komplette Heft - Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel

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komplette Heft - Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel
Neuer Titel,
n e u e Au f m
achung
AUGUSTA
Wolfenbütteler
Bibliotheks-Informationen
Jahrgang 35, Januar – Dezember 2010
herausgegeben von der
Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel
Editorial
Helwig Schmidt-Glintzer
In neuer Aufmachung geben diese neuen Wolfenbütteler Bibliotheks-Informationen einen Rückblick auf das
Jahr 2010. Unsere Forschungsarbeit und das sich immer
weiter und vor allem immer wieder neu herausbildende
Netzwerk der Zusammenarbeit mit anderen Institutionen und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern
auf den Gebieten der Mittelalter- und Frühneuzeitforschung werden nicht nur durch die zunehmende Digitalisierung und vertiefende Erschließung unserer Bestände, sondern auch durch Erwerbungen bisher unbekannter Werke beflügelt. Den weit über Deutschland
hinaus reichenden Kreis der Leserinnen und Leser der
mit diesem Heft unter dem prägnanten Titel AUGUSTA
in neuer Farbigkeit erscheinenden Wolfenbütteler Bi­
bliotheks-Informationen möchten wir neugierig machen
auf unsere Arbeit und zugleich zu einem Besuch einladen. Auch wenn wir einen wachsenden Teil unserer Bestände im Internet zur Verfügung stellen und dabei insbesondere auch unsere graphischen Sammlungen sich
zunehmender Beliebtheit erfreuen, bleibt doch das Aufsuchen der Originale in den Lesesälen und in den Ausstellungen unverzichtbar.
Wie flüchtig manches ist, zeigen Bilder wie jenes
Gruppenfoto im Malerbuchkabinett (s. S. 9) mit dem
Hinweis auf dessen Gestaltung durch Adolf Flach, das
ihn ebenso wie Anita Kästner bei ihrem letzten Besuch
in Wolfenbüttel zeigt. Aber gerade die Erinnerung an
Prof. Dr. Helwig Schmidt-Glintzer,
Direktor der Herzog August Bibliothek
das Flüchtige, an den Gedanken und den Diskurs, an die
wache Stunde und den Aufruf zu bewahren, darin sieht
die Herzog August Bibliothek eine ihrer wichtigsten
Aufgaben, und sie fördert die Begegnung gerade auch
jüngerer Menschen mit ihren Sammlungen. Dazu sowie
zur Beteiligung an Diskursen der Gegenwart unter Einschluss performativer Formen wie Podiumsdiskussionen oder Darbietungen wie jener der Jazzkantine beim
Tag der Braunschweigischen Landschaft wollen die Wolfenbütteler Bibliotheks-Informationen ausdrücklich einladen.
Inhalt
Titelthema: Grundlagenforschung mit internationaler Ausstrahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
Ausstellungen
Gerhard Altenbourg, Erhart Kästner und die Schnepfenthaler Suite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
Das Athen der Welfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
Hinter den Kulissen der Friedenspreisverleihung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
Arno Piechorowski: Handpressendrucke der Aldus-Presse Reicheneck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
Arbeitsgespräche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
Neuerwerbungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
Veranstaltungen
Lessingpreis 2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
Europa-Kolleg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
Sommerkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
Stipendiaten und Gäste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
Gerda Henkel Stipendien für Ideengeschichte vergeben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
Besondere Nachrichten: Die Online-Sprechstunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
Neuerscheinungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
„Wolfenbütteler Gespräche“ zum deutschen Gründungsmythos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
Die „Jazzkantine“ in der Augusteerhalle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
Grundlagenforschung mit internationaler Ausstrahlung
zur Stärkung der regionalen Identität
Helwig Schmidt-Glintzer
Ein Laboratorium der Geisteswissenschaften
In der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel finden
sich in einzigartiger Weise Zeugnisse der Vergangenheit, in Drucken und Handschriften, in Grafiken und Bildern, in Karten und Noten. Von dort aus eröffnen sich
Wege in andere Sammlungen in aller Welt ebenso wie in
nächster Nähe, wie im Staatsarchiv Wolfenbüttel und in
den Kunstsammlungen Braunschweigs. Im Umgang mit
diesen Zeugnissen der Vergangenheit und im Austausch
mit der internationalen Forschung entsteht eine Haltung methodisch reflektierter Wissenschaftlichkeit. Aus
den einzelnen Elementen dieser Haltung sind die Qualitätsstandards gebildet, denen sich die Herzog August
Bibliothek verpflichtet sieht und deren weltweite Anerkennung Teil des voranschreitenden Erkenntnisprozesses ist. Im Zuge dieses Erkenntnisfortschritts sind inzwischen vielfach gewohnte Sichtweisen und Beschreibungsformen verändert oder durch ganz neue ersetzt
worden. Epochendefinitionen haben sich ebenso verschoben wie sich unser Wissen über Mediennutzung­en
und Diskursformen der Vergangenheit grundlegend
verändert hat. Vor allem ist die Isolierung schriftlicher
Dokumente überwunden worden, seit sie in ihren per-
Abb. 2: Sammelhandschrift, HAB: Cod. Guelf. 4.11 Aug. 4°, fol. 71r:
­Rhetorikschrift eines Anonymus „Ad Herennium“, Kapitel „Über die
Art des Redens“ – Löwen-Initiale in Form eines Q
Abb. 1: Bernward-Psalter, HAB: Cod. Guelf. 113 Noviss. 4°, fol. 131r:
­Gesangs- und Gebetstexte für die Osternacht
formativen und rituellen Zusammenhängen verstanden werden, und seit die Erforschungen zu Fest- und
Alltagskulturen neben dem Lesen von Texten den gesamten Bereich audiovisueller Kontexte einbezieht. Gerade die Ausprägung des Verständnisses von Situationen und Lebensverhältnissen der Vergangenheit aus eigenem Recht mit je eigenen Zukunftserwartungen und
Vergangenheitsdeutungen fördert eine Haltung, die
zum unverzichtbaren Grundinventar der Gegenwart gezählt werden muss. Die Zukunftsfähigkeit einer humanen Weltzivilisation hängt vor allem von der Pflege dieser Haltung ab.
In diesem Sinne leistet die Herzog August Bibliothek auf den Gebieten der Kulturgeschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit Grundlagenforschung.
Im Wissen um die sich immer wieder neu konstituierenden Sinn- und Ideenkonstellationen richtet sich
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lisierung der Bestände erforderlich ist. Die seit einiger
Zeit im Aufbau befindliche Wolfenbütteler Digitale Bibliothek bietet bereits weltweit ortsungebundene Recherchemöglichkeiten. Auch der in den Projekten der
Herzog August Bibliothek erzielte Erkenntnisgewinn
wird in einem eigenen digitalen Archiv dokumentiert.
Wichtig bleibt die Ergänzung der Bestände, und dabei
insbesondere auch des Altbestandes der Handschriften
und Drucke, zumal durch die Schließung von Lücken
neue Einsichten und modifizierte Thesen und Gewissheiten der Forschung zu erwarten sind. Hierbei ist die
Herzog August Bibliothek für das 17. Jahrhundert, für
das sie im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft Sammlung
Deutscher Drucke die Verantwortung für eine lückenlose
Archivierung übernommen hat, in besonderer Weise
gefordert.
Über die Region hinaus
Abb. 3: Evangeliar Heinrichs des Löwen, HAB: Cod. Guelf. 105
Noviss. 2°, fol. 110v: Verkündigung des Engels Gabriel an Maria –
Besuch Marias bei Elisabeth
das Forschungsinteresse unserer einzelnen Projekte
auf Fragen der Wissens‑, Konfessions- und Frömmigkeitsgeschichte. Hierzu gehört auch die Erforschung
der Geschichte der Sammlungen und Bestände und ihrer Kontexte sowie die überregionaler Netzwerke und
Kommunikationsverläufe. Unser besonderes Augenmerk lenken wir dabei auf die Migration von Wissen sowie auf mediale und kulturelle Übersetzungsprozesse.
Die Herzog August Bibliothek erweist sich so als ein Laboratorium der Geisteswissenschaften. Im Austausch
aller an ihr tätigen Forscherinnen und Forscher werden die an ihren Beständen gewonnenen Erkenntnisse
überprüft und neu formuliert.
Zu diesem fortlaufenden Prozess der Erkenntnisgewinnung tragen Tagungen, Arbeitsgespräche und Ausstellungen ebenso bei wie die in vielfältige regionale
wie internationale Kooperationen eingebetteten Projekte der Bibliothek. Die Forschungsanstrengungen
münden in gedruckte ebenso wie in digital bereitgestellte Monographien, Editionen und Tagungsbände.
Die zum Teil gemeinschaftlich mit auswärtigen Partnern
erstellten Internet-Portale bieten neue Formen der Wissensgewinnung und ‑erweiterung. Zusätzliche Impulse
kommen aus den die Arbeit der Herzog August Bibliothek begleitenden Arbeitskreisen und ihren Komitees,
die ebenso wie das Kuratorium die Leitung im Hinblick
auf langfristige Zielsetzungen beraten.
Neben die bereits vorhandene engmaschige und facettenreiche Erschließung der Bestände treten die Ergebnisse neuer Methoden, die die Daten- und Rechentechnik eröffnet und für die eine weitgehende Digita-
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Neben den zahlreichen mittel- und langfristig angelegten Erschließungsprojekten wie der Beschreibung der
mittelalterlichen Handschriften aus Halberstadt und der
Helmstedter Handschriften verfolgt die Wolfenbütteler
Bibliothek regionalgeschichtliche Projekte wie die Rekonstruktion und Erforschung niedersächsischer Bibliotheken des späten Mittelalters oder wie jenes die Geschichte der Universität Helmstedt erforschende Projekt, zu dem die Ausstellung „Das Athen der Welfen.
Die Reformuniversität Helmstedt 1576 –1810“ gezeigt
wurde. – Hier verbinden sich bildungsgeschichtliche
Fragestellungen mit dem Interesse an einer vertieften
Kenntnis der alten welfischen Landesuniversität, ihres
Aufstiegs, ihres Niedergangs und ihrer bleibenden Verdienste.
Der Übergang zum Jahr 2011 steht ganz im Zeichen
des Jubiläums der seit langem protestantischen Klosterkirche St. Michael im Bistum Hildesheim, welches geschichtlich in enger Beziehung zur Herrschaft des Welfenhauses steht, und der großen Ausstellung zu den
mittelalterlichen Handschriften in Hildesheim und Wolfenbüttel. Mit solchen zumeist mit jeweils großen Ausstellungen verknüpften Projekten erschließt die Herzog
August Bibliothek das geistige und politische Netzwerk
in der Region in seiner historischen Tiefe und leistet damit einen Beitrag zur Fundierung eines neuen Regionskonzeptes, welches angesichts der Globalisierung entwickelt werden muss, damit unsere Region als eine der
wichtigen Regionen Europas in den weltweit konkurrierenden Netzwerken – wie man heute sagen würde –
„gut aufgestellt“ ist.
Den letzten Anstoß zu dieser den Buchschätzen des
Bistums Hildesheim gewidmeten Ausstellung „Schätze
im Himmel – Bücher auf Erden“ gab ein Glücksfall: Im
Jahre 2007 konnte der in Privatbesitz befindliche Bernward-Psalter (Abb. 1) durch die Herzog August Bibliothek für das Land Niedersachsen erworben werden.
Diese kostbare Handschrift war von Bischof Bernward
von Hildesheim (993 –1022) in Auftrag gegeben und
Abb. 4: Goldenes Hildesheimer
Kalendarium (eine Kopie des
Stammheimer Missale), HAB:
Cod. Guelf. 13. Aug. 2°, fol. 5v:
Kalenderseite für November/
Dezember, in Rot: der Todestag
Bischof Bernwards (20. November)
vom Schreiber Guntbald zwischen 1014 und 1022 ausgeführt worden. Nachträglich wurde sie für den Gebrauch im Michaelisklosters modifiziert. Die Erwerbung
war allerdings nur möglich durch die finanzielle Beteiligung durch das Land Niedersachsen, die Kulturstiftung
der Länder, das Bistum Hildesheim, die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, die Weinhagen Stiftung Hildesheim und die Ernst von Siemens Kunststiftung. Dieses Ereignis führte zu einer verstärkten Kooperation
zwischen der alten Wolfenbütteler Bibliothek des Welfenhauses und Hildesheim, dem Bistum und der Stadt,
beflügelt durch die Tausendjahrfeier der Grundsteinlegung von St. Michael in Hildesheim im Jahre 2010. Dabei kam es zu dem Plan, mit einer Ausstellung auch in
Wolfenbüttel dieses Jubiläums zu gedenken und zugleich neue Einsichten aus jenem Forschungsprojekt
darzulegen, welches uns im Zusammenhang der Erwerbung von der Niedersächsischen Landesregierung
aus Mitteln des Niedersächsischen Vorab ermöglicht
wurde. So ist der die Ausstellung begleitende Katalog
zugleich ein Ergebnis neuer Forschungen zur Bildungsgeschichte des Mittelalters, zum Verhältnis von Gelehrsamkeit und geistlichem Leben, und er ist daher auch
als Forschungsbericht gedacht.
Mit unserem Bernward-Projekt rufen wir ganz bewusst auch die alten regionalen und europäischen Zusammenhänge auf, etwa die Sorge Karls des Großen, wie
man dieses rohe und halbungebildete Volk der Sachsen geistlich betreuen könne. Bald zeigte sich der, wie
es in einem Beitrag heißt, „traditionelle Antagonismus
zwischen dem Hildesheimer Bischof und den mächtigen welfischen Herzögen, deren Territorien das Hochstift geradezu umklammert hielten. Mit dem Quedlinburger Rezess von 1523, heißt es weiter, als vertraglichem Abschluss ging der größte Teil des Hochstifts (das
sogenannte ‚Große Stift‘) an die Welfenherzöge verlo-
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ren, übrig blieb nur noch das sogenannte ‚Kleine Stift‘
mit den Städten Hildesheim und Peine sowie 90 Dörfern
in den Ämtern Marienburg, Steuerwald, Peine und der
Domprobstei.“ Nun wollten wir 500 Jahre später nicht
zu einer Revision auffordern, zumal der Konflikt ja noch
viel älter ist. Als nämlich 1235 auf einem Mainzer Hoftag durch Privilegierung das Herzogtum Braunschweig-­
Lüneburg geschaffen wurde, ahnte der Hildesheimer
Bischof zu recht, was ihm da drohte, als er sogleich öffentlich gegen jede jurisdiktionelle Einmischung des
Herzogs in Belange der Diözese protestierte – und auch
erfolgreich war, bis zu dem erwähnten Quedlinburger
Rezess.
Natürlich geht die Geschichte des Bistums Hildesheim weiter zurück, bis in die Zeit der Christianisierung
der Sachsen in karolingischer Zeit, belegt etwa durch
die nur indirekt überlieferte Gründungsurkunde durch
Ludwig den Frommen aus dem Jahr 815. Doch die verlässliche Überlieferung von Urkunden setzt später ein,
und so ist eines der zentralen Zeugnisse die Fundatio
­ecclesiae Hildensemensis aus dem späten 11. Jahrhundert, die allerdings auch erst mit einer in Wolfenbüttel
erhaltenen Handschrift aus dem 16. Jahrhundert überliefert ist, und dann natürlich durch die von Bernward
selbst angeregten Codices. Von diesen Anfängen, in denen Reims die geistliche Patenschaft für Hildesheim ausübte, woher wohl auch der erste Hildesheimer Bischof
Gunthar kam, bis in die Zeit der Humanisten und der
Klosterreformen des 15. Jahrhunderts, spannt die Ausstellung einen Bogen. Sie orientiert sich an den Stiftungen des heiligen Bernward, auch an dem Bernward-Kult,
doch geht ihr Interesse weit darüber hinaus. Sie thematisiert die Ausdifferenzierung einer Ämterverfassung
und den Umbruch der Wissenschaftskonzeptionen im
12. Jahrhundert, die Anregungen der Frühscholastik in
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Nordfrankreich in jener Zeit und die Folgen der Krise der
Macht im Westen Europas, mithin den Vorabend der europäischen Neuzeit. Wie Zeugnisse der Buchkunst aus
Italien und von der Insel Reichenau in unsere Gegend
kamen, wird ebenso nachgezeichnet wie die Besonderheiten des Dom- und Kirchenbaus zur Schaffung von
Räumen für die Liturgie.
Besondere Aufmerksamkeit richten wir natürlich auch
hier auf die Bildungs- und Wissensgeschichte, eines unserer zentralen Forschungsgebiete. Dabei spielt die Bibliothek von St. Michael in Hildesheim als Bildungszentrum vom 11. bis zum 13. Jahrhundert (s. Abb. 2) ebenso
eine zentrale Rolle wie die Ordnung der Bücher und die
Geschichte der Sammlung und die Rolle der Bibliothek
für das Schulwesen und insbesondere dann auch die
Frage nach der Neuordnung des Wissens im 15. Jahrhundert. Nicht nur die Einflüsse und Anregungen aus
dem Westen, insbesondere aus Frankreich, galt es zu
thematisieren, sondern auch die Ausstrahlung etwa
in das Bistum Halberstadt. Die Codices wirkten weiter,
wurden auch weiter gereicht, kopiert und wechselten
ihren Ort im Zusammenhang mit den Veränderungen
der Wissensordnungen.
Im Rahmen der Ausstellung kann neben dem Stammheimer Missale (vgl. Abb. 4) wieder einmal unsere berühmteste Handschrift, das Evangeliar Heinrichs des Löwen (Abb. 3), gezeigt werden. Dass dabei der Materialität der Farben und den Maltechniken Aufmerksamkeit
gilt, eröffnet uns neue Einblicke in die Technik der Buchmalerei des Mittelalters. Denn so sehr mit den Büchern
auf Erden auch Schätze im Himmel erstrebt wurden, so
sollten diese Bücher doch auch Macht- und Geltungsansprüche untermauern, und sie waren auch als Geschenk
fürs Auge gedacht.
