies zeigt an, dass in diesem Moment ein Bild (Foto) entstanden ist. Auch wenn es nicht sofort sichtbar ist, so handelt es sich trotzdem um ein soeben entstandenes Bild im Bild. Diese Darstellung erweist sich als zeitgemäße Reproduktion einer Atelierszene, mit aktuellen Disziplinen. Der Film ist der Fotografie durch seine technischen Parameter viel näher als es die Malerei, beruht er schließlich auf der Fotografie. Der spielerische Umgang mit Vermeers Werken zeigt den Unterschied zwischen den Medien Film und Fotografie, den „Kunstwerken im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit“ im benjaminschen Sinne und dem Medium Malerei als „hohe Kunst“206. Das Nebeneinander von Gemälde und Foto setzt Greenaway in Bezug auf seine Person ein. Es zeigt den Werdegang vom einstigen Maler zum jetzigen Filmemacher. Die Aspekte Reproduktion und Fälschung werden in mehrfacher Hinsicht sichtbar. Erstens durch Van Meegeren, der als Vermeer-­‐Faker dessen Gemälde nachfotografiert, zweitens durch den Filmemacher, der sich den Originalen mit Hilfe eines anderen Mediums nähert, und schließlich durch das tableau vivant selbst, da dieses, im Unterschied zum zweidimensionalen statischen Modus des Gemäldes eine lebendige und räumliche Kopie ist und somit eine Fälschung erzeugt.207 An dieser Szene erscheint die Art ihrer Auflösung im filmischen Zusammenhang besonders interessant. Reziprok zu seiner üblichen Vorgehensweise, wie es in The Draughtsman’s Contract vorgeführt wurde – die Kamera ist statisch, nur die Figuren bewegen sich darin – gestaltet Greenaway die Einstellung des tableau vivant als Kamerarückfahrt. Bolnes und Van Meegeren bewegen sich nicht, als wäre das Bild für kurze Zeit eingefroren, die Kamera jedoch schon. Er bedient sich der deduktiven Methode der Bildauflösung. Es wird mit einer nahen Einstellung begonnen, die fortlaufend totaler, sprich weiter wird. (Serie 2) Dies kann mittels Schnitttechnik oder wie hier, mittels Fahrt erzeugt werden. So startet die Kamera mit einem Close Up208 nahe an Van Meegerens Jacke, die genau der in Vermeers Gemälde entspricht, und entfernt sich langsam fahrend vom Objekt, bis eine Totale erreicht ist, die nun dem Bildausschnitt der Vorlage gleicht. Durch den Beginn mit einem mehr oder weniger 206
vgl. Barchfeld 1993, 113. siehe hierzu auch Petersen 2009, 62,63. 208
Ein Close Up ist eine weitere Einstellungsgröße und bezeichnet eine Großaufnahme, die beispielsweise nur den Kopf eines Darstellers zeigt. vg. Monaco/Bock 2011, 112. 207
59 Kunstrezeption Greenaways – A Zed and two Noughts abstrakten Bild und der Rückfahrt wird nicht sofort verraten, worum es geht. Virtuos gestaltet sich gleichfalls der Übergang von der vorherigen Szene auf diese. Sie zeigt die Gitterstäbe des Zoos (Serie 2,1), dahinter zwei Personen, eine schwarz und eine weiß gekleidet, und ein Zebra. Von diesem linearen schwarz-­‐weißen Bild schneidet Greenaway auf das Close Up der Künstlerjacke, die ebenfalls aus schwarz-­‐weißen Streifen besteht, die dem Fell eines Zebras gleichen.209 Durch diesen Schachzug verbindet er auf formaler Ebene zwei Szenen, die inhaltlich weit auseinander liegen. 2.2.3 Die Musikstunde und Das Konzert Wenige Filmminuten nach der Malkunst werden abermals Vermeers Werke im Film präsentiert. Diese Szene zeigt kein fertiges tableau vivant, sondern die Vorbereitung auf ein solches. Alba wird von van Meegeren und Caterina Bolnes bei der Anprobe eines Kleides gezeigt, das sie in einer Vermeer-­‐Reproduktion des Chirurgen tragen soll. Dieses charakteristische Kleid, gelb-­‐weiß mit schwarzen breiten Streifen am Oberteil, ist eine Kopie des Kleides, das Vermeers Modell in den Bildern Die Musikstunde (auch bekannt als Herr und Dame am Virginal, 1662-­‐1664) und Das Konzert (1665-­‐1666)(Abb. 33+34) trägt.210 In leicht variierter Form findet sich das Kleid in insgesamt fünf Vermeergemälden wieder; neben den bereits erwähnten Bildern außerdem noch in Die Briefleserin am offenen Fenster, Junge Frau mit Wasserkrug am Fenster und Der Soldat und das lachende Mädchen (Serie 3). Bei genauer Betrachtung erkennt man, dass Ausschnitte der angesprochenen Gemälde als Eingangssequenz dieser Szene aufeinander geschnitten dargeboten werden. Zu sehen sind jeweils Details besagter Bilder, die das Kleid zeigen. In Alba sieht Van Meegeren ein geeignetes Modell für seine Reproduktionen. Sie äußert dies bereits einige Szenen zuvor. Auf die Frage Oswalds, was die Spezialität Van Meegerens als Kopist sei, antwortet Alba: „Vermeer women. Van Meegeren says, I look like “The lady Standing at the Virginal” [Die Musikstunde]. I suspect it’s because you never see her legs. She‘s not standing really, she’s strapped and stitched to her music stool.”211 209
vgl. Schuster 1998, 84. ab 00:52:15 -­‐ Van Meegeren: „It’s a copy in every detail of the one, worn by Madame van Ees in both “The concert” and “The music lesson”. We now nearly have the entire wardrobe seen in Vermeer’s paintings.“ 211
Alba zu Oswald: ab 00:52:08 210
60 Kunstrezeption Greenaways – A Zed and two Noughts Das tableau vivant in Vorbereitung (Abb. 35) stellt eine Kombination aus Die Musikstunde und Das Konzert dar. Das an der Wand stehende Klavier, der Spiegel darüber sowie die weiße Vase wurden aus der Musikstunde übernommen, der zusammengeknüllte Teppich über dem Tisch und die Stühle sowie das Sitzmotiv der Musizierenden sind Elemente aus Das Konzert. Nachdem Alba das Kleid angelegt hat, wird sie zum Klavier geführt und setzt sich auf einen Hocker. Sie ist mit dem Rücken zum Betrachter platziert, aber sitzend, eine erneute Verbindung beider Gemälde. Währenddessen kontrollieren Caterina Bolnes und Van Meegeren auf einem Zettel, der wahrscheinlich das Original zeigt, die nachzustellende Szenerie. Michael Schuster weist darauf hin212, dass alle tableaux vivants von Van Meegeren im selben Raum arrangiert werden, was der Vorgehensweise Vermeers gleicht, der oft dieselben Zimmer seines Hauses als Kulisse verwendete. 2.2.4 Sugimotos Musikstunde Angesichts der Neuinszenierung der Musikstunde, drängt es sich auf, in einem kurzen Exkurs auf einen Künstler hinzuweisen, der im Stile der Figur Van Meegeren sowie des Filmemachers Greenaway agiert. Das Œuvre des japanischen Fotografen Hiroshi Sugimoto beinhaltet ebenfalls eine Variante der Musikstunde (Abb. 36). Seine Version des Vermeergemäldes (The Music Lesson, 1999) entstand im Wachsfigurenkabinett von Madame Tussaud Amsterdam, wo sich eine vereinfachte, dreidimensionale Kopie des Bildes, nachgestellt mittels Wachsfiguren, befindet. Sugimoto wählte somit bereits eine Kopie des Werkes als Basis seiner fotografischen Schöpfung.213 Er nahm das nachgestellte Werk von einem Standpunkt auf, der der Position Vermeers bei der Erstellung des Gemäldes entsprach, und reduzierte die Dreidimensionalität des Wachsfiguren-­‐Tableaus auf die Flächigkeit der Fotografie und gleichzeitig des Originals.214 Abweichungen vom Ursprungsbild entstehen durch die Perspektive des Raumes und den Verzicht auf Gegenstände wie der Vase, den blauen Stuhl oder das am Boden liegende Instrument. Durch das Reproduzieren einer Reproduktion thematisiert er wie Greenaway den Akt der Fälschung. Wie die Reinszenierung im Film weist 212
siehe Schuster 1998, 77. Die sich in Madame Tussaud’s London befindenden Wachsfiguren der Tudor-­‐Königsfamilie reproduzierte er in seiner Serie »Portraits«. „Using my own studies of the Renaissance lightning by which the artist might have painted, I remade the royal portrait, substituting photography for painting. If this photograph now appears lifelike to you, perhaps you should reconsider what it means to be alive here and now.“ Brougher/Elliott 2005, 221. 214
vgl. Bantleon 2011, 329. 213
61 Kunstrezeption Greenaways – A Zed and two Noughts auch Sugimotos Foto autoreflexive sowie metareferenzielle Züge auf. Im Original befindet sich über der Klavier spielenden Dame ein Spiegel, der ihre Spiegelung sowie die Beine der Malerstaffelei Vermeers zeigt. Der Spiegel alleine könnte bereits als indirekte Metareferenz angesehen werden, da das Spiegelbild innerhalb des Gemäldes eine andere Form der Repräsentation darstellt, und somit ein Bild im Bild erzeugt.215 Durch das Sichtbarmachen der Staffelei ist die Zeichenposition Vermeers außerhalb des Gemäldes bestimmbar, verweist auf den Schöpfungsakt und somit reflektierte er seine eigene Kunst. Sugimotos Music Lesson erklimmt noch eine weitere Stufe der Metareferenz: als Systemreferenz seiner Kunst setzte er ebenfalls das Motiv der Spiegelung ein. Er tauschte Vermeers Staffelei durch die Beine seines Stativs aus. So verwiesen der Maler des Gemäldes, Vermeer, sowie der Erzeuger des Fotos, Sugimoto, jeweils auf sich selbst und den Schöpfer des Werkes. Sugimoto potenzierte den Aspekt der Metareferenz durch Reproduktion eines Werkes, dem bereits Metabezüge inhärent sind und schuf »meta2«216. Wie Greenaway im Film fasst Sugimoto durch sein Foto verschiedene Medien zusammen: das ursprüngliche Gemälde, das nachgestellt Tableau durch Figuren – im Foto durch Wachsfiguren, im Film durch Charaktere – und schließlich als Endprodukt das Foto bzw. Filmbild. 2.3 Symmetrie und Dualität Die zu Beginn der Untersuchung von A Zed and two Noughts angesprochene Kongruenz zwischen Narration und Form findet nun in diesem Kapitel ausführlichere Betrachtung. Der Film startet mit konstruiertem Chaos, ausgelöst durch den Unfall, bei dem jeder der Hauptcharaktere einen Teil verliert und die angestrebte Symmetrie zerstört wird. Die Brüder verlieren jeweils ihre „bessere Hälfte“ und Alba ihr Bein. Das führt zu einem Ungleichgewicht der Symmetriekonstellation Ehe, zu Asymmetrien im Bezug auf den menschlichen Körper. Gegen Ende des Filmes sind diese Symmetrien wieder hergestellt, indem Alba ihr zweites Bein opfert und die Zwillinge sich als Brüder näher kommen. Sie erkennen einander als symmetrisches Gegenstück an, kleiden sich gleich und möchten wieder als siamesische Zwillinge vereint sein.217 Auch in den Gegensätzen Leben und Tod, oder in Doppelungen mit Hilfe von Spiegeln, wie auch in Reproduktionen manifestiert sich Greenaways Symmetriesystem. Dem setzt er auf formalästhetischer Ebene symmetrisch konstruierte 215
vgl. Bantleon 2011, 328. vgl. Bantleon 2011, 329. 217
vgl. hierzu Frommer 1994, 86-­‐87. 216
62 Kunstrezeption Greenaways – A Zed and two Noughts Einstellungen, Symmetrien innerhalb der mise en scene sowie der Montage gegenüber.218 Symmetrie lässt durch eine gedachte Mittelachse zwei Teile entstehen, die gespiegelt wirken und sich gleichen oder zumindest ähnlich sehen, wie es bei Zwillingen der Fall ist. Die Mittelachse der Einstellungen bildet meist Alba, links und rechts von ihr ordnet Greenaway die Brüder an, wobei er Oliver die linke und Oswald die rechte Bildhälfte zuteilt. Er thematisiert diesen Umstand durch ein Gespräch in Albas Schlafzimmer. Auf ihre Frage, ob die Zwillinge einmal die Seiten des Bettes tauschen wollen, antwortet Oswald: „No. I’m happy on the left. [im Bild rechts] I exactly know my place and feel very comfortable in it.“219 Daraufhin zeigen sie Alba die Narben an Ohr, Schulter und Oberschenkel, die sie bei ihrer operativen Trennung davongetragen haben. Die Einstellung ist absolut symmetrisch arrangiert: Alba in der Mitte, bereits beide Beine amputiert, zu ihren Seiten die Zwillinge in der exakt gleichen Position liegend. Auch das Interieur, die Nachtkästchen mit jeweils zwei Kerzen drauf, die Vorhänge und Pilaster an der Wand erscheinen in völlig symmetrischer Anordnung. (Abb. 37) Die Häufigkeit solcher Einstellungen nimmt gegen Ende des Filmes zu. Sind die Filmbilder in den Anfangsszenen ob der größeren Unterschiedlichkeit der Zwillinge und Albas Einseitigkeit noch „mangelhaft“, werden sie im weiteren Filmverlauf immer vollkommener. Auf Greenaways Gesamtwerk bezogen lässt sich sagen, dass er grundsätzlich große Leidenschaft für symmetrische Bildkompositionen empfindet. Dies lässt sich auch aus den Filmen The Draughtsman’s Contract, The Belly of an Architect und 8 ½ Women (Abb. 38-­‐
41) ablesen. In späteren Werken sind Symmetrien weniger präsent und spielen eine untergeordnete Rolle. Grund dafür ist wohl die Zunahme der Kameraaktivität sowie der handlungsimmanenten Aktionen der späteren Filme. Durch viel Bewegung innerhalb der Szenerie kommen symmetrische Bilder nur schwer zustande, da zur Konstruktion von Symmetrie ein statisches Bild von Nöten ist. Nur leichte Bewegung wie Vor-­‐ und Rückfahrten oder Zooms sind möglich.220 In A Zed and two Noughts steht durch inhaltliche Verbindung alles unter der Prämisse der Symmetrie, auch der Schnitt. Greenaway montiert Einstellungen zusammen, die entweder in sich völlig spiegelgleich aufgebaut sind oder durch ihre Anordnung diesen Effekt erzielen. Paradigmatisch für diese Technik, die Christer Petersen als „Symmetrieschnitt“221 bezeichnet, steht die Szene, in der die Brüder Alba zum ersten Mal im Krankenhaus besuchen. Sie beginnt mit einer Einstellung von Alba, die in Dreieckskomposition im Krankenbett liegt (Serie 4,1.). 218
vgl. Barchfeld 1993, 99. ab 01:10:19 220
vgl. Petersen 2001, 16. 221
vgl. Petersen 2009, 28, sowie Barchfeld 1993, 99. 219
63 Kunstrezeption Greenaways – A Zed and two Noughts Darauf folgt die Totale eines runden Raumes, dessen Mitte Albas Bett und der Vorhang dahinter bildet. An den Seiten sitzen Oliver und Oswald und daneben steht jeweils ein Beistelltisch mit Objekten darauf (Serie 4, 2). An diese Einstellung reiht Greenaway zwei Details. Zuerst die Schale Äpfel, die neben Oswald steht, anschließend die Großaufnahme eines Stofftier-­‐Zebras von Olivers Tisch (Serie 4, 3-­‐4). Die erneute Raumtotale schließt die Details ab. Es folgen wiederum zwei Einstellungen, die erst Oliver und dann Oswald zeigen, wie sie das Zebra und einen Apfel in die Hand nehmen (Serie 4, 6-­‐7). Die Szene endet mit erneutem Schnitt auf die Totale des Krankenhauses. 2.3.1 Kommentarbilder Das symmetrische Konstruktionsverfahren führt die Analyse zu einem weiteren Moment des Films, der abermals Malerei aufgreift. Neben den bisher gezeigten Übersetzungen von Vermeers Werken spielt A Zed and two Noughts auch mit dem Tableau als Referenz-­‐ bzw. Kommentarobjekt.222 Die Vermeergemälde Der Geograf (1668-­‐1669) und Der Astronom (1668) (Abb. 42+43) hängen als Bilder im Filmbild im Zimmer Van Meegerens. Sie besitzen kommentierenden Charakter hinsichtlich der Zwillinge, da sie das Zwillingsmotiv veranschaulichen. Beide weisen ähnliche Größe auf und zeigen zwei Gelehrte, wahrscheinlich von ein und derselben Person dargestellt.223 In einer Szene im Warteraum Van Meegerens sitzen Oliver und Oswald auf zwei Stühlen, über denen sich die beiden Vermeers befinden, die quasi auf sie herabsehen (Abb. 45). Von einer Großaufnahme der Bilder (Abb. 44) fährt die Kamera zurück in den Raum, die Zwillinge betreten die Einstellung und nehmen Platz. Es handelt sich um den gleichen Raum, in dem Van Meegeren Caterina Bolnes als Muse Klio fotografiert hat. Wo vorher die Landkarte hing, zieren nun die Kommentarbilder die Wand. Auffallend ist die Art der Positionierung. Die Originalbilder zeigen jeweils einen Wohnraum, auf dessen linker Seite ein Fenster zu sehen ist. Geograf und Astronom sind beide nach links zum Fenster hin gewandt. Greenaways Version des Astronomen ist gespiegelt, damit sich die Dargestellten einander zuwenden und ein symmetrisches Bild ergeben. Resümierend kann festgehalten werden, dass die Integration von Vermeers Kunst, in welchem Modus auch immer, den Film oder das Medium Film kommentieren. Der autoreflexive Charakter der Gemälde und Vermeers Vorliebe für mise en abyme 222
