Computerspielsucht bei Kindern und Jugendlichen

Transcription

Computerspielsucht bei Kindern und Jugendlichen
Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung
Computerspielsucht bei Kindern und Jugendlichen
Wie kritisch ist die aktuelle Lage tatsächlich?
Aktuelle Forschungsergebnisse und die Konsequenzen für die
Soziale Arbeit
Diplomarbeit
(urn:nbn:de:gbv:519-thesis2009-0413-3)
Vorgelegt von:
Stefanie Tondera
Studiengang:
Soziale Arbeit/ Sozialpädagogik
Abgabetermin:
06.01.2010
Betreuender Gutachter: Prof. Dr. phil. habil. Barbara Bräutigam
Zweitgutachter: Dipl.-Päd. Claudia Emrich
Danksagung
Mit der vorliegenden Arbeit und dem nahenden Ende des Studiums ist für mich
der vorerst letzte große Meilenstein erreicht. Die Hochschule mit einem
abgeschlossenen Studium zu verlassen bedeutet, etwas Gewohntes loszulassen
und etwas Neues, Unbekanntes zu beginnen. Vor allem aber bedeutet es weniger
Zeit für mich, aber auch für die Menschen zu haben, die mich bereits ein Leben
lang begleiten oder dies bereits eine sehr lange Zeit tun. Das Anfertigen der
Diplomarbeit hat mich viel Kraft gekostet. Neben Phasen der hohen Motivation
und des Enthusiasmus gab es auch solche, die durch Stagnation und Trägheit
geprägt waren. Dennoch habe ich weitergemacht und meine Diplomarbeit fertig
gestellt. Nicht zuletzt lag das an eben diesen Menschen, denen ich an dieser
Stelle danken möchte. Allen voran möchte ich meiner lieben Mama danke sagen,
die mich stets auf all meinen Wegen und in jeder Phase meines Lebens
unterstützt hat. Als es darum ging, nach meiner abgeschlossenen Ausbildung
erneut die Schulbank zu drücken, um danach das Studium aufzunehmen, hat sie
nie an mir gezweifelt oder mein Vorhaben in Frage gestellt. Sie hat hinter mir
gestanden und mir stets gezeigt, dass sie sehr stolz auf mich ist. Ein Dankeschön
auch an Papa, Oma Ingrid und Opa Rolf für die aufmunternden Worte während
der Diplomarbeitsphase, aber auch für jede weitere emotionale, aber auch
finanzielle Unterstützung während des Studiums und in meinem bisherigen Leben.
Vielen Dank auch an meinen Bruder Stefan, der mich durch lange Telefonate ein
wenig ablenken und mit seiner erfrischenden Art wieder motivieren konnte. Ohne
euch alle, wäre ein Studium nicht möglich gewesen. Ein Dankeschön auch an
meinen Freund Florian Schulz, der mich in der Diplomarbeitsphase dazu animiert
hat, meinen Führerschein zu machen und diesen erfolgreich zu bestehen. Vielen
Dank auch an André Prinz und Steffi Strege, die sich viel Zeit genommen und mir
mit Anregungen und Kritik bezüglich meiner Arbeit zur Seite gestanden haben.
Weiterhin möchte ich mich bei allen Freunden und Bekannten bedanken, die mich
in irgendeiner Form bei der Diplomarbeit unterstützt, Interesse gezeigt und die
Entwicklung der Arbeit verfolgt haben. Nicht zuletzt möchte ich Frau Prof.
Bräutigam danken, die das Thema meiner Diplomarbeit angenommen und mich
darin bestärkt hat, obwohl ich bereits dabei war, es wieder zu verwerfen.
I
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung .............................................................................................................. 1
1
Computer spielen und Sucht ........................................................................ 4
1.1
2
1.1.1
Stoffgebundene und Stoffungebundene Sucht .................................. 5
1.1.2
Abhängigkeitssyndrom gemäß ICD-10.............................................. 6
1.1.3
Impulskontrollstörung ........................................................................ 7
Jugendmedienschutz .................................................................................... 9
2.1
Definition................................................................................................... 9
2.2
Rechtliche Grundlagen ............................................................................. 9
2.2.1
Jugendschutzgesetz.......................................................................... 9
2.2.2
Jugendmedienschutz-Staatsvertrag ................................................ 10
2.2.3
Strafgesetzbuch............................................................................... 10
2.3
3
Definitionen von Sucht.............................................................................. 4
Jugendmedienschutzeinrichtungen ........................................................ 11
2.3.1
Bundesprüfstelle für Jugendgefährdende Medien ........................... 11
2.3.2
Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle ............................................ 12
2.3.3
Kommission für Jugendmedienschutz ............................................. 15
2.3.4
Andere Einrichtungen ...................................................................... 16
Einführung in einige Computerspiele und Genres ................................... 17
3.1
Computerspielgenres.............................................................................. 18
3.1.1
Shooter............................................................................................ 18
3.1.2
(Online-)Rollenspiele für einen oder mehrere Spieler...................... 18
3.1.3
Sportspiele / Rennspiele.................................................................. 20
3.1.4
Sonstige Genres.............................................................................. 21
3.2
Computerspiele ...................................................................................... 22
3.2.1
Counter Strike ................................................................................. 22
3.2.2
FIFA................................................................................................. 25
3.2.3
Need for Speed ............................................................................... 25
3.2.4
Grand Theft Auto ............................................................................. 26
II
4
5
3.2.5
Battlefield......................................................................................... 29
3.2.6
Guild Wars....................................................................................... 30
Studie: Computerspielabhängigkeit im Kindes- und Jugendalter .......... 32
4.1
Einleitung................................................................................................ 32
4.2
Aufbau und Durchführung....................................................................... 32
4.2.1
Computerspielen im Jugendalter ..................................................... 32
4.2.2
Computerspielen im Kindesalter...................................................... 36
4.3
Zusammenfassung ................................................................................. 39
4.4
Schlussfolgerungen ................................................................................ 40
Behandlung und Therapie von Betroffenen und deren Angehörigen ..... 42
5.1
Beratungsstellen ..................................................................................... 42
5.1.1
Lost in Space / Café Beispiellos Berlin ............................................ 42
5.1.2
Mediensuchtberatung Schwerin ...................................................... 43
5.2
(Online-)Selbsthilfegruppen .................................................................... 45
5.2.1
Rollenspielsucht.de ......................................................................... 45
5.2.2
Onlinesucht.de ................................................................................ 46
5.3
Ambulante Therapiemöglichkeiten ......................................................... 48
5.3.1
5.4
Stationäre Therapie ................................................................................ 50
5.4.1
Psychosomatische Fachklinik Münchwies....................................... 50
5.4.2
Teen Spirit Island Hannover ............................................................ 53
5.5
Ein (kritischer) Blick ins Ausland............................................................. 54
5.5.1
6
Computerspielsuchtambulanz der Uniklinik Mainz .......................... 48
Behandlung von Computer- und Internetsucht in China .................. 54
Suchtprävention und Konsequenzen für die Soziale Arbeit .................... 58
6.1
Prävention durch Medienkompetenz ...................................................... 58
6.1.1
Definition des Begriffes Medienkompetenz ..................................... 58
6.1.2
Medienkompetenz für Eltern............................................................ 59
6.1.3
Medienkompetenz für Kinder........................................................... 61
6.2
Prävention durch Lebenskompetenzförderung ....................................... 62
6.3
Prävention durch alternative Angebote................................................... 62
6.4
Veränderungen in Studium und Praxis der Sozialen Arbeit .................... 64
6.4.1
Suchtberatung ................................................................................. 64
III
7
6.4.2
Medienpädagogik ............................................................................ 65
6.4.3
Sozialinformatik ............................................................................... 66
Fazit .............................................................................................................. 68
Literaturverzeichnis............................................................................................ 73
Internetquellenverzeichnis................................................................................. 77
Eidesstattliche Erklärung ................................................................................... 82
Abkürzungsverzeichnis
§
Paragraph
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
ebd.
ebenda, an derselben Stelle
etc.
et cetera (und so weiter)
Hrsg.
Herausgeber
i.V.m.
in Verbindung mit
u.a.
und andere
vgl.
vergleiche
z.B.
zum Beispiel
1
Einleitung
Das Medium Computer ist in der heutigen Zeit aus dem beruflichen Alltag nicht
mehr wegzudenken und gewinnt zunehmend an Bedeutung. In nahezu jedem
Unternehmenszweig, ist der Computer Grundlage der täglichen Arbeit. Im Lager
werden mit Hilfe von Computerprogrammen Eingang und Ausgang von Waren
kontrolliert. In Bibliotheken werden Bücher anhand spezieller Programme verbucht
und im Büro werden schriftliche Dokumente mit Schreibprogrammen am PC
erstellt. Geschäftliche Termine werden per E-Mail statt per Telefon vereinbart und
betriebsinterne Informationen werden über den E-Mailverteiler an alle Kollegen1
weitergegeben. In der Gesellschaft ist der funktionale Umgang mit Medien, vor
Allem
mit
Computer
und
Telekommunikation,
Voraussetzung
für
eine
Einsetzbarkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt.
Auch im privaten Bereich hat der Computer Einzug gehalten und nimmt neben
anderen
Aktivitäten
inzwischen
einen
Großteil
der
Freizeitgestaltung,
insbesondere bei Kindern und Jugendlichen ein. Verschiedene Studien konnten
dies nachweisen. Eine Vielzahl von Lernprogrammen soll Kinder und Jugendliche
beim
Verstehen
des
Schulstoffes
unterstützen
und
zum
Aufbau
von
Medienkompetenz beitragen. Nimmt die aktive Auseinandersetzung mit dem
Computer jedoch zuviel Zeit in Anspruch, werden andere Aktivitäten vollkommen
vernachlässigt, die Leistungen in der Schule schwächer und letztlich der Kontakt
zu Freunden und dem familiären Umfeld immer geringer, ist es möglich, dass sich
die funktionale Computernutzung zu einer Suchterkrankung entwickelt hat.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Phänomen Computerspielsucht
und soll auf folgende Fragen genauer eingehen:
Wie kritisch ist die aktuelle Lage in Deutschland bezüglich Computerspielsucht
tatsächlich und was wird in den Bereichen Politik und Recht bereits
entgegenwirkend getan? Welche Computerspiele werden von Kindern und
Jugendlichen am häufigsten gespielt und wie können diese sich auf das
Sozialverhalten
1
auswirken?
Welche
Behandlungsmethoden
werden
Aus Gründen der Lesbarkeit wird auf geschlechtsspezifische Endungen im Text verzichtet.
in
2
Deutschland angewandt und wie werden computerspielsüchtige Kindern und
Jugendliche im Ausland betreut? Welche Möglichkeiten haben Eltern, ein
Risikoverhalten der eigenen Kinder zu vermeiden? Über welche Präventions- und
Interventionsmöglichkeiten verfügen Institutionen der Sozialen Arbeit und welche
notwendigen Veränderungen ergeben sich in diesem Bereich?
Um diese Fragen umfassend zu beantworten, ist die vorliegende Arbeit in sechs
Abschnitte gegliedert.
Im ersten Abschnitt wird der Begriff Sucht zunächst genauer definiert, um eine
Grundlage zum Thema zu schaffen.
Im zweiten Teilbereich wird auf rechtliche Regelungen im Bereich des
Jugendmedienschutzes eingegangen. Außerdem werden Einrichtungen, die
Aufgaben im Rahmen des Jugendmedienschutzes erfüllen, näher vorgestellt.
Der dritte Abschnitt befasst sich mit verschiedenen Computerspielgenres und stellt
einige häufig genutzte Spiele vor. Dies soll einen kleinen Überblick über die
Spiellandschaft geben und aufzeigen, inwieweit einige Spiele Suchtpotenzial in
sich bergen und welche Abhängigkeiten vor Allem bei Mehrspielerspielen
entstehen können.
Im
vierten
Abschnitt
wird
eine
aktuelle
Studie
des
Kriminologischen
Forschungsinstitutes Niedersachsen zum Thema Computerspielabhängigkeit von
der Durchführung bis zu den Schlussfolgerungen des Institutes beschrieben.
Behandlungsmöglichkeiten und therapeutische Maßnahmen für Betroffene und
deren Angehörige werden im Abschnitt Fünf näher erläutert. In den Bereichen
Beratung, Selbsthilfegruppe, ambulante sowie stationäre Therapie werden
mehrere Einrichtungen vorgestellt. Das soll verdeutlichen, dass sich bereits ein
breit gefächertes Hilfesystem entwickelt hat, dass dazu beitragen soll, der
Computerspielsuchtproblematik entgegenzuwirken.
In Kapitel Sechs werden Präventionsmöglichkeiten im Bereich Computerspielsucht
vorgestellt und der Bezug zur Sozialen Arbeit hergestellt. Es wird auf
Veränderungen eingegangen, die in diesem Bereich bereits stattgefunden haben.
Außerdem wird zur Diskussion gestellt, welche weiteren Umstellungen es
zukünftig geben wird, oder welche notwendig werden.
Das Themengebiet Computer sowie der Bereich Sucht sind weit reichende Felder,
die Raum geben würden für weitere Ausführungen. In der vorliegenden Arbeit wird
3
die
Computerspielsucht
vorrangig
unter
rechtlichen,
medizinischen,
psychologischen und sozialpädagogischen Gesichtspunkten beleuchtet. Ein
Schwerpunkt wird auf die Behandlungsmöglichkeiten von Betroffenen gelegt. Die
Darstellung von umfassenden, technischen Grundlagen im Bereich Computer und
Internet
wurde
bewusst
aus
gelassen,
da
eine
Notwendigkeit
für
die
Abhandlungen dieser Arbeit nicht besteht.
Auf eine nähere Beschreibung des Onlinerollenspieles World of Warcraft in
Abschnitt Drei wurde verzichtet, da im Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und
Erziehung der Hochschule Neubrandenburg kürzlich eine weitere Arbeit verfasst
wurde, die sich speziell darauf bezieht.
Das häufige Zurückgreifen auf Internetseiten ist dadurch bedingt, dass vor Allem
für den dritten und fünften Abschnitt wenig Printliteratur vorhanden ist. Neben
Artikeln in Tages- oder Wochenzeitungen, werden heute zahlreiche Berichte und
Artikel online veröffentlicht. Besonders aktuelle Informationen und Änderungen,
die das Thema der Arbeit berühren sind vorrangig im Netz zu finden.
4
1 Computer spielen und Sucht
1.1 Definitionen von Sucht
Um heraus zu finden, ob im Zusammenhang mit dem exzessiven bzw.
pathologischen Computer spielen tatsächlich von einer Sucht im Sinne eines
klinischen Krankheitsbildes gesprochen werden kann, soll der Begriff zunächst
genauer definiert und aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden.
Der Begriff Sucht tauchte erstmalig häufiger während der Reformationszeit im
Zusammenhang mit übermäßigem Alkoholkonsum auf. Von der ursprünglichen
Wortbedeutung ausgehend, wurde dies bereits damals als eine Krankheit
angesehen. Sucht stammt vom althochdeutschen Wort „siech“ ab, was so etwas
wie krank bedeutet (vgl. Klein 2008, S. 2). Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden
in den unterschiedlichsten Ländern Schriften über übermäßigen Alkoholkonsum
veröffentlicht.
Diese
Schriften
brachten
das
ausschweifende
Trinken
in
Zusammenhang mit Erkrankungen des Körpers und der Seele, worauf hin ein
medizinisch-geprägter Suchtbegriff entstand. In der Mitte des 20. Jahrhunderts
formulierte E.M. Jellinek erstmalig die beiden Hauptkriterien der Sucht.
Kontrollverlust und/ oder Unfähigkeit zur Abstinenz. Jellinek war der erste
empirische Suchtforscher, der Alkoholkonsum als Krankheit verstand und daraus
die noch heute gängigen Kategorien für verschiedene Trinktypen (Alpha-Typ bis
hinzu Epsilon-Typ) in Bezug auf Alkoholkonsum entwickelte (vgl. Klein 2008, S. 3).
Neben Alkohol sind im Laufe der Zeit zahlreiche weitere Substanzen und Stoffe
mit dem Begriff Sucht in einen Kontext gebracht worden, sodass die
Weltgesundheitsorganisation (WHO) 1957 Sucht folgendermaßen definierte:
„Sucht ist ein Zustand periodischer oder chronischer Vergiftung, hervorgerufen
durch den wiederholten Gebrauch einer natürlichen oder synthetischen Droge und
gekennzeichnet durch folgende vier Kriterien.
-
ein unbezwingbares Verlangen zur Einnahme und Beschaffung des Mittels
-
eine Tendenz zur Dosissteigerung
-
eine physische und meist auch psychische Abhängigkeit von der Wirkung
der Droge
5
-
die Schädlichkeit für den Einzelnen und/ oder die Gesellschaft“ (vgl. URL1:
Suchthilfe Wetzlar 2009).
Später hat die WHO den Begriff Sucht durch Abhängigkeit und Missbrauch
ersetzt. Die Verwendung der Begriffe in der deutschen Fachliteratur sowie in
Internetquellen wird sehr differenziert gehandhabt. Einige Quellen benutzen
gezielt nur einen der beiden Bezeichnungen. Abhängigkeit beschreibt eher die
pharmakologische
Seite
des
Begriffes
und
nimmt
Bezug
auf
die
Wechselwirkungen zwischen dem Körper und dem ihm zugeführten Stoff. Mit dem
Begriff
Sucht
werden
außerdem
seelische
und
soziale
Begleit-
und
Folgeerscheinungen eingeschlossen. Andere Quellen wiederum benutzen beide
Bezeichnungen parallel, unterscheiden sie demnach nicht gezielt. Auch im
allgemeinen
Sprachgebrauch
werden
oft
beide
Termini
gleichbedeutend
verwendet, so auch in der vorliegenden Arbeit. In den weiteren Ausführungen soll
auf eine Differenzierung beider Begrifflichkeiten verzichtet werden. Vielmehr wird
jeweils der Terminus zu Grunde gelegt, der in der jeweiligen Hauptquelle von den
Autoren verwendet wurde.
1.1.1 Stoffgebundene und Stoffungebundene Sucht
Mittlerweile wird zwischen den soeben beschriebenen stoffgebundenen Süchten
und den stoffungebundenen Süchten unterschieden. Es wird also nicht mehr nur
von Abhängigkeiten von verschieden Substanzen, wie z.B. Drogen oder Alkohol
gesprochen, sondern ebenso von der Sucht nach bestimmten Verhaltensweisen,
wie z.B. der Kaufsucht. Der Betroffene kann sich bestimmten Verhaltenweisen
nicht mehr entziehen und verliert zunehmend die Kontrolle darüber. Das Verhalten
muss immer wieder befriedigt und immer häufiger ausgeübt werden (vgl. Stimmer
2000, S. 589). Problematisch wird es, wenn der Betroffene sich und seiner Sucht
einen Großteil seines Lebens einräumt und die Arbeit und sein soziales Umfeld
vernachlässigt oder komplett außen vor lässt. In der aktuellen Literatur ist häufig
von Verhaltenssucht die Rede, eine offizielle Bezeichnung ist dies jedoch nicht.
Auch die Kaufsucht ist bisher nicht als eigenständiges Krankheitsbild ins ICD-10
aufgenommen worden, sondern wird je nach Fall, als Zwangshandlung oder als
eine Störung der Impulskontrolle (vgl. 1.1.3) eingeordnet.
6
1.1.2 Abhängigkeitssyndrom gemäß ICD-10
Die von der WHO 1957 definierten vier Kriterien, die vorliegen müssen, um von
einer Suchterkrankung zu sprechen sind inzwischen weiterentwickelt und ergänzt
worden. Nachzulesen sind diese Kriterien in Deutschland im ICD-102. Da die
Computerspielsucht bisher keine eigenständige, anerkannte Krankheit ist, ist sie
im ICD-10 auch nicht mit einem konkreten Diagnoseschlüssel aufgeführt.
Folgende Kriterien müssen gemäß ICD-10 angezeigt sein, um von einer
Abhängigkeitserkrankung zu sprechen
-
starker Wunsch oder ein erlebter Zwang, psychotrope Substanzen oder
Alkohol zu konsumieren
-
verminderte Kontrolle bezüglich des Beginns, der Menge und der
Beendigung des Konsums
-
Substanzgebrauch
mit
dem
Ziel
Entzugssyndrome
zu
mildern
einhergehend mit dem daraus resultierendem positiven Gefühl
-
Körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des
Konsums
-
Toleranzentwicklung, das heißt, größere Mengen sind erforderlich, um
bisherige Wirkung zu erzielen
-
Eingeengtes Verhaltensmuster im Umgang mit psychotropen Substanzen
oder Alkohol, das heißt, der Konsum liegt außerhalb der gesellschaftlich
akzeptierten Norm
-
Vernachlässigung anderer Interessen
-
Anhaltender Substanzkonsum trotz der Kenntnis von schädlichen Folgen.
Mindestens drei der oben genannten acht Kriterien müssen gleichzeitig während
der letzten zwölf Monate vorliegen (vgl. Gerkens/ Meyer/ Wimmer 2009, S. 2.2-1).
Allerdings gilt diese Definition des Abhängigkeitssyndroms bisher nur für
psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen, das
bedeutet, diese Definition schließt bisher lediglich die stoffgebundenen Süchte ein.
2
Das ICD-10 ist die „Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter
Gesundheitsprobleme", in der alle Diagnoseschlüssel der ambulanten und stationären Versorgung
aufgeführt sind. In Deutschland ist das Institut für Medizinische Dokumentation und Information
vom Bund beauftragt worden, die Klassifikation ins deutsche zu übersetzen und herauszugeben
(vgl. URL2: Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2009).
7
1.1.3 Impulskontrollstörung
In Zusammenhang mit pathologischem Computer spielen ist in der Literatur auch
häufig der Begriff Impulskontrollstörung zu finden. Von einer Störung der
Impulskontrolle
wird
gesprochen,
wenn
„ein
unangenehm
erlebter
Anspannungszustand durch ein bestimmtes impulsiv ausgeübtes Verhalten
aufgelöst wird“ (vgl. URL3: Fremdwort.de 2009). Das ICD-10 bezeichnet dies
allgemein als „Abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle“, die
unter dem Diagnoseschlüssel F63.- zu finden sind. Dazu gehören wiederholte
Handlungen,
denen
keine
vernünftige
Motivation
zugrunde
liegen
und
unkontrollierbar sind. Das Wort „vernünftig“ wurde direkt aus der Definition des
ICD-10 entnommen. Das ärztliche Fachpersonal entscheidet, welches Verhalten
als vernünftig oder unvernünftig eingestuft wird. Dies ist demnach eine sehr
subjektive Entscheidung. Weiterhin heißt es, dass die Interessen der Betroffenen
oder die der Menschen der Umgebung des Betroffenen Schaden nehmen. Die
Ursachen dieser Störungen sind gemäß ICD-10 unklar (vgl. ICD-10, S. 252). Unter
den Störungen der Impulskontrolle ist unter der Verschlüsselung F63.0 auch das
pathologische Spielen aufgeführt. „Die Störung besteht in häufigem und
wiederholtem episodenhaften Glücksspiel, das die Lebensführung des betroffenen
Patienten beherrscht und zum Verfall der sozialen, beruflichen, materiellen und
familiären Werte und Verpflichtungen führt“ (vgl. URL4: Deutsches Institut für
Medizinische Information und Dokumentation 2009). Das pathologische Spielen
kann auch als zwanghaftes Spielen bezeichnet werden.
Andere Fachleute gehen davon aus, dass diese Störungen der Impulskontrolle
zumeist
anderen
psychischen
Erkrankungen
zugrunde
liegen.
Die
nicht
kontrollierbaren Verhaltensweisen oder auch Zwänge sind somit nur ein Symptom
einer anderen psychischen Erkrankung, die es vorrangig zu behandeln gilt (vgl. te
Wildt 2007, S. 68). Fachkliniken und Therapieeinrichtungen nehmen ihre Patienten
dann beispielsweise über den Diagnoseschlüssel F.68.8 auf. Hierbei handelt es
sich um eine „Sonstige näher bezeichnete Persönlichkeits- und Verhaltensstörung,
[sprich eine] Charakterstörung [oder eine] Störung zwischenmenschlicher
Beziehungen“ (vgl. ICD-10, S. 256). Die Ärzte und Psychologen können auf diese
Weise ein „eigenes“ Profil des vorliegenden Krankheitsbildes erstellen und
Diagnosekriterien hinzufügen, so z.B. auch bei der Computerspielsucht. Eine
8
andere Möglichkeit der Zuordnung ist der Schlüssel F.69 und die „Nicht näher
bezeichnete Persönlichkeits- und Verhaltensstörung“ (vgl. ICD-10, S. 257).