Nähe und ferner Traum
Gerhard Altenbourg, Erhart Kästner und die Schnepfenthaler Suite*
Malerbuchausstellung vom 24. September 2010 bis zum 31. Januar 2011
Eduard Beaucamp
Wir feiern in diesen Tagen die Wiedervereinigung
Deutschlands vor zwanzig Jahren. Vieles mag wiedervereinigt sein, die deutsch-deutsche Kunstgeschichte
ist es nicht. In der jüngeren Künstlerszene spielen der
Ost-West-Gegensatz und der divergierende Verlauf
der beiden Wege durch die Nachkriegszeit keine Rolle
mehr. Für die jungen Künstler ist er Geschichte. Diesem
kon­troversen Geschichtskapitel aber haben wir uns im
Westen noch keineswegs gestellt. Beherrscht ist es vom
Streit um Ideologien, Mentalitäten, Stile, Verfassungen
der Kunst. Die Akten über den Bilderstreit, eine Art ästhetischer Bürgerkrieg, der jahrzehntelang tobte, können noch keineswegs geschlossen werden.
Nach der Wende war die bundesrepublikanische
Szene im Hochgefühl ästhetischer und moralischer
Überlegenheit über die ostdeutschen Kollegen her* Die Schnepfenthaler Suite konnte mit Unterstützung der
Hans und Helga Eckensberger Stiftung 2010 für die HAB
erworben werden.
gezogen. Sie walzte alles nieder, was sie nicht kannte,
verstand und interessierte und was sie jahrzehntelang
nicht hatte wahrnehmen wollen. Es ging bei diesem
Streit auch um die Verteidigung handfester Interessen:
Man wollte den Kunstmarkt-Kuchen nicht teilen.
Vor einem Jahr, im Frühjahr 2009, entbrannte der
Kalte Kunstkrieg noch einmal in überraschender Schärfe
und Unversöhnlichkeit anlässlich einer Ausstellung zur
60-Jahr-Feier der Verfassung der Bundesrepublik im
Berliner Gropiusbau, welche die Kunst aus dem Osten
nach dem Motto: im unfreien Land gab es keine freie
Kunst, pauschal und schroff ausgrenzte. Und das in diesem Sommer wiedereröffnete, restaurierte Albertinum
in Dresden, das nach der Wende in die Hände von Westkuratoren geriet, marginalisiert die Malerei aus der DDR,
lässt die Bestände des Hauses im Depot und feiert statt
dessen mithilfe von Leihgaben in ganzen Saalfluchten
die sattsam bekannten Stars aus dem Westen, die bereits die Museen der alten Bundesrepublik fast monopolistisch beherrschen und die westlichen Kunstmärkte
Abb. 1: Feste Geschöpfe, in sich und leichtfüßig. Kaltnadelradierung von Gerhard Altenbourg, aus: Schnepfenthaler Suite 1985 –1988
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abgegrast haben. Die wenigen Westmuseen, die qualitätvolle Ostkunst-Bestände haben, voran, dank des Mäzens, die Ludwig-Museen in Köln, Aachen oder Oberhausen, haben diese Bestände nach der Wende ins Depot gesteckt oder, der Fall Oberhausen, ziemlich brutal
in den Osten zurückgeschickt und auf diese Weise entsorgt. Ausnahmen seien nicht unterschlagen: So widmete die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, die beste Adresse für Kunst der Moderne im
Lande, 2003 und 2005 Gerhard Altenbourg und dem
Maler Bernhard Heisig große Retrospektiven.
Soweit das Wort zur heutigen Lage der nach wie vor
geteilten Kunstnation. Altenbourg gehört eigentlich
nicht in dieses Streitkapitel. Als Zeichner und Graphiker
beansprucht er keinen Platz in den Schausammlungen
der Museen und wird nicht als Konkurrent angesehen.
Zum anderen zählte der Westen ihn, den halb­ab­strak­ten
Dissidenten, fast zur Westästhetik. Er fand in der Bundesrepublik, später auch in der DDR, sehr früh passionierte
Händler, Sammler und Apologeten: Sein beredtster, poetischster und inbrünstigster Anwalt wurde zweifellos Erhart Kästner, Direktor dieses Hauses in der Zeit von 1950
bis 1968. Dieser Schriftsteller und eher inspirierte als bürokratische Bibliothekar wollte das Bücher-Mausoleum
öffnen und in eine „Bibliotheca illustris“ verwandeln.
Als neue Spezialität in der großen bibliophilen Tradition
des Hauses hat Kästner die Pflege des modernen Malerbuches, des illustrierten Buches im 20. Jahrhundert,
eingeführt. Bereits auf der zweiten documenta in Kassel, 1959, überraschte seine wunderbare Sammlung die
Kunstwelt. Kästner hat für das graphische Kabinett der
Bibliothek erste Blätter von Altenbourg erworben und
legte damit das Fundament für die Sammlung, die Sie
heute hier im Malerbuchkabinett bewundern können.
Diese Initiative hat sich höchst fruchtbar ausgewachsen.
Kästners Nachfolger haben den Grundstock weiter ausgebaut. Noch im März dieses Jahres konnte die umfangreiche „Schnepfenthaler Suite“ erworben werden, die in
Einzelblättern (Abb. 1, 2 und 4) im Zen­trum der Ausstellung steht. Sie umfasst nicht weniger als 110 Blätter.
In den inquisitorischen ersten Jahren nach der Wende
wurde versucht, auch die Existenzen am Rande der DDR,
die Vertreter einer eigenwilligen Nischenkultur zu entzaubern und in Zweifel zu ziehen. Dass es solche Nischen
gab, ja dass sie die wahren Zentren und Energiequellen
einer schöpferischen Kultur in der DDR waren, bezeugt
kein zweiter Künstler so eindrucksvoll und vollkommen
aufrichtig wie Altenbourg, der im Übrigen eigentlich
Gerhard Ströch hieß. Er war in seinem verwunschenen
Haus und Garten am Rande von Altenburg in Thüringen
ein restlos introvertierter DDR-Bewohner, in rigiden Zeiten fast ihr Gefangener, der sich den Zumutungen der
Außenwelt bis zuletzt zu verweigern vermochte. Sein
Haus war ein inwendig fast utopischer Ort, an dem er
mitten im grauen und gleichförmigen Land eine Art bizarrer, anachronistischer Dandy-Existenz führte.
Abb. 2: Wenige Linien, die dem Blick unendlich viel Material sind. Kaltnadelradierung von Gerhard Altenbourg,
aus: Schnepfenthaler Suite 1985 –1988
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Altenbourg war der innere Emigrant schlechthin,
ein verschwiegener, aber unbeirrbarer Dissident, ein
ebenso unauffälliger wie heroischer Idylliker, der, so
schien es, lange allein mit seiner hermetischen Existenz
gegen dröhnende Doktrinen und Staatskünste antrat.
Er protestierte lautlos und gab seine freiwillige Isolation
auch dann nicht auf, als sich das ästhetische Klima liberalisierte, als der Eremit auch in der DDR zu seinem
Sechzigsten in großen Museumsausstellungen in OstBerlin, Leipzig und Dresden gefeiert und als Exportfaktor in den Staatsbilanzen der DDR-Kunst geschätzt
wurde. Altenbourg durfte anfangs nicht in den Westen,
auch nicht zur Eröffnung eigener Ausstellungen in den
Westen fahren. „Ich weine Tränen, dass ich diese Frucht
von 20 Jahren nicht sehen darf“. Das schreibt er noch
1969 anlässlich einer Ausstellung im Westberliner Haus
am Waldsee an Kästner. Später stellte der vorsichtige,
nach bösen Erfahrungen misstrauische Künstler nicht
einmal mehr Anträge für solche Reisen. Brücken, die
ihm gebaut wurden, um auszureisen, schlug er aus. Er
brauchte wohl auch die Einsamkeit, die feindliche Realität und den Widerstand – hier berührt man ein Rätsel der Kreativität, für den Kult der eigenen Sensibilität,
für seine Selbststilisierungen, die Verinnerlichungen
und Sublimierungskünste und für seine Zwiesprache
mit der thüringischen Landschaft, mit der Geistes- und
Kulturgeschichte. 1971 schreibt Kästner: „Er liebt ja auch
seine Gefangenschaft“, während seine Schwester „lieber heute als morgen übersiedeln“ würde. Altenbourg
wusste wohl auch, dass seine Nische, auf andere Weise,
auch im Westen durch den Druck zur Veräußerlichung
und den Kulturbetrieb bedroht gewesen wäre. Jedenfalls wurde Altenbourg mit der Zeit durch seinen geheimen Widerspruch und sein trotziges Ausharren zum ermutigenden Idol der Nonkonformisten in der DDR.
Der Künstler ist im Westen früh entdeckt worden, freilich zunächst nur im kleinen Kreis. Der Westberliner Galerist Rudolf Springer stellte ihn, vorerst ohne große Resonanz, schon 1952, 1956, 1961, schließlich 1964 aus.
Altenbourg hatte passionierte Freunde und Sammler
im Osten wie im Westen, die ihm über die öffentlichen
Aussperrungen, die Observierungen, Repressalien und
Schikanen hinweghalfen. Im Osten sammelte und förderte ihn vor allem Werner Schmidt, der Direktor des
Dresdner Kupferstichkabinetts. Im Westen verschaffte
ihm der Kunsthändler Dieter Brusberg, der ursprünglich in Hannover, später in Berlin arbeitete, den Durchbruch zur größeren Öffentlichkeit. In seiner Galerie in
Hannover stieß im Sommer 1968 Erhart Kästner auf den
Künstler, den er bis dahin eher nur flüchtig kannte. Sein
Blick fiel zuerst auf ein Blatt mit dem Titel „Im Tal“, das im
Treppenhaus hing und das ihn so fesselte und verzauberte, dass er es spontan erwarb.
Der Blick auf diese Zeichnung wurde zur Offenbarung. Das folgenreiche Erlebnis sollte den Schriftsteller die restlichen sechs Jahre seines Lebens tief bewegen. Kästner suchte bald den Kontakt zum Künstler.
Er schrieb ihm Briefe, studierte Porträtfotos und reiste
zu westdeutschen Sammlern und ihren Altenbourg-­
Originalen. „Großes Entzücken, großer Tag, unglaub-
Abb. 3: Nikoline Kästner und ihre Mutter, Anita Kästner, stehen mit dem Restaurator Adolf Flach vor den von ihm zur Zeit von
Erhart ­Kästner angefertigten Malerbuchschubern
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licher Eindruck“, schwärmt der berauschte Kästner, als
er die Blätter in der Frankfurter Sammlung Horst Magold sehen durfte. Für ihn tut sich hier ein „Rätseltraumbuch“ auf. „Lieber Herr Ströch“, schreibt er fast trunken
im F­ ebruar 1969, „ es ist fabelhaft schön, dass es Sie gibt.
Es ist ein großes Kapitel, das sich mir da aufschlägt, und
ein sehr geheimnisvolles, verschlüsseltes, einsaugendes, schmerzensreiches, bestandenes. Wir dringen da
tappend und forschend, bewundernd und ratend ein.
Wenn es so einfach wäre. Aber da sind viele Schichten,
Keller und Unterkeller und noch einmal etwas darunter.
Was sichtbar wird auf dem Papier, das ist durchdunstet
von dem, was aus den Gewölben aufsteigt: Verborgenes, Gehütetes, Verhehltes, Verschwiegenes, Gestandenes, Kostbares. Es geht Traumgewalt davon aus, ich erfahre, dass etwas davon in meine Träume eingeht. Das
nehme ich als ein mir wohlbekanntes, untrügliches Zeichen von Kraft, die sich in den Blättern versammelt und
davon ausgeht.“
Der beflügelte Kästner besuchte den Künstler schon
ein halbes Jahr später in Altenburg, was damals noch
ein Unternehmen war, abenteuerlicher als eine Reise in
fernste Ecken der Welt. Er malt dabei ein recht dämonisches Bild der DDR als Reich des Bösen mit Altenbourg
als Märtyrer und Lichtgestalt. Er wittert „Gestapoluft“
und sieht sich von „Folterknechten“ bedroht. Kästner
widmet dem Bewunderten im Folgenden zwei magistrale Essays und eine Rede, die in Werkverzeichnissen,
Katalogen sowie im großen Bildband des PropyläenVerlags mit dem Titel „Ich-Gestein“ von 1971 erscheinen. Es entwickelt sich eine Geschichte der gegenseitigen Faszination, die der Briefwechsel beider Partner dokumentiert.
Altenbourgs Kunst, die sich über Jahrzehnte in der
puren Phantastik eingerichtet hatte, überraschte,
bannte, begeisterte Kästner und ließ seine Sprache
aufblühen. Behutsam und beglückt erkundete er die
zweite, ja eigentliche Existenz des Künstlers in seinem
Werk, die Schichten und Verwerfungen des Altenbourgschen „Ich-Gesteins“, das Schatzhaus und Bergwerk einer Kunst, die sich der Magier und Narziss exquisit und
kostbar, leuchtend und labyrinthisch ausgebaut hatte.
Kästner glaubte stets an eine besondere Wirklichkeit
der Bilder. Altenbourgs Werk belebte in seiner Phantasie die Namen Thüringen und Weimar, deren Vorstellung sich im geteilten Land, was man heute kaum noch
nachvollziehen kann, zu verflüchtigen begannen.
Kästner stieß bei der Versenkung in die Blätter auf
innere Verwandtschaften und setzte seine Funde und
Abenteuer in üppige Metaphern und Sprachformen
um. Altenbourg spürte sofort das Verständnis und die
Nähe. Der Vielbelesene kannte Kästners Bücher und
seine Texte über Klee, Max Ernst, Bissier und nennt seinen Aufsatz über Werner Heldt, den hintergründigen
Berliner Veduten-Maler, „das schönste und hellste Stück
Prosa über einen Maler“. Altenbourg fühlte sich vollkom-
Abb. 4: Ob es erlaubt ist, an die Venus von Willendorf zu denken? Kaltnadelradierung von Gerhard Altenbourg,
aus: Schnepfenthaler Suite 1985 –1988
10
men und tief verstanden. Er gibt die Begeisterung zurück: „Es gibt Sätze und Formulierungen in ihrem Text“,
schreibt der Künstler, „die mich geradezu aufjauchzen
lassen“. Die gegenseitige Begeisterung schließt aber
hin und wieder nicht gewisse gekränkte Eitelkeiten und
auch kleine Mäkeleien aus.
Will Grohmann, einer der ersten Bewunderer, hat
einmal geschrieben, bei Altenbourg sei das Innen stets
gleichzeitig das Außen und das Außen immer das Innen. Kästner, der Dichter, wollte in den zarten Geologien
und Vegetationen auf Altenbourgs Blättern das Unterbewusste der Landschaft, ein „Begreifen von der Wurzel her“ entdecken, wie er schreibt. Es gibt eine bemerkenswerte historische Parallele zu dieser Diagnose: Der
französische Bildhauer David d‘Angers hatte ein Jahrhundert zuvor im Atelier Caspar David Friedrichs von
der Tragödie der Landschaft, die sich in den Bildern des
deutschen Romantikers offenbare, gesprochen.
Bei einem Künstler wie Altenbourg, das kann man
auch mit kühlem Kopf feststellen, behauptete sich, ja triumphierte die viel verdächtigte deutsche Innerlichkeit.
Diese Innerlichkeit überlebte in einer romantisch getönten, zeichnerischen Mentalität das Jahrhundert der Moderne und auch die Teilung der Nation. Sie verbindet so
konträre Figuren wie Wols, Oelze, Schultze, Tübke, Janssen, Carlfriedrich Claus und gerade auch Beuys. An dieser deutschen Nachkriegskunst beeindruckt im Rückblick nicht einmal so sehr, dass im einen Teil der Anschluss an einen verordneten Realismus, im anderen
Teil an eine bald normative westliche Moderne gesucht
wurde. Was mehr zählt, ist das Auftauchen und Überleben solch sensibler Individuen, das Phänomen ästhetischer Passionen.
Mit dem frühen Altenbourg der ersten Nachkriegszeit tat sich Kästner offenbar schwer. Der junge Künstler,
1926 als Sohn eines freikirchlichen Pfarrers zur Sanftmut
und Menschenliebe erzogen, war übrigens noch keineswegs weltflüchtig und lebensfremd. Er wird, nicht anders als Beuys und Heisig, von Kriegserlebnissen stigmatisiert. Altenbourg wurde als Achtzehnjähriger zum
Kämpfen und Töten gezwungen. Der grauenhafteste
Zwischenfall, die Tötung eines Rotarmisten mit dem Bajonett beim Kampfeinsatz im Riesengebirge, hat sich in
den gequälten, aufgebrochenen und zerrissenen Körpern auf seinen frühen, zum Teil monumentalen Zeichnungen niedergeschlagen. Die anfangs offene, später
latente Pathologie im Werk Altenbourgs ist also Folge
existentieller Erschütterungen und nicht das Produkt eines artifiziellen Manierismus. Die tiefe Verstörung wirkt
lange nach in Grotesken, Maskeraden, in den Erscheinungen eines verletzten, manchmal bandagierten Egos,
in den rätselhaften Fragebildern und leeren Köpfen der
Spätzeit, wo ein schweifendes und kreisendes Suchen
an die Stelle des Detaillierens und Verdichtens tritt.
