Paulus` heiliger Zorn klingt im Kirchenschiff
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Paulus` heiliger Zorn klingt im Kirchenschiff
SEITE 22 DIENSTAG, 20. APRIL 2010 LIEDERMACHER Mit seinem Pro- PERFORMANCE Zum Auftakt gramm „Vielleicht zum letzten Mal“ räumt Ludwig Hirsch auf. Seine dunkelgrauen Lieder begeistern das Publikum im Velodrom. des Festivals „überBrücken“ war Graham Bucklands Kammeroper „Graham’s Anatomy“ zu hören. ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● MITTELBAYERISCHE ZEITUNG Der räudige Wolf träumt von Freiheit Anarchie und Strenge VON RANDOLF JESCHEK, MZ KULTUR K1_NM ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● Geahnt haben wir es ja schon immer. Jetzt ist es amtlich: „Brauchst kein Gehirn, Verehrter mein, / um Chef zu werden, stolz und fein: / musst nur ein echtes Arschloch sein.“ Diese ultimative Einsicht verdanken wir Graham Buckland, Chef (!) des Regensburger Uni-Orchesters, Komponist mit bemerkenswertem Hang zur Selbstironie und Initiator des gerade angelaufenen Festivals „überBrücken“, das bis zum 12. Mai neue Impulse verspricht, mit Chorund Orchester-Konzerten, Kammermusik, Vorträgen, Workshops, Orgelimprovisationen, Musiktheater, mit Klassik, Pop und Jazz, pur und über Kreuz, mit über 30 Veranstaltungen, und das alles zum Nulltarif. Zum Einstieg also Bucklands neue Kammeroper „Graham’s Anatomy“. Es wurde gesungen, gespielt und agiert, auf, vor, hinter und neben der Bühne im Kallmünzer Schullandheim. Thema: Wie organisiert sich eine Hierarchie, der menschliche Körper beispielsweise. Dazu hat sich Buckland eine kleine Geschichte ausgedacht und sie in fünfzehn abenteuerliche QuasiTerzinen gefügt: „Als Gott des Menschen Körper schuf / So hörte jedes Teil den Ruf: / Das Ding zu führen, Kopf bis Huf.“ Und jedes Teil fühlt sich berufen und nimmt am Casting teil. Das Gehirn (repräsentiert durch die Violine) brilliert mit virtuosem Gestus, die Hände (Trompeten) und Augen (Klarinetten) wollen es als Doppelspitze versuchen, auch die Innereien melden Ansprüche an, so geht das eine Weile, bis zu guter Letzt das kleine Arschloch die Führung beansprucht, was zunächst bei den anderen Heiterkeit hervorruft. Aber nicht lange, denn wer am Schalthebel der Macht sitzt (hier: Schließmuskel), braucht keine Fachkompetenz, der kann auch so alles lahmlegen. Und dass das Wichtigste im Leben eine funktionierende Verdauung ist, das wusste schon Montaigne. „So wurde es, so ist es heut:/ Das kleine Arschloch, rosarot / Ist Chef, tut nichts und gibt aus Kot.“ So huldigen im Schlusschor alle Teile dem Sieger, kakophon zwar, doch ergeben. Auch das Publikum sparte nicht mit Beifall, amüsierte sich eine kurzweilige Stunde lang, genoss die Selbstdarstellung zahlloser Orchesterinstrumente, lauschte den schicken Harmonien und eleganten polyphonen Wendungen des Vokalquartetts, das die Geschichte erzählte, wurde darüber hinaus auch noch mit Folk-PopOhrwürmern (mit Dudelsack) verwöhnt. Eine gelungene Performance mit Musik aller Art, halb „A Young Person’s Guide to the Orchestra“, halb Kagelsches Instrumententheater. Diese Melange aus Anarchie und Strenge macht sichtlich auch den über dreißig Mitwirkenden Spaß, die durch die Bank erfreuliche Fachkompetenz ausstrahlten. Und am rechten Rand, sozusagen im Hintergrund, hielt Buckland am Keyboard unspektakulär alle Fäden in der Hand. KALLMÜNZ. Neo-Rauch-Schau in München MÜNCHEN. Die große Neo-Rauch-Retro- spektive „Begleiter“ startete gestern auch in der Münchner Pinakothek der Moderne. Die Ausstellung in München ist Teil einer Doppelschau. Der andere Teil war am Sonntag in Leipzig eröffnet worden. Beide Ausstellungen zeigen mit jeweils 60 Werken bis zum 15. August einen Überblick über das Werk des Künstlers. (dpa) ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● VON RALF STRASSER, MZ ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● Die Bühne ist so wie seine Lieder und seine Gesinnung: schwarz. Ludwig Hirsch, der gar nicht so typische Wiener aus der Steiermark, sitzt in tiefes Dunkel getaucht, nur von einem Spot erhellt und erzählt von Gott im Zwiegespräch mit dem Teufel und letztendlich überlässt Gott die Schaffung des Menschen seinem Widersacher aus der