Dr. Eckhard Cordes_Das Verhältnis zwischen Deutschland und
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Dr. Eckhard Cordes_Das Verhältnis zwischen Deutschland und
Rede des Vorsitzenden des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft Dr. Eckhard Cordes Deutschland und Russland – Wege aus der Vertrauenskrise Veranstaltung im Rahmen von 60 Jahre DGAP 9. Juni 2015 Haus der DGAP Rauchstraße 17 10787 Berlin 18:30-20:00 – Es gilt das gesprochene Wort – Sehr geehrter Herr Oetker, sehr geehrte Damen und Herren, ich danke Ihnen sehr herzlich für Ihre Einladung, vor Ihnen zu sprechen. Anlass Ihrer Veranstaltungsreihe ist ja Ihr Jubiläumsjahr, 60 Jahre DGAP. Zwischen dem Ost-Ausschuss, der in diesem Jahr 63 Jahre alt wird, und der DGAP gibt es seit vielen Jahren eine sehr enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Gerade in dieser Zeit, die Frank-Walter Steinmeier in Hinblick auf die Beziehungen zwischen der EU und Russland als die „schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg“ nannte, ist eine Institution wie die DGAP, die sich als Think Tank mit aktuellen, drängenden Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik beschäftigt, unabdingbar und aus Berlin nicht wegzudenken. Aktuelle Wirtschaftssituation Das Jahr 2014, meine Damen und Herren, Sie wissen es alle, hat uns in eine politische Eiszeit zurückgeführt, die wir uns noch vor kurzem wohl selbst in den schlimmsten Prognosen nicht haben ausmalen können. Noch im Jahr 2012 erreichten wir zwischen Deutschland und Russland ein Handelsvolumen von rund 80 Milliarden Euro. Davon entfiel fast die Hälfte auf deutsche Exporte nach Russland. Zwischen 1998 und 2012 hatte sich der Handel mit Russland verfünffacht. Jedes zehnte deutsche Unternehmen, das sich auf dem Weltmarkt engagiert, liefert auch nach Russland. 2 Rund 20 Milliarden Euro haben deutsche Unternehmen dort direkt investiert. Nach seriösen Berechnungen sind bei deutschen Arbeitgebern in Russland heute rund 250.000 Menschen beschäftigt. In Deutschland wiederum hängen rund 300.000 Jobs von Exportaufträgen aus Russland ab. Sie finden rund 6000 deutsche Unternehmen, die in Russland aktiv sind. Ich bin immer wieder davon fasziniert, wenn ich höre, dass in praktisch allen über 80 russischen Regionen – also bis hinauf zum Polarkreis und weiter bis nach Kamtschatka (wo wir kürzlich sein durften) – Niederlassungen deutscher Unternehmen zu finden sind. Ein derartig engmaschiges Netz an Repräsentanten hat kein anderes Land der Welt. Noch im Jahr 2012 dachten wir, dass dieser Boom sich noch lange fortsetzen würde. Und sie müssen sich vor Augen halten, dass trotz der Steigerungsraten während der 2000er Jahre der deutsch-russische Handel immer noch auf einem Niveau des deutschen Handels mit Tschechien oder Österreich liegt. In Österreich, Tschechien oder Belgien leben kaum 10 Millionen Menschen, in Russland 140 Millionen. Das zeigt, welches riesige Potenzial im größten Land der Erde noch zu heben gewesen wäre, oder hoffentlich noch zu heben ist. 3 Diese Erfolgsgeschichte hätten wir aus Sicht der Wirtschaft natürlich gerne fortgesetzt. Aktuelle Entwicklung Die Realität sieht leider anders aus. Kürzlich hat Opel bekannt gegeben, sich aus Russland zurückzuziehen, das VW-Werk in Kaluga steht phasenweise immer wieder still, ähnlich geht es anderen Pkw-Produzenten in Russland. Noch 2012 hätte ich gesagt, dass der russische Automarkt bis 2015 ein Volumen von über 3 Millionen Neuwagen erreichen und damit den deutschen