Man verfehlt, glaube ich, die Eigenart dieser Kunst,
wenn man sie in den Systemen und Evolutionen der vor
allem abstrakten Westästhetik unterbringen möchte. Altenbourg war, wie Kästner sofort erkennt, ein moder-
ner „pictor doctus“. Die Idiome und Methoden der Moderne sind ihm geläufig. Der hoch gebildete Künstler
schürft in den Goldadern der Décadence und des Symbolismus, macht sich Prinzhorns Schatz psychopathologischer Bildnerei zunutze und verkehrt in einer imaginären Gesellschaft der Dadaisten und Surrealisten. Kästner reiht seinen Protagonisten darüber hinaus ein in die
exklusive Nachkriegsfamilie existenzialistischer und absurder Künstler, von Gestalten wie Beckett, Ionesco und
Giacometti. Er stellt sich vor, dass Wols Altenbourgs Blätter in die Hand genommen und in ihm seinesgleichen
erkannt hätte.
Aus zahllosen Fundstücken, Anregungen und Erinnerungen baut sich Altenbourg sein inneres Kunstuniversum, ein Spiegelkabinett de Moderne, zusammen. Schattenspuren von Schiele, Chagall und Feininger, von Meyer-Amden und Schlemmer durchziehen
das Werk. Auch die Maler des Informel und der psychischen Improvisation sind Hausgenossen in diesem Labyrinth des L‘art pour l‘art. In diesem Tempel zelebriert
Altenbourg seine Neurosen, Träume und Süchte. Seine
Abstraktion ist in einem elementaren, ja existentiellen
Sinn Absage an die Wirklichkeit. Der Künstler versenkt
sich mit allen Nerven und Sinnen ins Werk, betreibt hier
seine Selbst- und Weltfindung, verwebt Inneres und
Äußeres, Seelisches und Biologisches und schichtet die
Außenwelt, vor allem die inbrünstig beobachtete Natur
mit ihren Wachstumsgeheimnissen im Wechsel der Zeiten, nach Maßgabe seines Denkens, Empfindens und
Gestaltens um.
Aus dieser Situation leiten sich die Grundfiguren in
seinen Kompositionen ab, die zu Abkapselungen und
Verinselungen neigen. Die Körper und Köpfe, die landschaftlichen und architektonischen Formationen, die
teppichhaften Felder und schimmernden Farbmosaike
grenzen sich entschieden nach außen ab und erschließen dem Blick nach innen ein wimmelndes, funkelndes,
mikrobiologisches Seelenleben – einen inneren Orient.
Altenbourgs aufschließende Bildmethoden sind weniger die Spontaneität, die Improvisation oder der Automatismus der Surrealisten und ihrer abstrakten Epigonen in der Nachkriegskunst, vielmehr ein endloses,
spiralhaftes, dennoch planvolles, im Spätwerk manchmal auch leer laufendes Suchen – ein Graben, wie Altenbourg selbst sagt, ein Schürfen, Schichten, Verweben und Verdichten. In einem seiner schönsten Blätter
spricht Altenbourg im Titel von „Ich-Gestein“, das er mit
unendlich feinen Instrumentarien erkundet oder vielmehr erst erfindet.
So entwickelte sich ein einzigartiger Dialog zwischen
Kästner und Altenbourg, zwischen einem Schriftsteller
und einem Zeichner, zwischen zwei Poeten, die sich inein­
ander verspiegeln, die sich gegenseitig entdecken und
feiern. Dieses Gespräch mitten im Kalten Krieg schildert
Ferne und Nähe in einem verwirrten und zerrissenen Land
und beschreibt die äußeren Bedrängnisse und Kläglichkeiten, aber auch die verteidigte Freiheit, den inneren Reichtum und Glanz einer Künstlerexistenz in einer Diktatur.
11
Das Athen der Welfen
Die Reformuniversität Helmstedt 1576 –1810, Ausstellung vom 7. Februar bis 29. August 2010
Ulrike Gleixner / Jens Bruning
Fürsten wie Universität waren darauf bedacht, sich über
bildliche Repräsentation ins Gedächtnis der Nachwelt
einzuschreiben – wissend, dass erst die Überlieferung
nachhaltig Bedeutung verleiht. Die antike Symbolsprache liefert dabei die Vorlage für die eigene mediale Inszenierung. Die welfische Gründung als „Athen“ zu titulieren, schlägt den Bogen zur ruhmreichen ersten, von
Platon begründeten Akademie in Athen.
Zum Besuch von Herzog Ludwig Rudolph an der Universität entsteht ein Erinnerungsbild (Abb. 1), das antike
mythologische und emblematische Bezüge aufnimmt.
Links im Bild ist das Hauptgebäude, das Juleum Novum,
zu sehen, in der Mitte der antike Berg Helikon, der Sitz
der Musen, der nun in den Elmwald bei Helmstedt verlegt ist. In den Bienenkorb fliegen vogelähnliche Bienen. Die Vögel der Musen kündigen die Ankunft guter
Freunde an. Der Adler rechts symbolisiert Zeus als den
Vater der Musen.
Gründung und Entwicklung
Wie die protestantischen Universitätsneugründungen
des 16. Jahrhunderts folgte auch die Etablierung einer
Abb. 2: Stammbuch v. Eltzen, 1651 (1650 –1658). Als der Theologie­
student Conrad Friedrich von Eltzen aus Celle 1651 an die Universität Helmstedt abreist, verewigt sich sein Bruder Balthasar im
Stammbuch. Neben dem Familienwappen reichen sich die beiden
zum Abschied die Hand: Die brüderliche Verbundenheit, durch
die Kette und das flammende Herz symbolisiert, kann nur durch
den Tod gesprengt werden.
Hochschule in Helmstedt den konfessionspolitischen
Entscheidungen des Landesherrn. War das Fürstentum
Braunschweig-Wolfenbüttel unter Herzog Heinrich dem
Jüngeren lange Zeit ein katholischer Brückenkopf im
Norden des Alten Reiches, führte dessen Sohn Julius
unmittelbar nach dem Regierungsantritt im Jahr 1568
die Reformation in seinem Territorium ein. Ein zentrales
Problem bei der Verankerung der neuen, lutherischen
Lehre war die Ausbildung von bekenntnistreuen Geistlichen und Beamten und so begann der Landesherr frühzeitig auch mit dem Aus- und Umbau des Schul- und
­Bildungswesens.
Bereits im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens konnte
eine große Anzahl Studenten an die Neugründung gelockt werden: Mit durchschnittlich 250 Einschreibungen
pro Jahr lag die Academia Julia schlagartig über dem
Durchschnitt aller Universitäten im Alten Reich; bei aller Vorsicht vor solchen Schätzungen wird man davon
ausgehen können, dass die kleine Stadt Helmstedt mit
ihren ca. 2.500 bis 3.000 Einwohnern zu dieser Zeit bereits an die 500 Studenten beherbergte.
Universität, Stadt und Professorenhaushalt
Abb. 1: Diptychon: 1. Ankunft von Herzog Ludwig Rudolph
mit Gefolge in Helmstedt, 1731
12
Aus der mittelalterlichen Tradition bilden Universitäten
einen privilegierten, eigenen Rechtsraum gegenüber
der Stadt. Das Spezialprivileg für die Universität Helmstedt von 1592 legt fest, wer rechtlich zum Universitätsbürgertum gehört – neben den Studenten die Professoren mit Ehefrauen und Kindern, der Universitätsdru-
cker, Buchbinder, Wirt, Apotheker, Fechtmeister und die
Pedelle der Universität. Die Häuser, Gärten und alle bewegliche Habe der Genannten sind steuer- und abgabenfrei und Universitätshaushalte beziehen Wein und
Bier steuerfrei. Man kann sich denken, dass bei dieser
Privilegierung und Ungleichheit das Verhältnis von Universitäts- und Stadtbürgern stets angespannt blieb. Die
Akten dokumentieren unzählige Auseinandersetzungen zwischen beiden – auch Trinkgelage der Studenten auf dem Helmstedter Marktplatz boten Anlass zum
Streit (Abb. 3).
Durch Zimmervermietung an Studenten und vor allem durch deren Beköstigung trugen Professorenfrauen
maßgeblich zum Familieneinkommen bei.
Wir dürfen in diesem Zusammenhang noch einmal
auf unser vom Land Niedersachsen gefördertes Forschungs- und Erschließungsprojekt zur Wissensproduktion an der Universität Helmstedt verweisen. Vorlesungsverzeichnisse, Dissertationen und vieles mehr sind
über unser Internetportal zur Universität Helmstedt recherchierbar und am Ende der Projektlaufzeit werden
drei neue Studien zur Universität Helmstedt vorliegen.
Abb. 4: Georg Calixt, Kupferstich von Christian Romstet,
HAB: Portr. II 808
schen Verwaltung stark überdimensioniert und finanziell nicht tragbar erschien. Erneut erwies sich die geographische Nähe zu Halle und Göttingen als problematisch, denn natürlich hatten diese beiden Hochschulen
aufgrund ihrer glanzvollen Entwicklung im 18. Jahrhundert große Vorteile, einer Auflösung zu entgehen.
Helmstedt war schließlich Teil des großen Universitätssterbens um 1800, in Zuge dessen nahezu die Hälfte aller Hochschulen des Alten Reiches aufgehoben oder
mit anderen Einrichtungen zusammengelegt wurde.
Am 1. Mai 1810 endete dann die nahezu 240jährige
Geschichte der Helmstedter Academia Julia.
Abb. 3: Trinkszene aus dem Stammbuch von Friedrich Christian
Fricke, 1754
Die Reformuniversität
Die bekanntesten und vielleicht herausragendsten Leistungen der welfischen Hochschulgründung liegen auf
den Gebieten der Theologie mit der Etablierung einer irenisch-toleranten Haltung des Luthertums durch
­Georg Calixt (Abb. 4) und seine Nachfolger (der sogenannte „Helmstedter Geist“) sowie der Begründung der
deutschen Rechtsgeschichte durch Hermann Conring
(Abb. 5).
Das Ende der Universität war vor allem von politischen Faktoren bestimmt: Nach dem Frieden von Tilsit 1807 wurde eine umfangreiche territoriale Neuordnung der Gebiete westlich der Elbe vorgenommen,
und als neuer französischer Modell- und Satellitenstaat
entstand das Königreich Westphalen mit der Hauptstadt Kassel, in das auch Braunschweig-Wolfenbüttel integriert wurde. Das neue Staatsgebilde verfügte
mit Marburg, Helmstedt, Rinteln, Halle und Göttingen
über gleich fünf Volluniversitäten, was der französi-
Abb. 5: Hermann Conring, Gemälde,
Öl auf Holz, 1665, HAB: B 34
13
Hinter den Kulissen der Friedenspreisverleihung
Widerreden – 60 Jahre Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, Ausstellung vom 26. Juli bis
7. August 2010
Martin Schult
Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen die Geschichte
und die Werte des Friedenspreises, aber vor allem die
Persönlichkeiten der Friedenspreisträger und ihrer Laudatoren. Sechzig Fotografien haben wir aus dem umfangreichen Archiv herausgesucht, um dem Betrachter
den Preis, seine Preisträger und den historischen und
gesellschaftlichen Kontext zu veranschaulichen.
Das Jahr 2003 war ein Jahr des tatsächlichen Krieges.
US-amerikanische und britische Truppen marschierten
im Irak ein und stürzten Sadam Hussein. Deutschland
beteiligte sich nicht an der Besetzung, was zu großen
Verstimmungen mit den USA führte.
Der Stiftungsrat des Friedenspreises wählte in diesem Jahr Susan Sontag zur Preisträgerin, übrigens eine
von insgesamt nur sieben Frauen! Das Foto von der ersten Reihe in der Paulskirche zeigt sie, wie sie mit intensivem Blick als einzige zum Fotografen schaut (Abb. 1).
Es ist eine der letzten Aufnahmen von Susan Sontag, die
vier Monate später ihrem Krebsleiden erlag.
Bis auf Kulturstaatsministerin Christina Weiss waren
keine weiteren hochrangigen Politiker oder Diplomaten bei der Preisverleihung anwesend, weder von deutscher noch von US-amerikanischer Seite. War ein Fernbleiben aus US-amerikanischer Sicht noch verständlich,
schließlich war Susan Sontag eine der prominentesten
Gegnerinnen des Irak-Krieges, wurde das Fehlen der
deutschen Politik stark kritisiert.
Mein Lieblingsbild in der Ausstellung ist das Foto
von der Verleihung an Nelly Sachs aus dem Jahr 1965
(Abb. 2). Der Fotograf nahm durch die Wahl seines
Standorts sowohl die Preisträgerin als auch das Publikum ins Visier in dem Moment, als Nelly Sachs vom damaligen Börsenvereins-Vorsteher Friedrich Wittig die
Urkunde erhielt: eine kleine Frau mit schüchternem, fast
ängstlichen Blick vor der Kulisse von großen, in schwarzen Anzügen steckenden Männern. Fast dreißig Jahre
war die während der Nazizeit verfolgte und gerade noch
rechtzeitig ins schwedische Exil geflohene Dichterin
nicht mehr in Deutschland gewesen. Frau Assmus, die
mehr als 30 Jahre für die Organisation des Friedenspreises zuständig gewesen ist, erzählte mir von dem Sessel in der ersten Reihe, der für die kleine Dame so hoch
war, dass sie ganz nach vorne rutschen musste, um mit
den Füßen den Boden zu erreichen. Sie berichtete von
der Wärme, die die ernst dreinschauenden Männer der
Preisträgerin entgegenbrachten und so die Nervosität,
die aufgrund der unbequemen Sitzhaltung für sie fast
nicht mehr auszuhalten war, etwas milderten. Die Entscheidung von Nelly Sachs, vor diesem Publikum keine
Rede über Krieg und Frieden zu halten, sondern ein ex-
Abb. 1: Susan Sontag bei der Verleihung des Friedenspreises 2003. Foto: Werner Gabriel / Friedenspreis-Archiv
14
tra für diesen Anlass geschriebenes Gedicht vorzutragen, war richtig und beeindruckend. Es gab der Dichterin die Sicherheit, in ihrem Element zu sein und ver-
deutlichte den beiwohnenden Gästen, wie vielfältig die
Erinnerung an die Verbrechen gegen die Menschheit
sein kann.
Einer wird den Ball
EINER
wird den Ball
aus der Hand der furchtbar
Spielenden nehmen.
Sterne
haben ihr eigenes Feuergesetz
und ihre Fruchtbarkeit
ist das Licht
und Schnitter und Ernteleute
sind nicht von hier.
Weit draußen
sind ihre Speicher gelagert
auch Stroh
hat einen Augenblick Leuchtkraft
bemalt Einsamkeit.
Einer wird kommen
und ihnen das Grün der Frühlingsknospe
an den Gebetmantel nähen
und als Zeichen gesetzt
an die Stirn des Jahrhunderts
die Seidenlocke des Kindes.
Hier ist
Amen zu sagen
diese Krönung der Worte die
ins Verborgene zieht
und
Frieden
du großes Augenlid
das alle Unruhe verschließt
mit dem himmlischen Wimpernkranz
Du leiseste aller Geburten
Abb. 2: Nelly Sachs bei der Verleihung des Friedenspreises in der Frankfurter Paulskirche 1965.
Foto: Klaus Meier-Ude / Friedenspreis-Archiv
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Arno Piechorowski: Handpressendrucke der Aldus-Presse Reicheneck
Malerbuchausstellung vom 30. April bis 19. September 2010
Aufgabe des Handpressendruckers ist es, aus den Elementen Text,
Bild, Schrift, Druckfarbe, Papier und Einband eine Einheit zu schaffen, die selbstverständlich überzeugt und zeitlosen Wert anstrebt.
(G. Mardersteig)
Die Aldus-Presse Reicheneck ist eine Handpresse. Der
Pressendrucker, Arno Piechorowski, Jahrgang 1930, gestaltet Texte, die ihm wichtig sind, mit Bleilettern aus
dem Gutenberg-Zeitalter und druckt sie in kleinen Auflagen von Hand.
Aus der Zusammenarbeit mit Schriftstellern, Illustratoren und Buchbindern entstehen so Bibliophile Editionen als Prachtausgaben, Quart- und Oktavausgaben,
Mappenwerke mit Lesebildern, Bibliophile Hefte und
Einblattdrucke. Von 1980 bis 2010 erschienen 120 Ausgaben, für Freunde, Liebhaber und Sammler bestimmt
und immer wieder auch in Buchkunst-Ausstellungen
gezeigt. Einen Teil dieses Gesamtwerks zeigte die Herzog August Bibliothek im Malerbuchsaal.
Abb. 1: Am Abend der Ausstellungseröffnung im Malerbuchsaal
Abb. 2: In Rot: Die Heimkehr zu Penelope. Aus Homers Odyssee nach dem Text von Heinz Schwitzke mit Bildornamenten von Hans Ohlms.
Gedruckt von Arno Piechorowski, Aldus-Presse, 1985
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Arbeitsgespräche 2010 (Auswahl)
Dis/simulatio und die Kunst der Maske,
Maskerade, Verstellung und Täuschung im
Barock
Leitung: PD Dr. Christiane Kruse (Marburg),
3. bis 5. März 2010
Seit der Antike sind Illusion, Verstellung und Täuschung
Begriffe, die Maskerade und Rollenspiel kennzeichnen.
Die Maske ist das Instrument, das Verborgenes oder Abwesende sichtbar macht, das überdeckt oder unkenntlich macht und das vor allem der Produktion der Identität ihres Trägers dient. Die Referate fragten danach,
welche Beziehungen zwischen der Maske und der damit verbundenen Rolle sowie der Identität des Trägers
bestehen. Mit Maske und Maskerade vermag der Akteur
bestimmte Aspekte zu betonen, sich neu zu erfinden,
Intentionen und Gefühle hervorzuheben, sein „Image“
zu formen. Rollenübernahme ist aber nicht nur eine Sache des Theaters und des Porträts, sondern ein soziales Handlungsmuster, eine Verhaltensweise – eine Kulturtechnik schlechthin –, die der Mensch beherrschen
Abb. 1: Diese groteske Maske ist Teil einer Folge (1601–1675), deren Zeichner Giulio Romano und deren Stecher möglicherweise
Lucas Vorsterman d. J. ist. HAB: Graph. A1: 1476a
muss, um etwa bei Hof oder sonst in der Gesellschaft zu
reüssieren. In der frühneuzeitlichen Kunst und im Theater wurde einerseits die Simulatio als Möglichkeit des
kreativen Spiels mit der Illusion diskutiert. Dem stand
besonders in der Aufklärung eine Kritik der Maske gegenüber, die die „Natürlichkeit“ des Menschen betonte
und Maske und Maskerade als Täuschung diskreditierte.
