Szene 1 Es ist jetzt schon fast vier Jahre her, als ich anfing, mich mit

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Szene 1 Es ist jetzt schon fast vier Jahre her, als ich anfing, mich mit
Szene 1
Es ist jetzt schon fast vier Jahre her, als ich anfing, mich mit der
Geschichte zu beschäftigen, die eigentlich ja auch meine Geschichte
ist. Also, wo fange ich an? Am Besten, als ich ihn zum ersten Mal traf.
Oder vielleicht war es auch schon das vielfachste Mal.
Ich hatte Studium und erste Gehversuche im Beruf hinter mich
gebracht und saß als frischgebackener Werbemanager bei einem recht
großen Optikkonzern an meinem Schreibtisch. Es war natürlich der
mir zugewiesene, nicht ganz neue Schreibtisch und auch die anderen
Büromöbel hatten Charme. Wenn man es vornehm ausdrückte. Allerdings war der Job interessant. Wir, das heißt die Abteilung OptikWerbung hatte den Auftrag, alle Werbung für alle Optikprodukte des
Konzerns zu machen. Das waren Drucksachen, Bücher, Zettel, Messen
und auch Filme.
Richtige Filme, eigentlich sollte ich jetzt sagen, so auf Zelluloid, aber das stimmt natürlich nicht mehr. Es waren Filme auf nichtbrennbarem Material. Aber immer noch richtige Filme. So zum projizieren in verdunkeltem Raum, mit Schauspielern und Schauspielerinnen. Aber auch mit echten Größen aus der Welt der Physik und der
Optik.
Da meine Erfahrungen mit Filmen sich auf einige Normal-8Experimente meiner Studentenzeit reduzierten und natürlich auch im
restlichen Konzern keiner richtige Filme machen konnte, hielt man
sich dafür einen Filmproduzenten.
Damals hatte ich noch einen Chef, ein promovierter Mann, der
nur bedingt Physiker und auch wirklich nur bedingt Werbefachmann
war. Aber er war der große Taktierer in der Firma. Er hatte mich eingestellt, um seine fachlichen Lücken in der Abteilung zu schließen
und hielt mich, vielleicht zu recht, des taktierens für unbegabt.
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Und dieser Dr. Ast sagte dann, knapp sechs Wochen nach meinem Start in der Werbeabteilung zu mir:
»Sie empfangen heute unseren Filmproduzenten, Herrn Dueleen. Zu dem müssen Sie zwei Sachen wissen. Erstens, daß er ein großes Schlitzohr ist und dem Konzern alles dreimal verkauft. Aber... «,
er sah mich in einer merkwürdig schelmischen Art an und lächelte, das
aber ziemlich breit, »...ich habe ihn nicht in die Firma geholt, das war
unser Herr Armeweg. Und zweitens, daß er sich ›Dülehn‹ spricht, aber
Dueleen schreibt. Kommt aus dem Niederländischen. «
Damit war mir klar, daß ich mal wieder in die Reibereien zwischen den verschiedenen Abteilungen einbezogen wurde und den ehrenvollen Auftrag, den Filmproduzenten zu empfangen, nur bekam,
weil andere fürchteten, irgendeine Geschichte, ob es jetzt um Frauen,
Mißbrauch von Kundenbewirtschaftung oder auch nur einfache Vorteilsnahme ginge, bliebe an ihnen hängen.
Denn Dueleen ging der Ruf voraus, ein Hansdampf in allen
Gassen, ein Charmeur und Weiberheld, ein Säufer und Bestecher par
Excellenze zu sein. Und in den wenigen Tagen meiner Tätigkeit hatte
ich das auch schon gehört. Dieser Dueleen war in aller Munde und
obwohl eigentlich nur schlecht über ihn geredet wurde, sprachen alle
mit einer gewissen Hochachtung, sogar mit etwas Ehrerbietung von
ihm.
Es kam der Moment, es war vierzehn Uhr, der Pförtner hatte
angerufen, Herr Dueleen würde gebracht. Es klopfte an der Tür.
»Ja, bitte. Nur herein... «
»...wenn's kein Schneider ist«, konnte ich mir gerade noch versagen.
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Tür auf und im Türrahmen steht ein Mann, ein Herr, ein toller
Typ, eine gepflegte Erscheinung und mir schießt nur ein Gedanke
durch den Kopf - den kennst du!
Dueleen war ebenso groß wie ich, also so ein Meter sechsundachtzig, elegante, schlanke Figur. Dabei auch eine Hauch von Sportlichkeit ausstrahlend. Sehr gepflegtes Haar, teuere Brille, teuere Armbanduhr, teuerstes Outfit überhaupt. Selbstverständlich grauer Nadelstreifanzug - aber dann auch noch Spitzenklasse in der Ausführung.
Schwarze, überaus elegante Slipper und ein Stöckchen mit Silberknauf in der Hand. Sehr elegant und auffallend. Eben nicht negativ,
sondern gut. Auch die kleine Anstecknadel auf dem Revers, die goldene Nadel der Lufthansa, die ihn als Honorable auswies, war dezent,
aber doch so unglaublich deutlich.
Ich aber dachte immer noch - ›den kennt du‹. Wie sollte ich einen solchen Beau kennen. Ich hatte neben meinem naturwissenschaftlichen Leben zwar auch schon ein wenig die Bereiche der Kunst und
des Theaters betreten, aber dieser Nadelstreifen kam aus einer Gewichtsklasse, in der ich bis jetzt nicht gekämpft hatte.
Meinem Gegenüber, der noch immer im Türrahmen stand,
schien es nicht besser zu gehen, erst als die ›gelbe Dame‹, also die
Mitarbeiterin in der Pförtnerloge, die Gäste zu ihrem Ziel brachte,
fragte, ob alles in Ordnung sei, lösten wir unser gegenseitiges Erstarren in geschäftsmäßige Freundlichkeit auf und fingen an mit Platzanbieten, Visitenkartentausch und mit dem Gespräch über das Wetter,
das wohl bald besser werden würde. Allerdings war uns beiden klar,
daß irgend jemand die nächste Frage stellen mußte:
»Sagen Sie mal, kennen wir uns nicht von irgendwo her? «
Ist allerdings recht primitiv und auch peinlich. Und mir in besonderem Maße, denn ich kenne mein schlechtes Personengedächtnis.
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Nicht, daß es für mich schwer ist, die Namensliste eines ganzen Kongresses auswendig zu lernen, ich erkenne nur die Gesichter so schwer
wieder. Wenn ich weiß, wer mein Gegenüber ist, kein Problem, alle
Fakten, ›wie geht es Ihren beiden Kindern, Max und Moritz hießen sie
doch und Ihrer Frau Erna, also wirklich, viele Grüße‹, hintereinander
zu bringen. Nur ein Gesicht dem Thema zuzuordnen, da habe ich meine Schwierigkeiten. Hatte mein großer, nadelgestreifter PattekPhillippe-Träger die ähnlichen Probleme? Das Gespräch verlief sehr
unruhig, unkonzentriert. Mir wurde langsam klar, einer mußte sagen,
»sagen Sie mal... «. Ich verlor die Nerven.
»Sagen Sie mal, kennen wir uns nicht von irgendwo her? «
Wirklich, irgend etwas Besseres sollte einem schon einfallen.
Aber das war die eigentliche Frage, also blieb diese Frage übrig, deshalb stellte ich sie und deshalb kam ich mir blöd vor. Und außerdem
hatte ich ja in meiner neuen Stellung Stil und Würde zu waren.
»Ich habe die ganze Zeit darüber nachgedacht, wahrscheinlich
habe ich bis jetzt mein Gespräch gar nicht richtig geführt und meine
Gesprächsvorbereitung ist jetzt auch kaputt. Ernsthaft, wir müssen uns
kennen - aber woher? «
Dueleens Worte nahmen den Streß weg. Also er auch. Dann
kann man doch sofort vertraut loslegen: Lebenslauf und Orte vergleichen und die Übereinstimmung muß zu finden sein:
»In Frankfurt aufgewachsen und in Heidelberg studiert. «
»In Düsseldorf aufgewachsen und in Bochum auf der Bergbauschule mal angefangen, Techniker zu werden. «
Das war es also nicht. Ziemlich weit weg voneinander, aber
jetzt erst mal die zeitliche Übereinstimmung prüfen.
»32 Jahre alt. «
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»42. «
Wieder nichts, außerdem verdammt alt der Schönling, muß ihn
als Grand Seigneur einstufen. Dann die Hobbys getestet:
»Joggen und Rallyefahren. «
»Briefmarken und Modelleisenbahnen. «
Schwache Übereinstimmung. Aber er spricht sehr reines Hochdeutsch und die Stimme könnte man als gewaltig bezeichnen. Sie war
bestimmt, tief, kräftig und überzeugend. Einschmeichelnd wäre nicht
richtig, aber vertrauenerweckend. Vielleicht aus dem Bereich Kunst
und Presse.
Nein, er hat seine Schauspieler, Chefsprecher und er spricht
nicht selbst. Er schauspielert nie selbst, er ist Produzent und hin und
wieder auch mal Regisseur.
Aber Filme habe ich nie gemacht. Die Welt ist neu für mich und
doch schon schillernd. Schon nach diesen paar Minuten mit einem
echten Produzenten. Oder einem, der nur einen Auftrag von meiner
Firma will und deswegen alles erzählt was dem nützlich ist. Oder?
»Passen Sie auf, Herr Nader, das müssen wir rauskriegen, sonst
habe ich eine schlaflose Nacht vor mir. Die neue Filmproduktion kann
ich Ihnen ein andermal vorstellen. Fangen wir mit der Inquisition an:
Kennen Sie Vertevalley in der Schweiz? «
»Nein, völlig unbekannt. Ich weiß noch nicht einmal, wo das
auf der Karte liegt. Vielleicht kennen Sie Wattwil, da arbeitet ein Kollege von mir und ich war mal für einige Tage da, zu Besuch. «
»In Vertevalley habe ich mein Chalet, direkt unter der Videmannet, dem Hausberg dort. Mit einer langen Gondelseilbahn auf die
Spitze. Über 3000 m hoch. Oder kennen Sie Freiburg? «
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»In Freiburg war ich zur Kineasta, das war vor vier Jahren das
letzte Mal. «
»Ich habe ein paarmal auf der Kineasta ausgestellt, aber das
lohnt nicht den Aufwand. Meine Kunden kommen direkt zu mir. Mein
Studio ist in Freiburg-Glaubensberg. «
Wir hatten keine Übereinstimmung gefunden. Es war nicht erklärbar. Vielleicht gab es ja doch so was wie plötzliche Sympathie
oder auch ein Doppelgänger mußte in Erwägung gezogen werden.
»In St. Tropez können wir uns nicht getroffen haben«, sagte
Dueleen.
»Doch, jetzt haben wir zum erstenmal einen Treffer. Es muß St.
Tropez sein. Aber wann, wo?«
»Kennen Sie das Café de Lyon an der Mole? «
»Am Quai Suffren?«, »M. Marteau, den Wirt?«, »Ja, ja«
»Ja, das ist schon 10 Jahre her. Ich studierte noch in Heidelberg,
ja da war ich das erste Mal in St. Tropez. Ich weiß noch genau, es
waren Herlinde und Veronika, die eigentlich dafür verantwortlich
waren. Also, Herlinde war die Freundin von Veronika, die eine war
Krankenschwester, die andere Diätassistentin in einer der Kliniken der
Universität. Und Veronika war ein sehr vernünftiges Mädchen und
gehörte zu meinem größeren Bekanntenkreis. Nur hatte sie eine besondere Art der Frankophilie. Sie liebte nämlich direkt, immer die
französischen Offiziere, die in den Kasernen in und um Heidelberg
Dienst taten. Und die dann meist so nach einem Monat zurück in die
Heimat versetzt wurden. Oder so. Das war immer der große Zusammenbruch von Veronika. Es ging ihr dann psychisch und physisch
schlecht. Sie schalt sich immer eine Närrin und gelobte Besserung. Sie
ging dann, einige Tage später wieder, brav mit uns ein die normalen
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Studentenlokale, war nett und geknickt und kaum einen Monat später
gestand sie uns dann, daß er diesmal Pierre hieß und daß es diesmal
ganz anders sei. «
»Und mit Veronika waren Sie in St. Tropez! War das die verrückte Zeit..? «
»Veronika hatte mal wieder ihren Pierre verloren und wollte
ihm nachreisen. Der stammte nämlich, angeblich zumindest, aus der
Gegend um St. Tropez. Aber allein traute sie sich nicht. Also wurde
Herlinde aktiviert und da die auch die weite Fahrt nicht machen wollte, wurde ich noch überredet. «
»Mit zwei Mädchen auf nach St. Tropez. « Er schnalzte etwas
mit der Zunge. Er kostete sozusagen den Wein vor.
»Das war damals noch ein klein wenig so was wie eine Expedition. Mein Auto war zwar für einen Studenten über die Maßen gut,
hatte fünfundsechzig PS und Frontantrieb, aber die Straßen waren
eben die guten alten französischen. «
»Die Autobahn war noch nicht fertig«, warf Dueleen ein.
»Wir fuhren insgesamt drei Tage. Wenn man ehrlich ist, aber
nur, weil wir am ersten Tag nicht richtig aus Heidelberg wegkam. Die
Mädchen hatten Kleiderprobleme. Man las in verschiedenen Fachzeitschriften für die Frau, was gerade oben ohne war und daß St. Tropez
der Sündenpfuhl an sich sei. «
»Dabei hatte das Dorf immer der Charakter eines gut bayrisch
gesitteten Fleckens, zumindest bis Brigit Bardot kam«, ergänzte Dueleen.
»Klar, also los kamen wir so gegen Mittag und als es dunkel
wurde... «
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»Mensch, klar die Sommerzeit gab's ja auch noch nicht ... «
»...hatten wir so gerade den Schwarzwald hinter uns und waren
einige Kilometer in Richtung Besançon gekommen. Da lag dann der
berühmte Dichter Nebel auf der Straße. «
»Ist doch wie von der Vorsehung geschickt, ich wäre in das
nächste Hotel ... . «
»Herr Dueleen, damals doch nicht, da war das noch strafbar zumindest als Kuppelei in Deutschland und wie die französischen
Gesetze waren, wußten wir nicht so genau. Wir sind einfach bei
Kuhnacht und dickstem Nebel weitergefahren. Ich glaube, daß wir
manchmal nur zehn Stundenkilometer schafften. Und als der Tag und
mir's dann auch graute, schliefen wir an einer Autobahnbaustelle hinter Lyon und vor Valence im Auto. Zuerst war's furchtbar kalt und
dann wurde es so mollig und gemütlich, bis es zum Schweißausbruch
kam. Die Sonne war hoch gekommen und wir langen kreuz und quer
im Auto herum. Heruntergekurbelte Liegesitze sind schön und gut,
aber zu Dritt und dann noch richtig schlafen? «
»In Valence habe ich ein paarmal mit meinem Porsche gestanden, da gibt es in der Innenstadt ein paar Läden, direkt nebeneinander.
Im einen gibt es Baguette, im anderen Schinken, im nächsten Käse,
Wein, Obst, einfach alles war man haben will«, ergänzte Dueleen. »
Aber ich will Sie nicht unterbrechen. «
»Na ja, der nächste Tag brachte uns bis fast nach Nizza, aber irgendwie haben wir die Strecke über das Masiv des Mures nicht gefunden. «
»War auch eine echte Rallye-Strecke, meist nur geschottert und
einspurig. Ich mußte mit meinem Porsche immer über Ste. Maxime
und Frejus fahren. Die Bergstrecke hätte der nicht weggesteckt. Ob-
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wohl ich das einmal .... . Aber das erzähl ich später. Und wie haben
Sie dann St. Tropez gefunden? «
»Schlimm war ja auch noch die anhaltende Diskussion um oben
ohne. Damals war ja die Scham- oder Moralgrenze deutlich gefallen.
Zuerst hatte im August der Stern eine Oben-ohne-Mieze auf der Titelseite und dann fiel die besagte Grenze ja innerhalb weniger Wochen
unter die Schamhaare. «
»Da waren ja auf fast jeder Titelseite nur noch nackte Mädchen
zu sehen. Der Playboy fiel ja überhaupt nicht mehr am Ständchen auf.
Vorher mußte man ihn noch aus den Staaten kommen lassen, dann
liegt er plötzlich neben den Zigaretten. « Dueleen schüttelte sogar
etwas abweisend den Kopf.
»Ich meine die Diskussion in meinem Auto. Herlinde war der
Ansicht, daß man auf keinen Fall so in der Öffentlichkeit herumlaufen
kann und Veronika stimmte ihr zu. Sie ließe sich nicht dazu zwingen,
sich so zur Schau zu stellen. Dann lasen die beiden wieder in ihren
Frauenzeitschriften und fanden, daß die eine sowieso einen besonders
großen Busen hätte. Aber die Brust der anderen sei feiner und kleiner.
Ungefähr so wie ihre. Der könnte sie fast noch was vormachen. Ich
stimmte zu. Und schon waren wir wieder beim Anfang der Diskussion. «
»Warum haben sie nicht einfach ein Machtwort gesprochen? «
fragte Dueleen.
»Weil es nichts genutzt hätte. Die beiden redeten sich in einen
Oben-ohne-Rausch hinein. Zuerst natürlich durch dauernde Ablehnung, aber oben ohne war Dauerthema. Ich glaube, die ganze Diskussion gehörte für die Mädchen dazu, sie redeten sich sozusagen warm.
«
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»Heiß. « Dueleen hatte jetzt den Gesichtsausdruck eines Franzosen, der gekonnte das zweite halbe Dutzend Austern schlürft. »
Haben Sie nicht irgend etwas zum trinken im Büro.
»Oh, Entschuldigung, ich kann Frau Rosenteller bitten, Mineralwasser oder Fruchtsaft zu bringen, oder lieber einen Kaffee? «
Etwas peinlich war mir das schon. Da kommt ein irgendwie
fremder Besucher, man setzt sich hin und plötzlich plappere ich meine
studentischen Mädchenerfahrung runter. Nur weil die irgendwas mit
St. Tropez zu tun haben. Und dazu vergißt man noch die einfachsten
Formen der Bürohöflichkeit. Irgendwas trinken muß der Mensch ja.
»Ich wollte mich nicht waschen, ich wollte was trinken. « gab
Dueleen laut und deutlich zu verstehen.
»Also ich habe wirklich..., und in meinem neuen Büro und ... »,
stotterte ich. Das amüsierte Dueleen köstlich.
»Hat Dr. Ast auch immer Probleme mit gehabt. Ihr müßt mehr
auf eure Versorgungslage achten, als auf eure Vorschriften. Aber
selbst ist der Mann. «
Damit zog er einen Flachmann, einen besonders großen, besonders edel in Leder gepackten, aus der Innentasche seines Nadelstreifens, zog zwei Becher vom Kopf der Flasche, schenkte ein und sagte:
»Zum Wohl. Aber die beiden Mädchen sind doch dann irgendwie doch nach St. Tropez gekommen? «
Er fingerte in der Tasche und zog ein gelbes Zigarettenpäckchen aus der Tasche. Dann das obligatorische Dickgold-Feuerzeug
von Dupont.
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»Wir fuhren direkt an den Hafen. Also zum Suffrendenkmal
und stellten den Wagen direkt davor ab. Das ging damals noch«, sagte
ich.
»Ich weiß, wir sind damals noch so besoffen dort Auto gefahren, daß die Gendarmen die anderen Autos anhalten mußte, damit uns
nichts passierte. «
Dueleen schüttete sich in seinen Becher nach.
»Das ist Cognac. Sonst trinke ich Whisky, aber so warm und
ohne Eis ist Cognac richtiger. «
Ungefragt füllt er meinen Becher auch nach. Dann prüfte er das
Gewicht des Flachmanns. Ich sollte bei einem so edlen Gerät eigentlich Cognac-Taschen-Trage-Flasche sagen. Aber wenn ich ehrlich bin,
es war ein Flachmann.
»Oben, im ersten Stock über dem Café de Lyon ist das Hotel
Súbe. Ich ging mit den beiden in die Passage du Port und dann nach
rechts die Hoteltreppe hoch. Mein Französisch ist ja recht schlecht.