Für viele Praktiker ist bisher nicht geklärt, ob die Computerspielsucht nur als ein
Symptom einer zusätzlichen Erkrankung wie z.B. einer Depression auftritt, oder
ein eigenständiges Krankheitsbild darstellt. Das kann als ein Grund gesehen
werden, dass die Computerspielsucht bisher nicht ins ICD-10 aufgenommen
wurde. Das exzessive Computer spielen wäre in einem solchen Fall nur die Folge,
um sich negativen Verstimmungen in der realen Welt zu entziehen und sich in der
virtuellen Welt Erfolgserlebnisse zu verschaffen, die in der realen Welt momentan
nicht zu finden sind. Inwieweit die neuste Studie des Kriminologischen
Forschungsinstituts dies mit einbezieht, wird in Kapitel Vier genauer erörtert.
Die Existenz von Computerspielsuchtambulanzen, wie z.B. die der der Uniklinik
Mainz
und
chatsüchtige
zahlreiche
und
andere
Kliniken,
computersüchtige
die
Menschen
mittlerweile
ambulant
onlinesüchtige,
sowie
stationär
behandeln, gilt als Indiz dafür, dass die Computerspielsucht zumindest in diesen
Einrichtungen als eigenständige Erkrankung anerkannt wird. Hier steht die
Abhängigkeit vom Computer im Vordergrund, die nicht von einer anderen
psychischen Störung ausgelöst wurde, aber durchaus mit ihr gemeinsam auftreten
kann. Selbstverständlich lassen sich die Begriffe Abhängigkeit, Sucht, Missbrauch
etc. noch nach weiteren Merkmalen unterscheiden, z.B. nach körperlicher oder
psychischer Abhängigkeit. In Bezug auf das exzessive Computer spielen sollen
aber die bisherigen Ausführungen ausreichend sein. Weitere, speziellere
Informationen sind der entsprechenden Fachliteratur zu entnehmen.
Festzustellen ist, dass die Verwendung des Begriffes Computerspielsucht im
Zusammenhang mit Krankheit gemäß ICD-10 nicht korrekt ist. Nach sorgfältiger
Prüfung der verschiedenen im ICD-10 aufgeführten Kriterien, die vorliegen
müssen, um von einem Abhängigkeitssyndrom infolge der Einnahme von
psychotropen Substanzen sprechen zu können, erscheint es durchaus möglich,
diese für die Computerspielsucht in abgewandelter Form zu übernehmen und zu
erweitern. Von Fachkräften, wie Psychologen, Therapeuten und Ärzten wird dies
bereits praktiziert, da nur so eine Behandlung der Betroffenen überhaupt möglich
9
ist bzw. die Kosten dafür von den Krankenkassen übernommen werden (z.B.
Schuhler/ Vogelsang/ Petry 2009, S. 188).
2 Jugendmedienschutz
2.1 Definition
Durch den Jugendmedienschutz soll gewährleistet werden, dass bestimmte
negative und gefährliche Einflüsse der Erwachsenenwelt von Kindern und
Jugendlichen
ferngehalten
werden,
um
somit
die
Entwicklung
der
Heranwachsenden bestmöglich zu fördern. Er kann sozusagen als Hilfestellung zu
Erziehungs- und Sozialisationsprozessen gesehen werden. In erste Linie liegt es
jedoch in der Verantwortung der Personensorgeberechtigten, ihre Kinder
möglichst vor jugendgefährdenden und schädlich beeinflussenden Medien im
häuslichen Umfeld zu bewahren. Verschiedene Einrichtungen, die im Auftrag des
Jugendmedienschutzes arbeiten, haben demnach die Aufgabe, Medieninhalte
dahingehend zu prüfen, ob eine Gefährdung oder Beeinträchtigung für
Jugendliche
Jugendlichen
angezeigt
nicht
ist.
Infolgedessen
zugänglich
gemacht
werden
bzw.
manche
nur
unter
Medien
den
bestimmten
Altersvoraussetzungen (vgl. Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien
2008, S. 3). Rechtliche Grundlagen für die Aufgaben der Einrichtungen des
Jugendmedienschutzes sind in erster Linie das Jugendschutzgesetz (JuschG) und
der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV), die in den nächsten Abschnitten
näher erläutert werden.
2.2 Rechtliche Grundlagen
2.2.1 Jugendschutzgesetz
Das am 1. April 2003 in Kraft getretene Jugendschutzgesetz ist eine
Zusammenführung des Gesetzes zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit
(JÖSchG) und dem Gesetz der Verbreitung über jugendgefährdende Schriften und
Medieninhalte (GjSM). Änderungen in diesem Bereich waren bereits länger
geplant. Der Amoklauf von Robert Steinhäuser am Gutenberg-Gymnasium in
Erfurt am 26. April 2002, bei dem er sich selbst und 16 weitere Menschen tötete,
10
beschleunigte das Verfahren rapide, nachdem heftige politische Diskussionen um
ein Verbot von so genannten „Killerspielen“ geführt wurden (vgl. URL5: Aktion
Jugendschutz 2009). Wesentliche Änderungen beim überarbeiteten JuSchG hat
es im Bereich des Jugendmedienschutzes gegeben. War im GjSM bisher nur von
jugendgefährdenden
Schriften
die
Rede,
sind
jetzt
auch
Begriffe
wie
Trägermedien oder Telemedien in das Gesetz aufgenommen worden. Das heißt,
dass bei der Kontrolle von eventuell jugendgefährdenden Inhalten nicht mehr nur
schriftliche Publikationen, sondern auch DVDs, Computerspiele und alles, was
den Bereich des Internets betrifft, berücksichtigt werden. Zu den so genannten
Bildträgern zählen gemäß dem neuen Gesetz, neben Filmen, nun auch
Computerspiele. Auch diese müssen zukünftig von den dazu verpflichteten
Behörden und Einrichtungen mit entsprechenden Altersfreigaben gekennzeichnet
werden. Im Abschnitt 2.3 wird dies ausführlicher erklärt.
2.2.2 Jugendmedienschutz-Staatsvertrag
Mit der Novellierung des JuSchG ist auch der Staatsvertrag über den Schutz der
Menschenwürde
und
den
Jugendschutz
in
Rundfunk
und
Telemedien,
Jugendmedienschutz-Staatsvertrag der Länder am 1. April 2003 in Kraft getreten.
Mit dem Staatsvertrag soll ein einheitlicher Rechtsrahmen zum Schutz von
Kindern
und
Jugendlichen
vor
elektronischen
Informations-
und
Kommunikationsmedien, die als jugendgefährdend oder jugendbeeinträchtigend
eingestuft werden, geschaffen werden (vgl. Liesching 2004, S. 183). Der Vertrag
gilt
für
Rundfunk
und
Telemedien
(Online-Angebote).
Das
Telekommunikationsgesetz sowie das Teledienstgesetz bleiben davon unberührt.
2.2.3 Strafgesetzbuch
Auch das Strafgesetzbuch (StGB) beinhaltet einige Regelungen, die das Thema
Jugendmedienschutz berühren. Wichtig erscheint vor allem § 131 StGB. Hier geht
es um die Verbreitung von Schriften (sowie auch Ton- und Bildträgern,
Datenspeichern, Abbildungen und andere Darstellungen), die gewalttätiges
Verhalten gegen Menschen bzw. menschenähnliche Wesen auf eine sehr
grausame und/ oder verherrlichende Art und Weise darstellen. Neben der
Verbreitung macht sich auch derjenige strafbar, der eben genannte Medien
11
anpreist, öffentlich zur Schau stellt oder diese auf sonstige Art und Weise
zugänglich macht. Ein solches Vergehen wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu
einem Jahr oder einer Geldstrafe bestraft.
Weiterhin zu erwähnen sind die §§ 184-184d. Gemäß diesen Paragraphen macht
sich
strafbar,
wer
pornografische,
gewalt-
oder
tierpornografische,
kinderpornografische und/ oder jugendpornografische Schriften (Medien) erwirbt,
besitzt oder verbreitet. Speziell § 184d verbietet die Verbreitung pornografischer
Darbietung durch Rundfunk, Medien- oder Teledienste. Auch hier werden je nach
Härte des Falles, Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren oder Geldstrafen verhängt
(vgl. URL6: Bundesministerium der Justiz 2009).
2.3 Jugendmedienschutzeinrichtungen
2.3.1 Bundesprüfstelle für Jugendgefährdende Medien
Zu
den
Jugendmedienschutzeinrichtungen
Bundesprüfstelle
für
Jugendgefährdende
gehört
Medien,
unter
kurz
Anderem
BPjM.
Die
die
BPjM
entscheidet über die Jugendgefährdung von Medien. Sie wird allerdings nicht von
sich aus tätig, sondern auf Antrag bzw. Anregung. Antragsberechtigt sind Jugendund
Landesjugendämter,
Oberste
Landesjugendbehörden,
das
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie die
Kommission für Jugendmedienschutz. Berechtigt zur Anregung sind alle anderen
Behörden und die anerkannten Träger der freien Jugendhilfe (vgl. URL7:
Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien 2009). Wird das Medium
tatsächlich indiziert, hat dies Auswirkungen auf Verleih, Vertrieb und Vorführung
des Produktes. Kurz gesagt, ist die BPjM zuständig für die Indizierung von Trägerund Telemedien. Computer- und Konsolenspiele gehören hierbei zu den
Trägermedien, Onlinerollenspiele bzw. Computerspiele im Internet gehören zu den
Telemedien. Telemedien schließen sämtliche Online-Angebote, demnach alles
was im Internet zu finden ist, mit ein.
Die Definition von Jugendgefährdung im Zusammenhang mit Medien regelt das
Jugendschutzgesetz in § 18, Abs.1. Hier heißt es:
12
„Träger- und Telemedien, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen
oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit
zu gefährden, sind von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien in die Liste
jugendgefährdender Medien aufzunehmen. Dazu zählen vor allem unsittliche verrohend
wirkende, zur Gewalttätigkeit, Verbrechen, oder Rassenhass anreizende Medien sowie
Medien, in denen
1. „Gewalthandlungen wie Mord- und Metzelszenen selbstzweckhaft und detailliert
dargestellt werden oder
2. Selbstjustiz als einzig bewährtes Mittel zur Durchsetzung der vermeintlichen Gerechtigkeit
nahe gelegt wird“ (vgl. URL8: Bundesministerium der Justiz 2009).
Alle eben aufgeführten Begriffe werden in weiteren Unterpunkten des § 18
erläutert. Auffällig ist, dass bei der Bewertung der Träger- und Telemedien und der
Entscheidung
darüber,
ob
eine
Jugendgefährdung
vorliegt
oder
nicht,
ausschließlich die Spielinhalte betrachtet werden. Die Medien werden unter
nahezu allen ethischen und moralischen Gesichtspunkten untersucht, sprich
enthalten sie pornografische Darstellungen oder liegt vielleicht eine Verherrlichung
des
Nationalsozialismus
vor.
Weiterhin
wird
auf
übermäßig
sinnlose
Gewaltanwendung in einem Computerspiel geachtet. Selbstverständlich ist das
wichtig, aber in keinem Paragraphen ist das Suchtpotenzial von Computerspielen
bzw. Onlinerollenspielen als Indikator für die Gefährdung der Jugendlichen
aufgeführt. Das heißt, es gibt gemäß JuSchG keine gesetzliche Grundlage, auf
der die BPjM aufgrund eines vermeintlich hohen Suchtpotenzials eines
bestimmten Spiels tätig werden kann, denn das liegt außerhalb ihres
Zuständigkeitsbereichs.
Inwieweit
andere
Regelungen
oder
gesetzliche
Grundlagen das berücksichtigen und welche anderen Institutionen zuständig sind,
wird in den Abschnitten 2.3.2 bis 2.3.4 erläutert.
2.3.2 Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle
Neben der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), die Filme, DVDs
und andere Bildträger inhaltlich prüft und mit entsprechender Alterskennzeichnung
versieht, existiert analog dazu eine Institution, die Computerspiele prüft.
Die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) wurde bereits 1994 gegründet
und hat seit dem mehrere Tausend Bildschirmspiele auf Jugendgefährdung hin
geprüft. Die Altersfreigaben der USK waren zunächst nur Empfehlungen bis zur
Novellierung des Jugendschutzgesetzes im Jahr 2003 (vgl. Krestel 2009 URL). Mit
13
Inkrafttreten des neuen Gesetzes ist die Kennzeichnung mit der Altersfreigabe auf
allen Bildträgern mit Filmen oder Spielen gemäß §§ 12 und 14 JuSchG zur Pflicht
geworden. Computerspiele ohne Alterseinstufung dürfen Kinder und Jugendlichen
nicht mehr zugänglich gemacht werden.
Der Träger der USK war seit ihrer Gründung der Förderverein für Jugend und
Sozialarbeit. Kritik an der Trägerstruktur hat den Verein gezwungen, die
Trägerschaft abzugeben. Mit Wirkung des 1. Juli 2008 ist der neue Träger die
Freiwillige Selbstkontrolle Unterhaltungssoftware GmbH. Die Gesellschafter sind
Industrieverbände, die in der Entwicklung, Produktion und im Vertrieb von Spielen
tätig sind. Selbstverständlich sind die Gesellschafter nicht gleichzeitig auch
zuständig für die Alterskennzeichnungen. Dies ist verschiedenen Gutachtern und
Sichtern vorbehalten, die von der USK und der Industrie unabhängig sind. Diese
Gutachter sind z.B. bei freien Trägern der Jugendhilfe, Jugendbehörden,
kirchlichen Einrichtungen, bei der BPjM oder in anderen medienpädagogisch
arbeitenden Einrichtungen beschäftigt. Außerdem gehört zum Prüfgremium ein
ständiger
Vertreter
der
Obersten
Landesjugendbehörden
(OLJB),
der
Empfehlungen zur Alterseinstufung von Seiten der Gutachter erhält. Letztendlich
hat dieser die Entscheidungsgewalt bzw. das Recht ein Veto einzulegen (vgl. USK
2009, S. 8).
Bei den Altersfreigaben wird auf verschiedene Elemente geachtet. Ein Spiel, das
ohne
Altersfreigabe
auf
den
Markt
kommt,
ist
frei
von
Gewalt
und
angsteinflößenden Spielverläufen, die Kinder und Jugendliche auch im Nachhinein
beschäftigen können. Außerdem tragen eine farbenfrohe Grafik und ein
nachvollziehbarer, ruhiger Spielverlauf dazu bei, das Kind nicht in Stress zu
versetzen (vgl. USK 2009, S. 13).
Bei Spielen ab sechs Jahren gehen Spielverläufe schon zügiger vonstatten und
sind motorisch anspruchsvoller. Gewaltdarstellungen können enthalten sein, aber
so abstrakt und märchenhaft, dass sie von Kindern nicht mit der Realität
verwechselt werden können (vgl. ebd., S. 17).
14
Spiele, die ab 12 Jahren freigegeben werden, sind sehr viel komplexer aufgebaut.
Die Anforderungen an die Koordination von visuellen und taktilen Fertigkeiten sind
hoch. Kampfszenen oder Gewaltdarstellungen können auch hier enthalten sein,
sind aber immer noch deutlich als unrealistisch erkennbar. Der Handlungsdruck in
Bezug auf die Aufgabenerfüllung im Spielverlauf ist sehr viel höher, als bei Spielen
für 6-Jährige, aber immer noch altersangemessen und nicht in Stress ausartend.
Kindern ab 12 Jahren wird zugetraut, deutlich zwischen Fiktion und Realität
unterscheiden zu können (vgl. USK 2009, S. 21).
An Jugendliche ab 16 Jahren werden Spiele frei gegeben, die zum Teil
gewalthaltige und kampfbetonte Inhalte darstellen. Die Anspannung der
Heranwachsenden kann zeitweise sehr hoch sein, allerdings ist der Wechsel
zwischen gewalthaltigen und gewaltlosen Szenen so angelegt, dass der Spielende
zwischendurch immer wieder seine Anspannung lösen kann und seine persönliche
Entwicklung nicht negativ beeinflusst wird (vgl. ebd., S. 25).
Mit dem Kennzeichen „Keine Jugendfreigabe“ werden Spiele versehen, die
gewalthaltige
Konzepte
enthalten
und
Kindern
und
Jugendlichen
leicht
ermöglichen, sich mit den Spielfiguren zu identifizieren. Das Spielgeschehen
verläuft sehr realistisch und macht es somit für die Heranwachsenden schwer, die
nötige Distanz zum Spielgeschehen aufzubauen. Die Gutachter der USK gehen
davon aus, dass diese notwendige Distanz bei unter 18-jährigen Spielern nicht
vorausgesetzt werden kann (vgl. ebd., S. 29).
Computerspiele, die keine Alterkennzeichnung enthalten sind mit hoher
Wahrscheinlichkeit jugendgefährdend und in Deutschland von der USK nicht
geprüft, oder eine Kennzeichnung ist verweigert worden. Falls es sich um illegale
Kopien handelt, kann Besitz, Vertrieb oder öffentliche Vorführung strafrechtlich
verfolgt werden. Dennoch dürfen die nicht gekennzeichneten Computerspiele im
Handel verkauft werden, könnten aber von der BPjM auf die Liste der indizierten
Spiele gesetzt werden. Meistens sind dies Spiele, deren Inhalte mit Rassismus,
extremer Gewaltverherrlichung, Pornografie und Ähnlichem einhergehen.
15
Zusammenfassend ist festzustellen, dass es auch nicht im Zuständigkeitsbereich
der USK liegt, Computerspiele hinsichtlich ihres Suchtpotenzials zu überprüfen.
Diese Entwicklung war bei der Novellierung des JuSchG im Jahre 2003 vermutlich
auch noch nicht abzusehen. In der Fachliteratur werden zwar schon seit gut einem
Jahrzehnt regelmäßig Texte veröffentlicht, die sich mit pathologischem Internetund PC-Gebrauch beschäftigen, aber wirklich aktuell ist dieses Thema erst seit
circa zwei Jahren. Innerhalb dieses Zeitraums sind etliche Studien durchgeführt
worden, die dazu beitragen könnten, die Überprüfungskriterien der BPjM, der USK
und allen anderen Medienschutzeinrichtungen zu ändern, wenn eine gesetzliche
Grundlage dafür geschaffen wird.
2.3.3 Kommission für Jugendmedienschutz
Die Kommission für Jugendmedienschutz der Landesmedienanstalten (KJM) ist
eine zentrale Aufsichtsstelle, deren rechtliche Arbeitsgrundlage der eben kurz
vorgestellte JMStV bildet. Die Kommission setzt sich zusammen aus zwölf
Mitgliedern. Davon sind sechs Direktoren der Landesmedienanstalten, vier sind
Mitglieder der Obersten Landesjugendbehörden und dort im Jugendschutz tätig.
Zwei weitere Mitglieder sind aus dem Bereich Jugendschutz von der Obersten
Bundesbehörde entsandt worden (vgl. Erdemir 2006, S. 288). Im Allgemeinen
gliedern sich die Arbeitsaufgaben in zwei Bereiche. Einerseits betreffen sie den
Jugendschutz im Rundfunk, anderseits den Jugendschutz im Internet. Da es in der
vorliegenden Arbeit vorrangig um Computerspiele geht, und vor allem um solche,
die im Internet mit anderen Spielern gemeinsam gespielt werden, beschränken
sich die Ausführungen in diesem Bereich auf den Jugendschutz im Internet.
Zu den Aufgaben der Kommission gehört zum Einen die Anerkennung von
Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle auf Antrag. Zum Anderen überprüft
sie, ob jene Einrichtungen innerhalb ihres rechtlichen Rahmens handeln. Ist dies
nicht der Fall, kann die KJM rechtliche Schritte einleiten. Die Kommission
kontrolliert, dass jugendgefährdende Inhalte, z.B. pornografische oder bereits
indizierte, im Internet von den Anbietern nur von geschlossenen Benutzergruppen
abrufbar sind. Das heißt, die Nutzer müssen sich zum ansehen der Seiten
registrieren und dementsprechend ihr Alter nachweisen. Weiterhin erkennt die
KJM Jugendschutzprogramme gemäß § 11 JMStV an. Diese Programme können
16
beispielsweise von Eltern auf dem Computer (mit Internetanschluss) ihrer Kinder
installiert werden, wodurch gewährleistet werden soll, dass bestimmte, nicht
altersgerechte Seiten vom Jugendlichen gar nicht erst aufgerufen werden können.
Bisher konnte allerdings noch kein Programm von der Kommission anerkannt
werden, da die speziellen Anforderungen nicht ausreichend erfüllt worden sind.
Zukünftig wird es jedoch einige Modellversuche geben.
Für die Überprüfung von Verstößen gegen den Jugendschutz im Internet ist die
KJM ebenfalls zuständig. Unterstützt wird sie dabei von jugendschutz.net, einer
Einrichtung, die an die Kommission angegliedert ist und gemäß § 18 JMStV mit
der Beobachtung und Ermittlung von jugendschutzrelevanten Inhalten innerhalb
des Internets beauftragt ist. Die Kommission übernimmt demnach die Überprüfung
und Bewertung der eventuellen Verstöße und beschließt entsprechende
Maßnahmen.
Für
die
Durchsetzung
dieser
ist
dann
die
betreffende
Landesmedienanstalt zuständig (vgl. URL9: Kommission für Jugendmedienschutz
der Landesmedienanstalten 2009).
2.3.4 Andere Einrichtungen
Die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Dienstanbieter (FSM) ist ebenfalls an die
KJM gekoppelt. Hier haben alle Personen die Möglichkeit, sich über strafbare oder
jugendgefährdende Inhalte im Rahmen des Jugendmedienschutzes im Internet zu
beschweren. Außerdem kann die Organisation genutzt werden, um Fragen im
Bereich Jugendschutz zu stellen oder sich zu informieren (vgl. URL10: Freiwillige
Selbstkontrolle
Multimedia-Dienstanbieter
2009).
Weitere
Selbstkontrolle-
Organisationen bzw. Jugendmedienschutzeinrichtungen werden im Folgenden nur
der Vollständigkeit halber kurz genannt, da sie vom eigentlichen Thema zu sehr
abweichen.
-
Automaten-Selbstkontrolle (ASK)
-
Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF)
-
Deutscher Presserat
-
Deutscher Werberat
17
Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass es auf rechtlicher Seite, vor
allem seit 2003, viele komplexe gesetzliche Regelungen gibt, die sich mit dem
Jugendmedienschutz beschäftigen. Sie sind geschaffen worden, um Medien von
Kindern und Jugendlichen fernzuhalten, die ihre Entwicklung negativ beeinflussen
könnten. Diese Regelungen haben jedoch auch gezeigt, dass Jugendgefährdung
und Jugendbeeinträchtigung gemäß der rechtlichen Definition „nur“ dann vorliegt,
wenn
pornografische,
nationalsozialistische,
extrem
kampfbetonte,
kriegsverherrlichende oder vergleichbare Inhalte verbreitet werden. In keiner
Selbstkontrolle-Einrichtung werden Spiele hinsichtlich ihrer Suchtpotenziale
untersucht, da keine rechtlichen Regelungen dies verlangen.
3 Einführung in einige Computerspiele und Genres
Die
Sparte
an
Computerspielen
und
ihren
Entwicklern
ist
mittlerweile
unwahrscheinlich groß. So groß, dass selbst ein Computerspiel-Fan Probleme
haben wird, den Überblick zu behalten. Es gibt Shooter, es gibt Rollenspiele, es
gibt etliche Sportspiele, Strategiespiele etc. Im Folgenden werden zunächst kurz
die Spielgenres vorgestellt, die am häufigsten gespielt werden. Es wird vorrangig
auf die favorisierten Spiele der Jungen Bezug genommen, da bekanntlich die
männlichen Jugendlichen stärker von Computerspielsucht betroffen sind, auch
wenn betroffene weibliche Spieler sich häufen. Danach werden einige wichtige
Spiele genauer erläutert. Als Hauptquelle dafür wird die aktuellste Studie des
kriminologischen Forschungsinstitutes genutzt, die herausgearbeitet hat, welche
Spiele von 2007 bis 2009 am häufigsten und intensivsten von männlichen
Jugendlichen gespielt wurden. Es ist erneut festzustellen, dass es in diesem
Rahmen unmöglich ist, alle Genres und Spiele zu erwähnen. Die Spiellandschaft
ist enorm und die verschiedenen Genres, die noch dazu immer mehr werden,
verschwimmen teilweise ineinander. Deshalb wurden lediglich einige wenige
herausgefiltert, die auch außerhalb der besagten KFN-Studie am häufigsten in den
Medien erwähnt werden und somit auch für Computerspielunerfahrene zumindest
ein Begriff sein dürften.
