Dr. Eckhard Cordes_Das Verhältnis zwischen Deutschland und

Transcription

Dr. Eckhard Cordes_Das Verhältnis zwischen Deutschland und
Rede
des Vorsitzenden des
Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft
Dr. Eckhard Cordes
Deutschland und Russland – Wege aus der
Vertrauenskrise
Veranstaltung im Rahmen von
60 Jahre DGAP
9. Juni 2015
Haus der DGAP
Rauchstraße 17
10787 Berlin
18:30-20:00
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Oetker,
sehr geehrte Damen und Herren,
ich danke Ihnen sehr herzlich für Ihre Einladung, vor Ihnen zu sprechen.
Anlass Ihrer Veranstaltungsreihe ist ja Ihr Jubiläumsjahr, 60 Jahre DGAP.
Zwischen dem Ost-Ausschuss, der in diesem Jahr 63 Jahre alt wird, und der
DGAP gibt es seit vielen Jahren eine sehr enge und vertrauensvolle
Zusammenarbeit. Gerade in dieser Zeit, die Frank-Walter Steinmeier in
Hinblick auf die Beziehungen zwischen der EU und Russland als die
„schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg“ nannte, ist eine Institution
wie die DGAP, die sich als Think Tank mit aktuellen, drängenden Fragen
der Außen- und Sicherheitspolitik beschäftigt, unabdingbar und aus Berlin
nicht wegzudenken.
Aktuelle Wirtschaftssituation
Das Jahr 2014, meine Damen und Herren, Sie wissen es alle, hat uns in eine
politische Eiszeit zurückgeführt, die wir uns noch vor kurzem wohl selbst in
den schlimmsten Prognosen nicht haben ausmalen können.
Noch im Jahr 2012 erreichten wir zwischen Deutschland und Russland ein
Handelsvolumen von rund 80 Milliarden Euro.
Davon entfiel fast die Hälfte auf deutsche Exporte nach Russland.
Zwischen 1998 und 2012 hatte sich der Handel mit Russland verfünffacht.
Jedes zehnte deutsche Unternehmen, das sich auf dem Weltmarkt engagiert,
liefert auch nach Russland.
2
Rund 20 Milliarden Euro haben deutsche Unternehmen dort direkt
investiert.
Nach seriösen Berechnungen sind bei deutschen Arbeitgebern in Russland
heute rund 250.000 Menschen beschäftigt.
In Deutschland wiederum hängen rund 300.000 Jobs von Exportaufträgen
aus Russland ab.
Sie finden rund 6000 deutsche Unternehmen, die in Russland aktiv sind.
Ich bin immer wieder davon fasziniert, wenn ich höre, dass in praktisch
allen über 80 russischen Regionen – also bis hinauf zum Polarkreis und
weiter bis nach Kamtschatka (wo wir kürzlich sein durften) –
Niederlassungen deutscher Unternehmen zu finden sind. Ein derartig
engmaschiges Netz an Repräsentanten hat kein anderes Land der Welt.
Noch im Jahr 2012 dachten wir, dass dieser Boom sich noch lange
fortsetzen würde.
Und sie müssen sich vor Augen halten, dass trotz der Steigerungsraten
während der 2000er Jahre der deutsch-russische Handel immer noch auf
einem Niveau des deutschen Handels mit Tschechien oder Österreich liegt.
In Österreich, Tschechien oder Belgien leben kaum 10 Millionen Menschen,
in Russland 140 Millionen.
Das zeigt, welches riesige Potenzial im größten Land der Erde noch zu
heben gewesen wäre, oder hoffentlich noch zu heben ist.
3
Diese Erfolgsgeschichte hätten wir aus Sicht der Wirtschaft natürlich gerne
fortgesetzt.
Aktuelle Entwicklung
Die Realität sieht leider anders aus. Kürzlich hat Opel bekannt gegeben,
sich aus Russland zurückzuziehen, das VW-Werk in Kaluga steht
phasenweise immer wieder still, ähnlich geht es anderen Pkw-Produzenten
in Russland.