Ich hab's ja in der Schule gelernt, aber genutzt hat das nicht viel. Ich
kann auch heute nur radebrechen und das noch mit schlechter Prononciation. «
Ich betonte das letzte Wort nasal. Damit sollte es französisch
klingen. Dueleen reagiert nicht darauf. Der Witz war nicht gelungen.
Später habe ich raus gekriegt, daß er noch schlechteres Französisch
sprach. Und daß ihm das nichts ausmachte.
»Als ich ein Zimmer für drei Personen bestellte, habe ich nichts
geahnt. Aber kurz: Wir hatten dann ein Zimmer zu drei Personen. Und
das hatte tatsächlich das eine riesengroße französische Bett in der Mitte und so eine Art Kinderliege am Fußende. Und natürlich auch nur
diese eine an den Seiten reingestopfte Zudecke, unter die alle mußten.
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Habe ich aber erst in der Nacht gemerkt. Ich habe nur die Koffer der
Damen hochgeschleift. Ich sage Damen, weil die Koffer schwer wie
die von Damen waren, Mädchen waren es sonst. - Und danke keinen
mehr, ich muß noch irgendwie mit dem Wagen nach Hause kommen.
«
Dueleen hatte wieder nachgeschenkt. Erst die Flasche in der
Hand gewogen, dann wieder die Becher vollgeschüttet. Dieser Flachmann mußte einen halben Liter Inhalt haben.
»Nein, da geht genau eine nullsiebener Flasche hinein. Habe
lange gesucht, aber bei Hermes am Flughafen in Frankfurt habe ich
das dann bekommen. Ich kaufe sowieso gerne bei Hermes. Aber wie
sind die Mädchen dann runter gekommen?«
»Damals war doch das verrückte Jahr in St. Tropez ... «
»Das war nicht nur in St. Tropez, das war wirklich überall«, ergänzte mich Dueleen.
»Also, die meisten Mädchen, Frauen, Damen die es sich leisten
konnten, liefen doch damals wirklich oben ohne herum. Oder zumindest irgendwie. Mit Bolerojäckchen, Hängerchen, Schal um den Hals
und im Gürtel geknotet und so. «
»Manche hatte auch so eine Art Tuch mit Loch in der Mitte, so
einen Poncho aus Seide und durchsichtig und an den Seiten offen. «
Dueleen geriet ins Detail.
»Die Röckchen waren damals ja wirklich richtig kurz. Also
meistens haben Sie das Höschen nicht mehr richtig verdeckt. « Konterte ich.
»Ach, nicht alle hatte ein Höschen zu bedecken. « Konterte
Dueleen.
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»Oder diese Tangas. Wenn man die von hinten sieht, weiß man
nicht, ob da ein Höschen ist oder nicht. Erst von vorne sieht man das.
«
»Wie zum Teufel haben Sie ihre Freundinnen denn auf die Straße gebracht«, drängelte Dueleen jetzt, schenkte aber gleichzeitig
wieder nach. Ich versuchte noch, ihn durch ein Handzeichen zu beeinflussen. Vergebens. Also mindestens noch einen Becher Cognac, und
das am Nachmittag.
»Also, das war ganz einfach. Ich habe mir oben im Zimmer nur
die Hände gewaschen und bin als erster runter ins Café de Lyon. Ich
saß da immer sofort links, im Fenster. Zwischen Tresen und Fenster.
Manchmal auch auf dem Fenstersims. Da war nämlich der Barograph
an der Wand. War damals sehr wichtig für uns. «
»Später war da auch das Telefon hinter der Theke, aber das hat
Marteau erst ein paar Jahre später bekommen. « Das wußte Dueleen
also auch.
»Die beiden haben sich vom Fenster aus den Betrieb auf der
Mole angesehen und abgezählt, wieviel mit und ohne Brustbedeckung
herumliefen. Und dann haben sie beschlossen, daß sie sich nicht bloßstellen dürfen und deswegen bloßstellen müssen. «
Mir war wieder ein Wortspiel gelungen, Dueleen lachte wieder
nicht, sondern schüttete nach. Ich suchte in meiner Zigarette herum,
Dueleen schob mir sein Päckchen über den Tisch. Das Feuerzeug
wollte er wieder zurück haben. Mit dem Alkohol im Kopf bekomme
ich immer ein einnehmendes Wesen. Feuerzeuge meiner Gesprächspartner leiden immer ein wenig darunter.
»Veronika hatte sich entschlossen, einen Seidenschal um den
Nacken zu legen und in den Bund ihres Minirocks zu stecken. Bei
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dem bißchen Busen ging das sogar. Nur war es eigentlich unnötig,
denn jede Bewegung gab jeden Blick frei. Und Herlinde hatte sich
entschlossen, ihre Jeans abzuschneiden. «
»Herlinde war doch die Vollbusige, die Blonde mit der Dauerwelle? « fragte Dueleen nach.
»Herlinde hat ihre normalen blauen Jeans abgeschnitten. Und
zwar haarscharf. Also scharf an den Haaren vorbei. An den Schamhaaren. «
Irgendwie wirkten meine Witze nicht auf Dueleen. Er lächelte
verständnisvoll, aber zeigte sich nicht auffallen erheitert.
»Und sonst? « fragte er weiter.
»Sonst noch ein paar hochhackige Schuhe. Goldig glänzend.
Kein Wunder, das mir die beiden fast augenblicklich abhanden kamen.
Die kamen erst gegen zwölf Uhr ins Hotel. Und dann alle in ein Bett.
Und dann aufgedreht bis zum geht nicht mehr. Die waren bei irgendeinem Filmproduzenten auf einer Party, da war eine Playboy-Miss und
Lufthansa-Häschen anwesend und sonst alles, was toll war. «
»Aber ich habe die beiden doch gut behandelt, und mein Chauffeur Ezenberg, hat sie doch genau bis zwölf Uhr zurückgebracht. «
Dueleen verstand meinen Ärger nicht. Verteilte aber den Rest der
Flasche gerecht auf die zwei Becher.
»Und Sie habe ich dann am nächsten Tag ins Papagayjo mitgenommen. Da war doch noch was los. Ich weiß nur nicht, wie ich zurück ins Haus gekommen bin. «
»Teilweise hab ich Sie getragen, manchmal auch nur gezerrt«,
sagte ich.
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Dann rief ich beim Pförtner an, ein Herr Dueleen käme jetzt etwas später von einer Besprechung aus meinem Büro, das Taxi solle
durchgelassen werden und ihn vor meinem Büro abholen.
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Szene 2
Große Lust hatte ich nicht, nach Freiburg zu fahren. In Dueleens Studio sollten irgendwelche Handhabungsaufnahmen von
Harnmeßoptiken gemacht werden. Und irgend jemand mußte die
Richtigkeit überwachen. Der Produktmanager hatte Verbandstätigkeit
vorgetäuscht und eigentlich wußte sonst keiner so richtig Bescheid.
Ich kannte die Handhabung und was überhaupt mit diesen Testoptiken
gemacht wurde auch nur, weil ich die Gebrauchsanweisung von unmöglich und unleserlich nach schwer verständlich übersetzt hatte.
Außerdem war noch ein Prospekt in Vorbereitung. Und der Produktmanager lag mir auch auf den Nerven rum. Er brauchte nämlich Farbvergleichsfelder. Also Farbfelder, die in der Farbe so aussahen wie
sein Teststreifen, wenn diese einen bestimmten Wert anzeigten. Und
wie sollte man das hinbekommen. Die Testgläser zeigten alle 30 Sekunden eine andere Farbnuance und wir sollten den Durchschnittswert
treffen. Und dann das alles noch auf Film bringen, damit an irgendwelchen Schulen für wissenschaftliches Personal damit Unterricht
gehalten werden konnte. Alles höchst uninteressant. Apotheker bastelten auch an einem Vermarktungskonzept. Der Film sollte den Laien
auch in die Lage versetzen, die Testoptiken selbst anzuwenden. Die
wollten die Apotheken dann direkt an den Mann und die Frau Hypochonder bringen.
Das Studio konnte man, von Haus zu Haus gerechnet, in einsfünfunddreißig erreichen. Mit dem Auto. Mit der Bahn waren es so
vier Stunden und Flieger kam für die Strecke nicht in Frage. Allerdings herrscht mal wieder Betriebwagenknappheit. Das heißt, lahme
Chaisen aus dem Fuhrpark waren zu haben. Wer aber wollte die
schon? Ich stand den Antrag auf Benutzung meines privaten PKW
durch und plante meine Rückkunft für den gleichen Tag. Einfache
Rechnung: sieben Uhr los, spätestens um zehn da. Vier Stunden arbeiten, dann zurück und um sechzehn Uhr etwas frühere Schluß machen.
Dafür nur zweiundfünfzig Pfennig den Kilometer abrechnen dürfen,
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wobei das Finanzamt schon mit fünfundfünfzig rechnete. Also leichtes
Verlustgeschäft, aber dafür rechtzeitig und bequem zu Hause.
Das Studio lag etwas abseits vom Dorf, das hinter einem Dorf
lag und von der Autobahn nur erreicht werden konnte, wenn man eine
Kleinstadt durchquerte. Zwischen den Dörfern liegen einige Aussiedlerhöfe und ein burgähnlicher Hof. Schweine wurden da gezüchtet.
Nicht in Ställen, draußen, auf der Wiese stand die Borstenviecher rum
und grunzten. Zumindest, als ich anhielt und ausstieg, um mir dies
noch nie gesehene Schauspiel anzusehen. Nachher hatte ich dann
Schweinmist an den Schuhen.
Die Stadtnähe wurde nur durch die recht tief einfliegenden Militär-Jets dargestellt. Aber die Schweine hatten sich dran gewöhnt. Ob
ich das Ganze idyllisch finden sollte, bezweifelte ich. Aber grün und
wie aus dem Prospekt sah das alles hier aus.
Die Einfahrt zum Studio zeigte mir eine beachtenswerte Anlage.
Ein kleineres Bürogebäude, eine Anfahrt für die LKW und eine Halle
als Studio und Lager erkannte man sofort. Also Auto auf den Hof
abstellen und angepflaumt werden.
»Da können Sie nicht parken, der Parkplatz ist nur für Kunden
und den müssen wir immer frei halten«, belehrte mich ein Hausmeister.
Daher wieder rein ins Auto, raus aus dem Hof und fast hätte
mich ein Unfall ereilt. Und genauso wahrscheinlich hätte man mir
auch noch die Schuld angedreht. Der blöde Porsche, weiß, mit
schwarzweiß karierten Sitzen, bretterte um die Ecke und es gehörter
beider Fahrer Fahrkunst dazu, die Blechverknautschung zu vermeiden.
Es stank dann doch leicht nach verbranntem Gummi.
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Der Hausmeister kam schreiend von hinten, Dueleen stieg aus
dem Fahrersitz des Porsches, ging strahlend auf mich zu, schüttelte
mir die Hand und sagte zu dem Hausmeister:
»Nuffack, fahr mal die Autos weg, wir... «, er deutete auf mich,
»...trinken jetzt erst mal einen«. Er wandte sich wieder Nuffack zu:
»Und dann schick mal die Amsel zum Diktat. «
Wirklich, dies Büro war schon ein anderen Schnack als meines.
Die Möbel hatten alle so etwas von Mooreiche und die Teppiche, die
an der Wand hingen, sahen auch nicht nach Polyester aus. Ich hoffte
auf Kaffee und als die Amsel dann kam, vermutete ich, daß sie auch
nicht aus Polyester, oder so, war.
Minirockzeit war damals eigentlich schon vorbei. Lange vorbei.
Es war schon der Maxi und der Midi an uns vorbeigegangen und Hosen verschiedenster Ausführung, weiter Schlag und knalleng. Aber die
Amsel trug Minirock. Ausführung ungefähr letztes Stadium Minirock.
Danach kam nur noch der breite Gürtel. Und die Beine, die deutlich
bis zum Boden reichten, waren sehenswert. Auch die hochhackigen
Schuhe und der weite Kaschmirpullover mit V-Ausschnitt. Der allerdings besonders, als sie sich vor mir leicht verneigte, mir die wohlgestylte Hand entgegenstreckte und »Amsel« sang.
Die Amsel hieß wirklich Amsel. Das war einfach ihr ganz normaler Name. Aber irgendwie war nomen doch omen. Wenn eine Amsel in der Morgensonne ihr Lied trällert, dann wird es, mir zumindest,
warm ums Herz. Wenn sich die Amsel leicht vornüberbeugt, um das
Tablett mit Champagnergläsern abzustellen und der große Ausschnitt
des weichen Kaschmirs dann zwei makellose Brüste zur Begutachtung
freigibt, dann wird es nicht nur warm ums Herz. Auf die Frage:
»Sie trinken doch einen Schluck«, sagte ich nicht nein. Wahrscheinlich war mir der Sinn des Wortes »nein« abhanden gekommen.
Oder zumindest hielt ich dieses Wort für unangebracht.
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Als sie sich wieder aufrichtete, rutschte der Pullover ein wenig
von der rechten Schulter. Sieht auch gut aus. Und das, was ich vorher
vornübergebeugt gemustert hatte, das sich jetzt so stramm unter dem
Pullover zeigte, beeindruckte mich schon. Als Durchschnittsbürger
war man solche Erscheinungen nur von der Ausklappseite des Playboys gewohnt.
Auch wenn ich mich noch so bemühte, am Champagnerglas nur
zu nippen, es war praktisch sofort leer. Aber immerhin gab es dafür
noch einmal den tiefen Einblick in das Innenleben der Amsel. Aber
auch das Geschäft muß sein.
»Amsel, habe Sie die Drehbuchseiten und das Storyboard von
Film 512? « sagte Dueleen durch die Wolke von zwei Glas Champagner auf nüchternen Magen und das morgens.
»Ist das die Epilepsiegeschichte oder die Drehschweißtechnik«,
wisperte hell die Amsel zurück.
Ich war froh, daß Dueleen den Hausmeister rechtzeitig zurückgepfiffen hatte. Eigentlich war es mir recht geschehen, vom Platz
verwiesen zu werden. Optikteststreifen! Und das mit diesen Beinen
und dem kurzen Rock.
»Amsel, der Herr Nader ist aus der Optischen Industrie und was
drehen wir heute in Studio 2? « Dueleen schien unwillig.
Ich erwartete jetzt ein treffende Antwort wie »ach, den Pipikram« oder auch anderes. Aber ich wurde geschont.
»Aber Werner, dafür ist Doris zuständig«, sang die Amsel zurück.
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Nun ja, man kann nicht immer Glück haben. Eine Amsel am
Morgen macht noch keinen guten Tag. Oder so ähnlich ging das
Sprichwort. Und warum sollte ich auch Glück haben. Und vor allem,
die Amsel war mir doch zu sauer. Soll Sie doch bei ihrem Herrn und
Meister bleiben und ich werde mit einer ganz normalen Datatypistin
das Drehbuch durchgehen.
»Die Amsel war mal vor fünf Jahren mein großer Schwarm«,
erläuterte Dueleen, als der Minirock mit Weitkaschmir weggeschwebt
war. »Aber wir haben uns jetzt wieder geeinigt. Sie arbeitet jetzt wirklich gut unter mir und wenn man mal alle Schwierigkeiten hinter sich
hat, braucht man sich nicht mehr so oft entschuldigen. Die Amsel ist
wirklich so was wie meine rechte Hand. «
Ich wollte nicht doppelsinnig denken, konnte aber nicht umhin,
mir vorzustellen, wie die Amsel mit der rechten Hand unter einem
arbeitete. Dieser Champagner! Lange durfte das nicht mehr anhalten.
Zwei lächerliche Glas und schon sieht man mit diesem Trank im Leibe
Helen in jedem Weibe.
Die Amsel war blond und groß und vollbusig, Doris war dunkel
und groß und vollbusig. Die Amsel sang, Doris säuselte. Aber die
Absätze waren zwei Zentimeter niedriger. Was die Amsel mit Kaschmir anstellte, macht Doris mit Seide.
»Doris ist erst seit einem Jahr bei uns«, stellte die Amsel vor.
»Aber ihr Projekt ist bei Doris in guten Händen, besonders weil sich
Werner persönlich darum kümmert. «
Etwas komische Aussage, nicht doppeldeutig in jede Richtung
denken! Und vor allem keinen Champagner mehr.
»Wenn Sie jetzt mit Doris das Storyboard durchgehen, dann
können wir die wesentlichen Szenen so in einer Stunde anfangen. Ich
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geh' mal ins Studio. - Doris, sie kommen dann nach, wenn Herr Nader
fertig ist. «
Nicht doppeldeutig denken. Keinen Champagner mehr.
»Kommen Sie bitte mit in mein Büro, da habe ich alles an der
Wand hängen und sie können alles in Ruhe ansehen«, lächelte Doris
mich an.
Doris ergriff die Initiative, also mich fast an der Hand und ging
voraus. Die nächsten zwei gutaussehenden Damen im Flur hielt ich
jetzt schon für normal. Und daß das Büro der lieben Doris immer noch
5 Länderpunkte über meinem Industriebüro lag, brachte mich nicht
mehr in Verlegenheit. Ich durfte ihr meines nur nie zeigen. Und außerdem, wo hätte ich den Champagner her bekommen sollen. Kaffee
war schon immer ein Problem. Meine Rosenteller hatte nämlich die
Vereinbarung mit dem Betriebsrat gelesen, unter welchen Bedingungen Sekretärinnen Kaffee kochen und servieren müssen. Also eigentlich nur bei Kundenbesuch ab Bundeskanzler aufwärts, und das nur zu
geregelten Tageszeiten.
Es schien schon etwas wie Stolz zu sein, mit dem mir Doris ihre
Pinwand zeigte. Dort war ein Drehbuch, oder auch seine Kopie, in
Stücke geschnitten an der Wand und darüber waren mit durchaus flottem Schwung auf kleine Kartons Zeichnungen hingeworfen, die die
Szene oder den Kamerablick zeigen sollten. Allerdings schien mir der
Anblick auch einem Puzzle zu gleichen. Aber einem, das man erst aus
der Schachtel geleert hatte und dessen erste Stücke probehalber irgendwo lagen.
»Eigentlich sollte sich der Film in drei Teile teilen. Erstens sollte die Probennahme beschrieben werden, Fehlermöglichkeiten und
Fehler untersucht und dargestellt, dann das Untersuchungsmaterial,
dessen Haltbarkeit und Lagerfähigkeit dargestellt und dann sollte die
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eigentlich Probe mit der Testoptik und der Farbvergleich dargestellt
werden. Die ... «
»Champagner? Also ich glaub', ich muß ehrlich zu Ihnen sein.
Den Film macht der Werner und der weiß auch so ziemlich alles. Nur
ist ihm vor ein paar Tagen ein Kunde aus der Metallbranche dazwischengekommen. Da haben wir das ganze Labor aus Halle drei ausgeräumt und da wird jetzt der Metallfilm gedreht. «
»Nein. «
»Jetzt seien sie nicht so, ich trinke auch noch ein Gläschen, und
dann ist in einer Stunde Werner wieder da und wir machen einen Plan,
wie wir mit ihrem Film weiterkommen. «
»Wo ist Herr Dueleen eigentlich hin? « fragte ich.
»Der muß noch den Bürgermeister von Kloppenstein beruhigen.
Der PR-Film über seine neue Kuranlage wird erst drei Tage nach der
Sendung fertig. «
Ich begann zu ahnen, daß dieses Geschäft etwas Besonderes
war. Vielleicht auch nur, wie Dueleen dieses Geschäft betrieb. Und
ich erinnerte mich daran, gelesen zu haben, daß Zelluloid süchtig
macht. Einmal angefaßt und man kommt nicht mehr davon los. Wie
bei Heroin, nur viel lustiger.
»Und was machen Sie hier, wenn Sie nicht Kunden befrieden. «
Vorsicht, der Champagner wirkt immer noch. Wortspielereien
können bös' ins Auge gehen. Doris akzeptierte. Hatte sie wirklich
»befrieden« verstanden und nicht »befriedigen«. Sprach eigentlich ein
gutes Deutsch. Könnte gutgegangen sein. Beleidigen muß man sie ja
nun wirklich nicht. Es gibt in jeder Industrie mal Momente, wo nicht
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alles klappt und da muß man ja auch mit ein paar beschwichtigenden
Worten dem Kunden über den Berg helfen.