Hölle. Schöpfungsgeschichte à la Hirsch. So beginnt das aktuelle Best-of Programm des Meisters der dunkelgrauen Lieder. Zusammen mit Johann Bertl (Gitarre, Tasten), Manfred Schweng (Bass) und Andi Steirer (Schlagzeug, Percussion) ist er auf Tour mit Liedern aus über dreißig Jahren Schaffen – oder wie Ludwig Hirsch es ausdrückt: „Wir wollen Bilder malen. Weiße, schwarze, blaue oder eben dunkelgraue“. Äußerlich hat er sich angepasst. Grau ist er geworden, der 64-jährige Liedermacher, der 1973 auf der Bühne des Stadttheaters Regensburg sein schauspielerisches Debüt hatte. REGENSBURG. Er gräbt tief in seinem Fundus Sein Publikum hat er in den 32 Jahren mitgenommen, junge Gesichter sieht man im Velodrom eher selten. Er spielt und singt das, „was die Leut’ halt hören wollen“. Und er will zum Staunen, Lächeln und Träumen animieren. Ein Vorsatz, der bestens gelingt – es gibt wohl kaum einen Künstler, der den Spagat zwischen Melancholie, bitterbösen Texten und Heiterkeit so gut schafft wie Ludwig Hirsch, auch wenn sich seine Gefühlsmimik auf der Bühne eher auf sehr minimalistisches Niveau begibt. Nicht nur aus der Tatsache heraus, dass die städtische Bühne „Die sieben Raben waren nur sechs, die gute Fee, des war a Hex’, der böse Wolf ein kleiner Dackel, der Märchenprinz ein schiacher Lackl“ singt Ludwig Hirsch bei seinem Konzert im Velodrom. Foto: altrofoto.de es mit der Heizung gut gemeint hat – es macht sich eine wohlige innere Wärme breit. „Lehn’ dich einfach zurück und horch mir zua“ singt die hagere und asketische Gestalt auf der Bühne mit tiefer und beruhigender Stimme. Es sind die Erinnerungen und die Poesie in den Liedern, die ein Lächeln auf die Gesichter der Zuhörer zaubert. Seit 1978 ist er mit seinen dunkelgrauen Liedern unterwegs. In Regensburg hat er seinen immensen Liederfundus dabei, in dem er tief und reichlich gräbt. Da ist der etwas schrullige, aber nette Herr Haslinger mit seiner Vorliebe für Erstklässler, der räudige alte Wolf ist mit dabei, dem man die Zähne ausgerissen hat und der immer noch von der Freiheit träumt, von schwarzen Vögeln ist die singende Rede, Jonas erlebt noch einmal die Reise mit seinem Märchen, lustigen und traurigen Geschichten und makaberen Lebensweisheiten von drei außergewöhnlich guten Musikern. Bertl, Schweng und Steirer erzeugen den typischen Hirsch-Klangteppich: dicht, gut temperiert, stimmig. Auch sie umhüllt der Applaus, der sich vor den Zugaben in stehende und stürmische Ovationen verwandelt. Nach „Geh, spuck den Schnuller aus“ und „Komm, großer schwarzer Vogel“ gehen die Lichter aus. „Vielleicht zum letzten Mal“ in Regensburg, wie es aus dem Tourneetitel orakelt. Das wollte der Herr mit den grauen Haaren in Reihe sieben gar nicht hören. „Auf Wiedersehen 2013“ ruft er Ludwig Hirsch zu. Der lächelt sein feines aber distanziertes Lächeln. Man könnte meinen, ein leichtes Nicken zu bemerken. Vielleicht doch nicht zum letzten Mal. Wal und sein Freund der Schurlibua schickt sich selber seiner Freundin in einem Packerl und geht dabei jämmerlich zugrunde. Die Stammersdorfer Omama verabschiedet sich, Hirsch singt vom Peterle, dem schon im Himmel ein Engerl ein Licht im Hirnkasterl ausgeblasen hat und er bittet die Damen, keine Frösche zu küssen, in der Hoffnung, es könne ein Prinz daraus werden. „Frösche hassen feuchte Küsse“, verrät er mit stoischer Miene auf seinem Barhocker. Der typische Hirsch-Klangteppich Richtig schwarz wird es beim Lied „I lieg am Rucken“, bei dem Würmer keine unwesentliche Rolle spielen und bei der ins Grab bringenden Melodie für „Tante Marie“, dargeboten mit diabolischer Freude. Begleitet werden die poetischen Liebeslieder, bitterbösen Paulus’ heiliger Zorn klingt im Kirchenschiff FESTIVAL Bei den Konrad- Max-Kunz-Tagen erinnert der Oratorienchor Schwandorf mit Mendelssohns „Paulus“ an die Chorbewegung des 19. Jahrhunderts. ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● VON JUAN MARTIN KOCH, MZ ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● SCHWANDORF. „Ihr Männer, was macht ihr da?