18
3.1 Computerspielgenres
3.1.1 Shooter
Wie vom Namen bereits abgeleitet werden kann, handelt es sich hier um ein
„Schießspiel“ bzw. Spiele, in denen ein „Schütze“ agiert. Die meisten
Shooterspiele sind so genannte Ego-Shooter. Hier blickt der Computerspieler aus
der Sicht der Spielfigur auf das Spielgeschehen, das heißt er sieht sich selbst
nicht, nur seine Hände mit der Waffe, wenn er beispielsweise zum Schuss ansetzt.
Ziel der Ego-Shooter ist es, innerhalb des Spielverlaufes von einem Ort zu einem
anderen zu gelangen, wobei sich der Figur etliche Hindernisse in Form von
bewaffneten Menschen oder menschenähnlichen Wesen in den Weg stellen. Die
Gegner sind meist keine Menschen sondern eher außerirdische Wesen oder
Monster, um von vornherein Diskussionen über Gewalt gegen andere Menschen
auszuschließen. Die lebenden Hindernisse müssen überwunden werden, indem
die Figuren erschossen werden. Eine andere Form vom Shooterspiel ist der
Taktik-Shooter. Hier wird online mit mehreren Spielern zusammen gespielt und
gute Orientierung und eine schnelle Reaktion stehen im Vordergrund, denn der
Spieler
ist
mit
einem
Team
unterwegs,
dessen
Mitglieder
füreinander
verantwortlich sind (vgl. Pohlmann 2007, S. 13).
In den Medien sind die Shooter allgemein bekannt als „Killerspiele“, die immer
wieder in negative Schlagzeilen geraten, wenn ein School-Shooting bzw.
Amoklauf stattgefunden hat, so wie kürzlich in Winnenden. Die Täter sind meist
junge Männer, die im Vorfeld des Attentats exzessiv „Killerspiele“ gespielt haben,
was dann zumeist mit der Tat in Zusammenhang gebracht wird. Diskussionen, ob
solche Spiele verboten oder erst ab 18 Jahren freigegeben werden sollen,
entflammen nach einem School-Shooting immer wieder erneut, verstummen
jedoch auch genauso schnell.
3.1.2 (Online-)Rollenspiele für einen oder mehrere Spieler
Rollenspiele finden in einer virtuellen Fantasiewelt statt. Die Spielfigur, die im
Vorfeld ausgewählt wurde, zeichnet sich durch bestimmte Fähigkeiten und
Stärken aus. Die Verbesserung und Erweiterung dieser Fähigkeiten während des
Spielverlaufes stehen an erster Stelle. In verschieden Kampfsituationen kann der
19
Spieler seine Fähigkeiten zum Ausdruck bringen und im Falle eines Sieges zieht
er mit einer neuen individuellen Fähigkeit bzw. einer neuen Eigenschaft weiter ins
nächste Level (vgl. Pohlmann 2007, S. 12). Eine besondere Form des Rollenspiels
sind die MMORPGs, die Massively Multiplayer Online Role playing Games. Diese
Spiele werden im Internet gespielt und sind dadurch für hunderte Spieler
gleichzeitig zugänglich, die dann alle am selben Spielgeschehen teilhaben. Ein
weiteres Merkmal der MMORPGs ist das Bilden von Gruppen, so genannten
Gilden. Der einzelne Spieler gehört dann zu einer Gemeinschaft, in der er einen
festen Platz einnimmt und verantwortlich dafür ist, bestimmte Aufgaben zu
erfüllen, je nachdem, mit welchen speziellen Eigenschaften seine Spielfigur
ausgestattet ist. Das heißt, es entstehen regelrechte Abhängigkeitsverhältnisse,
da ein Charakter auf den anderen angewiesen ist, wenn ein Spieler beispielsweise
in eine Gefahrensituationen gerät. Ein weiterer wichtiger Faktor bei den
Onlinerollenspielen ist die Spieldauer. Bei den MMORPGs ist diese nämlich
unbegrenzt. Auch wenn ein Spieler die virtuelle Welt verlässt, geht der Spielverlauf
weiter. Die Gilde muss nun allein weiterziehen, ohne die Hilfe der individuellen
Fähigkeiten des Spielers, der inzwischen offline ist. Das führt zu Problemen, je
öfter und länger der Spieler nicht am Spielgeschehen teilnimmt. In einigen
Satzungen von Gilden ist beispielsweise festgeschrieben, dass Spieler, die länger
als einen Monat nicht online waren automatisch aus der Gilde ausgeschlossen
werden, ein Wiedereintritt ist mit verschiedenen Bedingungen verknüpft (vgl.
URL11: Bloody Heroes 2009).
Überraschenderweise gibt es auch einige Gilden, die ganz klar Spaß als
wichtigsten Faktor beim gemeinsamen Spielen definieren und die deutlich
hervorheben, dass private Verpflichtungen und soziale Bindungen wichtiger sind,
als die der virtuellen Welt. Inwieweit das tatsächlich so ist, und ob beispielsweise
eine bestimmte tägliche Teilnahme am Spielgeschehen Pflicht ist, ergibt sich aus
den Satzungen nicht. Details erfahren dann auch nur diejenigen, die tatsächlich in
eine Gilde aufgenommen worden sind. Problematisch kann es werden, wenn sich
bei den einzelnen Spielern das schlechte Gewissen meldet, sobald er nicht an der
aktuellen „Mission“ im Spiel teilnimmt oder andere Gildenmitglieder Druck
ausüben. Die Verführung ist dann vermutlich umso größer, des Öfteren am Tag
online zu gehen, um zu überprüfen, wie die Mission vorangeht bzw. zu sehen, ob
20
die eigene Spielfigur „helfen“ kann. Je größer dieser innere Druck wird, desto öfter
gehen die Spieler online und umso weniger Zeit bleibt für andere Dinge, wie
Schule, Freunde, Familie, Sport und weitere Freizeitaktivitäten (vgl. Grünbichler
2008, S. 54).
3.1.3 Sportspiele / Rennspiele
Bei den Sportspielen werden diverse Sportarten möglichst real nachgestellt und
am Computer von einem oder mehreren Spieler/-n gespielt. Je nach
Interessengebiet gibt es zu fast jedem Sport ein passendes Computerspiel. Gute
Spiele zeichnen sich durch eine gute Grafik sowie eine leicht zu handhabende
Steuerung aus. Auch eine Möglichkeit gemeinsam zu spielen sollte das Spiel
bieten, online oder zu mehreren zu Hause, denn wie bei allen Spielen, macht es
gemeinschaftlich größeren Spaß. Eine kleine Revolution auf dem (Sport-)
Spielemarkt hat Ende 2006 stattgefunden, als die Konsole wii heraus gekommen
ist. Wii wurde von der japanischen Firma Nintendo hergestellt und bringt das
Spielen am Computer in eine völlig neue Dimension. Zur Konsole gehört unter
Anderem eine Fernbedienung, die die eigenen Bewegungen über Infrarot-Strahlen
erfasst, diese per Bluetooth an die Konsole sendet, die dann die Bewegungen auf
den Bildschirm überträgt. Das bedeutet, dass Bewegungen nicht wie vorher durch
das Drücken bestimmter Knöpfe auf einem Controller ausgelöst werden, sondern
dass sie nun in der realen Welt ausgeübt und dann in die virtuelle Realität
übertragen werden (vgl. URL12: Nintendo 2009). Mit der Wii-Konsole ist auch das
Spielen von Gesellschaftsspielen oder Simulationsspielen möglich, aber gerade in
den Sportspielen, in denen es vorrangig um Bewegungen geht, kommt die WiiTechnologie am besten zum Ausdruck und erhöht beim gemeinsamen Spielen
den Spaß-Faktor enorm.
Die meisten Rennspiele sind Autorennspiele. Es gibt natürlich auch Rennspiele
mit anderen Fortbewegungsmitteln, aber die Autorennen sind in den Spiele-Charts
an den obersten Stellen vertreten (vgl. Rehbein/ Kleimann/ Mößle 2009, S. 18).
Hier geht es darum, möglichst schneller als die anderen Rennfahrer oder in einer
bestimmten Zeit zum Ziel zu gelangen. Auch hier zeichnen sich gute Spiele durch
Realitätsnähe und einfache Steuerung aus. Außerdem ist hier, so wie bei jedem
anderen Spiel, Detailtreue wichtig. Passende Geräusche zu den jeweiligen
21
Bildern, wie z.B. Musik im Radio oder sich bewegende Bäume, wenn es im
Spielgeschehen sehr windig ist. Das Autofahren gestaltet sich möglichst
realitätsnah, das heißt z.B. beim Bremsen wird der exakte Bremsweg
berücksichtigt und durch die passenden Geräusche untermauert. Wird in den
Spielen nicht in den korrekten Gang geschalten, geht auch im Spiel so wie im
„richtigen Leben“ der Motor des Wagens aus.
3.1.4 Sonstige Genres
Drei wichtige Spielgenres sind genannt und kurz erläutert worden, dennoch sollen
der Vollständigkeit halber einige weitere erwähnt werden. Simulationsspiele, wie
die Sims, die vor allem bei jungen Mädchen sehr beliebt sind, sind unvorstellbar
erfolgreich. Dem Spiel-Verleger Electronic Arts zufolge wurden die verschiedenen
Sims-Spiele über 100 Millionen Mal verkauft (vgl. URL13: Chip online 2008). Bei
den Simulationsspielen geht es in erster Linie darum, sich in einer bestimmten
Umgebung einzurichten. Sich ein Haus zu bauen, arbeiten zu gehen, Geld zu
verdienen und eine Familie zu gründen. Es kann sozusagen als eine Übung
gesehen werden, in der das eigene reale Wunschleben in der virtuellen Welt
dargestellt werden kann. Auch hier kann es erneut kritisch werden, wenn die
Nutzer mehr Zeit in der virtuellen, als in der wahren Realität verbringen. In
bestimmten Lebensphasen, gerade während der Pubertät kann es sehr
verlockend sein, in einer zweiten, parallelen Welt ein Leben zu führen, in dem man
tun und lassen kann, was man möchte und seine eigenen individuellen
Vorstellungen verwirklichen kann. Ein Spieler, der in einem gesunden und
geregelten sozialen Umfeld groß geworden ist, sollte jedoch irgendwann einen
Punkt erreichen, an dem er das Interesse an der virtuellen Realität mehr und mehr
verliert, da auch die Wirklichkeit zahlreiche positive Ereignisse bereit halten kann.
Außerdem gern gespielt, vor allem von weiblichen Jugendlichen, werden
Gesellschafts- oder Partyspiele, allen voran Sing Star von der Firma Sony. Den
Spielern wird hier ermöglicht, zu den Musikvideos ihrer Lieblingskünstler Karaoke
zu singen. Dies kann in verschiedenen Variationen geschehen. Es kann im Duett
gemeinsam gesungen werden oder es wird im Duell gegeneinander angetreten
(vgl. URL14: Singstar 2009). Bei jungen Mädchen ebenso weit vorn liegen
22
Denkspiele, wie Solitär oder auch Geschicklichkeitsspiele, wie beispielsweise die
Super Mario Reihe (vgl. Rehbein/ Kleimann/ Mößle 2009, S. 18).
3.2 Computerspiele
Wie bereits in der Einführung der Computerspielgenres erwähnt, gibt es eine
Vielzahl von Computerspielen und Computerspielgenres. Von einzelnen Spielen,
wie z.B. den Sims (vgl. 3.1.4) kommen immer wieder neue Versionen mit
verbesserter Grafik oder einem anderen Spielgeschehen auf den Spielemarkt, um
Computerspielfans bei Laune zu halten. So gibt es beispielsweise die Sims, die
Sims 2, die Sims 3, MySims und etliche weitere Erweiterungen bzw.
Nachfolgespiele (vgl. URL15: SimFans 2009). Da dies bei fast allen Spielen der
Fall ist, beschränken sich die vorliegenden Ausführungen darauf, jeweils nur den
Namen des ersten veröffentlichten Spiels zu nennen, gemeint ist damit jedoch die
gesamte Spielreihe. Soll ein gewisses Spiel der Reihe hervorgehoben werden,
wird der genaue Name genannt. Zu den jeweiligen Spielen werden einige
technische und geschichtliche Fakten erläutert, gefolgt von der Beschreibung des
allgemeinen Spielherganges.
3.2.1 Counter Strike
Auf dem Platz eins der von männlichen Jugendlichen am häufigsten gespielten
Computerspiele, steht der Ego bzw. Taktik-Shooter Counter Strike. Im Jahre 1998
kam das Spiel Half-Life von den Firmen Sierra und Valve Software auf den Markt.
Es war unglaublich erfolgreich, denn es war das erste 3D-Spiel, das während des
gesamten Spielverlaufes eine durchgehende Geschichte erzählte und sich für
damalige
Verhältnisse
durch
beste
Grafik
auszeichnete.
Die
Hobby-
Spielentwickler Minh Lee und Jeff Cliffe entwickelten daraus die Mod3 Counter
Strike, was im deutschen Gegenschlag bedeutet. Das Spiel konnte kostenlos im
Netz herunter geladen werden und hatte zeitweise einen größeren Zulauf an
Nutzern, als kommerzielle Computerspiele (vgl. Klös 2006 URL). Die deutsche
Version des Spieles ist ab 16 Jahren freigegeben, die Originalversion darf nur an
Erwachsenen abgegeben werden.
3
Als Modifikation (ugs. Mod) bezeichnet man die Veränderung oder Weiterentwicklung eines
bereits veröffentlichten und weit verbreiteten Computerspiels (vgl. URL16: Computerbase 2009).
23
Das Spiel wird in Teams über mehrere Runden gespielt, die maximal drei bis fünf
Minuten dauern. Ein Team stellt eine Terroristengruppe dar, das andere eine
Antiterroreinheit. Den Spielern stehen verschiedene Ausrüstungen zu Verfügung.
Dazu gehören Schutzwesten, Schusswaffen, Granaten etc. Die Menge an
Ausrüstungsgegenständen, die es zu Beginn jeder Runde zu erwerben gilt, ist
davon abhängig, wie viel Geld die Spieler zu Verfügung haben bzw. bereits in den
vorherigen Runden erspielt haben. Ziel ist es, je nach Modus, entweder Geiseln
aus den Fängen der Terroristen zu befreien oder Bomben, die das TerroristenTeam gelegt hat, zu entschärfen. Der Sieg wird mit Geld belohnt. Sieger sind die
Terroristen, wenn die Geiseln nicht (lebend) befreit bzw. die Bomben von den
Antiterroreinheiten nicht entschärft werden konnten. Das Antiterrorteam gewinnt,
wenn die Geiseln unversehrt befreit oder die Bomben vor ihrer Explosion
entschärft wurden.
Im Spielverlauf ist es theoretisch möglich, ohne den Gebrauch von Waffen oder
den Verlust von Menschenleben von einer Runde in die nächste zu gelangen. Aus
taktischen Gründen findet dies jedoch kaum statt, denn es ist beispielsweise
leichter, Geiseln aus den Fängen von fünf als von zehn Terroristen zu befreien. Es
wird demnach suggeriert, möglichst viele Mitglieder des gegnerischen Teams zu
eliminieren. Das virtuelle Leben der einzelnen Team-Mitglieder steht jedoch
definitiv im Vordergrund. Es ist also abzuwiegen, ob sich die Spielfigur in
gefährliche Situationen begeben soll und eventuell mit dem Leben bezahlt oder
etwas mehr Zeit investiert und dann rechtzeitig einen anderen sicheren Weg
findet. Wird die Spielfigur von einem Gegenspieler (z.B. durch einen Kopfschuss)
getroffen, stirbt diese sofort und ist bis zum Ende der Runde aus dem Spiel
ausgeschieden.
Nach dem bereits erwähnten Amoklauf in Erfurt wurde von vielen Seiten das
Verbot des Spiels gefordert, da einige Presseberichte die Tat des Robert
Steinhäuser unmittelbar damit in Zusammenhang brachten, dass dieser vorgeblich
begeisterter Counter Strike-Spieler war. Dies stellte sich zwar als Fehlinformation
heraus, dennoch wurde ein Antrag an die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende
Schriften (heute BPjM) eingereicht, das Spiel zu indizieren. Der Antrag wurde drei
Wochen nach dem Attentat aus den verschiedensten Gründen negativ
24
entschieden. Unter Anderem, weil die Gewaltanwendung gegen Menschen oder
menschenähnliche Wesen nicht die einzige Möglichkeit sei, im Spiel voran zu
kommen oder Punkte zu sammeln. Wenn eine Spielfigur zu Tode kommt, würde
dies auch nicht mit zynischen oder lustigen Sprüchen kommentiert, ebenfalls eine
Begründung dafür, von einer Indizierung abzusehen (vgl. URL17: Killerspiele-Info
2006).
Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) hat im Rahmen
einer Studie jedoch gegenteilige Erkenntnisse gewonnen. Von August 2006 bis
Januar 2007 haben Mitarbeiter des Institutes 72 Computerspiele getestet und
diese umfassend nach den unterschiedlichsten Kriterien untersucht und
beschrieben. Zusammen mit der Vorlage zum mehrseitigen Testbericht wurde im
Vorfeld ein Katalog mit Verhaltensvorschriften erstellt, die bei der Einschätzung
und Bewertung der Spiele zwingend eingehalten werden mussten. Beispiele
hierfür sind die Vermeidung einer täglichen Spielzeit über sechs Stunden oder die
Einhaltung regelmäßiger Pausen. Sehr genau geprüft wurde vor allem die
Gewalthaltigkeit der verschiedenen Spiele, das heißt, genaue Beschreibungen
über die Todesdarstellung, Kommentare zum Ableben oder die Legitimität der
Gewaltanwendung
seitens
der
Spielfiguren
wurden
abverlangt.
Die
Testergebnisse wurden dann mit den USK-Alterseinstufungen der jeweiligen
Spiele verglichen, gefolgt von einer Einschätzung über die Angemessenheit der
USK-Alterseinstufungen aus der Sicht der KFN-Mitarbeiter (vgl. Höynck u.a. 2007,
S. 21, 40, 79).
Die Einschätzung von Counter Strike Source, dem aktuellsten Spiel der Counter
Strike-Reihe lautet folgendermaßen: „Die Freigabe des Spiels ab 16 Jahren ist
nicht angemessen. Gewalt ist das zentrale Element des Spiels und exklusives
Mittel zur Zielerreichung; diese wird [...] auch so deutlich mit Blut und durch die
Physikengine4 visualisiert […]“ (vgl. Höynck u.a. 2007, S. 47).
4
Eine Physikengine ist der Teil eines Programms, der für die Simulation von physikalischen
Prozessen in Computerspielen angewendet wird (vgl. URL19: Netzwelt 2009).
25
3.2.2 FIFA
Die FIFA-Reihe von Electronic Arts (EA) und Tochterunternehmen EA Sports
begann 1993, als FIFA International Soccer auf den Markt kam. Es ist eine
Fußballspiel-Serie, die komplett von der FIFA5 lizenziert ist und somit jedes Jahr
ein neues Computerspiel mit aktuellen Daten aus mittlerweile über 30 Ligen mit
500 Mannschaften herausbringen kann. Die Serie besteht inzwischen aus über 15
Spielen. Das neuste auf dem Markt ist FIFA 10. Wie auch im realen Fußball
werden, je nach Version, Europameisterschaften, Weltmeisterschaften und die
verschiedenen Spiele in den einzelnen Bundesligen bzw. den ersten und zweiten
Ligen der Länder ausgetragen. Weiterhin ist es möglich, Freundschaftsspiele
auszutragen oder sich als Manager eines Fußballteams zu behaupten. Das Spiel
zeichnet sich vor allem durch seine Grafik, das realistische Spielverhalten der
Figuren und die Animationen aus. Im Spiel FIFA 2003 konnten die Spielfiguren
erstmals mit ihren großen Vorbildern verglichen werden. Durch die verbesserte
Grafik wurden die Gesichter so präzise dargestellt, dass die Original-Spieler,
denen sie nachempfunden waren, zu erkennen waren (vgl. Wirsig 2003, S. 169).
In FIFA 09 wurde dann die so genannte Third-Person-Perspektive eingeführt,
womit dem Spieler ein realistischeres Bild vom Spielgeschehen vermittelt werden
soll. Auch ein Mehrspieler-Modus ist im Spiel integriert, was auch das
gemeinsame Spielen im Internet ermöglicht (vgl. URL18: Wikipedia 2009). Dies
zeigt sich auch auf den jährlich ausgetragenen World Cyber Games, einer Art
Weltmeisterschaft im Computerspiel-Sport, bei der FIFA jedes Jahr eine Disziplin
darstellt. Auch in der Electronic Sports League (ESP) Pro Series ist FIFA eine
feste Größe. Die ESP Pro Series ist sozusagen die Fußballbundesliga im
elektronischen Fußball-Sport (vgl. URL20: Wikipedia 2009).
3.2.3 Need for Speed
Mit Need for Speed startete im Jahr 1994 eine der populärsten Rennspiel-Serien.
Need for Speed, kurz NFS, kommt aus dem englischen und bedeutet soviel, wie
das Verlangen oder das Bedürfnis nach Geschwindigkeit und wird ebenfalls von
Electronic Arts vertrieben. Im Gegensatz zu anderen Rennspielen, werden bei
NFS keine fiktiven, sondern real vertriebene Autos mit Herstellerlizenz gesteuert.
5
FIFA steht für Fédération Internationale de Football Association, zu Deutsch: Internationale
Föderation des Verbandsfußballs (Brockhaus 1988, S. 274).
26
Damit grenzt sich NFS von anderen Autorennspielen ab. Die Rennen werden
illegal auf der Straße oder auf abgetrennten Strecken ausgetragen. In den
neueren Teilen werden die Gewinner mit Geldern belohnt, die Fahrzeuge können
dann mit einem Tuning-Programm besser ausgestattet werden.
Neue Teile erscheinen mittlerweile jährlich und natürlich hat es in den mittlerweile
14 Teilen ständig Veränderungen und Verbesserungen gegeben. Konnte in The
Need for Speed, dem ersten Teil der Serie, nur zwischen acht Autos ausgewählt
werden, stehen in den Nachfolger-Spielen teilweise bis zu 66 Autos im Fuhrpark
zur Verfügung. In NFS High Stakes aus dem Jahre 1999 waren nach Unfällen
oder Ähnlichem erstmals Schäden am Fahrzeug sichtbar. Erweitert wurde dies
später noch, als sich bei NFS Pro Street, die Schäden zusätzlich auf das
Fahrverhalten auswirkten. Auch die Spezial-Effekte wurden ständig verbessert, so
konnte man in NFS Hot Pursuit 2 auf den Strecken beispielsweise Waldbrände
oder Sandstürme beobachten. Einige Teile der Reihe wurden jedoch von
Fachleuten kritisiert, da im Gegensatz zu den Vorgängern keine besonderen
Veränderungen ersichtlich waren. Aufgrund dessen waren diese auch weniger
erfolgreich. Das neuste Spiel der Reihe ist mit NFS Shift soeben veröffentlicht
worden. Im Gegensatz zu allen Vorgängern werden die Spielfiguren hier weder zu
illegalen Rennfahrern, noch zu Fahrern auf abgegrenzten Strecken (vgl. URL21:
Wikipedia 2009). Im aktuellen Teil der Reihe wird der Spieler zum Rennfahrer im
seriösen Motorsport, in dem es gilt, sich für das Rennen der NFS World Tour zu
qualifizieren (vgl. URL22: Allround PC 2009).