Doris war wirklich fürs Filmemachen angestellt und im Büro.
Sie war auch Maskenbildnerin und griff hin und wieder auch zu Schere, Nadel und Faden. Allerdings vermutete ich eine Nähmaschine dahinter. Die Seidenbluse hatte sie nicht selbst geschneidert, aber die
Ärmel versetzt, den Ausschnitt geändert und den Kragen versetzt. Zur
Zeit machte sie sich ein besonderes Seidenkleid. Cremeweiß und eigentlich völlig glatt. Zumindest eng über den Po und über die Beine.
Nicht zu lang. Und oben am Busen, das wurde es fast ein Zweiteiler.
Ein Ring zwischen den Brüsten war gleichzeitig die Verbindung des
Kleidteils, das den Büstenhalter ersetzte und verband auch den Rockteil damit.
Das hatte sie mir erstaunlich schnell auf einige große Blätter
gezeichnet und erzählte mir dazu, daß man unter so einem Kleid natürlich keine Unterwäsche, schon gar kein Höschen tragen könne.
Man müsse sich eben sozusagen nackt unter den Leuten bewegen.
Damit die Kreation des Kleides mit dem Körper zusammen zu voller
Geltung käme. Ich war durchaus beeindruckt und trank noch ein Glas
Champagner.
Dueleen kam natürlich in dem Moment, als Doris gerade anbot,
die neue Schöpfung mal vorzuführen. Sie war nämlich unheimlich
interessiert an meinem Urteil.
Selbstverständlich wurde ich zum Mittagessen eingeladen. Diese Geschäftsessen kannte ich, trotz kurzer Industrietätigkeit nur zu gut.
Ein bis zwei Aperitifs voraus. Eine Vorspeise, einen Wein, eine
Hauptspeise, einen Wein, einen Grappa oder auch zwei hinterher.
Alles auf eine Rechnung. Und danach unfähig, irgend etwas Sinnvolles zu arbeiten. Im Bürosessel abwarten bis der Feierabend ruft.
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Was aber Besseres hatte ich zu tun? Jetzt war es schon nach
zwölf, wir hatten kein Stück Film gedreht und wenn man ehrlich war,
auch keine Aussicht, irgendwas zu drehen. Aber eine neue Zeitplanung könnte ich dem Herrn Produzenten aus den Rippen leiern. Und
dann mußte ich mich in der Firma mal darum kümmern, aus welchem
Etat das eigentlich alles bezahlt wurde.
Dueleen war fröhlich und erzählte mir frank und frei, daß der
Bürgermeister sich jetzt selbst um einen Ersatztermin für die Ausstrahlung seines PR-Films bemühte. Und daß der Metall-Film richtiges Geld brächte. Und ob mir die Amsel oder die Doris besser gefielen. Er hätte bis jetzt noch nichts mit der Doris gehabt. Aber die sei
schließlich erst so ein Jahr in der Firma. Obwohl er schon ein paar
Mal dicht davor gewesen sei. Aber die Sauferei auf den Messen
schmisse ja den stärksten Neger um.
»Noch einen Grappa nach dem Kaffee?«
Dueleen fingerte sich wieder eine Zigarette aus der gelben
Schachtel. Jetzt zündete er sie mit dem Dick-Gold-Dupont an und
nahm einen kräftigen ungefilterten Zug. Dann holte er eine Zigarettenspitze aus der Tasche und setzte die Zigarette vorsichtig in die Spitze.
»Ich habe für heute Nacht im Silent-Schloß-Hotel eine Suite bestellt, das Hotel wird von meinen Gästen sehr bevorzugt. Es hat einen
eigenen Hubschrauberlandeplatz und eine eigene kleine Kirche.
Manchmal wird da auch geheiratet. Ach zu dumm - der Ezenberg
kann sie heute abend nicht fahren, aber ich sage der Amsel Bescheid.
Die wohnt ja auch zur Zeit da. Die nimmt sie dann mit. «
Mir fiel ein, daß ich ein eigenes Auto mitgebracht hatte und
warf in die Diskussion, daß ich auch selbst fahren könne.
»Da gibt es viele Gründe dagegen, z. B. wissen Sie gar nicht,
wo ihr Auto ist. Auch bin ich dagegen, daß meine Kunden bei mir den
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Führerschein verlieren und das Hotel finden Sie auch mit guter Karte
nicht. Da sind mindestens 3 km Privatweg durch Privatwald zu fahren.
Wie gesagt, der Hubschrauberlandeplatz ist ganz günstig. «
»Ich muß mir noch etwas ausdenken, daß ich in der Firma nicht
vermißt werde ... «, begann ich.
»Die Amsel hat schon Ihrer Frau Rosenteller Bescheid gesagt,
daß die Filmaufnahmen noch die ganze Nacht dauern, daß sie nicht zu
stören und nicht erreichbar sind und daß sie erst am Montag wieder in
der Firma sein werden. «
›Mon Dieu‹, wie der Lateiner sagt, wenn er Französisch kann,
es war Donnerstag und Nachmittag. Oder, ›Leber duck' dich‹, wie man
in meiner Stammkneipe um die Ecke sagt.
»Aber wir sollten noch zu mir, in mein Büro und durchsprechen, was so alles zu tun ist. Herr Ober - mein Fahrer kann vorfahren.
« Dueleen winkte dem Ober.
Die Fahrt ging zwar in Richtung Studio, dann aber daran vorbei
und führte noch weiter von der Dorfstraße weg. Hier war tatsächlich
ein Villenviertel im Wald. An einem Hang lag eine Villa, unten zwei
große Garagen und dann ca. 60 Treppen Fußweg. Nur aufwärts über
diese Stiege zu erreichen. Ich bekam Mitleid mit den Getränkelieferanten. Offensichtlich hatte sich Dueleen das Untergeschoß als Bürotrakt umbauen lassen. Durch die Hanglage war das auch sinnvoll. Die
Eingangstür für den Büroteil des Hauses war nicht besonders pompös.
Ein emailliertes Straßenschild wies auf den Besitzer hin und das in der
Wand vermauerte Schloß einer Alarmanlage ließ auf Wertgegenstände
im Inneren schließen.
Dueleen steuerte zielsicher seine Bar an. Seine Bar war nicht
etwa ein kleines Fach in einem Schrank, nein, er hatte eine eigene
Kellerbar. So für sechs bis acht Gäste, sein Platz war hinter der Theke.
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An einer Wand war eine recht große Leinwand integriert und durch
einen schicken Vorhang wieder unsichtbar gemacht. Und hinter zwei
Bildern an der gegenüberliegenden Seite waren zwei Durchbrüche in
den kleinen Nebenraum verdeckt, in dem zwei große KinoTonfilmprojektoren standen.
»Cognac, Champagner oder lieber Pernot?« Dueleen war wieder in seinem Element.
Dueleen schüttete sich in ein Pernot-Glas einen mindestens
Doppelstöckigen. Dann trank er ihn. Ich schüttelte mich, zumindest
innerlich.
»Ich weiß, daß manche Eiswasser dazu nehmen. Aber ich trink
ihn nicht gern so schwach. « Dueleen hantierte am Telefon.
»Amsel, wo seit ihr, ihr wißt genau, daß wir heute abend noch
arbeiten müssen. Also auf jetzt, laßt euch vom Enzenberg mal schnell
hier hochfahren. Und bringt das Spielzeug mit. «
Eigentlich war es hier ja ganz gemütlich. Wirklich eine prima
Bar. Wünschte mir, in Hotels öfters mal so eine gute Bar zu finden.
Nur die Zigaretten gingen mir aus. Und wo soll man Gitanes auf dem
Land finden? Klar, irgendeinen Einbruch der Gemütlichkeit hatte ich
schon erwartet.
»Gitanes, kein Problem. Ich glaube, ich habe eine Stange unter
der Theke liegen«, sagte Dueleen.
Gitanes da, Cognac da, weicher Sitz und angenehme Unterhaltung. Dueleen war wirklich ein ausgezeichneter Unterhalter. Aber
wovon sprachen wir gerade? Ach ja, der Film, der nicht nur in wenigen Kopien für die Schulen, sondern in tausendfacher Kopienzahl für
Videogeräte hergestellt werden sollte. Ich fand den Gedanken interes-
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sant und wollte ihn später prüfen. Ich fand aber interessanter, daß die
Amsel und Doris jetzt in die Bar kamen.
»Also Ihr könnt beide nicht lesen, was steht da draußen auf dem
Schild? « Dueleen donnerte ein wenig.
»Du weißt genau, daß Du jedesmal drum spielen mußt, so einfach mit befehlen geht gar nichts. « Die Amsel konnte sogar laut sein.
»Also gut, dann den Würfelbecher und die Arbeitsplattform her.
Wollen Sie spielen oder soll's ich machen? « Dueleen war geschäftsmäßig.
Ich erzählte von alten Studikertagen, in denen ich der Spielsucht gehuldigt hätte und bejahte Kenntnisse des Chikagospiels. Nach
einem nächsten Cognac und ein paar Diskussionen um die Spielregeln
tranken Dueleen und ich noch einen Cognac.
»Und um was spielen wir denn? «
Das war eigentlich eine unangemessene Frage von mir. Sie
wurde auch sofort durch drei belustigte Blicke beantwortet. Die Amsel
ging vor die Tür der Kellerbar und kam mit einem Bronzeschild in der
Größe einer Aktentasche herein. Sie hängte es an einen freien Nagel
an der Wand neben mich. Ich las:
›Hochhackig ist Pflicht,
Zutritt nur für nackte Damen,
Bekleidete spielen um die Kleider.‹
Ich stellte meinen Cognacschwenker etwas hart auf die Theke.
Dueleen füllte nach. Die Amsel nahm ihren Cognacschwenker und
den Würfelbecher.
»Sechs vorgelegt«, sagte sie.
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»Sie fangen an«, sagte ich.
»Zweihundertfünf im Dritten« sagte Sie.
»Nur einhundertacht, ich nehme den Deckel«, sagte ich.
»Nichts Deckel, Doris zieht das Höschen aus! «
Unverständnis meinerseits. Bloß keine Aufregung zeigen. Aber
warum jetzt das.
»Also, wir machen das schneller. Für jeden Wurf den Du verlierst, verliert Doris ein Stück, und wenn ich verliere, ich ein Stück.
Und Werner, Du kannst mir noch einen Cognac geben. « Die Amsel
würfelte weiter, deckte aber den Becher nicht auf.
»Doris, gib's her, sonst hol' ich das Höschen persönlich! « sagte
die Amsel.
Aus den Augenwinkeln heraus sah ich etwas Bewegung. Und
das Stückchen Tuch, das hinter den Tresen flog, konnte gut ein Höschen gewesen sein.
»Fünf vorgelegt«, sagte die Amsel.
»Sechs«, ich konnte meine Freude kaum im Zaum halten. Dueleen trank noch einen Cognac. Er schüttete auch mir nach. Dann wollte er sein Goldfeuerzeug wiederhaben. Eine gutaussehende Dame
betrat die Bar.
»Ich wollte nur fragen, ob sie noch etwas brauchen, Herr Dueleen. Aber Sie haben ja wieder Party. Also dann bis morgen«, sagte
die Dame.
»Meine Hausverwalterin«, erklärte Dueleen, »die hat einmal
verloren, seitdem spielt sie nicht mehr mit. «
»Achtundsechzig im Ersten«, legte ich vor.
»Nur dreizehn«, sagte die Amsel.
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Jetzt griff die Amsel ihren Pullover im Nacken, zog ihn mit einem Ruck über den Kopf und warf in hinter die Theke. Die Brüste
standen wirklich geradeaus. Und die Brustwarzen standen auch geradeaus. Ihr Blick war triumphierend. Dueleen goß die Cognacgläser
nach. Er suchte sein Feuerzeug. Ich gab es ihm.
»Gut, vier vorgelegt«, sagte die Amsel.
»Nur drei«, sagte ich,
»Zweihundertzwei im Dritten«, sagt die Amsel.
»Einhundertvier und verloren« muß ich sagen.
Doris kommt an die Theke, hält sich mit einer Hand fest und
greift nach hinten. Rutsch, der Minirock liegt auf dem Boden. Die
Bluse bedeckt noch viel, aber wirklich nicht mehr alles. Ich werfe den
Rock hinter den Tresen. Dueleen sieht irgendwie interessiert mit großen Augen dem Geschehen zu. Nur die Zigarette bekommt er nicht
mehr in die Spitze. Die Amsel macht das für ihn.
» Zwei vorgelegt«, sage ich.
»Drei«, sagt die Amsel
»Zweihundertsechzig im Dritten«, sagt die Amsel
»Chicago auf eins«, antworte ich ganz ruhig.
Die Amsel schlüpft aus dem Rock. Man könnte fast sagen, sie
steht da, wie Gott sie geschaffen hat. Es war aber eben nur etwas besser. Diese hohen Absätze an den feinen Schuhen bringen schon mehr,
als die reine Natur bietet. Und eine echte Blondine ist sie auch.
Jetzt nimmt sie Dueleen an der Hand, führt ihn um den Tresen
herum, sammelt Zigarettenspitze und Feuerzeug ein und geht Arm in
Arm, ihn aber mehr stützend als gestützt werdend, durch den Hausgang von dannen.
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»Willst Du noch etwas trinken oder gehen wir rüber ins Gästeappartement«, höre ich die Frage Doris auf mich zukommen.
»Fünf vorgelegt«, sage ich »wenn ich jetzt verliere, darfst Du
mich vergewaltigen«, sage ich zu Doris.
»Sechs« sagt sie, und
»Achtzehn Große« sagt sie.
»Drei und vier und ein Würfel ist runtergefallen« sage ich. Man
kann eben nicht immer gewinnen.
»Wenn man nicht auf alles selbst achtet, geht wirklich alles
schief«, sagte Dueleen am nächsten Mittag, als wir beim Frühstück
saßen. »Hätten die blöden Hühner nicht wenigstens das Hotel abbestellen können! «
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Szene drei
»Ihre Frau Rosenteller sieht auch nicht schlecht aus«, sagte
Dueleen.
Er saß mal wieder in meinem Büro in der Firma und hatte neue
Ideen. Eigentlich wollte er der Größte aller Gönner der optischen Industrie sein und Filme für alle und über alles drehen. Und die dann
kostenlos verteilen. Ein kleiner Haken blieb. Er mußte das nötige
Kleingeld bei der Industrie besorgen. Aber darin war er Spitzenklasse.
Eigentlich hätte man ihm nur einen Professorentitel und Lehrstuhl
geben müssen. Eine Uni hätte er alleine aus ihrem finanziellen Desaster gerissen.
Er hatte zu Beginn seiner Laufbahn mal Lebensversicherungen
verkauft. Und dabei gab es ein Problem. Wenn die Überzeugten nach
einer gewissen Zeit nicht mehr überzeugt sind, können sie die Versicherung kündigen. Und der Versicherungsverkäufer hat dann einen
Abzug an seiner Bezahlung zu erwarten. Hat Dueleen mir genau erklärt. Aber: wichtig für ihn war, daß in dem ganzen Jahr, in dem er
Versicherungen verkaufte, ihm keine gekündigt wurde. Er war überzeugend. Selbst über Jahre hinaus.
»Also, Herr Dueleen, keine Dummheiten hier in meiner Abteilung, ich will doch nicht Kopf und Kragen, Arbeit und Rausschmiß
riskieren. Hier in der Firma geht gar nichts! Nicht anfassen, nicht anmachen. Nichts! Und wenn's sein muß, laß' ich sie noch vom Werkschutz rausschmeißen. Klar? «
Hier mußte ich mich deutlich ausdrücken. Bei aller Sauffreundschaft, nicht mit mir. Und schließlich war ich auch so was wie der
Brötchengeber, ich verwaltete schließlich den Etat, den er irgendwem
in der Firma abgeschätzt hatte.
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»O.k., o.k., nichts mit ihrem Wissen. Ich kann Sie ja verstehen.
Aber glauben Sie mir, die sieht nicht nur gut aus, die ist auch willig.
Die will, das merke ich. Verlassen sie sich mal auf einen alten Kämpfer an der Geschlechterfront. «
Ich war wirklich gezwungen, über die Rosenteller nachzudenken. Also ganz unrecht hatte Dueleen nicht. Die Rosenteller war so ein
Meter vierundsiebzig groß, Gewicht stimmte, Form eigentlich auch
und die Haare waren blond, aber struppig, das Gesicht uninteressant
und die Bekleidung lag so zwischen Birkenstocksandale und angestricktem Ärmelschoner. Außerdem, die Ansichten von der Frau. Gewerkschaft hier und Pausenregelung da. Wenn Post gemacht wird,
kann man kein Telefon abheben und der Umgangston war auch
schrecklich. Die Bildung kam aus der gleichnamigen Zeitung. Und die
Fehlerfreiheit ihrer Briefe schwankte ungefähr im Mondrhythmus.
Diesmal hatte Dueleen etwas Neues. Es war ein sehr nach Aktenkoffer aussehendes Gerät, nur vielleicht etwas breiter. Auffällig
war ein Doppelmetallstreifen über die vordere Breitseite, senkrecht. Er
stellte also diesen Aktenkoffer auf den Tisch und betätigte die Schlösser an der Oberseite. Da ging doch der Koffer in Altarform auf. In der
Mitte war eine Whiskyflasche, rechts und links Eis und Gläser.
»Ist noch nicht ganz perfekt. Man kann das zwar an die Stromversorgung vom Auto anschließen. Hält dann aber doch nur so vier
Stunden. Eis?«
»Selbst wenn Sie's dürften, die Rosenteller kriegen Sie zu
nichts. Das ist das störrischte Weib der ganzen Firma. Ich habe sie nur
geerbt, weil ich der Neueste hier bin. Und die Drachen kriegen immer
die Neuen. «
»Ich bin Drachenspezialist«, gab Dueleen zu bedenken und »ich
gebe wirklich ungern damit an, und ich sag's auch nur unter uns. Ich
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hab' Buch geführt. Bis jetzt bin ich bei 420«, sagte Dueleen.
Ich dachte kurz nach. Ob ich alles richtig verstanden hatte. Also, ich kannte die Statistik der ehelichen Treue, wie sie damals im
Hite-Report verbreitet wurde. Danach konnte es sich nur um die Anzahl der Verkehre insgesamt gehandelt haben. Die Kirche vertrat damals die Tausend-Schuß-Theorie und auf der Lebensweghälfte, vielleicht? Und auch als einigermaßen lebenserfahrener Studiker war diese Zahl doch etwas hochgegriffen. So hatte meine Alma Mater so 20
000 Studenten, davon gut 1 000 Frauen. Das heißt selbst bei Vollauslastung des weiblichen Geschlechts wäre unter Berücksichtigung der
normal notwendigen Pausen jeder Student nur einmal im Monat drangekommen. Ist er übrigens längst nicht.
»Alles schön und gut, aber ich habe keine Lust, bei Ihnen
durchs Schlüsselloch zu gucken und, Hand auf die Brieftasche, auf
reine Vertrauensbasis lasse ich mich nicht ein«, sagte ich.
Dueleen schenkte nach und zählte die Eiswürfel.
»Ich hab mir in meinem Haus ein St. Tropez jetzt eine Eiswürfelmaschine hingestellt. Die macht so 400 Würfel in der Stunde«,
sagte Dueleen.
Ich stellte mir die Trinkgeschwindigkeit von 100 bis 133 Glas
Whisky vor und ermittelte die durchschnittliche Überlebenszeit eines
guttrainierten Trinkers mit 17,3 Minuten.
»Aber davon tu ich natürlich auch etwas in die Fruchtsäfte für
meine Hausangestellte. Die trinkt nämlich nicht. « meinte Dueleen.
»Hat wohl auch einmal mitgetrunken«, entfuhr es mir.
»Ja«, sagte Dueleen.
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»Also, ich bringe die Rosenteller dazu, daß sie vor uns beiden
strippt, und zwar freiwillig. Ich lade sie ein. Sie müssen dann nur
kommen, wenn ich anrufe. Geht's schief, zahl' ich die Reise. « Dueleen hatte sich seine Aufgabe gestellt.
»O.k., aber nicht im Umkreis von 50 km von der Firma und
nicht während der Dienstzeit. « Irgendwie mußte ich mich retten.