Automarkt als größten Markt Europas ablösen wird. Aktuell aber liegen die Stückzahlen nur bei rund 1,5 Millionen. Dies zeigt, wie tief die gegenwärtige Krise in Russland ist. Anfang Februar haben wir in Moskau die Ergebnisse unserer aktuellen Geschäftsklima-Umfrage vorgestellt, letzte Woche hat der VDMA mit einer Umfrage unter den Maschinen- und Anlagenbauern nachgelegt – beide Umfragen sind so düster, wie noch nie in den letzten 10 Jahren. Über 91 Prozent rechnen für 2015 mit einer negativen Wirtschaftsentwicklung und haben erklärt, sie seien direkt vom UkraineKonflikt betroffen. Im abgelaufenen Jahr 2014 sind die deutschen Exporte nach Russland um 6,5 Milliarden Euro zurückgegangen, im ersten Quartal 2015 gab es einen weiteren Einbruch um dramatische 35 Prozent. Die US-Exporte nach Russland, dies nur am Rande, sind annähernd gleich geblieben. 4 Anstelle von 80 Milliarden, wie noch vor zwei Jahren, liegt unser bilaterales Handelsvolumen mit Russland nur noch bei rund 65 Milliarden Euro. US-Exporte nach Russland sind 2014 dagegen nahezu stabil geblieben. Wissen muss man auch, dass der US-Handel mit Russland gerade einmal 10 Prozent des Handels der EU mit Russland umfasst. Hier sieht man unterschiedliche Betroffenheiten. Bislang bleibt die überwiegende Zahl der deutschen Unternehmen dem russischen Markt treu, weil sie um dessen großes Potential wissen. Doch Rückzüge wie der bereits erwähnte von Opel sind alarmierende Signale. Mit jedem abgebrochenen Geschäftskontakt, mit jeder Investition, die nicht mehr realisiert wird, schrumpfen die deutschen und westeuropäischen Einflussmöglichkeiten. Die deutsch-russische Erfolgsgeschichte, die wir lange geschrieben haben, ist sichtbar in Frage gestellt. Und das ist schlecht, wenn nicht sogar gefährlich. Sorge um die deutsch-russischen Beziehungen Ich sage das nicht als Unternehmensvertreter, der nur auf Bilanzen achtet, sondern ich sage es auch als jemand, der sich heute Sorgen um die Zukunft Europas macht. Enge wirtschaftliche Beziehungen und gegenseitige Abhängigkeiten sind die beste Friedensgarantie. Der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft, dem ich nunmehr seit über vier Jahren vorstehe, hat seine Arbeit im Jahre 1952 aufgenommen. Das war inmitten des Kalten Krieges zwischen dem Westen und der Sowjetunion. Von Beginn an ging es uns dabei um mehr, als ums Geldverdienen. 5 Wirtschaftskontakte mit Moskau dienten immer auch dazu, Brücken zu bauen und gesellschaftliche Verständigungsprozesse in Gang zu setzen. Der Name Otto Wolff von Amerongen, der fast 50 Jahre den OstAusschuss geprägt hat, steht stellvertretend dafür. „Wandel durch Handel“ hieß damals das Konzept. Daraus wurde dann „Wandel durch Annäherung“. „Die Wirtschaft ist damals der Politik vorangegangen.“ Das ist nicht von mir, das ist ein Satz von Egon Bahr, dem Vordenker der Ostpolitik. Und das gilt in mancherlei Beziehung bis heute. Denn hinter den nackten Wirtschaftszahlen, die ich genannt habe, hinter den vielfältigen Geschäftsbeziehungen, die wir in den vergangenen Jahrzehnten zwischen Deutschland, Russland und vielen anderen Ländern aufgebaut haben, stehen in erster Linie Menschen, die sich begegnen und in persönliche Beziehungen treten. So entstehen über Geschäftskontakte persönliche und private Netzwerke, die letztlich die Beziehungen zwischen zwei Ländern tragen. Ich denke, dass hier die deutsche Wirtschaft insgesamt – vom großen DaxKonzern bis zum innovativen Start-up und gerade auch viele Unternehmer, die heute hier im Saal sitzen und sich international aufgestellt haben – Enormes geleistet haben. Deutsche Investoren engagieren sich in vielfältiger Weise: • Es entstehen kulturelle Brücken. • Es gibt Städtepartnerschaften. 