Kristina Steyer, Mainz/ Wolfenbüttel
„Der Lenker und höchste Leiter der
Universitäten und Kirchen“.
Melanchthons Werke und Briefe –
Überlieferung und Wirkung in Wissenschaft
und Kirche bis zum Ende des 16. Jahrhunderts
Leitung: Prof. Dr. Dr. Johannes Schilling (Kiel);
Prof. Dr. Timothy Wengert (Philadelphia),
25. bis 27. Mai 2010
Philipp Melanchthon gehört zu den prägenden Gestalten der Geschichte der Bildung in Deutschland und Eu-
Abb. 2: Holzschnitt-Illustration aus: Philipp Melanchthon: In Evangelium Ioannis, annotationes, Tübingen 1523, HAB: Graph. Res. C:
186.74. Der Rahmen enthält Szenen zur Wandlung vom Saulus
zum Paulus.
17
ropa. Im Rahmen der Lutherdekade in der Vorbereitung
auf das Reformationsjubiläum 2017 figuriert das Jahr
2010 unter dem Thema „Reformation und Bildung“. Angesichts der herausragenden Bedeutung, die die Herzog
August Bibliothek für die Überlieferung und Erschließung von Melanchthons Werk hat, war es naheliegend,
ein Arbeitsgespräch in der Bibliothek zu veranstalten,
das Überlieferung und Interpretation dieses Werkes, Befund und Deutung miteinander verknüpft. Die gemeinsame Tagung von ausländischen und deutschen Wissenschaftlern, erfahrenen Melanchthon­forschern und
Nachwuchswissenschaftlern, hat sich als ausgesprochen fruchtbar erwiesen.
Prof. Dr. Dr. Johannes Schilling
Der Deismus in Europa
Leitung: Prof. Dr. Winfried Schröder (Marburg) und Prof.
Dr. Lothar Kreimendahl (Mannheim),
14. bis 16. Juni 2010
Der Deismus gehört zu den philosophie- und theologiegeschichtlichen Strömungen der Neuzeit, die in besonderem Maße zu der Überwindung der vormodernen Welt in der Zeitspanne zwischen dem späten 16.
und dem 18. Jahrhundert beigetragen haben. Seine
Leitideen – die Suffizienz einer um moralische Vorschriften zentrierten ‚natürlichen’ Religion, die aus bloßer Vernunft zugänglich ist, die Überflüssigkeit einer
übernatürlichen Offenbarung und die daraus abgeleitete Forderung nach Toleranz und Denkfreiheit – weisen ihn geradezu als „die Religionsphilosophie der Aufklärung“ (Ernst Troeltsch) aus. Obwohl seine maßgebliche Rolle seit langem bekannt ist, fehlt es an einem
umfassenden und differenzierten Gesamtbild des Deis-
18
mus. Es schien also an der Zeit, Spezialisten des In- und
Auslandes in einem Arbeitsgespräch zusammenzuführen, für das die Bibliotheca Augusta – man denke nur
an die Wolfenbütteler Fragmente des Hermann Samuel
Reimarus, eines Deisten von europäischem Rang – den
angemessenen Rahmen bot.
Prof. Dr. Winfried Schröder
Helden in der Renaissance –
Jahrestagung des Wolfenbütteler
Arbeitskreises für Renaissanceforschung
Leitung: Prof. Dr. Achim Aurnhammer (Freiburg) und
Prof. Dr. Manfred Pfister (Berlin),
4. bis 6. Oktober 2010
In seiner Einführung stellte Manfred Pfister für die Frühe
Neuzeit eine Pluralisierung des Heroischen heraus, die
mit dessen Prägnanzverlust einhergeht. Bezeichnet der
‚Heros‘ in der griechischen Antike einen ‚Halbgott‘ , der
zwischen Göttern und Menschen vermittelt und sich
vor allem im epischen Kampf auszeichnet, so kann im
16. Jahrhundert schon jeder als Held gelten, der sich einer großen Aufgabe, auf welchem Gebiet auch immer,
mutig stellt; seit dem späten 17. Jahrhundert, in England seit Dryden, heißt ‚Held‘ schließlich nicht mehr nur
derjenige, dem eine übermenschliche Tat zugeschrieben wird, sondern der Protagonist jeglichen Romans
oder Dramas. Der unterschiedliche Gebrauch des Begriffs ‚Held’ in der Renaissance spiegelt die Proliferation
des Heroischen in den Bereichen Kriegswesen, Politik,
Religion oder Kunst und Wissenschaft wider, dem die
Tagung nachzuspüren suchte.
Prof. Dr. Achim Aurnhammer und
Prof. Dr. Manfred Pfister
Neuerwerbungen 2010 (Auswahl)
Sammlung Deutscher Drucke 1601–1700 und Handschriftenabteilung
Abb. 1 und 2: Christoph Dambach: Büchsenmeisterey. Das ist … gründliche Erklärung deren Dingen, so einem Büchsenmeister … zu wissen von nöthen, Darmstadt, Frankfurt/ M. 1615, HAB: Xb 9473
Abb. 1 und 2:
In dieser dritten, nur in wenigen Exemplaren überlieferten Ausgabe des Artilleriehandbuchs von Christoph
Dambach beschreibt dieser nicht nur, woraus Gewehrkugeln zu bestehen haben, sondern teilweise richtig
blumig, wie das Feuer aus Kugeln austritt. Die frühen
Anleitungen zur Feuerwerkerei schmückt er mit vielen
anschaulichen Bilder und Details. Das Kriegerische des
Büchsenmachens tritt so immer mehr in den Hintergrund, viel wichtiger wird das Spiel mit dem Feuer.
19
Abb. 3:
Der Spezialatlas über das Erzbistum Mainz konnte in einer kolorierten Ausgabe erworben werden und ist deshalb besonders beeindruckend. Alle Seiten zeigen Landkarten des Gebiets Hessen in den prächtigsten Farben.
In deutschen Bibliotheken ist nur ein weiteres Exem­plar
bekannt. Hier hält ein himmlisches Wesen Zirkel und
Maßstab und betrachtet von einer Wolke aus das Hessen-Land mit dem Stadtwald und seinen Flüssen.
Abb. 4:
Das Konvolut von Handschriften aus dem 17. Jahrhundert stammt aus der ehemaligen Adelsbibliothek der
Familie von Nostitz. Die Curt Mast Jägermeister Stiftung hat es antiquarisch erworben und stellt diesen
Schatz der Wolfenbütteler Bibliothek als Dauerleihgabe für Forschung und Ausstellungen zur Verfügung.
Die Handschriften geben Zeugnis für die adlige und literarische Kultur zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges.
Die weit verzweigte Familie von Nostitz war in den damals kaiserlich-habsburgischen Ländern Schlesien, Lausitz und Böhmen beheimatet, und ihre Bibliothek gehört zu den bedeutendsten zeitgenössischen Sammlungen deutscher Barockliteratur. Seit ihrer Auflösung
Ende des 19. Jahrhunderts sind die Handschriften und
Drucke weit verstreut.
„Der Erwerb dieser handschriftlich erhaltenen Quellen aus der Sammlung Nostitz kann als ein besonderer
Glücksfall verstanden werden“ erläutert Stiftungsvorstand Florian Rehm. Die Stücke enthalten u. a. Gedichtmanuskripte von Autoren wie Abschatz und Mühlpfordt, lateinische und deutsche Satiren auf Herrscher
und Schulmeister und Quellen zum Schulalltag. Ferner
finden sich Abschriften eines Briefes des Generals Tilly
sowie eines Briefes des Kurfürsten Maximilian I. von Bayern, die Einblicke in Verhandlungen während des Dreißigjährigen Krieges geben.
Abb. 3: Nicolaus Person: Novae Archiepiscopatus Moguntini Tabulae, Mainz ca. 1690, HAB: Xb 2° 108
20
Abb. 4: „Schwaben Dienst“, satirisches Lied zu Neujahr 1689, HAB: Cod. Guelf. 164 Noviss. 2°
Abb. 5 und 6 (S. 22)
Diese äußerst seltene Ausgabe des mehrfach aufgelegten Hausvaterbuches aus der Osnabrücker Druckerei
Schwänder enthält neben ausführlichen Kochrezepten
auch sehr viele Bilder zur Gestaltung von Gärten. Die
Ornamente nehmen kunstvolle Formen an, Kränze und
Sterne, eingebettet in Raster und Labyrinthe. Die „Modelle der Blumenfelder“ rechts mit ihren symme­trischen
Mustern erinnern an gefaltet ausgeschnittene und dann
aufgeklappte Papiere.
Abb. 7 und 8 (S. 22)
Der in keinem weiteren Exemplar nachweisbare astronomische Kalenderband von Hermann von Werve für
das Jahr 1647 enthält handschriftliche Eintragungen
der hessischen Adelsfamilie von Baumbach aus Nassau­
fürth. So erfahren wir, dass am 6. August der Filius barbiert wurde. Ein Terminkalendereintrag wie aus unserer
Zeit.
21
Abb. 5 und 6: Der Vermehrte und vielverbesserte Sorgältige Haußhalter, Osnabrück 1678, HAB: Xb 9368
Abb. 7 und 8: Hermann von Werve: Alter und neuer Schreib-Kalender auff das dritte nach dem Schalt Jahr ...
M.DC.XL.VII, Nürnberg 1646, HAB: Xb 9317
22
Lessingpreis 2010
Verleihung an Kurt Flasch und Fiorella Retucci am 2. Mai 2010
Helwig Schmidt-Glintzer
Meine sehr verehrten Damen, meine Herren,
Die Lessing Akademie Wolfenbüttel verleiht heute zum
sechsten Mal den von der Stiftung NORD/LB ∙ ÖFFENTLICHE ausgelobten Lessing-Preis für Kritik in der Herzog
August Bibliothek Wolfenbüttel, an dem Ort, an dem
Gotthold Ephraim Lessing die letzten Jahre seines Lebens wirkte. Jeweils zu Anfang Mai ist hier alle zwei
Jahre dieser Preis verliehen worden:
– 2000 an Karl-Heinz Bohrer
– 2002 an Alexander Kluge
– 2004 an Elfriede Jelinek
– 2006 an Moshe Zimmermann
– 2008 an Peter Sloterdijk
Heute nun geht der Preis an Kurt Flasch, der für den Förderpreis die Philosophiehistorikerin und Handschriftenexpertin Fiorella Retucci benannt hat.
Ich begrüße Sie alle herzlich und danke Ihnen für Ihr
Kommen. Zuvörderst danke ich den Preisträgern, dass
sie die Bereitschaft erklärt haben, den Preis anzunehmen, Herrn Professor Dr. Kurt Flasch, den ich mit seiner Lebensgefährtin Ruth Gesser begrüße, und Frau
Dr. ­Fiorella Retucci, Trägerin des Förderpreises.
Der Lessing-Preis für Kritik hat viele Väter. Ihnen ist zu
danken, vor allem aber der STIFTUNG NORD/LB ∙ ÖFFENT­
LICHE und ihren Vertretern, welche die Verleihung weiterhin ermöglichen. Die Stiftung NORD/LB ∙ ÖFFENTLICHE möchte nach eigenem Bekunden über diesen im
Bereich ihres Stiftungszieles „Positionen“ angesiedelten
Preis den geisteswissenschaftlichen Forschungsstandort Wolfenbüttel stärken und dazu beitragen, Lessings
Gedanken in Gegenwart und Zukunft zu überführen. Ich
danke dem Vorstand der Stiftung und den Mitgliedern
des Kuratoriums, ist doch dieses Unternehmen ganz im
Abb. 1: Kurt Flasch und seine Lebensgefährtin Ruth Gesser,
im Hintergrund Helwig Schmidt-Glintzer
Sinne der Herzog August Bibliothek als Forschungs- und
Studienstätte für europäische Kulturgeschichte.
Zwischen der Entscheidung der Jury, Ihnen, lieber
Kurt Flasch, den Lessing-Preis für Kritik zuzuerkennen,
lag nicht nur Ihr 80. Geburtstag am 12. März 2010 mit
zahlreichen öffentlichen Würdigungen, sondern es erschien Ihr Buch über Meister Eckhart: Philosoph des
Christentums bei C. H. Beck.
Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen, Ihnen, lieber Herr Flasch, zu danken, der Sie über lange Jahre die
Herzog August Bibliothek beraten und sie damit in ihrer wissenschaftlichen Ausrichtung geprägt haben. Sie
haben als Mitglied des seinerzeitigen Wissenschaftlichen Beirates bei den Stipendienauswahlsitzungen
mitgewirkt – und es ist nicht zuletzt Ihnen zu verdanken, dass die Herzog August Bibliothek in den letzten
Jahren ihr Forschungsinteresse über die Barockzeit hinaus ins Mittelalter ausgedehnt hat. Lessings BerengarStudien können so ihre Fortsetzung finden, und wenn
wir bis zur Bibliothek des Heiligen Bernward von Hildesheim zurückgehen, wenn wir ferner die mittelalterlichen
Klosterbibliotheken Niedersachsens in Kooperation mit
der Universität Göttingen erforschen, dann ist das auch
Ihnen zu verdanken – und auch unseren Beziehungen
zur Wissenschaftstradition Italiens, von wo auch immer
wieder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommen. So
war es für uns dann auch keine Überraschung, dass Sie
Frau Retucci für den Förderpreis vorschlugen.
Als mir 1989 mein damaliger Assistent Achim Mittag, der mich bei einer Konferenz über Lebenswelt und
Weltanschauungen im China des 12. Jahrhunderts in
der Werner Reimers Stiftung unterstützt hatte – es ging
um die Frühe Neuzeit in China –, ein Büchlein mit dem
Titel „Aufklärung im Mittelalter? Die Verurteilung von
1277. Das Dokument des Bischofs von Paris, übersetzt
und erklärt von Kurt Flasch“, schenkte, wusste ich nicht,
dass sich unsere Wege bald kreuzen würden. Aber damals wurde mir klar, dass es nicht nur viele chinesische Texte gibt, die man noch ins Deutsche übertragen
sollte, sondern auch viele Texte aus dem Mittelalter, von
dem wir doch wissen, dass es die Vorgeschichte unserer Zeit ist. Dass bereits die „Krise des 12. Jahrhunderts“
eine prägende Kraft für die folgenden europäischen Regierungstraditionen bildet, ist heute Allgemeingut der
Wissenschaft1 – und doch noch weithin unbekannt, weil
1 Thomas N. Bisson, The Crisis of the Twelfth Century. Power, Lordship, and the Origins of European Government,
Prince­ton U. P. 2009.
23
daher bin ich Ihnen dankbar, dass Sie die von mir mit
herausgegebene Zeitschrift für Ideengeschichte als Beiratsmitglied begleiten.
Es geht Ihnen, wie bei Eckhart, um Wissen und um Offenbarung, und darum ging es zu seiner Zeit auch Lessing, wenn er um 17764 schreibt:
Denn was Philosophen sogar ein wenig nachsehend und parteiisch gegen Enthusiasten und Schwärmer macht, ist, dass sie, die
Philosophen, am allermeisten dabei verlieren würden, wenn es
gar keine Enthusiasten und Schwärmer mehr gäbe. [...] weil auch
der Enthusiasmus der Spekulation für sie eine so reiche Fundgrube neuer Ideen, eine so lustige Spitze für weitere Aussichten
ist.5
Wenn Sie, lieber Herr Flasch, einmal bei einer Debatte
mit Kardinal Ratzinger 1999 an der Sorbonne zu dem
namenlosen Leiden der Menschen im 20. Jahrhundert
bemerkt haben, diese Menschen hätten weniger gelitten „an der Anarchie der Überzeugungen als unter den
Versuchen, Wahrheit als Einheit zu organisieren und administrieren“,6 dann haben Sie wie Lessing für die Kühle
des Blicks und zugleich für das Prinzip der Freundlichkeit plädiert. So heißt es in der Duplik von 1778:
Abb. 2: Im Hintergrund der Mentor und Lessing-Preisträger Kurt
Flasch, vorne die von ihm ernannte Förderpreisträgerin Fiorella
Retucci
sich zu viele noch dem Diktum Hegels unterwerfen, der
sagte: „Es ist nun keinem Menschen zuzumuten, dass er
diese Philosophie des Mittelalters aus Autopsie kenne,
da sie ebenso umfassend als dürftig, schrecklich geschrieben und voluminös ist.“2
Das war nicht Ihre Devise, lieber Herr Flasch. In der
Grundhaltung, die Sie einmal in den Satz fassten: „wer
philosophiert, ist meist unzufrieden mit den Welterklärungen, die er vorfindet“, haben Sie sich von Hegels Diktum nicht schrecken lassen, sind nicht den Mühen der
Philologie ausgewichen. Sie haben uns, wie anlässlich
Ihres 80. Geburtstages zu lesen war, „ein neues Mittelalter geschenkt“ und haben dabei „einen neuen Stil der
Philosophiegeschichte entwickelt“. Dabei stehen Sie
mit Ihrem Witz und Ihrer Gelehrsamkeit mitten im Gespräch der Gegenwart.3 Sie wurden, wie Jürgen Kaube
in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schrieb, zu einem „Landnehmer“ der Ideengeschichte vor 1600 – und
Ein Mann, der Unwahrheit, unter entgegengesetzter Überzeugung, in guter Absicht, eben so scharfsinnig als bescheiden
durch­zusetzen sucht, ist unendlich mehr wert, als ein Mann, der
die beste edelste Wahrheit aus Vorurteil, mit Verschreiung seiner
Gegner, auf alltägliche Weise verteidiget.7
Nun ist diese Haltung Lessings nicht einfach durchzuhalten – und doch ist sie die Grundhaltung jener Offenheit für Kritik, die uns so Not tut. – Schon seine Zeitgenossen haben dies erkannt, wie Herder im Nachruf
von 1781 bezeugt, der von Lessings „philosophischem
Scharfsinn“ spricht und von seiner „Leidenschaft“, die
daraus entstehe, dass „man keiner Leidenschaft, keinem
Trug unterworfen sein will“.8
In diesem Sinne heiße ich Sie alle in der Bibliothek
Herzog Augusts sehr herzlich willkommen.