Noch 2012 hätte ich gesagt, dass der russische Automarkt bis 2015 ein
Volumen von über 3 Millionen Neuwagen erreichen und damit den
deutschen Automarkt als größten Markt Europas ablösen wird. Aktuell aber
liegen die Stückzahlen nur bei rund 1,5 Millionen. Dies zeigt, wie tief die
gegenwärtige Krise in Russland ist.
Anfang Februar haben wir in Moskau die Ergebnisse unserer aktuellen
Geschäftsklima-Umfrage vorgestellt, letzte Woche hat der VDMA mit einer
Umfrage unter den Maschinen- und Anlagenbauern nachgelegt – beide
Umfragen sind so düster, wie noch nie in den letzten 10 Jahren.
Über 91 Prozent rechnen für 2015 mit einer negativen
Wirtschaftsentwicklung und haben erklärt, sie seien direkt vom UkraineKonflikt betroffen.
Im abgelaufenen Jahr 2014 sind die deutschen Exporte nach Russland um
6,5 Milliarden Euro zurückgegangen, im ersten Quartal 2015 gab es einen
weiteren Einbruch um dramatische 35 Prozent. Die US-Exporte nach
Russland, dies nur am Rande, sind annähernd gleich geblieben.
4
Anstelle von 80 Milliarden, wie noch vor zwei Jahren, liegt unser bilaterales
Handelsvolumen mit Russland nur noch bei rund 65 Milliarden Euro.
US-Exporte nach Russland sind 2014 dagegen nahezu stabil geblieben.
Wissen muss man auch, dass der US-Handel mit Russland gerade einmal 10
Prozent des Handels der EU mit Russland umfasst. Hier sieht man
unterschiedliche Betroffenheiten.
Bislang bleibt die überwiegende Zahl der deutschen Unternehmen dem
russischen Markt treu, weil sie um dessen großes Potential wissen. Doch
Rückzüge wie der bereits erwähnte von Opel sind alarmierende Signale. Mit
jedem abgebrochenen Geschäftskontakt, mit jeder Investition, die nicht
mehr realisiert wird, schrumpfen die deutschen und westeuropäischen
Einflussmöglichkeiten.
Die deutsch-russische Erfolgsgeschichte, die wir lange geschrieben haben,
ist sichtbar in Frage gestellt. Und das ist schlecht, wenn nicht sogar
gefährlich.
Sorge um die deutsch-russischen Beziehungen
Ich sage das nicht als Unternehmensvertreter, der nur auf Bilanzen achtet,
sondern ich sage es auch als jemand, der sich heute Sorgen um die Zukunft
Europas macht. Enge wirtschaftliche Beziehungen und gegenseitige
Abhängigkeiten sind die beste Friedensgarantie.
Der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft, dem ich nunmehr seit über
vier Jahren vorstehe, hat seine Arbeit im Jahre 1952 aufgenommen. Das war
inmitten des Kalten Krieges zwischen dem Westen und der Sowjetunion.
Von Beginn an ging es uns dabei um mehr, als ums Geldverdienen.
5
Wirtschaftskontakte mit Moskau dienten immer auch dazu, Brücken zu
bauen und gesellschaftliche Verständigungsprozesse in Gang zu setzen.
Der Name Otto Wolff von Amerongen, der fast 50 Jahre den OstAusschuss geprägt hat, steht stellvertretend dafür.
„Wandel durch Handel“ hieß damals das Konzept. Daraus wurde dann
„Wandel durch Annäherung“.
„Die Wirtschaft ist damals der Politik vorangegangen.“ Das ist nicht von
mir, das ist ein Satz von Egon Bahr, dem Vordenker der Ostpolitik. Und
das gilt in mancherlei Beziehung bis heute.
Denn hinter den nackten Wirtschaftszahlen, die ich genannt habe, hinter
den vielfältigen Geschäftsbeziehungen, die wir in den vergangenen
Jahrzehnten zwischen Deutschland, Russland und vielen anderen Ländern
aufgebaut haben, stehen in erster Linie Menschen, die sich begegnen und in
persönliche Beziehungen treten.
So entstehen über Geschäftskontakte persönliche und private Netzwerke,
die letztlich die Beziehungen zwischen zwei Ländern tragen.
Ich denke, dass hier die deutsche Wirtschaft insgesamt – vom großen DaxKonzern bis zum innovativen Start-up und gerade auch viele Unternehmer,
die heute hier im Saal sitzen und sich international aufgestellt haben –
Enormes geleistet haben.