6 • Viele sind gerade auch durch geschäftliche Verbindungen angestoßen worden. • Es gibt den deutsch-russischen Jugendaustausch, den wir von Seiten des Ost-Ausschusses mit erheblichen Summen mit aufgebaut haben. • Es gibt den Wissenschaftsaustausch. • Es gibt den Petersburger Dialog, bei dem sich die Vertreter der Zivilgesellschaft treffen, darunter auch wir als Vertreter der Wirtschaft. Es wurde viel Vertrauen aufgebaut. Doch viele dieser wichtigen Brücken zwischen Deutschland und Russland sind durch die aktuelle politische Krise nun leider in Mitleidenschaft gezogen worden. Treffen, Dialoge, die Deutsch-Russischen Regierungskonsultationen wurden vielfach abgesagt, am vergangenen Wochenende tagten die G7, ohne Russland, dabei wäre das Gespräch mit Russland in dieser Runde so wichtig gewesen. Der Ukraine wird nicht geholfen, wenn Russland sich weiter einigeln kann. Inzwischen hört man auch Stimmen aus der Regierungskoalition, die sich gegen die Ausladung Russlands aus dem Treffen von Elmau aussprechen. Die Wirtschaft kann sich von dieser Entwicklung nicht abkoppeln. Sie ist betroffen, obwohl sie für die politische Krise keine Verantwortung trägt. Spätestens mit der Einführung gegenseitiger Wirtschaftssanktionen ist die politische Krise mitten in der Wirtschaft angekommen, vor allem in der Ukraine und Russland, aber damit auch in der global aufgestellten deutschen Wirtschaft. 7 Die Situation, mit der wir derzeit konfrontiert werden, ist mit einem erheblichen wirtschaftlichen Schaden für alle Seiten verbunden. Ganz Europa verliert, die lachenden Dritten sitzen andernorts, vor allem in Asien. China beispielsweise kann seine Marktanteile in Russland stetig ausbauen, nicht zuletzt auf Kosten deutscher Anbieter. Im Mai 2015 wurde bekannt, dass chinesische Banken russischen Unternehmen, die aufgrund der westlichen Sanktionen vom Kapitalmarkt abgeschnitten sind, in den kommenden drei Jahren mit Krediten in Höhe von 25 Milliarden Dollar unterstützen möchten. Großaufträge wie die Schnellbahnstrecke MoskauKasan, um die sich auch deutsche Anbieter beworben hatten, werden nun von chinesischen Unternehmen realisiert. Dies nur einige Beispiele für eine Entwicklung, die zu einer nachhaltigen Veränderung der wirtschaftlichen und damit auch politischen Architektur führen könnte. Alles ist eine Frage der Zeit. Je länger die Wirtschaftssanktionen anhalten, bei denen große Teile der Welt nicht mitmachen, desto mehr werden sie ihre Wirkung verfehlen oder sogar das Gegenteil erreichen. Jahrzehntelang hat Deutschland von einem besonderen Bonus in Russland profitiert. Das hat viel mit dem Qualitätssiegel „Made in Germany“ zu tun, aber auch mit der Bereitschaft, sich trotz einer furchtbaren gemeinsamen Geschichte die Hände zu reichen. Noch im Jahr 2008 nannten in einer Umfrage in Russland 17 Prozent Deutschland einen besonderen Freund Russlands. Dieser Wert ist unter dem Eindruck von Sanktionen in der Umfrage im Herbst 2014 auf 2 Prozent abgestürzt. Enttäuschungen durch Freunde werden ernster genommen, als Enttäuschungen von Nicht-Freunden. 