Asienhaus-Rundbrief 33/2003, 14.11.2003 Die Kosten der Ära

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Asienhaus-Rundbrief 33/2003, 14.11.2003 Die Kosten der Ära
Asienhaus Rundbrief 33/2003
Asienhaus-Rundbrief 33/2003,
14.11.2003
ad 4) Malaysia: Eine Bilanz der Ära Mahathirs
von Farish A. Noor
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Farish A. Noor ist Politologe und Menschenrechtsaktivist. Er stammt aus Malaysia. Er
ist Mitglied der NGO JUST, HAKAM und SUARAM. Zur Zeit arbeitet er als Research
fellow am Zentrum für Moderne Orientstudien, Berlin. Die Übersetzung aus dem Englischen
wurde besorgt von Markus Gerboth.
Die Kosten der Ära Mahathir in Malaysia (1981-2003)
von Farish A. Noor
Die Ära Mahathir ist (endlich) vorüber und die normalsterblichen Malaysier
beginnen, die Frage nach den Kosten zu stellen - den menschlichen,
ökonomischen und politischen Kosten von mehr als zwei Jahrzehnten
spektakulärer Entwicklung und ebenso spektakulärer Fehlschläge. Noch bevor der
Mann seinen Posten räumte, begann der Glanz der Mahathir-Jahre zu verblassen:
keine zwei Wochen vor seinem Ausscheiden aus dem Amt muss die Nachricht,
dass der Wolkenkratzer 101 in Taiwans Hauptstadt Taipeh nun fertiggestellt ist,
einen wunden Punkt in Dr. Mahathir Mohamad´s Seele getroffen haben. Bedeutet
es doch, dass sein ganzer Stolz, das Kuala Lumpur City Center-Hochhaus nicht
länger das höchste Gebäude der Welt ist und dass Malaysia seine Führungsrolle
für immer verloren hat. Mehr noch: Malaysia ist derzeit wohl kaum in der Lage, ein
weiteres weltrekordverdächtiges Gebäude zu errichten, und von vielen einfachen
Leuten hört man ein Seufzen der Erleichterung.
Mahathirs anti-jüdische Abschiedsbotschaft
Bekannt für seine flammenden Reden und Stegreifkommentare, waren seine
letzten Tage im Amt voller Zwischenfälle und Dramen, die den komplexen und
oftmals verwirrenden Charakter dieses Mannes offenbaren: Hatte er ursprünglich
den islamischen Extremismus verurteilt und muslimische Regierungen dazu
aufgerufen, Selbstmordattentate als Mittel des Kampfes zu verurteilen, so schockte
er die Welt anlässlich einer Rede auf dem OIC-Gipfel in Malaysia mit Verweisen
auf eine ´jüdische Weltverschwörung´. Indem er behauptete, dass "...Juden die
Welt durch Stellvertreter regieren..." und sie "...Sozialismus, Kommunismus,
Menschenrechte und Demokratie erfunden ..." hätten, um Verfolgung zu entgehen
und die Kontrolle in der westlichen Welt zu erlangen, gerierte er sich nach Art eines
Demagogen, der sein Bestes tut, um die Unterstützung der arabischen Welt zu
bekommen, während er doch gleichzeitig die islamische Opposition im eigenen
Land zurückdrängt. Wie immer hatten diese Kommentare und Argumente, die
oftmals ausschweifend und bombastisch wirken, ihren Preis.
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Mahathirs Schatten über Malaysia
Die Ära Mahathir von 1981 bis 2003 hat zweifellos der politischen, ökonomischen
und sozialen Landschaft Malaysias ihren Stempel aufgedrückt. Malaysia ist
heutzutage ein Land mit beeindruckenden Wolkenkratzern und glitzernden
Konsummeilen, aber bei genauem Hinsehen sieht man auch Slums,
Flüchtlingscamps und chronische Verstopfung in den Straßen.
Vieles von dem Wandel beruht auf lokalen sowie internationalen und variablen
Faktoren, über die Dr. Mahathir keine Kontrolle hatte, aber ebenso viele Umbrüche
und Wechsel sind seiner Politik und seinem Politikstil geschuldet. Innerhalb von
zwei Jahrzehnten verwandelte die Mahathir-Administration Malaysia mit Hilfe
westlicher und japanischer Investoren von einer rückständigen und kolonial
geprägten Wirtschaft in eine semi-industrialisierte Zulieferindustrie mit einem
festen Platz im Weltmarkt. Die malaysische Gesellschaft hat all die Schocks
erfahren, die als Begleitumstände rapider Modernisierung und Entwicklung
auftreten: Von der Migration vom Land in die Stadt in großem Maßstab über das
Auftreten sichtbarer Schichten- und Machtunterschiede bis hin zu den Problemen
überbevölkerter Metropolen.