Deutsche Investoren engagieren sich in vielfältiger Weise:
•
Es entstehen kulturelle Brücken.
•
Es gibt Städtepartnerschaften.
6
•
Viele sind gerade auch durch geschäftliche
Verbindungen angestoßen worden.
•
Es gibt den deutsch-russischen Jugendaustausch, den wir
von Seiten des Ost-Ausschusses mit erheblichen
Summen mit aufgebaut haben.
•
Es gibt den Wissenschaftsaustausch.
•
Es gibt den Petersburger Dialog, bei dem sich die
Vertreter der Zivilgesellschaft treffen, darunter auch wir
als Vertreter der Wirtschaft.
Es wurde viel Vertrauen aufgebaut. Doch viele dieser wichtigen Brücken
zwischen Deutschland und Russland sind durch die aktuelle politische Krise
nun leider in Mitleidenschaft gezogen worden.
Treffen, Dialoge, die Deutsch-Russischen Regierungskonsultationen
wurden vielfach abgesagt, am vergangenen Wochenende tagten die G7,
ohne Russland, dabei wäre das Gespräch mit Russland in dieser Runde so
wichtig gewesen. Der Ukraine wird nicht geholfen, wenn Russland sich
weiter einigeln kann. Inzwischen hört man auch Stimmen aus der
Regierungskoalition, die sich gegen die Ausladung Russlands aus dem
Treffen von Elmau aussprechen.
Die Wirtschaft kann sich von dieser Entwicklung nicht abkoppeln.
Sie ist betroffen, obwohl sie für die politische Krise keine Verantwortung
trägt.
Spätestens mit der Einführung gegenseitiger Wirtschaftssanktionen ist die
politische Krise mitten in der Wirtschaft angekommen, vor allem in der
Ukraine und Russland, aber damit auch in der global aufgestellten
deutschen Wirtschaft.
7
Die Situation, mit der wir derzeit konfrontiert werden, ist mit einem
erheblichen wirtschaftlichen Schaden für alle Seiten verbunden.
Ganz Europa verliert, die lachenden Dritten sitzen andernorts, vor allem in
Asien.
China beispielsweise kann seine Marktanteile in Russland stetig ausbauen,
nicht zuletzt auf Kosten deutscher Anbieter. Im Mai 2015 wurde bekannt,
dass chinesische Banken russischen Unternehmen, die aufgrund der
westlichen Sanktionen vom Kapitalmarkt abgeschnitten sind, in den
kommenden drei Jahren mit Krediten in Höhe von 25 Milliarden Dollar
unterstützen möchten. Großaufträge wie die Schnellbahnstrecke MoskauKasan, um die sich auch deutsche Anbieter beworben hatten, werden nun
von chinesischen Unternehmen realisiert. Dies nur einige Beispiele für eine
Entwicklung, die zu einer nachhaltigen Veränderung der wirtschaftlichen
und damit auch politischen Architektur führen könnte.
Alles ist eine Frage der Zeit. Je länger die Wirtschaftssanktionen anhalten,
bei denen große Teile der Welt nicht mitmachen, desto mehr werden sie
ihre Wirkung verfehlen oder sogar das Gegenteil erreichen.
Jahrzehntelang hat Deutschland von einem besonderen Bonus in Russland
profitiert. Das hat viel mit dem Qualitätssiegel „Made in Germany“ zu tun,
aber auch mit der Bereitschaft, sich trotz einer furchtbaren gemeinsamen
Geschichte die Hände zu reichen.
Noch im Jahr 2008 nannten in einer Umfrage in Russland 17 Prozent
Deutschland einen besonderen Freund Russlands. Dieser Wert ist unter
dem Eindruck von Sanktionen in der Umfrage im Herbst 2014 auf 2
Prozent abgestürzt. Enttäuschungen durch Freunde werden ernster
genommen, als Enttäuschungen von Nicht-Freunden.
8
Das Vertrauen, das zwischen Deutschen und Russen aufgebaut wurde,
gerade auch durch die Wirtschaftskontakte, beginnt – ich sage das vorsichtig
- zu erodieren. Man muss es so hart sagen.