8 Das Vertrauen, das zwischen Deutschen und Russen aufgebaut wurde, gerade auch durch die Wirtschaftskontakte, beginnt – ich sage das vorsichtig - zu erodieren. Man muss es so hart sagen. Aktuell wird in Russland mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um knapp 3 Prozent im Jahr 2015 gerechnet. Die wirtschaftlichen Sanktionen sind dafür natürlich nur ein Teil der Erklärung. Härter wurde Russland durch den Absturz des Ölpreises und in der Folge durch die Rubel-Turbulenzen getroffen. Russland hat es in den vergangenen Jahren große Versäumnisse in der Wirtschaftspolitik gegeben. Es wurde versäumt, die Wirtschaft unabhängig von den volatilen Rohstoffmärkten aufzustellen. Das rächt sich jetzt zusätzlich. Dennoch sind die aktuellen Warnungen von Wirtschaftsforschern vor einem Zahlungsausfall Russlands nach meiner Einschätzung etwas vorschnell: Denn Russland hat in guten Zeiten Einnahmen aus dem Rohstoff-Geschäft zurückgelegt. Es verfügt zudem weiterhin über Währungsreserven von fast 370 Milliarden Dollar. Die Staatsverschuldung ist sehr niedrig, gerade im Vergleich zu EU-Ländern. Da gibt es also noch große Ressourcen. Sobald der Ölpreis wieder ansteigt, und das passiert schon derzeit, werden sich auch alle übrigen Wirtschaftsdaten in Russland wieder aufhellen. Letzte Woche erst hat die Weltbank ihre Prognose für Russland angesichts des 9 wieder steigenden Ölpreises nach oben korrigiert, für 2016 erwartet sie bereits wieder ein leichtes Wachstum. Die Erwartung also, man könnte Russland mit Sanktionen beeindrucken, halte ich für falsch. Die Beliebtheitswerte von Präsident Putin liegen bei über 80 Prozent. Und selbst wenn es gelingen würde, Russland wirtschaftlich in Bedrängnis zu bringen: Würde dadurch Europa ein sicherer Ort werden, oder nicht vielleicht ein weitaus unsicherer Ort? Wie sähe denn eine Alternative zu Putin in Russland aus? Ich bin da ganz der Ansicht unseres Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel: Die EU kann kein Interesse an einer politischen oder wirtschaftlichen Destabilisierung Russlands haben. Man muss alles versuchen, damit Russland als wirtschaftlicher und politischer Partner Europas erhalten bleibt. Ob es uns gefällt oder nicht: Russland wird immer ein großer Machtfaktor in Europa sein. Anders als Obama würde ich Russland nicht als „Regionalmacht“ bezeichnen. Ohne Russland lässt sich Europa schwer bauen, gegen Russland ist es praktisch unmöglich. Aber auch Russland ist auf Europa angewiesen und mindestens genauso abhängig von uns, wie wir umgekehrt von Russland. Gegenseitige Abhängigkeit ist der beste Brückenbauer. Ursachen der Krise 10 Fehler wurden nach meiner Überzeugung von beiden Seiten begangen. Es gibt in Russland vieles, das zu kritisieren ist. Das Vorgehen auf der Krim war ein Völkerrechtsbruch. Ich füge hinzu: zumindest aus westlicher Sicht. Es gibt aber auch eine Vorgeschichte dieser Entwicklung. Die Krise und der massive gegenseitige Vertrauensverlust haben nicht erst mit der Krim begonnen. Es gibt daher auch für uns Anlass, einiges zu hinterfragen. In Russland gibt es eine völlig andere Wahrnehmung der Dinge. Diese ist vor allem dadurch geprägt, dass man dort meint, sich gegen eine Ausdehnung der NATO, aber auch gegen eine Ausweitung der Einflusszone der EU zur Wehr setzen zu müssen. Das westliche Engagement in der Ukraine wird aus russischer Sicht als Versuch betrachtet, über die Ukraine hinaus aktiv die Verhältnisse in Russland zu verändern, bis hin zum Regime-Change in Moskau. Ob diese russische Sicht richtig oder falsch ist, ist für mich nicht relevant. Perception is reality. Und kluge Politik versetzt sich immer in die Schuhe des anderen und fragt: Wohin führt das? So