Mehr als jeder andere vor ihm stärkte Dr. Mahathir das internationale Profil
Malaysias im Ausland. Er war ätzend in seinen Angriffen auf die unilaterale Rolle
der Vereinigten Staaten, die Macht des westlichen Finanzkapitals und auf das, was
er für die neokolonialen Intrigen gegen die Entwicklungsländer hielt. Doch seine
Kritik an der Heuchelei und dem zweierlei Maß des Westens stand in keinem
Verhältnis zur Kritik an den Dritte Welt-Despoten, die seine Verbündeten waren: er
wurde oft bezichtigt, blind zu sein gegenüber den Menschenrechtsverletzungen in
arabischen und afrikanischen Ländern, denen er sich näher fühlte. Im eigenen Land
nahm man Mahathirs Kritik am zweierlei Maß des Westens mit einer gehörigen
Prise Skepsis auf. Schließlich war er derjenige, der die Verantwortung trug für
Verhaftung, Arrest und Einkerkerung zahlreicher Oppositioneller und die
Beibehaltung einer strengen Zensur auf die Pressefreiheit.
Die Asienkrise zeigt die Grenzen auf
Es war dann die Wirtschaftskrise 1997-98, welche den Schwung der Entwicklung
brach und die wirtschaftliche Blase zum Platzen brachte: Über Nacht wurden sich
die Malaysier (wie auch andere Südostasiaten) der Anfälligkeit des ökonomischen
und politischen Konsens bewusst. Diese Wirtschaftskrise zeigte, wie verwundbar
die Ökonomie Malaysias in der ökonomischen Großwetterlage und angesichts der
räuberischen Manöver des internationalen Finanzkapitals war. Mehr noch, die
Krise zeigte, bis zu welchem Grad das malaysische ´Wirtschaftswunder´ lediglich
auf Spekulation beruhte, dem wahllosen Zahlen von Löhnen je nach politischen
Interessen sowie die Abhängigkeit des Landes von fremdem Kapital. Dem folgten
die Wut und der Zorn der Öffentlichkeit, als herauskam, dass ein großer Teil des
ökonomischen Erfolges einer Kultur des Nepotismus, der Korruption und
Vetternwirtschaft geschuldet war, die im eigentlichen Herzen des politischen
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Establishment praktiziert wurde: nach zwei Jahrzehnten des Mahathirismus, welche
unhinterfragt verstrichen waren, schienen die Verbindungen zwischen Politik und
Business enger als jemals zuvor.
Um die Dinge zu komplizieren, führte die Wirtschaftskrise schnell zu einer
politischen Krise, als Dr. Mahathir öffentlich in Streit geriet mit seinem
Stellvertreter, dem gemäßigt reformerischen Islamistenführer Anwar Ibrahim, den
Mahathir zunächst hofiert und 1982 in die regierende UMNO (United Malay
National Organisation) gebracht hatte. Im Zuge dieses politischen Machtkampfes
wurde Anwar Ibrahim von seinem Posten als stellvertretender Premier und
Finanzminister entfernt, im Führungszirkel der UMNO kaltgestellt und schließlich
verhaftet und eingesperrt. Zur weiteren Verwirrung in dieser skandalösen Episode
trug bei, dass Anwar nicht nur mit vorgehaltener Pistole verhaftet, sondern von
niemand geringerem als dem obersten Polizisten Malaysias, Generalinspekteur
Rahim Noor, öffentlich beleidigt wurde. Den folgenden Prozess gegen Anwar
Ibrahim betrachteten viele als Justizposse, die mehr dem Ansehen der
malaysischen Justiz, dem Rechtsapparat und der Polizei schadete als Anwar
Ibrahim selbst.
Schwächung des politischen Systems
Diese Entwicklungen bringen die strukturellen und institutionellen Kosten der
Mahathir-Ära ans Licht. Der Mann, der vorgeblich die malaysische Wirtschaft auf
spektakulärste Art und Weise transformiert hat, wird auch verantwortlich gemacht
für den systematischen Niedergang vieler vitaler Institutionen, von der Justiz bis hin
zu den Polizeikräften.
Nach zwei Jahrzehnten Mahathirismus ist der malaysische Staat heute noch
zentralisierter und das Erzwingungspotential und die Macht der Regierung auf
einem Höhepunkt. Die Presse des Landes wurde durch Aufkauf der wichtigen
Zeitungen und Fernsehsender durch die Parteien der Nationalen Koalition unter
Kontrolle gebracht. Die Opposition wurde niedergezwungen und eingeschüchtert
durch den Gebrauch von Gesetzen wie dem ISA (Internal Security Act), das die
Inhaftierung ohne vorherigen Prozess erlaubt sowie einem ganzen Schwarm
anderer Gesetze wie dem Anti-Aufruhr-Gesetz noch aus der britischen Kolonialzeit.