3.2.4 Grand Theft Auto
Grand Theft Auto (GTA) ist eine Computerspiel-Serie von der schottischen Firma
Rockstar-Games. Der erste Teil kam 1997 auf den Markt und war für damalige
Verhältnisse etwas völlig Neues, da dieser Action-, Rennspiel- und ShooterElemente vereinte. Der Spieler schlüpft in die Rolle eines Mafia-Mitgliedes und
muss verschiedene Missionen erfüllen (vgl. Wirsig 2003, S. 198f). Im Vordergrund
steht die Hauptmission, in der es zumeist darum geht, mit der Hilfe von Waffen
und
Autos,
Aufgaben
wie
z.B.
Verfolgungen,
Kurierfahrten,
aber
auch
Sprengungen von Gebäuden zu erfüllen. Außerdem transportiert der Protagonist,
je nach Teil des Spieles Drogen, verschiebt gestohlene Fahrzeuge oder legt
27
Bomben. Die verschiedenen Nebenmissionen können dazu beitragen, bessere
Waffen, Geld, andere Kleidung und weitere wichtige Gegenstände zu erwerben.
Die Nebenmissionen sind jedoch nicht mit der Haupthandlung verknüpft. Mit GTA
3, welches 2002 erschien, wurde auch diese Reihe dreidimensional. Die neueste
Veröffentlichung der Reihe ist GTA Chinatown Wars, welche im Frühjahr 2009
erschienen ist (vgl. URL23: Wikipedia 2009).
Die Spiele wurden von verschiedensten Spieltestern durchweg positiv bewertet,
was sich auch in den jeweiligen Verkaufzahlen niederschlug. GTA 3 wurde über
20 Millionen Mal verkauft, die gesamte Reihe bislang über 65 Millionen Mal. Wie
bereits erwähnt, ist das Spiel eine Besonderheit, da es mehrere Spielgenres
vereint und der Spieler in keinem anderen Spiel so zahlreiche Optionen hat, sich
im
Spielgeschehen
zu
bewegen.
Es
sind
keine
bestimmten
Regeln
vorgeschrieben, auf welche Art und Weise der Protagonist seine Missionen zu
erfüllen hat. Er hat die Freiheit selbst zu entscheiden und in der riesigen virtuellen
Welt die beste Möglichkeit für sich zu erschließen. Komplette fiktive Städte mit
Gebäuden und Passanten, unterschiedlichem Wetter und vor Allem unter der
Beachtung physikalischer Gesetze, wurden für GTA entwickelt. Trotz des enormen
Erfolges der Spielreihe gibt es immer wieder negative Presse. Dafür können
verschiedene Gründe genannt werden.
Zunächst ist die Hauptfigur des Spiels ein Krimineller, der, wie bereits geschildert,
diverse Straftaten begeht und sich in zwielichtigen Vierteln mit suspekten
Gestalten bewegt. Des Weiteren wird kritisiert, dass das Spiel ermöglicht, auch
ohne besondere Gründe Menschen umzubringen und Autos zu Schrott zu fahren.
Kurz gesagt, der Protagonist kann alles um ihn herum willkürlich zerstören und
sich ihm in den Weg stellende Hindernisse vernichten (vgl. Patalong 2008 URL).
Bis auf GTA Advance aus dem Jahre 2004, was ab 12 Jahren freigegeben ist,
erhielten die Nachfolgerspiele nur eine Freigabe ab 16 Jahren. Die beiden letzten
Spiele GTA IV (2008) und GTA Chinatown Wars (2009) erhielten keine
Jugendfreigabe (URL24: Unterhaltungssoftware-Selbstkontrolle 2009).
Auch Todesfälle abseits der virtuellen Realität werden mit der Spielreihe in
Verbindung gebracht. So wurde im vergangenen Jahr in Thailand ein Taxifahrer
28
von einem 18-jährigen jungen Mann brutal niedergestochen. Als Begründung
dafür gab dieser an, er habe das Computerspiel GTA IV nachahmen wollen. Der
Verkauf des Spieles ist seither in Thailand verboten. Die Polizei ist berechtigt
Verkäufer des Spiels sofort festzunehmen. Ladenbesitzer, die das Spiel dennoch
weiter vertreiben, müssen mit Haftstrafen bis zu drei Jahren sowie Geldstrafen
rechnen. Der Vertrieb übers Internet wird zudem noch härter bestraft (vgl. Grand
Theft Auto IV 2008 URL).
Ein Jahr zuvor sorgte eine Modifikation von GTA San Andreas namens „Hot
Coffee“ in Australien für Furore. Diese machte es möglich sich innerhalb des
Spiels sexuell mit virtuellen Freundinnen zu vergnügen. Zum Ärger von vielen
Eltern, da das Spiel zunächst ab 15 Jahren freigegeben war. Nachdem die
zuständigen Stellen von der Modifikation erfuhren, wurde die Altersfreigabe sofort
zurückgezogen. In Australien sind Vertrieb und Werbung für das Spiel seitdem
verboten (vgl. GTA San Andreas 2005 URL).
Auch das Stichwort Rassismus wird in Zusammenhang mit der GTA-Reihe
gebraucht. Dies ist begründet in den übertrieben klischeehaften Darstellungen
bestimmter Völkergruppen und deren unmittelbaren Zugehörigkeit zu kriminellen
Banden (vgl. URL23: Wikipedia 2009).
Dass die beiden letzten Teile der Spielreihe keine Jugendfreigabe erhalten haben,
wurde
bereits
erwähnt.
Die
Mitarbeiter
des
kriminologischen
Forschungsinstitutshaben auch bei älteren Teilen, sowohl bei GTA Liberty City
Stories sowie bei GTA San Andreas unangemessene Altersfreigaben festgestellt.
In beiden Fällen heißt es: „Das Spiel erfordert die Übernahme der Rolle eines
unmoralisch handelnden Verbrechers […]. Es fordert spielerisch dazu auf,
möglichst
brutal
mit
Gegnern
und
Unbeteiligten
umzugehen
[…].
Die
Visualisierung ist […] sehr blutig.“ Speziell bei GTA Liberty City Stories sind „sehr
zynische Formulierungen in Bezug auf Gewalt“ aufgefallen (Höynck u.a. 2007, S.
46, 49).
29
3.2.5 Battlefield
Die Battlefield-Reihe gehört wie Counter Strike zu den Ego-Shootern bzw. TaktikShootern. Battlefield bedeutet übersetzt Schlachtfeld und weist damit auf das
Kriegsszenario hin, in dem das Spielgeschehen stattfindet. Nachgestellt werden
verschiedene Schlachten in unterschiedlichen vergangenen oder fiktiven Kriegen.
Im ersten Teil Battlefield 1942 befindet sich der Spieler in der Mitte des Zweiten
Weltkrieges und kämpft an berühmten Kriegsschauplätzen wie Stalingrad oder
Berlin. Im Vorfeld trifft der Spieler jedoch die Entscheidung, auf welcher Seite er
kämpfen möchte. Außerdem wählt er eine bestimmte Funktion aus, die er
ausüben will. Zur Wahl stehen beispielsweise Scharfschütze oder Sanitäter. Der
Spieler hat die Möglichkeit die Schlachten während des Zweiten Weltkrieges
nachzustellen und zu beeinflussen (vgl. URL25: Battlefield News 2008). Im
Nachfolgespiel Battlefield Vietnam wird das Spielgeschehen in den Vietnamkrieg
verlegt. Hier wählt der Spieler aus, ob er für die nordvietnamesische Armee oder
die amerikanische Seite eintritt. Im Gegensatz zum Vorgänger stehen neue
Charaktermodelle und bessere Waffen zur Verfügung (vgl. URL26: Battlefield News
2006). Während die ersten beiden Teile der Reihe sich auf tatsächlich
stattgefundene Kriegsszenarien beziehen, werden in Battlefield 2 und 2142 fiktive
Kriege ausgetragen. Letzteres führt den Spieler ins Jahr 2142, in dem soeben eine
neue Eiszeit angebrochen ist, die die Welt ins Chaos gestürzt hat. Gekämpft wird
auf der Seite der Europäischen Union oder der neu gegründeten panasiatischen
Koalition (vgl. URL27: Battlefield News 2007). Neuestes, im Juli dieses Jahres
veröffentlichtes Spiel, Battlefield 1943 führt dann wiederum in den Zweiten
Weltkrieg zurück. Insgesamt besteht die Reihe aus sieben Spielen und mehreren
Erweiterungen. Battlefield 3 soll im nächsten Jahr veröffentlicht werden (vgl.
URL28: PC Games 2009).
Auf der Homepage der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle ist nachzulesen,
dass die komplette Spielreihe ab 16 Jahren freigegeben ist. Das KFN hat in ihrer
Studie auch Spiele aus dieser Reihe getestet und ist abermals zu dem Entschluss
gekommen, dass Teile der Reihe eine unangemessene oder zumindest
zweifelhafte Altersfreigabe haben. Festgemacht wird das in diesen Fällen an der
sehr realitätsnahen Darstellung des Kriegsgeschehens. Außerdem werde z.B. bei
Battlefield 2 durch „verharmlosende Musikuntermalung ein realitätsnaher Krieg
30
als spannendes Abenteuer inszeniert und die Bedeutung und Grausamkeit des
Krieges dadurch relativiert“ (Höynck u.a. 2007, S. 46). Auch Spielmodi bei
Battlefield 2 Modern Combat werden kritisiert. Dort „müssen reihenweise
menschliche Figuren aus dem Hinterhalt abgeschossen werden“ oder Figuren
müssen sich wie bei einem Bowlingspiel aufstellen, um dann von einer Granate
getötet zu werden (vgl. ebd., S. 48f).
3.2.6 Guild Wars
Das Spiel taucht in der Liste der neuesten KFN-Studie der am meisten gespielten
Spiele von männlichen Jugendlichen zwar erst auf Platz 10 auf, ist aber neben
World of Warcraft, das einzige MMORPG in den Top Ten, sodass es dennoch
kurz vorgestellt werden soll. Guild Wars ist das Spiel-Debüt der amerikanischen
Firma AreaNet, wurde 2005 veröffentlicht und ist somit das jüngste auf dem Markt
der bisher beschriebenen Spiele. Die Entwickler selbst sehen es nicht als reines
MMORPG, sondern bezeichnen Guild Wars als „Competitive Online Role Playing
Game“,
frei
übersetzt
mit
„wettkampfsbetontes
Onlinerollenspiel“.
Diese
Wortschöpfung scheint jedoch relativ neu zu sein, da selbst im Internet nur sehr
wenige Seiten zu finden sind, die sich mit dem Begriff auseinandersetzen.
Vielleicht ist Guild Wars auch deshalb von den Mitarbeitern des Kriminologischen
Forschungsinstitutes den klassischen MMORPGs zugeordnet worden.
Ausgangspunkt des Spieles ist das Königreich Ascalon, welches von einem
fremdartigen Volk aus dem Norden, den Charr, angegriffen und zerstört wurde.
Der Spieler schlüpft in die Rolle eines Bewohners von Ascalon, der zur
Unterstützung des Königs gemeinsam mit anderen treuen Bürgern den Kampf
gegen die Charr aufnimmt (vgl. Stein 2005, S. 1 URL). Bevor der Spieler in die
Schlacht zieht, wählt er zunächst aus sechs zur Verfügung stehenden Klassen
einen Charakter aus, wie z.B. einen Mönch, einen Waldläufer oder einen Krieger.
Jeder Charakter ist mit 70 verschiedenen Fähigkeiten ausgestattet, von denen
aber während des Spielverlaufs immer nur jeweils acht gleichzeitig genutzt werden
können (vgl. ebd., S. 2). Wie der Name bereits andeutet, werden auch hier Gilden
gebildet, die bis zu 100 Mitglieder fassen können. Das Zusammenschließen zu
Gilden ist nur in der Stadt oder im Basislager möglich, da nur hier die Möglichkeit
besteht, auf Tausende andere Mitspieler zu treffen. Verlässt die Spielfigur die
31
sichere Stadt, ist sie auf sich allein gestellt bzw. kann nur bis zu sieben Gefährten
aus der eigenen Gilde mitnehmen, um dann die unterschiedlichsten Missionen
oder so genannte Quests6 zu erfüllen (vgl. ebd., S. 1). Ob eine Mission erfüllt wird,
entscheidet sich in Kämpfen mit verschiedenen Monstern oder auch menschlichen
Gegnern. Belohnungen für gewonnene Kämpfe sind dann zumeist neue
Fähigkeiten, seltener ein Schwert oder eine besondere Waffe.
Ein Hauptziel, mit dessen Erfüllung das Spiel beendet ist, gibt es bei Guild Wars
nicht, denn auch hier läuft wie bei World of Warcraft das Spielgeschehen weiter,
auch wenn der Spieler momentan offline ist und nicht direkt Einfluss nehmen
kann. Ziel ist demnach die Erfüllung der aktuellen Mission und die damit
einhergehende Verbesserung der persönlichen Fähigkeiten des Spielcharakters.
Neben dem Hauptspiel sind bisher zwei weitere Teile so wie eine Erweiterung zum
ersten Teil von Guild Wars erschienen. Die Unterhaltungssoftware-Selbstkontrolle
hat alle zur Reihe gehörenden Spiele ab 12 Jahren freigegeben. Die
Veröffentlichung von Guild Wars 2 verschiebt sich immer weiter nach hinten. Als
Gründe dafür gibt AreaNet die Wirtschaftskrise und damit zusammenhängende
Umstrukturierungen in der Firma an. Aktueller Erscheinungszeitraum ist
2010/2011 (vgl. URL29: Gameszone 2009).
Die Ausführungen des dritten Abschnittes sollten verdeutlichen, wie komplex die
Computerspiellandschaft ist. Spielaufbau und -ziel sind für jedes einzelne Spiel
differenziert zu betrachten. Unterschiede in den Genres und Spielen sind enorm.
Altersfreigaben können zur Orientierung beitragen, dennoch ist ihnen mit Skepsis
zu begegnen. Nach Einschätzung des kriminologischen Forschungsinstitutes sind
mehrere Spiele mit einer unangemessenen Alterskennzeichnung versehen
worden. Die Meinungen der USK und anderen Einrichtungen gehen demnach
auseinander. Das Spiel selbst zu spielen, und sich ein eigenes Bild zu machen, ist
eine Variante, um sich unabhängig zu informieren. Wie unterschiedlich sich
Computerspiele auswirken können, zeigen vor Allem die negativen Ereignisse, die
6
Quest kommt aus dem Englischen und bedeutet soviel wie „die Suche“ oder „das Streben/
Trachten“ nach etwas (vgl. Langenscheidts Handwörterbuch Englisch 1999, S. 517). Im Bereich
MMORPGs werden Missionen und Aufgaben innerhalb des Spielverlaufes als Quests bezeichnet
(vgl. Grünbichler 2008, S. 115).
32
in Deutschland, aber auch im Ausland stattgefunden haben. Auch welches Suchtund Gewaltpotenzial einige Spiele in sich bergen konnte herausgearbeitet werden.
Konkrete Forschungsergebnisse der Wissenschaft in diesem Bereich, werden im
nächsten Abschnitt vorgestellt.
4 Studie: Computerspielabhängigkeit im Kindes- und
Jugendalter
4.1 Einleitung
Der erste Teil der Studie wurde von April 2007 bis Oktober 2008 in 61
Erhebungsgebieten in Deutschland durchgeführt. Befragt wurden 44.610 Schüler
der 9. Klassen, mit einem Altersdurchschnitt von 15,3 Jahren. 51,3 Prozent der
Befragten
waren
männliche
Jugendliche,
27,4
Prozent
wiesen
einen
Migrationshintergrund auf. Die Daten wurden klassenweise mit Hilfe eines
standardisierten 31-seitigen Fragebogens und einem geschulten Interviewer
erhoben. Außerdem erhielt jeder dritte Schüler zusätzlich einen 6-seitigen Bogen
mit
speziellen
Fragen
zum
Thema
Internetnutzung
und
Computerspielabhängigkeit. Die Rücklaufquote lag bei 88 Prozent (vgl. Rehbein/
Kleimann/ Mößle 2009, S. 15).
Im zweiten Teil der Studie wurden die gewonnenen Daten auf jüngere Schüler
bezogen und die Bedeutung für diese Altersgruppe analysiert. So wird seit dem
Jahr 2005 wird vom Institut jährlich eine Grundschülerbefragung von 1.156
Schülern in 47 verschiedenen Schulen in Berlin durchgeführt. Die letzte Befragung
fand im Frühjahr 2008 statt und war bereits die vierte Befragung von den nun
inzwischen 11,5-jährigen Kindern.
4.2 Aufbau und Durchführung
4.2.1 Computerspielen im Jugendalter
Zu Beginn des Fragebogens wurden die Schüler nach ihren Freizeitaktivitäten
befragt und gebeten, die Dauer der jeweiligen Aktivitäten zu bestimmen, z.B. zwei
Stunden fernsehen, eine Stunde Sport etc. Die Ergebnisse machen deutlich, dass
33
enorm viel Zeit in die Nutzung von Bildschirmmedien investiert wird. Mädchen
nutzen diese mehr als sechs Stunden, Jungen sogar siebeneinhalb Stunden
täglich. Das Fernsehen nimmt hierbei täglich den größten Zeitraum ein (vgl.
Rehbein/ Kleimann/ Mößle 2009, S. 15). Das Computerspielen steht bei
männlichen Jugendlichen direkt auf Platz zwei, gefolgt vom chatten im Internet.
Das Internet steht zwar auch bei weiblichen Jugendlichen an zweiter Stelle, ist
jedoch gefolgt von Familienunternehmungen, Sport und Ausgehen mit Freunden.
Das Computerspielen nimmt bei Mädchen nur den sechsten Platz ein (vgl. ebd., S.
16). Das veranschaulicht, warum in Zusammenhang mit Computerspielsucht oft
hauptsächlich von männlichen Jugendlichen die Rede ist und diese die größeren
„Sorgenkinder“ darstellen.
Die häufige Nutzung des Computers wird auch dadurch ermöglicht, dass z.B.
mehr als 2/3 der Befragten einen eigenen Computer in ihrem Zimmer besitzen.
Auch hier besaßen zum Befragungszeitraum wieder mehr Jungen als Mädchen
einen Computer. Bei stationären Spielkonsolen ist die Ausstattungsquote der
Jungen sogar doppelt so hoch, als die der weiblichen Jugendlichen. Annähernd
2/3 der Befragten, die einen Computer bzw. Spielkonsole besitzen, hatten zum
Befragungszeitpunkt die Möglichkeit, sich mit dem Internet zu verbinden (vgl. ebd.,
S. 17).
Um eine Übersicht zu erstellen, welche die am häufigsten gespielten Spiele der
Schüler sind, gaben diese jeweils ihre drei Lieblingsspiele an. So ist auch die TopTen Liste, die im gesamten Abschnitt Drei der vorliegenden Arbeit mehrfach
erwähnt wurde, entstanden. Bei Jungen finden sich in den Top Ten drei Shooter
wieder, demnach eher Spiele, die einen hohen Zeitaufwand erfordern. Die
Mädchen favorisieren leicht zu verstehende Spiele wie Solitär oder Singstar,
Spiele, die schnell erlernt und verstanden werden. Auch die zahlreichen
Spielgenres werden von Jungen und Mädchen sehr unterschiedlich genutzt.
Spielen 7,5 Prozent der männlichen Schüler täglich Onlinerollenspiele, so sind es
bei den Mädchen nur 1,2 Prozent. Auffällig ist auch, dass eine große Mehrheit der
männlichen Schüler Spiele bevorzugt, die gemäß USK noch gar nicht für ihr Alter
freigegeben sind. 55,4 Prozent gaben an, ab 16 freigegebene Spiele regelmäßig
34
zu spielen. Auch Spiele ohne Jugendfreigabe werden von 48,3 Prozent der
Schüler mehrmals im Monat gespielt (vgl. Rehbein/ Kleimann/ Mößle 2009, S. 17).
Um herauszufinden, inwieweit von abhängigem Spielverhalten der Befragten
gesprochen werden kann, haben die Mitarbeiter des KFN die in Punkt 1.1.1
genannten
Kriterien,
die
vorliegen
müssen,
um
von
einer
Abhängigkeitserkrankung zu sprechen, auf das Computer spielen bezogen und
die Abhängigkeitsskala weiterentwickelt. Demnach sind 2,8 Prozent der befragten
Schüler als gefährdet einzustufen, 1,7 Prozent bereits abhängig. Besonderes
Augenmerk ist auch hier wieder auf die Daten der männlichen Befragten zu legen.
Bereits 4,7 Prozent sind gefährdet, eine Abhängigkeit zu entwickeln, 3 Prozent
werden als abhängig eingestuft. Bei den Mädchen liegt die Gefährdung bei 0,5
Prozent, abhängig sind sogar „nur“ 0,3 Prozent. Werden die gesammelten Daten
auf die gesamte Bundesrepublik bezogen, ist gemäß der Studie davon
auszugehen, dass 23.600 Jugendliche in der befragten Altersstufe gefährdet sind
eine Computerspielabhängigkeit zu entwickeln. Bei 14.300 Jugendlichen liegt
bereits eine Erkrankung in diesem Zusammenhang vor, 13.000 davon sind
männliche, 1.300 weibliche Jugendliche (vgl. ebd., S. 22).
Weiterhin
wurde
festgestellt,
dass
abhängigkeitsgefährdete
Jungendliche
schlechtere schulische Leistungen in Fächern wie Deutsch, Geschichte und Sport
aufweisen. Bei den bereits abhängigen Jugendlichen liegen die Leistungen in
diesen Fächern deutlich unter dem Durchschnitt. In Mathematik werden hingegen
gute bzw. durchschnittliche Leistungen erzielt. Auch das Schulemeiden ist in
diesem Zusammenhang ein Thema. Unter den Viel- und Exzessivspielern gibt
jeder Vierte an, im letzten Schulhalbjahr innerhalb des Befragungszeitraumes die
Schule geschwänzt zu haben. Als Grund wurde angegeben, lieber nach Hause
gehen zu wollen, um Computer zu spielen. Außerdem sind gefährdete sowie
exzessiv
spielende
Schüler
Mehrfachschulschwänzer,
mit
mehr
als
fünf
geschwänzten Tagen innerhalb eines Schulhalbjahres (vgl. ebd., S. 23).
Auf die Frage, warum gerade die Jungen in hohem Maße von Abhängigkeit
betroffen bzw. gefährdet sind, gibt die Studie nur unbefriedigende Antworten.
35
Zwar wird erklärt, dass dies mit einer dysfunktionalen Stressregulation
zusammenhängt, die dazu führt, dass sich die Spieler eher in die virtuellen
Welten, in denen sie belohnt werden flüchten, um Misserfolge in der realen Welt
auszugleichen. Warum dies wiederum in besonderem Maße die Jungen betrifft,
geht aus der Studie nicht hervor (vgl. Rehbein/ Kleimann/ Mößle 2009, S. 25).
Die Mitarbeiter des KFN haben zusätzlich weitere Variablen herausgearbeitet, die
eine Computerspielsucht begünstigen. Vor Allem Jugendliche, die sich in das
Computer
spielen
flüchten,
wenn
sie
im
realen
Leben
verschiedenen
Problemsituationen ausgesetzt sind, sind besonders gefährdet. Auch die Variable
Macht- und Kontrollerleben innerhalb des Computerspiels spielt eine Rolle. Die
Studie zeigt, dass die Gefahr der Abhängigkeit umso größer ist, je mehr ein
Wunsch nach Macht und Kontrolle besteht. Ein Grund, warum viele Jugendliche
überhaupt Computer spielen. Jugendliche Spieler, die vor Allem Onlinerollenspiele
bevorzugen, weisen ein fast doppelt so hohes Abhängigkeitsrisiko auf (vgl. ebd.,
S. 27f). Ein weiterer Komplex ist das Selbstwerteleben, sowohl in der Schule als
auch in der Freizeit. Jugendliche, die angeben, dass es ihnen im Zeitraum der
letzten zwölf Monate nur gelungen sei, innerhalb eines Computerspieles
erfolgreich zu sein und dort etwas erreicht zu haben, auf das sie richtig stolz sind,
sind 4-mal so stark gefährdet. Auch bei Schülern, die bereits Klassen wiederholen
mussten oder im Allgemeinen eine erhöhte Angst vor Schule aufweisen, steigt das
Risiko (vgl. ebd., S. 28).