wie wir uns in der Wirtschaft immer die Frage stellen: Was macht die Konkurrenz? Wie reagiert sie darauf? In Russland zieht man eine direkte Linie von einer Annäherung an die EU über Assoziierungsabkommen über eine EU-Mitgliedschaft bis hin zu einer NATO-Mitgliedschaft. Das hätte man bei der Östlichen Partnerschaft bedenken müssen. Angesichts dieser völlig unterschiedlichen Wahrnehmung werden die Wirtschaftssanktionen und der Ausschluss Russlands aus Gesprächsformaten wie G7 daher vor allem folgende Effekte haben: 11 1. Sie versammeln die große Mehrheit der Bevölkerung hinter der Politik des Kreml. 2. Sie machen es Putin innenpolitisch unmöglich, Zugeständnisse zu machen, selbst wenn er das denn wollte. Es gibt da eine innerrussische Opposition. Und nicht diejenige, die in Deutschland gemeint wird. 3. Sie entfernen Russland von Europa. 4. Sie schwächen unsere noch bestehenden Netzwerke. 5. Und sie stärken die Bindungen Russlands an China, mit allen negativen Folgen, die sich daraus wirtschaftlich, aber auch politisch ergeben können. Ich erinnere an das Gasabkommen, das Gazprom und China im Sommer 2014 innerhalb kürzester Zeit unterzeichnet haben, nachdem 20 Jahre darüber verhandelt worden ist. Wirtschaftssanktionen und eine Isolationspolitik werden die bestehenden Probleme nicht lösen. Hintergründe der Krise Einen Ausweg aus der gegenwärtigen Krise wird es – ich wiederhole mich – nur über regelmäßige, institutionalisierte Dialoge geben, bei dem sich beide Seiten jeweils in den Anderen hineinversetzen. Dabei geht es nicht um die Ukraine allein: Denn die Wurzeln der UkraineKrise liegen tiefer. Die Ukraine ist zum Opfer einer Vertrauenskrise zwischen Russland auf der einen und der EU und den USA auf der anderen Seite geworden, die sich in den vergangenen zehn bis 15 Jahren immer mehr aufgebaut hat. 12 Hätte es ein starkes gegenseitiges Vertrauen gegeben, so wie es zur Zeit der EU-Osterweiterung 2004 zwischen der EU und Russland noch existierte, dann hätte es nicht zu diesem Tauziehen um die Ukraine so nicht gegeben. Die EU muss sich die Frage stellen, ob Russland im vergangenen Jahrzehnt tatsächlich als strategischer Partner und damit auf Augenhöhe wahrgenommen, oder nicht doch eher gemieden wurde. Dass das EU-Konzept der „Östlichen Partnerschaft“ 2008 ohne klare Einladung an Russland entwickelt wurde, war nicht klug. Man versucht dies nun im Nachhinein zu korrigieren und das ist gut. Dass Russland bei den Verhandlungen zu einem EUAssoziierungsabkommen nur Zaungast war, obwohl die Ukraine über ein Freihandelsabkommen mit dem GUS-Raum verbunden ist und mit diesem Wirtschaftsraum engste Handelsbeziehungen pflegt, war unserer Meinung nach ein Fehler. Dass es bis heute keine Visa-Freiheit zwischen der EU und Russland gibt, obwohl es von Moskau seit 2004 angeboten wird – auch das gehört in das Kapitel des fehlenden Vertrauens. Da wurden große Chancen schlichtweg vertan. Damit ich nicht falsch verstanden werde: (Die Bild-Zeitung hat mich ja als Putin-Versteher bezeichnet). Ich sage: Russland ist keineswegs schuldlos an der Lage. Fehler wurden auf beiden Seiten begangen. 