siehe auch Barchfeld 1993, 118. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich um Anthony van Leeuwenhoek, einen Delfter Naturfor-­‐
scher und Mikroskopist; siehe Wheelock 1995, 172. 223
64 Kunstrezeption Greenaways – A Zed and two Noughts Darstellungen, ob als Bild-­‐im-­‐Bild oder als Spiegel, erzeugen bereits eine Metaebene. Die Einbindung der Werke verweist nicht nur auf ein Vor-­‐Bild; Greenaway nutzt sie auch als Rezeption seines eigenen Mediums. 65 Kunstrezeption Greenaways – The Belly of an Architect 3. The Belly of an Architect (Der Bauch des Architekten, 1986) Galten Greenaways Reflexionen der zuvor besprochenen Filme der Zeichnung und der Malerei, beides Disziplinen, die er selbst ausübte, so widmet sich sein dritter Spielfilm The Belly of an Architect einer weiteren Gattung der bildenden Kunst: der Architektur. Ausgangspunkt für diesen Film war ein anderes Greenaway-­‐Projekt mit dem Titel Stairs. Da sich die eigentliche Idee als nicht umsetzbar herausstellte, teile er das anfängliche Vorhaben in zwei überschaubare Projekte. Greenaway entwickelte daraus die bereits angesprochene Ausstellungsreihe Stairs und den Film The Belly of an Architect.224 Die Gemeinsamkeit der beiden Konzepte manifestiert sich im Inhalt des Films, der die Organisation einer Architekturausstellung über Étienne-­‐Louis Boullée zum Thema hat. Als Verbindungselement zwischen Film und Architektur fungieren die Aspekte Ausstellung und Ausstellbarkeit. „If a comparison can be made between the making of a film and the building of a building, then both might, in a way, also be compared, perhaps more modestly, to the making of an exhibition.“225 Für Greenaway kommentiert der Film einerseits Architektur, gleichzeitig ist die Boullée-­‐
Ausstellung als autoreflexive Darstellung der Herstellung eines Filmes gedacht. Beide Disziplinen, die Architektur und der Film, haben die Gemeinsamkeit, ein Gesamtkunstwerk zu sein, das nur im Kollektiv erzeugbar ist und den Prozess künstlerischen Arbeitens darstellt.226 3.1 Plot und Strukturierung Der Film beginnt in einem Zug an der Grenze zwischen Frankreich und Italien. Stourley Kracklite, ein Architekt aus Chicago, reist mit seiner Gattin Louisa nach Rom, um dort eine Ausstellung über den französischen Architekten und Vertreter der Revolutionsarchitektur Étienne-­‐Louis Boullée zu realisieren. Während der Fahrt zeugen sie ein Kind, was sie zu diesem Zeitpunkt des Filmes noch nicht wissen. Die italienischen Kollegen heißen Kracklite in einem Restaurant gegenüber dem Pantheon herzlich willkommen und feiern den Auftakt der Vorbereitungsphase. Kracklite und gleichzeitig Boullée zu Ehren überreicht ihm Io Speckler, der für Finanzierung und Abwicklung der Ausstellung verantwortlich zeichnet, eine 224
vgl. Kremer 1995, 58. Greenaway zit. n. Kremer 1995, 52. 226
vgl. Kremer 1995, 52. 225
66 Kunstrezeption Greenaways – The Belly of an Architect Zuckertorte in Form des Newton-­‐Kenotaphs, einem der bekanntesten Entwürfe Boullées. Unter den Gäste der Abendgesellschaft befinden sich auch Specklers Sohn Caspasian, ebenfalls Architekt und sehr an Kracklites Frau interessiert, sowie dessen Schwester Flavia. In derselben Nacht quälen den Architekten erstmals starke Bauchschmerzen, die zu einem ständigen Begleiter der kommenden Wochen und Monaten werden. Die Ausstellung findet im Vittorio-­‐Emmanuele Denkmal, der sogenannten „Schreibmaschine“ Roms statt. Kracklite erfüllt sich damit den jahrelangen Wunsch, seinen Helden zu ehren. Seine Bewunderung gilt den visionären Entwürfen und Kugelformen, allen voran dem Kenotaph für Sir Isaac Newton, den er zum zentralen Element der Ausstellung erhebt. Caspasian Speckler hält nicht viel von Boullée und noch weniger von Kracklite. Bei einem gemeinsamen Essen behauptet Caspasian, Augustus wäre von seiner Frau mittels Feigen vergiftet worden. Dies schürt den Verdacht in Kracklite, dass auch er von seiner Frau vergiftet werden könne, da ihm die Avancen Specklers gegenüber Louisa und ihre Reaktion darauf nicht verborgen geblieben sind. Durch zunehmende Magenschmerzen und die Vereinnahmung der Ausstellung distanziert er sich immer mehr von seiner Frau. Stattdessen entwickelt er eine übertriebene Affinität für Bäuche, vor allem für den Bauch der Augustusstatue und erstellt unzählige Kopien davon. Er tastet seinen eigenen Bauch auf Schmerzzonen ab und markiert diese auf den Fotokopien. Louisa, bereits im Wissen über ihre Schwangerschaft, fühlt sich vernachlässigt und beginnt ein Verhältnis mit Caspasian, was ihrem Mann nicht entgeht. Mit der Planung der Ausstellung im Verzug und von immer stärkeren Schmerzen geplagt, wendet sich Kracklite in seiner Verzweiflung seinem scheinbar einzigen Verbündeten zu: Boullée. Er beginnt Postkarten an ihn zu schreiben, in denen er seine Sorgen und Ängste mitteilt. Caspasian zweigt im Geheimen Geld der Ausstellung für eigene Projekte ab und treibt Kracklite mit Erfindungen über Boullée – dieser sei an Magenkrebs gestorben – immer mehr in seine Bauch-­‐
Obsessionen. Die rapide Verschlechterung seines Gesundheitszustandes veranlasst die Geldgeber der Ausstellung Caspasian die Leitung zu übertragen, da sie das Vertrauen in den Amerikaner verloren haben. Dieser wankt gleich einem Sterbenden in Rom umher und unterhält weiterhin schriftliche Korrespondenz mit dem toten Boullée. Er verliert zunehmend den Bezug zur Realität. Louisa hat inzwischen genug von seinem Wahn, verlässt ihn und zieht zu Caspasian. Gegen Ende des Filmes sucht Kracklite einen Spezialisten auf und erhält die bittere Diagnose Pankreaskrebs. Bei der Vernissage „seiner“ Ausstellung, die Louisa und Caspasian eröffnen, steigt er auf die Galerie des Vittorio-­‐Emmanuele Gebäudes, um sich das Leben zu nehmen. Währenddessen bringt Louisa in der Halle des Gebäudes ihr Kind zur Welt. 67 Kunstrezeption Greenaways – The Belly of an Architect Genau in dem Moment, in dem der Schrei des Kindes zu hören ist, springt Kracklite aus dem Fenster und beendet sein Leiden. Die Schwangerschaft Louisas gibt die zeitliche Struktur von The Belly of an Architect vor. Sie bildet Anfang und Ende des Films, da er mit der Zeugung des Kindes in der Eröffnungssequenz beginnt und mit der Geburt desselben schließt. Innerhalb dieser Zeitspanne, neun Filmmonate, entsteht auch Kracklites „Baby“, seine Ausstellung, deren Geburt er nicht überlebt. Der Film folgt einem chronologischen Aufbau, doch kommt es innerhalb der neun Monate zu deutlichen Zeitsprüngen.227 Während zwischen manchen Szenen nur ein Tag vergeht, trennen andere Monate. Angaben zu Louisas Schwangerschaft sowie die voranschreitende Ausstellungsplanung geben Aufschluss über Chronologie und zeitliche Entwicklung, wenngleich sie lediglich vage Angaben liefern. Binnen dieses zeitlichen Maßes strukturiert Greenaway durch formale Ordnungsmuster. Die Gliederung passiert erneut mittels seriellen Systems. Wie die Zeichnungen Nevilles in The Draughtsman’s Contract geben hier die Postkarten an Boullée die Struktur des Films vor. Kracklite versieht jede der Karten mit genauem Datum, sodass der Betrachter bei Beachtung der Daten zeitliche Orientierung erhält und das Vergehen der Zeit messbar wird. Die Motive der Ansichtskarten stellen Gebäude und Piazze Roms dar und verbinden den „Revolutionsarchitekten“ mit der Architektur der ewigen Stadt. Die sieben abgebildeten Gebäude hatten entweder Einfluss auf Boullée, oder er hätte Einfluss auf die Bauten haben können.228 Die Karten setzten ab Minuten 27 ein, ausgelöst durch eine Sequenz, in der Kracklite glaubt, von Louisa vergiftet zu werden. Diese Angst teilt er Boullée auf einer Karte mit, indem er schreibt: „I think my wife is poisoning me. You can laugh, but I’m serious!“229 Mit fortschreitendem Filmverlauf werden Realitätsverlust und Paranoia Kracklites immer größer, sodass es zu stärkerer Identifikation mit Boullée kommt. Beginnt Stourley die erste Karte sehr förmlich, indem er sie mit „Monsieur Boullée“ betitelt, begrüßt er ihn in der siebten nur noch mit „Dear Étienne-­‐
Louis“.230 Je einsamer er wird, desto stärker entwickelt sich der imaginäre Freund zum Verbündeten. In der letzten Karte bittet er den Architekten sogar, nach Rom zu kommen und die Ausstellung selbst zu eröffnen. Jede Karte unterzeichnet er mit „St. Kracklite (ARCHITECT)“. Dabei kürzt er seinen Vornahmen Stourley jedes Mal mit »St.« ab, was auch als 227
vgl. Frommer 1994, 113. vgl. Kremer 1995, 77. 229
ab 00:28:04 – 00:28:11 230
ab 01:27:29; siehe auch Kremer 1995, 81. 228
68 Kunstrezeption Greenaways – The Belly of an Architect »Sankt« Kracklite, und somit »heiliger« Kracklite gelesen werden kann.231 Auf den genauen Zusammenhang zwischen der Christusfigur und Kracklite wird im nächsten Kapitel näher eingegangen. 3.2 Die Kreisparabel als formale und inhaltliche Form The Belly of an Architect beschreibt auf mehreren Ebenen einen Kreis.232 Bei Betrachtung der filmischen Handlung fällt neben der zeitlichen Strukturvorgabe von neun Monaten ein zyklisches Motiv auf, das sich aus den Polaritäten Leben und Tod ergibt, deren semiotische Verwandtschaft in der Geburt des Kindes und dem gleichzeitigen Ableben des Vaters zum Ausdruck gebracht wird. Es beginnt bereits in der mit Friedhofsbildern und Kreuzen unterschnittenen Eingangssequenz der Zugfahrt und der parallelen Zeugung des Kindes. Anfang und Ende des Films sind jeweils durch Leben und Tod kontrastiert. Das zentrale Thema ist Kracklites Konzipierung der Ausstellung, deren Eröffnung das Ende des Films anzeigt, zugleich aber auch den Beginn von etwas Neuem, nämlich den Start der Ausstellung, darstellt. Die Szene der Ausstellungseröffnung bildet einen symbolischen Kreis. So feiern die Anwesenden den Geburtstag Boullées, der zum Todestag Kracklites wird. Es schließt sich also der Kreis des Lebens; er beginnt im gleichen Moment jedoch von neuem durch die Geburt des Kindes. Das Heranwachsen des Kindes und die Entstehung der Ausstellung symbolisieren im Handlungsverlauf das Leben. Dem gegenüber steht der sich stetig verschlechternde Gesundheitszustand Kracklites. Im architektonischen Kontext ist der Moment des Todes durch die Abbildung mehrerer Grabbauten präsent. Greenaway führt seinen Helden zu diesen Stätten und konfrontiert ihn mit dem Ableben anderer. So lässt er Kracklites Willkommensfeier vor dem Pantheon spielen, später führt er das Augustus-­‐Mausoleum ein und schließlich als zentralen Komplex den Kenotaph, die „Toten-­‐Kugel“,233 der als Kenotaph für Newton gedacht war. Auf visueller Ebene thematisiert Greenaway den Tod durch das Motiv des Kreuzes. Es steht stellvertretend für den Leidensweg des Architekten und das Kreuz, das er zu tragen hat. Die Form ergibt sich meist aus der Figur im Zusammenspiel mit Architektur. Durch einfache vertikale und horizontale Elemente beschreiben die Filmbilde Kreuze. Kracklites menschlicher 231
vgl. Kremer 1995, 82. Die Ausführungen dieses Kapitels stützen sich auf Kremer 1995, 32-­‐40, 50. Siehe auch Petersen 2009, 64. 233
vgl. Kremer 1995, 32. 232
69 Kunstrezeption Greenaways – The Belly of an Architect Körper ist meist ein Teil der Konstruktion. Das Einspannen des Körpers in einen Raster aus linearen Formen ist ein signifikantes Merkmal, das ausschlaggebend für die Bildgestaltung des gesamten Films ist. In The Belly of an Architect können diese formalen „Überkreuzungen“ oftmals in Verbindung mit der Narration festgestellt werden. So entsteht in der Szene vor dem Pantheon das erste formale Kreuz (Abb. 46). Der Obelisk der Piazza stellt die senkrechte, die Frieszone des Pantheons die horizontale Linie dar; davor steht Kracklite und hält eine Ansprache. Eine Analogie zur Kreuzigung findet sich bei Kracklites erster Besichtigung des Vittorio-­‐Emmanuele-­‐Denkmals. Stourley Kracklite, Io Speckler und ein Geldgeber unterhalten sich auf der Galerie im Innerraum des Bauwerks. Die Einstellung begrenzt das filmische Bild auf drei Fenster der Galerie, vor deren mittlerem Fenster Kracklite steht. Er stützt seine ausgestreckten Arme an die Seitenwände der Nischen, sodass sein Körper die Haltung eines Gekreuzigten einnimmt und die Fensterachse dahinter das ihn tragende Kreuz bildet (Abb. 47). Position des Architekten und Kreuzform der Kulisse konvergieren somit und es entsteht eine Kreuzigungsdarstellung. Die motivische Verbindung zwischen Architekt und Christus wird im Dialog in einer weiteren Szene vor dem Pantheon angedeutet: „I’m sure Jesus Christ himself would have died of stomach cancer if he hadn’t been crucified first.“234 Für den Architekten stellt seine Krankheit ebenso ein Martyrium dar, wie der Leidensweg für Christus ein solches gewesen ist. Wenige Filmminuten später besucht Stourley das Mausoleum des Augustus. Greenaway beginnt diese Sequenz wiederum mit einer grafischen Kreuz-­‐
Anspielung in äußerst minimalistischer Form (Abb. 48). Sie entsteht durch eine weiße Gebäudewand, die zwei Schriftblöcke enthält, sodass der Freiraum zwischen den Blöcken einen weißen Streifen ergibt. Den Körper des Architekten, der ebenfalls weiß gekleidet ist, positioniert der Filmemacher exakt unter diesen Streifen und erzeugt somit die direkte Verlängerung desselben. Sein Körper wirkt mickrig und klein im Gegensatz zur Monumentalität des mächtigen Bauwerks, dennoch kann die Kreuzform nur durch die Verschmelzung von Mensch und Architektur entstehen (Abb. 49). Die christlichen Anspielungen ziehen sich wie ein roter Faden durch den gesamten Film und gipfeln am Schluss im Freitod Kracklites. Er vollzieht seine eigene symbolische Kreuzigung, indem er seinem Leben durch Sturz aus dem Fenster des Ausstellungsgebäudes ein Ende setzt (Abb. 50). Das durch Linien entstehende Kreuz versinnbildlicht den Leidens-­‐ und schließlich auch Todesweg des tragischen Helden. Wie schon zuvor beim Zeichner Neville und den Protagonisten Oliver und Oswald kommt es auch durch den Charakter Stourley Kracklite zum Entwurf des Antihelden. Greenaways Protagonisten sind nicht heroisch, sie zeichnen sich 234