Dass solche Kritik und ihre Begründung weiter möglich ist und dass die Herzog August Bibliothek als Quelle
für das Mittelalter auskunftsfähig ist und bleiben wird –
nicht zuletzt dank ihres demnächst beginnenden Ausund Umbaus – das sagte ich bereits 2008 –, darüber bin
ich sehr froh. Ich gehe davon aus, dass diese Aussicht
des nahenden Ausbaues auch so bleibt und wir nicht
einbezogen werden in die neuerlichen Einsparungen
im Hochbauprogramm der Landesregierung: Das wäre
dann tatsächlich ein Verhängnis!
1
2 Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Band II (Theorie Werkausgabe Bd. 19), Frankfurt/ Main 1971, S. 541.
3 Siehe Gustav Seibt, Die leibliche Begabung zur Geschichte. Zum 80. Geburtstag von Kurt Flasch, dem urbansten philosophischen Schriftsteller Deutschlands, in: Süddeutsche Zeitung Nr. 59 (12. März 2010), S. 13.
4 Zu der Frage „Wird durch die Bemühung kaltblütiger Philosophen und Lucianischer Geister gegen das, was sie Enthusiasmus
und Schwärmerei nennen, mehr Böses als Gutes gestiftet? Und in welchen Schranken müssen sich die Antiplatoniker halten,
um nützlich zu sein?“ (Deutscher Merkur).
5 Gotthold Ephraim Lessing, Werke 1774 –1778, hg. von Arno Schilson. In: Werke und Briefe in zwölf Bänden, Band 8, Frankfurt/ Main: Deutscher Klassiker Verlag 1989, S. 674.
6 Gustav Seibt, wie Anm 3.
7 Wie Anm. 5, S. 509.
8 Ingrid Strohschneider-Kohrs, Gesten der ars socratica in Lessings Schriften der Spätzeit, in: Streitkultur. Strategien des Überzeugens im Werk Lessings, Tübingen: Max Niemeyer Verlag 1993, S. 501– 508.
24
Das Europa-Kolleg 2010: „Welt ohne Grenzen?“
Zwanzig Schülerinnen und Schüler deutscher Auslandsschulen aus ganz Europa nahmen vom 16. bis 31. Juli
2010 am 8. Europa-Kolleg in Wolfenbüttel teil.
Die Stiftung Niedersachsen und die Herzog August
Bibliothek Wolfenbüttel veranstalten das Europa-Kolleg mit Vorträgen, vertiefenden Gruppenarbeiten und
Exkursionen seit 2003 zu wechselnden Themen. Dieses
Mal arbeitete die europäische Gruppe gemeinsam mit
verschiedenen Gastwissenschaftlern an der Frage nach
einer „Welt ohne Grenzen? Globalisierung in Geschichte
und Gegenwart: weltweite Verdichtung und Vernetzung
von Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur“.
Das Europa-Kolleg wurde mit einer öffentlichen Podiumsdiskussion eröffnet. Der Berliner Geschichtstheoretiker Prof. Dr. Alexander Demandt und der Chefvolkswirt der NORD/LB, Torsten Windels, diskutierten unter der Regie von Ga­briela Jeskulla (Deutschlandradio
Kultur) über die Frage „Globalisierung – mehr als ein
Schlagwort?“. Das Programm wurde von den Historikern apl. Prof. Dr. Jochen Oltmer und Dr. Michael Schubert vom Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück erarbeitet. Betreut wurde die Gruppe von Jürgen Müller
und Antanina Hryshchuk.
Abb. 1: Wolfenbüttels Bürgermeister Thomas Pink (ganz
rechts, neben Jill Bepler, Leiterin der Abteilung Stipendiatenprogramm) hat die Europa-Kollegiaten zu sich ins
Rathaus eingeladen. Ganz
links der Mentor des EuropaKollegs 2010, Michael Schubert
Abb. 2: Die Podiumsdiskussion findet nicht nur auf dem
Podium statt!
25
Der Sommerkurs 2010
Herrscherkritik und Politikberatung: Die Rolle von Hofpredigern an europäischen Höfen
des 16. bis 18. Jahrhunderts
Theologen der Frühen Neuzeit stehen in dem Verdacht,
höchst nah an der weltlichen Obrigkeit angesiedelt gewesen zu sein. Die praktische Verzahnung von Religion
und Politik wird in erster Linie der zwischen beiden vermittelnden Funktion des katholischen Klerus zugewiesen; aber auch der „Untertanengeist“ der protestantischen Prediger gilt als Instrument, mit dessen Hilfe die
durch die Reformation zunächst vollzogene Trennung
beider Bereiche wieder beendet worden sei. An dieser
noch immer dominierenden Interpretation der Rolle
der Geistlichkeit im Europa der Frühen Neuzeit sind in
den letzten Jahren Korrekturen vorgenommen worden:
Herrscherkritik und die Pflicht zur Ermahnung weltlicher Obrigkeit werden als wesentlicher Bestandteil des
geistlichen Selbstverständnisses diskutiert. Für diese
veränderte Sicht ist das Amt der Hofprediger an europäischen Höfen der Frühen Neuzeit ein besonders ergiebiger Testfall. Deren Nähe zur Politik war öffentlich
akzeptierter Bestandteil ihrer Rolle an katholischen wie
protestantischen Höfen. Der Sommerkurs an der Herzog August Bibliothek widmete sich dieser Personengruppe und ihrem spezifischen Amtsverständnis.
Wenn es zutrifft, dass Kritik am Herrscher und Ermahnungspflicht zum Amt des Hofpredigers hinzugehören, welche theologischen Rechtfertigungsmus-
ter standen dahinter? Gab es dabei Unterschiede zwischen den Konfessionen? Oder lassen sich Differenzen
im Amtsverständnis und in der Amtspraxis vielmehr
entlang regionaler Bezüge feststellen?
Ziel des Sommerkurses war es, in die europaweit geführte Debatte zu diesem Thema einzuführen. Dabei
handelte es sich sowohl um Grundfragen der historischen Forschung; denn die Hofprediger waren Teil einer gebildeten theologischen Elite, die für das Verhältnis zwischen höfischem Adel und städtischem Bürgertum prägend gewesen zu sein scheinen. Es ging aber
auch um Kernfragen kirchen- und theologiegeschichtlicher Forschung, denn das geistliche Amtsverständnis
bildete den in den Konfessionen gleich wichtigen Angelpunkt für die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Weltlichem und Geistlichem, zwischen Religion
und Politik.
Die Teilnehmer eines Sommerkurses erhalten neben
der Einführung in die Forschungsdebatten und deren
Erörterung am exemplarischen Material der Bibliothek
die Gelegenheit, ihre eigenen Forschungen zu präsentieren. Zudem besteht die ausgiebige Möglichkeit, mit
Hilfe der Bestände der Herzog August Bibliothek die eigenen Arbeiten fortzuführen.
Abb. 1: Der Sommerkurs, geleitet von Luise Schorn-Schütte (Mitte, vorne)
26
Stipendiaten und Gäste 2010
Stipendiaten im Stipendienprogramm des Landes
Niedersachsen
Anton, Manuela (Bukarest)
Der siebenbürgische griechisch-katholische Theologe
Petru Maior (1756 –1821) und die deutsche kanonisti–
sche Literatur und Kirchengeschichtsschreibung des
18. Jahrhunderts
Czapla, Beate (Bonn)
Paul Flemings Kussgedichte im Horizont antiker und
zeitgenössischer literarischer Diskurse
D’Alessio, Silvana (Salerno)
Medical thought and the body politic: Pietro Andrea
­Canoniero and his German sources
DiTommaso, Lorenzo (Montreal)
Old Testament Pseudepigrapha in the Herzog August
Bibliothek
Domanski, Kristina (Riehen)
Illustrationsfolgen im frühen Buchdruck: Bildstrategien
zwischen Belehrung, Innovation und Verkaufsförderung
Dorna, Maciej (Poznań)
Bella diplomatica – die Entstehung der Methoden moderner Quellenkritik
Faini, Marco (Urbino)
Christian epic in Sixteenth-Century Italian Literature
Geretto, Mattia (Venedig)
„Creation” and „Glory” in Leibniz’s Theodicy
Lepri, Valentina (Florenz)
The Prince and the Tyrant: the political precepts of
Francesco Guicciardini in Germany in the sixteenth and
seventeenth century
Maddux, Harry Clark (Clarksville)
Cotton Mather’s Biblia Americana Volume IV (EzraPsalms)
Mei, Manuela (Avezzano)
Die Theorie des Vermögens in den kognitiven wolffschen Psychologien
Mencfel, Michał (Poznań)
Natur als Künstlerin. Ein kunst- und ideengeschichtliches Studium
Neklyudova, Maria (Moskau)
Secret histories: politica arcana and the representations
of court society
Omodeo, Pietro Daniel (Monfalcone)
Giordano Brunos Helmstedt
Ptaszyński, Marciej (Warschau)
Die Reformation in der polnischen Adelsrepublik (bis
1573)
Printy, Michael (Middletown)
The Protestant Idea of Freedom: Nation and Religion in
Germany, 1700 –1815
Reinis, Austra (Springfield)
Aegidius Hunnius’s (1550 –1603) Sermons on Martin
Luther’s „Haustafel”
Goethe, Norma Beatriz (Cordoba/ Argentinien)
G. W. Leibniz as Reader in Paris (1672 –1676)
Sauter, Michael (Mexiko)
Geography, Space and the Rise of Race in EighteenthCentury Germany
Gucer, Kathryn (Chicago)
Revolution across the Channel: Cross-Cultural Information Exchange between Early Modern England and
France
Schier, Volker (Bubenreuth)
The Role of the Multisensory in the Display of the Holy
Lance
Haemig, Mary Jane (St. Paul)
Reforming Advent: Text, Message, and Seasonal Experience in Reformation Germany
Jabłecki, Tomasz (Wrocław)
Das Leben und Schaffen von Johann Christian Hallmann
(1640 –1704) im Spiegel der multikulturellen und multimedialen Kommunikation des Barock
Jung, Sandro (Salford)
The German reception of James Thomson and his
Works
Schleif, Corine (Tempe)
The Holy and the Unholy Lance: Metaphorical Ap­pro­
pri­ations of Sex and Violence from the Fourteenth Century to the Present
Schui, Florian (London)
Steuern und Öffentlichkeit: struktureller Wandel in Preußen, 1648 –1806
Severini, Maria Elena (Florenz)
The„Ricordi” and the„Storia d’Italia” in Germany: the early
fortunes of Francesco Guicciardini’s political maxims
Katritzky, Peg (Milton Keynes)
Image, text, performance: spectacular German and
other representations of early modern conjoined twins
Walther, Stefanie (Bremen)
Zwischen Kooperation und Konflikt – Akteure, Medien
und Foren städtischer Diplomatie im Europa der Frühen
Neuzeit
Kärna, Aino (Helsinki)
Grammatiken der Frühen Neuzeit: Bibliotheksbestände
Wögerbauer, Michael (Prag)
Die Prager Jahre des Ästhetikprofessors A. G. Meißner
27
Zaytsev, Evgeny (Moskau)
Geometrical Method of „Indivisibles” in the Works of
­Bonaventura Cavalieri (1598 –1647): Logical Foundations and History of Development
Einladungen des Direktors
Friedeburg, Robert von (Rotterdam)
Despotiebegriff und Machiavelli-Rezeption im Reich,
1510 –1670
Kannik, Helje-Laine (Tallinn)
Die estnische Retrospektivbibliographie
Knauer, Georg Nicolaus (Haverford)
Lateinische Homerübersetzungen
Rautenberg, Ursula (Leipzig)
Digitale Geschichte des Buchs von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Layout und Lesen am Beispiel der „Melusinen”-Ausgabe vom 15. bis ins 18. Jahrhundert
Stevens, Wesley M. (Winnipeg)
The Forms of Latin Mathematical and Scientific Expressions from the Earliest Times until A. D. 1200
Strasser, Gerhard F. (Landshut)
Rezeption von Athanasius Kirchers Werken in den „Zeitungen” des ausgehenden 17. Jahrhunderts
Kooperation Herzog August Bibliothek –
Akademie der Wissenschaften Budapest
Stipendiaten der Andrew W. Mellon-Stiftung
Heider, Daniel (Prag)
The Problem of Universals in the Early Modern Academic Philosophy of the 17th century: Thomas-Compton
Carleton S. J. (1591 –1666)
Malý, Tomáš (Brno)
Religiöse Imagination der Frühen Neuzeit am Beispiel
des „Jenseitsbildes”
Doktorandenförderung
(Drittmittelprogramme an der Herzog August
Bibliothek)
Stipendiaten der Dr. Günther Findel-Stiftung
(Doktorandenprogramm)
Araujo, André (Erlangen)
Spuren der Menschheit in der deutschen Spätaufklärung
Banneck, Catharina (Kiel)
„Specimen philologiae germanicae” Georg Philipp
Harsdörffers. Grammatikographie im europäischen
Raum
Barthel, Katja (Fernwald)
Bürgerliche Weiblichkeitsentwürfe im deutschsprachigen Originalroman des späten 17. und 18. Jahrhunderts
im Kontext literarischer und soziokultureller Transformationen
Bene, Sándor (Budapest)
Bibliotheca Hungariae Politica (Early Modern Political
Thought in Hungary – Text Editions)
Brüggemann, Karola (Marburg)
Die argumentative Verwendung des ReligionskriegBegriffes in Publizistik und politischer Korrespondenz
während des Dreißigjährigen Krieges
Hartmann Kakucska, Maria (Budapest)
Franciscus Tolnai de Göellye und seine Beziehungen zu
Wolfenbüttel
Clark, Sean Eric (Tucson)
Still the Center of the World: Pilgrimage to Jerusalem in
the Early Modern Period, 1500 –1648
Kecskeméti, Gábor (Budapest)
History of Rhetoric and Homiletics in Early Modern
­Period. Methods of Humanist Philological Activity,
15th – 17th Centuries
Cremer, Annette (Gießen)
Mon Plaisir – monarchische Machtdarstellung in Miniatur. Die Puppenstadt der Herzogin Auguste Dorothea von Schwarzburg-Arnstadt (1666 –1751) im Spannungsfeld zwischen weiblicher Selbstdarstellung und
Kunstkammerstück
Szörenyi, Laszlo (Budapest)
Neulateinische Literatur in Ungarn und Polen im 17. –
18. Jahrhundert
Stipendiaten der Dr. Fritz Wiedemann-Stiftung
Mikolajewska, Anna (Toruń)
Konfession und religiöse Auseinandersetzungen in
der „Preussischen Kirchenhistoria” von Christoph Hartknoch
Ritter, Sabine (Hamburg)
Johann Friedrich Blumenbach und die Geburt des Rassismus aus dem Geist der Aufklärung
Milker, Pia (Dresden)
Philipp Hainhofer als Korrespondent und Mediator
­inner- und intrahöfischer Kommunikation am Beispiel
des Dresdner Hofes
Vermeulen, Hendrik F. (Halle)
Ethnologische Zeitschriften in der norddeutschen Spät­
aufklärung, 1781 –1790
Nahrendorf, Carsten (Magdeburg)
Schule und Literatur in der Frühen Neuzeit. Das Gym­
nasium in Magdeburg 1525 –1631
28
Reetz, Katja (Greifswald)
Andreas Gryphius: Mumiae Wratislavienses – Edition,
Übersetzung, Kommentar
Sänger, Astrid (Hamburg)
Die Internationalisierung der Antike im 17. Jahrhundert:
Seneca im deutschen, niederländischen und englischen
Trauerspiel
Smith, Kathleen Marie (Champaign/ Urbana)
Constructing the Collection: Sammlerinnen in the Early
Modern German Context (1600 –1800)
Strandquist, Jason (Penn State)
Orthodoxie und Bürgertum: Die evangelischen Geistlichen Lübecks im 17. Jahrhundert
Witkowski, Michal (Katowice)
Die Karriere Christoph Leopold Schaffgotschs im Dienste
der Habsburger (1649 –1703)
Zimmermann-Homeyer, Catarina (Berlin)
Illustrierte Frühdrucke lateinischer Klassiker um 1500
Stipendiaten der Rolf und Ursula Schneider-Stiftung
(Doktorandenprogramm)
Caro Amorocho, Hernán Dario (Berlin)
Philosophischer Optimismus und Antioptimismus
1710 –1755
Foster, Darren (Exeter)
Die Darstellung der Hauptfiguren des Dreißigjährigen
Krieges in protestantischer Propaganda des Konflikts
Hass, Trine Johanne Arlund (Aarhus)
European community and construction of national
identity in sixteenth-century Denmark: Danish neo-­
Latin pastoral and the genre as a communicator of antiquity to the early vernacular literatures
Lane, Jason (Hamburg)
Die lutherische Auslegungsgeschichte des Jakobus­
briefes im 16. und 17. Jahrhundert
Rehr, Benjamin (Hamburg)
Christus in der Mitte – Christologie und Psalmenaus­
legung bei Nikolaus Selnecker (1530 –1592)
Slotemaker, John Thomas (Brighton)
Pierre d’Ailly’s Trinitarian Theology: The Influence of New