13 Ich halte das jetzige Krisenmanagement, das die Bundesregierung – insbesondere die Bundeskanzlerin und der Bundesaußenminister betreiben – für äußerst wichtig und gut. Schon im Frühjahr 2014 hat mir Vize-Premier Schuwalow gesagt. Ihr Deutsche seid die einzigen, die eine Vermittlung vielleicht schaffen können. Wir reden mit Euch. Und ich weiß nicht, wie viele Telefonate es zwischen Merkel und Putin bereits gab. Sicher über 100. Es ist seit einem Jahr maßgeblich der Bundesregierung zu verdanken, dass überhaupt noch miteinander geredet wird. Wir müssen jetzt aber über diese Krisentelefonate hinaus wieder in einen regelmäßigen und ergebnisorientierten Verhandlungsprozess hineinkommen. Dabei geht es auch, aber nicht nur um die Ukraine allein. Nicht zuletzt das Verhältnis zwischen der EU und Russland muss wieder konstruktiv werden, damit neues, gegenseitiges Vertrauen aufgebaut werden kann. Beide Seiten haben dazu ihren Beitrag zu leisten. Rolle der Wirtschaft Wie schon im Kalten Krieg der 1950er Jahre könnten es auch im Jahre 2015 die wirtschaftlichen Interessen sein, die vielleicht zu einem neuen Miteinander zwischen der EU und Russland beitragen können. Unternehmer sind wichtige, in diesen Tagen wieder dringend notwendige Brückenbauer zwischen Ost und West. Im Verhältnis zu Russland gilt das ganz besonders. 14 Russland wird als Rohstofflieferant für die EU dauerhaft unverzichtbar sein, daran wird auch langfristig kein Weg vorbei führen. Russland wird ein zuverlässiger Lieferant bleiben, so wie bereits in den vergangenen 40 Jahren. Umgekehrt benötigt die russische Wirtschaft moderne Technologien. Wirtschaftlich gibt es also gemeinsame Interessen, auf deren Grundlage man verhandeln könnte. Eine entscheidende Frage auf dem Weg zu einer Lösung der derzeitigen Krise lautet, wie wir Länder wie die Ukraine, Moldau oder Georgien aus der Zwickmühle befreien können, sich zwischen dem EU-Binnenmarkt und der von Russland initiierten Eurasischen Wirtschaftsunion entscheiden zu müssen. Möglich wäre dies, indem in Europa ein großer, gemeinsamer Freihandelsraum von Wladiwostok bis Lissabon geschaffen würde. Auch wenn das aus heutiger Sicht eine Vision ist; aber es ist eine, bei der es sich lohnt, sie zu verfolgen. Ideal wäre es, wenn sich dieser gemeinsame Wirtschaftsraum auf gemeinsame Industriestandards, Normen, Zölle und auf den freien Austausch von Dienstleistungen, Kapital und nicht zuletzt auf freien Reiseverkehr ohne Visa-Bestimmungen einigen könnte. Ich bin sehr froh dass die Bundeskanzlerin und Bundeswirtschaftsminister Gabriel mehrfach die Bereitschaft unterstrichen haben, mit Russland über einen gemeinsamen Wirtschaftsraum zu verhandeln. Wir haben vor einigen Wochen mit dem russischen Wirtschaftsminister Uljukajew und auf der Münchener Sicherheitskonferenz mit Außenminister Lawrow und Minister Gabriel gemeinsam über das Thema gesprochen. 15 Auch die EU-Außenbeauftragte Mogherini hat vor kurzem in einem Positionspapier die Vision des „Wirtschaftsraums von Lissabon bis Wladiwostok“ wieder aufgegriffen. Ein Konzept dafür hatten die EU und Russland bereits vor über zehn Jahren einmal erarbeitet. Seitdem ist nicht mehr viel passiert. Im Gegenteil, der Gesprächsfaden über ein „Gemeinsames Haus Europa“ (Gorbatschow) mit einem gemeinsamen Wirtschaftsraum ist gerissen. Wir sollten dieses Projekt wieder beleben, denn es liegt in unserem gemeinsamen, gesamteuropäischen Interesse. Denn wenn wir Europäer uns dauerhaft spalten, werden die Geschicke der Weltwirtschaft andernorts bestimmt. Ich gestehe, dass ich jetzt sehr hoch abhebe. Aber versetzen Sie sich einmal gedanklich in einen Hubschrauber und blicken auf die Welt. Was genau passiert gerade wirtschaftlich: Sie sehen, dass die USA durch ihre zunehmende Unabhängigkeit von Rohstoffimporten (Stichwort Fracking) noch stärker wird. Bei China wird diskutiert, ob das Wachstum 7,5 oder 8,5 Prozent pro Jahr beträgt. Die beiden Stärksten werden stärker. Und in dieser Situation beginnen wir Europäer uns gegenseitig zu beharken. Aber nur ein gemeinsames Europa wird noch eine Stimme im Konzert der Weltwirtschaft haben. 