Fehlende soziale Kompetenzen spielen ebenfalls eine Rolle. Jugendliche, die
Schwierigkeiten haben, Konflikte des Alltags zu meistern oder auch solche, die
eine erhöhte Gewaltakzeptanz aufweisen sind stark gefährdet. Bei Jugendlichen,
die Erfahrungen mit häuslicher Gewalt gemacht haben, ist das Risiko, eine
Computerspielabhängigkeit zu entwickeln dreimal so groß. Zusammenhänge
zwischen psychischen Erkrankungen und einer Computerspielabhängigkeit konnte
die Studie nicht herstellen, eher kann beispielsweise eine Depression als eine
Folgeerkrankung der Computerspielsucht angesehen werden.
Die Studie gibt weiterhin Aufschluss darüber, welche Spiele das meiste
Suchtpotenzial aufweisen. Dafür wurden die Daten der als bereits abhängig
36
eingestuften Jungen genauer untersucht und geprüft, welche Spiele in dieser
Gruppe am häufigsten gespielt werden. Auf Platz eins steht hier das MMORPG
World of Warcraft (WoW). 8,5 Prozent der computerspielabhängigen Jungen
spielen WoW, 11,6 Prozent der WoW-Spieler sind gefährdet. Ungefähr 36 Prozent
der Spieler verbringen mehr als 4,5 Stunden täglich in der WoW-Welt und sind
den Exzessivspielern zu zurechnen (vgl. Rehbein/ Kleimann/ Mößle 2009, S. 26).
An zweiter Stelle steht das in Punkt 3.2.6 vorgestellte Spiel Guild Wars, ebenfalls
den Onlinerollenspielen zuzuordnen. Neben dem Strategiespiel Warcraft auf Platz
Drei stehen drei Shooter-Spiele auf den darauf folgenden Plätzen, darunter auch
Counter Strike (siehe 3.2.1) und Battlefield (siehe 3.2.5). Alle erwähnten Spiele
können im Netzwerk bzw. online mit mehreren Mitspielern gespielt werden. Es
kann demnach geschlussfolgert werden, dass eben genau diese Spiele es sind,
die das meiste Abhängigkeitspotenzial in sich bergen. Sport- und Rennspiele, die
leichter zu verstehen sind und einen geringeren Zeitaufwand erfordern, werden
von den abhängigkeitserkrankten Jugendlichen sehr viel weniger genutzt.
4.2.2 Computerspielen im Kindesalter
Auch hier wurde ein ausführlicher Fragebogen entworfen, der sich auf das
Freizeitverhalten, den Umgang mit Medien, die Einstellungen zur Schule und
weitere Punkte bezieht. Die Befragungen finden jährlich im Mai und Juni an zwei
aufeinander folgenden Schultagen statt. Bei der letzten Befragung im Frühjahr
2008 waren die Schüler im Durchschnitt 11,5 Jahre alt. Der Fragebogen enthielt
erstmals einen Extrabogen zum Thema Problematisches Computerspielen und
Computerabhängigkeit. Die Rücklaufquote lag bei 83 Prozent.
Die letzte Befragung hat erwiesen, dass das Computer spielen auch für Kinder
dieser Altersklasse eine große Rolle spielt. So spielen auch hier die Jungen täglich
fast eine Stunde am PC oder mit einer Spielkonsole. Mädchen hingegen nur 23
Minuten. Die Ausstattung mit Spielgeräten in diesem Alter ist beachtlich, wenn
nicht sogar besorgniserregend. Ungefähr 65 Prozent der Jungen und 50 Prozent
der Mädchen gaben an, eine eigene Spielkonsole im Zimmer zu haben. 53
Prozent der Jungen und 51 Prozent der Mädchen haben einen eigenen PC, mehr
als 80 Prozent der Kinder haben tragbare Spielkonsolen, wie z.B. einen Gameboy
37
oder Ähnliches. Außerdem gab mehr als ein Drittel der Kinder an, über einen
eigenen Internetanschluss im Kinderzimmer zu verfügen.
Auffällig ist auch die Spielauswahl der Jugendlichen, vor Allem die der Jungen. So
finden sich in den Top Ten der beliebtesten Spieler dieser Altersklasse fünf Spiele
wieder, die teilweise erst ab 12 oder auch 16 Jahren freigegeben sind. Spiele
ohne Jugendfreigabe sind ebenso darunter, so z.B. der letzte Teil der GTA-Serie.
Die gesamte Reihe steht insgesamt auf Platz Zwei der Liste, obwohl alle Teile erst
ab mindestens 16 Jahren freigegeben sind. Auch in den Top Ten der Mädchen
taucht die Reihe auf, hier allerdings erst auf Rang Acht. Über die Hälfte der
Lieblingsspiele der Mädchen sind jedoch ohne Altersbeschränkung freigegeben,
also offiziell unbedenklich. Ein Spiel der Top Ten ist ab sechs Jahren, Teile der
Need for Speed-Reihe erst ab 12 Jahren freigegeben. NFS taucht allerdings erst
auf dem letzten Platz der Liste auf (vgl. Rehbein/ Kleimann/ Mößle 2009, S. 32).
Die Studie macht deutlich, dass Jungen, auch die der jüngeren Altersstufen in
besonderem Maße gefährdet sind eine Abhängigkeit zu entwickeln. Sie neigen
dazu, Spiele zu spielen, die nicht ihrem Alter entsprechen und werden somit mit
(gewalthaltigen) Inhalten konfrontiert, die sie gemäß ihrer Entwicklungsstufe nicht
angemessen verarbeiten können. Die Liste gibt weiter Aufschluss darüber, dass
es trotz Jugendmedienschutzbestimmungen, offensichtlich auch für Kinder unter
12
Jahren,
nicht
schwer
ist,
an
Spiele
zu
gelangen,
die
höhere
Altersbeschränkungen haben bzw. mit „Keine Jugendfreigabe“ gekennzeichnet
sind. Ältere Geschwister, Freunde oder ein Austausch über das Internet können
das ermöglichen. Hier wird noch einmal ganz klar deutlich, wo die Grenzen des
Jugendschutzgesetzes liegen, nämlich im häuslichen und sozialen Umfeld der
Kinder. Wenn Eltern die Zimmer ihrer Kinder mit eigenen Computern und
Internetanschlüssen versehen und letztlich zwischen beiden Parteien kein
Austausch darüber stattfindet, was am Computer bzw. im Netz gespielt wird, kann
dies eine Computerspielsucht zumindest begünstigen. Oft wird sie erst dann von
den Personensorgeberechtigten wahrgenommen, wenn es bereits zu spät ist.
Beispielsweise, wenn die Kinder schlechte Noten nach Hause bringen oder keinen
anderen Hobbys mehr nachgehen.
38
Anhand der Befragung werden 1,2 Prozent der Kinder als abhängigkeitsgefährdet,
0,8 Prozent als bereits abhängig eingestuft. Auch wenn an der Befragung 2008
nur 828 Schüler teilgenommen haben und das verhältnismäßig kleine Fallzahlen
sind im Gegensatz zur Befragung der 9. Klassenstufe, schätzen die KFNMitarbeiter sie als repräsentativ, zumindest für das Bundesland Berlin ein.
Dennoch fasst das Institut beide Gruppen zusammen und bezeichnet die Kinder,
die auf eine der Gruppen zutreffen, in den folgenden Passagen der Studie als
„problematische Computerspieler“ (vgl. Rehbein/ Kleimann/ Mößle 2009, S. 34).
Es wurde festgestellt, dass die problematischen Computerspieler bereits in der
dritten Klasse schlechtere Noten in Hauptfächern wie Mathe und Deutsch erzielen,
als Kinder, die nicht als problematisch eingestuft werden. Der Unterschied hat sich
zur vierten Klasse hin noch vergrößert und in der fünften weiter verfestigt.
Außerdem macht den problematischen Computerspielern die Schule weniger
Spaß. Sie gehen weniger gern hin als in früheren Klassenstufen. Der Faktor
Familie nimmt ebenfalls Einfluss auf das Computerspielverhalten der Befragten.
Kinder, die als problematische Computerspieler eingestuft werden, erleben
häufiger Gewalt im Elternhaus und sind häufiger Scheidungskinder als andere.
Zu Beginn der Arbeit wurde bereits erwähnt, dass einige Fachleute die
Computerspielsucht „nur“ als Folgeerkrankung einer bereits vorhandenen
psychischen oder Verhaltensstörung sehen. Häufig wird in dem Zusammenhang
von einer voran gegangenen Depression als Komorbidität gesprochen. Um dies
bestätigen oder auch widerlegen zu können, haben die Mitarbeiter der Studie die
Skala Depressive Verstimmung innerhalb der Befragung der 5. Klassenstufe
entwickelt. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass diese nicht mit einer
klinischen Diagnose gleichzusetzen ist. Dennoch weisen alle problematischen
Computerspieler höhere Werte auf der Skala auf, als andere Kinder der
Klassenstufe.
Auch
Daten
zur
Hyperaktivität,
als
potenzielle
Komorbidität
einer
Computerspielsucht, wurden bei den 5.-Klässlern erhoben. Es wurde festgestellt,
dass der Anteil der hyperaktiv auffälligen Kinder bei 47 Prozent liegt, bei
unauffälligen Computerspielern sind es nur 12 Prozent (vgl. ebd., S. 37).
39
Als klares Anzeichen für problematisches Spielverhalten, wird die häufige
Anwendung von Shooter-Spielen, die erst ab 16 oder 18 Jahren freigegeben sind
gesehen, da die Befragten durchschnittlich erst 11,5 Jahre alt sind. Vordergründig
besteht dadurch die Möglichkeit, die persönliche Entwicklung der Kinder auf
negative Weise zu beeinflussen. Weiterhin gehen die Mitarbeiter der Studie davon
aus, dass eben dieses Spielverhalten aus persönlichen und sozialen Problemen
resultiert. Fehlende elterliche Zuwendung und Beaufsichtigung werden als Gründe
genannt (vgl. Rehbein/ Kleimann/ Mößle, S. 40).
4.3 Zusammenfassung
Anhand der Studie ist davon auszugehen, dass deutschlandweit ca. 14.300
Jugendliche vom Computer spielen abhängig sind, 13.000 davon sind Jungen.
26.300 weitere Jugendliche sind stark gefährdet, eine Abhängigkeit zu entwickeln.
Die Daten beziehen sich jedoch nur auf die neunten Klassenstufen, also im
Durchschnitt auf 15-jährige Jungen und Mädchen. Werden die Daten aus
Befragungen
niedriger
computerspielabhängigen
Klassenstufen
und
addiert,
gefährdeten
kann
Kindern
von
weitaus
und
mehr
Jugendlichen
ausgegangen werden.
Onlinerollenspiele, aber auch Shooter, die im Netz zu mehreren gespielt werden
können, scheinen das meiste Suchtpotenzial in sich zu bergen. Gründe dafür sind
unter Anderem der hohe Zeitaufwand, der nötig ist, um die Spiele zu verstehen
und die Fähigkeiten seiner Figur auszubauen. Ein weiterer Grund sind die direkten
Belohnungen, die im Spielverlauf für gelungene Missionen geboten werden.
Auszeichnungen, die in der wirklichen Welt möglicherweise ausbleiben. Am
stärksten betroffen sind die WoW-Spieler. 8,5 Prozent der 13.000 als abhängig
eingestuften Jungen, sind WoW-Spieler. Weitere 11,6 Prozent der WoW-Spieler
sind gefährdet eine Abhängigkeit zu entwickeln.
Außerdem
wurde
festgestellt,
dass
abhängigkeitsgefährdete
Kinder
und
Jugendliche schlechtere Schulleistungen erbringen und häufiger die Schule
schwänzen als andere. Kinder und Jugendliche, die Schwierigkeiten haben
Konflikte im Alltag zu meistern sowie Probleme im familiären und sozialen Umfeld
40
(Scheidung der Eltern, häusliche Gewalt) beschreiben, sind ebenfalls deutlich
stärker gefährdet eine Computerspielabhängigkeit zu entwickeln als andere,
ebenso solche, die eine hohe Gewaltakzeptanz aufweisen.
4.4 Schlussfolgerungen
Die gewonnenen Daten der Erhebung zeigen eindeutig, dass Computerspielsucht
im Jugendalter eine verbreitete Störung mit einer steigenden Tendenz innerhalb
Deutschlands ist. Viele Institutionen haben bereits darauf reagiert und Beratungsund Behandlungsangebote für Betroffene und deren Angehörige eingerichtet.
Dennoch ist die Computerspielsucht nicht klinisch anerkannt und Ärzte sind
gezwungen
alternative
Diagnosen
für
Betroffene
zu
stellen,
um
eine
kassenfinanzierte Behandlung abzusichern. Kritisiert wird daran vor Allem, dass
dadurch das Problem „Computerspielsucht“ aus dem Fokus der Gesellschaft
genommen und verhindert wird, dass neue, dem Krankheitsbild entsprechende
Konzepte entwickelt und angemessene Behandlungen gewährleistet werden
können. Hoffnung vieler Fachleute ist es, dass das Krankheitsbild zur nächsten
Revision
des
ICD-10
berücksichtigt
wird
und
in
den
Katalog
der
Diagnoseschlüssel aufgenommen wird (vgl. Rehbein/ Kleimann/ Mößle 2009, S.
43).
Auch die erneute Überarbeitung der Jugendmedienschutzbestimmungen wird
angeregt. Nach Einschätzung des KFN haben in der Vergangenheit gehäuft
Fehleinstufungen der Altersfreigaben stattgefunden, da „implizite Merkmale der
Gewaltlegitimation und Belohnung von Gewalt nicht konsequent in die Abwägung
der Alterseinstufung einbezogen werden“ (ebd., S. 44). Die Überprüfung eines
möglichen Suchtpotenzials von Computerspielen findet momentan überhaupt nicht
statt und sollte dringend bei der Altereinstufung berücksichtigt werden.
Besonderes Augenmerk ist auf Spiele zu legen, die hohe Spielzeiten erfordern.
Auch Hersteller und Herausgeber von Computerspielen, Spielende und auch das
familiäre Umfeld, insbesondere die Eltern sollten für die Problematik sensibilisiert
und geschult werden. Das KFN empfiehlt Computerspiele mit besonders hohem
Suchtpotenzial zukünftig nur an Erwachsene abzugeben oder durch eingebaute
Spielzeitbegrenzungen, die tägliche Verweildauer am PC zu regulieren, sodass
41
Spiele dann gegebenenfalls auch ab 16 Jahren freigegeben werden können.
Folgende Merkmale in Computerspielen können darauf hinweisen, dass das Spiel
ein hohes Abhängigkeitspotenzial in sich birgt:
-
Vergabe von virtuellen Belohnungen wird von der bereits verbrachten Zeit
im Spiel abhängig gemacht Æ z.B. nur wenn mindestens eine Stunde am
Spielgeschehen teilgenommen wird, finden Kämpfe statt, die Spieler im
Falle des Sieges mit neuen speziellen Fähigkeiten belohnen
-
Vergabe von seltenen und hoch angesehenen Belohnungen nur durch
intermittierende Verstärkung Æ z.B. „das magische Schwert“ wird nur dann
erworben, wenn immer wieder Kämpfe ausgetragen werden müssen, da
nicht bekannt ist, wann „das magische Schwert“ tatsächlich die Belohnung
ist
-
dem Spieler bringt es Nachteile, wenn er nicht regelmäßig am
Spielgeschehen teilnimmt Æ z.B. Spieler wird aus Gilde ausgeschlossen,
kann keine neuen Fähigkeiten erwerben
-
ein Levelsystem im Spiel, dass erfordert sehr viel Zeit täglich und auch über
Monate hinweg am Spielgeschehen teilzunehmen, um sich zu verbessern
-
eine komplexe Spielwelt, deren Erkundung mehrere Monate dauert und
auch täglich sehr viel Zeit in Anspruch nimmt
-
komplexe Aufgabenstellungen, die nur gelöst werden können, wenn der
Spieler zu einer eingespielten Gemeinschaft gehört, deren Spielfiguren sich
durch die individuellen Fähigkeiten gegenseitig ergänzen, wodurch ein
Verpflichtungsgefühl des Spielers entstehen kann (vgl. Rehbein/ Kleimann/
Mößle 2009, S. 46).
Das KFN befürchtet berechtigterweise, dass Hersteller und Vertreiber von Spielen,
die eben genannte Merkmale enthalten, zukünftig andere Wege suchen werden,
ihre Spiele auf dem Markt zu etablieren. Nahe liegend ist, dass die besagten
Spiele künftig nur noch online verkauft und distribuiert werden. Das bedeutet, es
wird dann nicht mehr nötig sein, Spiele auf einem Datenträger zu erwerben und
auf dem Heim-PC zu installieren. Die nötige Software gibt es dann ausschließlich
im Internet. Das Spiel wird zum Browsergame und fällt nicht mehr unter die
Trägermedien. Zu den Trägermedien gehören auch die Computerspiele, die von
42
der
USK
geprüft
werden,
Browsergames
fallen
bislang
nicht
darunter.
Zusammengefasst heißt das, dass Medienschutzbestimmungen überarbeitet
werden müssten, um solche Versuche, bisher geltende rechtliche Bestimmungen
zu umgehen, auszuschließen.
Laut USK-Geschäftsführer Olaf Wolters ist konkret geplant, künftig auch reine
Onlinespiele zu prüfen. Er gibt jedoch gleichzeitig an, dass es noch etwa zwei
Jahre dauern kann, bis Entwürfe für solche Neuregelungen vorliegen. Uneinigkeit
über
die
Zuständigkeiten
ist
ein
Grund
dafür.
Die
Kommission
für
Jugendmedienschutz ist bisher für die Prüfung von Online-Angeboten zuständig
(siehe 2.3.3), die USK für die Kennzeichnung von Computerspielen. Die Frage ist
nun, in welchem Bereich die Browsergames dann zukünftig liegen werden, denn
diese sind Computerspiel und Onlineangebot zugleich (vgl. Siebert 2009 URL).
5 Behandlung und Therapie von Betroffenen und deren
Angehörigen
5.1 Beratungsstellen
Aufgrund der hohen Nachfrage der letzten Jahre, haben es sich immer mehr
Suchtberatungsstellen zur Aufgabe gemacht, sich auch der Computerspielsucht,
Onlinesucht oder der Mediensucht im Allgemeinen zu widmen. Berichtete Jannis
Wlachojiannis vom Berliner Projekt Lost in Space im Jahr 2008 noch von nur zwei
Beratungsstellen, die sich explizit auf Computer-, Internet- oder Mediensucht
spezialisiert haben, gibt es inzwischen mindestens neun solcher Beratungsstellen
deutschlandweit (vgl. te Wildt 2009 URL). Zwei dieser Einrichtungen sollen in den
folgenden Ausführungen vorgestellt werden.
5.1.1 Lost in Space / Café Beispiellos Berlin
Das Café Beispiellos existiert bereits seit 1987 und wurde gegründet, um eine
Beratungsmöglichkeit für abhängige Glücksspieler und deren Angehörige zu
schaffen. Die Trägerschaft hat der Caritasverband des Erzbistum Berlin e.V.
übernommen. Seit dem Oktober 2006 existiert zusätzlich ein separates Angebot
43
für Internet- und Computersüchtige namens Lost in Space (vgl. Wlachojiannis
2008, S. 53). Das Angebot richtet sich an alle, die meinen, zu viel Zeit am
Computer und im Internet zu verbringen und bereits bemerken, dass ihr Leben in
der wirklichen Welt dadurch negativ beeinträchtigt wird. Ziel von Lost in Space ist
es, gemeinsam mit den Klienten Alternativen zum Computer spielen oder dem
Internet zu erarbeiten bzw. ein gesundes Zeitmaß für das Verweilen am Computer
zu erreichen. Dazu bietet die Einrichtung verschiedene Aktivitäten in ihren
Räumlichkeiten an. Hier können unter Anderem Gesellschaftsspiele gespielt und
sich mit anderen Betroffenen ausgetauscht werden. Das Beratungsangebot der
Lost
in
Space-Mitarbeiter
umfasst
neben
Einzelgesprächen,
Paar-
und
Familiengesprächen außerdem Therapieberatung sowie die Vermittlung in
weiterführende Hilfsangebote (vgl. URL30: Lost in Space 2009).
5.1.2 Mediensuchtberatung Schwerin
Das Kompetenzzentrum und die Beratungsstelle für exzessiven Mediengebrauch
und
Medienabhängigkeit
sind
im
November
2006
aufgrund
mangelnder
Hilfsangebote in diesem Bereich entstanden. Das Kompetenzzentrum ist ein
Kooperationsprojekt zwischen der Evangelischen Suchtkrankenhilfe MecklenburgVorpommern und den Helios Kliniken Schwerin. Es wurde zunächst auf zwei
Jahre befristet. Beide Institutionen stellten jeweils einen Psychologen mit halber
Stelle für die gemeinsame Projektarbeit frei. Die Mediensuchtberatung Schwerin
ist die erste Einrichtung innerhalb Deutschlands, die sich speziell auf
Suchtberatungsangebote in Zusammenhang mit exzessiver Mediennutzung
ausgerichtet hat. Auch hier findet die Beratung sowohl mit Betroffenen als auch
mit den Angehörigen statt. Das Angebot ist an Personen jeglichen Alters gerichtet.
Die Beratung kann telefonisch, schriftlich oder in einem persönlichen Gespräch
erfolgen (vgl. Groppler/ Teske 2008, S. 20).
Im Jahr 2007 fanden Beratungsgespräche mit 61 Betroffenen statt. In 2/3 der
Fälle, wurde der Kontakt zur Beratungsstelle von den Eltern der Betroffenen
hergestellt. Auch die Mediensuchtberatung Schwerin kann bestätigen, dass es
sich bei den Betroffenen um vorwiegend männliche Jugendliche im Alter von 14
bis 22 Jahren handelt. In 92 Prozent der Fälle ging es um Problematiken im
44
Bereich
PC-Spiele.
Besonders
auffällig
waren
hier
Anfragen
bezüglich
Onlinerollenspielen (vgl. Groppler/ Teske 2008, S. 20).
Ziel der Gespräche ist es, gemeinsam Wege aus der Abhängigkeit zu erarbeiten
und ein suchtfreies Leben anzustreben. Im Vorfeld wird jedoch erst einmal
versucht heraus zu finden, welche Motivationen dem häufigen Medienkonsum zu
Grunde liegen. Als Gründe dafür werden z.B. ein geringes Interesse der Eltern am
Tagesablauf der Kinder oder wenig eigene Medienkenntnisse genannt. Die
Vermittlung von Medienkompetenz bei Angehörigen ist ein wesentlicher
Bestandteil der Beratung (vgl. ebd., S. 21).
Neben der persönlichen Beratung hat es sich das Kompetenzzentrum zur Aufgabe
gemacht, ein Netzwerk zu bilden indem auch andere öffentliche Einrichtungen,
beispielsweise Schulen und Firmen mit einbezogen werden sollen, um das
Problem der Medienabhängigkeit näher in das Bewusstsein der Bevölkerung zu
rücken.
Daher
bieten
Informationsveranstaltungen
die
in
Mitarbeiter
ihren
des
Kompetenzzentrum
Räumlichkeiten,
aber
auch
auf
verschiedenen Fachtagungen an. Ziel des Netzwerkes soll sein, gemeinsam
Hilfepläne für Betroffene zu erstellen und Präventionsmöglichkeiten zu entwickeln
(vgl. ebd., S. 20).
In einer aktuellen Studie des Gesamtverbandes für Suchtkrankenhilfe im
Diakonischen
Werk
Suchtberatungsstellen
der
Ev.
Kirche
deutschlandweit
in
Deutschland
gebeten,
e.V.
Auskunft
wurden
über
die
Inanspruchnahme von Hilfe im Bereich des exzessiven Computerspielens zu
geben. Verwendet werden konnten Daten von 103 Suchtberatungsstellen. Nach
Einschätzung der Mitarbeiter liegt bei 77 Prozent der Personen, die in der
Einrichtung mit Problemen im Zusammenhang mit pathologischem Computer
spielen vorstellig werden, tatsächlich eine Suchtproblematik vor. 98 Prozent der
Klienten sind männlich und im Durchschnitt 16 Jahre alt. Pro Klient fanden im
Durchschnitt 5,34 Beratungsgespräche statt (vgl. Wölfling 2009 URL).
45
5.2 (Online-)Selbsthilfegruppen
Sowohl in Schwerin als auch in Berlin haben sich in den Computer- bzw.
