Schiller und das Recht

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Schiller und das Recht
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Autorin: Limbach, Jutta.
Titel: Schiller und das Recht.
Quelle: Ulrich Ott (Hrsg.) Marbacher Schillerreden. Marbach am Neckar 2001.
Verlag: Deutsche Schillergesellschaft.
Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Autorin und der deutschen
Schillergesellschaft.
Jutta Limbach
Schiller und das Recht
Wer bei dem Thema >Schiller und das Recht< seinen Assoziationen freien Lauf läßt,
findet schnell den einen oder anderen Anknüpfungspunkt. Idealisten fällt prompt der an
Philipp II. gerichtete Appell des Marquis von Posa »Sire, geben Sie Gedankenfreiheit!«
ein. Überhaupt scheint das Drama >Don Carlos< ein probater Text für eine
Verfassungsrichterin zu sein. Thematisiert es doch neben der Einsamkeit der Macht die
Postulate der Freiheit und Gleichheit. War nicht >Don Carlos< so etwas wie ein
literarisches Wetterleuchten unmittelbar vor der Französischen Revolution und der
Deklaration der Menschen- und Bürgerrechte?
Als allgemein menschlicher Anknüpfungspunkt für das Thema >Schiller und das Recht<
empfiehlt sich das Verbrechen. Denn kaum ein Drama ist davon frei. Auch die Friedrich
Schillers nicht. Dieser wußte nur zu gut, daß in der »Geschichte des Menschen ... kein
Kapitel unterrichtender für Herz und Geist (ist) als die Annalen seiner Verirrungen«. Wer
dächte nicht sofort an Schillers Erstling >Die Räuber<? Lädt doch dieses Schauspiel, in
dem beide Brüder schuldig werden, wie kein anderes zum rechtsphilosophischen
Räsonieren über Verbrechen, Schuld und Sühne ein.
Statt dem Zufall folgend in unserem literarischen Gedächtnis herumzukramen, können wir
uns von Schiller an die Hand nehmen lassen. Denn er öffnet uns selbst den Zugang zu
dem Thema. Wie kaum ein anderer Dichter hat Schiller sein künstlerisches Schaffen offen
reflektiert. Er war davon überzeugt, daß das Schauspiel und das Theater eine öffentliche
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Aufgabe versehen. In seinem Vortrag >Die Schaubühne als eine moralische Anstalt
betrachtet< legt er mit pädagogischer Leidenschaft dar, daß die Schaubühne »mehr als
jede andere öffentliche Anstalt des Staats eine Schule der praktischen Weißheit, ein
Wegweiser durch das bürgerliche Leben« sei. Denn sie vereinige die Bildung des
Verstandes und des Herzens mit der edelsten Unterhaltung.
Schiller greift in seinem Vortrag einleitend eine Bemerkung auf, laut der die Religion die
festeste Säule eines Staates sei. Ohne sie verlören selbst die Gesetze ihre Kraft. Wir
diskutieren diese These heute in der Lesart von Ernst-Wolfgang Böckenförde, daß der
freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren
kann. Und auch wir verweisen in diesem Zusammenhang auf Ethik, Moral und Religion.
Die Angewiesenheit der politischen Gesetze auf außerrechtliche Stützkräfte, so
argumentiert Schiller, bestimme auch den sittlichen Einfluß der Bühne. So knüpfe die
Religion im Gegensatz zum staatlichen Gesetz nicht nur an der äußeren Tat an. Vielmehr
setze sie »ihre Gerichtsbarkeit bis in die verborgensten Winkel des Herzens fort und
verfolge den Gedanken bis an die innerste Quelle«.