16 Schauen sie sich die demographische Entwicklung an: Vor 100 Jahren war jeder dritte Mensch Europäer. In 30 Jahren geht dieser Anteil auf deutlich unter 10 Prozent der Weltbevölkerung zurück. Schlussbemerkung Und damit komme ich zu meiner Schlussbemerkung: Noch ist kein abschließendes Urteil möglich, aber der 12. Februar 2015 könnte für Europa zu einem historischen Datum werden. 17 Stunden lang verhandelten in Minsk unter Vermittlung von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten François Hollande der russische Präsident Wladimir Putin und der ukrainische Präsident Petro Poroschenko über einen Weg zum Frieden in der Ost-Ukraine. Man muss der Bundeskanzlerin dankbar sein, dass sie in Minsk ins persönliche Risiko gegangen ist. Nicht im Raum, aber nicht weit davon entfernt saßen Vertreter der ostukrainischen Separatisten und der OSZE. Mit dem Abkommen von Minsk II besteht nach über einem Jahr Dauerkrise ein von den wichtigsten Politikern Europas getragener Fahrplan hin zu geordneten Verhältnissen im Osten der Ukraine. Noch ist nicht sicher, ob dies nur eine Atempause nach einem blutigen Bruderkrieg bedeutet. Ich war vor 2 Wochen optimistischer als heute. Die Hoffnung auf dauerhaften Frieden ist weiterhin schwankend – gerade bei den aktuellen Nachrichten -, sie hat aber seit Minsk zugenommen und öffnet den Blick auf gemeinsame Lösungen. Und ohne diese Hoffnung auf Frieden gibt es kaum Hoffnung auf eine Rückkehr der wirtschaftlichen Prosperität in der ganzen Region. 17 Die deutschen Unternehmen in Russland setzen zur Lösung des UkraineKonfliktes auf zwei Ansätze: 1. Der Friedensprozess von Minsk muss in einen dauerhaften Waffenstillstand und eine Stabilisierung der Ukraine münden. Hier wird es insbesondere um die Entwicklung eines modus vivendi zwischen Kiew und den Vertretern der Separatisten gehen müssen. Zu denken, dass der Schlüssel dafür allein in Moskau liegt, wäre falsch. 2. Zum Zweiten wird es eine wirtschaftlich prosperierende Ukraine nur geben können, wenn das Land auch mit Hilfe russischer Kredite und Investitionen stabilisiert wird und die Möglichkeit erhält, den EU-Markt zu erschließen ohne den russischen Markt zu verlieren. Dies setzt eine Verständigung der EU mit Russland über das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine voraus. Ein EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine wird nur dann erfolgreich sein, wenn es zu gemeinsamen Lösungen mit Russland kommt. Es ist illusorisch, die Ukraine ohne wirtschaftliche Beteiligung Russlands zu stabilisieren. Man hat angefangen zu reden, das ist gut. Nicht übereinander, sondern miteinander reden – dies muss weiterhin die Devise sein. Stabilität und Sicherheit sind die Grundvoraussetzungen für eine positive wirtschaftliche Entwicklung und damit für Investitionen und Arbeitsplätze. Uns ist allen klar, dass der Verständigungsprozess und die Wiederherstellung von Vertrauen nach Monaten des Konflikts Zeit und Beharrlichkeit brauchen wird. Aber jede Reise beginnt bekanntlich mit den ersten Schritten. Und Minsk II – da bin ich zum Abschluss etwas optimistischer – war mehr als ein Schritt dieser langen Reise. Ich danke Ihnen sehr herzlich für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf Ihre Fragen! 18