CASSIAN-PROJEKT MÜNSTERSCHWARZACH

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CASSIAN-PROJEKT MÜNSTERSCHWARZACH
CASSIAN-PROJEKT MÜNSTERSCHWARZACH
Johannes Cassianus (ca. 360-435)
Fest in der Orthodoxen Kirche: 29. (28.) Februar
Gedenktag in den Westlichen Kirchen: 23. Juni
Gewährsmann des hl. Benedikt
Von Cassiodor († ca. 580) an empfehlen die großen Ordensgründer
Cassian als Gewährsmann für ein Mönchsleben in der Nachfolge des
hl. Antonius: Benedikt erklärt in Kap. 42 und Kap. 73 seiner Regel
Cassian zur Pflichtlektüre der Mönche. Im 20. und 21. Jahrhundert greifen unterschiedlichste
Autoren Teilaspekte der Spiritualität Cassians auf. Oft genug wurde und wird der Name
Cassians jedoch verschwiegen. In der Alten Kirche gab es Gründe, Cassians Namen nicht zu
erwähnen, da er zeitweise der Irrlehre beschuldigt und gegen Augustinus ausgespielt wurde.
Verborgen wie die Quellen des Nil
Durch die Jahrhunderte hindurch entfaltete sich die Wirkungsgeschichte Cassians wie ein
unterirdischer Strom, dessen Quellen verborgen sind. Cassians Spiritualität hat jedoch solchen
Eingang in das westliche geistliche Leben gefunden, dass sein Name schon gar keine Rolle
mehr spielt. Anders gesagt: In unseren – vermeintlich modernen – Fragen nach dem
individuellen und authentischen inneren Weg kommen wir zu Einsichten, die bei Cassian
vorformuliert sind.
Herkunft und Wirken Cassians
Cassian stammte wohl aus dem Gebiet von Marseille, er lernt in Bethlehem und bei den
Mönchen Ägyptens klösterliches Gemeinschaftsleben und das Leben der Eremiten kennen. In
Rom setzt er sich für seinen verehrten Lehrer Johannes Chrysostomus ein. Dieser war am
kaiserlichen Hof in Ungnade gefallen, weil er die Prunksucht der Kaiserin kritisierte. Über
seinen Lehrer schreibt Johannes Cassian: „Von Bischof Johannes in den heiligen Dienst
aufgenommen, bin ich mit dem Herzen (lat. affectu) dort [in Konstantinopel].“
Charakteristisch für Cassian ist, dass er zwar starke Prägezeiten durchlebte und sich voll und
ganz darauf einließ, er aber nicht einfach nur ein Nachkömmling irgendeiner Strömung ist.
Vielmehr entstanden seine Schriften als Ergebnis gelebter Spiritualität, aus durchlebten
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Cassian-Projekt Münsterschwarzach
Konflikten, auf dem Fundament von Begegnungen und Erfahrungen. Sein Lebenswerk
vollendete er mit der Gründung eines Frauen- und Männerklosters in Marseille, heute St.
Victor Marseille.
Spirituelle Sinnbilder
Cassian übermittelt dem lateinischen Westen die
östlich-orientalische Tradition der Mönche Ägyptens
und Palästinas in all ihrer Herbheit und Subtilität. Die
Mönche, aber auch Frauen dieser Zeit, die sich
konsequent vom Karriere und Besitz abwandten,
kämpften mit ungeordneten Neigungen ihrer Seele,
mit
Lastern
und
Leidenschaften,
mit
der
Gedankenmühle im Kopf, der Gier nach „immer mehr“, sei es Nahrung, Macht, „lifestyle“
oder dem Haschen nach frommer Erhebung und Visionen. Nicht nur für Mönche, Theologen
oder Historiker, auch für Therapeuten und spirituell Suchende bietet Cassian wesentliche
Wegweisung.
Das Cassian-Projekt Münsterschwarzach
Die einzige deutsche vollständige Übersetzung der Werke des Johannes Cassianus erschien
in der Bibliothek der Kirchenväter (BKV) 1879. Das Vorwort dieser Ausgabe warnt noch vor
den gefährlichen Aussagen des Cassian. Teile seines Hauptwerkes, die Collationes Patrum
(Gespräche mit den Vätern) und De Institutis Coenobiorum (Regeln und Einrichtungen der
Könobiten), wurden von verschiedenen Autoren fragmentarisch übersetzt oder interpretiert.