Kracklite ab 01:38:03 70 Kunstrezeption Greenaways – The Belly of an Architect durch Verschrobenheit, Eigensinn oder Melancholie aus. Was sie allerdings gemeinsam haben, ist uneingeschränkte Leidenschaft für eine Sache, für die es sich zu sterben lohnt, was am Ende auch alle behandelten Figuren tun. Charakteristisch ist der systematische Verlust von Macht, Ansehen und Kontrolle seiner Künstlerfiguren. Sie scheinen am Beginn überlegen, verlieren sich jedoch in ihren Vorhaben und scheitern am Ende. Greenaway geht bei der Konzeption der Charaktere wiederum vom Chaos aus, das seine Helden zu ordnen versuchen, um es begreifbar zu machen. Er meint, alle seine Figuren würden dies tun.235 Neville versucht vergebens zu begreifen, was er sieht, versagt aber beim Versuch, es darzustellen, da er zu sehr nach Konformität strebt. Kracklite möchte etwas von Bedeutung hinterlassen. Es ist ihm nicht mit eigenen Werken gelungen, so versucht er es mit Hilfe der Hinterlassenschaft Boullées, doch auch dieser Versuch schlägt fehl. 3.2.1 Von Kugeln und Bäuchen Der Kreis ist das zweite Element, das Greenaway neben dem Kreuz formal nachzuzeichnen versucht. Als Pendant zur inhaltlichen Lebenskreiskonstellation verwendet er architektonische Kugel-­‐ und Kuppelformationen Boullées sowie der Stadt Rom.236 Ebenso eine Kugel formt der „Bauch des Architekten“, der als Spiegel der Architektur und von Kracklites Befinden gesehen werden kann. Die Synthese von Architektur und Körperlichkeit zeigt sich bereits in der Eingangsszene, in der sich Stourley, im Zug liegend, an seinen mächtigen Bauch fasst und dabei Italien als „the home of the dome and the arch“237 bezeichnet. Durch die Schwangerschaft legt auch Louisas Bauch im Laufe des Films zu, so trägt sie ebenfalls eine „Kugel“. Etwa in Minute 35 des Films besuchen Kracklite und seine Kollegen die Hadriansvilla in Tivoli. Aufgrund akuter Magenschmerzen richtet er sich erneut an Boullée und schreibt die zweite Postkarte. Er schildert ihm seine Leiden unter Verwendung architektonischer Begriffe aus dem Formenrepertoire der Revolutionsarchitektur. So schreibt er: „If you breath in and press your finger just to the right of your navel, can you feel a hard clump? Some days it’s spherical, some days it feels like a cube, most days it feels like a sharp quartered pyramid.”238 Kracklite benennt in seiner Nachricht einen kreisförmigen Körper, die Kugel, den Kubus sowie die Pyramide. Diese drei geometrischen Elemente sind die 235
Walder 1988, 22. vgl. Frommer 1994, 119. 237
Kracklite: 00:02:01 sowie Kremer 1996, 24. 238
ab 00:37:59; vergleiche hierzu auch Frommer 1993, 110. 236
71 Kunstrezeption Greenaways – The Belly of an Architect fundamentalen Bauteile Boullées Architektur, die Kracklite in sich aufnimmt. Detlef Kremer sieht die Konvergenz zwischen Architektur und Anatomie in der „Versteinerung des Architekten-­‐Körpers.“239 Diese Versteinerung passiert einerseits durch Kracklites Projektion der Boulléeschen Architekturteile in seinen Bauch, andererseits durch die Anlehnung von Kracklites menschlichem Körper an den einer Statue. Eingeleitet werden die Bauch-­‐
Obsessionen mit einer Ansichtskarte der Augustusstatue. Kracklite kopiert diese Karte und vergrößert die Kopie davon, bis schließlich nur noch der Bauch des römischen Kaisers das Blatt ausfüllt. Nachdem Kracklite sein Hemd geöffnet hat, hält er das Blatt an seinen Bauch, sodass er diesen durch Augustus’ Bauch ersetzt (Abb. 51). Er gibt sich somit nicht nur einer inneren, sondern auf Grund der Transformation in eine menschliche Statue ebenso einer äußeren Versteinerung hin. 3.2.2 Original, Postkarte, Foto und Fotokopie Der Kopiervorgang stellt erneut einen Reproduktionsvorgang dar. Wie schon seine ersten beiden Werke, so spielt auch Peter Greenaways dritter Film auf die Reproduzierbarkeit an. War es in A Zed and two Noughts die Thematisierung des Fälschungsaspekts und in The Draughtsman’s Contract das Prinzip der zeichnerischen sowie filmischen Abbildung von Wirklichkeit – in diesem Falle der Landschaft –, so operiert er in The Belly of an Architect mit der Reproduktionsmaschine par excellence: dem Kopiergerät. Im Gegensatz zur fotografischen oder filmischen Möglichkeit der Abbildung, deren Hauptaufgabe nicht in der Erstellung von Nachbildung liegt, ist das Kopieren die einzige Funktion des Kopierers und stellt den Reduplikationsvorgang in reinster Form dar. Greenaway bedient sich der Deutlichkeit der Aussage und lässt Kracklite massenhaft Abzüge der Postkarte erstellen, die er anschließend in Kreuzform in seinem Zimmer auflegt. Das immer wiederkehrende Bild in Form verschiedenster Kopien ergibt im Zusammenhang mit der Kreisstruktur ebenfalls ein zyklisches Motiv. Die Behandlung des Vervielfältigungsaspekts beschränkt Greenaway nicht allein auf eben besprochene Kopier-­‐Sequenz; er spannt solche Fäden durch den gesamten Film und stellt die unterschiedlichen Aggregatzustände Original, Fotografie und Kopie im direkten Vergleich nebeneinander (Abb.52-­‐54). Auf die Narration bezogen ist zu sagen, dass 239
Kremer 1995, 38. 72 Kunstrezeption Greenaways – The Belly of an Architect die Ausstellung über Boullée seine Architekturkonzepte und Bauten wiedergibt und somit wiederum als Kopie anzusehen ist.240 Um abschließend noch einmal das formale System der Kreisparabel aufzugreifen, soll der letzten Szene, die den Film mit einer symbolischen Geste abschließt, nähere Betrachtung zukommen. Sie kann in Zusammenhang mit einer Sequenz in der Mitte des Films interpretiert werden, wo Kracklite dem Nachbarjungen einen Kreisel schenkt, den er mit sich trägt. Die letzte Szene greift den Kreisel am Ende erneut auf. Sie zeigt das Vittorio-­‐Emmanuele-­‐
Gebäude, den Dreh-­‐ und Angelpunkt des Films, aus einer dem Zuseher bereits bekannten Perspektive und den im Vordergrund auf einer Bank positionierten Kreisel. Daneben sitzt der Junge und beobachtet die Drehbewegung seines Spielzeugs (Abb. 55). Der Kreisel dreht sich, wird immer langsamer, bis er schließlich still steht und von der Bank fällt. Das Ende der Kreiselbewegung steht metaphorisch für das Ende des Films sowie für das Ableben Kracklites, vor allem durch den gerichteten Blick der Kamera auf den Ort des Geschehens. Diese Sequenz fasst im Kleinen die Struktur der Gesamtform des Films zusammen und verbindet innere Erzählung und äußere Form. So spiegelt Greenaway im Mikrokosmos »Kreisel« die konstruierte Kreisparabel des Makrokosmos »Film« wider. 3.3 Boullée und die Revolutionsarchitektur Es stellt sich nun die Frage, aus welchem Grund Peter Greenaway Étienne-­‐Louis Boullée zum Ahnherrn dieses Films und inhaltlichen Referenzpunkt auserkoren hat. Zunächst ist Boullées Leidenschaft für Funeralarchitektur zu nennen, deren Einsatz im Film unter Beachtung von Greenaways Leben-­‐Tod-­‐Konstellation nachvollziehbar erscheint. Newtons Kenotaph ist das zentrale Element der Boullée-­‐Ausstellung im Film sowie einer der wichtigsten Entwürfe Boullées (Abb. 56+57). Der Architekt war sich der Bedeutung des megalomanen Grabdenkmals durchaus bewusst, da es in seinem »Essai sur l’art«241, verglichen mit den anderen Denkmälern und Monumenten, eine Sonderstellung einnimmt. Auch in den Schlussbetrachtungen widmet sich Boullée erneut dem Kenotaph, um abschließend auf seine 240
vgl. Petersen 2009, 72. Étienne-­‐Louis Boullée: Architecture; essai sur l’art. Darin schreibt Boullée im Kapitel über den Kenotaph (À Newton) unverblümt, er habe sich mit diesem Entwurf selbst übertroffen: „Si j’ose le rendre Public, c’est à cause de la persuasion que j’ai de m’être surpassé dans l’ouvrage dont je vais parler.“ Boullée 1953, 83. 241
73 Kunstrezeption Greenaways – The Belly of an Architect Wichtigkeit hinzuweisen. Laut Adolf Max Vogt stellt diese »Récapitulation« eine Anleitung dar, wie der Essay zu lesen ist, da Boullée verlautbart, wo seiner Meinung nach die Besonderheiten liegen.242 Dabei hebt Boullée, neben allgemeinen Erwähnungen einiger Punkte der »Programmes« den »Cénotaphe de Newton« hervor: „Dans le Cénotaphe de Newton, j’ai cherché à réaliser la plus grand de toutes les images, celle de l’immensité: c’est par elle que notre esprit s’élève à la contemplation du Créateur et que nous éprouvons, l’annonce des sensations célestes [...].“243 Die Unermesslichkeit (immensité) und die Nähe zur himmlischen Empfindung (sensations célestes) veranschaulichen die exorbitante Dimension des Grabmals. Die Kugel, das Zentrum des Baues, beherbergt den Sarkophag Newtons, der am untersten Punkt der Kugelschale auf einem symmetrischen, trapezoiden Podest steht. Dort befindet sich der über eine leicht ansteigende Treppe erreichbare halbkreisförmige Eingang. Die Kugel dominiert den Entwurf und ist in einen niedrigen breiten Zylinder und einen etwas schmaleren höheren eingeschrieben. Die Restriktionen umschließen den Bau bis auf eine Aussparung an der Eingangsfront, wodurch ein Teil des Kugelvolumens sichtbar wird. Als Äquivalent zur Kugel und Kuppel244 Boullées führt Greenaway den Bauch als motivisches Rund ein. Die filmische Integration der Boulléeschen Entwürfe245 passiert in Form von Modellen in verschiedenen Fertigungsstadien innerhalb des Ausstellungsgeländes sowie in Kracklites Wohnung und am Ende als Teile der Ausstellung. Neben der Übersetzung der Entwürfe in Papp-­‐ und Gips-­‐Modelle setzt Greenaway auch die Entwurfszeichnungen selbst ein; nämlich als Kracklites Grundlage der Konzeption, als Pläne, als Titelbild des Ausstellungsplakats (Serie 5). Ferner dient der Kenotaph sogar als Vorbild für die Geburtstagstorte Kracklites, die ihm zu Beginn des Films überreicht wird (Serie 5,5). So fiel die Wahl auf Étienne-­‐Louis Boullée zunächst auf Grund seiner Hinterlassenschaft, die sich kongruent zum Inhalt verhält. Auch die Schlichtheit der Bauten und Boullées Konzentration auf die geometrischen Grundelemente Kugel, Würfel, Zylinder und Pyramide beeindruckten den Regisseur. Das wahrscheinlich schlagkräftigste Argument für Boullée stellt jedoch seine restriktive Ordnungsvorstellung dar. Er konstruierte die Gebäude in vollkommener Spiegelsymmetrie, die in allen Details der Entwürfe wiederzufinden ist. Auch in seiner Abhandlung über die Kunst thematisiert er diesen Aspekt und schreibt, dass „[...] ein Abweichen von der Symmetrie in dieser Kunst [der Architektur] genauso unangebracht ist, 242
vgl. Vogt 1969, 264. Boullée 1953, 94. 244
Angesehen von Kugelbauten schuf Boullée auch „Halbkugelprojekte“, wie die »Totenstadt« oder das »Musaeum« sowie Kuppelbauten. vgl. hierzu Vogt 1969, 227-­‐239 und 216-­‐220. 245
Neben dem Newton-­‐Kenotaph verwendet Greenaway auch den »Turm in Konusform mit Spiralrelief« und verschiedene Varianten Boullées pyramidalen Konstruktionen. 243
74 Kunstrezeption Greenaways – The Belly of an Architect wie ein Nichtbefolgen der Harmonielehre in der Kunst der Musik. Ohne Zweifel ist in einer Kunst, die auf den Prinzipien der Parität beruht, jede Disparität unerträglich. Die Ordnung muß in allem aus der Symmetrie Entstandenem offensichtlich sein und es beherrschen.“246 Dieser Passus könnte ebenso von Peter Greenaway stammen, denn die Verwandtschaften in Punkto Symmetrie und Ordnung sind eindeutig und wurden bereits ausführlich dargelegt. Man denke an Boullées Nécropole, die mit ihrem zentralen Hauptgebäude, den flankierenden Nebengebäuden und Treppenanlagen stark an Greenaways symmetrische Wiedergabe des Vittorio-­‐Emmanuele-­‐Denkmals erinnert.247 Den in A Zed and two Noughts begonnenen „Symmetrie-­‐Manierismus“248 führt er in The Belly of an Architect fort. Die Ausgewogenheit der Proportion und die Anordnung der Elemente nach klaren Ordnungsschemata haben sowohl die Entwürfe Boullées, als auch die Bildästhetik Greenaways gemein. Ein weiteres Faktum, das für den französischen Architekten spricht, ist sein Weitblick, den Greenaway bewundert, da er sich auch selbst als Visionär betrachtet. Die letzte Begründung stellt Boullées geringer Bekanntheitsgrad dar, eine Tatsache, die Greenaway bevorzugt, da dürftige Kenntnis einer historischen Person Mutmaßungen und Erfindungen hervorruft.249 Spätestens seit Tulse Luper ist bekannt, dass Greenaway eine Marotte für Erfindungen und Fakes hat und keine Gelegenheit auslässt, damit zu spielen und zu verwirren. Besonders scheint er sich an marginalen Änderungen historisch belegter Fakten zu erfreuen, wie die in A Zed and two Noughts bereits erwähnte Irreführung in Bezug auf Vermeers Werkverzeichnis. The Belly of an Architect nimmt dieses Muster auf und transformiert Étienne-­‐Louis Boullée in eine Fantasiefigur des Regisseurs, in eine Mischung aus Faktum und Imagination. Dabei geht Greenaway offensichtlich von der Unwissenheit des Publikums aus, das die eingeschlichenen Unwahrheiten entweder nicht erkennt, oder, wie einige Filmkritiker bemerkt haben, Boullée selbst für eine Erfindung Greenaways halten. So schreibt beispielsweise ein Kritiker der Neuen Zürcher Zeitung: „Greenaway würde ihn erfunden haben, hätte er ihn nicht gefunden.“250 Selbstironisch integrierte Greenaway diesen Umstand in die filmische 246
Boullée 1987, 60; sowie im französischen Original: „Il est facile au lecteur de pressentir que la loi pre-­‐
mière et celle qui établit les principes constitutifs de l’architecture naissent de la régularité, et qu’il est aussi inconvenable de s’écarter dans cet art de la symétrie, que de ne pas suivre dans l’art musical, la loi des proportions harmoniques. Oui sans doute, toute disparité est révoltante dans un art fondé sur les principes de la Parité. L’ordre doit s’annoncer et régner dans toutes les combinaisons qui provienment de la symétrie.“ Boullée 1953, 38: 247
vgl. Kremer 1995, 67,68. 248
Kremer 1995, 31. 249
vgl. Kremer 1995, 62. 250