Wie aber würden Religion und Gesetze in ihrer den Staat stützenden Wirksamkeit noch
verstärkt, wenn sie mit der Schaubühne in einen Bund träten? Dort ist der Ort, so wörtlich
Schiller, »wo Anschauung und lebendige Gegenwart ist, wo Laster und Tugend,
Glückseligkeit und Elend, Thorheit und Weisheit in tausend Gemählden faßlich und wahr
an dem Menschen vorübergehen, wo die Vorsehung ihre Räzel auflößt, ihren Knoten vor
seinen Augen entwickelt, wo das menschliche Herz auf den Foltern der Leidenschaft
seine leisesten Regungen beichtet, alle Larven fallen, alle Schminke verfliegt und die
Wahrheit unbestechlich ... Gericht hält.«
Trotz der bildhaften Sprache geht es Schiller nicht darum, ein Unterhaltungsbedürfnis zu
befriedigen. Dieses ist ihm nur ein willkommenes Mittel zu einem höheren Zweck. In der
Sprache Schillers soll sich Vergnügen mit Unterricht, Kurzweil mit Bildung gatten. Durch
die Erfahrung der Kunst soll der Betrachter lernen, was gerecht und was schlecht ist in der
Welt. Die Gerichtsbarkeit der Bühne ist für Schiller ein Gegenprogramm zu der käuflichen
Justiz in einem autoritären, das Individuum nicht achtenden Staat. Schiller hat diesen
bekanntlich am eigenen Kopf und Leib erfahren.
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Die Schaubühne soll Schwert und Waage der Justitia übernehmen, wenn in der
Rechtswirklichkeit »die Gerechtigkeit für Gold verblindet, und im Solde der Laster
schweigt«. Denn dieser stehen das Reich der Phantasie und der Geschichte offen:
»Kühne Verbrecher, die längst schon im Staub vermodern, werden durch den allmächtigen Ruf
der Dichtkunst jezt vorgeladen und wiederholen zum schauervollen Unterricht der Nachwelt ein
schändliches Leben ... Wenn keine Moral mehr gelehrt wird, keine Religion mehr Glauben
findet, wenn kein Gesez mehr vorhanden ist, wird uns Medea noch anschauern, wenn sie die
Treppen des Palastes herunter wankt und der Kindermord jezt geschehen ist. Heilsame
Schauer werden die Menschheit ergreifen, und in der Stille wird jeder sein gutes Gewissen
preißen, wenn Lady Makbeth, eine schreckliche Nachtwandlerin, ihre Hände wäscht und alle
Wohlgerüche Arabiens herbeiruft, den häßlichen Mordgeruch zu vertilgen.«
Das unbedingte Vertrauen Schillers in die unverwüstliche - das Ende von Moral und
Religion überdauernde - Kraft der Schaubühne mag diktaturerfahrenen Menschen naiv
erscheinen. Aber ist nicht gerade in Zeiten totalitärer Herrschaft die Kunst die letzte
Zuflucht, in der wir eine schreckliche Wirklichkeit hinwegträumen? Sind dann nicht Kunst
und Literatur die Medien, in denen die Menschen - mehr oder minder verschlüsselt - das
zerrüttete Staatswesen kritisieren und Gegenentwürfe zeichnen können? Eine
»metaphernschlaue Umgehungssprache«, so die aus der DDR stammende Künstlerin
Heidrun Hegewalt, eröffnet in Zeiten der Unfreiheit Spielräume für Phantasie und Denken,
ohne den Mißbrauch staatlicher Gewalt direkt benennen zu müssen. Auffallend und nicht
verabredet hätten griechische Mythen, biblische Stoffe und die christliche Ikonographie
Themen und Motive in der Kunst der DDR bestimmt. Ȇber die Tiefe der geschichtlichen
Ferne wurden Dimensionen aufgezeigt: Unverlebte Moral und humanistische Weisheit, die
im Auf und Ab der Menschheitsentwicklung unbeschädigt blieben...«.
Bei aller Hoffnung, die Schiller in die moralische Wirkkraft der Kunst setzt, bleibt er ein
Realist. Er weiß, daß Karl Moors unglückliche Räubergeschichte die Landstraßen nicht
sicherer macht. Doch macht uns die Bühne, so Schiller, mit Schicksalen der Menschheit
bekannt, sie lehrt uns gerechter gegen den Unglücklichen zu sein und nachsichtsvoller
über ihn zu richten. Denn nur, wenn wir »die Tiefe seiner Bedrängnisse ausmessen,
dörfen wir das Urtheil über ihn aussprechen.« Beispielhaft hat Schiller diese Einsicht zwar
nicht in einem Schauspiel, aber in der Erzählung >Der Verbrecher aus verlorener Ehre<
herausgearbeitet.