Aktuell wird in Russland mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts
um knapp 3 Prozent im Jahr 2015 gerechnet.
Die wirtschaftlichen Sanktionen sind dafür natürlich nur ein Teil der
Erklärung.
Härter wurde Russland durch den Absturz des Ölpreises und in der Folge
durch die Rubel-Turbulenzen getroffen.
Russland hat es in den vergangenen Jahren große Versäumnisse in der
Wirtschaftspolitik gegeben. Es wurde versäumt, die Wirtschaft unabhängig
von den volatilen Rohstoffmärkten aufzustellen. Das rächt sich jetzt
zusätzlich.
Dennoch sind die aktuellen Warnungen von Wirtschaftsforschern vor
einem Zahlungsausfall Russlands nach meiner Einschätzung etwas
vorschnell:
Denn Russland hat in guten Zeiten Einnahmen aus dem Rohstoff-Geschäft
zurückgelegt. Es verfügt zudem weiterhin über Währungsreserven von fast
370 Milliarden Dollar. Die Staatsverschuldung ist sehr niedrig, gerade im
Vergleich zu EU-Ländern. Da gibt es also noch große Ressourcen.
Sobald der Ölpreis wieder ansteigt, und das passiert schon derzeit, werden
sich auch alle übrigen Wirtschaftsdaten in Russland wieder aufhellen. Letzte
Woche erst hat die Weltbank ihre Prognose für Russland angesichts des
9
wieder steigenden Ölpreises nach oben korrigiert, für 2016 erwartet sie
bereits wieder ein leichtes Wachstum.
Die Erwartung also, man könnte Russland mit Sanktionen beeindrucken,
halte ich für falsch. Die Beliebtheitswerte von Präsident Putin liegen bei
über 80 Prozent.
Und selbst wenn es gelingen würde, Russland wirtschaftlich in Bedrängnis
zu bringen:
Würde dadurch Europa ein sicherer Ort werden, oder nicht vielleicht ein
weitaus unsicherer Ort?
Wie sähe denn eine Alternative zu Putin in Russland aus?
Ich bin da ganz der Ansicht unseres Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel:
Die EU kann kein Interesse an einer politischen oder wirtschaftlichen
Destabilisierung Russlands haben. Man muss alles versuchen, damit
Russland als wirtschaftlicher und politischer Partner Europas erhalten
bleibt. Ob es uns gefällt oder nicht: Russland wird immer ein großer
Machtfaktor in Europa sein. Anders als Obama würde ich Russland nicht
als „Regionalmacht“ bezeichnen.
Ohne Russland lässt sich Europa schwer bauen, gegen Russland ist es
praktisch unmöglich. Aber auch Russland ist auf Europa angewiesen und
mindestens genauso abhängig von uns, wie wir umgekehrt von Russland.
Gegenseitige Abhängigkeit ist der beste Brückenbauer.
Ursachen der Krise
10
Fehler wurden nach meiner Überzeugung von beiden Seiten begangen. Es
gibt in Russland vieles, das zu kritisieren ist. Das Vorgehen auf der Krim
war ein Völkerrechtsbruch. Ich füge hinzu: zumindest aus westlicher Sicht.
Es gibt aber auch eine Vorgeschichte dieser Entwicklung. Die Krise und der
massive gegenseitige Vertrauensverlust haben nicht erst mit der Krim
begonnen. Es gibt daher auch für uns Anlass, einiges zu hinterfragen.
In Russland gibt es eine völlig andere Wahrnehmung der Dinge. Diese ist
vor allem dadurch geprägt, dass man dort meint, sich gegen eine
Ausdehnung der NATO, aber auch gegen eine Ausweitung der
Einflusszone der EU zur Wehr setzen zu müssen.
Das westliche Engagement in der Ukraine wird aus russischer Sicht als
Versuch betrachtet, über die Ukraine hinaus aktiv die Verhältnisse in
Russland zu verändern, bis hin zum Regime-Change in Moskau. Ob diese
russische Sicht richtig oder falsch ist, ist für mich nicht relevant. Perception
is reality.
Und kluge Politik versetzt sich immer in die Schuhe des anderen und fragt:
Wohin führt das? So wie wir uns in der Wirtschaft immer die Frage stellen:
Was macht die Konkurrenz? Wie reagiert sie darauf?