English Theology on Parisian Theology after 1350
Starkey, Lindsay (Madison)
Nature in John Calvin’s Works
Strauß, Angela (Berlin)
Religion und Militär im 18. Jahrhundert
Stipendiaten anderer Institutionen
Dobbs, Benjamin M. (Denton)
(DAAD)
Zwischen der Renaissance und dem Barock: die Musik
von Heinrich Grimm
Furrer, Norbert (Lausanne)
(Schweizerischer Nationalfonds)
Des Burgers Buch: Stadtberner Privatbibliotheken im
18. Jahrhundert
Jabłecki, Tomasz (Wrocław)
(DAAD) 01.10. – 30.11.2010
Das Leben und das Schaffen von Johann Christian Hallmann (1640 –1704) im Spiegel der multikulturellen und
multimedialen Kommunikation des Barock
Jopek, Aleksandra (Göttingen)
(Cusanuswerk)
Das Körperbild in der Anstands- und Intimliteratur des
17. Jahrhunderts
Kazartsev, Evgeny (St. Petersburg)
(Alexander von Humboldt-Stiftung)
Spätformen der deutschen Jamben in der frühmodernen Zeit
Kreem, Juhan (Tallinn)
(Alexander von Humboldt-Stiftung/ Hertie-Stiftung)
Das geistige Milieu und die Verbreitung der reformatorischen Ideen in Livland in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts
Lambert, Erin (Altoona)
(Mellon Council on Library and Information Resources)
Resurrection and Religious Identity in Sixteenth-Century Illustrated Music
Leaman, Hans (Bird-in-Hand/ USA)
(Baden-Württemberg-Stipendium)
Theologische Bedeutung von Exil in der Reformation
Leeper, G. Anna (St. Louis)
(DAAD)
Emotion und Erlösung in der Literatur der Frühen Neuzeit
Mańko-Matysiak, Anna (Wrocław)
(Alexander von Humboldt-Stiftung)
Auf den Spuren der Pest in Ostmitteleuropa
Miller, Jaroslav (Olomouc)
(Alexander von Humboldt-Stiftung)
Propaganda, Rituals and Legitimizing Strategies of
­European Protestantism, 1580 –1650
Nekrashevich-Karotkaja, Zhanna (Oldenburg)
(Alexander von Humboldt-Stiftung)
Die „Identität” des Großfürstentums Litauen im Verständnis deutscher und weißrussisch-litauischer Autoren in
der lateinischsprachigen Dichtung der Spätrenaissance
Sasaki, Hiromitsu (Osaka)
(Japanisches Wissenschaftsministerium)
Studien zur Herkunft des kapitalistischen Geistes – Calvinisten und Juden
Schmidt, Ernst A. (Tübingen)
(DFG)
Bearbeitung (Edition, Kommentierung, Einleitung) der
Übersetzungen und Erläuterungen Christoph Martin Wielands der Episteln und Satiren des Horaz (1782 und 1786)
29
Steyer, Kristina (Braunschweig)
(Graduiertenkolleg der Universität Mainz)
Automaten in Gärten der Frühen Neuzeit
Teusz, Leszek (Poznań)
(KAAD)
Das Exemplum in der polnischen und europäischen Ars
praedicandi des 17. Jahrhunderts
Dingel, Irene (Mainz)
Philipp Melanchthon – Freunde und Feinde
Controversia et Confessio – Theologische Streitkultur im
16. Jahrhundert
Dixon, C. Scott (Berlin)
Johannes Letzner
Ecsedy, Judit M. (Budapest)
Kompilationsstrategie in Harsdörffers Schauplätzen
Gäste der Herzog August Bibliothek
Ellis-Marino, Elizabeth M. (Tucson)
Noble Self-Image as form of Political Resistance
Aikin, Judith (Bend/ Oregon)
Geistliche Lieder
Erickson, Peter (Chicago)
Der Einfluss von Geheimbundromanen und Bekehrungsgeschichten auf den frühen Bildungsroman
Banneck, Catharina (Kiel)
„Specimen philologiae germanicae” Georg Philipp Harsdörffers. Grammatikographie im europäischen Raum
Boettcher, Susan (Austin)
Johannes Mathesius, Lutherpredigten
Bogdan, Izabela (Poznań)
Musik und Mathematik – Georg Quitschreiber (1569 –
1638)
Faini, Marco (Urbino)
Christian epic in Sixteenth-Century Italian Literature
Fear, Christopher (Exeter)
German Historicism and Idealism in Nineteenth Century
British Historical Thought
Boschung, Urs (Bern)
Patientennetzwerke im 18. Jahrhundert und ärztliche
Werdegänge in der Frühen Neuzeit
Feuerle, Mark (Hannover)
Die mittelalterliche und frühneuzeitliche Reflexion
der Vergangenheit als Erkenntnisgegenstand philosophisch-historiographisch gelehrter Kreise des 9. bis
17. Jahrhunderts
Bree, Cor van (Leiden)
Metrik des 16./17. und 18. Jahrhunderts in der niederländischen, deutschen und russischen Literatur
Fukuoka, Atsuko (Tokyo)
Staat, Kirche und Freiheit: Spinoza, Hobbes und Huber zur
Frage über den Vermittler der göttlichen Offenbarung
Brentjes, Sonja (Sevilla)
Frühneuzeitliche europäische Darstellungen West­asiens
in Karten, Texten und Bildern
Gautier, Sandie (Lyon)
Evangelische Pfarrehepaare in der Frühen Neuzeit:
Selbstdarstellung, Familienstrategien und Identität
Büchi, Tobias (Einsiedeln)
Architekturtheorie im deutschsprachigen Kulturraum
Gottschlich, Evelyn (Gießen)
Das Königreich im Schneeland. Europäisches Wissen
über Tibet, 1626 –1768
Büttner, Jan Ulrich (Bremen)
Die cura infirmorum und die Auswirkungen der Klosterreformen im frühen Mittelalter
Busch, Gudrun (Bonn)
Sophie Niklas (1760 – ?) – eine Berliner Sängerin zwischen Singspielbühne und Hofoper
Christoph, Siegfried (Kenosha)
êre und scham als Wertbegriffe im Mittelhochdeutschen
Corcoran, Andreas (Berlin)
Academics and Witchcraft in the Early Modern Age
D’Alessio, Silvana (Salerno)
Medical thought and the body politic: Pietro Andrea Canoniero and his German sources
Hascher-Burger, Ulrike (Utrecht)
Der Einfluss der niederländischen Devotio moderna auf
die Musikkultur der Klosterreform in niedersächsischen
Frauenklöstern im späten Mittelalter
Hattab, Helen (Houston)
Hobbes and Spinoza: The Geometrization of Value
­Theory
Haude, Sigrun (Cincinnati)
Surviving War, 1618 –1648
Heininen, Simo (Helsinki)
Michael Agricola und seine Quellen
Heller, Shlomo (Jerusalem)
Talmud and Medieval Rabbinic Literature
Davies, Julie (Melbourne)
Joseph Glanvill’s Saducismus Triumphatus and changing attitudes to witchcraft and the occult
Hoffmann, Gizella (Szeged)
Hungarica in den Handschriften der Herzog August Bibliothek
Dekesel, Christian Edmond (Gent)
Numismatische Literatur im 18. Jahrhundert
Holma, Juhani (Wittenberg)
Johannes Bugenhagens Kirchenordnungen
30
Johnson, Christine R. (St. Louis)
The German Nation of the Holy Roman Empire, 1440 –
1556
Manegold, Cornelia (Stuttgart)
Übersetzungsleistungen der Kunst: Bilder von Frieden
und Friedensverträgen
Johnston, Gregory S. (Toronto)
Heinrich Schütz: Letters and Documents
Mei, Manuela (Avezzano)
Die Theorie des Vermögens in den kognitiven wolffschen Psychologien
Jurkowlaniec, Grazyna (Warszawa)
Miracles of Art and Miraculous Images. Renaissance Art
between Ancient Topoi and Christian Legends
Kamp, Jan van de (Amsterdam)
Deutsche Übersetzungen englischer und niederländischer Erbauungsliteratur im 17. Jahrhundert
Keim, Katharina (München)
Performativer Kulturtransfer. Zur Rezeption des französischen Dramas in Mitteldeutschland zwischen Spätbarock und Frühaufklärung (1690 –1730)
Kirn, Hans-Martin (Kampen/ NL)
Orthodoxie und Pietismus: Europäische Konfessionskulturen im Vergleich (mit besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses von Judentum und Christentum)
Klein, Boris (Lyon)
Die Universität Helmstedt im 17. Jahrhundert
Kolb, Robert A. (St. Louis)
Die Postillen von Paul Eber/ Hilfsmittel zur Exegese in
der Spätreformation
Kowalewicz, Michel Henri (Metz)
Circulation des idées et des textes au 18e siècle
Kurig, Hans (Norderstedt)
Reformationsgeschichte
Kurihara, Ken (Bronx)
Wunderzeichen Literatur des 16. Jahrhunderts
Kuwahara, Hisako (Niigata)
Geschichte des deutschen Dramas
Kuwahara, Satoshi (Niigata)
Kunstkammer und die hermetische Tradition
Lamanna, Marco (Florenz)
Benedictus Pererius (1535 –1610), zwischen Schulphilosophie und Renaissancephilosophie
Laube, Stefan (Berlin)
Theatrum-Literatur und Ordnungen des Wissens
Lee, David (Knoxville)
Der Gleim/ Ramler Briefwechsel: Herausgabe, Kommentierung
Le Cam, Jean-Luc (Brest)
Berichte des Generalschulinspektors Schrader und andere Quellen zur Schulgeschichte des 17. Jahrhunderts
Lepri, Valentina (Florenz)
The Prince and the Tyrant: the political precepts of
Francesco Guicciardini in Germany in the sixteenth and
seventeenth century
Menke-Schnellbächer, Kirsten (Bielefeld)
Westfälische Psalmen und Breviertexte aus Westfalen –
Cod. Guelf. 58.4 Aug. 8°
Merisalo, Outi (Jyväskylä)
Italienischer Humanismus in England, Geschichte der
Medizin
Meyer, Paul (Urbana)
Faust figures before 1600
Miltová, Radka (Brno)
Ovidische Ikonographie in der frühneuzeitlichen Graphik
Miyatani, Naomi (Tokyo)
Übersetzungsbegriff bei Johann Georg Hamann
Moore, Cornelia Niekus (Fairfax)
Die Fürstin als Vorbild
Morton, Peter (Calgary)
Sorcery and theft: Women and the law in early modern
Braunschweig-Wolfenbüttel
Mourey, Marie-Thérèse (Paris)
Forschungen zur Barockliteratur
Myers, David (New York)
Religionsgeschichte in der Frühneuzeit
Nahrendorf, Carsten (Wolfenbüttel)
Schule und Literatur in der Frühen Neuzeit. Das Altstädtische Gymnasium in Magdeburg 1525 –1631
Ohlemacher, Andreas (Göttingen)
Johann Lorenz von Mosheim
Olson, Oliver K. (Minneapolis)
Matthias Flacius. Eine Biographie
Pabel, Hilmar M. (Burnaby)
The Protestant Critique of Peter Canisius’ Catechismus
Phipps, Graham H. (Denton)
Heinrich Schütz, Cantiones sacrae
Pickett, Jordan (Philadelphia)
Early Modern Histories of Pilgrimage Sites in Palestine
Plummer, Beth (Bowling Green)
Priesterehe in der Reformationszeit
Pozsgai, Martin (Einsiedeln)
Architekturtheorie im deutschsprachigen Kulturraum
(16./17. Jahrhundert)
Puhakka, Ismo (Florenz)
Images of Providence: Reception of Sebastian Münster’s
Cosmography in Mid-Sixteenth Century Lyons
31
Reinis, Austra (Springfield)
Aegidius Hunnius’s (1550 –1603) Sermons on Martin
Luther’s Haustafel
Strandquist, Jason (Penn State)
Orthodoxie und Bürgertum: Die evangelischen Geistlichen Lübecks im 17. Jahrhundert
Reutin, Mikhail (Moskau)
Deutsche Frauenmystik des späten Mittelalters
Szökefalvi-Nagy, Erzsébet (Szeged)
Jacob Lucius und Gimel Bergen – der Universitätsdrucker und sein Gehilfe
Roemer, Gijsbert M. van de (Amsterdam)
Cross references between the Book of Arts and the Book
of Nature in the Dutch Republic
Ryantová, Marie (Ceské Budejovice)
Rekatholisierung der böhmischen Länder
Sakamoto, Takashi (Yamaguchi)
Die Hermetische Tradition in Literatur und Kultur des
18. Jahrhunderts
Šášiková, Kristine (Lehota)
Veridicus Christianus, the first Jesuit emblem-book, in
context of 16th and 17th century religious emblematic
Takada, Hiroyuki (Tokyo)
Pragmatischer Wandel des Begriffs Umgangssprache im
18. Jahrhundert
Tautz, Birgit (Brunswick)
Globalization: Translating the World for the Late Eighteenth-Century German City
Traninger, Anita (Berlin)
Leibniz’ Quellen für seinen Begriff der ars lulliana
Trnková, Vendula (Prag)
Der Studentenroman – ein „deutsches“ Genre und die
bohemistische Literaturwissenschaft
Scheib, Otto (Freiburg)
Theologische Grundlagen des christlichen Glaubens
Uppenkamp, Barbara (Hamburg)
Rathaus Lüneburg
Schramm, Brooks (Gettysburg)
Martin Luther, the Bible and the Jewish People
Vaculinová, Marta (Prag)
Lateinische Dichtung der Frühen Neuzeit in den böhmischen Ländern
Sliwa, Joachim (Krakau)
Archäologie und Kunstgeschichte im 17. Jahrhundert
Smagina, Galina (St. Petersburg)
Gerard Friedrich Mueller und deutsch-russische Beziehungen im Bereich der Schulbildung (1760 –1800)
Smith, Kelly M. (Cincinnati)
The Science of Astrology: Schreibkalender, Natural Philosophy and Everyday Life in the Early Modern German
Lands
Steffes, Harald (Wachtberg)
Theologische Sokratesrezeptionen im 18. Jahrhundert
Stein, Claudia (Coventry)
The Birth of Biopower in Eighteenth-Century Germany
Stjerna, Kirsi (Gettysburg)
Elisabeth von Braunschweig
Vasilyeva, Elena (Moskau)
„Kennerlust”: Sammler und Sammlungen des 18. Jahrhunderts
von der Osten-Sacken, Vera (Mainz)
„Exul Christi” – Exilierungen im strengen Luthertum des
16. Jahrhunderts und ihre Kultivierung als Ausweis aufrechten Bekennertums in statu confessionis
Wade, Mara R. (Urbana)
Höfisches Ballett: Kopenhagen und Altenburg
Williams, Gerhild (St. Louis)
Eberhard Werner Happel’s Historical Novels
Wischmeyer, Johannes (Mainz)
Organisation der Religion im Raum des frühneuzeitlichen
Territorialstaats – das konsistoriale Kirchenleitungsmodell in der europäischen Diskussion (ca. 1560 –1620)
Gerda Henkel Stipendien für
Ideengeschichte vergeben
Gerda Henkel Stiftung fördert
Forschungsaufenthalte in Marbach, Weimar
und Wolfenbüttel
Das Deutsche Literaturarchiv Marbach, die Klassik Stiftung Weimar, die Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel und die Gerda Henkel Stiftung haben 2010 / 2011
die „Gerda Henkel Stipendien für Ideengeschichte“ vergeben. Erfolgreiche Kandidaten erhalten die Gelegen-
32
heit zu einem zeitlich befristeten Aufenthalt an einer der
drei Bibliotheken, um auf der Grundlage der dortigen
Bestände ein ideengeschichtliches Forschungsprojekt
durchzuführen.
Die „Gerda Henkel Stipendien für Ideengeschichte“
wurden zum dritten und vierten Mal vergeben. Das
Programm steht in engem Zusammenhang mit der
„Zeitschrift für Ideen­geschichte“, die vom Deutschen
Literatur­archiv Marbach, der Klassik Stiftung Weimar
Laura Di Giammatteo (links),
Susanne Junk (rechts)
und der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel gemeinsam herausgegeben wird und vierteljährlich erscheint.
An der Herzog August Bibliothek wird die Philosophiehistorikerin Laura Di Giammatteo (Florenz) 2011
vier Monate lang die Melanchthonrezeption zwischen
1570 und 1640 an der Academia Julia von Helmstedt
erforschen. Susanne Junk (Tübingen) wird 2011 / 12 für
ihre Dissertation über Lutherische Laienprophetie an
den Quellen die Verschränkung von göttlicher, vorherbestimmter Welt und menschlicher Teilhabe an der Welt
untersuchen.
Besondere Nachrichten: Die Online-Sprechstunde
In einer Online-Sprechstunde bietet die Herzog August
Bibliothek ihren Nutzern auch aus der Ferne einen Blick
in die Bücher an. Ein Mitarbeiter der Bibliothek blättert
während eines Telefonats vor einer Webcam die gewünschten Seiten auf und gibt weitere Auskünfte zum
Buch (s. Abb. 1). Dank hervorragender Kameratechnik
und Breitbandinternet sitzt man gleichsam in der Ferne
unmittelbar vor dem Buch.
Die Wolfenbütteler Online-Sprechstunde soll es Nutzern der Bibliothek ermöglichen, einzelne Seiten, zum
Beispiel Titelseiten, Seiten mit Illustrationen oder Textvarianten, aus Handschriften und Drucken über eine
Webcam einzusehen, um an Hand der Bildschirmdarstellung schnell, unkompliziert und gezielt Forschungsfragen beantworten zu können. Mit diesem Angebot
nutzt die Herzog August Bibliothek als erste wissenschaftliche Bibliothek die Webcam-Technik.