Diese auf historischem Vorbild beruhende Kriminalgeschichte erzählt das Schicksal eines
Christian Wolf, der aus armseligen Verhältnissen stammend und durch sein abstoßendes
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Äußere doppelt zurückgesetzt, das durchlebt, was wir heute als eine kriminelle Karriere
bezeichnen würden. Um sich die von ihm umworbene Frau durch Geschenke geneigt
machen zu können, verschafft er sich Mittel durch Wilderei. Die Wachsamkeit seines
Nebenbuhlers, der Jägerbursche des Försters ist, bringt ihn wiederholt vor das Gericht.
Die Richter ahnden diese Mißachtung eines Privilegs der Adligen mit unbarmherziger,
sich jeweils steigernder Strenge. Sie urteilen unbekümmert um die Seelenlage und die
widrigen Lebensumstände des Angeklagten. In den Worten Schillers: »Die Richter
sahen in das Buch der Gesetze, aber nicht einer in die Gemütsverfassung des
Beklagten.«
Durch die mit übertriebener Härte bestraften Jugendsünden und die dadurch erlittene
Schmach wird er zum Außenseiter in der Vaterstadt. Eine dreijährige Festungshaft wirft
ihn vollends aus der Bahn. Er verläßt das Zuchthaus, das er als Verirrter betrat, als ein
Verbrecher. Um in dieser von der Außenwelt abgeschotteten Subkultur von Dieben und
Mördern überleben zu können, macht er sich mit diesen gemein und gewöhnt sich
»endlich an das Abscheulichste«. Zurückgekehrt aus der Haft wird er von seiner Umwelt
wie ein Aussätziger behandelt. Nach dem Mord an seinem Nebenbuhler schließt er sich
einer Räuberbande an und wird deren Hauptmann. Diese macht die Landstraßen unsicher
und beunruhigt durch nächtliche Einbrüche die Bürger. Christian Wolf wird schließlich zum
Schrecken des Landvolks.
Doch er erträgt die Gesetz- und Sittenlosigkeit seiner Kumpane nur kurze Zeit. Das
verstummte Gewissen findet seine Sprache wieder. Die Reue treibt ihn um. Der Ausbruch
des Siebenjährigen Kriegs läßt ihn hoffen, sich als Soldat für sein Vaterland verdient
machen zu können und auf diese Weise Gnade zu erlangen. Seine Bittschriften an den
Fürsten bleiben jedoch ohne Antwort. Gleichwohl verläßt er heimlich die Räuberbande. Es
gelingt ihm nicht, die während des Krieges streng bewachten Landesgrenzen zu
überschreiten und im gegnerischen Heer anzuwerben. Er wird ein letztes Mal verhaftet
und stirbt von der Hand des Henkers. - Das ist - sehr kurz, sehr frei nach Schiller - der
Abriß der äußeren Begebenheiten. Schillers besondere Aufmerksamkeit ist den
Antriebskräften und Gemütsbewegungen zugewandt, die das äußere Geschehen
bestimmt haben.
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Diese kleine im Jahre 1785 entstandene Kriminalgeschichte weist Schiller nicht nur als
begnadeten Erzähler, sondern zugleich als feinnervigen Menschenforscher und
Justizkritiker aus. Schiller hat diese Erzählung in sozialkritischer Absicht verfasst. Er lenkt
die Aufmerksamkeit auf den Seelenzustand des Täters und die diesen beeinflussenden
Faktoren. Diese erschöpfen sich nicht in einer angeborenen Gemütsarmut und
Charakterschwäche. Gerade diesem noch heute geläufigen Vorurteil will Schiller
entgegenwirken, indem er seine Aufmerksamkeit den individuellen Lebensverhältnissen
des Straftäters zukehrt. Er berichtet, wie der Jüngling durch Leidenschaft, Unwissenheit
und ein zerrüttetes Hauswesen zum Wilddieb wird und erstmals in die Fänge der Justiz
gerät.
»Drückendes Gefühl des Mangels gesellte sich zu beleidigtem Stolze, Not und Eifersucht
stürmen vereinigt auf seine Empfindlichkeit ein« und nicht zuletzt der Hunger verleiten ihn
ein zweites Mal zur Wilderei.