“ Der heilige Zorn des Paulus, den Bassist Thomas Peter mächtig ins Schiff der Schwandorfer Pfarrkirche Sankt Jakob schleuderte, kam aus tiefstem Herzen. Hatte der Sänger sich zuvor doch sichtlich ärgern müssen, dass die Jüngsten aus dem in seinem Blickfeld sitzenden Mädchenchor nach und nach ihren menschlichen Bedürfnissen nachgingen oder aber mit Getränken gestärkt werden mussten. Eine kleine Pause nach dem ersten Teil hätte hier leicht Abhilfe geschafft, auf die anrührenden, gegenüber dem Original zur Einstimmigkeit vereinfachten Choralabschnitte hätte man jedenfalls ungern verzichtet. Unangestrengte Klangentfaltung Die Verbindung von Mendelssohns erstem großen Oratorium zum Bayernhymnen-Komponisten Konrad Max Kunz, der von Schwandorf aus als Opernchorleiter in München Karriere machte, ist wohl eher eine indirekte. An die Chorbewegung des 19. Jahrhunderts, der auch Kunz verpflichtet war, wollte man im Rahmen des Musikfestivals erinnern, das die Stadt Schwandorf ihrem Sohn anlässlich des Jubiläums 150 Jahre Bayernhymne widmet. Dieser aus der Mitte der Gesellschaft kommenden Bewegung machte der seit zehn Jahren bestehende Oratorienchor Schwandorf dann alle Ehre. Intonationssicher, mit unangestrengter Klangentfaltung wurden die gut 50 Sängerinnen und Sänger den weit ausgreifenden, hymnischen Sätzen („Herr! Der du bist der Gott“, „Mache dich auf! Werde Licht“ oder „Die Götter sind den Menschen gleich geworden“) ebenso gerecht wie den erregten Zwischenrufen und dramatischen Fugati. Auch die Männerstimmen, die um der Balance willen zahlenmäßige Verstärkung vertragen hätten, machten ihre Sache selbst an exponierten Stellen sehr gut. Eindringliche dramatische Momente Thomas Peters Bass war eine Macht, jederzeit fähig, einer lebendigen Figur und gleichzeitig einer religiösen Botschaft Ausdruck zu verleihen. AnnaKarina Wild, selbst aus dem Schwandorfer Chor hervorgegangen, gestaltete die erzählenden Passagen mit lebendiger Diktion, die Jerusalem-Arie gelang ihr mit sicherer Höhe tadellos. Tenor Petr Strnad hatte eindringliche dramatische Momente, ebenso aber einige Probleme in den orchesterbegleiteten Rezitativen. Hier, wie auch in manchen ariosen Abschnitten gelang es Dirigent Robert Schander nicht immer, mit der Sinfonia Nova schnell genug auf kleine Tempoverschiebungen zu reagieren. Seinen Chor aber, der nur am Beginn des zweiten Teils eine kurze Ermüdungsphase durchmachte, steuerte er sicher durch das großdimensionierte Werk und eine intensive Aufführung, die im Schlusschor prachtvoll ausklang. Die drei Solisten Anna-Karina Wild (Sopran), Thomas Peter (Bass) und Petr Strnad (Tenor) gestalteten das Oratorium. Foto: Beer-Dausch ● ● ● ● ● ● ● ● ● WEITERE PROGRAMMPUNKTE DER KONRAD-MAX-KUNZ-TAGE ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ➤ Altbayerischer Bier- und Musikabend: Der Männerchor des „Sängerbunds 1861 Schwandorf“ und die „Schwandorfer Stadtstreicher“ singen Trink- und Spaßlieder aus der Feder von Konrad Max Kunz. Kellnerin Kathi (Kirstin Rokita) führt charmant-hinterfotzig durch den Abend und serviert ein dreigängiges Kunz-Menü. Termin: Samstag, 1. Mai, 20 Uhr, Sperl-Stadel, Fronberg. ➤ Uraufführung: „Kennen Sie Kunz?“ Angelehnt an einen Brief, den Konrad Max Kunz 1870 an König Ludwig II. schrieb, hat der Autor und Journalist Thomas Göttinger eine schräge und unterhaltsame Revue um den Komponisten der Bayernhymne kreiert, in der sich Originaltexte von und über Kunz mit eigenen Spielszenen mischen. In der Regie von Christine Wagner setzt die „Theaterbühne Schwandorf“ das Stück um. ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● Die Musiker Norbert Vollath, Mike Reisinger und Anka Draugelates haben dazu Variationen der Bayernhymne geschaffen. Termin: Freitag, 7. Mai, 20 Uhr, Sperl-Stadel, Fronberg. Weitere Aufführungen: 8., 13., 14. und 15. Mai. ➤ „Das Klavierlied – Chorsätze von Konrad Max Kunz“. Das Konzert mit Mitgliedern des „Oratorienchors Schwandorf“ stellt kleinere Chorkompositionen von Kunz vor und schlägt eine Brücke hin zum Klavierlehrer Kunz, der mit seiner Klavierschule von 1841 und seinen 200 Übungskanons für Anfänger weithin Beachtung fand. Kunz war auch einer der ersten Professoren am neu gegründeten Münchner Konservatorium, der heutigen Musikhochschule. Termin: Sonntag, 9. Mai, 20 Uhr, Spitalkirche. ➤ Karten für alle Veranstaltungen: Rathaus Schwandorf, Tel.: (0 9431) 4 51 99.