»Abgemacht. «, »Abgemacht. «
Oh, wie konnte ich nur vergessen, daß es ein Spieler war, ein
ganz gewiefter. Aber jetzt war es passiert. Mal abgemacht ist abgemacht. Und außerdem kamen gerade die Rosenteller ins Zimmer.
»Ich muß mal an Ihre Ablage«, teilte sie mir kategorisch mit.
Und Dueleen sagte zu ihr: »Waren Sie schon mal in St. Tropez? Ich
geb' ihnen mal meine Karte, ich fliege am nächsten Donnertag wieder
runter. Wenn Sie wollen, kommen Sie doch eine Woche mit. «
»Ja, gerne«, sagte die Rosenteller.
Wahrscheinlich bin ich zusammengezuckt. Kann aber auch
sein, daß ich so verblüfft auf die sich abspielende Szene geschaut habe, daß ich mir die Finger an der Zigarette verbrannte. Jedenfalls habe
ich den Aschenbecher runter geschmissen.
»Jetzt muß ich wieder die Putzfrau holen«, maulte die Rosenteller und klapperte mit ihren echt gesunden Latschen den Flur hinunter.
Ich habe zuerst mit ein paar Stück Papier die Aschenbechersauerei
beseitigt, dann die Rosenteller angerufen und gesagt, daß die Putzfrau
nicht mehr notwendig ist. Das war aber nicht nötig, sie sagte mir nämlich, sie hätte die Putzfrau sowieso vergessen.
Der Porsche-Effekt ist mir bekannt. Ein häßlicher, unbedeutender und dummer Mann muß nur mit einem Porsche-Cabriolet langsam
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die Flaniermeile hinunterfahren. Schon springen ihm die Weiber ins
Auto. Einziges Problem ist, schnell genug wegzukommen, sonst ist
der Wagen überladen. Deswegen hat der Porsche ja auch einen guten
Anzug. Aber den St. Tropez-Effekt kannte ich bisher nicht. Oder sollte es wirklich an der sonoren, vertraueneinflössende Stimme von Dueleen gelegen haben. Eigentlich konnte die Stimme gar nicht genug
Vertrauen einflößen. Sein Ruf in der Firma war absolut katastrophal,
nur jeder brauchte ihn. Daß die Sekretärinnen auch noch Lust auf Untergang verspürten, war für mich schwer runter zu schlucken. Außerdem strippte sie ja noch nicht. Und damit konnte man ihn lange aufziehen.
Am nächsten Tag legten mir die Rosenteller einen Urlaubsantrag vor. Nächste Woche von Donnerstag bis Dienstag. War mir klar,
wenn man den Rückflug übers Wochenende nimmt, kostet die Flug
Frankfurt-Nizza-Frankfurt nur die Hälfte. Manchmal sparte sogar
Dueleen.
Am nächsten Samstag klingelte mein Telefon schon um 9 Uhr.
Dueleen war sonst um die Zeit nie zu erreichen. Diesmal war er es.
»Hören Sie, am Lufthansaschalter in Halle B, Abflug, liegt ihr
Ticket bereit. Der Flug geht ab Frankfurt 16.45, sie müssen so 10 Minuten vorher da sein, damit das mit dem Einchecken noch klappt. «
»O.k., o.k., ich sehe alles ein, aber erstens haben Sie noch nicht
gewonnen und zweitens braucht man in Frankfurt 30 Minuten Eincheckzeit. Das steht in jedem Flugplan. « Das mußte ich ihm jetzt
gesagt haben. Ihm, dem Vielflieger, der auf allen Airports Europas zu
Hause ist.
»Das gilt doch nur für die Monkey-Class. Sie fliegen natürlich
First«. Das war wieder Dueleen. Er spart nicht immer und nicht überall.
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Was tun, wenn man schon fast gefangen ist? Gute Mine zum
nackten Spiel machen. Gut. Aber gewonnen hatte er noch nicht. Deshalb rein in den weißen Jeansanzug, das kleine Bordcase gefüllt und
ab nach Frankfurt. Der Flug dauert so knapp, je nach Wetter, eine
Stunde. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Flughafen nach Frankfurt und an den Schalter zu kommen, fast zwei. Nette Groundstewardeß am Schalter.
»Ich möchte nach Nizza«, sage ich.
»Klar«, sagt sie, »ich auch. «
Gut, nächste Runde. Kann ja nicht so schwierig sein, ein Ticket
zu bekommen, das da hinterlegt ist.
»Mein Name ist Nader«, sage ich.
»Fein«, sagt sie »meiner ist Gerder. «
Jetzt mal wirklich, allzu humorvolle Bedienung ist auch nicht
immer angebracht. An dem Tag läuft nicht alles geradeaus. Ich setze
noch einmal zum Reden an.
»Ja«, sagt sie, »ich weiß, Sie sind Herr Nader und Sie wollen
nach Nizza. Soll ich sie hinbringen? «
Jetzt hat sie einen Scherz zuviel mit mir gemacht. O.k., sie sieht
gut aus. Eigentlich richtig gut. Sogar die Uniform steht ihr. Die Haare
kann man nicht beurteilen. Sind unter dem Käppi verschwunden. Diese Uniformjacken verstecken ziemlich viel. Aber vollbusig scheint sie
zu sein.
»Ja, bitte«, sage ich.
»Gut«, sagt sie, »gehen wir. «
Sie klappt den Tisch seitlich weg, steht von ihrem Platz auf und
geht los. Ich dackele nebenher. Wirklich, heute läuft irgendwas berg-
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auf. Wenn nur nicht langsam doch die Zeit knapp würde. Wir gehen
durch den Gang in B nach vorne zu den Auslandsflügen. Rechts der
Schalter mit der Kläppchenanzeige »Nizza - Cóte d'Azur«. Meine
Führerin, also weiblich geht das, geht durch alle Sperren und ich auch.
Dann einen Weg durch einen Rüssel auf ein Flugzeug zu. Dann in das
Flugzeug rein. Es könnte das nach Nizza sein, aber ich hab nicht so
genau auf die Anzeige geachtet. Sie bietet mir einen Platz an. In der
First. Die andere Stewardeß bietet mir Champagner an. Meine Führerin bittet mich um zwei Minuten Geduld. Sie sei gleich wieder da.
Die Situation ist bedenkenswert. Ich bin ohne Ticket von einer
Lufthansamitarbeiterin in eine Lufthansamaschine gesetzt worden.
Dort bekomme ich zu trinken und werde von der Stewardeß offensichtlich akzeptiert. Soll ich mir wirklich Gedanken um das Ticket
machen?
Jetzt kommt auch noch von vorne ein Traum von Weib. Blondes Haar, schlanke Figur, vollbusig. Sehr interessantes Gesicht. Sehr
eng anliegendes Seidenkleid. Mit so einem Ring in der Mitte des Busen, der gleichzeitig Büstenhalterteil und Rockteil zusammenhält. Die
Konstruktion kenne ich! Und ich weiß, daß man dazu keine Unterwäsche tragen soll. Tut sie auch nicht. Als sie sich neben mich setzt erkenne ich an der Stimme meine Führerin wieder:
»Wir machen dann drei Tage Urlaub zusammen. Gut, daß ich
jetzt weiß, wie der tolle Kerl heißt und aussieht, von dem Werner immer schwärmt. Champagner oder Cognac?«
Dueleen kennt alles Personal der Lufthansa, mindestens aber
das weibliche. Er hat tausende von Starts hinter sich und fast genau so
viele Landungen. Auch bei dem weiblichen Personal scheinen ihm
einige Landungen geglückt zu sein. Wahrscheinlich wegen seiner
sonoren Stimme. Oder wegen St. Tropez?
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»Kennen Sie das Haus in St. Tropez«, frage ich, um das Gespräch in Gang zu bekommen und schaue an der enganliegenden Seide hinunter. Wirklich enganliegend.
»Nein, Werner hat mir nur gesagt, daß er so viele Bekannte eingeladen hat, daß ich im Notfall in seinem Bett schlafen müßte. «
Klar. Das muß der St. Tropez-Effekt sein. Anders ist das nicht
zu erklären. Mit toller Stimme schon gar nicht. Oder Zigarettenspitze,
oder Stöckchen mit Silberknauf. Oder mit Hermes-Tasche und Dupontfeuerzeug. Oder Goldkette am Hals, oder Cartier-Brille oder
Cross-Kugelschreiber. Und der Porsche steht bei ihm sowieso nur in
der Garage.
»Ich hoffe, daß ich dann auch noch irgendeinen Strohsack finden werde, auf den ich mich legen kann«, versuche ich zu scherzen.
»Weiß ich nicht«, antwortete sie lächelnd, »vielleicht müssen
Sie auch ein Brünette oder Schwarzhaarige nehmen. Champagner?«
»Bitte schnallen Sie sich an, stellen sie die Sitze senkrecht und
das Rauchen ein, wir landen in wenigen Minuten in Nizza. Ortszeit ist
jetzt 17:15. Wir haben eine Außentemperatur von 32 Grad Celsius und
Windstille. «
Die Luftdruckdurchsage und die Anschlußflüge interessierten
mich weniger. Ich war dabei, aufzuwachen. Ich glaube, ich hatte nicht
richtig geträumt, aber irgendwie kamen in meinen Gedanken viele,
viele schlanke, vollbusige Frauen vor.
Daß der Taxifahrer blau-uniformiert war, viel mir zuerst nicht
so richtig auf. Daß wir in eine Art Jeep kletterten, fand ich ungewöhnlich und daß er den Flughafen nicht verlassen wollte, sondern in einen
entlegener Teil fuhr, machte mich ein wenig stutzig. Der Hubschrauber war auch schon etwas älter. Ein paar Löcher im Armaturenbrett
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zeigten Stellen, wo mal ein Instrument gesessen hatte. Wir bekamen
dicke Kopfhörer und schnallten uns an. Der Pilot zog die Kiste steil
nach vorne und oben. Ich bekam richtig Druck auf den Brustkorb. Der
ließ allerdings nach, nachdem ich Frl. Gerder beruhigt hatte und sie
sich nicht mehr so fest an mich klammerte. Allerdings muß man sagen: der Seidenstoff ist wirklich dünn. Und Sie hatte nichts drunter.
Die letzten fünfzig Meter mußten wir tatsächlich zu Fuß gehen.
Näher kommt der Hubschrauber wegen der Bäume nicht ran. Im Innenhof der Sommervilla war eine kleine Filmaufnahmeszene aufgebaut. Also eine Kamera stand auf Stativ, zwei Scheinwerfer beleuchteten von links und rechts die Stelle, auf die die Kamera gerichtet war.
Ein Tongalgen war montiert und daneben stand ein kleine Tonanlage
für play-back.
Es standen zwei Regisseursessel neben der Kamera. Auf einem
stand Gerber und auf dem anderen Dueleen. Nachdenken über meinen
Stuhl. Großartige Begrüßung durch Dueleen. Champagner und Tasche
beiseitestellen. Marita wurde in den einen Sessel plaziert, Dueleen
setzte sich in den anderen.
»Sie stellen sich hinter die Kamera und drücken auf den roten
Knopf an dem Kästchen da am Griff. Da kann man nichts falsch machen«, sagte Dueleen.
»Ton ab«, sagte Dueleen,
»Ton läuft«, sagte Marita,
»Kamera ab«, sagte Dueleen,
»Kamera läuft«, sagte ich und drücke den roten Knopf rein.
»Klappe und action«, schrie Dueleen.
Marita schlug die Klappe vor der Kamera zusammen. Dort
stand mit Kreide drauf: Rosenteller nackt 1/1.
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Dann kam die Rosenteller von links in den Bildausschnitt. Sie
hatte ein weißes Seidenkleid an. Enganliegend. Zwischen den Brüsten
war so ein Ring, der das Oberteil in den Rock zusammenhielt. Unter
so einem Kleid kann man nichts tragen. Das würde die Wirkung zerstören.
Rosenteller drehte den Ring auf der Brust und eine Seite Oberteil fiel. Wirklich volle Brüste. Waagrecht stehend und die Brustwarzen waren stramm und dunkel. Die zweite Brust stand auch und der
ersten nichts nach. Sie dreht sich zur Wand, faßt den Ring fest an und
zog den Rock nach oben über den Kopf. Pobacken wirklich in Ordnung und die schmale Figur. Spitze. Langsam dreht sie sich um und
machte so etwas wie einen Knicks vor der Kamera. Ich konnte nicht
sehen, ob sie eine echte Blondine war, denn die Härchen, an denen ich
es hätte sehen können, fehlten.
»Aus, fertig, alles im Kasten«, schrie Dueleen.
Ich drückte noch mal auf die roten Knopf. Das Surren der Kamera verstummte wirklich. Rosenteller hatte sich das Seidenkleid als
Schal um den Nacken gelegt und kam auf mich zu:
»Ich hab mit Werner ausgemacht, daß ich es Ihnen sofort sage:
ich kündige. Ich fahre morgen mit Pit in die Staaten. Wahrscheinlich
heiraten wir. Und wenn Sie nicht so verklemmt gewesen wären, hätten
wir uns in Deutschland eine schöne Zeit machen können. «
»Wer ist Pit«, fragte ich Dueleen.
»Ach, so ein alter, reicher Kerl. Ich hab sie ihm gestern vorgestellt. Ist stinke-reich. Und hat ein Haus hier in St. Tropez. «
Es mußt der St. Tropez-Effekt sein. Rosenteller hat übrigens
nicht geheiratet. Kurz nachdem er sein Testament zu ihren Gunsten
gemacht hatte, verstarb er leider an seinem dritten Herzinfarkt. Das
muß der St. Tropez-Effekt sein.
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Szene 4
»Beim Finanzamt muß man vor allem drauf achten, daß man
denen immer etwas bezahlt«, dozierte Dueleen. »Wenn das Finanzamt
fünf Mark bekommt, ist es zufrieden. Will man aber eine Mark abschreiben, dann kommt die Finanzprüfung. Frl. Durkamp ist jetzt
schon seit zwei Wochen damit beschäftigt, die Buchführung der
GmbH auf Vordermann zu bringen. Und bei der GmbH und Co. KG
wird das noch länger dauern. Dabei ist mein wichtigster Grundsatz:
immer ganz saubere Buchführung. «
Frl. Durkamp sah vom Mooreicheschreibtisch auf, rückte eine
kleine, entzückende Brille zurecht und nickte mir lächelnd zu. Die
Morgensonne strahlte von einem herrlich blauen Himmel durch die
große Panoramascheibe, frisches Frühlingsgrün lag über dem gegenüberliegenden Hang.
Mal wieder war ich nach Freiburg-Glaubensberg gekommen,
um das unsägliche Projekt der Lehrfilme auf Videokassette endlich
zur Reife zu bringen. In der Zwischenzeit produzierte nicht nur meine
Firma, sondern auch etliche andere auf der Schiene und ich wollte
eigentlich wissen, warum wir immer noch für fast alles bezahlten.
Allerdings konnte mein Besuch nur bedingten Erfolg haben. Den Vertrag hatte Dueleen längst mit der Einkaufsabteilung, also mit höchstem Vorstandssegen abgeschlossen. Ich war sozusagen nur noch verantwortlich, zuständig und schuld. Wir hatten uns diesmal nicht in der
Firma, sondern in seiner Villa am Wald verabredet.
»Wenn ich einen Film beginne, und wir drehen zur Zeit Nummer 523, dann finanziere ich den voll vor. Denn es ist äußerst schwer,
einen Kunden dazu zu bringen, die Katze im Sack zu kaufen. Und
einen Film, den ich noch nicht gedreht habe, kann ich auch nicht vorführen«, führt Dueleen wieder aus.
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Frl. Durkamp stellte demonstrativ Aktenordner mir der Nummern 519 bis 523 vor sich auf den Schreibtisch und fragte: »Werner,
diese Rechnung über einen Jadekopf, das sind Schweizerfränkli elftausendeinhundert. Wohin gehört die?«
Dueleen dachte kurz nach. »Das ist doch das Geschenk für die
Frau von dem Direktor Fitzliputzli, Du weißt schon, der mit der Epilepsie. Nein, nicht er hat Epilepsie, wir drehen einen Film darüber. «
»Also Spesenkonto von 519«, meinte die Durkamp.
»Nein, mein Spatz. « Dueleen trat neben sie und betrachtete sie
von oben bis unten. »Ich bin froh, wenn Du da bist. Wenn Du da bist,
habe ich immer die besten Ideen. Wir machen das zur Requisite. Requisite für Film 519. Schreib einen Requisitenkleber, trag's ins Requisiteneingangsbuch ein und am besten sofort im Requisitenausgangsbuch aus. Unter Flohmarktverkauf. «
Dueleen wandte sich wieder mir zu. Allerdings hielt er noch einen anderen Beleg in der Hand, den er wieder kritisch musterte.
»Ich mache diese Arbeit nicht gerne und wenn mir die Monika
nicht immer dabei helfen würde... «, er lächelte zur Monika Durkamp
hinüber«, ... dann würde es mir noch schwerer fallen. «
Er brauchte Monika einfach, um richtig kreativ zu sein. Eigentlich war ich der Ansicht, daß ein Regisseur kreativ beim Filmen oder
gegebenenfalls auch beim Schneiden sein muß. Ich wurde des besseren belehrt. Das Kreativste war das Rechnungsschreiben und die Steuer. Und dazu brauchte Dueleen eben Monika. Oder vielleicht nur ihr
Aussehen in Strapsen, Netzstrümpfen und durchsichtigem Büstenhalter. Und natürlich den hochhackigen Schuhen.
»Das wichtigste ist, dem Finanzamt die Rechnungen so zu präsentieren, daß die das glauben. Es ist nicht wichtig, was wahr ist,
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wichtig ist, daß es das Finanzamt es so sieht«, sagte Dueleen.
Monika streckte sich ein wenig im Chefsessel, Dueleen tigerte
auf und ab und rief nach seiner Hausangestellten und nach Kaffee für
mich. Jetzt bemerkte er, daß ich meinen Blick doch nicht mehr kontrollieren konnte und Monika mit den Blicken abtastete.
»Wissen Sie, Herr Nader, wenn ich kreativ sein muß, dann
brauche ich auch das entsprechende Umfeld. Jeder weiß, daß ein
Komponist oft von der grünen Natur oder dem Rauschen des Wildbachs inspiriert wurde. Ich brauche zum kreativen Denken auch mein
Umfeld. « Dueleen blickte wieder auf den Beleg in seiner Hand und
rief laut: »Marita, wo bleibt der Kaffee für den Herrn Nader?«
Und so wurde mir zum ersten Mal ein Kaffee von einer Dame
mit schwarzen Schuhen und Netzstrümpfen, schwarzem Strapsgürtel
und Büstenhalter serviert. Allerdings trug sie ein kleines weißes
Schürzchen, wahrscheinlich aus hygienischen Gründen.
Dueleen starrte jetzt fast schon auf den Beleg. »Haben wir davon nicht eine Filmszene?«
»Doch, das sind diese zwölf Sekunden, wo das Schiff so schaukelt, daß man fast nichts erkennen kann. « Monika kannte sich tatsächlich aus.
»Dann schneiden wir die Szene in den Titel. Schreib' sofort eine
Produktionskarte dafür, daß das auf keinen Fall vergessen wird. Und
dann sind das ganz normale Produktionskosten. « Er reichte mir den
Beleg. Es war eine Charterrechnung von einem zwölf Meter Segler,
Betrag so an die einhundertfünfzigtausend. Allerdings nur französische Franc.
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»Da hab ich mit der Kaufrisch-Gruppe einen kleinen Turn gemacht. Die haben so einen Spot von zwanzig Sekunden in Auftrag
gegeben. « Dueleen schien nicht ganz zufrieden.
»Paß auf Monika, schreib sofort eine Anweisung an die Faktur,
die Rechnung an die Kaufrischleute muß gesplittet werden. Die hundertfünfzig verlangen wir zusätzlich für den Dreh, daß die Kopien
noch extra kosten, kann die Amsel denen erklären. «
Ich saß ruhig in den Ecke, blickte auf das Bild, das sich mir bot
und machte mit klar, daß die Kaufrischleute in Demark bezahlten.