Christian Wolf erfährt nicht nur die ganze Schärfe der Gesetze, sondern überdies eine
Justiz, die als Strafzweck nur die Vergeltung kennt. Die Richter sehen sich vorzugsweise
als Sachwalter einer feudalen, auf Privilegien gegründeten Gesellschaft. »Die
Zeitrechnung meiner Verbrechen«, so schreibt Christian Wolf später in einer Bittschrift an
seinen Fürsten, »fängt mit dem Urteilsspruch an, der mich auf immer um meine Ehre
brachte. Wäre mir damals die Billigkeit minder versagt worden, so würde ich jetzt vielleicht
keiner Gnade bedürfen.« Doch der Straftäter als Mensch, der Hintergrund seines
Verhaltens und seine soziale Lage interessieren die Richter nicht. Statt zu überlegen, wie
man ihn durch die Strafe und nach der Strafe wieder in die Gesellschaft eingliedern kann,
schloß man ihn bewußt aus: Nach dem zweiten Rückfall wird ihm das Zeichen des
Galgens auf den Rücken gebrannt. Der so stigmatisierte Wilddieb fühlt sich als
Schlachtopfer der Gesetze und kündigt diesen nunmehr jeglichen Gehorsam auf.
In seiner Analyse des Werdegangs des Räuberhauptmanns nimmt Schiller unter dem
Stichwort Seelenlehre spätere Einsichten der Entwicklungs- und Sozialpsychologie, der
Kriminologie und Rechtsphilosophie vorweg. Es hat fast zweier Jahrhunderte bedurft, bis
sich das Strafrecht den Einsichten der modernen Humanwissenschaft geöffnet hat. Zwar
wird seit dem Altertum über den Zweck der Strafe nachgedacht. Doch erst unter dem
Eindruck der Menschenrechte und der Erkenntnisse der empirischen Wissenschaften hat
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sich das Verständnis von der Aufgabe des Strafrechts grundlegend gewandelt. Das
neuzeitliche Strafrecht gehorcht nicht nur dem Prinzip der Vergeltung. Ausgangspunkt der
modernen Strafrechtspflege ist das Bekenntnis zur Unantastbarkeit der Menschenwürde.
Dieses schützt den Verbrecher vor grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden
Strafen. Vor allem muß jede Strafe, so ausdrücklich das Bundesverfassungsgericht, in
einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Straftat und zur Schuld des Täters stehen.
Dieser darf nicht unter Mißachtung seines Menschseins zum bloßen Objekt der
Verbrechensbekämpfung gemacht werden.
Die Strafjustiz ist heute bestrebt, verschiedene Strafzwecke in ein ausgewogenes
Verhältnis zu bringen. Zuallererst sind die elementaren Werte des Gemeinschaftslebens
zu schützen, das Leben, die Gesundheit, die Freiheit und das Eigentum. Neben diesem
Schutz der Rechtsgüter werden auch der Schuldausgleich, Sühne und Vergeltung für
begangenes Unrecht als Sinn staatlichen Strafens genannt. Die Aufgabe der Strafe und
insbesondere des Strafvollzugs besteht aber vor allem darin, den Straftäter wieder zu
einem brauchbaren Mitglied der Gesellschaft zu machen. Gemeint sind damit - laut dem
Bundesverfassungsgericht - Maßnahmen, die den Straftäter auf die Rückkehr in die
Freiheit vorbereiten und seinen Willen stärken, sich künftig ohne Rechtsbruch in der freien
Gesellschaft zu behaupten. Diese müsse allerdings auch ihrerseits bereit sein, ihn wieder
aufzunehmen.
In Schillers Erzählung >Der Verbrecher aus verlorener Ehre< wirken eine überreagierende
Strafjustiz und eine vorurteilsbefangene soziale Umwelt unheilvoll zusammen. Im Einklang
mit Schillers Alltagspsychologie gewissermaßen bereichert uns die moderne Kriminologie
um die Einsicht, daß die soziale Herkunft, ökonomische und gesellschaftliche
Benachteiligung mitursächlich für strafbares Verhalten sind. Zu unserem
Erfahrungsschatz gehört vor allem das Wissen über die kriminalitätsfördernde Wirkung
des Strafvollzugs: Die Zuchthäuser waren weniger Ort der Sühne als Brutstätten des
Verbrechens. Gegenwärtig stellen vor allem die überfüllten Gefängnisse Europas die
resozialisierende Wirkung des Strafvollzugs in Frage. Auch die Tatsache, daß die
Freiheitsstrafe - vor allem bei Erst- und jugendlichen Straftätern - eher kontraproduktiv
wirkt, ist eine Triebfeder rechtspolitischer Aktivitäten. Unter der Ägide des Europarats wird
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über eine moderne Sanktionspraxis nachgedacht, die den Einzelnen als Persönlichkeit
achtet und an dessen sozialer Verantwortlichkeit ansetzt.