In Russland zieht man eine direkte Linie von einer Annäherung an die EU
über Assoziierungsabkommen über eine EU-Mitgliedschaft bis hin zu einer
NATO-Mitgliedschaft. Das hätte man bei der Östlichen Partnerschaft
bedenken müssen.
Angesichts dieser völlig unterschiedlichen Wahrnehmung werden die
Wirtschaftssanktionen und der Ausschluss Russlands aus
Gesprächsformaten wie G7 daher vor allem folgende Effekte haben:
11
1.
Sie versammeln die große Mehrheit der Bevölkerung hinter der
Politik des Kreml.
2.
Sie machen es Putin innenpolitisch unmöglich, Zugeständnisse zu
machen, selbst wenn er das denn wollte. Es gibt da eine
innerrussische Opposition. Und nicht diejenige, die in
Deutschland gemeint wird.
3.
Sie entfernen Russland von Europa.
4.
Sie schwächen unsere noch bestehenden Netzwerke.
5.
Und sie stärken die Bindungen Russlands an China, mit allen
negativen Folgen, die sich daraus wirtschaftlich, aber auch politisch
ergeben können. Ich erinnere an das Gasabkommen, das Gazprom
und China im Sommer 2014 innerhalb kürzester Zeit
unterzeichnet haben, nachdem 20 Jahre darüber verhandelt
worden ist.
Wirtschaftssanktionen und eine Isolationspolitik werden die bestehenden
Probleme nicht lösen.
Hintergründe der Krise
Einen Ausweg aus der gegenwärtigen Krise wird es – ich wiederhole mich –
nur über regelmäßige, institutionalisierte Dialoge geben, bei dem sich beide
Seiten jeweils in den Anderen hineinversetzen.
Dabei geht es nicht um die Ukraine allein: Denn die Wurzeln der UkraineKrise liegen tiefer. Die Ukraine ist zum Opfer einer Vertrauenskrise
zwischen Russland auf der einen und der EU und den USA auf der anderen
Seite geworden, die sich in den vergangenen zehn bis 15 Jahren immer
mehr aufgebaut hat.
12
Hätte es ein starkes gegenseitiges Vertrauen gegeben, so wie es zur Zeit der
EU-Osterweiterung 2004 zwischen der EU und Russland noch existierte,
dann hätte es nicht zu diesem Tauziehen um die Ukraine so nicht gegeben.
Die EU muss sich die Frage stellen, ob Russland im vergangenen Jahrzehnt
tatsächlich als strategischer Partner und damit auf Augenhöhe
wahrgenommen, oder nicht doch eher gemieden wurde.
Dass das EU-Konzept der „Östlichen Partnerschaft“ 2008 ohne klare
Einladung an Russland entwickelt wurde, war nicht klug. Man versucht dies
nun im Nachhinein zu korrigieren und das ist gut.
Dass Russland bei den Verhandlungen zu einem EUAssoziierungsabkommen nur Zaungast war, obwohl die Ukraine über ein
Freihandelsabkommen mit dem GUS-Raum verbunden ist und mit diesem
Wirtschaftsraum engste Handelsbeziehungen pflegt, war unserer Meinung
nach ein Fehler.
Dass es bis heute keine Visa-Freiheit zwischen der EU und Russland gibt,
obwohl es von Moskau seit 2004 angeboten wird – auch das gehört in das
Kapitel des fehlenden Vertrauens. Da wurden große Chancen schlichtweg
vertan.
Damit ich nicht falsch verstanden werde:
(Die Bild-Zeitung hat mich ja als Putin-Versteher bezeichnet).
Ich sage: Russland ist keineswegs schuldlos an der Lage. Fehler wurden auf
beiden Seiten begangen.
13
Ich halte das jetzige Krisenmanagement, das die Bundesregierung –
insbesondere die Bundeskanzlerin und der Bundesaußenminister betreiben
– für äußerst wichtig und gut.
Schon im Frühjahr 2014 hat mir Vize-Premier Schuwalow gesagt. Ihr
Deutsche seid die einzigen, die eine Vermittlung vielleicht schaffen können.
Wir reden mit Euch. Und ich weiß nicht, wie viele Telefonate es zwischen
Merkel und Putin bereits gab. Sicher über 100.
