29. Fussball mit Fäusten. Florenz,
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29. Fussball mit Fäusten. Florenz,
29. Fussball mit Fäusten. Florenz, das ist die David-Statue von Michelangelo, die Ponte Vecchio, das sind Botticelli, Da Vinci und Caravaggio, das ist die Kathedrale Santa Maria del Fiore, die Piazza della Signoria, der Palazzo Pitti und die Basilika Santa Croce. Florenz, das ist aber auch eine Stadt des Mittelalters, aus Stein erbaut, ein hartes Pflaster. Wer die »Wiege der Renaissance« im Juni besucht, lernt ein Florenz jenseits romantischer Postkartenmotive und ausgetretener Touristenpfade kennen. Dann zeigt sie beim »Calcio Storico«, dem historischen Fußball, ihre raue Seite. Das Spiel ist hart, blutig, archaisch und brutal. Regeln gibt es so gut wie keine, dafür gibt es gebrochene Rippen und Nasen, ausgeschlagene Zähne, blaue Augen und zertrümmerte Kniescheiben. Erlaubt ist, was wehtut. Der Gegner darf angegriffen, geschlagen und zu Boden geworfen werden, das ist seit dem 16. Jahrhundert so. Damals waren es vor allem Adlige, die den historischen Fußball spielten. Heute sind es schwere Jungs mit kahl geschorenen Köpfen und Wenn zwei sich streiten freut sich der Dritte. Während hinten geprügelt wird, ergreift ein Spieler der Santa Croce die Chance und läuft seinen Gegnern davon. photo: colourpress Tattoos auf muskelbepackten Oberarmen. An drei Tagen im Jahr zelebrieren die etwa 100 Teilnehmer auf der Piazza Santa Croce das Austeilen und Einstecken nach Florentiner Art. Moderne Gladiatoren, von denen einige zu weinen anfangen, kurz bevor das Tor der Arena hinter ihnen zufällt und eine 50-minütige Zeitreise zurück ins Mittelalter beginnt. Für ihre Tränen schämen sie sich nicht. Wer vorgibt keine Angst zu haben, der lügt. Fight Club auf Italienisch: Auf dem historischen Marktplatz bekämpfen sich die Männer bis auf ’s Blut. photo: mauritius images Als Nichtflorentiner fällt es schwer, die Faszination dieses groben Spiels zu verstehen. Wer aber den Zeigefinger im Geschichtsbuch hat, für den ist es zumindest historisch nachvollziehbar. Denn der Calcio Storico entstand aus dem römischen Spiel Harpaston, das zu den populärsten Ballsportarten der römischen und griechischen Antike gehörte und eine Mischung aus Boxen, Ringen und Rugby war. »Die römischen Legionäre brachten das Spiel nach Florenz. Mit der Zeit versahen es die Florentiner mit ihren eigenen Regeln und so wurde es zum traditionellen florentinischen Spiel,« erklärt Luciano Artusi, Leiter und Organisator des historischen Fußballs. »Jede Mannschaft besteht aus 27 Spielern auf drei Positionen: Torwart, Verteidiger und Stürmer. Ziel ist es, den Ball ins Netz an der gegnerischen Grundlinie zu werfen. Gespielt wird in grünen, weißen, blauen und roten Kostümen, wobei jede Farbe ein Stadtviertel repräsentiert. Rot steht für Santa Maria Novella, photos: Maurizio Rufino (3) Blau für Santa Croce, Weiß für Santo Spirito und Grün für San Giovanni.« Beim Calcio Storico geht es weder um Geld noch um eine Trophäe, es zählt allein Ruhm, Ehre und Anerkennung. Doch im Jahr 2006 geriet der historische Fußball an einen Wendepunkt, als aus dem Spiel gefährlicher Ernst wurde und eine Massenschlägerei ausbrach, die erst durch das harte Eingreifen der Polizei gestoppt werden konnte. Nachdem der Schiedsrichter die Partie offiziell beendet hatte, standen die Spieler der rivalisierenden Stadtteile noch über eine Stunde lang auf dem Platz und prügelten auf einander ein. Die Stadt erstattete Anzeige gegen zahlreiche Spieler, einige Verfahren laufen bis heute. Für den Calcio Storico brachen dunkle Zeiten an. Strengere Vorschriften machten den historischen Fußball zwar weniger brutal, aber dafür auch weniger spektakulär. Eine der Regeln sah vor, dass keine Spieler über 40 Jahre mehr teilnehmen durften, da sie ihre langjährgen Feindschaften oftmals auf dem Platz austrugen. Heute, sechs Jahre später, darf wieder jeder mitspielen, der ein ärztliches Attest über seine Gesundheit vorweisen kann und dessen Vorstrafenregister in den vergangenen fünf Jahren eintragsfrei blieb. Und so fliegen weiterhin die Fäuste – im Namen der Tradition. Eva Bolhoefer