Mediensuchtberatungsstellen inzwischen Selbsthilfegruppen herausgebildet, die
von den Mitarbeitern der Einrichtungen geleitet werden. Wie viele von solchen
Selbsthilfegruppen
inzwischen
deutschlandweit
existieren,
ist
schwer
zu
festzustellen. Es ist aber davon auszugehen, dass Suchtberatungsstellen immer
mehr Zulauf von einer Klientel mit Abhängigkeitserkrankungen bekommen und
daraus weitere Selbsthilfegruppen entstehen werden. In der Fachliteratur sowie im
Internet werden häufiger Online-Foren bzw. Online-Selbsthilfegruppen genannt.
Hier können sich Betroffene und Angehörige anonym registrieren und sich Rat bei
Menschen mit ähnlichen Sorgen einholen.
5.2.1 Rollenspielsucht.de
Die Internetseite rollenspielsucht.de ging im Mai 2007 online und wurde vom
Ehepaar Hirte initiiert, um ein Forum für Eltern von Betroffenen zu schaffen. Wie
der Name bereits andeutet, richtet sich das Forum speziell an Eltern von Kindern,
die (Online-)rollenspiele spielen und sich darin verloren haben. Angeregt zu dieser
Internetseite wurde das Ehepaar Hirte durch den eigenen Sohn, welcher selbst
begeisterter World of Warcraft-Spieler war, wodurch die Beziehung zu ihm in die
Brüche gegangen ist. Sie beschreiben ihre persönliche Leidensgeschichte und
hoffen, dass das Thema Onlinerollenspielsucht mit Hilfe der Internetseite an eine
breitere
Öffentlichkeit
getragen
und
mehr
Menschen
sich
über
die
Abhängigkeitsproblematik in Zusammenhang mit Medien informieren. Weiterhin
bietet das Forum Eltern von Betroffenen, aber auch den Spielern selbst bzw.
ehemaligen Spielern die Möglichkeit, von ihren eigenen Erfahrungen zu berichten.
Aufgrund des hohen Interesses an der Selbsthilfe-Internetseite und der steigenden
Tendenz abhängiger Computerspieler hat Christoph Hirte zudem im September
2008 den Verein Aktiv gegen Mediensucht e.V. gegründet. Der Verein soll eine
weitere Lobby schaffen für betroffene Spieler, Angehörige, Fachleute und
anderweitig Interessierte. Aktiv gegen Mediensucht e.V. will außerdem bei der
Gründung von weiteren Selbsthilfegruppen Unterstützung bieten (vgl. URL31: Aktiv
gegen Mediensucht 2009).
46
Das Besondere an rollenspielsucht.de ist die Tatsache, dass die Seite nicht von
Fachleuten betrieben wird, sondern von besorgten Eltern. In Eigeninitiative hat das
Ehepaar
Hirte
Informationen
zum
Thema
(Online-)Rollenspielsucht
zusammengestellt und durch die Internetseite der breiten Masse zugänglich
gemacht. Personen, die den Verdacht haben, dass ihr Kind oder das Kind anderer
zu viel Zeit am PC verbringt, finden auf rollenspielsucht.de genügend
Informationen zum Thema und zahlreiche weiterführende Links. Das Portal ist
inzwischen zweieinhalb Jahre online. Im Mai 2009, zum zweijährigen Geburtstag,
hatten bereits etwa 420.000 Menschen die Seite angeklickt. Für Christoph Hirte
ein Zeichen, dass tatsächlich eine sehr hohe Anzahl von Menschen in irgendeiner
Form betroffen ist. Aufgrund vieler Studien und den Beiträgen in den Foren von
rollespielsucht.de gehen die Hirtes von ca. zwei Millionen süchtigen Spielern aus
(vgl. Internetplattform rollenspielsucht.de 2009 URL).
5.2.2 Onlinesucht.de
„Onlinesucht nennt man den exzessiven Gebrauch des Mediums Internet. Der
Betroffene wird vom Internet beherrscht, statt es selbst zu beherrschen…“ (vgl.
Farke 2003, S. 12).
Die Internetseite onlinesucht.de wird von dem eingetragenen Verein Hilfe zur
Selbsthilfe für Onlinesüchtige (HSO e.V.) betrieben, der bereits vor zehn Jahren
von Gabriele Farke gegründet wurde. Seit etwa zweieinhalb Jahren ist er als
gemeinnütziger Verein anerkannt. Frau Farke beschreibt sich selbst als ehemalige
Onlinesüchtige, die es sich nach Überwindung der eigenen Sucht zur Aufgabe
gemacht hat, auch anderen Menschen zu helfen, einen Weg aus der Sucht zu
finden. Seither ist sie als Referentin zum Thema Bewusster Umgang mit dem
Internet deutschlandweit in den Medien und auf Fachtagungen präsent. Außerdem
hat sie 2003 das Buch OnlineSucht – wenn Mailen und Chatten zum Zwang
werden veröffentlicht. Unter Anderem beschreibt sie in dem Buch die vielen
verschiedenen Varianten der Onlinesucht sowie ihren eigenen Weg aus der Sucht.
Es werden drei verschiedene Arten von Onlinesucht unterschieden.
47
Online-Kommunikationssucht
Die Online-Kommunikationssucht schließt chatten, e-mailen, Beiträge in Foren
posten und Ähnliches mit ein. Der Süchtige hat hier das Bedürfnis, in jeder freien
Minute seine E-mails zu checken, mit anderen zu chatten etc.
Online-Sexsucht
Mit Onlinesex ist Cybersex gemeint. Cybersex ist die verbale und visuelle Form
von Erotik und Sex via Internet. Es handelt sich um geschriebene Worte oder
Bilder, um den „Gesprächspartner“ sexuell zu erregen. Als süchtig werden
Menschen bezeichnet, die viel Zeit mit dem Besuch von Sexseiten verbringen und
dafür auch bereit sind Geld zu bezahlen. Online-Sexsüchtigen erscheint es
letztendlich einfacher, im Internet statt im realen Leben Sex zu haben.
Onlinespielsucht
Mit dem dritten Teilbereich der Onlinesucht, wird nun wieder näher der Bezug zum
Thema der vorliegenden Arbeit hergestellt. Gemeint ist der Bereich der
Onlinespielsucht. Der Begriff wird in der Literatur oder auch auf der Homepage
nicht näher erläutert. Es wird lediglich darauf hingewiesen, dass die Sucht nach
Onlinerollenspielen wie WoW immer häufiger auftritt. Da sich der Begriff wörtlich
genommen nicht nur auf Rollenspiele bezieht, schließt er theoretisch alle Spiele,
die im Internet gespielt werden können mit ein. Sehr beliebt sind Glücksspiele, die
mittlerweile von der Realität ins Netz verlegt worden sind, wie z.B. Online-Poker.
Das Besondere an onlinesucht.de ist der virtuelle Beratungsraum. Jede Woche
treffen sich Betroffene und Angehörige zu festgelegten Terminen in den so
genannten Online-Selbsthilfegruppen im Netz, um sich auszutauschen und über
aktuelle Befindlichkeiten zu „sprechen“. Jeweils ein Vereinsmitglied agiert als
Moderator und leitet sozusagen die Gesprächsgruppe. Die Teilnehmer können
anonym bleiben und jeder Zeit das Gespräch verlassen. Die Protokolle der
„Treffen“ werden im Nachhinein online gestellt, damit potenzielle neue Mitglieder
sich ein Bild davon machen können, was in den verschiedenen Gruppen
besprochen wird. Es gibt momentan drei verschiedene Gruppen. Jeweils eine
Onlinesexsucht-Gruppe für Betroffene und eine für Angehörige. In der dritten
48
Gruppe treffen sich Angehörige und Betroffene gemeinsam zum Thema
Onlinespielsucht (vgl. URL32: Onlinesucht 2009).
Außerdem wird eine kostenpflichtige Onlinesuchtberatung via E-Mail angeboten.
Bereits im ersten Anschreiben hat der Klient ein Dutzend Fragen zu beantworten.
Noch bevor ein erster Austausch statt gefunden hat, muss sich der Klient für eines
von vier Beratungsmodulen entscheiden. Die Kosten für die Beratung müssen im
Vorfeld überwiesen werden. Dadurch, dass die Betroffenen sich nicht registrieren
müssen, um ihre Anonymität wahren zu können, ist dies ein nachvollziehbarer
Ablauf. Besonders jedoch für junge Leute oder sogar Kinder kann der
Kostenfaktor ein Problem sein. Zwar sind die Einmalberatungen für Kinder und
Jugendliche im Alter von 12 bis 16 Jahren kostenlos, aber auch ein 18-Jähriger
verfügt in der Regel nicht über ausreichend finanzielle Mittel. Wartezeiten bis zur
Beantwortung der E-Mails können drei bis fünf Tage betragen. In Notfällen wird
eine Antwort innerhalb von 24 Stunden zugesichert (vgl. ebd.).
5.3 Ambulante Therapiemöglichkeiten
All diejenigen, die online, in Selbsthilfegruppen oder in Beratungsstellen, nicht
ausreichend individuelle Hilfe erfahren konnten oder von den jeweiligen
Einrichtungen aufgrund der Schwere des Problems an andere Stellen weiter
verwiesen wurden, haben die Möglichkeit sich ambulant in Therapie zu begeben.
Dies kann eine Verhaltenstherapie, aber auch einer Gruppentherapie sein. Ein
Beispiel für eine Therapieeinrichtung mit entsprechenden Angeboten ist die
Computerspielsucht-Ambulanz der Uniklinik Mainz. Sie war die erste ihrer Art in
Deutschland und soll nun näher beschrieben werden.
5.3.1 Computerspielsuchtambulanz der Uniklinik Mainz
Im März 2008 eröffnete die Sabine M. Grüsser-Sinopoli Ambulanz für Spielsucht
der Universitätsklinik in Mainz. Angelegt als 12-monatiges Modellprojekt werden
hier seither neben den „klassischen“ pathologischen Glücksspielern, auch die
computerspiel- und internetsüchtigen Jugendlichen im Alter von 12 bis 18 Jahren
sowie junge Erwachsene ambulant betreut. Die Spielsuchtambulanz ist an die
Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie angegliedert. Neben
49
einer kostenlosen telefonischen Beratung für Betroffene und Angehörige besteht
die Hauptaufgabe der Mitarbeiter in der therapeutischen Zusammenarbeit mit den
Betroffenen.
85 Prozent der Patienten sind männlich und zwischen 16 und 30 Jahren alt (vgl.
Grohé 2009, S. 1 URL). Zu Beginn der Betreuung finden jeweils fünf
Einzelgespräche
statt,
verhaltenstherapeutisch
um
eine
ausgerichteten
Diagnose
zu
Gesprächen
erstellen.
forschen
In
den
Klient
und
Psychotherapeut gemeinsam nach den Ursachen, die im Zusammenhang mit dem
süchtigen Verhalten stehen. Im Vordergrund stehen demnach die Analyse des
Problemverhaltens und die Bedingungen, die zur Aufrechterhaltung eben dieses
Verhaltens beitragen. Im Verlauf der Therapie werden mit den gewonnenen
Informationen
individuelle
Lösungsstrategien
entwickelt,
die
das
süchtige
Verhalten in Zukunft minimieren sollen (vgl. Wölfling 2009, S. 147).
Neben Einzelgesprächen setzt das Klinikpersonal auf gruppentherapeutische
Maßnahmen. Somit wird es den Patienten ermöglicht zu erkennen, dass „ihr“
persönliches Problem verbreitet ist, außerdem fördert die Gruppentherapie den
Aufbau realer sozialer Kontakte. Ein positiver Nebeneffekt, im Hinblick darauf,
dass soziale Aktivitäten und Bindungen für viele Spieler während der Entwicklung
der Sucht stark in den Hintergrund getreten sind. Durch ein gemeinsames Ziel der
einzelnen Gruppenmitglieder steigt außerdem die Verbindlichkeit. Pro Gruppe sind
20 Sitzungen angesetzt, die einmal in der Woche stattfinden. Alle 14 Tage finden
mit den jeweiligen Gruppenmitgliedern erneut Einzelgespräche statt, um
individuelle Probleme zu besprechen (vgl. URL33: Spielen verbindet 2009).
Ziel der Therapie ist es, wieder einen vernünftigen und verantwortungsvollen
Umgang mit dem Computer bzw. dem Internet zu erlernen. Weiterhin sollen die
Patienten die Kompetenz erwerben, positive Eigenschaften ihres Charakters in der
virtuellen Welt auf die reale Welt zu übertragen. Statt beispielsweise Mitglied einer
Gilde zu sein und diese zu führen, eine Gruppe von Menschen in der Realität zu
leiten, etwa im Zusammenhang mit dem Beruf. Weiterhin gehört zum
Therapieangebot die Vermittlung von Stressbewältigungsstrategien. Durch die
ambulante und nicht etwa stationäre Therapie, können Konfliktsituationen aus
50
dem Alltagsgeschehen und der häuslichen Umgebung der Klienten direkt in den
therapeutischen Prozess einfließen. In einer stationären Einrichtung sind die
Möglichkeiten zum Erlernen dieser Bewältigungsstrategien nicht gegeben. Der
Patient wird hier über Wochen aus seinem sozialen Umfeld genommen, weit weg
von der Arbeit, weit weg von seinem Computer. Die Patienten lernen so zwar auf
den Computer zu verzichten, nicht aber mit der Versuchung, die im alltäglichen
Leben
gegeben
ist,
umzugehen.
Rückfälle
in
die
Computerspiel-
oder
Internetsucht während der ambulanten Therapie können ebenfalls direkt in den
Gesprächen thematisiert werden. Gemeinsam im Gruppensetting kann dann
herausgearbeitet werden, welche inneren Prozesse im Klienten noch immer
ablaufen, die dazu führen, wieder zu spielen oder online zu gehen. In akuten
Fällen ist eine stationäre Aufnahme in die Klinik für Psychosomatik möglich.
Seit der Eröffnung im März 2008 bis zum Juli 2009 wurden in der Ambulanz 187
Computerspiel- oder Onlinesüchtige behandelt. Die Kosten für das Modellprojekt
trägt die Universität Mainz. Eine Finanzierung der Krankenkassen ist auch hier
aufgrund der vielmals erwähnten fehlenden offiziellen Anerkennung der
Computerspielsucht und auch der Onlinesucht als Krankheitsbild nicht möglich.
Eine allgemeine Fallkostenpauschale wird von den Kassen jedoch übernommen.
5.4 Stationäre Therapie
5.4.1 Psychosomatische Fachklinik Münchwies
Die Klinik im Saarland ist ein Zentrum für Psychosomatische Medizin,
Psychotherapie und Suchtmedizin. Bereits seit 1999 werden hier Patienten
behandelt, denen die Diagnose „Pathologischer PC- / Internetgebrauch“ gestellt
wurde. Seit 2006 hat die Anzahl der Betroffenen stark zugenommen. In dem Jahr
wurden 21 Patienten behandelt, 2008 waren es bereits 35 Betroffene. Aufgrund
dieser
steigenden
Tendenz
gibt
es
seit
2008
zusätzlich
auch
ein
gruppentherapeutisches Angebot im Bereich des pathologischen PC- und
Internetgebrauches (vgl. Schuhler 2008, S. 36).
Die weite Verbreitung des pathologischen Computerspielens im Zusammenhang
mit MMORPGs wird in den Klinikstatistiken erneut bestätigt. Am häufigsten
51
werden Patienten behandelt, die exzessiv Onlinerollenspiele spielen, gefolgt von
Ego-Shootern, exzessivem Chatten und dysfunktionalem Surfen. Männer sind im
Verhältnis 9:1 deutlich stärker vertreten als Frauen, ein weiterer Punkt, den die
aktuelle Forschungsstudie des KFN ebenfalls bestätigt. Das Durchschnittsalter der
Patienten liegt bei 27 Jahren.
Die Mitarbeiter der Klinik ordnen den pathologischen PC- und Internetgebrauch als
tief greifende Störung der Affekt- und Beziehungsregulierung sowie der
Selbststeuerung ein. Um Patienten stationär aufnehmen zu können und den
fehlenden Diagnose-Schlüssel betreffend der Internet- und Computersucht zu
umgehen, wenden die Ärzte und Therapeuten den Diagnoseschlüssel F.68.8
gemäß ICD-10 als Ausweichmöglichkeit an. Der Schlüssel ist unter „Andere
Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen“ eingeordnet und beschreibt „Sonstige
näher bezeichnete Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen“ (vgl. ICD-10, S.
256). Untergebracht werden die Patienten in verschiedenen Abteilungen der
Klinik.
Liegt
bei
einem
Betroffenen
beispielsweise
zusätzlich
zur
Computerspielproblematik eine stoffgebundene Suchterkrankung vor, wird er in
der Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen aufgenommen und therapeutisch
begleitet. Am häufigsten handelt es sich hier um Abhängigkeit von Alkohol, Tabak
oder Cannabis. Personen, die zusätzlich zur Suchtproblematik im Bereich Internet
bzw. PC eine andere psychische Störung aufweisen oder die PC/ Internetnutzung
als einzige Diagnose gestellt wurde, sind auf der psychosomatischen Abteilung
untergebracht. Hier angegliedert ist auch das bereits erwähnte indikative
Gruppenprogramm.
An diesem Programm nehmen maximal zwölf Patienten teil, die eine
therapeutische Gemeinschaft bilden. Das bedeutet, die Gruppenmitglieder leben
auf demselben Flur der Station zusammen und nehmen gemeinsam an der
Gruppenpsychotherapie teil. Die Therapie umfasst zwölf Einheiten. Therapieziele
sind im Einzelnen (vgl. Schuhler 2008, S. 38).
-
Entwicklung subjektiver Lösungs- und Bewältigungsstrategien
-
Abbau von Störungen des intrapsychischen und sozial-interaktiven
Verhaltens und Erlebens Æ Identitätsentwicklung
52
-
Nachhaltige Veränderung bisheriger Einstellungen und Werthaltungen
-
Alltagsbewältigung
-
Kommunikationskompetenzen
-
Medienkompetenz
Aber auch andere therapeutische Maßnahmen werden von der Bezugsgruppe
gemeinsam durchlaufen. Körpertherapie soll dazu beitragen, die Gefühle und die
körperlichen Reaktionen der Patienten in Einklang zu bringen. Ergotherapeutische
und berufsbezogene Therapieelemente zielen darauf ab, das unmittelbare und
realitätsbezogene Erleben zu stärken. Durch das enge Beisammensein der
einzelnen Gruppenmitglieder entsteht eine feste soziale Gemeinschaft, die sich
auch außerhalb der Therapiesitzungen gegenseitig unterstützen und motivieren
kann (vgl. Schuhler 2008, S. 39).
Während der gesamten Dauer der Therapie verpflichten sich die Patienten auf
Online-Aktivitäten zu verzichten. Auch auf jeglichen Heimfahrten ist die Nutzung
eines Computers nicht gestattet. Sollte der Gebrauch eines PCs aus speziellen
Gründen dennoch notwendig werden, ist dies mit den Therapeuten und Ärzten
abzusprechen. Im Abschnitt 5.3.1 wurde bereits kurz erläutert, warum ein
komplettes Nutzungsverbot des Computers schwierig sein kann. Auch das Ziel der
Klinik Münchwies ist nicht, dass ihre Patienten nie wieder einen Computer oder
das Internet nutzen. Dennoch ist während der Therapiezeit der Verzicht auf den
Computer dringend erforderlich. Rückfälle in der häuslichen Umgebung sind
aufgrund des stationären Aufenthaltes so gut wie ausgeschlossen. Eine
Möglichkeit, dem Drang des Computerspielens zu erliegen oder online aktiv zu
werden, ist auch im Klinikalltag durch das klinikinterne Internet-Café geboten.
Inwieweit Rückfälle in das therapeutische Setting einbezogen werden oder ob
Patienten, die trotz des Verbotes einen PC genutzt haben, die Klinik verlassen
müssen, ist der Literatur nicht zu entnehmen.
Im
Anschluss
der
Therapie
werden
vom
Klinikpersonal
in
der
Regel
Nachsorgebehandlungen empfohlen. Wird die Empfehlung ausgesprochen, sollte
die Nachsorge direkt im Anschluss des Klinikaufenthaltes beginnen. Möglich ist
dies in einer Selbsthilfegruppe oder in einer Beratungsstelle. Finanziert wird dies
53
analog zur Nachsorge des pathologischen Glücksspiels. Ein Verfahren, dass von
der psychosomatischen Fachklinik Münchwies seit Jahren so gehandhabt wird
(vgl. Schuhler 2008, S. 40).
5.4.2 Teen Spirit Island Hannover
Die Therapiestation für dogenabhängige Kinder und Jugendliche ist angegliedert
an das Kinderkrankenhaus auf der Bult in Hannover und wurde im Jahr 1999
eröffnet.
Reagiert
wurde
damit
auf
einen
Mangel
an
stationären
Therapieangeboten speziell für Kinder und Jugendliche, trotz ständig steigenden
Zahlen von Kindern und Jugendlichen, die mit einer Suchtmittelproblematik zu
kämpfen haben. Die Station ist mit Therapieplätzen für zwölf Patienten
ausgestattet. Aufgenommen werden Kinder und Jugendliche im Alter bis zu 18
Jahren. Behandelt werden klassische stoffgebundene Suchterkrankungen wie
Kokain-, Cannabis-, Heroin-, Alkoholabhängigkeit etc. Inzwischen werden auch
Patienten mit Computer- und Internetsucht betreut. Eigenmotivation der jungen
Patienten zur Veränderung der bisherigen Situation gilt als Voraussetzung. Die
Behandlung umfasst psychiatrisch-psychotherapeutische Angebote und kann bis
zu zwölf Monate dauern. Die Kinder und Jugendlichen werden während der
gesamten Dauer von denselben Bezugstherapeuten betreut. Das Konzept der
Therapiestation ist in zwei Phasen gegliedert, der Aufnahme- und der
Behandlungsphase (vgl. URL34: Teen Spirit Island 2009).
.
Während der Aufnahmephase werden die bislang konsumierten Drogen den
jungen Patienten entzogen, bzw. der Zugang zu einem Computer verwehrt. Sie
werden gründlich untersucht und hin zu einem funktionalen Mediengebrauch
motiviert. Sollte die Behandlung seitens der Kinder und Jugendlichen während
dieser Phase abgebrochen werden, kann nach erneuten Gesprächen und
entsprechender Eigenmotivation eine Wiederaufnahme eingeleitet werden. Sind
alle notwendigen Untersuchungen abgeschlossen und liegt eine entsprechende
Behandlungsmotivation vor, gehen die Patienten in die Behandlungsphase über.
Gruppenpsychotherapie ist ein wichtiger Bestandteil des Behandlungsverlaufes.
Während der Aufnahmephase finden Sitzungen dreimal wöchentlich à 45 Minuten
54
statt. In der Behandlungsphase sind die Gruppentherapiesitzungen zweimal in der
Woche à 90 Minuten angesetzt. Wie auch in der Fachklinik Münchwies finden
neben
der
Psychotherapie
zahlreiche
weitere
Gruppenmaßnahmen
statt.
Themenzentrierte Interaktion ist ein wichtiger Bestandteil der Behandlung.
Bekannt ist die themenzentrierte Interaktion (TZI) als ein pädagogischtherapeutisches Konzept der Psychologin Ruth C. Cohn. Speziell auf die
Computerspielproblematik bezogen, ist TZI ein gruppenorientiertes Konzept, bei
der eine Gruppe von jungen Menschen gemeinsam mit den Therapeuten an der
Lösung
der
Suchtmittelproblematik
arbeitet.
Dies
jedoch
immer
unter
Berücksichtigung der eigenen Person, des Themas bzw. der Sache, der
Interaktion in der Gruppe und der Beachtung des Umfeldes. Durch den Einklang
aller vier Faktoren finden Lernprozesse statt, die zur Problembewältigung führen
sollen (vgl. Ewert 2008, S. 17).
Zur Förderung der Eigenaktivität und der phantasievollen Gestaltung werden
verschiedene
Projektgruppen
gebildet
sowie
individuelle
Freizeitgestaltungsangebote gemacht. Hierbei sollen bisher versteckte Neigungen
und Talente herausgefiltert und weiter gefördert werden. Da es sich bei den
jungen Patienten zumeist um schulpflichtige Kinder und Jugendliche handelt,
werden sie zusätzlich einzeln oder in Kleingruppen unterrichtet. Im Verlauf der
Therapie sollen ein externer Schulbesuch sowie ein Praktikum auf ein Leben nach
dem Aufenthalt auf der Teen Spirit Island vorbereiten.