Und daß das keine einhundertfünfzig Märker waren, sondern daß der
Faktor eintausend einzurechnen ist. Und was so Kopien kosten. Wer
weiß das schon bei kreativer Rechnungs- und Steuergestaltung.
Beim Mittagessen, selbstverständlich auf Dueleens Rechnung,
waren wir nur zu zweit. Diesmal hatte er ein Chinesisches Restaurant
ausgesucht. Es sah hell und luftig aus. Man merkte auch, daß dieses
Lokal auf Geschäftsessen ausgerichtet war. Die Tische waren so günstig voneinander durch Blumen und Wände getrennt, daß ein vertrauliches Gespräch durchaus möglich war.
»Wissen Sie, ich habe jetzt schon das zweite Mal in zwei Jahren
die Steuerprüfer im Haus gehabt. « Dueleen wählte zwischen verschiedenen Aperitifen. »Das heißt eigentlich, die haben einen auf dem
Kieker. Denn sonst hat man bei meiner Größenordnung nur so alle
fünf bis zehn Jahre damit zu rechnen. Aber das macht nichts. Das letzte Mal habe ich auch vor dem Finanzgerichtshof obsiegt. Wußten Sie
eigentlich, daß die Finanzämter eigenen Gerichte haben? Die sind
ganz schön ausgefuchst. Aber nicht mit mir!«
Ungefähr so stellte ich mir die Steuertreue eines in der deutschen Wirtschaft verankerten Produzenten vor.
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»Das ist doch alles ganz einfach«, erklärte Dueleen weiter.
»Man muß für alles einen Beleg haben und dann gibt es einige Sachen, die noch ohne Beleg gehen. Ich setze zum Beispiel jeden Tag,
bei dem ich auf Reisen bin, fünfzehn Mark Telefongeld in die Spesenabrechnung. Als Firmenchef muß ich doch mehrmals am Tag mit
meiner Firma reden. Und die Telefonzellen geben eben keine Quittung
heraus. «
Dueleen hatte lange den Aperitif gewählt. Es wurde ein Pernod
ohne Wasser und Eis, Campari Soda für mich.
»Sie müssen das mal durchrechnen. Man kann nämlich überall
sparen. « Dueleen kam in Form. »Wenn ich nämlich nur einhundertfünfzig Tage im Jahr fünfzehn Mark absetze, dann sind das zweitausendzweihundertfünfzig, und bei meiner Steuerklasse ist das ein Reingewinn von mehr als tausend Mark im Jahr. « Dueleen bestellte sich
noch einen Aperitif. »Und dafür nur einmal die Anweisung geben,
jeden Tag so ungefähr fünfzehn Mark in die Spesenabrechnung
schreiben. «
Ich gab ihm Recht, auch Kleinvieh mache Mist. Aber das große
Geld sei doch so nicht verdient, warf ich ein.
Das war Wasser auf seine Mühle. Sein Credo war, an jeder,
aber auch jeder Ecke dem Finanzamt Geld wegzunehmen. Und Kleinvieh holt man nicht nur wegen des Gewinns von tausend Mark, sondern auch aus dem sportlichen Gedanken heraus.
»Zum Beispiel sind jedes Jahr im Frühjahr die Werbefilmtage in
Cannes. Was meinen Sie, was da ein Hotel kostet! Also ich nehme
immer eine Rechnung von zweitausendsiebenhundert Franc. Und
Speisen und Getränke kann man gut mit Rechnungen über insgesamt
zwanzigtausend Franc abdecken. «
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Die ersten Gänge des komplizierten chinesischen Menüs wurden serviert. Dueleen sah mit Genuß der chinesischen und natürlich
weiblichen Bedienung zu.
»Ist doch mal was anderes. « Wahrscheinlich meinte er die
Speisen und die Atmosphäre in dem Lokal. Er sah aber verdächtig
lange der Bedienung hinterher.
Ich wechselte das Thema zurück zu der Abrechnung der Canner
Werbetage. »Einmal gut gelebt gedenkt einem ewig, aber wie kann
man da sparen, das Geld ist doch ausgegeben und fort?«
Wahrscheinlich war die Frage überaus naiv, Dueleen lachte zuerst auf, und dann kam die einfachste aller Erklärungen:
»Man geht einfach nicht hin. Ich mache zu der Zeit sowieso
immer Urlaub in meinem Haus in St. Tropez und dann setzte ich auch
noch das Flugticket für mich und ein zwei Mitarbeiter ab. Und die
Quittungen kriege ich von Marteau. «
»Was hat der Kneipenwirt vom Café de Lyon in St. Tropez
denn mit den Werbefilmtagen in Cannes zu tun?« Ich bemerkte meine
Naivität, konnte aber nichts dagegen tun.
»Ach, der hat doch einen Schwager in Cannes. Sie wissen wie
auf französisch Schwager heißt? Bon frére. Wörtlich eigentlich guter
Bruder. Die Brüder an der Cóte sind alle gut zueinander. Zumindest
wenn sie dem Verein angehören. « Dueleen interessierte sich immer
auffälliger für die chinesische Bedienung.
Eigentlich hatte ich jetzt genug von dem Thema. Ich kämpfte
mit dem Gedanken, wieweit ich jetzt schon Mitwisser war und wie das
alles vor einem deutschen Gericht aussehen würde. Aber ich zog auch
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in Betracht, daß vieles stark übertrieben war. Und wenn schon, einmal
tausend Mark im Jahr, einmal Urlaub umsonst in St. Tropez.
»Motivsuche ist auch gut. « Ein klein wenig stolz auf all die
von ihm gefundenen Möglichkeiten war er schon. »Reisen in die Welt
wohin man will. Nicht jedes Motiv ist geeignet. Da muß man schon
suchen. «
Der siebte oder achte Gang wurde aufgelegt, die dazu servierten
Alkoholika brachten jetzt auch bei mir langsam Wirkung. »Ich habe in
meiner Steuererklärung auch die Strecke von der Firma zur Wohnung
um zwei Kilometer zu lang angegeben. «
Irgendwie wollte auch ich meinen Anteil am Kampf gegen das
Finanzamt unter Beweis stellen.
»Um Gottes Willen!« Dueleen war echt erschrocken. »Schreiben Sie einen Brief ans Finanzamt und erklären Sie, daß das ein Versehen war. So was wird doch nachkontrolliert!«
Nachdem die zwei Abschlußgrappa heute gegen einen chinesischen Schnaps ausgetauscht wurden, bezahlte Dueleen die Rechnung.
Aus der Innentasche seines äußerst gepflegte Nadelstreifens holt er
mehrere glatte Scheine zu tausend Mark.
»Trägt immer so auf«, erklärte er mir und sah mißmutig die
paar Hundertmarkscheine an, die ihm zurückgegeben wurden.
Ich schlug ihm die Benutzung einer Kreditkarte vor. Hatte ich
vorher leichtes Erschrecken ausgelöst, so lösten meine Worte jetzt
jähes Entsetzen aus.
»Nie und nimmer. Damit wird man total durchsichtig. Dann
kann ja jeder Schritt geprüft werden. Haben Sie schon mal meinen
Briefbogen von der Firma angeschaut? Da finden Sie keine Bankver-
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bindung. Ich will keine Überweisung. Auch Ihre Firma zahlt mich mit
Verrechnungsscheck. Das ist schon kompliziert genug, den unterzukriegen. Merken Sie sich fürs Leben: keine Spuren hinterlassen. Das
weiß doch heute schon der dümmste Verbrecher, daß er keine Fingerprints hinterlassen darf und ich soll mit der Kreditkarte eine unübersehbare Spur legen. Nie!«
Hervorragend und richtig wohl fühlte ich mich im Moment
nicht in meiner Haut. Auch wenn es schön war, so ins Vertrauen gezogen zu werden, mußte denn alles so neben der Legalität laufen? Ich
setzte trotzdem noch einen drauf: »Die kleine Chinesin gefällt Ihnen
wohl. Und wie würden Sie die über Geschäftskosten abrechnen?«
»Ach, Frau Wing Li«, Dueleen winkte der älteren Dame, die offensichtlich repräsentative Aufgaben im Lokal wahrnahm, zu. »Frau
Wing Li, ich habe heute abend ein paar Freunde bei mir im Haus. Und
ich bin gänzlich unvorbereitet. Können Sie mir ein kalt/warmes Buffet
gegen einundzwanzig Uhr ins Haus schicken. So für 8 Personen. Und
schicken Sie ihre hübsche Bedienung doch gleich mit, wir sind hier
hervorragend bedient worden. «
»Vielen Dank, Herr Dueleen, vielen Dank«, bedankte sich
mehrstimmig das anwesende Personal. Dueleen schritt von dannen,
ich floh mehr.
An diesem Tag haben wir dann wirklich noch so etwas wie gearbeitet. Wir saßen sieben Stunden in einem verdunkelten Raum an
einem Schneidetisch und versuchten, Filmszenen den einzelnen Teilen
des Lehrfilmpakets zuzuordnen. Tatsächlich herrschte hier strenge
Ordnung. Cutterin und Scriptgirl saßen brav an ihren Arbeitsplätzen
und schrieben jede Äußerung ihres Grand Chefs mit. Selbst meine
Einwürfe, als Auftrags- und Geldgebervertreter wurden berücksichtigt, wenn ihnen der Chef nicht widersprach. Erstaunlicherweise wurde im Schneideraum nicht geraucht. Als ich danach fragte, erzielte ich
zum drittenmal einhelliges Entsetzen.
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»Wir arbeiten mit Originalfilm, wenn der verkratzt, ist alles hin.
Schauen Sie mal, die Cutterin arbeitet sogar mit weißen Handschuhen.
« Stimmte. Ich habe mich später erkundigt. Das war so und das war
die billigste Methode. Eine Arbeitskopie hätte Geld gekostet. Dueleen
sparte eben nicht nur beim Finanzamt sondern auch bei seinen Auftraggebern. Die Arbeitskopie fand ich später auf einer Rechnung wieder. Aber rauchen durfte ich trotzdem nur draußen.
Kurz vor einundzwanzig Uhr wurde pünktlich Schluß gemacht.
Dueleen lief durch die Studios und sammelte Leute ein. Die Amsel
war sowieso da, Doris auch, das Scriptgirl war Marga, die Cutterin
mußte überredet werden. Dann ans Telefon. Zwei Nummern aus der
Ledermappe, Original Hermes, herausgesucht.
»Uschi, wir haben doch mal über den Kontakt gesprochen, den
ich vielleicht für Euch herstellen kann. Müssen wir noch mal drüber
reden. Aber ich habe jetzt eine kleine Party bei mir im Haus. Ja, so
Buffet und so. Sag bitte Lizzy Bescheid. Natürlich ordentlich angezogen. Ich schicke den Fahrer vorbei. Bis in 20 Minuten. «
Die Villa am Wald hatte einen großen Raum, der eigentlich alles gleichzeitig war. Dieser Raum hatte auf der einen Seite das Panoramafester mit dem Mooreicheschreibtisch, an dem noch diesen
Morgen Monika mir Fassungslosigkeit beibrachte, auf der anderen
hingen in einer Art Kunstausstellung Seidenteppiche an der Wand. Ein
Kamin rechts und ein kleiner Springbrunnen mit natürlich nackter
Kupferelfe gehörten ebenso zu Einrichtung, wie eine Bibliotheksseite
mit meistens auserwählten Schriften. Dieser Raum war wie sein Herr.
Eigentlich alles zu viel, zu protzig. Aber trotzdem war es hier glaubwürdig. Es sah aus wie im Kino und irgendwie war es immer wieder
Kino.
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Natürlich gab es in dem Haus zahlreiche Nebengemächer.
Selbst die Küche war durchgestylt und hätte in eine Kinoaufführung
für die Küche von Millionärs gut gepaßt.
»Die Küche stammt von Berthelot, habe einen Film über die
Funktionalität der Küche gedreht. Habe sie einfachheitshalber sofort
hier einbauen lassen. Und was mal eingebaut ist, kann man nicht mehr
brauchen. Die wollten sogar noch Geld für die Elektrogeräte. Ha! Der
Film ist erst fertig geworden, als die die Rechnung zurückgezogen
haben. Sieht aber doch ganz gut aus, oder?« Dueleen war mit sich
ganz zufrieden.
Doris hatte sich uns zugesellt. »Gehen wir sofort ans Buffet?«
»Nein, wir warten doch bis alle da sind«, sagte Dueleen. »Aber
zeig' Herrn Nader doch die andere Küche, die wir auch von Berthelot
haben. Diese sogenannte Junggesellen- oder Schiffsküche. «
»Noch eine Küche im Haus? fragte ich.
»Ja, das ist unten im Haus, neben der Bar. «
»Ach,« sagte ich »neben dem Zimmer, in dem wir das letzte
Mal... «
»Ja«, sagte Doris.
Die eingeladenen Damen Uschi und Lizzy kamen gerade. Also
vom Anblick her wirklich was Feines. Wenn die Damen um Dueleen,
also z. B. die Amsel oder Doris auch wirklich ausgewachsene Frauen
waren und man das auch deutlich sah, so hatten sie immer noch etwas
burschikoses, etwas mädchenhaftes an sich. Natürlich sah man ihnen
den teueren Schneider an, aber der hatte eben etwas sportlich geschnitten.
Uschi und Lizzy dagegen stammten aus einer besonderen
Schublade der Upper-Class. Pelzmantel war damals noch in. Diese
Pelzmäntel gehörten zu der Sorte, für die sich ein normaler Arbeiter
einen neuwertigen Mittelklassewagen kauft. Schuhe, Handtasche,
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Schmuck. Auserlesenste Ware. Das kleine Abendkleid, das beide gewählt hatten, war ein wenig übertrieben. Schulterfrei und tiefste Einblicke. Aber Dueleen hatte ja um ordentliche Garderobe gebeten. Ich
sah kurz an meinem Nadelstreifen herunter. Der Fahrer trug ungefähr
meine Qualität.
Die Party ward eröffnet und das Buffet genossen. Die kleine
Chinesin stand wirklich hinter dem Buffet und bediente mit leiser,
lieber Freundlichkeit. Dueleen schien sie vergessen zu haben. Musik
kam von der Anlage, die Lichter gedämpft. Eine Party zu sechs Frauen
und zwei Männern und einer kleinen Chinesin hinter dem Buffet hat
ihre eigenen Gesetze.
Ich unterhielt mich mit Uschi. Sie wollte unbedingt sofort mit
Uschi angeredet werden. Und wenn ich's recht erinnere, sagte sie mir
den Nachnamen nicht und nie. Äußerst gebildetes Frauenzimmer.
Mindestens drei Fremdsprachen und offensichtlich weitaus besser als
ich. Sie schien aus der Textilbranche zu sein. Kam viel rum auf
Modemessen und so. Aber vielleicht war sie auch nur die gelangweilte
junge, schöne Frau des reichen Fabrikbesitzers. Schwer einzuschätzen.
Sie kannte den Louvre gut. Aber Metro fahren in Paris konnte sie
nicht. Die ganzen Stationen waren ihr nicht klar. Aber beim Lido kamen wir wieder zu einer einheitlichen Meinung: die größte Schau der
Welt.
Lizzy stand im Kreis bei Dueleen und behauptete jetzt doch
recht laut, daß es schon mal lustigere Parties bei Dueleen gegeben
habe. Champagner wurde nachgereicht.
»Also, wir losen jetzt aus, wer sich auszieht. « Lizzy begann das
Kommando zu übernehmen. »Ihre Freundin ist ja wirklich burschikos«, sagte ich zu Uschi.
Uschi bejahte und erzählte, daß sie beide schon viel Spaß auf
Parties gehabt hätten. Lizzy sei eine besonders gute Sportlerin und
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würde oft irgendwelche sportlichen Wetten abschließen, die sie dann
anschließend meistens gewänne. Heute sei sie tatsächlich sehr direkt.
Aber es sei ja auch schon halb elf. Nachdenken meinerseits.
Ich ließ mir von Doris wieder nachschenken. Ich habe immer
noch das Problem mit den kleinen Schlucken an Champagnergläsern.
Ein Schluck, und es wird nachgegossen. Viele Schlucke, und ich falle
um.
»Also, wir machen das so«, sagte Dueleen, »ich habe hier neun
kleine Karteikarten, alle gleiche Farbe, kein doppelter Boden…«, er
zeigte die Karteikärtchen wie ein Zauberkünstler herum »…und die
Amsel schreibt jetzt auf jede Karte einen Namen. «
»Ich, Doris, Marga, Christa ... «, so erfährt man, wie die Cutterin mit Vornamen heißt, »Nader, Dueleen und Fan«.
Die kleine Chinesin nickte, »ja, Fan, Fan Li« sagte sie.
Der geht doch an alles, was nicht schnell genug den Baum hoch kann,
dachte ich. Und Fan lächelte.
»Oh, ich liebe Party, viel Spaß«, sagte sie auch noch.
Ich kalkulierte die Chancen des alten Spielers. Nun, eigentlich
war die Chance so bei acht zu eins. Erstens, daß es ihn traf, zweitens,
daß es Fan Li traf und drittens daß es mich traf. Der Gedanke war mir
unangenehm. Doris schenkte nach und die Amsel kam mit einem großen Sektkühler in Form eines schwarzen Zylinderhutes. Jetzt warf sie
alle Karten hinein
.
Ich fühlte mich ertappt, als Dueleen sagte: »Die Glücksfee ist
heute der Herr Nader. Der ist wirklich der ehrlichste Mensch hier unter uns und dann ist er sich auch sicher, daß wir ihn nicht reinlegen. «
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Allgemeines Gelächter folgte. Ich wurde vorgeführt wie eine
Ehrenjungfrau. Und außerdem war ich mit dem Gedanken noch nicht
fertig, was passierte, wenn auf dem Zettel, den ich ziehen würde, ›Nader‹ stünde.
Die Musik und das Licht wurden angepaßt, der Zylinderhut viele Male geschüttelt und ich nahm noch einen Schluck. Doris goß nach.
Ich griff in den Hut, wühlte absichtlich noch einmal in den Karten und zog eine Karte. Die hielt ich hoch, nahm sie dann vor Augen
und las vor:
»Fan Li. «
Sie trug es wirklich mit Fassung. Oder ich kann in asiatischen
Gesichtern nicht gut lesen. Sie blieb einfach ungerührt stehen und
blickte geradeaus. Uschi und Lizzy nahmen sich sofort der Kleinen an.
Ein Glas Champagner und ein zartes Streicheln über die Wange. Fan
wurde hinter ihrem Buffet weg in die Mitte des Raumes geholt. Jemand drehte am Licht. Jetzt war nur noch ein scharfer Spot in der
Mitte des Saales, das Umfeld fiel in Dunkelheit. Applaus brandete auf.
Und viele, viele Hände legten sich auf den Körper der kleinen Fan.
Viele Bewegungen der Hände, das Vorbeiziehen von Stoff und
alle traten wieder auseinander. Immer noch im Spot stand Fan. Splitterfasernackt. Sie blickte geradeaus und sagte kein Wort. Dann applaudierten wieder alle. Fan machte einen Knicks und Lizzy stellte
sich neben sie. Ein eleganter Zug am rückwärtigen Reisverschluß, das
kleine Schwarze fiel zu Boden. Die splitternackte Lizzy umarmte jetzt
die nackte Fan. Uschi gesellte sich zu den beiden. Sie zog mit gleich
elegantem Zug den Reißverschluß auf. Ihr blieben die Strümpfe und
die Strapse, ein Höschen trug sie, wie Lizzy nicht.
»Na, welche wollen Sie« , sagte Dueleen.
»Ich kann doch nicht einfach so…«, stotterte ich.
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»Doch natürlich. Ich hab' doch schon alle längst bezahlt. Sind
doch Nutten aus der Gerbergasse. «
Ich schaute mich zu Doris um. »Wollen wir noch mal... «, begann ich. »Klar... «, sagte sie, »...gehen wir nach unten ins Gästeappartement. Ich nehme den Champagner mit. Amsel? kommst Du
mit?«
Ich nahm auch noch den Sektkühler in Zylinderform mit. Am
nächsten Morgen nahm ich alle Karteikärtchen heraus. Auf jedem
Kärtchen stand in sauberer Handschrift: ›Fan Li.‹
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Szene 5
Gleich am Morgen, ich saß mal wieder in meinen Sessel vor
meinem jetzt neuen Schreibtisch und blickte aus meinen ebenfalls
neuen Büro durch das Fenster seitlich auf die in grauem Nebel liegende Fabrik, da klingelte das Telefon.