Kopf und Bauch. »The Belly of an Architect« von Peter Greenaway zit.n. Kremer 1995, 63. Siehe hierzu auch Forbes 1987, 299: „Experienced viewers of Peter Greenaway’s films, might have suspected or hoped that Etienne Louis Boullée was a figment of the Greenaway imagination, and that the life and 75 Kunstrezeption Greenaways – The Belly of an Architect Handlung. Im Gespräch mit Louisa thematisiert Caspasian Speckler die geringe Bekanntheit Boullées, indem er ihr gegenüber erwähnt: „I wonder if Kracklite realizes, that his hero is not that well known in Italy.” Darauf Louisa: „Boullée is not that well known anywhere. In Texas Kracklite was accused of inventing him.”251 Caspasian folgerte daraus, dass Boullée wohl der ideale Architekt sei, um erfunden zu werden. Obige Dialogzeile kann als Statement Greenaways, seine Entscheidung betreffend, gesehen werden. Die zahlreichen Fakes und Verfälschungen, bezogen auf die historische Korrektheit Boullées Vita, verstärken den Eindruck, es gäbe ihn nicht wirklich. Greenaway spielt seine Figuren mit Vorliebe gegeneinander aus, indem er sie Erfindungen für Tatsachen verkaufen lässt. So nutzt Caspasian Kracklites Bauch-­‐ und Boullée-­‐Obsession aus, um ihn noch weiter in den Wahnsinn zu treiben. Er zeigt ihm einen Stich, den er angeblich in der Bibliothèque National in Paris entdeckt habe und der Boullée darstelle. Der vermeintliche Architekt auf der Abbildung ist in eine Toga gehüllt, die seinen Bauch ausspart. Kracklite erwidert, es gebe kein Abbild seines Helden, er wisse es, immerhin suche er seit zehn Jahren danach.252 Doch kann er es offenbar nicht mit Sicherheit ausschließen und fertigt wiederum zahlreiche Kopien des Bauches an. In derselben Situation wie Kracklite befindet sich zu diesem Zeitpunkt des Films auch der Zuseher. Er empfindet Unsicherheit gegenüber dem Behaupteten, da Greenaways Filme oft Pseudo-­‐Wissen vermitteln oder Fakten, denen nicht zu trauen ist. In diesem Zusammenhang steht auch Kracklites Behauptung, Boullée habe lediglich drei Gebäude errichtet. Dabei handelt es sich um eine offensichtliche Falschaussage. Freilich hat Boullée eine relativ kleine Zahl an realisierten Bauten hinterlassen, doch werden ihm mindestens zehn zugeschrieben.253 Diese Fakes stehen in einer Reihe mit den Zeitfehlern in The Draughtsman’s Contract und den historischen Unstimmigkeiten bei Vermeer. Greenaway treibt auch hier ein Spiel zwischen fact und fake. Er ist uninteressiert an bloßer Wiedergabe der Historie. Reine Rekonstruktion einer Zeit oder Person ergebe keinen Sinn, wenn man nicht zumindest die Resonanz des 20. Jahrhunderts spüre. Aus diesem Grund hält er seine Filme artifiziell.254 Immerhin ist er Filmemacher und kein Historiker. Er bedient sich der Geschichte, wie es ihm passt, und erschafft dadurch seine private Mythologie, seinen eigenen Zoo. work so elaborately constructed by Stourley Kracklite were some amazing spoof with drawings by Greenaway’s own hand.“ 251
Dialog zwischen Caspasian und Louisa 00:15:29 – 00:15:41 252
vgl. Kremer 1995, 63. 253
La Maison Alexandre, Les Hôtels de Monville, L’Hôtel de Pernon, L’Hôtel de Thun, L’Hôtel de Villeroy, La Maison Beaujon à Issy, L’Hôtel de Brunoy, Château du Perreux (unvollendet), Château de Chauvry sowie Château de Chaville. vgl. Madec 1989, 19,27,28,31,37. 254
vgl. Poppenberg/Weinrichter 1984, 19. 76 Kunstrezeption Greenaways – The Belly of an Architect 3.4 Die Architektur Roms als Kulisse Bereits in der Eröffnungssequenz des Filmes wird Rom als Thema eingeführt. Nach der Zugfahrt zeigt Greenaway mit acht Architektur-­‐Einstellungen das Ziel der Reise an: Rom. Die im Film wiedergegebene Stadt erinnert jedoch mehr an ein Museum als an die turbulente Hauptstadt Italiens. Kerstin Frommer spricht in diesem Zusammenhang vom „irrealen Rom“255, das, anstatt natürlichen Lebensraum zu zeigen, die Stimmung eines Friedhofs vermittelt. Kracklite schleicht durch die menschenleere, „tote“ Stadt und besucht Bauten aus längst vergangenen Zeiten, die meist leer und ruinös sind. Die Künstlichkeit der Atmosphäre wird auf Grund der Strenge des symmetrischen Bildaufbaus und der klaren Ordnung noch verstärkt. Eine Brücke zu Boullée wird durch die Auswahl der Gebäude geschlagen, die allesamt die bevorzugten Formen des Revolutionsarchitekten beinhalten: das Pantheon (Kugel und Zylinder), der Petersdom (Kuppel), das Mausoleum des Augustus (Rotunde). Auch die Inszenierung der römischen Architektur in Greenaways Filmbildern erinnert an Boullées Entwürfe, die durch die Aspekte Leere, Erhabenheit und Symmetrie bestechen, Aspekte die auch den Filmbildern inhärent sind.256 Kracklite stellt sich mit Hilfe der Ansichtskarten sein eigenes Rom zusammen. Sie ziehen eine weitere Verbindungslinie zum Adressaten Boullée. Diese sieben Karten wurden bereits in Verbindung mit der zeitlichen Struktur des Films erwähnt, doch ist ihnen noch eine weitere Funktion eigen: Die jeweils abgebildeten Bauten der Karten gehen einen Konnex mit dem inhaltlichen Teil ein. So wählt er als erste Postkarte an Boullée das Augustus-­‐Mausoleum (Serie 6, 1), weil er im Glauben ist, seine Frau wolle ihn vergiften, und Augustus angeblich aebenso von seiner Frau vergiftet worden sei. Die zweite Karte zeigt das Vittorio-­‐Emmanuele-­‐Denkmal (Serie 6,2), den Austragungsort der Ausstellung, mit der Kracklite in Verzug ist. Er beklagt sich bei Boullée über die Trägheit der Italiener und ihre Kunst, viel Geld für nichts auszugeben. Mit zunehmender Einsamkeit und zunehmenden Magenbeschwerden schreibt Kracklite bei einem Besuch der Villa Hadriana erneut an seinen Verbündeten und verwendet hierfür eine Postkarte, die einen Ausschnitt der Hadrian-­‐Therme (Serie 6,3) wiedergibt. In seinem Schreiben erwähnt er auch Kaiser Hadrian, der an einem durchgebrochenen Magengeschwür gestorben sei. Die Architektur verbindet sich somit in zweierlei Hinsicht mit der Narration. Mitteilung Nummer vier entsteht auf dem Petersplatz 255
Frommer 1994, 108. vgl. Frommer 1994, 109. 256
77 Kunstrezeption Greenaways – The Belly of an Architect mit dem Dom im Hintergrund (Serie 6,4). Wiederum wählt er das Ensemble als Kartenmotiv. Während er sich an Boullée wendet, wird er von Caspasian und Flavia beobachtet, die sich spöttisch fragen, ob er wegen der Architektur oder der Religion hier sei. Die fünfte und sechste Karte zeigen das Forum Romanum (Serie 6,5) bzw. die Piazza Navona (Serie 6,6), wobei beide gleichfalls Kracklites Situation und Gemütszustand widerspiegeln. Abgeschlossen wir der Kartenzyklus mit einer Karte des Pantheons, dem Ort, an dem Kracklites Zeit in Rom begann und den er kurz vor seinem Ableben noch einmal besucht.257 So schließt sich der Kreis mit einer Grabarchitektur und einem Bau, der Boullée beeinflusst hat und in dessen Mitte sich eine Kugel befindet. 257
vgl. Kremer 1995, 81. In dieser Szene wird jedoch nicht die abgefilmte Karte gezeigt, sondern gleich das Pantheon und die Piazza davor. 78 Kunstrezeption Greenaways – The Cook, the Tief, his Wife and her Lover 4. The Cook, the Thief, his Wife and her Lover (Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber, 1989) Von 1982 bis 1989 realisierte Peter Greenaway fünf Spielfilme258. Eine stattliche Zahl für einen europäischen Kunstfilmer, eine scheinbar unmögliche Zahl für einen Regisseur wie Greenaway. Denn seine Filme sind keine „netten Kino-­‐Kleinigkeiten“259, die man sich zur geistigen Auslüftung ansieht, sondern werden als „intellektuelle Ausschweifungen, Delirien des Geistes, und Ausgeburten einer hybriden, allesverschlingenden Phantasie“260 beschrieben. Trotzdem hat er mit The Cook, the Thief, his Wife and her Lover261 den fünfter Spielfilm innerhalb von sieben Jahren herausgebracht, der den vorangegangenen an aufwendiger Inszenierung und Zusammenführung verschiedenster Bestandteile zu einem Gesamtkunstwerk um nichts nachsteht. Waren Greenaways bisherige Schauplätze ein englisches Herrenhaus mit barockem Garten, ein Zoo in den Niederlanden und die architektonischen Gebäude und Denkmäler der Stadt Rom, so fiel die Wahl des Motivs bei The Cook, wie könnte es anders sein, auf ein Restaurant mit dem klingenden Namen »Le Hollandais«. Der Film kreist um die von Greenaway bevorzugten Themen Tod, Leben, Sex, Kunst und erweitert diese um eine biologische Notwendigkeit: Essen. Dabei lässt er kein Tabu aus und exerziert alle Aspekte von Nahrungsaufnahme durch: von Gourmet-­‐Mahlzeiten über Tierexkremente bis hin zum Kannibalismus. The Cook erzielte ein gewaltiges Medienecho und zählt bis heute zu den kommerziell erfolgreichsten Greenaway-­‐Filmen.262 Mit diesem Werk avancierte Greenaway endgültig zum Enfant terrible und Provokateur des britischen Kinos. In den Vorbemerkungen zum Drehbuch nennt er als Inspiration und Vorbild das jakobinische Blut-­‐ und Rachetheater263, das durch besondere Gewalttätigkeit und Grausamkeit besticht. „Als spezifisches Modell für den Film kann ein Drama wie John Fords »’Tis Pity She’s a Whore« [1633] gelten, das sich ernsthaft, teilnahmsvoll und ohne mit der Wimper zu zucken einem Tabuthema aus dem Grenzbereich menschlicher Erfahrung widmet. In Fords Fall bestand das Tabu im freiwilligen, vorsätzlichen Inzest zweier Erwachsener; im 258
Die ersten drei Spielfilme wurden in dieser Arbeit bereits behandelt. Der vierte Film, von 1988, heißt Drowning by Numbers, wird als Teil dieser Studie allerdings nicht näher erwähnt. 259
Kilb 1989, Das infernalische Abendmahl, 68. 260
Kilb 1989, Das infernalische Abendmahl, 68. 261
Der Titel wird im Folgenden als The Cook abgekürzt. 262
vgl. Ballhausen 2010, 61; sowie Kilb 1989, Der Koch, 69. 263
siehe hierzu Ballhausen 2010, 51-­‐54. 79 Kunstrezeption Greenaways – The Cook, the Tief, his Wife and her Lover Falle von Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber ist das Tabu Kannibalismus, vielleicht die äußerste Obszönität, die ein Mensch einem anderen antun kann.“264 Das Motiv „Anthropophargie im Restaurant“ taucht auch in der Kurzgeschichte The Specialty of the House des amerikanischen Autors Stanley Ellin auf, einem der wichtigsten Autoren von Kriminal-­‐ und Horrorliteratur im Nachkriegsamerika, der u.a. von Edgar Allan Poe und Guy de Maupassant nachhaltig beeinflusst war. In The Specialty of the House wird ebenfalls ein Mensch verspeist, wenn auch in einem anderen Sinnkontext. Die Shortstory diente auch Alfred Hitchcock im Rahmen der Fernsehfilmreihe Alfred Hitchcock Presents als Vorlage einer Episode. Es liegt nahe, dass Greenaway entweder die Shortstory oder die Verfilmung oder beides gekannt hat. Schwerpunkt der Analyse stellt jedoch nicht die dramaturgische Aufbereitung oder Narration des Films mit der damit verbundenen Spiegelung der Gesellschaft dar; das Hauptaugenmerk liegt auf der räumlichen Struktur, der Gliederung durch Farbe sowie der Ähnlichkeit zwischen Film und Theater. 4.1 Charaktere, Plot und serielle Organisation Der Film beginnt wie in einem Theater. Zwei Pagen treten ins Bild und ziehen einen roten Vorhang zur Seite, der die Sicht auf einen Restaurantparkplatz freigibt. Wie jeden Abend trifft der Dieb Albert Spica mit seiner Bande von Gaunern und Ganoven in seinem Gourmet-­‐
Restaurant zum Abendessen ein. Albert ist ein vulgärer Schläger, der keine Gelegenheit auslässt, eine Machtdemonstration durch die Erniedrigung oder Misshandlung anderer – allen voran seiner Frau Georgina – zu veranstalten. Georgina, die Albert klar als seine Beute ansieht, erduldet die Demütigungen seit Jahren. Spica lässt ihr auf Grund seiner Eifersucht keinen Spielraum und kontrolliert jeden ihrer Schritte. Der Koch Richard, gleichzeitig Mitinhaber des Restaurants, verachtet Alberts Verhalten, dennoch steht er in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Dieb, auf dessen Gunst er angewiesen ist. Ihn und Georgina verbindet ein tiefes Verständnis für die Situation des jeweiligen anderen. Er sieht sie als einzige zivilisierte Person der Gruppe an, die sich zu benehmen weiß und seine kulinarischen Kreationen entsprechend würdigt. Der vierte im Bunde, der Liebhaber Michael, ist eine unscheinbare Gestalt, die jeden Abend, vertieft in ihre Bücher, alleine im Restaurant isst. Michael stellt als intellektueller, gebildeter Feinschmecker ein Komplementär zu Albert, dem primitiven, gewalttätigen Dieb, dar. Es erscheint also nicht ungewöhnlich, dass Georgina sich 264
Greenaway 1989, 5. 80 Kunstrezeption Greenaways – The Cook, the Tief, his Wife and her Lover zum gänzlichen Gegenpol ihres Mannes hingezogen fühlt und eine Affäre mit ihm beginnt. Somit wären alle im Titel vorkommenden Figuren charakterisiert. Die heimlichen Treffen von Georgina und Michael finden in diversen Örtlichkeiten des Restaurants statt: in den Toiletten, in Speisekammern, in Teilen der Küche. Spica, dem Georginas oftmaliges Verlassen des Essbereiches nicht entgeht, stellt ihr nach und erwischt die Liebende beinahe in flagranti, hätte ihn nicht der Koch abgelenkt. Über Umwege erfährt Albert jedoch von der Liaison, bekommt einen Tobsuchtsanfall und schlägt die Küche kurz und klein. Dabei brüllt er fortwährend: „I’ll bloody kill him. I’ll kill him and I’ll eat him!“265 Der Koch hilft den Liebenden, ins Depot von Michaels Buchhandlung zu fliehen, um sich vor Albert und seinen Schergen zu verstecken, dessen Rache sie fürchten. Als Georgina das Bücherdepot verlässt, brechen die Ganoven ein und töten Michael, indem sie Buchseiten in seinen Mund stopfen, bis er schließlich an ihnen erstickt. Georgina kehrt zurück, findet Michaels leblosen Körper und beschließt, sich an ihrem Mann auf besonders makabre Art zu rächen. Albert samt seinem Gefolge, das mittlerweile auf eine kärgliche Zahl geschrumpft ist, folgt einer Einladung zu einem besonderen Mahl ins Restaurant. Dort erwarten ihn zu seinem Erstaunen Georgina und eine Reihe weiterer Gäste, allesamt Opfer von Spicas Gewalttaten. Seine Frau präsentiert ihm das Festmahl auf einem übergroßen Tablett, das durch ein Tuch bedeckt ist. Als sie dieses entfernt, kommt Michaels gebratener Körper zu Tage, den Richard zubereitet und ansehnlich garniert hat. Unter vorgehaltener Pistole wird Albert im Beisein aller gezwungen, Michael zu essen. Georgina erinnert ihn an seine Drohung: „You vowed you would kill him, and you did. And you vowed you would eat him. Now eat him!“266 Nach Alberts ersten Bissen erschießt sie ihn. Sie sieht auf ihn herab und flüstert: „Cannibal“. Mit diesem Wort und dem Schließen des Vorhangs endet der Film. The Cook spielt über eine Zeitspanne von neun Filmtagen – von Donnerstag bis Freitag der nächsten Woche. Der jeweilige Wochentag wird dabei mittels Titelkarte in Form einer Speisekarte vor Beginn eines neuen Kapitels (Tag) eingeblendet. Die einzelnen Tagesmenüs gliedern den Film und stellen erneut eine serielle Ordnung der filmischen Form dar. Während die erste Speisekarte als Großaufnahme innerhalb der Szene gezeigt wird, setzt Greenaway die folgenden als inserts267 ein (Abb. 58). Diese werden wie Stillleben ins Bild gesetzt, die kunstvolle Arrangements delikater Speisen darstellen. Die Menüs bestehen aus hors 265
Monolog Spica: 01:14:16 – 01:14:21 Monolog Georgina: 01:52:33 – 01:52:44 267
Petersen 2009, 88. 266