Da eine Vielzahl der Kinder und Jugendlichen nach der Therapie nicht nach
Hause
zurückkehren
kann
oder
möchte,
findet
eine
langfristige
Entlassungsplanung statt, die eine Weitervermittlung in betreute Wohngruppen
oder andere Nachsorgeeinrichtungen gewährleisten soll (vgl. URL34: Teen Spirit
Island 2009).
5.5 Ein (kritischer) Blick ins Ausland
5.5.1 Behandlung von Computer- und Internetsucht in China
Im Oktober 2004 wurde im Militärkrankenhaus Peking eine Suchtstation für
Internet- und Spielgeschädigte gegründet, die spätestens seit der Veröffentlichung
55
der ersten Bilder im Internet im Sommer 2005 weltweit bekannt geworden ist. Für
Aufsehen sorgten die Bilder, da sie Kinder zeigten, die mit Elektroschocks und
Infusionen gegen ihre Computer- und Internetsucht behandelt wurden.
Dennoch ist es die erste staatlich anerkannte Therapieeinrichtung zur Behandlung
von Spiel- und Internetsucht in China. Über 300 Kinder und Jugendliche seien
bereits „geheilt“ worden, so der Leiter der Station. Die Betroffenen sind zwischen
14 und 24 Jahren alt und werden von elf Ärzten und mehreren Krankenschwestern
betreut. Die Jugendlichen kommen freiwillig, werden aber auch von besorgten
Eltern eingewiesen. Ein Therapietag kostet 48 US-Dollar (vgl. Patalong 2005
URL). Die Kinder und Jugendlichen werden mit einem strukturierten Tagesablauf
konfrontiert. Es gibt feste Zeiten für die Mahlzeiten, zwischendurch finden
Therapiesitzungen
statt,
aber
auch
längere
„Märsche“
gehören
zum
Behandlungsprogramm. Ihre Kleidung waschen die jungen Patienten selbst. Bis
zu acht Kinder und Jugendliche teilen sich in der Klinik ein Zimmer, geschlafen
wird in einem, extra durch ein Gitter abgesperrten, Raum. Die Aufenthalt- und
Schlafräume werden vom Klinikpersonal 24 Stunden am Tag bewacht. Die
Möglichkeit, dass auch die Eltern in der Klinik ein Zimmer beziehen, ist gegeben.
So können Sie in der Nähe ihrer Kinder sein, aber auch selbst zum Thema
Internet- und Computersucht geschult werden. 90 Prozent der Patienten sind
Jungen, ähnliche Zahlen wie sie auch aus Deutschland und Europa bekannt sind
(vgl. Schulz 2009, S. 138).
Ein Element, das ebenfalls zur Therapie gehört, ist das Nachspielen von
Computerspielen im wirklichen Leben. Die Jungen uniformieren und bewaffnen
sich (siehe z.B. Counter Strike) und legen fest, wie viele Leben jeder hat. Munition
benutzen die Kinder und Jugendlichen dabei nicht. Das Spielen auf diese Weise
soll Konzentration und Teamfähigkeit fördern. Außerdem sollen die Jugendlichen
die körperliche Anstrengung und den Unterschied zum tippen und klicken am
Computer wahrnehmen (vgl. ebd.).
Auch in einer Klinik der chinesischen Provinz Shandong wurden bis vor Kurzem
internetsüchtige Jugendliche mit Elektroschocktherapie und verschiedenen
Psychopharmaka behandelt. Die Eltern wissen vor Beginn der Therapie von den
56
angewandten Behandlungsmethoden und erklären ihr Einverständnis zu den
Elektroschocks in einem schriftlichen Vertrag. Weiterhin verpflichten sie sich,
während der Therapie nicht über die Behandlung zu sprechen. Auch die 86
Regeln, die die Jugendlichen während ihres Aufenthalts befolgen müssen oder die
körperlichen Übungen, wie sie in Bootcamps auf der Tagesordnung stehen,
werden seitens der Eltern hingenommen. Über 3.000 Patienten befanden sich bei
Yang Yongxin, dem Chefarzt der Klinik, innerhalb von zweieinhalb Jahren in
Betreuung. Die Kosten für die Therapie belaufen sich auf etwa 805 US-Dollar im
Monat. Eine immens hohe Summe, im Hinblick darauf, dass diese etwa dreimal so
hoch ist wie ein chinesisches Durchschnittsgehalt (vgl. URL35: PC Welt 2009).
Der 15-jährige Junge Deng Senshan kam im August 2009 in einem weiteren
solcher „Trainingscamps“ ums Leben. Nach einem kilometerlangen Lauf fiel er zu
Boden und wurde von seinen „Betreuern“ wiederholt geschlagen. Kurz nachdem
er in derselben Nacht ins Krankenhaus eingeliefert wurde, starb er. Im Sommer
dieses
Jahres
ist
die
Gesundheitsministerium
Elektroschocktherapie
zwar
verboten
vom
worden,
chinesischen
alle
anderen
menschenverachtenden Methoden werden jedoch in den über 400 existierenden
Trainingscamps in China nach wie vor praktiziert. Offiziell registriert sind die
meisten davon nicht, auch bestimmte Qualifikationsvoraussetzungen für die
Mitarbeiter sind nicht erforderlich (vgl. Schulz 2009, S. 137).
Seit Ende des letzten Jahres diskutiert das chinesische Gesundheitsministerium
über Gesetzesänderungen und einheitliche Richtlinien zur Klassifizierung der
Internetsucht. Dafür hat Tao Ran, der Leiter des Militärkrankenhaus Peking einen
Leitfaden
entworfen,
der
seither
in
vielen
militärischen
Krankenhäusern
angewendet wird. Als internetsüchtig gelten demnach diejenigen, die mehr als
sechs Stunden täglich über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten online sind
und unter Entzugserscheinungen wie Schlafstörungen oder Stress leiden. Ziel von
Tao Ran ist es, dass das Gesundheitsministerium die Klassifikation übernimmt,
damit die Internetsüchtigen in allen Krankenhäusern landesweit einheitlich
behandelt werden können (vgl. URL36: heiseonline 2008).
57
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich auf dem Gebiet Internet- und
Computersucht etwas bewegt, sowohl im Bereich der Betroffenen, deren Anzahl
immer mehr ansteigt, als auch auf der Seite der Hilfesysteme gegen die Sucht. Ein
umfassendes Auffangnetz hat sich entwickelt und bildet sich immer weiter aus, sei
es in Deutschland oder auch in anderen Ländern. Über die Methodik der
Bekämpfung der Sucht lässt sich streiten. Die Behandlungsmethoden der
vorgestellten „Trainingscamps“ in China beispielsweise sind äußerst fragwürdig.
Die Räumlichkeiten, in denen „therapeutische“ Maßnahmen stattfinden, erinnern
sehr stark an Justizvollzugsanstalten. Das Wort „Menschenrechtsverletzung“
beginnt unwillkürlich im Raum zu schweben, ein Wort, das mit dem Land China
und seiner Politik leider viel zu oft in Zusammenhang gebracht wird. In
Deutschland
erscheint
Behandlungsmethoden
die
nahezu
Durchsetzung
unmöglich.
Würden
solcher
drastischer
Hilfeeinrichtungen
so
praktizieren, verstießen sie nicht zuletzt schon gegen den ersten Paragraphen des
Deutschen Grundgesetzes. Die Hilfen zur Bekämpfung der Sucht haben in den
letzten
Jahren
stark
zugenommen.
Es
gibt
Beratungsstellen
und
Selbsthilfegruppen, sowohl im Netz als auch im realen Leben. Ambulante
Verhaltenstherapien bei ausgebildeten Psychotherapeuten werden angeboten,
aber auch die stationäre Aufnahme in eine Suchtklinik ist möglich. Vereinzelt
existieren sogar Hilfeangebote, die ganz speziell auf Kinder und Jugendliche
ausgerichtet sind. Das Hilfenetz wächst zwar zunehmend, die Arbeitsweise der
Therapeuten bleibt jedoch schwierig. Nur über die Erstellung von „AusweichDiagnosen“ werden die Therapien für Betroffene von der Kasse finanziert. Das
Vorhandensein einer Computerspielsuchtproblematik wird von der Gesellschaft so
weniger wahrgenommen und erscheint weniger bedeutend. Deshalb haben sich
im letzten Jahr mehrere Einrichtungen zum Fachverband Medienabhängigkeit
zusammengeschlossen. Gemeinsames Ziel ist es, dass die Computerspiel- und
Internetsucht endlich als eigenständiges klinisches Krankheitsbild anerkannt wird
(vgl. URL37: FV Medienabhängigkeit 2008).
58
6 Suchtprävention und Konsequenzen für die Soziale
Arbeit
6.1 Prävention durch Medienkompetenz
Präventionsarbeit in Zusammenhang mit Computerspielsucht kann auf vielerlei
Ebenen stattfinden. Eine Ebene ist die Prävention im häuslichen und familiären
Umfeld der Kinder und Jugendlichen. Sie setzt an, lange bevor es zu einer
potenziellen Störung im Suchtbereich kommt und ist deshalb zur Primärprävention
zu
zählen
(vgl.
Heese
Personensorgeberechtigten,
1997,
S.
ihren
85).
Es
ist
Nachkömmlingen
zunächst
einen
Aufgabe
der
geregelten
und
funktionalen Umgang mit Medien, speziell mit dem Computer beizubringen und
darauf zu achten, dass ein übermäßiger „Konsum“ von Medien gar nicht erst statt
findet. In der Praxis stellt sich dies jedoch relativ schwierig dar. Viele Eltern
nehmen die Sucht ihrer Kinder gar nicht oder erst viel zu spät wahr (vgl. Groppler/
Teske
2008,
S.
21).
Ein
anderer
Teil
beschäftigt
sich
mit
der
Computerspiellandschaft und dem Internet kaum, weil generationsbedingt auf
diesem Gebiet große Defizite vorliegen. Wieder andere halten die exzessive
Mediennutzung ihrer Kinder möglicherweise für normal, da sie für Bewerbungen
und das spätere Berufsleben der Kinder hilfreich sein kann. Dass etwas nicht
stimmt, fällt dann zumeist erst durch schlechtere Schulleistungen oder durch das
Vernachlässigen von anderen Hobbys oder Freunden auf. Jetzt erst sehen die
Eltern den Handlungsbedarf und suchen eine Suchtberatungsstelle auf. Durch
Schulungen und Vermittlung von Medienkompetenz, explizit auch für Eltern kann
das Risiko des Abdriftens in eine Computerspielsucht vermieden oder zumindest
minimiert werden.
6.1.1 Definition des Begriffes Medienkompetenz
Der Begriff Medienkompetenz hat sich in den letzten Jahren sehr stark verbreitet,
eine einheitliche Definition gibt es in der Fachliteratur jedoch nicht. Kompetenz
beschreibt die Fähigkeiten und Erfahrungen auf einem bestimmten Sachgebiet.
Kompetenz in Bezug auf Medien heißt demnach, sich in der Medienwelt zurecht
zu finden, sich mit Medien auszukennen. Ein wichtiger Faktor dafür ist die
Fähigkeit, Mediensysteme verstehen zu können, das heißt, sich Wissen darüber
59
anzueignen, wie vor Allem die neuen Medien technisch zu handhaben bzw. zu
bedienen sind. Wird Medienkompetenz nur aus diesem Blickwinkel betrachtet,
bedeutet dies, dass jeder der einen Computer einschalten und ein Programm
öffnen kann, sich als medienkompetent bezeichnen kann. Die technische
Handhabung ist ohne Zweifel eine wichtige Komponente, aber auch weitere
Bausteine gehören dazu. Medien und ihre Produkte durchschauen und ihre
Funktion in der Gesellschaft zu verstehen, ist ein weiterer wichtiger Bestandteil.
Ebenso wie die Nutzung dieser im alltäglichen Leben (vgl. Hoffmann 2000, S. 32).
Vor Allem im beruflichen Alltag ist das von großer Bedeutung. Die meisten
Geschäfte werden heutzutage mit Hilfe des Computers abgewickelt, das heißt
viele Unternehmen sind auf die technischen „Hilfsmittel“ angewiesen, funktionieren
ohne sie gar nicht mehr. Wenn in einer Bibliothek die Computersysteme ausfallen,
sind die Mitarbeiter nahezu überflüssig, die Nutzer hilflos. Bücher können nicht
mehr im Online-Katalog gesucht, ausgeliehen oder zurückgegeben werden. Die
Mitarbeiter können keine neuen Bücher ins System aufnehmen, recherchieren etc.
Dies ist nur eines von einer Vielzahl von Beispielen. Die Nutzung von Medien am
Arbeitplatz ist wichtig und Voraussetzung, um im Berufsleben überhaupt Chancen
zu haben. Im privaten Bereich sollte die eigene Rezeptionsfähigkeit in Bezug auf
Medien angemessen sein und kritisch hinterfragt werden. Das bedeutet, zu
reflektieren, welche Medien wie lange genutzt werden und wie funktional dies
geschieht. Ein letztes wichtiges Feld, das zur Medienkompetenz gehört, ist das
sich herauslösen aus der schlichten Konsumentenrolle und sich das Medium zum
Instrument zu machen (vgl. Hoffmann 2000, S. 33). Das bedeutet demnach auch
in der Lage zu sein, andere von seinem Wissen über Medien und die
Wahrnehmung dieser profitieren zu lassen, sozusagen eine Kompetenz zur
Vermittlung von Medienkompetenz zu entwickeln. Im Zusammenhang mit
Computerspielen oder dem Internetgebrauch sollte Medienkompetenz nach
Zielgruppen unterschieden werden und Kinder und Eltern einzeln betrachtet
werden.
6.1.2 Medienkompetenz für Eltern
Mit welchem Alter den eigenen Kindern der Zugang zu einem Computer gewährt
oder ihnen sogar ein eigener PC ins Kinderzimmer gestellt wird, liegt in der
Entscheidungsgewalt der Personensorgeberechtigten. Sie bestimmen letztlich
60
über den richtigen Zeitpunkt und die technische Ausstattung. Fachleute und
Medienpädagogen
können
stets
nur
Empfehlungen
aussprechen.
Erfahrungsgemäß bekommen die Kinder immer früher einen eigenen PC,
vorzugsweise sogar mit einem Internetanschluss. Dies wird auch durch die
aktuelle KFN-Studie bestätigt (vgl. Rehbein/ Kleimann/ Mößle 2009, S. 17). Aber
nicht nur die Entscheidung über den Zugang zu den Medien liegt bei den Eltern,
sondern auch die Verantwortung darüber, welche Medien die Kinder wie oft
„konsumieren“. Kommunikation ist ein sehr wichtiges Stichwort. Sich informieren,
was genau die eigenen Kinder am Computer machen, sollte für die
Personensorgeberechtigten im Vordergrund stehen. Mit den Kindern in Kontakt zu
treten und sich Spielinhalte zeigen lassen, ist der einfachste Weg. Den
Personensorgeberechtigten
wird
so
ein
unmittelbarer
Eindruck
vom
Spielgeschehen vermittelt. Spielverläufe, die nicht verstanden werden, können
direkt
vom
Kind
erläutert
werden.
Einerseits
zeigt
das
Interesse
am
Freizeitverhalten des Nachkömmlings, andererseits kann nur so ein Austausch
zwischen Personensorgeberechtigten und den zu Erziehenden über die Inhalte
der genutzten Spiele stattfinden. Nur durch die aktive Teilhabe der Eltern, können
diese sich ein tatsächliches Bild davon machen, wie der Computer oder das
Internet vom Kind genutzt wird (vgl. Richard/ Krafft-Schöning 2007, S. 107).
Wichtig sind außerdem klare Regeln und festgelegte Nutzungszeiten für den PC,
auch auf die konsequente Einhaltung dieser Regeln sollte geachtet werden.
Kindersicherungen oder Programme, die den Zugriff auf bestimmte Internetseiten
gar nicht erst ermöglichen, können dabei behilflich sein. Inwieweit ein eigener
Internetanschluss überhaupt notwendig ist, ist ebenfalls zu bedenken. Die
Installation eines eigenen Internetanschluss sollte in jedem Fall altersangemessen
sein. Wenn Wissensdefizite im Bereich Computer und Internet nach wie vor
bestehen, kann der Austausch mit Freunden und Bekannten von Vorteil sein.
Auch
ein
Gespräch
mit
dem
Informatik-Lehrer
der
Schule
oder
ein
Volkshochschulkurs kann Abhilfe schaffen (vgl. ebd., S. 107). Beim Kauf von
Computerspielen als Geschenk, empfiehlt es sich auf die Altersfreigaben zu
achten. Diese sind auf den Computerspielen von der Unterhaltungssoftware
Selbstkontrolle gut sichtbar gekennzeichnet und seit 2003 auch gesetzlich
festgelegt. Befinden sich Spiele im Besitz der Kinder, die gemäß USK nicht dem
61
Alter entsprechend sind, können sich Eltern auf der USK-Homepage darüber
informieren. Um sich ein eigenes Bild zu machen besteht auch hier wieder die
Möglichkeit, das Kind zu bitten, ihnen das Spiel zu erklären und es gemeinsam zu
spielen. Ein Bewusstsein darüber, dass das eigene Medienverhalten sich auch auf
den Medienkonsum der Kinder auswirkt, sollte vorhanden sein. Nutzen
Personensorgeberechtigte selbst täglich mehrere Stunden am Stück den
Fernseher oder Computer, ist es nicht verwunderlich, wenn die Nachkömmlinge
dieses Verhalten übernehmen. Es ist einfach, die neuen Medien als „Babysitter“
zu benutzen, empfehlenswert ist dies jedoch nicht. Eltern sollten sich stets über
das Wirken der Medien bewusst sein und sich z.B. die Frage stellen, wie sich
Horrorfilme, vor denen sich auch viele Erwachsene fürchten, sich erst auf
Jugendliche oder Kinder auswirken mögen. Analog dazu können gewalthaltige
Computerspiele
betrachtet
werden.
Wertevermittlung
und
Erziehung
zu
verantwortungsbewusstem Handeln, ist ganz klar Aufgabe der Familie (vgl. BGB §
1626 Abs. 2). Vermittlung von Verantwortungsbewusstsein im Umgang mit Medien
kann demnach auch als Pflicht der Personensorgeberechtigten gesehen werden.
6.1.3 Medienkompetenz für Kinder
Kindern und Jugendlichen der heutigen Zeit fällt es oft leichter als ihren Eltern den
technischen Umgang mit den Medien zu erlernen. Sie sind in einer von den neuen
Medien bestimmten Welt aufgewachsen, und Fernsehen und Computer gehören
seit dem frühsten Kindesalter zum Alltag dazu. Anders als bei älteren
Generationen, die einen Fernseher eventuell erst im Jugendalter kennen gelernt
haben, der nur drei Programme und diese in schwarzweiß ausgestrahlt hat. An
Erfindungen wie der Computer und das Internet war nicht zu denken. Bei der
Vielzahl von Medienangeboten in der heutigen Zeit, ist es für Kinder wichtig, den
kritischen Umgang mit diesen zu erlernen und den Medienkonsum (mit Hilfe der
Eltern) zu reflektieren. Geregelte Nutzungszeiten des Computers und ein
eingeschränkter Zugriff auf das Internet können zunächst dazu beitragen. Im
Kindesalter zwischen der Angebotsvielfalt zu differenzieren und eine kritische
Haltung zu den Medien Computer und Internet zu entwickeln, gestaltet sich ohne
Einwirkung des familiären Umfeldes schwierig. Eine Begleitung durch die Welt der
Medien seitens der Eltern ist daher zwingend erforderlich (vgl. Richard/ KrafftSchöning, 2007, S. 106). Erst mit zunehmendem Alter erwerben die Kinder und
62
Jugendlichen selbst die Fähigkeit, Inhalte kritisch zu hinterfragen und zu
reflektieren.
6.2 Prävention durch Lebenskompetenzförderung
Das
Konzept
der
Lebenskompetenzförderung
ist
ein
kompetenz-
und
ressourcenorientiertes Konzept, das ebenfalls im Bereich der Primärprävention
einzuordnen ist. Es beinhaltet die Förderung von persönlichen Fähigkeiten und
Ressourcen,
die
Selbstbestimmung
und
eine
positive
Entwicklung
der
individuellen Persönlichkeit möglich machen und somit die Entwicklung von
Abhängigkeitsproblematiken zu verhindern versuchen. Das Konzept ist angelehnt
an verschiedene „life-skills“-Trainingsprogramme, die von G.J. Botvin in den 80er
Jahren entwickelt worden sind. Es handelt sich hierbei um lerntheoretische
Programme, die in den Schulunterricht integriert wurden. Ziel der Programme ist
es,
einerseits
Widerstandsfähigkeit
gegenüber
dem
Druck,
Drogen
zu
konsumieren bei den Schülern aufzubauen. Andererseits wird die Vermittlung von
allgemeinen Bewältigungskompetenzen angestrebt (vgl. Sting/ Blum 2003, S. 77).
Fachleute gehen davon aus, dass je mehr Lebensbewältigungskompetenzen bei
einem Menschen vorliegen, desto geringer auch die Gefahr ist, süchtiges
Verhalten zu entwickeln. Auch bei der Lebenskompetenzförderung ist das
familiäre Umfeld gefragt. Kinder orientieren sich an ihren Eltern, deswegen ist es
besonders wichtig, dass diese ihren Kindern Fähigkeiten zur Bewältigung des
Alltags vorleben und diese fördern. Geborgenheit ist ebenfalls von großer
Bedeutung. Fehlen diese Eigenschaften und Vorbildwirkungen, kann das zur
Verdrängung von kindlichen Erfahrungs- und Erlebnismöglichkeiten führen, was
schlussendlich dazu beitragen kann, aus der realen Wirklichkeit in die virtuelle zu
schlüpfen, um dort diese Erfahrungen machen zu können. Konzepte der
Lebenskompetenzförderung
können
solche
und
ähnliche
Störungen
der
Persönlichkeitsentwicklung vermeiden (vgl. Grünbichler 2008, S. 80).
6.3 Prävention durch alternative Angebote
Sind die Jugendlichen bereits in Kontakt mit Drogen oder anderen Suchtmitteln
gekommen, setzt die sekundäre Prävention ein, die einer weiteren Verschärfung
der Situation vorbeugen soll (vgl. Heese 1997, S. 85). Ein Konzept, das in der in
63
der sekundären Suchtprävention seine Anwendung findet, ist das Konzept der
funktionalen Äquivalente. Es ist ein akzeptierendes Konzept, das den zeitlich
beschränkten Konsum von Substanzen auf entwicklungspsychologische Faktoren
zurückführt.
Ziel
des
Konzeptes
ist
nicht
Abstinenz,
sondern
der
verantwortungsvolle Umgang mit Suchtmitteln. Es wird davon ausgegangen, dass
Funktionen, die beispielsweise das häufige und andauernde Computerspielen
erfüllen sollen, auch durch alternative Aktivitäten erfüllt werden können (vgl. Sting/
Blum 2003, S. 74f). Statt über den Konsum von Suchtmitteln, sollen die
Jugendlichen über andere sinnvolle Aktivitäten Anerkennung von außen erfahren
und ihre sozialen Beziehungen fördern. In der Praxis jedoch wird weniger nach
funktionalen Äquivalenten gesucht, sondern eher nach Risikoalternativen, die die
Jugendlichen vom Konsum abhalten sollen. Das bedeutet, die gemeinsame Arbeit
gestaltet sich suchtunspezifisch und erreicht auch Zielgruppen, bei denen eine
Suchtmittelproblematik nicht vorliegt. Vor allem im Arbeitsfeld Jugendarbeit wird
dieses
Konzept
eingesetzt
und
im
Rahmen
von
Film-
oder
anderen
schöpferischen Projekten realisiert. Der passive Konsum von Suchtmitteln soll auf
diese Weise in den Hintergrund treten und der aktiven Gestaltung des eigenen
Lebensraumes
dienen.
Die
Angebote
müssen
jedoch
attraktiv
und
altersangemessen ausgerichtet sein, um zu gewährleisten, dass die Jugendlichen
tatsächlich die Angebote der Jugendarbeit dem Suchtmittelgebrauch vorziehen.