»Nader. «
»Dueleen. Guten Morgen, Herr Nader. Ich hab den Deckel
drauf. Ich hab den Darabolenski eingekauft. Das ist ja ein ganz lieber
Mensch. Wissen Sie, er hat mir seine Lebensgeschichte erzählt. Er ist
nach dem Krieg ja in England ohne einen Pfennig Geld in der Tasche
gestanden und jetzt sagt er von sich, daß er ist ›größtes Fachmann für
Längenmessen mit optischen Mitteln in westliches Welt‹. Der hat so
was wie Lebensangst. Weil er sich noch immer fürchtet, wieder mal
Pole zu sein und ohne Geld in der Gegend zu stehen, trägt er jetzt
einen Gürtel mit Krügerrand immer fest am Körper. Klar. Ich bezahle
ihn jetzt in Krügerrand und davon sieht die Steuer sowieso nichts.
Also den Film über die Längenmessen mit optischen Mitteln
können wir abfahren. Die wichtigsten Mikroskopaufnahmen bekomme
ich direkt von ihm. Die macht er an der Uni. Die haben da deutlich
besseres Material als wir. Und sein Labor steht für Raumaufnahmen
zur Verfügung. Und die Labormäuschen müssen Sie sehen. Nur mit
der Frau Fuchs müssen Sie vorsichtig sein. Das ist sein rechte Hand.
Sieht aber sagenhaft gut aus. «
Ich tippte mit fahrigen Fingern auf dem Computer herum.
»Wir haben für das Projekt Längenmessen mit optischen Mitteln nur einhundertachtzig dieses Jahr freigestellt«, sagte ich. »Wenn
ich Sie richtig verstanden habe und so wie das hier aussieht, ist das
ganze Projekt aber gut vierhundertdreißig wert.
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»Das ist doch jetzt nicht so wichtig. Wissen Sie, eigentlich sagen ja alle immer Dara zu ihm. Also nur, wenn er nicht dabei ist. Aber
wissen Sie, was der zu mir sagt: ›Sagen Sie ruhig Dara zu mir, sagen
alle, und wer kann schon aussprechen Dr. von Darabolenski. Doch
hier in Deutschland keiner nicht. ‹«
Ich blickte immer noch auf meinen Computerschirm. Seit die
Werbeplanung über den Computer lief, war alles etwas überschaubarer geworden. Trotzdem hatten wir immer wieder das Problem, etwas
zu planen, von dem wir gar nicht wußten, was es sein würde.
»Also einhundertachzig... «, sagte ich.
Dueleen unterbrach mich jetzt brutal. Er hatte fast keine feine
Art mehr an sich. Er nannte mich ungefähr Krämerseele. Aber er sagte
nicht Finanzbeamter zu mir. Er wollte mich schließlich nicht beleidigen.
»Ich habe Ihnen doch immer gesagt, daß Sie sich nicht um die
Finanzierung kümmern müssen ... «,
»Schöner Trost…«, dachte ich, »…wir bezahlen bloß alle Filme. «
»Ich mach das schon und mit Dr. v..., mit Dara bin ich fein raus.
Sie müssen unbedingt nach Hamburg kommen. Der Dara freut sich
schon darauf, sie kennenzulernen. Der ist auch ein großer Feinschmecker, vielleicht laden sie ihn heute ins ›Gesell‹ ein. Dann können wir noch alles besprechen. «
»O.k., o.k., alles klar, aber wo ist das ›Gesell‹?« fragte ich.
»Das ›Gesell‹ ist eines der vornehmsten und feinsten und besten
Gourmetrestaurants in Hamburg. Fragen Sie mal ihre Sekretärin, die
sieht übrigens nicht schlecht aus, die kennt das bestimmt«, sagte Due-
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leen.
Ich holte tief Luft. »Diesmal wird mir die Sekretärin nicht ausgespannt und außerdem warum soll ich wie und womit nach Hamburg
kommen. Außerdem haben wir hier so was wie eine Reiseplanung und
mein zuständiger Spartenleiter ist nicht da und... «, sagte ich.
»Nader«, sagte Dueleen, »heute, zwanzig Uhr, ›Gesell‹, Hamburg. Drei Plätze sind reserviert. Kleiner Bieranzug«, und legte auf.
Ich rief sofort zurück und erreichte auch sofort die Amsel: »Da
hat der Werner aber mal wieder recht gehabt. Hat auf achtuhrzweiunddreißig auf ihren Anruf gewettet. «
Ich war nicht zum Spielen aufgelegt und verlangte freundlich,
aber direkt, wie einem das so beim Lehrgang ›Personenbezogenenes
Verkaufen‹ beigebracht wird, Herrn Dueleen zu sprechen.
.
»Der Werner hat gerade aus Nizza angerufen. Der war mit dem
Dr. von Darabolenski unten im Haus in St. Tropez. Die müßten jetzt
fliegen. Die wollen über Paris nach Hamburg fliegen. Ich soll ihnen
noch sagen, daß sie in Hamburg am besten im Interconti übernachten.
Er hat schon für sie reserviert. «
Ich erkundigte mich noch allgemein nach der Gesundheit der
Damen, fragte nach der zur Zeit gültigen Haarfarbe und wünschte
einen schönen Tag und Dueleen zum Teufel.
Ich machte meiner Sekretärin klar, daß die Reisestelle für mich
einen Flug nach Hamburg und morgen zurück zu besorgen hätte.
Nein, einen unterschriebenen Antrag können sie nicht haben. Aber sie
könne gerne zum Vorsitzenden des Verwaltungsrat gehen. Der würde
meinen Spartenleiter sicher gerne in einer so wichtigen Angelegenheit
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vertreten.
Die Dame aus meinem Büro und die Dame aus der Reisestelle
einigten sich noch rechtzeitig. Ich erhielt ein Ticket nach Hamburg
und den guten Rat, nicht ins ›Salombo‹ zu gehen. Ich schrieb mir den
Namen auf.
Die Landung in Hamburg wurde, wie der Pilot uns freundlich
mitteilte, bei Sicht Null/Null durchgeführt. Der Pilot war sichtlich
stolz auf sein neues Gerät. Ob es mir Spaß gemacht hat, in einer Röhre
zu sitzen, die mit der Geschwindigkeit einer mittleren Pistolenkugel
blind gelandet wird, wußte ich damals nicht. Auch die Hamburger
Taxifahrer schienen Null/Null Sicht gehabt zu haben. Meinem ging
auf halben Weg der Diesel aus. Also ich meine, der Dieselmotor aus,
weil der Dieseltreibstoff alle war. Ich stand im Nebel, bei werdender
Nacht in Hamburg, irgendwo gab es ein ›Gesell‹ und mein Hotel war
irgendwo anders.
Es gehört zu den Aufgaben eines Managers, Schwierigkeiten
aus dem Weg zu räumen und positiv Ziele anzustreben. Ich kam also
nur eine viertel Stunde zu spät. Dr. von Darabolenski stellte sich als
freundlicher, kleiner, etwas rundlicher und lebhafter Mann heraus, der
mich überschwenglich begrüßte. Positiv in diesem Abend war zuerst,
daß ich nicht viel reden mußte und zweitens, daß das Essen und der
Wein recht ordentlich waren.
Ich erfuhr noch einmal die tragische Geschichte des jungen von
Darabolenski, seiner Liebe zum Gold, die allerdings auch bei Ärzten
verbreitet sein soll und die tollen wissenschaftlichen Ergebnisse, die er
per Film der Umwelt beibringen wollte. Und er sah sogar ein, daß ein
bißchen product-placement notwendig war, wobei er es sich mit den
anderen Firmen nicht verderben wollte.
Dueleen fragte mich, ob alles geklappt hätte, ich bejahte und
Dueleen brachte Dr. von Darabolenski nach Hause. Ich saß noch im
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›Gesell‹, der Tisch vor mir wurde abgeräumt und nach meinen weiteren Wünschen gefragt. Ich hatte keine mehr und so brachte der Kellner Schar in Keilschrift auf sechs Ziegelstein dem Gast die Rechnung
dar.
In der wilden Studikerzeit haben wir auch gepokert, manchmal
sogar, für unsere damaligen Verhältnisse, unverschämt hoch. Diesmal
befürchtete ich wirklich, daß mir mein Pokerface entglitt. Die Rechnung machte ungefähr mein halbes brutto oder auch ungefähr mein
ganzes Nettomonatsgehalt aus. Die eine Flasche Wein zum Schluß,
die uns Dr. von Darabolenski empfohlen hatte, machte allein die halbe
Rechnung aus. Dara war allerdings darauf leicht pfeifend aus dem
Lokal gegangen.
Kurz ist der Schmerz, doch ewig ist die Reue. Bei der Jungfrau
von Orleans und Schiller steht zwar statt ›Reue‹, ›Freude‹ aber Freude
konnte ich noch nicht einmal nachempfinden. Ich verstieß auch gegen
Dueleens Warnung. Der Teufel solle ihn holen, ich befürchtete nur,
der nimmt ihn nicht. Ich legte meine Amexkarte auf den Tisch. Etwas
verächtlich wurde sie genommen. Es war noch nicht einmal eine goldene. Beinahe hätte ich die Rechnung vergessen.
Am nächsten Tag erreichte ich meinen Vorgesetzten und veranlaßte eine Vorabüberweisung auf mein Gehaltskonto. Allerdings wurde ich ermuntert, daß Projekt Längenmessen mit optischen Mitteln
zügig anzugehen. Man erwarte sich davon große Erfolge.
Das Institut von Dara entsprach dem Standard, den alle Universitäten zu bieten haben. Wir entwickelten den Tag über so etwas wie
ein Drehbuchvorentwurf und kamen sogar soweit, die einzelnen Passage verschiedenen Mitarbeitern zuzuweisen mit denen die Ausarbeitung gemacht werden konnte. Dueleen zeigte sich immer desinteressierter. Nur mit einer Szene kam er nicht klar. Da war eine einfache
Spielszene in der zwei Doktorinnen am Doppelmikroskop sitzen und
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sich gegenseitig was erzählen.
Dara blieb nichts anderes übrig, als die Frau Dr. Fuchs und die
Fr. Dr. Kassel zum Gespräch hinzuzubitten. Die Damen wurde offensichtlich gern zum Chef gerufen und erklärten Dueleen die Szene ganz
genau. Der schaute die Frauen Doktores an und sagte:
»Waren Sie eigentlich schon in St. Tropez?«
Ich saß diesen Abend allein in der Bar des Interconti. Eigentlich
ist das die blödeste Situation, die einem passieren kann. Man sitzt in
einem zu teueren Hotel. Wenn man rausgeht, ist da eine fremde Stadt
und wenn man drin bleibt, sitzt man, wie gesagt, zumindest bei zu
teuerem Bier.
Dueleen kam um dreiundzwanzig Uhr. Er hatte schon deutlich
einen in der Krone, konnte sich aber noch gut benehmen. Frau Dr.
Fuchs hing mehr an seiner Seite als daß sie ging und Frau Dr. Kassel
hatte die Schuhe in der Hand und lief barfuß.
»Champagner für alle«, orderte Dueleen.
»Ich muß mich mal irgendwo frisch machen«, sagte die Kassel
und schaute auf ihre laufmaschigen Strümpfe.
»Mein Zimmer ist im ersten Stock«, sagte ich und schalt mich,
den Bruchteil einer Sekunde später, einen schnellschwätzenden Narren.
»Das ist aber sehr nett von Ihnen, begleiten Sie mich gerade dahin?« sagte die Kassler, nahm mich am Arm und zog in Richtung Aufzüge.
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»Ich gehe nur schnell ins Badezimmer«, war ihre Rede und meine, »ich rauche mal auf dem Balkon eine Zigarette. «
Nach der dritten Zigarette fing ich langsam an nachzudenken
und ging wieder ins Zimmer. Die Badezimmertür war nur angelehnt,
die Kassel schlief in der Badewanne und ihre Kleider waren von der
Stange auch ins Bad gefallen. Da war alles patschnaß.
Ich weckte die Kassel und zog sie aus dem Bad, jetzt war ich
ebenso klatschnaß. Sie wollte sich nur schnell aufs Bett legen. Ich
organisierte noch über den Zimmerservice, daß die Kleider irgendwie
wieder getrocknet und geplättet wurden. Währenddessen schlief die
Kassler in meinem Bett. Ich telefonierte mit Dueleen in der Bar. Der
fand alles o.k.. Ich schlief die Nacht im Sessel vor dem Schreibtischchen und hatte am nächsten Morgen ziemlich Problem im Kreuz.
Die Kassel sprach nie mehr über den Vorfall, nur mit der Reisestelle bekam ich noch Schwierigkeiten. Warum ich in einem Zimmer
mit zwei Personen übernachtet hätte. Die Rechnung vom Interconti sei
schließlich so ausgeschrieben.
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Szene 6
Von Darabolenski, oder zumindest der Gedanke an Ihn, verfolgte mich bald bis fast in meine Alpträume hinein. Wenigsten ging es
Dueleen auch nicht besser. Dara war Frühaufsteher. Ich vermutete
aber, daß ihn sein schlechtes Gewissen, daß ihm die vielen betrogenen
Kunden bereiteten, immer frühzeitig weckte. Wenn es ihm nicht gelungen war, einem Firmenvertreter die Rechnung für seinen Abendtrunk aufs Auge zu drücken.
Dara hatte immer eine neue Idee, er war ähnlich kreativ wie
Dueleen. Diese neue Idee war natürlich ein alte, denn Dara hatte immer alte Ideen. Dara war immer dabei einen Verein, einen Behörde,
ein Institut oder vielleicht auch eine Kirche zu gründen. Mit Stolz
sagte er von sich, daß er der erste polnische Ritter des emigrierten
italienischen Rosenkreuzerordens zu Frankreich sei. Nach drei Tagen
Bekanntschaft konnte ich es auswendig, ›der erste polnische Ritter des
emigrierten italienischen Rosenkreuzerordens zu Frankreich‹. Und das
ist nicht so einfach auswendig zu lernen, aber er sagte es uns oft, daß
er der erste polnische Ritter des emigrierten italienischen Rosenkreuzerordens zu Frankreich sei.
Seine alte Idee war, ›Kaffee‹ zu gründen. Kaffee war die Abkürzung für ›Kurzeitzugriff auf Formel, Fakten einfach eröffnen‹. Die
speziell amerikanische Form des deutschen Aküfi (Abkürzungsfimmels) hatte damals Deutschland schon voll erreicht. Was trieb Darabolenski denn jetzt aber dazu, so eine here Vereinigung gründen zu
wollen?
Dara hatte eine neue Sekretärin. Als ein kurzes Gespräch in einer speziellen Richtung, bei dem sie ein paar Notizen machte, beendet
war, sagte Dara »dann wollen wir mal wieder dem schnöden Mammut
nachjagen!«
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Die Sekretärin blickte verwundert auf und korrigierte »das heißt
doch Mammon, Herr Dr. von Darabolenski!« Dara sah mich an und
sagte: »Sie hat aber wirklich dicke Titten. «
Dara jagte dem Mammut nach und hatte in Dueleen eigentlich
den geeigneten Pfadfinder gefunden. Nur war unsere Welt für zwei
Spezialisten dieser Art vielleicht schon ein klein wenig zu klein.
›Kaffee‹ zwang alle Firmen, ihre Meßwerte in der Dickenmessung von optisch ermittelten Werten miteinander zu vergleichen. Der
angegebenen wissenschaftlich Grund war, die Kompatibiliät aller
Messungen und Ergebnisse herzustellen. Der wirkliche Grund waren
die Mitgliedsbeiträge der zu Zwangsmitgliedern gemachten Firmen.
Allerdings bestehen solche Zwangsmitgliedsfirmen ja dann
wieder aus Einzelpersonen. Und die spielten wieder mit Freude mit.
Innerhalb kurzer Zeit war ein Kontrollgremium gebildet, das nun monatlich in Frankfurt tagte, ein Plenum tagte vierteljährlich, ein Vorsitzender des Koordinierungsausschusses suchte schon seine Stellvertreter.
›Kaffee‹ lief gut und trieb die deutsche Wirtschaft zu neuen
Spitzenleistungen. Die Zuschüsse aus Bonn wurden gerade geregelt
und ein Umzug der ›Kaffee‹-Verwaltung an die Zonengrenze war
vorgesehen, um hier Fördermittel abschöpfen zu können.
Und Dara rief regelmäßig Dueleen an. Dara hatte einen Medienausschuß von ›Kaffee‹ ins Leben gerufen, der paritätisch von einem
Mitglied aus der Industrie, einem Mitglied der Medienwirtschaft und
einem ›Kaffee‹-Vertreter besetzt war. Dieser Medienausschuß mußte
die Verteilung der Gelder beschließen, mit denen die Medienaktivitäten von ›Kaffee‹ durchgeführt wurden.
Also wurde ich von Dara und Dueleen ins Hamburger Institut
zitiert. Im Interconti kannte man mich langsam und unsere Reisestelle
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hatte mir verschämt mitgeteilt, daß die Firma eine Cooperate-Card
vom Interconti hatte. Das senkte die Übernachtungspreise um dreißig
Prozent. Vorher war die Karte leider nicht von der Frau Professor
Grünhag zurückgefordert worden, die sich im Zusammenhang mit der
Stadterneuerung Gedanken über den Anstrich des Nordtors der Firma
machte.
Im Institut sah man schon einige Neuerungen. Ein Teil der Labors war in eine vor dem Gelände stehende Baracke ausgelagert worden, um Platz für die notwendigen Verwaltungsaufgaben zu schaffen.
Dara war in den obersten Stock des Gebäudes gezogen und hatte seine
Büros burgähnlich ineinander verschachtelt. Man mußte an mindestens zwei Drachen vorbei, um Dara zu erreichen. Aber Dueleen fand
beide Drachen süß.
Der einen brachte er Konfekt vom Flieger mit. Die Lufthansa
gab öfter, zumeist in der First, kleine, hübsche Tütchen mit zwei Pralinen ab. Dueleen ließ gnadenlos immer alle Tütchen einsammeln,
zumindest die, die noch übrig waren und verteilte sie später als Geschenke. Er dachte auch ans sparen. Der anderen brachte er HermesTücher mit, die er sich immer aus Hongkong mitbringen ließ. Die
Kopien sahen wirklich fast echt aus und er überreichte es immer in
Geschenkpapier von Hermes-Frankfurt. Er dachte manchmal wirklich
schon ans sparen.
Ich war, auch ohne Futtergabe, an den beiden süßen Drachen
vorbeigekommen und saß nun in edelster Atmosphäre im Besprechungszimmer zu Daras Büro herum. Schwarzleder war nicht mehr in,
man hatte sich zu braun und gold entschlossen. Es sah ein klein wenig
nach ganz teuerem Puff aus.
Dara öffnete eine Kladde und schrieb auf die ersten Seite: Medienausschuß und das Jahr, schlug um und schrieb. Erste Sitzung
Medienausschuß, Teilnehmer: für die Industrie Herr Nader, für
›Kaffee‹ Herr von Darabolenski und als Medienvertreter Herr
Dueleen. Dann ließ er eine Zeile frei und schrieb: Top eins. Wie
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ließ er eine Zeile frei und schrieb: Top eins. Wie gesagt, der amerikanische Abkürzungsfimmel hatte durchgegriffen, heute weiß jeder, daß
ein Top ein Tagesordnungspunkt ist.
»Ich habe jetzt einen herrlichen Malt-Whisky«, eröffnete Dara
die Besprechung. »Das ist doch was für Sie, Herr Dueleen«.
Dueleen schien nicht abgeneigt zu sein. Dara drückte die Ruftaste eines kleinen Kommunikationsgerätes neben sich und rief ins Mikrofon »drei Malt«. Ich bemerkte die Stärke des Einflusses der Industrie bei institutionalisierten Besprechungen. Der süße Drache brachte
die Gläser und ich wurde belehrt, daß man Maltwhisky auf keinen Fall
mit Eis trinken könne. Ich traute mich nicht, nach Cola zum Verdünnen zu fragen.
