Eltern und Familie - Stiftung Leben pur

Eltern und Familie
Eltern und Betreuer schwerstbehinderter Menschen benötigen
mehr Hilfe und Entlastung in der Nachtpflege
Zu ihrer interdisziplinären Jahrestagung zum Thema
,,Was bedeutet die Nacht für Menschen mit schwersten
Behinderungen?" am 9. und 10. März 2007 begrüßte
die Stiftung Leben pur - für Menschen mit schwersten
~ e h i n d e r i n ~ e--rund
n
300 Teilnehmer aus ganz
Deutschland. Die Tagungsthemen der Stiftung orientieren sich an den Grundbedürfnissen von Menschen
mit schwersten Behinderungen. Die interdisziplinäre
Arbeitsweise der Stiftung versucht die Denkweisen vieler Berufe zu vereinen und dann neue Lösungen zu finden: aus medizinischer oder psychologischer, philosophischer und pädagogischer Sicht sowie aus der
Perspektive Angehöriger.
vielleicht durch einen Schlafmangel oder -Störungen
bedingt sind.
Chronischer Schlafmangel- eine
Abwärtsspirale für Eltern und Kind
Viele Menschen leiden unter Schlafstörungen. Bei Menschen mit schwersten Behinderungen kommen zu den
verstärkten behinderungs- und schmerzbedingten
Schlafstörungen die pflegerischen Maßnahmen hinzu,
die eine mehrfache Unterbrechung der Nachruhe, etwa
durch notwendiges Umlagern oder Absaugen, erforderlich machen. Das bedeutet nicht nur für ihre Nachtruhe eine starke Beeinträchtigung,
- - sondern auch für ihre
Tagesverfassung.
Früher
oder
später werden häufig auch
Schlafstörungen nicht einfach
die pflegenden Angehörigen selbst zu Betroffenen: die
hinnehmen
Nacht wird für sie zum Tag. Doch der Tag bleibt der
Prof. Dr. Inge Strauch aus Zürich, emeritierte Profes- belastende Pflegealltag. Angehörige stehen über Jahre
sorin für Klinische Psychologie, machte in ihrem Vor- hinweg unter enormer Belastung. Wer im privaten
trag ,,Grundlagen des Schlafes" deutlich, dass die Schlaf- Umfeld bei Freunden oder Verwanden keine Hilfe findauer nichts über die Qualität des Schlafes aussagt und det, bleibt damit häufig rat- und kraftlos allein.
gab damit die Einführung in die Problematik, in die
sowohl Betroffene als auch Angehörige geraten: ,,Chro- Von solchen Erfahrungen berichtete auch Katja Bienert,
nische Schlafstörungen können zu einer verminderten Vertreterin der Selbsthilfegruppe Buss-Kinder e. V.:
Leistungsfähigkeit und einem schlechten Allgemeinbe- ,,Eltern gesunder Kinder kommen oft an ihre Grenzen,
finden führen."
mit behinderten Kindern jedoch kommt man weit darüber hinaus." Bienert, Mutter des elf Monate alten Nico,
Schlafstörungen sind bei Menschen mit schwersten der an einer genetisch vererbten Krankheit leidet, steht
Behinderungen, die sich häufig kaum oder gar nicht im Schnitt zehn bis fünfzehn Mal pro Nacht auf, um
artikulieren können, in ihrem Umfang oft schwer den alarmierenden Monitor abzuschalten und das Baby
diagnostizierbar. Dies erfordert aufwendige diagnosti- abzusaugen und umzulagern. „Durch den schlechten
sche Verfahren, die für Menschen mit schwersten Be- Schlaf der Kinder leidet mit der Zeit auch der Elternhinderungen jedoch kaum zur Verfügung stehen.