81 Kunstrezeption Greenaways – The Cook, the Tief, his Wife and her Lover d’oeuvre, Suppe, Fisch-­‐ und Fleischgerichten und werden anschließend serviert. Die Struktur der Menüs als Kapitelteiler wird nicht in letzter Konsequenz durchzogen, da die inserts von Mittwoch und Donnerstag der zweiten Woche fehlen. Dabei handelt es sich um Szenen, die außerhalb des Restaurants, im Bücherdepot spielen, wie Michaels Ermordung und der darauf folgende Racheplan Georginas. Erst das letzte Kapitel, der Epilog, wird wiederum mit einem insert begonnen. Im Unterschied zu den Tagesmenüs liest man auf diesem nur: „The restaurant is closed for a private function.“268 So tritt die Kapitelgliederung hinter ein weiters formales System zurück, das der räumlichen Ordnung und der Farbräume.269 4.2. Organisation der Räume Nahezu der gesamte Film, mit wenigen Ausnahmen, spielt sich im und um das Restaurant ab. Es scheint ein Charakteristikum Greenaways zu sein, die Anzahl der Drehorte so gering wie möglich zu halten und die Handlung auf einen zentralen Ort zu konzentrieren. Im Falle von The Cook sind fünf Hauptschauplätze zu nennen: Der Hinterhof des Restaurants mit Parkplatz, die Küche mit mehreren Vorratskammern, die Toiletten, der Speisesaal und schließlich, abseits des Restaurants, das Bücherdepot. Die vier Restauranträumlichkeiten stehen in Verbindung und gehen direkt ineinander über. Es handelt sich dabei um eine Kulisse, die nur von einer Seite gezeigt wird. Somit sind den Räumen nur drei Wände zugeordnet, was an Sitcoms oder Theaterbühnen erinnert. Die Vorhänge am Beginn und Ende des Films verstärken die statische und theatralische Wirkung der Szenerie (Abb. 59). Auf den eingangs erwähnten inhaltlichen Bezugspunkt des Blut-­‐ und Rachetheaters von Jakob I. verweist Greenaway auch innerhalb der Bildebene: „I wanted to provoke, but by using curtains to open and to close the picture, I’m saying this is artifice. You are being invited to watch it as a play, a performance. You are not to take it seriously, but you are to engage in the ideas.“270 Der Bezug auf eine Theateraufführung erzeugt ein voyeuristisches Moment, da das Publikum auf eine Inszenierung sieht, und sich nicht durch die Vielfalt diverser Perspektiven und Standpunkte als Teil des Films sieht. Die Kamera in The Cook verhält sich ausgesprochen statisch, zeigt die mise en scène meist in totalen Einstellungen und überquert nie ihre eigene Achse. Vierny und Greenaway schufen durch den Einsatz von Horizontalfahrten eine 268
ab 01:47:48 vgl. Petersen 2009, 88. 270
Greenaway zit, n. Barchfeld 1993, 166. 269
82 Kunstrezeption Greenaways – The Cook, the Tief, his Wife and her Lover räumliche Fusion der verschiedenen Spielorte.271 So bewegt sich die Kamera mit den Figuren von Raum zu Raum als würde sie einen Schnitt durch die Kulisse ziehen. Die Kamera gibt Elemente wie Wandstärken zur Ansicht frei, fährt durch diese scheinbar hindurch und legt den Modell-­‐Charakter des Drehortes und den Artefaktcharakter des Films offen dar. Durch das Zurschaustellen der Künstlichkeit wirkt Greenaway bewusst gegen die in Filmen üblicherweise angestrebte Authentizität des Schauplatzes, desillusioniert damit den Zuseher und schafft gleichzeitig Distanz zu den Geschehnissen auf seiner „Bühne“. Petersen spricht hinsichtlich der Raumanordnung von einer „natürlichen Reihenfolge“272, beginnend mit dem Raum der Speisezubereitung, der Küche, danach dem Speisesaal, in dem der Essensvorgang stattfindet und schließlich mit den Toiletten als Ort, an dem die Nahrung den Körper wieder verlässt. 4.3 Die Farbräume Neben der räumlichen Struktur entsteht durch den spezifischen Einsatz von Farbe ein weiteres Ordnungsgerüst. Jedem der fünf Hauptschauplätze teilt Greenaway eine Farbe zu, die den jeweiligen Raum ganz und gar vereinnahmt. Farben als Gliederungsstruktur für diesen Film zu verwenden, hatte laut Greenaway mit seinem Ursprungsmetier, der Malerei, zu tun.273 Bereits im Drehbuch zu The Cook wies er explizit auf die jeweiligen Farben der Räume hin. Die folgenden ausführlichen Darstellungen aus Greenaways Drehbuch dienten dem besseren Verständnis der akribischen Planung der räumlichen Farbgebung. So beschrieb er den Parkplatz des Restaurants als unheimlichen und gefährlichen Ort und nannte als dominierende Farbe: „Blau, ein warmes, dunkles, Blau.“274 (Abb. 60). Blau zielt auch auf die Tageszeit ab, da der Parkplatz ausschließlich nachts gezeigt wird. Die Küche mit all ihren Nebenräumen-­‐ und Kammern charakterisierte er als grün; „Hookers Dunkelgrün, Blattgrün, Smaragdgrün, Blaßtürkis und Nilgrün – wie die Farben eines dunklen, feuchten Dschungels.“275 Die Requisiten der Küche sowie der Wandanstrich sind ebenfalls grün (Abb. 61). Als nächsten Schauplatz führt Greenaway den Speisesaal ein, der vom Boden bis zur Decke in sattem intensivem Rot gehalten ist. Der Regisseur notiert dazu: „Während die Küche 271
vgl. Petersen 2009, 88. Petersen 2009, 88. 273
vgl. Kilb 1989, Der Koch, 69. 274
Greenaway 1989, 12. 275
Greenaway 1989, 21,22. 272
83 Kunstrezeption Greenaways – The Cook, the Tief, his Wife and her Lover grün und dunkel war, ist das Restaurant rot und dunkel – karmesinrot, signalrot, rotbraun, pflaumenrot.“276 (Abb. 62). Es ist dies der Ort, an dem Albert Tyrannei und Gewalt ausübt, und er spiegelt seine Machtposition in der Intensität der roten Farbe wider. Der Rückzugsort Georginas, um Alberts Demütigungen zu entkommen, sind die Toiletten, die in „weiß – blendend weiß; so weiß, daß es vorübergehend in den Augen schmerzt“277, erstrahlen (Abb. 63). Weiß steht für die Addition aller Farben, da die Toiletten gewissermaßen die letzte Station des Nahrungskreislaufs verkörpern, aber auch für die Reduktion der Farben zu größter Helligkeit, zum Symbol für Reinheit und Unschuld.278 Dies ist nicht ohne Ironie zu betrachten, sind die Toiletten doch Treffpunkt der Liebenden. Der letzte Raum, das Bücherdepot, befindet sich außerhalb des geschlossenen Restaurantkomplexes, der unter Albert Kontrolle steht. Als Zufluchtsort für Michael und Georgina ist er von farblicher Harmonie und warmen Farbtönen dominiert, worin sich die beiden in Sicherheit wiegen. „Die vorherrschende Farbe ist Braun – verschiedene Brauntöne von beinahe crèmefarben bis nahezu schwarz. Der Grundton ist ein rembrandtsches Goldbraun mit Spuren von Orange – ein warmer, einladender Raum, trotz seiner gewaltigen Größe. Tiefes Chiaroscuro – dramatische dunkle Flächen und grelle Glanzlichter auf hellbraun poliertem Holz.“279 (Abb. 64). Hier nimmt Greenaway Bezug auf die farbliche Gestaltung Rembrandts und dessen Hell-­‐Dunkel-­‐Technik, die es ermöglicht, zu akzentuieren und im Dunkel verschwinden zu lassen. 4.3.1 Trennung von Farbe und Objekt Das festgelegte Farbsystem manifestiert sich nicht nur in der Gestaltung der Räume, sondern bezieht ebenso die Kostüme der Figuren mit ein. Betritt eine Figur einen neuen Raum, so ändert das Kostüm die Farbe und passt sich der räumlichen Farbgebung an. Greenaway möchte damit auf seine Farbgrammatik aufmerksam machen und bedient sich dabei des Kniffs des farblichen Kostümwechsels, um sein Ziel zu verdeutlichen.280 Dahinter steht wiederum eine Verknüpfung mit der Malerei – der Entkoppelung von Farbe und Objekt. „Der Malerei des zwanzigsten Jahrhunderts ist es gelungen, die Farbe von den Gegenständen zu trennen. Dadurch wird beides, Farbe und Gegenstand, beliebig, frei verfügbar. Hinter diesen Punkt kann man nicht zurückgehen. Deshalb versuche ich, die 276
Greenaway 1989, 32. Greenaway 1989, 40. 278
vgl. Greenaway 1995, 97. 279
Greenaway 1989, 119. 280
vgl. Greenaway 1995, 96. 277
84 Kunstrezeption Greenaways – The Cook, the Tief, his Wife and her Lover Farben zum Bestandteil der Struktur zu machen, statt sie bloß als dekorative Zutat zu behandeln. Wenn die Personen im Film die Farbe wechseln, bezieht sich das natürlich auch darauf, daß wir alle in gewissem Sinn Chamäleons sind. Wir passen uns den wechselnden Umgebungen an, wir sprechen mit unterschiedlichen Leuten auf unterschiedliche Weise [...].“281 Die Personen vollziehen den Kostümwechsel auf unterschiedliche Art und Weise. Albert und seine Bande von Dieben ändern die Farben ihrer Schärpen, Hemden oder Schals, während ihre Anzüge immerfort schwarz bleiben. Georgina hingegen ist das größte Chamäleon von allen und tauscht ihre gesamte Robe. Interessant erscheint auch die Abgrenzung verschiedener Schauplätze durch die Farben der Kostüme, sowie Räume. Es kommen häufig große Türen vor, die den Blick auf den angrenzenden Raum freigeben. Durch solche Einstellung wird das greenawaysche Farbsystem verdeutlicht, da man die vorherrschenden Situationen im direkten Vergleich nebeneinander sieht. Dies wird besonders deutlich bei der Sequenz in der Küche (Minute 11), wo sich Richard und Albert vor deren offener Eingangstür unterhalten. Während innerhalb des Raumes alles in Grün erscheint, wird der Parkplatz von blauem Licht eingenommen (Abb. 65). Die farbliche Trennung markiert in diesem Fall die exakte Grenze zwischen Außen-­‐ und Innenraum. Eine weitere räumliche Grenze zeigt eine Szene in der Mitte des Films, in der Albert mit seinen Männern, von der Küche kommend, die Tür zum Speisesaal aufstößt, gefilmt vom Speisesaal in Richtung Verbindungstür (Abb. 66). Diese ist in feurigem Rot gehalten, wie auch Albert, der die Schwelle bereits überschritten hat und ein rotes Hemd trägt. Als Komplementärkontrast dazu wird der Küchenraum dahinter in dunkles Grün getaucht. Der Wechsel unterstreicht nochmals den Status des Films als Artefakt, da Umzüge innerhalb der Szene unmöglich erscheinen. Hierbei kommt es zur Anwendung der Montage-­‐Methode des unsichtbaren Schnitts. Jedes Mal, wenn die Kamera eine Fahrt in der Horizontalen vollzieht und dabei die Figuren beim Durchschreiten der Räume begleitet, fährt sie am Profil der die Räume trennenden Wand vorbei. Dieses schwarze Profil ist für eine Sekunde bildfüllend zu sehen, lässt also eine rein schwarze Fläche entstehen. Der Schwarzkader gibt Greenaway die Möglichkeit, genau an dieser Stelle zu schneiden, die Darsteller umzuziehen und aus dem Schwarz des Profils die Kamerafahrt fortzusetzen (Abb. 67). Diese schnitttechnische Manipulation lässt den Schnitt verschwinden. Die scheinbar durch Zauberhand wechselnden Kostüme thematisieren die Utopie des Ganzen und verweisen auf den Film als künstliches Erzeugnis. 281
Kilb 1989, 69. 85 Kunstrezeption Greenaways – The Cook, the Tief, his Wife and her Lover 4.4 Das „Mahl“ als Vorlage. Wie in allen bisher besprochenen Filmen liegt auch in The Cook ein offensichtliches kunsthistorisches Zitat vor. Es handelt sich um das barocke Gemälde Das Festmahl der Offiziere der St. Georgs-­‐Schützengilde (1616) des holländischen Malers Frans Hals (Abb. 68), das durch seinen filmischen Auftritt in zweifacher Form intermediale Bezüge herstellt. Zum einen setzte Greenaway es reproduzierend als Teil der Ausstattung ein, indem es die Wand des Speisesaals ziert. Als Bild-­‐im-­‐Bild ist es als vielfache Vergrößerung des Originalgemäldes eingesetzt und füllt beinahe die gesamte Rückwand des Raumes aus, sodass die dargestellten Personen des Gemäldes in etwa die Größe der Filmfiguren besitzen, die sich davor um den Tisch versammeln (Abb. 69). Zum anderen setzt er es als Vorlage für die Bildgestaltung ein und verbindet es mit der Handlung. In vielerlei Hinsicht gibt das Gemälde die Ereignisse der filmischen Szenerie wieder. So stellt es, wie bereits der Titel besagt, ein Festmahl dar, das die Mitglieder der St. Georgs-­‐Schützengilde zu sich nehmen. Schützengilden im Mittelalter hatten die Funktion von Bürgerwehren, die Anfang des 17. Jahrhunderts, zur Zeit der Entstehung des holländischen Gemäldes, durch den Waffenstillstand zwischen Holland und Spanien ihre militärische Bestimmung verloren und unwichtiger wurden. 282 Die Gilden lösten sich jedoch nicht auf, sondern veränderten sich von militärischen Bünden zu bürgerlichen Vereinigungen. Das Bild zeigt wohlhabende Männer bei einem Mahl, das über mehrere Tage ging283, und mehr einem Fressgelage als einem Festmahl entsprach. Es demonstriert ein Patriarchat, das im Film Albert Spica und seine Männer ausüben, die sich durch das mächtige Gruppenportrait in ihrem Tun bestätigt fühlen.284 Es erscheint wie ein Spiegel der Aktion im Vordergrund, da Spicas Truppe in Auftreten und Gruppierung stark an das Gemälde erinnert. Die beiden Bilder – das Gemälde von Frans Hals sowie das Filmbild Greenaways – verbinden sich in ihrer gemeinsamen semiotischen Aussage: es geht um Wohlstand, Macht und Essen.285 So bildet die filmische Handlung eine inhaltliche Parallele zum Gemälde durch Imitation desselben. Imitation herrscht auch auf formaler Ebene vor. Der Modedesigner Jean Paul Gaultier zeichnet für die Kostüme des Films verantwortlich, die er als moderne Version der vorkommenden Kleider des Gemäldes entworfen hat.286 Die Gildenmitglieder tragen einen schwarzen Wams mit weißem Spitzkragen oder Fallkrause und dazu eine rot-­‐weiße Schärpe. 282
vg. Seymour 1962, 3. vgl. Seymour 1962, 4. 284
vgl. Feldvoss 1989, 277. 285
vgl. Schuster 1998, 16. 286
vgl. Greenaway 1995, 108. 283
86 Kunstrezeption Greenaways – The Cook, the Tief, his Wife and her Lover Als Äquivalent dazu schuf Gaultier schwarze Anzüge mit weißen Hemden, die durch auffällige Krägen und Ärmel Ähnlichkeit mit den barocken Krausen aufweisen. Passend zum Gemälde und zum Interieur des Raums fügt er den Kostümen auch die roten Schärpen hinzu. Die dargestellten Personen des Festmahls der Offiziere sind wie die Filmfiguren um eine gedeckte Tafel gruppiert, drehen sich allerdings zum Betrachter des Gemäldes auf. In die Kulisse eingebaut, erzeugt das Gemälde die Wirkung, als würden die Gildenmitglieder aus dem Bild heraus auf die Szene im Restaurant schauen um das filmische Geschehen mitzuverfolgen (Abb 70). Zwei Bilder stehen sich quasi gegenüber und sehen ins jeweils andere. So kann zusammenfassend gesagt werden, dass sich Greenaway des Gemäldes von Frans Hals als inhaltlicher und formaler Vorlage bediente, und es als Bild in den Film integrierte, dem Kommentarfunktion zukommt. Durch das Nebeneinander von Original als Referenzobjekt sowie der Szene, die darauf Bezug nimmt, verdeutlicht Greenaway ein weiteres Mal die enge Verwandtschaft der beiden Bildmedien Malerei und Film. 4.5 „Der Koch bin ich.“ Obiges bereits im Kapitel 1 der vorliegenden Arbeit verwendete Zitat äußerte Peter Greenaway auf die Frage nach der Rolle der Figur des Koches in The Cook. Der Koch Richard steht in gewisser Weise außerhalb des strukturellen Rahmes, den Greenaway so akribisch konstruiert hat. So ändert sich die Kostümfarbe des Koches den gesamten Film hindurch nicht; er trägt stets die weiße Kochuniform, egal ob in er Küche oder beim Servieren der Speisen im Esszimmer. Richard ist auch der einzige der Hauptcharaktere, der nicht am Essen teilnimmt. Er bereitet es zu, stellt die Abfolge der Speisen zusammen und arrangiert es nach seinem Geschmack. So lautet die Schlussfolgerung, die Greenaway auch in einem Interview bestätigt: „Der Koch ist der Regisseur.“287 Die Abhängigkeit des Kochs vom Mitinhaber Albert Spica kann als Metapher für die finanzielle Abhängigkeit eines Regisseurs von Fördergebern oder Produzenten gelesen werden.288 Er versucht sie von seinen experimentellen Kreationen zu überzeugen, oft jedoch stellen sie sich als „conservative eater“ heraus, so wie Albert von Richard im Film bezeichnet wird. Er schafft mit der Figur des Koches erneut ein Surrogat seiner selbst. Die Autoreflexivität des Films entsteht nicht nur durch das Aufzeigen filmischer Struktur, sondern ebenso auf der Charakterebene. Greenaways Reise durch sein eigenes 287
Kilb 1989, 69. vgl. Barchfeld 1993, 160. 288