Abb. 1: Die Webcam, hier bedient von Thomas Stäcker, liefert dem Nutzer am anderen Ende der Leitung das gesuchte Bild aus dem Buch,
das selbst nicht verreisen muss.
33
Neuerscheinungen
Ausstellungskataloge
der Herzog August Bibliothek
behandeln wichtige Aspekte der mittelalterlichen Bildund Buchkultur und zentrale geistesgeschichtliche Entwicklungen wie das Bildungssystem der Klöster im Gegensatz zu Studium und Wissenschaft des Klerus an den berühmten Schulen Frankreichs. Erstmals überhaupt wird
hier ein Überblick über die Geschichte der Bibliothek von
St. Michael gegeben.
Ausstellungskataloge
der HAB, Nr. 93
Schätze im Himmel – Bücher auf Erden
Mittelalterliche Handschriften aus Hildesheim
herausgegeben von Monika E. Müller
Ausstellungskataloge
der HAB, Nr. 92
Nr. 93. 2010. 472 S. mit 280 Farbabb.
978-3-447-06381-4, geb. € 49,80
Im Jahre 1010 legte Bischof Bernward von Hildesheim den
Grundstein für die Errichtung der Michaeliskirche als einem der bedeutendsten Kirchenbauten des Frühmittelalters. Das zugehörige Kloster stattete er reich mit Gütern
und überaus wertvollen Büchern für Liturgie und Gebet
aus. Einen Schatz im Himmel und das Seelenheil wollte er
sich damit erwerben, wie auch viele andere Hildesheimer
Bischöfe und Kanoniker nach ihm.
Bernwards persönlichen Psalter konnte die Herzog August Bibliothek im Jahre 2007 erwerben. Dies und das tausendjährige Jubiläum der Hildesheimer Michaeliskirche
bilden den Anlass für die Ausstellung „Schätze im Himmel – Bücher auf Erden. Mittelalterliche Handschriften aus
Hildesheim“. Kostbar illuminierte Handschriften sowie zahlreiche Bücher der Michaelismönche und der mittelalterlichen Dombibliothek waren vom 5. September 2010 bis
zum 27. Februar 2011 in der Herzog August Bibliothek in
Wolfenbüttel zu sehen (s. S. 3 – 6).
Die Bandbreite der vorgestellten Handschriften reicht
von der Gründungsphase bis zur Blütezeit der Buchproduktion und zum Beitritt des Michaelisklosters zur Reformbewegung der Bursfelder Kongregation im 15. Jahrhundert. Die
Ausstellung präsentiert nicht nur alle erhaltenen bernwardinischen Prachthandschriften, sondern zeigt auch Glanzpunkte der romanischen Buchmalerei Hildesheims, das Ratmann-Sakramentar (1159) und seine berühmte Schwesterhandschrift, das Stammheimer Missale (um 1170).
Im reich bebilderten Ausstellungskatalog werden die
Exponate ausführlich beschrieben. Die zahlreichen Essays
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Das Athen der Welfen
Die Reformuniversität Helmstedt 1576 –1810
herausgegeben von Jens Bruning und Ulrike Gleixner
unter Mitarbeit von Nico Dorn, Franziska Jüttner, Juliane
Korbut, Kristina Steyer, Timo Steyer, Darius Windyka
Nr. 92. 2010. 328 S. mit 180 Farbabb.
978-3-447-06210-7, geb. € 39,80
Die 1576 gegründete Universität Helmstedt, die Aca­demia
Julia, gehörte in den knapp 250 Jahren ihres Bestehens zu
den am stärksten frequentierten und profiliertesten Hochschulen des Heiligen Römischen Reiches. In die Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel gelangten im frühen 19. Jahrhundert und dann noch einmal im frühen 20. Jahrhundert
die größten Teile der Universitätsbibliothek Helmstedt.
„Das Athen der Welfen. Die Reformuniversität Helmstedt 1576 – 1810“ beschäftigt sich mit der Gründungsgeschichte, dem universitären Leben, den maßgeblichen wissenschaftlichen Entwicklungen sowie der Geschichte der
Bibliothek an dieser bedeutenden Universität der Frühen
Neuzeit. Der akademische Alltag in der Stadt Helmstedt,
die Studenten und Professoren sowie erstmals auch die
Professorenhaushalte mit Ehefrauen und Töchtern werden
dabei in den Blick genommen.
Die Ausstellung war vom 7. Februar bis zum 29. August
2010 in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel zu
sehen (s. S. 12 – 13).
Wolfenbütteler Hefte
Wolfenbütteler Forschungen
Wolfenbütteler Forschungen,
Band  126
Wolfenbütteler Hefte, Heft 27
Von gesichertem Wissen und neuen
Einsichten
Sammeln, Lesen, Übersetzen als höfische
Praxis der Frühen Neuzeit
Dokumentation einer Expertentagung zum Thema
„Geisteswissenschaftliche Zeitschriften – Referenzsysteme
und Qualitätsstandards“ in der Herzog August Bibliothek
Wolfenbüttel in Zusammenarbeit mit der Klassik Stiftung
Weimar und dem Deutschen Literaturarchiv Marbach
Die böhmische Bibliothek der Fürsten Eggenberg im
Kontext der Fürsten- und Fürstinnen­bibliotheken der Zeit
von Helwig Schmidt-Glintzer
Heft 27. 2010. 333 S. mit 6 Farbabb.
978-3-447-06260-2, geb. € 20,–
Als von den großen wissenschaftlichen Bibliotheken in
Marbach, Weimar und Wolfenbüttel gemeinsam die „Zeitschrift für Ideengeschichte“ ins Leben gerufen wurde,
stellte sich für die He­rausgeber die Frage, auf welche Weise
und mit welchen Methoden die Qualität der Beiträge gesichert werden kann. Ausgehend davon drängte sich die
Frage nach der Qualitätssicherung für geisteswissenschaftliche Forschung und Publikationen generell auf. Daher kamen im August 2008 in Wolfenbüttel Fachwissenschaftler
zu einer Expertentagung zusammen, um Referenzsysteme
und Qualitätsstandards bei geisteswissenschaftlichen Zeitschriften zu diskutieren und festzulegen.
Die vorliegende Publikation fasst die Überlegungen der
Tagung zusammen und ergänzt sie mit einer ausführlichen
Einleitung.
Für das in der Qualitätssicherung praktizierte Peer-Re­
view-Ver­fahren (Begutachtung durch andere Wissenschaftler) wurde als sinnvoll erachtet, nicht nach dem DoubleBlind-System (weder Begutachter noch begutachteter
Autor kennt die Identität des anderen) zu verfahren. Eine
Kombination von redaktioneller Arbeit, einer traditionellen Form der Qualitätssicherung, und Peer-Review-Verfahren wird empfohlen, wobei unterschiedliche Verfahren zur
Qualitätssicherung zu wählen sind. Als wesentliche Form
zukünftiger Qualitätssicherung wird ein über Netzwerke
erfolgendes und die Forschung begleitendes Review-Verfahren betrachtet.
Der Text wird mit einer ausführlichen Bibliographie zur
Thematik ergänzt und mit einigen Abbildungen illustriert.
herausgegeben von Jill Bepler und Helga Meise
Bd. 126. 2010. 412 S. mit 66 s/w-Abb. und 6 Farbabb.
978-3-447-06399-9, € 89,–
Der Band stellt eine der in jüngster Zeit erschlossenen
Adelsbibliotheken der Habsburgermonarchie vor, die Bibliothek der Fürsten Eggenberg in Český Krumlov/ Böhmisch Krumau. Das Schloss der Fürsten Rosenberg, Eggenberg und Schwarzenberg ist heute vor allem wegen seiner
architektonischen Pracht und seines vollständig erhaltenen barocken Theatersaals bekannt. Es beherbergt aber
auch einen bedeutenden Teil der ehemaligen fürstlichen
Büchersammlungen. Die hier publizierten Tagungsbeiträge markieren den Abschluss einer von der Dorothee
Wilms-Stiftung geförderten Zusammenarbeit zwischen
der Herzog August Bibliothek und Buchwissenschaftlern
in České Budějovice/ Budweis und Prag. Sie erkunden die
Bestände und die Sammlungsgeschichte der Eggenberger
Fürstenbibliothek im Kontext der politischen und konfessionellen Geschichte der Adelslandschaft der böh­mischen
Länder vom 16. bis zum frühen 18. Jahrhundert. Die Beiträge zeichnen die Profile von Sammlern und Lesern nach
und ziehen Vergleiche zu anderen Adels- und Hofbibliotheken.
Von besonderer Bedeutung für den Aufbau und den Erhalt der Bibliothek waren die Fürstinnen. Sie engagierten
sich nicht nur in Böhmisch Krumau und in anderen Adelsgeschlechtern der Habsburgermonarchie für das Buch und
den Umgang mit ihm, sondern auch in den Territorien des
Heiligen Römischen Reiches. An Einzelfällen untersucht der
Band den Umgang der Fürstinnen mit dem Buch, auch deren Tätigkeit als Übersetzerinnen, und den Aufbau und das
Schicksal ihrer Sammlungen. Die wichtigsten Quellen bilden
weitgehend unbekannte Nachlassinventare und Verzeichnisse, die hier ausgewertet wurden. Die Vielfalt der kulturellen Tätigkeiten, die sichtbar wird, liefert so eine erste Kartie-
35
rung der adeligen Bibliothekslandschaft in den deutschsprachigen Ländern der Frühen Neuzeit, die der Perspektive und
den kulturellen Praktiken der Fürstinnen Rechnung trägt.
Wolfenbütteler Abhandlungen zur
Renaissanceforschung
Wolfenbütteler Abhandlungen
zur Renaissanceforschung,
Band 26
Wolfenbütteler Forschungen,
Band 124
Vorwelten und Vorzeiten
Archäologie als Spiegel historischen Bewußtseins in der
Frühen Neuzeit
Sebastian Brant und
die Kommunikationskultur um 1500
herausgegeben von Klaus Bergdolt, Joachim Knape,
Anton Schindling und Gerrit Walther
herausgegeben von Dietrich Hakelberg
und Ingo Wiwjorra
Bd. 26. 2010. 428 S. mit 42 s/w-Abb. und 4 Farbabb.
Bd. 124. 2010. 572 S. mit 70 s/w-Abb. und 4 Farbabb.
Der Band vereinigt die Beiträge von dreizehn RenaissanceExperten, die sich zu Leben, Werk und Wirken Sebastian
Brants (1457 – 1521) äußern und dabei seine wichtige und
zugleich ambivalente Rolle in der Intellectual History seiner Epoche neu ausleuchten. Dieser um 1500 in Europa
berühmteste deutsche Autor, zunächst Basler Juraprofessor, dann Kanzler der Freien Reichsstadt Straßburg, erhebt
seine Stimme in allen wichtigen politischen und kulturellen
Diskursen seiner Zeit. Er ist der Proto­typ des im Leben stehenden Humanisten und wird am Vorabend der Reformation als Dichter (insbesondere durch sein Narrenschiff ), als
Humanist, Jurist und Reichs­propagandist Kaiser Maximi­
lians I. zu einem der führenden Intellektuellen seiner Zeit.
978-3-447-06295-4, € 89,–
Das Ausgraben und Sammeln von Altertümern ist viel älter
als die im 19. und 20. Jahrhundert etablierten archäologischen Wissenschaften. Schon in der Frühen Neuzeit haben
naturforschende Ärzte und Apotheker, standesbewusste
Adelige, aufgeklärte Lehrer und Theologen archäologische
Funde entdeckt, gesammelt, beschrieben und publiziert –
fernab der antiken Stätten Griechenlands und Italiens, und
doch mit der Antike im Blick. Römische Münzen und Inschriftensteine, geheimnisvolle Hünengräber und mittelalterliche Grablegen, rätselhafte Donnerkeile und heidnische
Urnen, aber auch versteinerte Pflanzen und Tiere machten
Geschichte greifbar und ergänzten die Schriftüberlieferung.
Motivierend für diese Forschungen waren elementare Fragen nach Schöpfung und Alter der Welt, nach der Herkunft
von Region und Herrschaft oder von Städten und Völkern.
Heidnische Götzen und schaurige Bestattungsrituale erinnerten an die eigene Sterblichkeit und faszinierten die frommen Gelehrten. Ihre Erklärungsversuche archäologischer
Funde und Befunde erweisen sich als Wechselspiel zwischen
populären und gelehrten Deutungen. Archäologische Entdeckungen erregten schon in der Frühen Neuzeit Aufsehen
und fanden ihren Platz in der Erinnerungskultur.
Der Band dokumentiert das vom 20. bis 23. November 2007 an der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel
durchgeführte Arbeitsgespräch Vorwelten und Vorzeiten –
Archäologie als Spiegel historischen Bewußtseins in der Frühen Neuzeit. 24 Autorinnen und Autoren eröffnen interdisziplinäre Forschungsperspektiven zur Geschichte der Archäologie im kultur- und ideengeschichtlichen Kontext.
36
978-3-447-06300-5, € 98,–
Zeitschriften
Wolfenbütteler
Barock-Nachrichten,
Jahrgang 37 (2010), H. 1/2
Wolfenbütteler Barock-Nachrichten
In Zusammenarbeit mit dem Wolfenbütteler Arbeitskreis
für Barock­forschung herausgegeben von
der Herzog August Bibliothek
Irmgard Palladino, Maria Bidovec: Johann Weichard von
Valvasor (1641–1693). Ein Protagonist der Wissenschaftsrevolution der Frühen Neuzeit. Leben, Werk und Nachlass.
Wien – Köln – Weimar 2008 (Majda Orazem-Stele)
Bibliographie zur Barockliteratur
Redaktion: Jill Bepler und Petra Feuerstein-Herz
Bibliographie: Ingrid Nutz
Um Lohensteins Sophonisbe 1669/1680
Herausgegeben von Marie-Thérèse Mourey
Wolfenbütteler Notizen zur Buchgeschichte
H. 1/2, Jg. 37 (2010). IV + 168 S.
(ISSN 0340-6318), € 45,–
Aus einem internationalen, interdisziplinären Symposion, das 1972 in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel über die Frage der Quellen der Barockforschung stattfand, entstand der Wolfenbütteler Arbeitskreis für Barock­
forschung. Als Kommunikationsorgan initiierte er ein
Mitteilungsblatt, aus dem sich eine eigene Zeitschrift entwickelte. Beiträge aus den vielschichtigen Themenbereichen der Frühneuzeitforschung werden durch Projektberichte und durch Hinweise auf die Neuerwerbungen der
Bibliothek ergänzt. Beigegeben ist eine fortlaufende Bi­
bliographie zur Erforschung der Frühen Neuzeit.
Beiträge
Marie-Thérèse Mourey : Einleitung. Um Lohensteins Sophonisbe (1669/1680)
Pierre Béhar : Lohenstein oder der verhinderte Dichter. Zur
Deutung des Trauerspiels Sophonisbe
Marie-Thérèse Mourey : Die literarische Landschaft in Schlesien um 1660 –1680: Ein Frontenkrieg und seine Opfer
Dirk Niefanger : Lohensteins Sophonisbe als Metadrama
Thomas Borgstedt : Die Erfindung der Tragödie als panegyrisches Opferspiel in Lohensteins Sophonisbe
Elisabeth Rothmund : Abschluss oder Abstieg? Lohensteins
Sophonisbe und die Tradition des schlesischen Trauerspiels
Anne Wagniart : Lohensteins Sophonisbe und die Polemik um
die politische Ausrichtung des schlesischen Kunstdramas
Rezensionen
Volker Meid: Die deutsche Literatur im Zeitalter des Barock.
München 2009 (Italo Michele Battafarano)
Klaus-Dieter Herbst: Verzeichnis der Schreibkalender des
17. Jahrhunderts. Jena 2008 (Volker Bauer)
Klaus Matthäus und Klaus-Dieter Herbst (hrsg. u. komm.):
Johann Jakob Christoffel von Grimmelshausen: Simplicianische Jahreskalender. Europäischer Wundergeschichten
Calender 1670 bis 1672 (Nürnberg) Schreib-Kalender 1675
(Molsheim). Faksimiledruck. Erlangen und Jena 2009 (Dirk
Niefanger)
Stefan Keppler (Hrsg.): Georg Philipp Harsdörffer: Hertzbewegliche Sonntagsandachten (1649 und 1652). 2 Bände in
einem Band. Nürnberg 1649 und 1652. Reprint: Hildesheim
2007 (Cornelia Niekus Moore)
Wolfenbütteler Notizen
zur Buchgeschichte,
Jahrgang 35 (2010), H. 1
In Zusammenarbeit mit dem Wolfenbütteler Arbeitskreis
für Bibliotheks‑, Buch- und Medien­geschichte herausgegeben von der Herzog August Bibliothek
Redaktion: Thomas Stäcker und Andrea Opitz
H. 1, Jg. 35 (2010). IV + 130 S.
(ISSN 0341-2253), € 45,–
Die Wolfenbütteler Notizen zur Buchgeschichte, die seit 1976
von der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel herausgegeben werden, gingen aus einer Initiative des noch
heute, mit geändertem Namen bestehenden Wolfenbütteler Arbeitskreises für Bibliotheks‑, Buch‑ und Mediengeschichte hervor. Sie erscheinen heute in der Regel zweimal
im Jahr und nehmen Artikel aus dem Bereich der buch- und
bibliotheksgeschichtlichen Forschung überwiegend – aber
nicht ausschließlich – aus dem deutschsprachigen Raum
auf. Das Spektrum der Einzelbeiträge reicht von der Einbandforschung, Druckgeschichte, Buchhandels- und Verlagsgeschichte, Bibliotheks- und Sammlungsgeschichte,
von bibliographischen Studien, vom Bibliotheksbau bis zu
theoretischen Arbeiten über die neuen Medien. Jedes Heft
enthält durchschnittlich zwei Rezensionen besonders interessanter Neuerscheinungen aus diesen Gebieten.
