Junge Frauen haben keine Ahnung (stern.de)

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Junge Frauen haben keine Ahnung (stern.de)
Junge Frauen haben keine Ahnung (stern.de)
Hans-Martin Tillack | 15. Juni 2009 19:39 Uhr
Heute war ich als Experte zu einer Anhörung im Innenausschuss des Bundestages geladen.
Zum Glück bin ich ein Mann, schon ein bisschen älter und graumelierter. Sonst hätte meine
Meinung wahrscheinlich genauso wenig interessiert wie die der wohl besten Sachkennerin in
der Runde.
Der Innenausschuss hatte Sachverständige geladen, die erklären sollten, wie sich die
wuchernde Berliner Lobbyszene besser kontrollieren lasse. Weil ich darüber in meinem neuen
Buch einiges geschrieben hatte, schlug mich der SPD-Abgeordnete Michael Hartmann als
Teilnehmer vor (ich gehöre seiner Partei übrigens weder an, noch stehe ich ihr übertrieben
nahe).
Ebenfalls nominiert und zwar von der Linkspartei war Heidi Klein von der Kölner
Organisation Lobbycontrol. Die wirbt seit einigen Jahren mit Verve für ein Lobbyregister
nach dem Muster der USA, in dem Firmen offen legen müssten, wie viel Geld sie ausgeben,
um die Politik zu beeinflussen. Und Lobbycontrol verlangt Abkühlfristen für scheidende
Minister, innerhalb der die ehemaligen Amtsinhaber nicht ohne jedes Federlesen neue Jobs in
der Wirtschaft annehmen dürfen. So wie das auch in den USA, Großbritannien und anderen
entwickelten Demokratien nicht so einfach erlaubt ist wie bei uns.
Klein kennt sich also sehr gut aus, wurde aber während der zweistündigen Anhörung
praktisch nie etwas gefragt. Vielleicht weil der Linkspartei-Abgeordnete Wolfgang Neskovic
einen Großteil der Zeit in einem anderen Ausschuss weilte. Vielleicht auch, weil die anderen
Experten männlicher und grauhaariger waren als die 31-jährige Klein. Genauere Kenntnisse
der Lobbygesetzgebung in den USA oder in anderen EU-Staaten hatten nicht alle.
Trotzdem war es interessant zu hören, dass selbst der ehemalige Staatssekretär im
Innenministerium, Johann Hahlen, ein verpflichtendes Lobbyregister unterstützte. Die CDU
hat damit bisher noch Schwierigkeiten.
Ebenfalls aufschlussreich, dass auch der Vizepräsident des Bundesrechnungshofes, Norbert
Hauser, gesetzlich festgelegte so genannte Karenzzeiten für ausscheidende Minister guthieß.
Damit würde Deutschland endlich Forderungen des Europarats erfüllen. Und dem Beispiel
eines Landes wie Großbritannien folgen, wo es nicht ohne weiteres möglich wäre, erst als
Regierungschef den Bau einer Gaspipeline zu befördern – und gleich danach in den Dienst
der Pipelinegesellschaft zu treten. So wie das unser Ex-Kanzler Gerhard Schröder tat.
Die Verfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt sieht angesichts solcher
Konstellationen ernsthaft die „Gefahr“, dass sich Politiker an den Anliegen großer
Unternehmen ausrichten – obwohl sie doch dem Allgemeinwohl verpflichtet sein sollten.
Sowohl die frühere rot-grüne Koalition wie auch die heute amtierende Große Koalition
lehnten Abkühlzeiten für Minister bisher trotzdem ab.
Die Abgeordnete Gesine Lötzsch von der Linkspartei bekam erst dieser Tage eine Abfuhr,
von Seiten des CDU-geführten Innenministeriums. Lötzsch wollte wissen, ob die Mitglieder
der Bundesregierung bereit seien, eine Selbstverpflichtung einzugehen, „bis zu fünf Jahre
nach ihrem Ausscheiden aus der Bundesregierung keinen Vorstands- oder Aufsichtsratsposten
in Banken, Versicherungen oder anderen Unternehmen anzunehmen, die mit Steuermitteln
vor der Insolvenz gerettet werden mussten“.
Die Frage schien hoch berechtigt. Doch Staatssekretär Hans Bernhard Beus aus Wolfgang
Schäubles Innenministerium ließ Lötzsch abblitzen. „Nach dem Ausscheiden aus dem Amt“
gebe es keine „Inkompatibilität“ mit Firmeninteressen mehr, „so dass Tätigkeiten beruflicher
oder anderer Art zulässig sind“. Es bleibe den Ex-Ministern selbst überlassen, über neue
Jobangebote zu entscheiden.
Problembewusstsein: Offenbar null. Wie auch immer. Bestimmt lag es nicht daran, dass sein
Minister selbst ein älterer Mann ist, der sich langsam Gedanken machen muss, was nach der
Ministerzeit noch kommt.