Als
ein
Kritikpunkt
bei
der
Umsetzung
des
Konzeptes,
werden
die
Dethematisierung der Sucht- und Drogenproblematik sowie die Beliebigkeit der
angebotenen Tätigkeiten genannt (vgl. Sting/ Blum 2003, S. 76). Infolgedessen
besteht die Möglichkeit, dass Jugendlichen ohne Suchtmittelproblematiken eine
sinnvolle und Spaß bringende Freizeitgestaltung ermöglicht wird, solchen mit
Problemen im Suchtbereich jedoch nicht. Trotz der Beliebigkeit an angebotenen
Aktivitäten im Bereich der Jugendarbeit, kann das Konzept der Risikoalternativen
suchtpräventiv erfolgreich sein. Voraussetzung dafür ist jedoch die Ermöglichung
einer aktiven Teilhabe von Jugendlichen mit Suchtmittelproblematiken und deren
enge Einbindung in die Aktivitäten.
Tertiäre Prävention setzt ein, wenn sich eine Suchtmittelproblematik bereits stark
verfestigt hat. Maßnahmen in diesem Rahmen können dennoch eine weitere
64
Verschlimmerung vermeiden und sollen Rückfällen vorbeugen. Zu den tertiären
Präventionsmaßnahmen zählen auch die in den Abschnitten 5.1 bis 5.4 genannten
Behandlungs- und Therapiemöglichkeiten, worauf an dieser Stelle erneut
hingewiesen werden soll.
6.4 Veränderungen in Studium und Praxis der Sozialen Arbeit
6.4.1 Suchtberatung
Auch wenn die Computerspielsucht in den letzten Jahren immer weiter in den
gesellschaftlichen
Fokus
rückt,
liegen
bei
vielen
Fachkräften
wie
z.B.
Sozialpädagogen oder Psychologen in beratender Funktion Informationsdefizite in
diesem Bereich vor. Vor Allem ältere Generationen sind betroffen, da Sie selbst
ohne Computer und Internet groß geworden sind und ihnen dadurch der Zugang
zum Thema fehlt. Teilweise haben die beratenden Personen selbst Kinder, bei
denen sie eine Computerspielsuchtproblematik vermuten. Interventionen fallen
jedoch schwer, da sie nicht ausreichend zum Thema fortgebildet und selbst auf
Hilfe angewiesen sind. Beratungsangebote, die sich speziell an Betroffene von
Computerspielsucht und deren Angehörige richten, werden fast ausschließlich von
Berufsanfängern, wie z.B. Absolventen des Studiums der Sozialen Arbeit ins
Leben gerufen und geleitet. Diese sind mit dem Medium Computer aufgrund des
jüngeren Alters vertraut und kennen die Probleme, die sich aus dem übermäßigen
Medienkonsum entwickeln können aus dem Studium bzw. weil sie sich in ihrer
Abschlussarbeit eben diesem Thema gewidmet haben (vgl. Völter 2009, S. 24).
Internetrecherchen haben ergeben, dass gerade im Jahr 2009 vermehrt
Fachtagungen zum Thema Computerspiel- oder Mediensucht stattgefunden
haben. Sozialarbeiter, die bereits in der Praxis tätig sind, hatten so die Möglichkeit
sich über diese „neue“ Suchtform hinreichend zu informieren und die gewonnen
Kenntnisse in die Praxis zu übertragen. Auch im Drogen- und Suchtbericht der
Bundesregierung 2009, wurde erstmalig die Computerspiel- und Internetsucht
aufgeführt und den einzelnen Suchtstoffen und –formen zugeordnet (vgl. Die
Drogenbeauftragte der Bundesregierung 2009). Ein deutliches Zeichen dafür,
dass die Problematik inzwischen in der Politik angekommen ist und bearbeitet
wird. Auch in der Ausbildung zum Sozialarbeiter sollte die Computerspielsucht in
65
Lehrveranstaltungen aufgegriffen werden, um die Studenten gezielt auf die Praxis
vorbereiten zu können.
6.4.2 Medienpädagogik
Medienpädagogik stellt ein weiteres potenzielles Arbeitsfeld im Bereich der
Sozialen Arbeit dar. Sie kann bezeichnet werden als „handelnde Intervention in
den kommunikationstechnologischen Entwicklungsprozessen“ (vgl. Rogge 2007,
S. 634). Im Mittelpunkt steht einerseits die Erziehung zum „richtigen“ Umgang mit
Medien.
Andererseits
spricht
Medienpädagogik
die
Faszination
des
Selbermachens an und hat den Anspruch, soziales und erfahrungsbezogenes
Lernen zu fördern. Die kritische Reflexion der selbst gemachten Erfahrungen wird
als Bedingung für einen autonomen Umgang mit Medien angesehen. Der Einsatz
von Medien in der praktischen Arbeit sollte stets mit einer pädagogisch relevanten
Zielvorstellung verbunden sein. Kritikfähigkeit gegenüber Medien soll vermittelt
werden, ebenso wie technisches Wissen. Ein weiteres Ziel ist es, Aussagen über
Medieninhalte treffen zu können und die gesellschaftliche Bedeutung der Inhalte
zu erkennen (vgl. Tulodziecki 1997, S. 43).
Unterschieden werden sieben Bereiche von Medien. Presse, Buch, Rundfunk,
Film, Tonträger,
Telekommunikation und Computersoftware (vgl. ebd., S. 22).
Relevant für das Thema der vorliegenden Arbeit sind vorrangig die beiden zuletzt
genannten Bereiche. Die Medienpädagogik bedient sich vermehrt den neuen
Medien
und
greift
auf
Kommunikationsformen
des
Internets
zurück.
Projektbezogene, selbst gedrehte Filme können auf YouTube hochgeladen und
somit einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Schulbands können
ihre Songs bei MySpace veröffentlichen und so Kontakte zu anderen Musikern
herstellen und Erfahrungen austauschen. Medienpädagogik hat demnach die
Möglichkeit, die neuen Medien gezielt für pädagogisch sinnvolle Projekte für sich
zu nutzen. Andererseits hat Medienpädagogik per Definition auch die Pflicht, auf
Gefahren, die Medien mit sich bringen können, einzugehen und diese mit Kindern
und Jugendlichen kritisch zu bewerten. Eine Nutzung des Internets im Bereich
Medienpädagogik erscheint unumgänglich und bringt viele Vorteile mit sich. In der
medienpädagogischen Ausbildung sollte dies gezielt aufgegriffen werden.
66
Die Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) hat
2004/05 Wissenschaftler und Praktiker aus dem medienpädagogischen Bereich
über Medienbildung in der Zukunft befragt. Die Notwendigkeit einer frühzeitig
einsetzenden Medienbildung wurde beispielsweise genannt. Medienpädagogische
Projekte sollen bereits im Kindergarten beginnen. Die Vermittlung von
Medienkompetenz kann so bereits in den frühen Entwicklungsphasen von Kindern
eingeleitet werden. Generell soll der Raum für medienpädagogische Aktivitäten
größer
werden.
Medienbildung
soll
nicht
mehr
vorrangig
Aufgabe
von
Jugendarbeit oder außerschulischen Einrichtungen sein, sondern sinnvoll in den
Schulunterricht integriert werden (vgl. Lauffer 2006, S. 192). Auch Medienbildung
der Personensorgeberechtigten soll näher in den Vordergrund gerückt werden.
Elternbildung soll nicht nur auf der Vermittlung von Medienkenntnissen basieren,
sondern auch die Dialogfähigkeit und Selbstreflektion zum eigenen Umgang mit
Medien soll gefördert werden. Die Verbesserung von Bildung kann nach Aussagen
der Fachleute nur durch „sinnvolle und fachlich adäquate Einbindung von neuen
Medien in Lernprozesse erfolgen“ (vgl. ebd., S. 193). Dies sind nur einige der
Wünsche und Vorstellungen der Praktiker und Wissenschaftler, die an dieser
Stelle jedoch ausreichen sollen.
6.4.3 Sozialinformatik
Ein weiterer Bereich der Sozialen Arbeit, der die Auseinandersetzung mit dem
Computer fordert, ist der Bereich der Sozialinformatik. Die Entwicklung dieses
inzwischen eigenständigen Feldes gestaltete sich anfänglich schwierig. Soziale
Arbeit und Informationstechnologien (IT) sind zunächst nicht zwangsläufig in einen
Zusammenhang gebracht worden, da die direkte „Arbeit am Menschen“ durch sie
nicht tangiert wurde (vgl. Wendt 2000, S. 13). Eine erste Begriffsdefinition wurde
im Jahr 2000 von Wendt publiziert. Dort hieß es:
„Die Sozialinformatik hat Informations- und Kommunikationssysteme in der Sozialwirtschaft
und der Sozialen Arbeit zum Gegenstand. Sie befasst sich mit der systematischen
Verarbeitung von Informationen im Sozialwesen in ihrer technischen Konzipierung,
Ausführung und Evaluation[…]“ (vgl. ebd., S.20).
Es geht demnach um den Einsatz von Informationstechnologien in sozialen
Einrichtungen, der die praktische Arbeit im sozialen Bereich vereinfachen soll,
aber auch kritisch reflektiert, welche Auswirkungen, Chancen und Risiken dies mit
sich bringt (vgl. Ley 2004, S. 12 i.V.m. Kreidenweis 2004, S. 16). Beispiele hierfür
67
sind Fachsoftware zur Unterstützung der Erstellung von Hilfeplänen in der
Sozialpädagogischen
Familienhilfe
oder
auch
die
Dokumentation
von
Klientengesprächen in jeglichen sozialen Einrichtungen. Neben Datenerhebung
und Datenverarbeitung schließt Sozialinformatik auch den Informationsaustausch
und Dienstleistungsangebote in der Sozialarbeit ein, die sich durch den Einsatz
des Internets entwickelt haben. Selbsthilfegruppen, die sich online „treffen“ oder
Beratungen innerhalb virtueller Räume (vgl. 5.2.2) zählen beispielsweise dazu.
Sozialinformatik ist inzwischen fester Bestandteil der Ausbildung im Studium der
Sozialen Arbeit. Es werden vermehrt Lehrveranstaltungen zum Thema angeboten,
Sozialinformatik oder auch Sozialmanagement können als Schwerpunkte im
Studium gewählt werden. Seit Oktober dieses Jahres wird an der Universität
Eichstätt-Ingolstadt erstmalig ein Masterstudiengang Sozialinformatik angeboten
(vgl. URL38: Universität Eichstätt-Ingolstadt 2009). Das Thema der vorliegenden
Arbeit wird durch die Sozialinformatik jedoch nur am Rande berührt. In
Zusammenhang mit Computerspielsucht wird vermutlich die Suchtberatung und
die Jugendarbeit das Hauptarbeitsfeld für den Sozialarbeiter darstellen. Dennoch
zeigt die Entwicklung in der Sozialinformatik, dass eine weitere Verbindung von
Informationstechnologie und Sozialer Arbeit besteht und die Vermittlung von
Wissen und Anwendung von Informationstechnologien in der Ausbildung immer
von hoher Bedeutung ist.
68
7 Fazit
Das Thema Computerspielsucht ist sehr komplex und lässt Raum für weitere
Ausführungen. Bezug nehmend auf die einleitenden Teilfragen zu Beginn der
Arbeit, konnten jedoch einige wichtige Aussagen getroffen und Antworten
gefunden werden.
Mit etwa 14.300 als süchtig eingestuften Computerspielern und weiteren 26.000
stark gefährdeten Jugendlichen, kann die Lage als äußerst kritisch bezeichnet
werden. Es ist erneut darauf hinzuweisen, dass die Studie lediglich einen
Querschnitt über Jugendliche von etwa 15 Jahren abgebildet hat. Über Zahlen von
süchtigen Jugendlichen über 15 Jahren sowie Erwachsenen sind daher nur
Vermutungen anzustellen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass ebenso eine
Vielzahl von Erwachsenen vom Phänomen Computerspielsucht betroffen ist.
Nahezu alle genutzten Quellen weisen darauf hin, dass die zu behandelnden
Personen häufig älter als 18 Jahre sind. Die Mediensuchtberatung Schwerin
meldet 2007 Betroffene bis zu 22 Jahren. In der Fachklinik Münchwies werden
Patienten betreut, die im Durchschnitt bereits 27 Jahre alt sind. Die Sucht nach
Computer spielen kann daher nicht als reines Jugendproblem betrachtet werden.
Vielmehr stellt es ein gesamtgesellschaftliches Problem dar.
Aufgrund der negativen Entwicklungen in den letzten Jahren und der steigenden
Nachfrage für Hilfeeinrichtungen bezüglich Computerspielsucht, sollte dingend
geprüft werden, inwieweit weitere Gesetzeslücken geschlossen werden können
oder müssen. Die Novellierung des Jugendschutzgesetztes im Jahr hat einige
sinnvolle
Regelungen
hervor
gebracht,
die
das
Verbreiten
von
jugendgefährdenden Medien zumindest erschwert. Die gesetzlich festgelegten
Bestimmungen der Kennzeichnung von Altersfreigaben auf Computerspielen kann
für Eltern ein guter Anhaltspunkt sein, wenn es um den Erwerb von Spielen für die
eigenen Kinder geht. Erste Schritte in die richtige Richtung sind gemacht worden.
Die
aktuellen
Forschungsergebnisse
zeigen
jedoch,
dass
trotz
der
Gesetzesänderungen die Zahlen der pathologischen bzw. süchtigen Spieler rapide
ansteigen. In WoW müssen Spieler vorgeblich keine gewalthaltigen Handlungen
ausführen. Mit kriegsverherrlichenden oder anderen jugendgefährdenden Inhalten
69
werden sie nicht konfrontiert. Das hohe Suchtpotenzial, dass unter Anderem durch
die wechselseitige Abhängigkeit der Gildenmitglieder und den ständigen Fortlauf
des Spieles erzeugt wird, wird jedoch nicht gesetzlich kontrolliert. Demnach
müssen Jugendmedienschutzeinrichtungen in diesem Rahmen nicht tätig werden.
Ihre gesetzliche Arbeitsgrundlage ist das JuSchG, das eben solche Regelungen
zum Überprüfen des Suchtpotenzials nicht enthält.
Nach Auswertung der neuesten Studien und den Erfahrungsberichten von
Beratungsstellen und Kliniken, erscheint eine Aufnahme der Computerspielsucht
ins ICD-10 bei der nächsten Revision durchaus sinnvoll. Ob diese als
eigenständiges Krankheitsbild aufgenommen oder nur als Begleiterscheinung oder
Symptom von anderen Erkrankungen eingestuft wird, soll jedoch von Praktikern,
Wissenschaftlern und Medizinern entschieden werden. Dass Betroffene bisher
lediglich
über
Ausweichdiagnosen
betreut
werden
können,
ist
kein
erstrebenswerter Zustand. Wie bereits erwähnt, wird das Phänomen der
Computerspielsucht so aus dem gesellschaftlichen Blickpunkt genommen und in
Statistiken gar nicht erst erfasst. Es bedarf demnach weiterer Forschung und
weiteren Veröffentlichungen zum Thema, um letztlich den Betroffenen eine
sinnvolle, auf ihre Problematik zugeschnittene Behandlung gewährleisten zu
können. Die Studie des kriminologischen Forschungsinstitutes ist nur ein guter
Ausgangspunkt, um Überlegungen in diesem Zusammenhang neu aufzurollen.
Die Computerspiellandschaft in Deutschland ist enorm. Um einen kleinen Einblick
zu geben wurden einige Genres und Spiele beschrieben. Herausgefiltert wurden
hierbei Spiele, die laut KFN am häufigsten von Jugendlichen genutzt werden. Dies
sind vorrangig Onlinerollenspiele oder Shooter. Das heißt, entweder Spiele, die
einen hohen Zeitaufwand erfordern oder solche, die zusätzlich gewalthaltige
Inhalte vermitteln. Dennoch kann das spielen solcher Spiele durchaus positive
Nebeneffekte haben. Das Nachstellen von Kriegsszenarios wie bei Battlefield
kann durchaus etwas zur persönlichen Aufarbeitung der deutschen Geschichte
beitragen und eine Art zusätzliche Lernhilfe zum Schulstoff darstellen. Es ist stets
die Frage zu stellen, aus welcher Motivation heraus das Spiel gespielt wird und
wie viel Zeit das Spielen täglich in Anspruch nimmt. Im Spiel Counter Strike muss
sich zumindest ein Teil der Spieler zu einer Gruppe von Terroristen
70
zusammenschließen, die Menschen in Geiselhaft nehmen oder Bomben legen.
Terrorismus ist spätestens seit dem 11. September 2001 ein Thema, mit dem sich
auch Jugendliche auseinandersetzen müssen. Ob Counter Strike im positiven
Sinne dazu beitragen kann, ist zu bezweifeln. Eine Indizierung im Jahr 2002 wurde
unter Anderem abgelehnt, weil eine soziale Unverträglichkeit nicht nachweisbar
war und das gemeinsame Spielen zu Tausenden soziale Beziehungen eher
fördere. Es ist anzunehmen, dass sich innerhalb solcher Spielcommunitys
tatsächlich reale Freundschaften gebildet haben. Die Kinder und Jugendlichen, die
als süchtig eingestuft wurden, haben solche realen Beziehungen allerdings nicht
oder kaum. Sie vernachlässigen ihr soziales Umfeld oder spielen häufig, gerade
weil Probleme im Familien- und Freundeskreis bestehen. Das Macht- und
Kontrollerleben in der virtuellen Welt kann positive Gefühle hervorbringen.
Belohnungen, die in der realen Welt ausbleiben, gibt es dafür im virtuellen Leben
umso mehr. Der Wunsch diese positiven Gefühle so oft wie möglich zu erleben,
kann dazu verführen, immer wieder und immer häufiger online zu gehen und ein
süchtiges Verhalten zu begünstigen. Der hohe Anteil von sehr jungen Spielern, die
nicht
altersgerechte
Spiele
nutzen
ist
zusätzlich
besorgniserregend.
Entwicklungsstörungen oder Persönlichkeitsveränderungen können die Folgen
sein.
Eine Vielzahl von Spielern kann inzwischen erfolgreich behandelt werden, wenn
sie die Entscheidung getroffen haben, Hilfeeinrichtungen aufzusuchen und deren
Angebote auch in Anspruch zu nehmen. Beratung, Psychotherapie und auch
stationäre Betreuung in einer Klinik sind möglich. Außerdem wurden Einrichtungen
gegründet, die speziell auf die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen
ausgerichtet sind. Virtuelle Selbsthilfegruppen haben sich gebildet, die sich online
treffen und austauschen. Zur Beratung muss das häusliche Umfeld ebenfalls nicht
mehr zwingend verlassen werden. Auch das kann inzwischen über das Internet
geregelt werden.
Dieser Form von Beratung ist jedoch im Hinblick auf Computerspielsucht mit
Vorsicht zu begegnen. Als Beispiel wurden Verfahrensweisen der Online-Beratung
vom HSO e.V. genauer beschrieben. Für Betroffenen ist es vermutlich schwierig,
zu entscheiden, inwieweit zwei E-Mails pro Woche dazu beitragen, die
71
vorhandenen Probleme zu bewältigen. Auch ob der Partner in die Beratung mit
eingebunden werden soll kann oft erst nach einigen „Gesprächen“ festgestellt
werden. Bei Gabriele Farke müssen die Betroffenen jedoch sofort entscheiden,
und eine der Beratungsformen auswählen. Der Kostenfaktor spielt hier auch eine
Rolle und kann abschreckend wirken. Die Schwelle, sich zu öffnen und sich
jemandem anzuvertrauen, ist möglicherweise niedriger, wenn keine Gebühren
erhoben werden. Ein kostenloses Erstgespräch, um allgemeine Informationen zu
sammeln und herauszufinden, ob dem Klient angemessen geholfen werden kann,
erscheint sehr sinnvoll. Alle weiteren Konditionen können danach individuell
festgelegt werden. Die Wartezeiten bezüglich der Antwortmails liegen bei drei bis
fünf Tagen. Bei einer Vielzahl von Anfragen eine gerechtfertigte Zeitspanne. Liegt
ein akutes Problem beim Klienten vor, ist dies jedoch kaum zumutbar. Die Frage,
ob eine Online-Beratung für Menschen sinnvoll ist, die ohnehin zu viel Zeit vor
dem Computer verbringen, gilt es in der Zukunft zu beantworten. Die These, dass
eine bereits bestehende Sucht auf diesem Weg weiter befriedigt wird, ist zu
widerlegen. Der HSO e.V. begründet die Wahl dieser Beratungsform damit, die
Leute dort abzuholen, wo sie momentan die meiste Zeit verbringen und das sei
nun einmal das Internet. Weiterhin sei es für die Menschen zunächst einfacher
sich online zu öffnen, als in einem Gespräch von Angesicht zu Angesicht.
Die Grundidee von Onlineberatungen und Onlineselbsthilfegruppen ist sicher
sinnvoll. Sie ist anonym und bequem. Besteht aber ein Problem im
Zusammenhang mit Online- und Computersucht, scheint diese Variante von
Selbsthilfe und Beratung weniger geeignet zu sein. Ist die Beratung mit Gebühren
verbunden,
wird
von
vornherein
ein
bestimmter
Kreis
von
Menschen
ausgeschlossen. Menschen, die kaum Geld zur Verfügung haben, was gerade
viele
junge
Leute
betreffen
wird.
Aussagen
darüber,
inwieweit
Onlineselbsthilfegruppen für die Mitglieder hilfreich sind, können nicht getroffen
werden. Zukünftig wird es vielleicht Publikationen geben, die darüber Aufschluss
geben können. Das Thema Onlineberatung und Onlineselbsthilfegruppe soll aber
nicht ausschließlich negativ besetzt werden. Es sollten lediglich einige Kritikpunkte
hervorgehoben werden.
72
Auch Soziale Arbeit reagiert nach und nach auf Computerspielsucht. Spezialisierte
Beratungsstellen wurden von ehemaligen Studenten aufgebaut und durch sie
geleitet. Betroffene können hier individuell beraten und gegebenenfalls an andere
Hilfeeinrichtungen weitervermittelt werden. Durch vermehrte Fachtagungen in den
vergangenen Jahren, ist das Thema weiter in die Öffentlichkeit getragen worden.
Inwieweit im Studium der Sozialen Arbeit, vor Allem in den Schwerpunkten Sucht
oder Medienpädagogik, das Phänomen Computerspielsucht behandelt wird, ist
der Literatur oder dem Internet nur teilweise zu entnehmen. Davon ausgehend,
dass die Zahl der Betroffenen weiter steigt bzw. vorerst nicht abnimmt, ist eine
gezielte Vermittlung von Informationen zum Thema während des Studiums
durchaus angebracht.
Allgemeine Grundkenntnisse über Suchttheorien und Präventionskonzepte
können für nahezu alle Suchtformen angewandt werden. Sie sind jedoch
entsprechend abzuwandeln und zu ergänzen. Für die Arbeit im Bereich
Mediensuchtberatung
gehört
die
gezielte
Auseinandersetzung
mit
Computerspielen und dem Internet dazu. Medienkompetenz ist eine wichtige
Voraussetzung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Sozialarbeiter und
Klient. Sie stellt sozusagen die Basis für einen gegenseitigen Austausch dar. Eine
Methodik, die speziell auf Beratung im Mediensuchtbereich zugeschnitten ist, ist
nicht bekannt. Sozialarbeiter, die bereits in der Suchtberatung tätig sind, sind
angehalten, an Fachtagungen zum Thema teilzunehmen, um auf dem Laufenden
zu bleiben. Das Phänomen Computerspielsucht wird Wissenschaftler und
Praktiker auch in Zukunft beschäftigen. Die Einrichtungen, die zur Bekämpfung
der Computerspielsucht bereits gegründet worden sind, waren vermutlich nur der
Anfang. Weitere Studien werden zeigen, ob die Zahl der exzessiv spielenden
Kinder und Jugendliche weiter zu- oder abnimmt. Sie werden Aufschluss darüber
geben,
wie
erfolgreich
die
Beratungs-
und
Behandlungsmethoden
der
Hilfeeinrichtungen sind oder ob ein weiterer Ausbau des Hilfenetzes notwendig ist.
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Eidesstattliche Erklärung
Hiermit versichere ich, dass ich die hier vorliegende Arbeit selbstständig verfasst
und keine anderen als die angegeben Quellen und Hilfsmittel verwendet habe.
Wörtlich oder dem Sinn nach aus anderen Werken entnommene Stellen sind unter
der Angabe der entsprechenden Quellen kenntlich gemacht.
Datum
Unterschrift