Das tatsächliche Fassungsvermögen der massiven Gläser zu berechnen war schwer, allerdings konnte ich sehen, wieviel aus der neu
angebrochenen Flasche entschwand. Das Abschätzen physikalischer
Größen war schon immer mein Hobby. Wenn also, wie jetzt, circa ein
Drittel der Nullkommasiebenliterflasche in drei Gläsern verschwand,
dann folgerte ich auf einen Vierfachen. Warum? Drei mal vier ist
zwölf, das ganze dreimal, gibt sechsundreißig. Und dazu muß man nur
wissen, daß ein guter Wirt immer sechsundreißig bis achtunddreißig
Schnaps aus einer Flasche holt.
»Wir müssen eine Serie von Kurzfilmen machen, die alle Bereiche unserer Arbeit abdecken«, philosophierte Dara, Dueleen war mehr
für ein großes Projekt, an dem sich mehrere Firmen beteiligten. Ich
war mehr für ein kleines, finanzierbares Projekt. Dara drückte wieder
auf seinen Rufknopf. Der süße Drachen kam wieder mit neuen Gläsern, räumte die gebrauchten fort und goß mit gleicher Menge auf.
Dara schnalzte mit der Zunge und lobte, wie fleißig sein Drachen sei,
und auch lieb und auch gehorsam. Er ernte ein Lächeln und beschäftigte sich wieder mit der Problematik, so viele Mitglieder des Aus-
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schusses unter einen Hut zu bringen.
»Wir könnten die Aufgabe, die Texte zu besorgen, z. B. an die
Universität delegieren. Da gibt es immer ein paar Assistenten, denen
man das aufdrücken kann«, sagte Dara. Dueleen war nicht so begeistert. Ein solch großes Projekt müsse mehr aus einer Hand geformt
werden und auch die Koordination der vielen Assis sei vielleicht nicht
ganz einfach.
»Das delegieren wir einfach an einen Beraterstab, der von der
Industrie zu stellen ist. Die müssen doch auch eingebunden werden.
Also, wenn von der Industrie die Aussagen kommen, dann schreiben
wir hier an der Uni die Texte so um, daß das Wissenschaft wird. «
Dueleen war wirklich nicht zufrieden. Außerdem kam er auf die
Kreativität zu sprechen, die die Produktion eines so großen Projekt
notwendigerweise notwendig machte.
Dara drückte auf den Knopf. Der süße Drache kam wieder
durch die Tür und Dara lobte mit »sehr brav, sehr brav. «
»Sehen Sie, Herr Dueleen«, fuhr er fort, »das freut mich so an
meiner Mitarbeiterin. Sie folgt mir aufs Wort. « Dara betätschelte jetzt
deren Hintern. Wohlwollend allerdings. Dueleen schaute sich den
süßen Drachen von unten an und grunzte abfällig. Sie wechselte wieder die Gläser, und goß die Flasche in die drei Gläser leer.
Dueleen grunzte noch mal, als der süße Drache den Raum verlassen hatte. Dara bezog das auf seinen letzten Satz und bekräftigte:
»Die folgt mir aufs Wort, die ist ganz vernarrt in mich und außerdem habe ich das schönste Parfum der Welt. Ich hab Geld und
Macht. « Dara legte sich zurück.
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Ich sah ihn mir an. Ein kleiner, doch schon deutlich dicklicher
Mann, buschige Augenbrauen, nicht besonders volles Haar. Grau bis
gesprenkelt. Kleidung sehr mittelmäßig und Benehmen wirklich nur
mäßig. Wirkte wie ein Chef eines Finanzamtes. Sagte ich ihm aber
nicht. Hätte ihn arg beleidigt. Aber da war doch verdammt viel Parfum
notwendig, um den Geruch von Institutsverwalter und Behördenläufer
wegzunehmen.
»Die frißt mir aus der Hand, die geht für mich durch Feuer«, ereiferte sich Dara. »Wenn ich will, schicke ich die auf den Strich und
die liefert morgens dann die Fünfzigpfennigstücke ab. «
Dueleen hatte einen vollkommen neutralen Gesichtausdruck
aufgesetzt und schaute auf sein leeres Glas in der Hand. Dara drückte
wieder auf den Knopf. »Diesmal vier Gläser und zwei Flaschen«
dröhnte er ins Mikrofon.
Der süße Drache kam, räumte die drei benutzten Gläser auf das
Tablett und verteilte drei Gläser.
»Ihr Glas können Sie in der Hand halten«, kommandierte Dara.
»Und jetzt schenk' ein. «
Sie füllte alle vier Gläser bis zur gleichen gedachten Eichmarke
und Dara hob das Glas: »Halt, wir können uns doch nicht alle gleichzeitig auf meine beste Mitarbeiterin stürzen. Wir müssen ihr schon die
Ehre erweisen und ihr einzeln zutrinken. Zum Wohl!«
Er hob das Glas, schaute seiner liebsten Mitarbeiterin in die
Augen und sie tranken gemeinsam in einem langen, guten Zuge den
Maltwhisky.
»Nachschenken«, befahl Dara.
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Er hielt sein Glas neben das des liebsten Drachen und achtete
auf Gleichstand der Waffen.
»Dann Herr Nader, zum Wohl«, sagte Dara. Ich hob das Glas,
die beste Mitarbeiterin und Dara. Ich trank in eine langen Schluck und
die Liebste auch. Dara nicht. Dueleen auch nicht.
»Nachschenken«, sagte Dara.
Der Whisky-Drache schenkte mir und sich nach und Dueleen
hob das Glas. Dara trank nicht. Ich auch nicht.
»Nachschenken. « sagte Dara, »nachschenken. «
»Nachschenken« hörte ich genau neun mal, denn als sich die
zwei Flaschen Malt, von denen der bedauernswerte Drache ja praktisch eine alleine geleert hatte, nichts mehr hergab, sagte Dara: »Ausziehen!«
Seine liebste Mitarbeiterin versuchte schockartig zu ernüchtern,
aber es gelang ihr nicht. Dara drehte sich mit dem Sessel zu ihr um. Er
nahm so etwas wie den Logenplatz ein. Sie hatte noch die Flasche und
das Glas in der Hand, hinter sich die große Glasscheibe mit der Aussicht über das ganze Gelände und neben sich Dueleen. Der nahm jetzt
auch Logenplatzhaltung ein.
Sie stellte die Flasche und das Glas auf das Tablett zurück und
gab sich einen Ruck.
»Ich ... «, begann der Drache.
»Ausziehen«, sagte Dara, eigentlich ohne besondere Betonung.
Sie knöpfte ihre Jacke auf, so circa vier Knöpfe. Dann zog sie
die Jacke aus und faltete sie einmal zusammen. Sie suchte einen Platz
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zum Ablegen.
»Auf den Boden!« Dara führte jetzt Regie.
Sie legte ihre zusammengefaltete Jacke brav vor sich auf den
Boden. Leichtes Schwanken konnte sie nicht verhindern. Dann stellte
sie sich wieder gerade vor uns hin. Knopf für Knopf öffnete Sie die
Bluse, zog sie aus dem Rock, faltete sie zusammen und legte sie auf
die zusammengefaltete Jacke. Sie knöpfte den einen Knopf des Rokkes auf und öffnete den Reißverschluß, dann ließ sie den Rock zu
Boden gleiten. Schlanke Figur dachte ich. Sie hob den Rock auf, faltete ihn zusammen und legte ihn auf Jacke und Bluse. Den Unterrock
zog sie über den Kopf. Er wurde genauso säuberlich auf das Kleiderhäufchen gelegt.
Mit den Strumpfhosen hatte sie Schwierigkeiten. Sie mußte sich
auf die Fensterbank, die günstigerweise recht niedrig und breit und
aus Marmor war, setzen. Strumpfhosen können einem fast die Stimmung verderben. Aus Gründen der Praktikabilität zog sie auch gleich
das Höschen mit aus. Sie war keine echte Blondine.
Dann stellte sie sich wieder vor ihren Kleiderberg auf und
schaute uns an.
»Den Büstenhalter«, forderte Dara. Sie drehte sich zu ihm um
und ging ein wenig in die Knie. »Machen Sie ihn auf, mir ist so
schwummerig«, sagte sie.
Dara klippste am Rücken seiner liebsten Mitarbeiterin den Büstenhalter auf. Sie setzte sich, jetzt wirklich splitternackt, auf den Boden und legte dieses letzte Teil auch noch auf den Kleiderberg.
Dara drückte wieder auf der Sprechanlage herum. »Frau Dr.
Fuchs, bitte ins Besprechungszimmer eins. Und bringen Sie bitte einen
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frischen Labormantel mit. Danke. «
Der nackte Drache saß am Boden. Dara spielte mit spitzen Fingern an der Brustwarze, die sich ungefähr in Armlehenhöhe seines
Sessel befand und sagte: »Sehr brav, sehr brav. «
Frau Dr. Fuchs nahm die Mitarbeiterin dann auf, zog ihr einen
Labormantel über, nahm die Kleider auf und führt den Drachen aus
dem Raum.
»Bring' bitte noch eine Flasche Malt…«, rief Dara der Fuchs
nach, »…und bring' Dir ein Glas mit. Wir müssen jetzt endlich mit der
Mediengeschichte weiterkommen. «
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Szene 7
Wir saßen am Kamin und waren nicht besonders guter Laune.
Dara hatte sich durchgesetzt und wir hatten die Arbeit. Dabei war
Dueleen immer noch besser dran. Er verdiente nämlich an der ganzen
Geschichte auch nicht schlecht. Mein Gehalt dagegen war zwar, seit
auch ich im Verband tätig war, etwas angehoben worden und mit den
Spesen und Reisegeldern war man auch nicht mehr so knauserig, aber
wer mich als armen Hund bezeichnete, hatte zumindest relativ gesehen, recht.
»Geld macht nicht glücklich«, versuchte Dueleen die erste Platitüde.
»Aber es beruhigt ungemein. « Nummer zwei war von mir.
»Sehen Sie, Herr Nader, ich habe soviel Geld und eigentlich
beneide ich Sie um ihr Leben. Sie wissen, was die Welt im innersten
zusammenhält, sie können zu Politik und Kunst, zu Wort und Bild
etwas sagen. Ich weiß genau, daß es keine Kultur ist, Maltwhisky
ohne Eis zu trinken. Aber ich hab' eben nur mal eine abgebrochene
Technikerschule hinter mir. Und ich sitze immer nur mit den selben
Geldverdienern und Verbandspolitikern rum.
Ich habe sogar versucht, mal wieder was zu lernen. Ich habe
mich bei Nizza, da bei Villefranche, bei einem ungeheuer teueren
Crash-Kurs in Französisch angemeldet. Bei der Begrüßung hat mir die
Leiterin versichert, daß bei ihr noch jeder das Französische gelernt
hat. War wirklich eine gebildete und feine Frau. Also eins muß ich
sagen, im Bett war die nicht schlecht. Aber beim Französisch hapert es
bei mir immer noch. «
Dueleen legte einen nächsten dicken Buchenscheit auf das Feuer. Wir hatten zwar jeder ein Whiskyglas neben uns stehen, aber heute
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war scheinbar auch nicht die richtige Trinkstimmung.
»Wissen Sie früher, da mußte ich ja noch um jeden Auftrag
kämpfen. Und da war das auch wichtig, daß man ihn bekam. «
Wirklich eine unrealistische Stimmung. Da saß ein zumindest
bundesweit wie ein bunter Hund bekannter Produzent in einer Millionenvilla und eine Hausangestellte, die aus einem Playboy-Magazin
entlaufen sein könnte, bekochte und vergötterte ihn. Fahrer, Sekretärinnen und alles sonst stand sprungbereit zu seiner Verfügung und er
erzählte mir, daß es ihm schlecht ging.
Ich fragte nach finanziellen Sorgen, ob ich vielleicht die wirtschaftliche Situation seiner Unternehmen nicht richtig einschätzen
würde? Allerdings hatten die beiden Schimmelpennigauskünfte, die
ich in den letzten zwei Jahren hatte einholen lassen, keinerlei Unregelmäßigkeiten gezeigt.
»Und jetzt erzähl' ich ihnen einmal etwas ganz genau. Und Sie
werden das keinem weitererzählen. Und wenn doch, dann beschwöre
ich, daß Sie ein Lügner sind. Aber ich glaube, Sie sind mein Freund«,
sagte Dueleen und starrte in den Whisky.
»Warum wollen Sie mir etwas erzählen, daß so brisant ist, daß
Sie solche Drohungen damit verbinden müssen. « Ich versuchte, wieder ein reales Umfeld zu erzeugen.
Dueleen deutete mit dem Whiskyglas auf mich: »Stellen Sie
sich doch mal diesen Künstler-Affen mit Hut, diesen Beuys vor. Der
ist doch ein Schmutzfink, der Nichtkönner. Der ist doch aus der
Heilanstalt entlaufen. Aber wissen Sie, was der kann? Der kann die
Leute betrügen. Der schmiert Fett auf einen Hut und wirft den auf den
Müll. Das verkauft der als Kunst. Und die Verrückten kaufen! Und
jetzt stellen Sie sich mal vor, dieser Hutaffe hat wieder mal 'ne Million
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gemacht, für reine .... «
Er wollte es wirklich nicht sagen, er rang um Worte, aber er
kam an dem Wort nicht vorbei.
»Also, die Million gemacht und allen, allen ins Gesicht gelogen
und Kunst im Maul geführt. Und dann kommt der nach Hause. Und
der weiß ganz genau, daß er wieder Dreck für Kunst verkauft hat. Und
daß er die Million gemacht hat. Und dann? Dann darf der das niemand
sagen. Der kann nicht in die Kneipe gehen und sagen: ›ich hab einen
Dummen gefunden, der hat meinen dreckigen Filz gekauft!‹ Der muß
schweigen.
Und ich glaube sogar, das ist die Kunst an der Sache. Vielleicht
ist es die Kunst, die Leute denken zu lassen und das Maul zu halten.
Vielleicht muß er die Millionen nehmen, damit die Verrückten mit
Denken anfangen. Oder vielleicht denken die nie. Ich weiß es nicht. «
Dueleen wurde nachdenklich. Es fiel mir auf, daß das Whiskyglas in seiner Hand immer noch voll war. Er stellte es auf den kleinen
Tisch neben sich zurück. Die Haushälterin kam herein.
»Sie können jetzt Schluß machen«, sagte Dueleen.
»Ich habe ihnen noch eine Kleinigkeit in die Küche gestellt«
sagte die Haushälterin. »Ich gehe dann, gute Nacht. «
Dueleen hörte zu, als die Haustür ins Schloß fiel. Er wartete
noch einen Moment, bis man die Schritte auf dem Kiesweg zur Treppe
hörte. Er griff zur Fernbedienung der Alarmanlage und stellte sie außen scharf.
»1975 war doch unser Bundeskanzler, der Kunze, in Persien.
Die haben doch da ganz schöne Geschäfte mit dem Schah Palevi gemacht. Eigentlich ging es ja nur ums Öl. Persien hatte nämlich Öl.
Und wenn man sich erinnert, die Ölkrise! Fahrverbot haben die uns
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aufgebrummt, Fahrverbot! Na ja, auf jeden Fall ist dann im Gegenzug
auch eine hochrangige Delegation nach Deutschland gekommen. Und
ich hatte bei der Metall-Verarbeitungs-Messe in Düsseldorf einen
Stand.
Ich hatte damals eine ganze Menge Filme im Bereich Drehen,
Schneiden, Schweißen, auch Schutzgas und so weiter, gemacht. Waren alles Ausbildungsfilme für Lehrlinge und Ingenieure und so. Na,
das werden so einhundertachtzig unterschiedliche Titel gewesen sein.
Und ich stehe da auf meinen Stand und biete meine Künste als
Filmproduzent an. Damals hatte ich das noch notwendig. Da bin ich
auch noch von Stand zu Stand gegangen.
Wir hatten so Filmdosen aufgeschichtet und eine Kamera hingestellt. Damals hieß die Firma noch Dueleen Film. Da hatten wir so
ein Banner vor den Stand gespannt. Und natürlich Besprechungskabine. Damals gab es sogar noch Kaffee. «
Er schüttelte sich bei dem Wort. Ich sah zwei Möglichkeiten
des Ekels. Aber er hielt seinen Whisky ruhig in der Hand. Die Flasche
stand unangegriffen weit weg.
»Und dann kam dieser Farsie el Farsie an den Stand. Das war
damals der Minister für Wirtschaft oder so. In Persien. Der ließ sich
die Liste der Filme zeigen, die wir schon gemacht hatten. Und dann
sah er auch noch für fünf Minuten in einen der Filme hinein. Da ging
es, glaube ich, um das Drehen von Bolzen.
Und dann fragt der mich, was so ein Film kostet. Was hätten Sie
dann geantwortet? Sie kennen doch jetzt auch die Preise«
»Wie lang war denn der Film« fragte ich.
»So zwischen neunhundert bis tausend Meter« sagte Dueleen.
74
»Also knapp an die zwanzig Minuten. Produktion, Material,
Schauspieler, Buch, alles inklusive?« fragte ich Dueleen.
Der sah mich ausdruckslos an und gab mir so zu verstehen, daß
ich jetzt lange genug schon Film angefaßt hätte, um die Frage zu beantworten.
»Machen wir das doch über den Minutenpreis. Für billige AmiProduktion muß man vor Synchronisation so sechs die Minute bezahlen, mit deutschem Ton wird man dann auf sieben rauskommen«, sagte ich.
»Also hätte ich die zwanzig Minuten um einhundertvierzigtausend angeboten. Und über die Synchro hätte man noch verhandeln
müssen. Welche Sprache haben die dort?« fragte ich noch hinterher.
»Farsi, das ist eine Art hocharabisch. Die Gebildeten können es
sprechen und bei den Armen kommt es nicht drauf an. « Dueleen
wollte mir nicht weiterhelfen.
»Der Minister nahm dann auch noch eine Liste unsere bisherigen Produktionen mit. Ich bekam dann tatsächlich einige Tage später
eine Anfrage über den Minutenpreis. Ich bot für siebentausend ohne
Synchronisation an«, sagte Dueleen. Ihm war anzusehen, daß er das
für ein bedenkliches Geschäft hielt.
»Wie soll man eine ganze Produktion in arabisch machen. Und
was wollten die überhaupt auf ihrem Film sehen. « Ich erkannte die
Problematik.
Dueleen hatte jetzt doch den letzten Rest des ersten Whiskys
ausgetrunken, stand auf, ging zur Flasche neben dem Kamin und goß
sich behutsam nach. Dann prüfte er das Gewicht in Flasche in der
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Hand und setze sich wieder. Sie Sonne war jetzt fast untergegangen,
die blaue Stunde ging in den Kaminabend über.
»Dann kam die Bestellung, fein säuberlich in eine Liste gefaßt
und nach Minuten aufgeschlüsselt und in Dollar umgerechnet«, sagte
Dueleen.
»Was gab es da in Listen zu fassen«, fragte ich Dueleen.
»Nun«, sagte er, »die hatten die ganzen 120 Filme aufgelistet,
die ich bis jetzt für irgendwelche Firmen und Verbände gedreht hatte.
In meiner Dokumentation stand auch die Länge der Filme immer in
Minuten drin. Und der persische Staat hat zur Unterrichtung seiner
fortschrittlichen Jugend jeden dieser Industriefilme bei mir bestellt.
Zum Gesamtpreis von sechzehnkommaacht Millionen Mark. Abzüglich natürlich drei Prozent für Barzahlung und sechs Prozent Mengenrabatt. «
Dueleen wirkte merkwürdigerweise desinteressiert. Er blickte
durch das Whiskyglas in die Flammen des Feuers im Kamin.
»Eine Kopie eines Films kostet doch im Höchstfall eintausendzweihundert, also ich meine zwölf hundert Markscheine. « Ich hatte
irgendwas immer noch nicht kapiert.
»Ja«, sagte Dueleen, »ich hatte auch Kopierkosten von einhundertvierundvierzigtausend Mark. «
Ich begann dunkel zu ahnen. Allerdings fragte ich mich, ob mir
der berühmte Bär aufgebunden wurde, bevor er denn noch erlegt war.
»Erzählen Sie weiter«, sagte ich.