87 Kunstrezeption Greenaways – The Cook, the Tief, his Wife and her Lover Werk beginnt mit seinem Alter Ego Tulse Luper, geht weiter zum Zeichner hinter der Kamera, dann zum Maler hinter der Kamera und schließlich zum Koch hinter der Kamera, der mit The Cook nicht nur eine ungewöhnliche „Menüfolge“ zusammenstellt, sondern auch in der Zusammenstellung des Werks virtuos und schonungslos vorgeht. Dies thematisiert auch Albert Spica in einer Szene am Esstisch, indem er Richard als Künstler bezeichnet. „What you have got to realize is that a clever cook puts unlikely things together like duck and oranges or pineapple and ham – it’s called artistry.“289 289
Monolog Albert: 00:15:52 – 00:16:02 88 Kunstrezeption Greenaways – 8 ½ Women 5. 8 ½ Women (8 ½ Frauen, 1999) Die Besprechung von 8 ½ Women stellt den letzten Film der vorliegenden Studie dar und legt den Fokus abschließend auf den Modus des Films im Film. Greenaway reflektierte bereits in früheren Werken seine Tätigkeit als Filmemacher sowie filmische Prinzipien im Hinblick auf Struktur, Systematik und Artefaktcharakter des Mediums. Das Werk eines anderen Regisseurs wurde bislang nicht als Referenz herangezogen. In 8 ½ Women bediente er sich eines Klassikers der Filmgeschichte des italienischen Regisseurs Federico Fellini, dessen Film 8 ½ (Otto e mezzo)290 nicht nur den Inhalt von Greenaways Werk, sondern auch den Titel beeinflusste. Der zweite Teil des Titels – Women – nimmt gleichermaßen auf Fellini Bezug, ist der Italiener doch bekannt für die Erschaffung außergewöhnlicher und faszinierender Frauenfiguren. Als Inspirationsquellen nannte Greenaway weiters Literatur, Malerei, Theater und das Kino, Disziplinen, die im Laufe der Geschichte die unterschiedlichsten Frauendarstellungen hervorgebracht haben; von Leonardo bis Chagal, von Shakespeare bis Jane Austen wurden weibliche Stereotypen geschaffen.291 Die Analyse konzentriert sich jedoch lediglich auf die metareferenzielle Form, die Bezugnahme auf Federico Fellini sowie auf den Film-­‐im-­‐Film als Pendant zur Bild-­‐im-­‐Bild-­‐Thematik. 8 ½ Women entstand ein Jahrzehnt nach The Cook, ein Jahrzehnt, in dem Greenaway seinen Stil weiter entwickelte. Wie bereits an anderer Stelle angerissen, ließ er nach The Belly of an Architect von der strengen Symmetrie ab, was zu bewegterer Bildsprache und Zunahme an Kamerafahrten führte. Anfang der 90er experimentierte Greenaway mit der Überlagerung mehrerer Bildebenen in unterschiedlichen Größen und Transparenzen, die eine Layer-­‐
Struktur ergeben und ein „visuelles Cluster“292 entstehen lassen. 8 ½ Women spann jedoch diese Stilentwicklung nicht weiter, sondern stellt ob der Verwendung des Clusterverfahrens sowie der Rückkehr zu statischen Einstellungen und Symmetrie eine Synthese aus beiden Modi dar.293 290
Um mögliche Verwirrungen bezüglich der Ähnlichkeit der Titel zu vermeiden wird Fellinis Film stets im Original – Otto e mezzo – genannt. 291
Greenaway, http://www.petergreenaway.org.uk/8halfwomen.htm 292
Spielmann 1998, 235. 293
vgl. Petersen 2009, 152. 89 Kunstrezeption Greenaways – 8 ½ Women 5.1 Inhalt und Kapitelstruktur Dem Schweizer Bankmanager Philip Emmenthal werden durch diverse Geschäfte mehrere Pachinko-­‐Spielhallen in Japan überschrieben, die er mit seinem Sohn Storey inspiziert. Als er in sein Anwesen nach Genf zurückkehrt, stirbt seine geliebte Frau, die er wegen des großen Trennungsschmerzes noch bis zur Beerdigung in ihrem Bett aufgebahrt lässt. Storey beschließt, dem Vater in seinem Kummer beizustehen und möchte einige Zeit bei ihm in Genf verweilen. Während sie nachts trauernd durch ihr großes Anwesen wandeln, kann Philip nicht ertragen, wie leer und leblos das Haus ist, und erwägt, die leer stehenden Zimmer mit Konkubinen zu füllen. Diesen Gedanken hegt er erneut, nachdem Storey und er gemeinsam Fellinis Otto e mezzo im Kino gesehen haben. Als sie von einer weiteren Geschäftsreise in Japan zwei Japanerinnen mit nach Genf nehmen, steht der Entschluss fest, das Haus zu einem Harem umzufunktionieren. So beginnen Vater und Sohn nach Anwärterinnen zu suchen. Schon die beiden Japanerinnen könnten unterschiedlicher nicht sein. Simato ist eine spielsüchtige junge Frau, die sich westlich kleidet und durch ihr keckes und selbstsicheres Auftreten besticht. Mio hingegen trägt traditionelle japanische Kleidung, schminkt stets ihr Gesicht weiß und sieht aus wie eine Porzellanpuppe. Philip wünscht sich außerdem eine Frau namens Griselda, die seiner Meinung nach aussieht wie die Nonnen auf alten Gemälden. Weiters können zum Einzug in den emmenthalschen Harem bewegt werden Beryl, eine vornehme Reiterin aus Österreich, Giaconda, eine schwangere Frau, die Storey im Krankenhaus kennen lernt und Palmira, eine selbstbewusste Opernliebhaberin mit großen Brüsten. Philips Hausmädchen Clothilde, die schon lange in ihn verliebt ist, sowie Kito, die burschikose Dolmetscherin der Emmenthals in Japan, dürfen ebenfalls eines der Zimmer beziehen. Als letzte kann Giulietta gewonnen werden, eine Frau ohne Beine, die im Rollstuhl sitzt und von den Angestellten der Emmenthals als „halbe Frau“ bezeichnet wird. Etwa zur Mitte des Films ist der Harem vollzählig und Storey fasst entzückt zusammen: „Simato, Griselda, Beryl, Giaconda, Palmira, Mio, Kito, Giulietta, Clothide. Eight and a half women!“294 Zu diesem Zeitpunkt haben Philip und Storey absolute Macht über die Frauen, denn die meisten sind nicht freiwillig eingezogen. Sie lassen sich entweder dafür bezahlen, arbeiten auf diesem Wege ihre Schulden ab oder werden erpresst. Doch die männliche Ordnung hält nicht lange und löst sich im zweiten Teil des Filmes in Luft auf. Mio nimmt sich das Leben, Simato möchte nach Japan zurück und erpresst die Emmenthals, Beryl entflieht mit ihrem Pferd, 294
Storey ab 01:09:47 90 Kunstrezeption Greenaways – 8 ½ Women Grisela geht ins Kloster und Clothilde wird festgenommen. Da Giaconda erneut schwanger ist, will Storey sie loswerden und kauft ihr ein one-­‐way Ticket nach Südamerika. Als gegen Ende hin Philip stirbt, verlässt auch Palmira das Haus, sodass Storey von achteinhalb Frauen nur noch die halbe geblieben ist. Mit einem Erdbeben, das das Haus in sich zusammenstürzen lässt und die Insassen begräbt, endet der Film. Auch 8 ½ Women lässt ein formales System erkennen, nach dem sich der Film ausrichtet, doch tritt es im Unterschied zu den früheren Werken hinter die Handlung zurück. Es scheint eine Loslösung Greenaways von der sonst so strengen Strukturierung einzutreten, da der Film lediglich durch Teilung in fünf Kapitel Gliederung erfährt. Die Zwischenkapitel bestehen aus der Kapitelnummer, der Überschrift, dem Ort des Geschehens und dem Kapiteltext, der beschreibt, was in der Szene zu sehen ist. Dabei verbindet sich der Text mit der dahinterliegenden Einstellung, und das Bild entsteht in doppelter Form: einmal als filmische Einstellung, das zweite Mal durch exakte Beschreibung der Szenerie mittels Text. So beginnt Kapitel zwei mit einer Einstellung der verstorbenen Ehefrau und Mutter, die von Philip und Storey betrauert wird (Abb. 71). Der Text gliedert sich in mehrere Abschnitte: Part Two History of Father & Son Section 9 Geneva The Master Bedroom in the Genevan House. Philip, in a damp dressing-­‐gown, and Storey, in a wet raincoat, contemplate the dead woman laid out by the undertakers on the marital bed. A beautiful-­‐looking Renoireque maid – Clothilde – with tear-­‐stained face – stands to one side with a coffee pot – warming her hands on the pot. At the foot of the bed – on a sofa and on a table, are arranged the deceased’s hats – summer hats with flowers and fruits – straw hats decorated for summer use with ribbons. The attentive Clothilde occasionally re-­‐arranges a hat. Dies entspricht dem Aufbau eines Drehbuchs, dessen einzelne Szenen jeweils mit Ort und Tageszeit295 beginnen und bei der Etablierung der Lokalität meist eine detaillierte Beschreibung aufweisen. Im Falle des zweiten Kapitels gibt der Text exakt wieder, was die jeweiligen Personen tragen, wo sie sich befinden, wie sie agieren werden und was an Requisiten vorhanden ist. Dabei handelt es sich um Informationen, die das Publikum nicht 295
In Part Two wurden keine genauen Angaben zur Tageszeit genannt, in allen anderen Zwischenkapitel wird dies jedoch angeführt: Magic-­‐hour & Night (Part One), Summer Morning (Part Three), Mid-­‐
Afternoon (Part Four), Early Morning (Part Five). 91 Kunstrezeption Greenaways – 8 ½ Women benötigt, da sie ohnehin in den Filmbildern ersichtlich sind. Diese Informationen dienen lediglich der Filmcrew, um eben jene erwünschten Filmbilder zu erzeugen. Damit verweist Greenaway bereits mit Kapitel eins am Beginn des Films deutlich auf die Künstlichkeit des Mediums und auf den Prozess der Herstellung, da er die Basis des Films – den Drehbuchtext – über die filmische Einstellung blendet. Dabei zeigen sich Differenzen zwischen Drehbuch und tatsächlicher Inszenierung, da in einigen Szenen der Text leicht vom Bild abweicht. So beschreibt Szene zwei ein Sofa am Fuße des Bettes, das in der filmischen Einstellung nicht vorhanden ist. Dies impliziert, dass der Schöpfer Greenaway die Szene ursprünglich laut Drehbuch geplant hat, diese aus unbekannten Gründen geändert oder ändern müssen hat.296 5.2 Federico Fellini als Vorbild Die durch den Bezug zum Drehbuch angestrebte Referenz Greenaways an das Medium Film drückt sich gleichfalls in der Wahl des impliziten Referenzobjekts aus, das diesmal ein filmisches Kunstwerk darstellt. Als Pate dieses Filmes wurde, wie erwähnt, Federico Fellinis Film Otto e mezzo auserkoren, der auf verschiedenen Ebenen seinen Weg in Greenaways Film findet. Otto e mezzo gilt als autobiografisches Werk Fellinis, der mit der Figur Guido ein Alter Ego schuf.297 Guido, verkörpert von Marcello Mastroianni, ist ein Regisseur in einer Schaffenskrise. Er ist uninspiriert und es fehlt ihm an Ideen zum neuen Film, der in Kürze gedreht werden soll, weshalb er sich in ein Kurbad zurückzieht. Da er auch dort keine Ruhe findet, flüchtet er sich in Tagträume und Fantasien, die er mit Erinnerungen verknüpft, um seinem Umfeld zu entkommen. Eine solche Fantasie dürfte Greenaway als inhaltliche Vorlage gedient haben. In einer Szene träumt Guido von einem Haus voller Frauen, die sich alle nur um ihn kümmern und ihm jeden Wunsch erfüllen. Guido ist in seinem Leben ständig von schönen Frauen umgeben und versucht, seine Affären vor seiner Ehefrau geheim zu halten. In seiner Vorstellung billigt sie sein Verhalten und ist bestrebt, alles zu tun, um ihn glücklich zu machen. Die Anzahl der Frauen des Greenaway-­‐Harems lässt sich anhand des Titels ablesen, der bei Fellini jedoch nichts mit der Zahl der Frauen zu tun hat.298 Auch den Zauberspruch ASA NISI MASA aus Otto e mezzo baut Greenaway ein und lässt ihn Philip mehrmals sprechen. Als 296
vgl. Petersen 2009, 171. vgl. Wiegand 2003, 94. 298
Der Titel ergibt sich aus der Anzahl an Filmen, die Fellini schuf. Davor realisierte er sechs Filme alleine, und drei gemeinsam mit anderen Regisseuren, die er zur hälfte als sein Eigentum rechnet, sodass Otto e mezzo Film Nummer 8 ½ darstellt. vgl. Wiegand 2003, 94. 297
92 Kunstrezeption Greenaways – 8 ½ Women er ihn kurz vor dem Tod nochmals vor sich hin murmelt erklärt er Palmira, „it’s Fellini’s spell from eight and a half“.299 5.2.1 Ein Film über einen Film in einem Film = Meta2 So handelt es sich bei 8 ½ Women um einen Film, der einen weiteren Film enthält. Doch bereits der im greenawayschen Werk enthaltenen Film stellt einen Metafilm dar, weil er als Reflexion des Filmemachens und der Vorbereitung auf einen Film gilt, zu dessen Realisation es nicht kommt. Wenn also Otto e mezzo bereits ein Film über einen Film ist, erzeugt Greenaway mit 8 ½ Women noch eine weitere Metaebene und behandelt in seinem Film einen Film über einen Film. Wie bereits dargelegt, ist die Konstruktion von Meta-­‐Metawerken keine unübliche Verfahrensweise für den Regisseur. Er verwendete das Meta2 Prinzip bereits in A Zed and two Noughts, wo er mit dem tableau vivant der Malkunst ein Bild eines Bildes über den Malakt schuf. Den Terminus »Meta2« führte Katharina Bantleon in ihrem Artikel From Readymade to ‘Meta2` -­‐ Metareference in Appropriation Art (2011) ein, dem hier nähere Ausführungen zukommen sollen. Um das Phänomen zu illustrieren, zieht Bantleon Werke Roy Lichtensteins als Paradigmen heran.300 Lichtensteins Brushstroke von 1965 stellt einen Pinselstrich dar und kann eindeutig als kontext-­‐ sowie formbezogene Metareferenz identifiziert werden. Es weist mehrere metareferenzielle Schichten auf, da es einerseits auf den Pinselstrich als Technik der Malerei und auf den Malakt verweist, und andererseits auf das Medium Malerei in seiner Bedeutung als Kunstform. Diese einfache Variante von Metareferenz bezeichnet Bantleon als „first-­‐order metareferential artefacts“301.Drei Jahrzehnte später nahm Lichtenstein mit einem weiteren Werk Bezug auf Brushstroke und somit auf sein eigenes Œuvre. Er transformierte die Darstellung des Pinselstrichs in ein dreidimensionales Objekt und schuf dadurch eine zweifache Meta-­‐Skulptur. Die plastische Reproduktion des Pinselstrichs als klassischer Ausdruck der Malerei verbindet die Medien Malerei und Plastik. Die Meta-­‐Skulptur erzeugt durch Verwendung eines Werkes mit bereits metereferenziellem Charakter ein „second-­‐order meterreferential piece“302 oder eben Meta2. Genauso verhält es sich mit Greenaways Film, der durch die Integration eines Metafilms ebenso im doppelten Sinne Metareflexionen des Mediums Film erzeugt. 299
Philip ab 01:42:33 vgl. Bantleon 2011, 325,326. 301
Bantleon 2011, 326. 302
Bantleon 2011, 326. 300
93 Kunstrezeption Greenaways – 8 ½ Women 5.2.2 Adaption von Otto e mezzo in 8 ½ Women In Kapitel Zwei sehen sich Philip und Storey Otto e mezzo im Kino an. Die Szene beginnt mit einem Establishing Shot303 des Kinos, auf dessen Anzeigetafel deutlich FELLINI, OTTO E MEZZO zu lesen ist (Abb. 72). Greenaway weist mit dieser Einstellung seinen Bezugsfilm klar aus. Die darauffolgenden Einstellungen zeigen Storey und Philip vor einem Kinoplakat von Otto e mezzo (Abb. 73) und anschließend im Kinosaal. Greenaway kündigt den Film durch mehrere Hinweise an, bevor er ihn im Kino präsentiert. Der auf die Leinwand projizierte Schwarzweißfilm nimmt die Hälfte des Filmbilds ein und gibt die Szene wieder, in der Guido in seiner Vorstellung Herr eines Harems ist (Abb. 74). Das Haus entspricht dem Waisenhaus, in dem Guido aufgewachsen ist, vermischt seine Fantasie mit Kindheitserinnerungen, tauscht jedoch die Kinder gegen Frauen aus. Er stellt sich die unterschiedlichsten Typen vor: die unterwürfige Ehefrau, die heißblütige Geliebte, die interessante Intellektuelle, die naive Schönheit, die temperamentvolle Wilde und so weiter. Doch alle Frauen in seinem Traum haben bloß ein Ziel: Guido zu verwöhnen. Auch Philip Emmenthal ist begeistert von dieser Vorstellung. Während er und Storey im Kino beginnen, über die faszinierenden Frauengestalten zu diskutieren, wechselt Greenaway mitten im Dialog die Szene. Beide Männer befinden sich nun in ihrem Anwesen vor dem Fernseher, auf dem die Szene aus Otto e mezzo direkt weiterläuft (Abb. 75), und setzen den Dialog fort304: PHILIP: (Im Kino): Why do you think Fellini kept inventing all these exciting women? Schnitt auf die Szenen im Haus: (vor dem Fernseher): Did he can love them all? Did he sleep with them all? Did he sleep with any of them…or did he get Mastroianni to do it for him? […] How many film directors make films to satisfy their sexual fantasies? STOREY: I would imagine most of them. […] PHILIP: Those women….all nationalities, every shaping size, every age. 303