Es ist seit einem Jahr maßgeblich der Bundesregierung zu verdanken, dass
überhaupt noch miteinander geredet wird.
Wir müssen jetzt aber über diese Krisentelefonate hinaus wieder in einen
regelmäßigen und ergebnisorientierten Verhandlungsprozess
hineinkommen.
Dabei geht es auch, aber nicht nur um die Ukraine allein. Nicht zuletzt das
Verhältnis zwischen der EU und Russland muss wieder konstruktiv werden,
damit neues, gegenseitiges Vertrauen aufgebaut werden kann. Beide Seiten
haben dazu ihren Beitrag zu leisten.
Rolle der Wirtschaft
Wie schon im Kalten Krieg der 1950er Jahre könnten es auch im Jahre 2015
die wirtschaftlichen Interessen sein, die vielleicht zu einem neuen
Miteinander zwischen der EU und Russland beitragen können.
Unternehmer sind wichtige, in diesen Tagen wieder dringend notwendige
Brückenbauer zwischen Ost und West. Im Verhältnis zu Russland gilt das
ganz besonders.
14
Russland wird als Rohstofflieferant für die EU dauerhaft unverzichtbar sein,
daran wird auch langfristig kein Weg vorbei führen. Russland wird ein
zuverlässiger Lieferant bleiben, so wie bereits in den vergangenen 40 Jahren.
Umgekehrt benötigt die russische Wirtschaft moderne Technologien.
Wirtschaftlich gibt es also gemeinsame Interessen, auf deren Grundlage
man verhandeln könnte.
Eine entscheidende Frage auf dem Weg zu einer Lösung der derzeitigen
Krise lautet, wie wir Länder wie die Ukraine, Moldau oder Georgien aus der
Zwickmühle befreien können, sich zwischen dem EU-Binnenmarkt und der
von Russland initiierten Eurasischen Wirtschaftsunion entscheiden zu
müssen.
Möglich wäre dies, indem in Europa ein großer, gemeinsamer
Freihandelsraum von Wladiwostok bis Lissabon geschaffen würde. Auch
wenn das aus heutiger Sicht eine Vision ist; aber es ist eine, bei der es sich
lohnt, sie zu verfolgen.
Ideal wäre es, wenn sich dieser gemeinsame Wirtschaftsraum auf
gemeinsame Industriestandards, Normen, Zölle und auf den freien
Austausch von Dienstleistungen, Kapital und nicht zuletzt auf freien
Reiseverkehr ohne Visa-Bestimmungen einigen könnte.
Ich bin sehr froh dass die Bundeskanzlerin und Bundeswirtschaftsminister
Gabriel mehrfach die Bereitschaft unterstrichen haben, mit Russland über
einen gemeinsamen Wirtschaftsraum zu verhandeln.
Wir haben vor einigen Wochen mit dem russischen Wirtschaftsminister
Uljukajew und auf der Münchener Sicherheitskonferenz mit Außenminister
Lawrow und Minister Gabriel gemeinsam über das Thema gesprochen.
15
Auch die EU-Außenbeauftragte Mogherini hat vor kurzem in einem
Positionspapier die Vision des „Wirtschaftsraums von Lissabon bis
Wladiwostok“ wieder aufgegriffen.
Ein Konzept dafür hatten die EU und Russland bereits vor über zehn
Jahren einmal erarbeitet.
Seitdem ist nicht mehr viel passiert. Im Gegenteil, der Gesprächsfaden über
ein „Gemeinsames Haus Europa“ (Gorbatschow) mit einem gemeinsamen
Wirtschaftsraum ist gerissen.
Wir sollten dieses Projekt wieder beleben, denn es liegt in unserem
gemeinsamen, gesamteuropäischen Interesse.
Denn wenn wir Europäer uns dauerhaft spalten, werden die Geschicke der
Weltwirtschaft andernorts bestimmt.
Ich gestehe, dass ich jetzt sehr hoch abhebe. Aber versetzen Sie sich einmal
gedanklich in einen Hubschrauber und blicken auf die Welt. Was genau
passiert gerade wirtschaftlich:
Sie sehen, dass die USA durch ihre zunehmende Unabhängigkeit von
Rohstoffimporten (Stichwort Fracking) noch stärker wird. Bei China wird
diskutiert, ob das Wachstum 7,5 oder 8,5 Prozent pro Jahr beträgt.