schlaf", schildert sie. ,,Je schlechter der Schlaf der Mutter ist, desto schlechter geht es letztendlich dem Kind,
,,Eine Schlafstörung liegt dann vor, wenn durch den weil ich am Morgen keine Kraft mehr habe, ich bin
unterbrochenen Schlaf der nächste Tag nicht so bewäl- nicht mehr belastbar, mir fehlt die Energie", so Bienert.
tigt werden kann, wie man sich das wünscht - sowohl Doch genau diese Kraft bräuchte sie, um das Kind gut
aus der Sicht des Kindes, wie auch aus Sicht der Be- begleiten zu können - und ihm schließlich auch wieder
treuenden und der Eltern", so die Definition des Kin- einen Rahmen zu geben, in dem es gut schlafen kann.
der- und Jugendarztes Dr. med. Olaf Kraus de Camargo. Das sei eine Spirale, die abwärts gehe. ,,Die Eltern
Kinder mit Behinderungen befänden sich in einer be- bräuchten mehr Entlastung", appelliert Bienert an ein
sonderen Situation, denn unterschiedliche Störungs- von ihrem Vortrag bewegtes Auditorium. Als Mutter
bilder führen zu unterschiedlichen Formen von Schlaf- zweier Kinder erlebt sie, dass selbst die von ärztlicher
Störungen. Beispielsweise zeigten Untersuchungen von Seite verordneten Hilfemaßnahmen nur teilweise ergeistig behinderten Kindern, dass zwischen 50 bis 86 stattet werden. Im Moment müsse man damit rechnen,
Prozent unter Schlafstörungen litten. Eine zentrale auf einem Schuldenberg sitzen zu bleiben.
Botschaft in Dr. Kraus de Camargos Vortrag richtete
sich an die Eltern von Kindern mit Behinderungen, die Selbsthilfegruppen wie die Gruppe ,,AlbatrosL',die sich
in der Praxis viel zu selten über die Schlafprobleme ih- über Spenden und geringfugige Beteiligungen der Eltern
rer Kinder sprechen. Fachleuten riet de Camargo häu- finanzieren,versuchen die Lücke im Hilfssystem zu schliefig zu hinterfragen, ob Probleme, die am Tag auftreten, ßen: Claudia Ebel von ,,Albatros" organisiert seit über
Fachdienst der Lebenshilfe 2/07
zehn Jahren Nachtwachen für behinderte Kinder. Eltern Praktische Hilfen zum Schlafen,
können hier ihr Kind zum Beispiel für 20 Stunden in pfleTräumen und Entspannen:
gende Hände geben, um einmal auszuschlafen. Das bedeute für viele eine emorme Erholung. Viele Eltern hät- zehn Workshops
ten jedoch anfänglich Ängste, ihre besonderen Kinder Unter Titeln wie ,,Auf Klangreisen zwischen Wachsein
fremden Personen anzuvertrauen,und fürchten, dass ihre und Träumen", ,,Duftende Schlafförderung" oder
Kinder nicht wie zu Hause betreut werden könnten.
,,Snoezelen - nicht nur Zeit zum Träumen" gab es Tipps
für den Schlaf. Am Beispiel eines anwesenden Kindes,
das sich im Wach-Koma befindet, wurde den TeilnehNachtwache als Königsdisziplin
mern die Bedeutung der Aktivierung am Tag für einen
Professor Dr. Barbara Fornefeld von der Heilpädagogi- besseren Schlaf in der Nacht veranschaulicht.
schen Fakultät der Universität zu Köln und ihre Kollegen richteten mit ihrem Vortrag das Augenmerk auf die
Situation der Nachtwache in Institutionen, die besser Menschen mit
auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung
zugeschnitten werden müsste. Nachtwache sei eine schwersten Behinderungen nicht als
Königdisziplin und stelle an Heilpädagogen als ,,Hüter" Kostenfaktor definieren
und nicht ,,Verwalter"der Nacht ganz besondere Anfor- Hans Schöbel, der als Vorsitzender des Landesverbanderungen. In der Nacht ist auch die Privatsphäre der des Bayern für Körper- und Mehrfachbehinderte e. V.