Um jedoch ein Gesamtbild der Theologie und Spiritualität Cassians zu vermitteln, muss die
Anweisung des hl. Benedikt befolgt werden: Cassian kontinuierlich und im Zusammenhang
lesen.
Im Rahmen des Cassian-Projekts stellen die Benediktiner-Abtei Münsterschwarzach in
Zusammenarbeit mit der Benediktiner-Erzabtei St. Martin Beuron und Gabriele Ziegler sich
dieser Herausforderung und legen ab Ende 2010 eine Übersetzung der Collationes vor. Sie
wird im Vier-Türme-Verlag, dem Verlag der Mönche von Münsterschwarzach, in mehreren
Bänden erscheinen. Zur Vorbereitung dieser Edition wird eine Hinführung zu Werk und
Spiritualität des Johannes Cassianus in das Verlagsprogramm aufgenommen. Gabriele Ziegler
ist promovierte Patrologin mit den Schwerpunkten Alte Sprachen, Spätantike und
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Frühmittelalter, Spiritualität der Alten Kirche im Dialog mit der Psychoanalyse der
Gegenwart.
Exempla docent
Cassian folgt in seinem Werk dem Motto: „Exempla docent“ – „Beispiele lehren.“ In den
Gesprächen und Beispielen ist ein ganzer spiritueller Lehrplan enthalten, aber so verständlich
und wie nebenbei, dass der Leser gar nicht bemerkt, wie viel an rhetorischer, theologischer
und
geistlicher
Meisterschaft
dahintersteckt.
Ob
einzelne
Episoden
oder
große
Zusammenhänge – wer einmal mit der Lektüre begonnen hat, findet genug zum Nachdenken.
Immer wieder streut Cassian in den Text griechische Sprichwörter und Zitate ein, viele
Gespräche in Ägypten dürfte er in koptischer Sprache geführt haben.
Worte wie Koans
An den Höhepunkten seiner Ausführungen zum geistlichen Leben formuliert Cassian Worte,
die dem Koan sehr nahe kommen. Einige Meister-Worte:
„Niemand ist dein Feind – außer du selbst bist dein Feind.“
„Gipfelpunkte sind Fallgruben.“
„Du willst deinen Weg finden? – Verlasse deinen Weg!“
Immerwährendes Gebet
Ebenso schlicht wie wirkungsvoll ist Cassians Weisung, in jeder Situation zur Beruhigung der
Gedanken im Rhythmus des Atems das immerwährende Gebet zu meditieren:
„O Gott, komm mir zu Hilfe.
Herr, eile, mir zu helfen.“
Mehr zu Johannes Cassian
GABRIEL BUNGE, Auf den Spuren der heiligen Väter, Weisungen der Väter 1, Beuron 2006
ANTOINE GUILLAUMONT, An den Wurzeln des christlichen Mönchtums, Weisungen der Väter
4, Beuron 2007
GEORGES DESCŒUDRES, Der Mönch und das Bild, in: Beat Brenk (Hrsg.): Innovation in der
Spätantike, Wiesbaden 1996.
GABRIELE ZIEGLER, Auf sich achten – Grundhaltungen des geistlichen Begleiters, in: George
Augustin/Günter Riße (Hg.), Die eine Sendung – in vielen Diensten, Paderborn 2003
GABRIELE ZIEGLER, Rufer aus der Wüste, in: Ferment3/2008, CH-Gossau
GABRIELE ZIEGLER, Einen geistlichen Lehrer wiederentdecken, in: BEURONER FORUM
EDITION 2010, Berlin 2010.
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Bildnachweise
Titelbild der Beuroner Reihe „Weisungen der Väter“.
Die Väter der Mönche: Antonius, Benedikt und Johannes Cassianus
© Beuroner Kunstverlag
Ornamentales Keuz mit der griechischen Inschrift: Jesus Christus siegt [über den Tod]
Wandmalerei in den Kellia, Mönchssiedlung in Unterägypten, gegr. 338
© Georges Descœudres
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