Die beiden Stärksten werden stärker. Und in dieser Situation beginnen wir
Europäer uns gegenseitig zu beharken. Aber nur ein gemeinsames Europa
wird noch eine Stimme im Konzert der Weltwirtschaft haben.
16
Schauen sie sich die demographische Entwicklung an: Vor 100 Jahren war
jeder dritte Mensch Europäer. In 30 Jahren geht dieser Anteil auf deutlich
unter 10 Prozent der Weltbevölkerung zurück.
Schlussbemerkung
Und damit komme ich zu meiner Schlussbemerkung:
Noch ist kein abschließendes Urteil möglich, aber der 12. Februar 2015
könnte für Europa zu einem historischen Datum werden. 17 Stunden lang
verhandelten in Minsk unter Vermittlung von Bundeskanzlerin Angela
Merkel und dem französischen Präsidenten François Hollande der russische
Präsident Wladimir Putin und der ukrainische Präsident Petro Poroschenko
über einen Weg zum Frieden in der Ost-Ukraine. Man muss der
Bundeskanzlerin dankbar sein, dass sie in Minsk ins persönliche Risiko
gegangen ist.
Nicht im Raum, aber nicht weit davon entfernt saßen Vertreter der
ostukrainischen Separatisten und der OSZE.
Mit dem Abkommen von Minsk II besteht nach über einem Jahr
Dauerkrise ein von den wichtigsten Politikern Europas getragener Fahrplan
hin zu geordneten Verhältnissen im Osten der Ukraine. Noch ist nicht
sicher, ob dies nur eine Atempause nach einem blutigen Bruderkrieg
bedeutet. Ich war vor 2 Wochen optimistischer als heute. Die Hoffnung auf
dauerhaften Frieden ist weiterhin schwankend – gerade bei den aktuellen
Nachrichten -, sie hat aber seit Minsk zugenommen und öffnet den Blick
auf gemeinsame Lösungen. Und ohne diese Hoffnung auf Frieden gibt es
kaum Hoffnung auf eine Rückkehr der wirtschaftlichen Prosperität in der
ganzen Region.
17
Die deutschen Unternehmen in Russland setzen zur Lösung des UkraineKonfliktes auf zwei Ansätze:
1.
Der Friedensprozess von Minsk muss in einen dauerhaften
Waffenstillstand und eine Stabilisierung der Ukraine münden. Hier wird es
insbesondere um die Entwicklung eines modus vivendi zwischen Kiew und
den Vertretern der Separatisten gehen müssen. Zu denken, dass der
Schlüssel dafür allein in Moskau liegt, wäre falsch.
2.
Zum Zweiten wird es eine wirtschaftlich prosperierende Ukraine
nur geben können, wenn das Land auch mit Hilfe russischer Kredite und
Investitionen stabilisiert wird und die Möglichkeit erhält, den EU-Markt
zu erschließen ohne den russischen Markt zu verlieren. Dies setzt eine
Verständigung der EU mit Russland über das Assoziierungsabkommen
mit der Ukraine voraus. Ein EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine
wird nur dann erfolgreich sein, wenn es zu gemeinsamen Lösungen mit
Russland kommt. Es ist illusorisch, die Ukraine ohne wirtschaftliche
Beteiligung Russlands zu stabilisieren.
Man hat angefangen zu reden, das ist gut. Nicht übereinander, sondern
miteinander reden – dies muss weiterhin die Devise sein. Stabilität und
Sicherheit sind die Grundvoraussetzungen für eine positive wirtschaftliche
Entwicklung und damit für Investitionen und Arbeitsplätze. Uns ist allen
klar, dass der Verständigungsprozess und die Wiederherstellung von
Vertrauen nach Monaten des Konflikts Zeit und Beharrlichkeit brauchen
wird. Aber jede Reise beginnt bekanntlich mit den ersten Schritten. Und
Minsk II – da bin ich zum Abschluss etwas optimistischer – war mehr als
ein Schritt dieser langen Reise.
Ich danke Ihnen sehr herzlich für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf
Ihre Fragen!
18