Obwohl sein Ansehen als Ultra-Nationalist auf dem Anspruch basierte, Malaysia
aus den Fesseln kolonialer und neo-kolonialer Herrschaft zu befreien, scheute Dr.
Mahathir - wie so viele andere Führer der Dritten Welt auch - nicht davor zurück,
die gleichen repressiven Gesetze anzuwenden, um sein Volk zu kontrollieren und
ihm seinen Willen aufzuzwingen.
Islamisierung Malaysias unter Mahathir
Das Beunruhigendste an der Ära Mahathir ist vielleicht sein Verhältnis zum Islam.
Bei seinem Machtantritt 1981 erschien Dr. Mahathir als Förderer eines
progressiven, gemäßigten und liberalen Islam, um der gefährlichen Strömung des
fundamental konservativen Islam zu begegnen, die anderswo in der muslimischen
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Welt anwuchs. Zu diesem Zweck machte sich seine Regierung zum Schirmherr und
Förderer einer Reihe von islamischen Initiativen wie der Islamischen Internationalen
Universität, islamischen Banken und Versicherungen sowie einer Reihe
islamischer Forschungseinrichtungen und Denkfabriken. In dieser Zeit engagierte
sich die UMNO in einer Art ´Islamisierungswettlauf´ gegenüber der PAS (Parti
Islam Semalaysia), und UMNO suchte eine Modernisierung des Islam durch
Umarmung durch die Regierung und den Staatsapparat.
Zwei Jahrzehnte später hat sich die malaysische Gesellschaft und ihre Politik
tatsächlich zu einem mehr islamischen Muster hinentwickelt, doch nicht in der
beabsichtigten Weise. Heutzutage spricht die UMNO die Sprache des islamischen
Gottesstaates und ihre Führer machen Gesetzesvorschläge, die exakt so hart und
konservativ erscheinen wie die der Hardliner von der PAS. Auf diesem Terrain,
nämlich dem Kampf um die Herzen und Köpfe der Muslime, ist Mahathir zuallererst
gescheitert. Dank seiner Verfolgung und Dämonisierung der islamischen
Opposition haben ausgerechnet PAS und andere konservative Gruppen größeren
Einfluss erlangt als die übrigen Oppositionsparteien im Land. Malaysias
undemokratisches System hat Wege geöffnet für noch undemokratischere Formen
des Islam, die nun blühen und gedeihen. An den Universitäten des Landes hat die
islamische Opposition in jeder Wahl der letzten fünf Jahre Fuß fassen können - ein
überdeutliches Zeichen, dass die Muslime Malaysias den modernistischen,
entwicklungsorientierten Islam Mahathirs mittlerweile ablehnen.
Nachfolger im Schatten Mahathirs Erbe
Dr. Mahathirs Nachfolger Dato Abdullah Ahmad Badawi wird sich einer gewaltigen
Aufgabe gegenübersehen. Er wird die bürokratischen Institutionen des Staates
neu organisieren müssen und dafür sorgen, dass Regierungsposten nach
Verdiensten und nicht nach politischen Verbindungen vergeben werden. Er muss
das Justizsystem reformieren und Malaysier und Ausländer gleichermaßen davon
überzeugen, dass das malaysische Justizsystem fair und unpolitisch sein kann.
Der ´Islamisierungswettlauf´ zwischen UMNO und PAS muss umgesteuert werden,
wenn nicht sogar ganz gebremst werden, und die Regierung muss eine Vision des
Islam fördern, die vereinbar ist mit den Werten der Toleranz, des Pluralismus, der
Demokratie und dem Respekt für die fundamentalen Menschenrechte der
malaysischen Bürger. Ökonomisch muss er die malaysische Wirtschaft
wiederbeleben und sich auf weniger glamouröse und spektakuläre Projekte
konzentrieren und versuchen, die Wunden und Spaltungen zu heilen, die durch
unsymmetrische und ungerechte Entwicklungspolitik entstanden sind. Vor allem
aber muss er Malaysia etwas zurückgeben, das als Kostenpunkt an seine rapide
Entwicklung preisgegeben wurde: seine demokratische Kultur und Institutionen,
welche auf dem Altar des Pragmatismus und des schnellen ökonomischen Erfolgs
geopfert worden sind. Ob all dies von Badawi oder jemand anderem geleistet
werden kann, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch eine offene Frage, denn der nächste
Premier Malaysias arbeitet im langen Schatten, den die Ära Mahathir wirft.
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