Als Establishing Shot wird eine Einstellung am Anfang einer Sequenz bezeichnet, die allgemeinen Über-­‐
blick über die Situation bietet, vgl. Monaco/Bock 2011 304
Dialog zwischen Philip und Storey: 00:0 – 00:26:39 94 Kunstrezeption Greenaways – 8 ½ Women STOREY: He was just an old Italian pimp. We know how lecherous the Italians suppose to be. In der Zwischenzeit läuft im Hintergrund Otto e mezzo weiter, jedoch achronologisch, da die Szenen wild durchgemischt werden. Die Sequenzen werden jeweils zum Dialog passend ausgewählt. Wenn Philip von Frauen jeder Größe und Figur spricht, strahlt der Fernseher ein adäquates Beispiel dazu aus. Philip wählt Fellini als Vorbild, der die Inspirationsquelle zur Schaffung des Harems darstellt. In Guidos Tagträumen sieht Philip seine Zukunft. Die Szene endet mit einer Einstellung aus Fellinis ASA NISI MASA-­‐Sequenz und zeigt eine Tafel mit diesen Worten, währenddessen der Spruch von einer Dame wiederholt wird (Abb. 76). Als Darstellungsvariante der Beiden Präsentationsformen von Film, nämlich Kinoleinwand und Fernseher, wählt Greenaway die direkte Gegenüberstellung, verbunden durch den gleichen Film und den figürlichen Dialog. Im Kino läuft der Film auf einer großen Leinwand chronologisch ab, im Fernseher springt er. Damit thematisiert der Regisseur die Mittel des Video-­‐Formates, die es ermöglichen, den Film anzuhalten, Passagen wiederholt anzusehen und sich innerhalb des Filmes vor und zurück zu bewegen. Das Kino bietet diese Möglichkeit nicht, doch hat es auf Grund seiner großen Präsentationsform andere Vorteile. Greenaway war schon Ende der 80er davon überzeugt, dass das Kino im klassischen Sinne vom Aussterben bedroht sei. Diese Tatsache beunruhigte ihn jedoch nicht sonderlich, da er das Fernsehen als ein „viel reicheres, intelligenteres Medium als das Kino“305 ansah. Er ist der Meinung, dass die Wiederholbarkeit eines Filmes eine große Qualität darstellt. Dazu ist das Rückspulen notwenig, um einzelne Teile erneut zu sichten und diese nach jedem Mal verschieden erscheinen, und, wie er hofft, mannigfaltiger werden zu lassen. 306 Seit dem Videozeitalter sei dies durchführbar und stelle einen großen Vorteil gegenüber dem Kino dar. Doch zeigt im Endeffekt beides nur die Möglichkeit auf, einen Film wiederzugeben, um den es sich letztlich dreht. So meint auch Greenaway: „Es wird immer Bilder geben, gleichgültig auf welche Weise sie hergestellt werden.“307 305
Kilb 1989, 69. vgl. Glur 1991, 27. 307
Kilb 1989, 69. 306
95 Konklusion V. KONKLUSION UND AUSBLICK In einem Artikel der ZEIT bezeichnete Andreas Kilb Greenaways Filme als eine „Zumutung“308, doch, wie mir scheint, im positiven Sinne, im Sinne einer zumutbaren Herausforderung. Über die Jahre verliehen die Kritiker Greenaway viele Namen – Provokateur, Scharlatan309, Master of Disguise310, raffinierter Kalkulator311 oder M. C. Escher des Films312 -­‐ doch sind sich die Kritiker bis heute nicht sicher, ob sie ihn lieben oder hassen sollen. Mit Sicherheit kann ihm die Rolle eines visuellen Pioniers zugeschrieben werden, da er ständig versucht, neue Möglichkeiten der Darstellung filmischer Bilder zu finden. Was Greenaways Œuvre betrifft, so schlug er im Laufe der Jahre trotz seines singulären Stils und stets beibehaltenem Formalismus immer wieder neue Richtungen ein. Mit Malerei begann er, arbeitete anschließend zehn Jahre als Filmcutter bis er Mitte der 60er seinen ersten Film realisierte. Mit den Kurz-­‐ und Experimentalfilmen entstand ein System, das er im Spielfilmwerk zu perfektionieren versuchte. Ende der 80er kam es erneut zu einem Bruch, nachdem Greenaway das Sterben des Kinos prophezeit hatte und sich multimedialen Projekten jenseits des klassischen Verständnisses von Film und Kino zuwandte. Er forderte stärkere Integration des Zusehers, weg von der Passivität des Kinosaals, der den Zuseher in einem dunklen Raum zum unmündigen Beobachter degradiert, hin zu interaktiven Formen die das Publikum „reanimieren“. Auf Grund seiner Bestrebungen der letzten Jahre ist zu überlegen, ob ihm Film auf lange Sicht überhaupt reicht, da er vermehrt an einem Gesamtkunstwerk verschiedener Medien arbeitet, was sich im multimedialen Großprojekt The Tulse Luper Suitcases manifestiert.313 Als Kern in Greenaways Schaffen stellt sich jedoch das Bild heraus – ob einer Struktur folgend, abgeleitet von kunsthistorischen Vorlagen oder als formale Imitation, mit welchem Schwerpunkt auch immer, seien es Farbe, Lichtgestaltung, Aufbau oder auto-­‐ bzw. metareferenzielle Verweise –, die Schnittmenge bleibt das Bild, dessen Grenzen er stets neu auszuloten versucht. Das in der Einleitung erwähnte Zitat könnte folglich in Cinema is dead – the images will live instead abgeändert werden. 308
Kilb 1989, Das infernalische Abendmahl, 68. Kilb 1989, 68 310
Auty 1985, 363; 311
Koch 1987, 17. 312
vgl. Althen 1987, o.S. 313
vgl. Jensen 2009, 118,119. 309
96 Konklusion Die vorliegende Arbeit versteht sich jedoch nicht nur als Beitrag zur Greenawayforschung, sondern auch als Studie zur Intermedialität, insbesondere zur Darstellung der intermedialen Bezüge und Referenzsysteme von Film auf bildende Kunst. Es wurde versucht, die mannigfaltigen Varianten der Übernahme von bildender Kunst in das Medium Film herauszuarbeiten und deren Verwendung hinsichtlich Inhalt und Form aufzuzeigen. Der vorgestellte Strukturbaum ist als Orientierungshilfe zu verstehen, der die Möglichkeiten der Darstellung von Kunst im Film übersichtlich veranschaulicht, sowie die Beschäftigung mit der Thematik vereinfachen soll. Mit Greenaways letztem Film Nightwatching ist eine Rückorientierung zu den Anfängen zu bemerken, denn er erinnert an vielen Stellen an seinen ersten Spielfilm. Dies lässt Schlussfolgerungen auf sein zukünftiges Schaffen zu. Den ersten Hinweis lieferte bereits der französische Titel von Nightwatching – Meurtre dans un Tableau Hollandais –, der auf den französischen Namen von The Draughtsman’s Contract – Meurte dans un Jardin Anglais – wies und nicht umsonst von Axel Roderich Werner als „The Draughtsman’s Contract RELOADED“ bezeichnet wurde314. Trotz zahlreicher Unterschiede innerhalb des Aufbaus und der filmischen Handlung, bewegte sich Greenaway mit diesem Film vom Multimedia-­‐
Gesamtkunstwerk zurück zur herkömmlichen Kinovariante. Sein kommendes Werk scheint dies zu bestätigen. Derzeit arbeitet der Filmkünstler an Goltzius and the Pelican Company, einem Film über den niederländischen Maler und Kupferstecher Hendrick Goltzius. Der Film soll nach Nightwatching das zweite Werk der geplanten Trilogie „Dutch Masters“ werden.315. Letztlich gilt es abzuwarten, wohin sich sein „Kino“ entwickelt, oder, um es mit den Worten Peter Greenaways zu sagen: „Well, we will just have to, literally, as they always say, wait and see.”316 314
Werner 2010, 213. vgl. Macnab 2011, Online Artikel »Screen Daily« vom 13. Februar: http://www.screendaily.com/news/ europe/greenaway-­‐readies-­‐goltzius-­‐eisenstein-­‐projects/5023673.article# 316
Oosterling zit. n. Werner 2010, 405. 315
97 Quellen und Verzeichnisse QUELLEN UND VERZEICHNISSE 1. Literaturverzeichnis Adam, Ken/Bordwell, David/Greenaway, Peter/Lang, Jack (Hrsg.), Der schöne Schein der Künstlichkeit, Frankfurt am Main 1995 Althen, Michael, Von Alphabet bis ZOO – „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“ & dessen Regisseur, in: Süddeutsche Zeitung, 23. November 1989 Andrews, Nigel, A walk through Greenaway, in: Sight & Sound, Bd. 48/2, 1979, 94-­‐95 Arnheim, Rudolf, Film als Kunst, München, Wien 1974 (1. Auflage 1932) Arnheim, Rudolf, Malerei und Film, in: Diederrichs, Helmut H., Rudolf Arnheim – Kritiken und Aufsätze zum Film, München, Wien 1977, 151-­‐154 Auty, Chris, A Zed & two Noughts, in: Monthly Film Bulletin, 52/623, 1985, 363-­‐364 Auty Chris, H can wait, in: Time Out, Nr. 450, 1978, 14-­‐15 Badt, Kurt, »Modell und Maler« von Jan Vermeer. Probleme der Interpretation – Eine Streitschrift gegen Hans Sedlmayr, Köln 1961 Balázs, Béla, Wir bitten um Einlaß!, in: Ders., Schriften zum Film. Band I. Der sichtbare Mensch. Kritiken und Aufsätze 1922-­‐1926, Berlin, München, Budapest 1982, 45 -­‐ 51 Ballhausen, Thomas, Bewegungen des Schreckens. Anthropophargie zwischen Metamorphose und Metastase, Frankfurt am Main 2010 Bantleon, Katharina, From Readymade to ‘Meta2’. Metareference in Appropriation Art, in: Wolf, Werner (Hrsg.) in collaboration with Katharina Bantleon and Jeff Thoss, The Metareferential Turn in Contemporary Arts and Media. Form, Functions, Attempts at Explanation, Amsterdam/New York 2011 Bantleon, Katharina, Vincent van Gogh im Spielfilm. Leben und Werk des Künstlers in Vincente Minnellis Lust for Life, Graz 2008 Barchfeld, Christiane, Filming by numbers: Peter Greenaway, Tübingen 1993 Barck, Joanna, Hin zum Film -­‐ Zurück zu den Bildern. Tableaux Vivants: »Lebende Bilder« in den Filmen von Antamoro, Korda, Visconti und Pasolini, Bielefeld 2008 Baridon Michel, Le jardin de Hobbes à Hockney ou l’histoire mise à plat, in: L’Avant-­‐Scène Cinèma, Nr. 333, 1984, 12-­‐13 98 Quellen und Verzeichnisse Bazin, André, Was ist Film? Berlin 2004 Benjamin, Walter, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt am Main 2006 (1. Auflage 1936) Berger, Doris, Projizierte Kunstgeschichte. Mythen und Images in den Filmbiografien über Jackson Pollock und Jean-­‐Michel Basquiat, Bielefeld 2009 Blanchet, Christian, Meurtre dans un jardin anglais de Peter Greenaway, in: Cinèma, Bd. 303, 1984, 47 Boehm, Gottfried/Bredekamp, Horst, Ikonologie der Gegenwart, München 2009 Bordwell, David, Narration in the fiction film, Madison 1985 Boullée, Étienne-­‐Louis, Treatise on architecture, herausgegeben von Helen Rosenau, London 1953 Boullée, Étienne-­‐Louis, Architektur. Abhandlung über die Kunst, Zürich/München 1987 Broos, Ben, Un celebre Peijntre nommé Verme[e]r, in: Wheelock, Arthur K. (Hrsg.), Vermeer. Das Gesamtwerk, Stuttgart/Zürich 1995, 47 -­‐ 65 Brown, Robert, Greenaway’s Contract, in: Sight & Sound, Bd. 51/1, 1981, 34-­‐38 Brown, Robert, Intervals, in: Monthly Film Bulletin, XLIX/579 (April 1982), 75 Dalle Vacche, Angela, Cinema and Painting. How Art is used in Film. London 1996 Diederrichs, Helmut H., Rudolf Arnheim – Kritiken und Aufsätze zum Film, München, Wien 1977 Dvorak, Cornelia/Kamer, W., Revolution des Sehens, in: Focus Magazin, Nr. 25, 1994 (22.06.), 90-­‐94 Eberlein, Johann, Konrad (Hrsg.), Festschrift Götz Pochat: zum 65. Geburtstag, Wien 2007 Edgerton, Gary R, Film and the Arts in Symbiosis, New York, Westport, London 1988 Eicher, Thomas/Bleckmann Ulf (Hrsg.), Intermedialität. Vom Bild zum Text, Bielefeld 1994 Elliott, Bridget/Purdy, Anthony, Peter Greenaway. Architecture and Allegory, London 1997 Elsaesser, Thomas, Reflection & Reality. Narrative cinema in the concave mirror, in: Monogramm, Bd. 2, 1971, 2-­‐9 Feldvoss, Marli, Vom Tier zur Bestie Mensch und zurück. Allegorische Gesellschaftsspiele: Peter Greenaways Film „Der Koch der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.11.1989, 277-­‐278 99 Quellen und Verzeichnisse Field, Syd, Drehbuchschreiben für Film und Fernsehen, Berlin 2006 Fischer, Ellen, Das Künstlerbild im amerikanischen Spielfilm der 50er und 60er Jahre, in: Paech, Joachim (Hrsg.), Film, Fernsehen, Video und die Künste. Strategien der Intermedialität, Stuttgart 1994, 103 – 113 Forbes, Jill, The Belly of an Architect, in: Monthly Film Bulletin, 54/645, 1987, 299 Forbes, Jill, The Falls, in: Monthly Film Bulletin, XLVIII/565, Februar 1981, 25 Frommer, Kerstin, Inszenierte Anthropologie. Ästhetische Wirkungsstrukturen im Filmwerk Peter Greenaways, (phil. Diss.) Köln 1994 Glur, Beate, Kino ist eine aussterbende Kunstform. Gespräch mit Peter Greenaway über seinen neune Film «Prospero’s Books» und die Zukunft des Kinos, in: Zoom, Bd. 20, 1991, 26-­‐
30. Görling, Reinhold, Barocke Perücken & Postmoderne Spielregeln. Peter Greenaways The Draughtman’s Contract, in: filmwärts, Nr. 21, 1/92, Winter 1992, 18-­‐27 Greenaway, Peter, Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber. Drehbuch, Zürich 1989 Greenaway, Peter, Prosperos Bücher. Drehbuch, Zürich 1991 Greenaway, Peter, Film, eine Kunst nach Regeln? Ein Gespräch mit Yvonne Spielmann, in: Adam, Ken/Bordwell, David/Greenaway, Peter/Lang, Jack (Hrsg.), Der schöne Schein der Künstlichkeit, Frankfurt am Main 1995, 117 -­‐ 151 Gregor, Ulrich, Der Kontrakt des Zeichners, in: epd Film, H. 4, 1984, 21 Heeling, Susanne, Malerei und Film. Intermedialität im Künstlerfilm, (Dipl. Arbeit) Saarbrücken 2009 Hennefeld, Claudia, Sozialhistorische Aspekte der Kunstfälschung am Beispiel des Fälschers Han van Meegeren, (Dipl. Arbeit) Graz 2002 Hensel, Thomas/Krüger, Klaus/Michalsky, Tanja (Hrsg.), Das bewegte Bild. Film und Kunst, München 2006 Hippen, Wilfried, „Ich mag, wenn Musik einen Nutzen hat“, in: taz -­‐ die Tageszeitung, 05.11.2008 Hohenberger, Eva, Die Früchte der Frauen. Peter Greenaways Der Kontrakt des Zeichners, Frauen und Film, Bd. 40, 1986, 45-­‐61 Höller, Christian, Bildzersetzender Sound in: Springerin Bd. XVII, Heft Sommer 2011, 11. Jenny, Urs, Von Bäuchen und Beinen, in: Der Spiegel, Bd. 42, 1987 (11. Oktober), 274-­‐276 100 Quellen und Verzeichnisse Jensen, Ulf, Breaking the Frame – Peter Greenaways Thyssen-­‐Vorlesung zur Ikonologie der Gegenwart an der Humboldt-­‐Universität zu Berlin, Februar 2007, in: Boehm, Gottfried/Bredekamp, Horst, Ikonologie der Gegenwart, München 2009, 115 -­‐ 129 Jones, Sinead, The British Renaissance? in: Film Directions, Bd. 6/22, 1984, 13 Kapp, Hans-­‐Jörg, Musik, Zeit und anderes. Peter Greenaway und Michael Nyman, in: filmwärts, Nr. 21, 1/92, Winter 1992, 6-­‐16. Keitz von, Ursula, Dialogizität der Bilder. Bemerkungen zum Verhältnis von Bildender Kunst und Film aus semiotischer Sicht, in: Paech, Joachim (Hrsg.), Film, Fernsehen, Video und die Künste. Strategien der Intermedialität, Stuttgart 1994, 28 – 40 Kennedy, Harlan, Peter Greenaway: His Rise and ‘Falls’, in: Film Comment, o.Nr., 1981, 18-­‐22 Kerger, Britta, Peter Greenaways Film der "Kontrakt des Zeichners" und seine Bezüge zu Moralität und Leidenschaft, München 1996 Kilb, Andreas, Das infernalische Abendmahl. Über Peter Greenaway und seinen Film „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“, in: Die Zeit, Nr. 48 – 24. November 1989, 68 Kilb Andreas, Der Koch bin ich. ein Gespräch mit Peter Greenaway, in: Die Zeit, Nr. 48 – 24. November 1989, 69. Koch, Gertrud, Bauchschmerzen und Kopfgeburt. Peter Greenaways Film „Der Bauch des Architekten“, in: Frankfurter Rundschau, 9. Oktober, 1987, 17. Korte, Helmut/Zahlten, Johannes (Hrsg.), Kunst und Künstler im Film, Braunschweig 1990 Kremer, Detlef, Peter Greenaways Filme. Vom Überleben der Bilder und Bücher, Stuttgart u.a. 1995 Madec, Philippe, Etienne-­‐Louis Boullée, Berlin 1989 Matzker, Reiner, Landschaftserfahrung im Film dargestellt an ausgewählten Beispielen, in: Filmkunst, Bd. 113, 1987, 3-­‐9 Meder, Thomas, Die Verdrängung des Films aus der deutschen Kunstwissenschaft 1925-­‐1950, in: Paech, Joachim (Hrsg.), Film, Fernsehen, Video und die Künste. Strategien der Intermedialität, Stuttgart 1994, 9-­‐19 Millar, Gavin, A white horse with black stripes – A Zed & two Noughts, in: Sight & Sound, o.Nr. 1985/86, 62-­‐ 63 Müller, Jürgen E., Intermedialität. Formen moderner, kultureller Kommunikation, Münster 1996 Norden Martin, Film and Painting, in: Edgerton, Gary R., Film and the Arts in Symbiosis, New York, Westport, London 1988, 17 -­‐ 45 101 Quellen und Verzeichnisse Paech, Joachim, Ein-­‐BILD-­‐ungen von Kunst im Spielfilm, in: Korte, Helmut/Zahlten, Johannes (Hrsg.), Kunst und Künstler im Film, Braunschweig 1990, 43-­‐50 Paech, Joachim (Hrsg.), Film, Fernsehen, Video und die Künste. Strategien der Intermedialität, Stuttgart 1994 Panofsky, Erwin, Stil und Medium im Film & Die ideologischen Vorläufer des Rolls-­‐Royce-­‐