Betroffenen in besonderem Maße zu berücksichtigen. (LVKM) gemeinsam mit Professor Andreas Fröhlich von
der Universität Koblenz-Landau 2004 den Anstoß für
Damit die Heilpädagogen, die oft wenig über das Le- die Stiftung Leben pur gegeben hatte, sagte, dass mit
ben der Bewohner wissen, während der Nacht besser der Stiftung ein fachlicher und gesellschaftspolitischer
auf ihre Schützlinge eingehen können, initiierte Prof. Schwerpunkt gesetzt sei, dem wir uns auch durch die
Fornefeld ein Projekt: In einem ,,Lebensbuch" geben Fortschritte der Intensivmedizin stellen müssten.
Eltern in Text und Bild einen Eindruck vom Leben des Schwerstbehindertes Leben müsse aus der Sicht des
Kindes, ,,denn es ist nicht nur Krankheit, es ist nicht LVKM als gleichberechtigtund gleichwertig anerkannt
nur Leid, es ist auch Familienausflug, es ist auch Freu- sein und bleiben - obwohl die betroffenen Menschen
de, es sind auch Menschen, die eine andere Dimension in der Regel niemals Steuerzahler werden. Schöbel
haben. Und die fallt oft unter den Tisch".
wamte davor, Menschen mit schwerster Behinderung
als Kostenfaktoren zu definieren.
lnnovationspreis Leben pur 2007
erstmals verliehen
Kontakt: Stiftung Leben pur,
Adamstraße 5,80636 München, Tel.:(0 89) 35 74 81-19,
Zum ersten Mal verlieh die Stiftung Leben pur im Rah- Fax: (0 89) 35 74 81-81, infoastiftung-leben-pur.&.
men der Tagung den Innovationspreis Leben pur 2007,
mit dem neue innovative Ansätze, die die Lebensqualität von Menschen mit schwersten Behinderungen verGeschwister-Chat im lnternet
bessern, gefördert werden sollen. Preisträger ist die
Seguin-Klinik für Menschen mit schwerer geistiger Be- Seit März 2007 gibt es eine neue Online Community
hinderung des Epilepsiezentrums Kork, unter ärztlicher für Geschwister behinderter Menschen. In KooperatiLeitung von Dr. med. Peter Martin. Das bundesweit on mit dem Portal www.intakt.info wird dieser Chat
Einmalige an der Klinik ist, dass sie sich auf Erwachse- Sonntags ab 17 Uhr mit festem Treffpunkt angeboten.
ne mit geistiger und mehrfacher Behinderung konzentriert und medizinische und nicht-medizinische Diszi- Geschwisterbehinderter Menschen können sich kostenplinen integriert. Martin bedauert die problematische frei auf www.geschwister-ban.de registrieren. In Kürze
Haltung vieler Kostenträger. Sie seien zwar bereit, für wird die neue Community auch unter der bisherigen
Kinder mit Behinderungen bis zum 18. Lebensjahr zu Adresse www.besondere-geschwister.deerreichbar sein.
zahlen. Doch Erwachsene erhielten deutlich weniger Die Mission dieser Internetseite ist neben der VernetHilfen und - was noch schlimmer wiege - es bestehe zung von Geschwistern die Sensibilisierung der Öffentauch kaum Interesse an dieser Zielgruppe - weder von lichkeit für die Geschwisterthematik und für ihre beSeiten der Kostenträger noch von Seiten der Medizin. sonderen Familien. Durch die Community und die
Die Seguin-Klinik beherbergt das einzige Schlaflabor Option, einen persönlichen Bericht zu verfassen, könfür erwachsene Menschen mit schweren Behinderun- nen die Geschwister diesen Prozess aktiv mitgestalten
und persönlich über ihre Situation informieren.
gen in Deutschland.
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Pachdienst der Lebenshilfe 2/07