Doch kehren wir zurück zu Schiller und seiner Kriminalgeschichte. Diese endet abrupt mit
einem Geständnis. Die Menschlichkeit des Oberamtmanns, der Christian Wolf »mit
Anstand und Mäßigung« verhört, lösen seine Zunge. Der Erzähler überläßt es seinen
Lesern und Leserinnen, das Für und Wider abzuwägen und über Christian Wolf zu richten.
Jedenfalls wolle er nicht - so Schiller - durch einen hinreißenden Vortrag das Herz seines
Lesers bestechen und die republikanische Freiheit des lesenden Publikums beleidigen.
Denn diesem komme es zu, selbst zu Gericht zu sitzen.
Wie in seiner theoretischen Schrift zur Schaubühne als moralischer Anstalt offenbart sich
Schiller hier als Aufklärer und Erzieher. Er will durch seine Erzählung Nachdenklichkeit
auslösen. Sein Eifer zielt nicht auf den politischen Wandel, gar auf die Revolution.
Schillers Angriffspunkt ist nicht das staatliche Ordnungsgefüge, sein Leitziel ist die
sittliche Würde des Menschen. Für Startversuche in die Demokratie in Deutschland war
die Zeit noch lange nicht reif. Denken wir an das unglückliche Ende der 1848 versuchten
Revolution. Schiller will die autokratischen Potentaten seiner Zeit nicht verabschieden. Er
möchte sie wie das Volk durch Kunst von den Ketten ihrer Vorurteile befreien und sie zu
richtigeren Begriffen, geläuterten Grundsätzen und reineren Gefühlen anregen.
Das ist eine zeitlose Aufgabe. Denn auch heute spielen in der Strafjustiz
Kriminalitätsfurcht und Vorurteile der Bevölkerung eine große Rolle. Der Glaube belebt
sich stets aufs neue, daß strenge Gesetze, drakonische Strafen und hartes Durchgreifen
das beste Mittel seien, mit Straftätern fertig zu werden. Das Plädoyer für ein humanes
Strafrecht, das die soziale Verantwortlichkeit sowohl des Straftäters als auch der
Gesellschaft herausfordert, wird dagegen gern als Humanitätsduselei und
Lebensfremdheit abgetan.
Schiller war - was sein Verhältnis zum Recht betrifft - ein Idealist und alles andere als ein
Legalist. Tadelte er doch gerade, daß die Richter nur in das Buch der Gesetze und nicht in
das Gemüt des Beklagten schauten. Die Gesetze sind für Schiller zeitbedingtes,
interessenbestimmtes und mitunter auch ungerechtes Menschenwerk. Die
Zuchthausstrafe für Wilderei - weit davon entfernt, schuldangemessen zu sein - war eine
Sanktion für ein fragwürdiges Adelsprivileg. Schiller interessiert weniger das Strafrecht als
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vielmehr das Spannungsfeld, in dem es wirkt, nämlich das Verhältnis von strafendem
Staat, Gesellschaft und Individuum. Die Straftat ist für ihn sowohl ein gesellschaftliches
als auch ein menschliches Problem. Der Straftäter ist kein »Geschöpf fremder Gattung ...,
dessen Blut anders umläuft als das unsrige«. Er war vielmehr - so Schiller - »in eben der
Stunde, wo er die Tat beging, so wie in der, wo er dafür büßet, Mensch ... wie wir«.
In dieser aufklärerischen Absicht, den Menschen mit dem Menschen bekannt zu machen
und das geheime Räderwerk aufzudecken, nach dem er handelt, begegnen sich Schillers
Vortrag über die Aufgabe der Schaubühne und seine Kriminalgeschichte >Der Verbrecher
aus verlorener Ehre<. Das Urteilsvermögen des republikanischen Publikums ist für
Schiller ein Unterpfand für ein von Menschlichkeit und Toleranz geprägtes
gesellschaftliches Zusammenleben.
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außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des
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