Beiträge
Patrizia Carmassi : Neue Ergebnisse aus der Katalogisierung
der Halberstädter Handschriften
Michal Spandowski : Antoninus Florentinus: Confessionale,
Defecerunt – Mainz edition (GW 2094)
Holger Nickel : Gedruckte Lettern in und auf spätmittelalterlichen Büchern
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Ralph Keen : Ecclesiastical Patronage and Catholic Printing
in Germany 1530 – 50
The Patristic Revival and Theological Polemics in the
16th Century
Jürgen Beyer : Dr. Speners Fingernagel. Zum Umgang mit
Pflichtlektüre auf Reisen
Christoph Boveland : Auf den Spuren der verborgenen Bibliothek von Mlle de Montbail
Jürgen Babendreier : Diskurs als Lebensform. Georg Leyh
und seine Schrift „Die Bildung des Bibliothekars“
Mary Beth Winn : Alain Bouchart’s Grandes Croniques de Bretaigne and Claude de France
Rezensionen
Eduard Isphording: Kräuter und Blumen. Kommentiertes
Bestandsverzeichnis der botanischen Bücher bis 1850 in
der Bibliothek des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg (Petra Feuerstein-Herz)
Urs B. Leu: Conrad Gessner’s private library (Martin Germann)
Eberhard Nehlsen (Bearb.): Berliner Liedflugschriften. Katalog der bis 1650 erschienenen Drucke der Staatsbibliothek
zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (Hans-Jörg Künast)
Fréderic Barbier (Hrsg.): Paris, capitale des livres. Le monde
des livres et de la presse à Paris du Moyen Âge au XXe siècle
(István Monok)
Frieder von Ammon u. Herfried Vögel (Hrsg.): Die Pluralisierung des Paratextes in der Frühen Neuzeit. Theorie, Formen, Funktionen (Christoph Reske)
Veröffentlichungen zur „Fruchtbringenden
Gesellschaft“
Reihe I, Abt. A: Köthen, Bd. 5
Die deutsche Akademie des 17. Jahrhunderts:
Fruchtbringende Gesellschaft.
Kritische Ausgabe der Briefe, Beilagen und
Akademiearbeiten (Reihe I),
Dokumente und Darstellungen (Reihe II)
Begründet von Martin Bircher (†) und Klaus Conermann.
38
Im Auftrag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften
zu Leipzig, in Kooperation mit der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel herausgegeben von Klaus Conermann.
Reihe I, Abt. A: Köthen, Abt. B: Weimar, Abt. C: Halle;
Reihe II, Abt. A: Köthen, Abt. B: Weimar, Abt. C: Halle.
In Kommission: De Gruyter.
Reihe I, Abt. A: Köthen, Bd. 5:
Briefe der Fruchtbringenden Gesellschaft und Beilagen:
Die Zeit Fürst Lud­wigs von Anhalt-Köthen 1617–1650.
5. Bd.: 1639 –1640. Unter Mitarbeit von Gabriele Ball und
Andreas Herz herausgegeben von Klaus Conermann.
Leipzig 2010.
Leinen, 712 Seiten. Zahlreiche Abbildungen.
ISBN 978-3-11-023280-6, 129,95 €.
Der jüngste Editionsband legt mit über 180 reich kommentierten Briefen, Beilagen und Abbildungen ein Quellenreservoir vor, das die sprachlichen, literarischen und kultu­
rel­len Initiativen und Projekte der Fruchtbringenden Gesellschaft (FG) in den Jahren 1639 und 1640 dokumentiert.
Den bedrückenden Hintergrund dieser Aktivitäten bildet der Dreißigjährige Krieg, in dessen Eskalationsdynamik sich nur mühsam und noch in weiter Ferne Friedensregelungen mit den auswärtigen Mächten Schweden und
Frankreich und mit den aus dem Prager Frieden (1635) ausgeschlossenen oder nicht wirklich befriedeten Reichsständen abzuzeichnen beginnen. Mitteldeutschland, das Kernterritorium der Fruchtbringenden Gesellschaft, ist besonders stark von Verwüstung und Entvölkerung betroffen, da
„nichts alss verwüstete lande, welche freundt und feindt
zu grunde ruiniret“, zu finden sind, so der schwedische Generalissimus Johan Banér in einem Brief vom 11. November 1640.
Angesichts der Schrecken des Krieges nimmt seit dem
gescheiterten Prager Frieden auch in der FG eine an Stärke
gewinnende patriotische Frie­denspropaganda zu, die sich
in einen immer breiter werdenden Strom patriotisch-friedensgesinnter und politisch-kritischer Publizistik einbettet. Sie begegnet tendenziell schon in Fürst Ludwigs von
Anhalt-Köthen – Oberhaupt und spiritus rector der FG
von 1617–1650 – Tamerlan-Übersetzung (1639), der satirischen LEGATION Oder Abschickung der Esell in Parnassum (1638) Rudolfs von Dieskau, aber auch in einem so
unscheinbaren Text wie dem Trauergedicht von Chri­stian
Gueintz auf den verstorbenen Fruchtbringer Franz von Trotha oder seiner ganz und gar nicht ‚bukolischen‘ ECLOGA
oder Friedensgespräch (1639 und 1640), wie auch in Justus Georg Schottelius’ Lamentatio Germaniae exspi­rantis
(1640). Mit der auf Erasmus’ von Rotterdam Querela Pacis
zurück­gehenden Friedensrede Diederichs von dem Werder – erstmals 1639 gedruckt und mehrfach öffentlich aufgeführt – gewinnt die Friedenssehnsucht der Fruchtbringer dann ihre eindrucksvollste Literarisierung. Sie wird im
hier angezeigten Band vollständig kritisch ediert. Die Friedensrede ist die Kontrafaktur zum unvermindert anhaltenden Kriegsdruck, wie er sich auch in den politisch-militäri-
schen Berichten der Fruchtbringer Freiherr Enno Wilhelm
von Innhausen und Knyphausen und Christian Ernst Knoch
an Fürst Ludwig zeigt, die in ausgewählten Stücken ebenfalls zur Veröffentlichung gebracht werden. Den Forderungen nach einem gerechten, die verschiedenen Ansprüche
und Interessen äquilibrierenden Universalfrieden konnte
sich schließlich auch die für die pazifikatorischen Weichenstellungen wichtige Reichspolitik auf dem Nürnberger Kurfürstentag (1639/40) und dem Regensburger Reichstag
(1640/41) nicht entziehen.
Frieden beginnt mit Vertrauen und Verständigung, mit
Dialog und Sprache, den Kernpunkten des Programms der
Fruchtbringerischen Gesellschaft. Darum setzt Ende 1638
nicht von ungefähr die organisierte, dabei vollständig entkonfessionalisierte Arbeit der Fruchtbringer an der Mutter‑, Volks- oder Landessprache ein, dabei zurückgreifend
auf frühere Bemühungen, die bis ins Jahr 1618 und die ratichianische Bildungsreform in Köthen und Weimar zurückgehen. Die seit Ende 1638 geführte Debatte um eine
grundlegende deutsche Grammatik bringt mit der Deutschen Sprachlehre (1641) des Hallenser Gymna­sialdirektors
Christian Gueintz ein erstes, kontrovers diskutiertes Referenzwerk der Fruchtbringenden Gesellschaft hervor.
Schon zuvor war Fürst Christians II. von Anhalt-Bernburg
Guevara-Übersetzung Vnterweisung Ei­nes Christlichen
Fürsten 1639 in Köthen erschienen. Das beigegebene sog.
Druckfehler-Verzeichnis ist in Wahrheit ein umfangreiches
Verbesserungs­werk, das den Text nach den in der Diskussion sich abzeichnenden gram­matischen (und tw. orthographischen) Regeln dieser Sprachlehre durchkorrigiert.
In den Anfängen dieser rasch an Intensität und Wirkungskraft gewinnenden fruchtbringerischen Sprachdebatte –
tatsäch­lich wird die Gesellschaft 1639 und in den 40er Jahren zum organisierenden Zentrum der „Sprachar­beit“ in
Deutschland – werden bereits die unterschiedlichen Argumentationen und Konzepte der Regulierung, Standardisierung und Kodifizierung des Hochdeutschen ab­gesteckt
und erprobt. Dies wird besonders an der noch im selben
Jahr 1641 erstmals erschienenen deutschen Grammatik
von Justus Georg Schottelius, der Teutschen Sprachkunst,
greifbar. Sie führt die Positionen des wichtigsten sprachtheoretischen Gegenspielers von Gueintz und Fürst Ludwig in der FG ins Feld. Flankiert wird diese 1639/40 schon
an etlichen ausführlichen grammatischen Gutachten und
Stellungnahmen zu verfolgende Spracharbeit von Bibeldichtungen, ‑harmonien und ‑übersetzungsbemühungen, von Diskussionen und Entwürfen zur Poetik, von Martin Opitz’ Initialwerk zur historischen deutschen Philologie
(annotierte Ausgabe des frühmittelhochdeutschen Annolieds) so­wie vielen anderen Zeugnissen literarischer und
gelehrter Produktivität und Rezeption, die den immensen
europäischen Kulturtransfer in Renaissance und beginnendem Barock bezeugen. So versuchte sich Hans Ludwig
von Knoch 1639 an einer Übersetzung des Don Quijote, die
zwar Stückwerk blieb, aber den bedeutenden Anteil der FG
an der deutschen Rezeption moderner spanischer Literatur
um eine weitere Facette bereichert.
In diesen Jahren tritt auch der Wolfenbütteler Hof (damals noch in Braunschweig) als ein Zentrum der FG hervor,
sowohl in der Sprachdebatte, als auch in der Person Herzog
Augusts d. J. von Braunschweig-Wolfenbüttel selbst. 1640
erschien erstmals seine Passionsharmonie, deren eigenhändiger Entwurf von 1638/39 sich er­halten hat. Das Werk erschien 1641 und 1650 in zwei weiteren Auflagen im Druck.
Diese Arbeit war unverfänglicher als Hz. Augusts theologisch und kirchenpolitisch heftig umstrittenes großes Projekt einer Revision der Lutherbibel, ist aber ebenfalls unter den Gesichtspunkten muttersprachlicher Reform- und
dogmatisch-exege­tischer Harmonisierungsbestrebungen
be­deutsam. Für diese spricht schon die enge Zusammenarbeit mit Georg Calixt, dem Ireniker an der welfischen Universität in Helmstedt, und dem württembergischen Hofprediger und Konsistorialrat Johann Valentin An­dreae. Bei
ihm markiert das Jahr 1640 den Beginn einer lebenslangen
intensiven Korrespondenz mit Herzog August, der Andreae
1646 auch den Weg in die FG ebnete.
An den Bestrebungen zur Sprachregulierung, Literaturreform und historischer Philologie beteiligten sich nicht
nur prominente Mitglieder wie Fürst Ludwig, Diederich von
dem Wer­der oder Martin Opitz sowie Aufnahmekandidaten wie Christian Gueintz und Augustus Buchner, sondern
auch weit weniger bekannte Fruchtbringer wie die anhaltischen Räte Martin Milagius und Joachim Mechovius, der
Hallesche Verbindungs- und Obmann der erzstift-magdeburgischen Stände Hans von Dieskau, Friedrich Hortleder
(Hofrat in Weimar), außerdem etwa Jacob Martini (Universitätslehrer in Wittenberg) und Balthasar Walther (Superintendent der Stadt Braunschweig), u. a.
Die innergesellschaftlichen Gepflogenheiten und
Usancen – die gegenseitige Werkkritik, Literatur- und
Nachrichtenaustausch, Ersinnen und Führen von Mitglieder-Impresen, deren Übersetzung ins Französische, die
Vorbereitungen zu einem überarbeiteten illustrierten Gesellschaftsbuch u. v. m. – finden nicht nur in den Korrespondenzen der Jahre 1639/40 ihren selbstverständlichen Niederschlag, sondern auch in einer im FG-Archiv erhaltenen,
allerdings nicht datierbaren, mit burlesken Versen versehenen Federzeichnung des „Ölbergers“, des rituellen Trinkgefäßes der FG, die im angezeigten Band abgebildet wird.
Die weibliche Parallelgründung zur Fruchtbringenden
Gesell­schaft, die bis heute in der Forschung unterschätzte
Tugendliche Gesellschaft, hat in diesem Band wieder einen literarischen und anmutigen bildnerischen Auftritt
aus Anlass des Todes eines Mitglieds, der Prinzessin Anna
Sophia von Anhalt-Bernburg. Schlaglichter zur deutschen
und europäischen Kriegs‑, Diplomatie‑, Alltags‑, Frömmigkeits- und Kulturgeschichte erhellen ihrerseits die wenig
bekannte Epoche des 30jährigen Krieges der späten 30er
und 40er Jahre.
Vier Register beschließen den Band: ein Wörterverzeichnis,
(erstmals) ein Glossar der in den Quellen erscheinenden
sprachwissenschaftlichen Fachtermini („Kunstwörter“), ein
Sach- und ein Personenregister. Letzteres kumuliert als einziges Register nicht die Einträge des Bandes mit jenen der
Vorgängerbände. Dies hätte den vertretbaren Umfang der
39
Register im Band erheblich gesprengt. Alle Register aber
können in kumulierter Form online eingesehen werden:
http://www.hab.de/forschung/projekte/fruchtbringerei/
register.htm
Andreas Herz
Abb. 1: Gemälde der Palmenimprese, Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar: Urkunde 1651 Januar 8.
40
Was wäre, wenn Varus gewonnen hätte?
„Wolfenbütteler Gespräche“ zum deutschen Gründungsmythos
Der Berliner Historiker Alexander Demandt stellte im
Rahmen der „Wolfenbütteler Gespräche. Religionen in
der Zivilgesellschaft“ kontrastierende Überlegungen
zum deutschen Gründungsmythos vor. Anlässlich des
2000-jährigen Jubiläums der Varusschlacht im Teutoburger Wald sollte dieses epochale Ereignis einmal aus
einer umgekehrten Perspektive betrachtet werden. Demandt legte dar, wie sich eine Provinz Germania im
Römischen Reich und im späteren Verlauf der Weltgeschichte nach der Varusschlacht hätte entwickeln kön-
nen und stellte Spekulationen an, was die Konsequenzen einer Niederlage der Germanen gewesen wären:
Der Versuch der Römer, das Imperium auf das Gebiet
zwischen Rhein und Elbe auszudehnen, hätte Erfolg gehabt und die Germanen wären wie die Kelten durch die
römische Zivilisation geprägt worden.
Die Wolfenbütteler Gespräche finden in Zusammenarbeit mit dem Bildungswerk der Friedrich-Ebert-Stiftung in Hannover in der Augusteerhalle statt.
Abb. 1: Referent und Veranstalter im Büro des Direktors: Friedrich Weber, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche, Helwig Schmidt-Glintzer, Direktor der Herzog August Bibliothek, der Referent Alexander Demandt, von 1974 bis 2005 Professor für Alte Geschichte am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin, Ulrich Menzel, Leiter des Instituts für Sozialwissenschaften der TU
Braunschweig, Wilhelm Schmidt, Vorsitzender des Präsidiums des Bundesverbandes der Arbeiterwohlfahrt und Karl Ermert, Direktor der
Bundesakademie für kulturelle Bildung
41
Da ist Musik drin: Die „Jazzkantine“ füllt die Augusteerhalle
Mit einem besonderen musikalischen Highlight ließ
die Bibliothek am 29. August 2010 den Tag der Braunschweigischen Landschaft ausklingen: Die Braunschweiger „Jazzkantine“ gab mit einem UnpluggedAuftritt ein Finissage-Konzert für die Ausstellung „Das
Athen der Welfen – Die Reformuniversität Helmstedt
1576 –1810“ (Abb. 1 und 2).
Die „Jazzkantine“ ist eine seit 1994 bestehende Band,
die in den vergangenen Jahren durch ihre ungewöhnlichen Arrangements von Jazz aufgefallen ist. Besondere Bekanntheit erhielt sie in den vergangenen Jahren durch über 1000 Live-Konzerte, acht mehrfach ausgezeichnete Alben und ihre Braunschweig-Musicals
„Braunschweich, Braunschweich“, „Ölper Zwölf Points“
und „Unser Eintracht“. Die „Jazzkantine“ erhielt für die
beste Jazzproduktion den „Echo Award ’95“, den größten deutschen Musikpreis, für den sie auch 2009 nominiert war.
Tagsüber fand in Wolfenbüttel der Tag der Braunschweigischen Landschaft statt, an dem sich in der
Wolfenbütteler Innenstadt an zahlreichen Stellen Wolfenbütteler und Braunschweigische Institutionen und
Vereine präsentierten. Die Herzog August Bibliothek
als Landesbibliothek des Braunschweiger Landes öffnete ihre musealen Räume und präsentierte abends die
„Jazzkantine“.
Abb. 1 und 2:
Die „Jazzkantine“ in Aktion vor
den Büchern Herzog Augusts
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Augusta. Wolfenbütteler Bibliotheks-Informationen, Jg. 35 (2010)
Herausgegeben von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel
Postfach 1364, 38299 Wolfenbüttel, Tel.: (05331) 808-0
Redaktion: Anne Tilkorn und Gudrun Schmidt
Gestaltung: Gudrun Schmidt und Eva-Maria Reckert
Druck: braunschweig-druck GmbH, Braunschweig
ISSN 0931-4032
Herzog August Bibliothek
Postfach 13 64
38299 Wolfenbüttel
Lessingplatz 1
38304 Wolfenbüttel
Telefon: 05331 808-0
www.hab.de
Herzog August Bibliothek
Wolfenbüttel