Kühlers, Frankfurt am Main 1999 (1. Auflage 1934) Petersen, Christer, Jenseits der Ordnung, Kiel 2001 Petersen, Christer, Peter Greenaways Spielfilme. Strukturen und Kontexte, Kiel 2009 Poppenberg, Dorothee/Weinrichter, Antonio, Der Kontrakt des Zeichners. Gespräch mit Peter Greenaway, in: epd Film, H. 4, 1984, 18-­‐20 Prill, Meinhard, Vom Illusionscharakter der Medien. Der Kontrakt des Zeichners, in: Medien und Erziehung, Bd. 6, 1984, 343-­‐349 Pym, John, Vertical Features Remake, in: Monthly Film Bulletin, 48/564, Jänner 1981, 12 Pym, John, Windows, in: Monthly Film Bulletin, XLIX/579, April 1982, 75 Rajewsky, Irina O., Intermedialität, Tübingen, Basel 2002 Röttgen, Herwarth, Vorwort, in: Korte, Helmut/Zahlten, Johannes (Hrsg.), Kunst und Künstler im Film, Braunschweig 1990, 7-­‐9 Ruggle, Walter, Von den Dualitäten des Daseins. A Zed and two Noughts von Peter Greenaway, in: Filmbulletin, Bd. 29/2, 1987, 45-­‐47 Schnitzler, Günter/Spaude, Edelgard (Hrsg.), Intermedialität. Studien zur Wechselbeziehung zwischen den Künsten, Freiburg im Breisgau 2004 Schönenbach, Richard, Bildende Kunst im Spielfilm. Zur Präsentation von Kunst in einem Massenmedium des 20. Jahrhunderts, München 2000 Schuster, Michael, Malerei im Film: Peter Greenaway, Hildesheim 1998 Seymour, Slive, Frans Hals. Das Festmahl der St. Georgs-­‐Schützengilde 1616, Stuttgart 1962 Sitney, Peter, Structural film in: Film Culture, 47, 1969, 1-­‐10. Spielmann, Yvonne, Intermedialität. Das System Peter Greenaway, München 1998 Stam, Robert, Reflexivity in Film and Literature. From Don Quixote to Jean-­‐Luc Godard, New York 1992 Stoichiţță, Victor Ieronim, Das selbstbewußte Bild. Vom Ursprung der Metamalerei, München 1998 102 Quellen und Verzeichnisse Thiele, Jens, Das Kunstwerk im Film. Zur Problematik filmischer Präsentationsformen von Malerei und Grafik, Göttingen 1974 Thoss, Jeff, Metalepsis in Contemporary Popular Fiction, Film, and Comics (phil. Diss.) Graz 2011 Truffaut, François, Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?, München 1973 (1. Auflage 1966) Walder, Martin, Besessen von der Idee des Katalogisierens, in: Filmbulletin, Bd. 5, 1989, 20-­‐26 Werner, Axel Roderich, System und Mythos. Peter Greenaways Filme und die Selbstbeobachtung der Medienkultur, Bielefeld 2010 Wheelock, Arthur K. (Hrsg.), Vermeer. Das Gesamtwerk, Stuttgart/Zürich 1995 Wheelock, Arthur K., Johannes Vermeer (1632-­‐1675) – sein Leben, seine Kunst, in: Wheelock, Arthur K. (Hrsg.), Vermeer. Das Gesamtwerk, Stuttgart/Zürich 1995, 15-­‐31 Wiegand, Chris, Federico Fellini. Sämtliche Filme Köln 2003 Wolf, Werner (Hrsg.) in collaboration with Katharina Bantleon and Jeff Thoss, Metareference across Media. Theory and Case Studies, Amsterdam /New York 2009 Wolf, Werner, Metareference across Media: The Concept, it’s Transmedial Potentials and Problems, Main Forms and Functions in: Wolf, Werner (Hrsg.) in collaboration with Katharina Bantleon and Jeff Thoss, Metareference across Media. Theory and Case Studies, Amsterdam – New York 2009, 1-­‐85 Wolf, Werner, Möglichkeiten terminologischer Übertragung und Adaption: Fallstudienbereich II: von der Metafiktion zur Metapiktoralität, in: Eberlein, Johann, Konrad (Hrsg.), Festschrift für Götz Pochat: zum 65. Geburtstag, Wien 2007, 368 -­‐ 390 Wolf, Werner (Hrsg.) in collaboration with Katharina Bantleon and Jeff Thoss, The Metareferential Turn in Contemporary Arts and Media. Form, Functions, Attempts at Explanation, Amsterdam/New York 2011 Wolf, Werner, The Relevance of Mediality and Intermediality to Academic Studies of English Literature, in: Heusser, Martin, u.a. (Hrsg.), Mediality Intermediality, Tübingen 2008, 15-­‐43 Woods, Alan, Being naked playing dead. The art of Peter Greenaway, Manchester 1996 Zahlten, Johannes, Die Kunsthistoriker und der Film. Historische Aspekte und künftige Möglichkeiten, in: Korte, Helmut/Zahlten, Johannes (Hrsg.), Kunst und Künstler im Film, Braunschweig 1990, 13-­‐20 103 Quellen und Verzeichnisse 2. Filmverzeichnis Verwendete Kurz-­‐ und Experimentalfilme Peter Greenaways INTERVALS, GB 1969, Schwarz-­‐weiß, ... min Nachweis: DVD-­‐Produktion des British Film Institut, Peter Greenaway – Frühe Filme 1, © by absolut MEDIEN WINDOWS, GB 1974, Farbe, 4 min Nachweis: DVD-­‐Produktion des British Film Institut, Peter Greenaway – Frühe Filme 1, © by absolut MEDIEN A WALK THROUGH H – THE REINCARNATION OF AN ORNITHOLOGIST, GB 1978, Farbe, 41 min Nachweis: DVD-­‐Produktion des British Film Institut, Peter Greenaway – Frühe Filme 1, © by absolut MEDIEN VERTICAL FEATURES REMAKE. AN INVESTIGATION INTO THE WORK OF TULSE LUPER BY THE INSTITUTE OF RECLAMATION AND RESTORATION, GB 1978, Farbe, 44 Nachweis: DVD-­‐Produktion des British Film Institut, Peter Greenaway – Frühe Filme 2, © by absolut MEDIEN THE FALLS, GB 1980, Farbe, 187 min Nachweis: DVD-­‐Produktion des British Film Institut, Peter Greenaway – Frühe Filme 2, © by absolut MEDIEN Verwendete Spielfilme Peter Greenaways THE DRAUGHTSMAN’S CONTRACT (Der Kontrakt des Zeichners), GB 1982, Farbe, 103 min Nachweis: Arthaus Collection, Der Kontrakt des Zeichners, © 2007 by Kinowelt Home Entertainment GmbH A ZED AND TWO NOUGHTS (Ein Z und zwei Nullen), GB/NL 1985, Farbe, 112 min Nachweis: Arthaus DVD, Ein Z und zwei Nullen, © 2005 by Kinowelt Home Entertainment GmbH THE BELLY OF AN ARCHITECT (Der Bauch des Architekten), I 1987, Farbe, 105 min Nachweis: Concorde – Classical Selection, Der Bauch des Architekten, © 2005 by Concorde Home Entertainment GmbH THE COOK, THE THIEF, HIS WIFE AND HER LOVER (Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber), GB/FR 1989, Farbe, 119 min Nachweis: Universal DVD, Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber, © 2003 by Universal Studios 104 Quellen und Verzeichnisse PROSPERO’S BOOKS (Prosperos Bücher) FR/NL/GB/JPN 1991, Farbe, 121 min Nachweis: Prospero’s Books (Skandinavische Fassung), © 2010 by Atlantic Film AB 8 ½ WOMEN (8 ½ Frauen) GB/NL/LUX/D 1999, Farbe, 115 min Nachweis: DVD 8 ½ Frauen, © 2007 by absulut MEDIEN NIGHTWATCHING (Nightwatching), NL 2007, Farbe, 138 min Nachweis: DVD Nightwatching (Niederländische Fassung), © 2009 by Video/Film Express B.V. Erwähnte Filme anderer Regisseure (alphabetisch geordnet nach Filmtitel) BEHIND THE SCREEN – Regie: Charly Chaplin, USA 1916 CARAVAGGIO – Regie: Derek Jarman, GB 1986 CHRISTUS – Regie: Giulio Cesare Antamoro, I 1916 HELLZAPOPPIN’ – Regie: Henry Potter, USA 1941 LUST FOR LIFE – Regie: Vincente Minnelli, USA 1956 M.A.S.H – Regie: Robert Altman, USA 1976 MOULIN ROUGE – Regie: John Huston, GB 1952 MY DINNER WITH ANDRÉ – Regie: Louis Malle, USA 1981 OTTO E MEZZO – Regie: Federico Fellini, I 1936 PASSION – Regie: Jean-­‐Luc Godard, FR/SH 1982 PERSONA – Regie: Ingmar Bergman, SWE 1966 STARDUST MEMORIES – Regie: Woody Allen, USA 1980 STRANGER THAN FICTION – Regie: Marc Forster, USA 2006 SUNSET BOULEVARD – Regie: Billy Wilder, USA 1950 THE PURPLE ROSE OF CAIRO – Regie: Woody Allen, USA 1985 THE THOMAS CROWN AFFAIR – Regie: John McTiernan, USA 1999 UN CHIEN ANDALOU – Regie: Louis Bunuel, FR 1929 105 Quellen und Verzeichnisse 3. Abbildungsverzeichnis Abb. 1 Leonardo Da Vinci, Das letzte Abendmahl (L'Ultima Cena), 1495-­‐1498, Santa Maria delle Grazie, Refettorio, Mailand Bildnachweis: www.prometheus-­‐bildarchiv.de Abb. 2 Filmstill aus dem Film M.A.S.H. von Robert Altman, 1976 Abb. 3 Filmstill aus dem Stummfilm Christus von Cesare Antamoro, 1916 Abb. 4 Godfried Schalcken, Mädchen mit Kerze in der Hand, 1570/75, Galleria degli Uffizi Bildnachweis: www.frankzumbach.wordpress.com/category/art/page/64/ Abb. 5 Diego Velazquez, Las Meninas, 1656, Museo del Prado, Madrid Bildnachweis: www.prometheus-­‐bildarchiv.de Abb. 6 Filmstill aus Peter Weibels Film The Endless Sandwich, 1969 Abb. 7 Filmstill aus Prospero’s Books von Peter Greenaway, 1991 Abb. 8 Filmstill aus Prospero’s Books von Peter Greenaway, 1991 Abb. 9 Giovanni Bellini, Doge Leonardo Loredan, 1501-­‐1504, National Gallery, London Bildnachweis: www.prometheus-­‐bildarchiv.de Abb. 10 Filmstill aus Prospero’s Books von Peter Greenaway, 1991 106 Quellen und Verzeichnisse Abb. 11 Antonello da Messina, Der heilige Hieronymus im Gehäuse, 1474, National Gallery, London Bildnachweis: www.prometheus-­‐bildarchiv.de Abb. 12 Filmstill aus Prospero’s Books von Peter Greenaway, 1991 Abb. 13 Michelangelo, Biblioteca Laurenziana, Vestibül, 1523-­‐1559, Florenz Abb. 14 Filmstill aus Prospero’s Books von Peter Greenaway, 1991 Abb. 15 Filmstill aus Prospero’s Books von Peter Greenaway, 1991 Abb. 16 Rembrandt van Rijn, Die Anatomie des Dr. Nicolas Tulp, 1632, Mauritshuis, Den Haag Bildnachweis: www.prometheus-­‐bildarchiv.de Abb. 17 Rembrandt van Rijn, Anatomische Vorlesung des Dr. Deymann 1656, Rijksmuseum, Amsterdam Bildnachweis: www.prometheus-­‐bildarchiv.de Abb. 18 Filmstill aus Prospero’s Books von Peter Greenaway, 1991 Abb. 19 -­‐ 27 Filmstills aus The Draughtsman’s Contract von Peter Greenaway, 1982 Abb. 28 -­‐ 29 Filmstills aus A Zed and two Noughts von Peter Greenaway, 1985 Abb.30 Jan Vermeer, Mädchen mit rotem Hut, um 1656, National Gallery of Art, Washington Bildnachweis: www.prometheus-­‐bildarchiv.de 107 Quellen und Verzeichnisse Abb.31 Jan Vermeer, Die Malkunst (De Schilderconst) 1666/67, Kunsthistorisches Museum, Wien Bildnachweis: www.prometheus-­‐bildarchiv.de Abb. 32 Filmstill aus A Zed and two Noughts von Peter Greenaway, 1985 Abb.33 Jan Vermeer, Die Musikstunde (Herr und Dame am Virginal) 1662-­‐1664, Royal Collection, Buckingham Palace, London Bildnachweis: www.prometheus-­‐bildarchiv.de Abb.34 Jan Vermeer, Das Konzert, 1665/66, Isabella Stewart Gardner Museum, Boston Bildnachweis: www.prometheus-­‐bildarchiv.de Abb. 35 Filmstill aus A Zed and two Noughts von Peter Greenaway, 1985 Abb.36 Hiroshi Sugimoto, The Music Lesson, 1999, Deutsche Guggenheim Berlin, Berlin Bildnachweis: www.prometheus-­‐bildarchiv.de Abb. 37 Filmstill aus A Zed and two Noughts von Peter Greenaway, 1985 Abb. 38 Filmstill aus The Draughtsman’s Contract von Peter Greenaway, 1982 Abb. 39 Filmstill aus The Belly of an Architect von Peter Greenaway, 1987 Abb. 40 -­‐ 41 Filmstills aus 8 ½ Women von Peter Greenaway, 1999 Abb.42 Jan Vermeer, Der Geograf, 1668/69, Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt am Main Bildnachweis: www.prometheus-­‐bildarchiv.de 108 Quellen und Verzeichnisse Abb.43 Jan Vermeer, Der Astronom, 1668, Musée du Louvre, Paris Bildnachweis: www.prometheus-­‐bildarchiv.de Abb. 44 -­‐ 45 Filmstills aus A Zed and two Noughts von Peter Greenaway, 1985 Abb. 46 -­‐ 55 Filmstills aus The Belly of an Architect von Peter Greenaway, 1987 Abb.56 Étienne-­‐Louis Boullée, Kenotaph für Newton, Tagesansicht, 1784, Bibliothèque Nationale de France, Paris Bildnachweis: www.prometheus-­‐bildarchiv.de Abb.57 Étienne-­‐Louis Boullée, Kenotaph für Newton, Detail: Aufriss mit Nachtseffekt im Innenraum, 1784, Bibliothèque Nationale de France, Paris Bildnachweis: www.prometheus-­‐bildarchiv.de Abb. 58 (1,2) Filmstills aus The Cook, the Tief, his Wife and her Lover von Peter Greenaway, 1989 Abb. 59 -­‐ 67 Filmstills aus The Cook, the Tief, his Wife and her Lover von Peter Greenaway, 1989 Abb. 68 Frans Hals, Das Festmahl der Offiziere der St. Georgs-­‐Schützengilde, 1616, Frans Hals-­‐Museum, Haarlem Bildnachweis: www.prometheus-­‐bildarchiv.de Abb. 69 -­‐ 70 Filmstills aus The Cook, the Tief, his Wife and her Lover von Peter Greenaway, 1989 Abb. 71 – 76 Filmstills aus 8 ½ Women von Peter Greenaway, 1999 109 Quellen und Verzeichnisse Serienabbildungen: Serie 1 Filmstills aus The Draughtsman’s Contract von Peter Greenaway, 1982 Serie 2 Filmstills aus A Zed and two Noughts von Peter Greenaway, 1985 Serie 3 Filmstills aus A Zed and two Noughts von Peter Greenaway, 1985 Serie 4 Filmstills aus A Zed and two Noughts von Peter Greenaway, 1985 Serie 5 Filmstills aus The Belly of an Architect von Peter Greenaway, 1987 Serie 6 Filmstills aus The Belly of an Architect von Peter Greenaway, 1987 110 Bildteil BILDTEIL Abb. 1
Abb. 2
Abb. 3
111 Bildteil Abb. 7
Abb. 8
Abb. 9
Abb. 10
112 Bildteil Abb. 11
Abb. 12
Abb. 13
Abb. 14
Abb. 13
Abb. 15
113 Bildteil Abb. 16
Abb. 17
Abb. 18
114 Bildteil Abb. 19
Abb. 20
Abb. 21
115 Bildteil Abb. 22
Abb. 23
Abb. 24
116 Bildteil Serie 1
117 Bildteil Abb. 25
Abb. 26
Abb. 27
118 Bildteil Abb. 28
Abb. 29
Abb. 30
119 Bildteil Abb. 31
Abb. 32
120 Bildteil Serie 2
121 Bildteil Abb. 33
Abb. 34
Serie 3
122 Bildteil Abb. 35
siehe Abb. 33
Abb. 36
Abb. 37
123 Bildteil Abb. 38
Abb. 39
Abb. 40
Abb. 41
124 Bildteil Serie 4
125 Bildteil Abb. 42
Abb. 43
Abb. 44
Abb. 45
126 Bildteil Abb.46
Abb. 47
Abb. 48
127 Bildteil Abb.49
Abb. 50
Abb. 51
128 Bildteil Abb.52
Abb. 53
Abb. 54
129 Bildteil Abb.55
Abb. 56
Abb. 57
130 Bildteil Serie 5
131 Bildteil 1
2
3
4
5
6
Serie 6
132 Bildteil Abb. 58 (1,2)
Abb. 59
133 Bildteil Abb. 60
Abb. 61
Abb. 62
Abb. 63
134 Bildteil Abb. 64
Abb. 65
Abb. 66
Abb. 67
135 Bildteil Abb. 68
Abb. 69
Abb. 70
136 Bildteil Abb. 71
Abb. 72
Abb. 73
137 Bildteil Abb. 74
Abb. 75
Abb. 76
138