»Wir haben dann die Kopien von den 120 Filmen gemacht und
in einige große Überseekisten verpackt. Dann haben wir das alles für
sieben Millionen Dollar versichert und an die Adresse in Teheran
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geschickt, die auf der Bestellung stand. Und ein Fernschreiben habe
ich losgeschickt, daß ich zur Übergabe selbstverständlich in Teheran
sein werde. Dabei könne dann auch die Bezahlung geregelt werden.
War alles in Englisch geschrieben. Da mußte ich mich auf die Amsel
verlassen, ich spreche nur ganz wenig Englisch. «
Dueleen stand auf und legte einen weiteren Buchenscheit auf.
Es ist wirklich erstaunlich, daß solch ein Kamin so viel Wärme entwickelt. Es konnte aber auch sein, daß die Geschichte Wärme in mir
entwickelte, oder der Whisky. Aber wir hatten beide jetzt gerade das
zweite Glas in der Hand. Eigentlich ungewöhnlich. Heute war ein
ungewöhnlicher Tag.
»Visum von der Botschaft war eine Sache von fünf Minuten,
hat die Amsel abgeholt. Und dann bin ich mit der Lufthansa nach
Genf geflogen. Von da aus mit der Swissair nach Teheran.
War ein toller Empfang. Der Flughafen war neu und ich wurde
sofort mit so einer großen amerikanischen Kiste abgeholt. Vornevor
und hinterher ein Jeep mit Soldaten. Die hatten richtig die Gewehre in
den Händen. Als wir dann auf den Palast zugefahren sind, durch den
Großen Bogen, den die damals gebaut haben, da hab ich schon das
große Grauen bekommen. Die hatten die Armenviertel einfach platt
gemacht. Jetzt gab es rechts Armenviertel, da wuschen sich die Kinder
in der Gosse und die Erwachsenen pinkelten hinein. Und links war
Feudalleben!
Zuerst durch ein riesiges Stahltor, Mauer um alles. Dann waren
über eine Strecke von zwei Kilometern links und rechts der Straße,
sonst war da nichts, kleine Bunker mit MG-Schützen. An mehreren
Stellen lagen Nagelstreifen über die Straße, die dann immer weggezogen werden mußten. Und angehalten wurden wir mindesten dreimal.
Aber immer sofort durchgelassen.
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Im Palast wurde ich dann von verschiedenen Mitgliedern der
Familie und der Regierung begrüßt. Die hatten sogar die Filmbüchsen
in einen Saal gekarrt. Ich übergab dann ›symbolisch‹ die erste Filmbüchse. Die haben die wirklich aufgemacht und nachgeschaut, ob
wirklich ein Film drin ist. «
Ich starrte ins Feuer. Wahr oder nicht wahr. Das war hier die
Frage.
»Nach all den Feierlichkeiten habe ich dann im Palast geschlafen. Da schlief tatsächlich der mir persönlich zugeordnete Diener auf
der Fußmatt vor meinem Appartement. Damit er immer schnell zur
Stelle sein konnte.
Und am nächsten Tag haben sie mich dann gefragt, wie ich das
Geld denn haben wollte. Da habe ich bar gesagt. Ich glaube ›Cash‹
haben sie dann verstanden. Und ich hab's Cash gekriegt. War alles in
einem Aluminiumkoffer, ungefähr so groß wie ein ganz großes Bordcase. Damit bin ich dann, Griff immer fest in der Hand, los. Das waren
fast 30 kg Papier. Dann mit zwei Wagen Militärbegleitung zum Flughafen.
Ich habe die nächste Maschine genommen, die überhaupt aus
Teheran in Richtung Westen abging. War eine Air France, war noch
ein Quirl. «
Dueleen schien die Situation noch einmal mitzuerleben. Das
Whiskyglas hielt er zwar fest in der Hand, er traute sich aber fast
nicht, daran zu nippen.
»Als ich dann in der Maschine saß, hab' ich immer noch nicht
geglaubt, daß alles gutgegangen ist. Ich habe noch über eine Stunde
lang befürchtet, daß sie den Flieger einfach umdrehen lassen. Den
ersten Schluck Whisky habe ich so über Athen genommen. «
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Jetzt schien das Wesentliche vorbei zu sein, Dueleen nippte
wieder an seinem Glas und sagte:
»Und als ich dann in Paris ausgestiegen bin, bin ich mit geradem Hals und freundlichem Blick durch die Zollabfertigung. Einfach
durch. Die haben mich nicht angehalten. Aber es ist unglaublich
schwierig, nicht einfach anzufangen, wegzulaufen. Meine Beine wollten immer schneller laufen als mein Kopf. Ich mußte zweimal stehenbleiben und mir eine Zigarette anzünden. Das wäre fast im letzten
Moment in die Hose gegangen. Wörtlich, hätte auch sein können. «
»Und dann, in Frankreich, was haben sie dann mit dem ganzen
Geld gemacht«, fragte ich.
»Das, mein Freund, weiß nur der lieben Gott und ich«, sagte
Dueleen. »Aber kleine Teile werden Sie immer mal wiedersehen,
wenn wir uns wieder in St. Tropez treffen. Ich ruf jetzt Lizzy an, wollen Sie Uschi oder soll sie mal 'ne Neue mitbringen?«
Dueleen hob den Hörer vom Telefon ab und drückte eine Kurzwahltaste. Er lauschte einige Momente in den Hörer und legte wieder
auf.
»Sie ist in Paris, Modemesse. Dann gehen wir runter ins Dorf,
in den ›Eichbaum‹, das ist hier die einzige urige Kneipe. Da sind immer ein paar Kumpels von mir. Wir würfeln da immer um Schnaps.
Wenn man da nicht aufpaßt, ist man schnell mal zwanzig Mark los. «
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Szene 8, take 1
Urlaub war angesagt. Oder, wenn man es genauer nimmt, war
mir vorgeschrieben worden. Urlaubsansprüche, die bis ersten April
nicht genommen waren, verfielen. Aber man konnte auf Antrag und
mit Begründung noch einen weiteren Monat herausschinden. Dann
mußte der Urlaub eben spätestens am letzten Tag des Mais begonnen
werden. Ich hatte mein Junggesellenappartement gerade eingerichtet
und obwohl ich, selbst für Normalbürger, nur in der mittleren Preisklasse Möbel eingekauft hatte, war ich eigentlich Pleite.
Dueleen sprach von tollen Tagen, die wir uns in St. Tropez machen sollten, ich sprach von des Königs verlorenem Recht, wenn da,
wo man hingreift, nichts mehr ist.
Nackter Mann, wenn auch nur in die Tasche greifen, mißfiel
Dueleen. Er erklärte mir, daß er immer Boxershorts, Badehose oder so
was trüge. Die Mädchen allerdings, vielleicht eine Feder im Haar.
Ich wurde auf einen vierzehntägigen Urlaub gemeinsam in Dueleens Haus geeinigt. Ohne jeden Aufwand, sozusagen Junggesellen
Camping unter etwas besseren Bedingungen. Kochen in der eigenen
Küche, Spaghetti oder Rührei. Würstchen aus der Dose. Der Gedanke
erinnerte Dueleen an seine frühen St. Tropezer Tage. Seinen ersten
Kontakt mit der Gegend hatte er auf dem großen Campingplatz ›Kon
Tiki‹, direkt am Meer.
Bis dort hatte er seinen Campinganhänger, damals noch mit einen Mercedes, geschleppt. Ich sah das als sportliche Leistung an, denn
zu der Zeit gab es weder eine Autobahn in Frankreich noch einigermaßen gute Übergänge durch die Alpen.
Dueleen bestätigte, daß das ganze schon als besonderer Trip zu
gelten hatte. Auch er hatte drei Tage gebraucht. Aber dieses Gefühl,
nach St. Tropez zu kommen, wäre es wert gewesen. Es wäre einfach
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die Oase am Meer gewesen, die nach langer und einsamer Frankreichdurchfahrt diese Freude ausgelöst hätte.
Dueleen wurde jetzt drängelig. Er wiederholte noch alle Adressen und Termine, verabschiedete sich kurz. Dann legte er auf. Ich hielt
noch einen Moment den Hörer meines Apparates in der Hand und
stierte ihn auch etwas an. Danach sah ich durch mein Bürofenster auf
die Fabrik. Auch mit blauem Himmel und Sonnenschein gewann sie
nur wenig.
Ich hatte mich tatsächlich mit Dueleen auf einen Junggesellenurlaub in St. Tropez verabredet. Und das bei Ebbe in der Kasse und
steigenden Preisen in Frankreich.
Am Abend packte ich eine große Reisetasche und ein kleines
Notgepäck. Dann fuhr ich meinen gelben Taunus zur Waschstraße.
Anschließend säuberte ich mit dem Mietstaubsauger den Innenraum
und wusch mit Seifenwasser die Plastikteile innen sauber.
Am Morgen zog ich Espadrillos an, leichte Segeltuchhose, TShirt von Commander, das von la Kotz konnte ich mir nicht so richtig
leisten, warf beide Taschen in den Kofferraum und startete. Mehr zufällig drückte ich den Kilometerzähler auf null.
Die Rheintalautobahn abwärts brachte Urlaubsstimmung. Die
Sonne stand links über dem Schwarzwald und blendete noch nicht.
Um neun Uhr war die Autobahn auch so gut wie leer, hin und wieder
kam ich an einem Laster vorbei, der ruhig auf der rechten Seite seinen
Weg zog. Auch mit meinem Taunus war ich recht zufrieden. Vom
Aussehen erinnerte er zwar an irgendein amerikanisches Straßenschiff,
dazu trug besonders die Blechnase, die ihm die Konstrukteure verpaßt
hatten bei, er war aber auch bequem. Schwarze, allerdings Stoffsitze,
Schiebedach. Eigentlich alles, was man braucht. Ich hatte mich auch
schon der neuesten Erfindungen im Automobilbau zugänglich gezeigt.
Dieses Auto hatte tatsächlich einen Sicherheitsgurt. Einen starren
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Zweipunktgurt. Und Nackenstützen. Die waren von Recaro nachträglich eingeschweißt worden.
Im nachhinein bin ich wirklich froh, daß ich nie ausprobieren
mußte, wieviel diese Sicherheit wert war. Der Wagen war für seine
Verhältnisse auch sehr sparsam, er braucht nur dreizehn Liter und
erreichte gut einhundertfünfundfünzig Stundenkilometer. Das ging,
bei einem Spritpreis von damals so ungefähr fünfundachtzig Pfennig.
Rechts konnte man die Vogesen sehen. Allerdings in ziemlicher
Entfernung, der Schwarzwald auf der Linken blieb treu und brav nahe
bei. Die Entfernung nach Basel wurde angezeigt und Basel kam näher.
Fast hätte ich das eine Schild übersehen, das auf eine Autobahnabfahrt
deutete und auf dem Frankreich stand.
Nach der Abfahrt wurde die Straße schlechter. Aber das lag
vielleicht auch nur an den Bauarbeiten, die Straße, die Brücke über
den Rhein, eigentlich alles wurde umgegraben. Schlangenlinien fahren
und raten, welcher der weißen oder gelben oder orange Striche für
einen galt und dann ein Schild ›Zoll‹.
Die deutschen Grenzer in grüngrau sahen mürrisch aus, interessierten sich aber kaum für mich. Die französischen waren lustig. Nahmen mir aber fast das Auto auseinander. Allerdings fanden Sie, daß
das alles ganz normal sei. Und ich müsse mich auch nicht aufregen.
Und außerdem sagten sie mir das alles auf französisch. Deutsch
verstanden sie nicht. Mein Paß, meine Fahrzeugpapiere und mein Führerschein wurden dreimal geprüft. Ein offensichtlich älterer, damit
aber auch mit Entscheidungsvollmacht versehener französisch Uniformierter entließ mich.
Die französischen Uniformen sehen einfach besser aus. Sie waren nicht so kampfanzugmäßig und russenjackensibirienwarm, sondern elegant. Und blau. Das Käppi saß lustig auf dem Kopf. Und auch
ihre Autos waren schnuckeliger. Blaue R 4, mit passendem Blaulicht.
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Die Autobahnfahrt in die Vogesen wurde von einer Baustelle
gestoppt. Ab Besançon war es sowieso besser, über die Route National Richtung Lyon zu fahren. Mir fiel auf, daß die Landschaft schöner
war. Wie kann sich Landschaft, von der einen Seite einer Grenze auf
die andere hin, so verändern? Alles war grün und die Kühe hell, sahen
einfach besser aus. Das traf tatsächlich auch auf den französischen
Hirsch zu. Nicht, daß ich je einen zu Gesicht bekommen hätte, aber
auf den Verkehrsschildern in Frankreich ist er mächtiger und eleganter
als sein Kollege aus Deutschland.
Als die Mittagssonne direkt vor mir, aber hoch am Himmel
stand, war ich mitten in Frankreich. Die Nationalstraße lenkte mich
von einem Dorf ins andere, von einer kleinen Stadt ins nächste Dorf.
Die Straße lief meist direkt in den Mittelpunkt des Ortes, dort
an der Bürgermeisterei vorbei. Blauweißrote Fahnen an der Marie,
Blumenkranz am Ehrenmal der Gefallenen. Freundliche Leute in den
Straßen und dreirädrige kleine Großraumlastautos für Gemüse und
Sonstiges.
An einem einzelnen Ständchen hielt ich an, kaufte mir ein
Sandwich, das ich allerdings ›sahndwitsch‹ aussprechen mußte. ›Sändwitsch‹ verstand mein Verkäufer so schlecht. Die Flasche Vitel war
schon damals aus Plastik. Allerdings dafür, zumindest für meine Gewohnheiten, riesengroß.
Das Sandwich schmeckte nicht. Dafür war das Sprudelwasser,
das ich meinte erworben zu haben, schal wie Leitungswasser.
Ich fand Frankreich schön. ›A volant la rue, çe la vie‹ stand auf
vielen Aufklebern der Autos, die mich überholten. Ich hielt mich an
die vorgeschrieben Geschwindigkeit, einigermaßen. Allerdings meist
gezwungenermaßen. Auf diesen Straßen konnte man einfach nicht
schneller fahren. Außer, man war Franzose.
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Vielleicht verhalf ihnen auch die dreiteilige Straßenbemalung
und die Pfeile auf dem Asphalt zu diesen Überholmanövern. Allerdings habe ich nie gesehen, daß auch nur einer nach rechts fuhr, wenn
der Pfeil nach rechts zeigte.
Die Stadtautobahn durch Lyon war fertig, der Tunnel auch.
Deshalb hatte ich dann hier das erste Mal das Erlebnis im Tunnel staustehen zu dürfen. Das macht einem nach einer gewissen Zeit nichts
mehr aus. Die fortschreitende Kohlenmon- und Dioxidvergiftung
wirkt stark anästhetisch. Irgendwie erreichte ich das Tageslicht wieder, warf einen Blick zurück auf die schöne Stadt, sah die Rhone, die
Schiffe und roch den Gestank der Raffinerien, die jetzt rechts vor mir
lagen.
Die Größe der Tanklager, die Fraktionierkolonnen und besonders die riesigen Feuerfackeln, die über den Kolonnen standen, waren
auch in der jetzt rechts und schon etwas tiefer stehenden Sonne beeindruckend. Der Gestank ließ nach nochmaliger Rhoneüberquerung
nach. Eine Autobahnbaustelle führte bis Valence und ich übernachtete, sozusagen aus alter Gewohnheit, wieder in der Autobahnbaustelle.
Rechts von mir die Rhone, ein Kiesstreifen. Da stand ich und aß jetzt
Croque Monsieur. Hatte ich mir an einer Versorgungsbude der Bauarbeiter gekauft. Schmeckte wie sahndwitsch. Auf den Neukauf von
Vitel hatte ich verzichtet.
Am nächsten Morgen verzichtete ich auf ein Bad in der Rhone,
und erreichte mit letzter Mühe eine Tankstelle bei Montpellier. Die
letzten hundertfünfzig Kilometer war keine zu finden gewesen. Ich
hatte schon die Rückfahrt nach Lyon in Erwägung gezogen.
Vom Nougat war ich entsetzt, bittere Schokolade, hart und trokken. Das Amphitheater in Orange schenkte ich mir. Ich kannte es
schon und mein Zeitplan war sowieso und schon wieder durcheinandergekommen. Aix passierte ich bei tiefstehender Sonne, die jetzt
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allerdings hinter mir stand. Die Provence bot sich wirklich in unglaublicher, stiller, trister, erhabener Schönheit dar. Ich aber rollte auf
schmäler werdenden Straße so in die grobe Richtung Nice.
Wenn ich nicht schon Erfahrungen in dieser Gegend gehabt hätte, wäre mir die nächste Erfahrung nicht gegönnt gewesen. Irgendwie
sah ich ein Straßenschild, mit denen sehr sparsam umgegangen wurde,
mit der Aufschrift. St… Maxim.... . Stolz auf meine Kenntnis des Golfes von St. Tropez steuerte ich dies als Ste. Maxime an und erreichte
mit Dunkelheit auch St. Maximin, dessen Basilika berühmt, nicht aber
auf meinem Kulturplan stand.
Ein Bistro half mir über Hunger und Durst, französischer Landrotwein über trübsinnige Gedanken hinweg. Ich führte ein äußerst
angeregtes Gespräch mit mehreren Kneipengängern. Mein Französisch mußte also doch nicht so schlecht sein. Auf jeden Fall waren alle
immer sehr freundlich und ich schlief sogar in einem der Hotelzimmer
über dem Bistro.
Der Morgen hatte seine Probleme. Bis ich eine Waschgelegenheit oder die Möglichkeit der Toilettenbenutzung fand, verging schon
seine Zeit. Auch die Technik der Benutzung der französischen Toilette
war mir fremd. Heute habe ich erkannt, daß das wichtigste die Umspringtechnik ist. Man geht also vorwärts hinein, stellt erst einen Fuß
auf das eine Brikett, den anderen dann auf das andere und jetzt springt
man um, hops! Das darf natürlich nicht schief gehen, sonst ist man
ganz schön in der ..., na, eben so.
Mir gelang es, einen Weg zu finden, der mich wieder in Richtung Golf bringen konnte. Gegen Nachmittag hatte ich dann so hundertfünfzig Kilometer zurückgelegt, hatte Pfade passiert, die ein Maultier verabscheut hätte und stand bei La Garde de Freinet auf der Paßhöhe.
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Und jetzt verstand ich die Geschichte mit der Oase am Meer.
Der Golf von St. Tropez lag vor mir, links Ste. Maxime, recht St. Tropez. Außer den beiden Städten nur grünes Land um den Golf und ein
phantastisch blaues Meer. Einige Schiffe zogen weiße Spuren ins
Blau. Der Leuchtturm vom Cap Camarat leuchte weit entfernt weiß
und zeigte mir an Land und den Booten auf dem Meer den Weg.
Der Golf, der ganze Golf war die Oase, vom Maurengebirge
abgeschirmt gegen eine majestätische, aber rauhe Provence. Dieses
kleine Gebiet, daß sich zufällig vor dem teilweise fast achthundert
Meter hohen Gebirge aus glimmergefülltem Gestein gebildet hatte,
war ein Paradies.
Schiffe brachten Waren und Menschen, Informationen und
Geld, die Menschen lebten in der Mitte zwischen Umsatz und Ruhe.
Zwischen verträumtem Fischerdorf und Metropole, zumindest in dieser Region.
Die Straße führte direkt auf St. Tropez zu. Die Post steht heute
an der Stelle, wo einst der Bahnhof stand. St. Tropez war schon früh
in diesem Jahrhundert an das Eisenbahnnetz angeschlossen, allerdings
wurde die Strecke schon bald wieder eingestellt. Die Strecke wurde
geschleift, aber die Streckenführung blieb. Wer will, sieht auch heute
noch den Kopfbahnhof im Stadtbild. Und der lag wirtschaftlich gut, so
zweihundert Meter von der Mole.
Die Geschichte hat das Dorf geprägt, nur ist sie unaufdringlich.
Die Zitadelle beherrscht den Golf, für St. Tropez liegt sie malerisch
auf dem Hügel und beschützt die Stadt.
Die Rue des bateaux führt wieder aus der Stadt. Biegt man nach
fünf Kilometer ab, fährt ein paar Meter rechts den Berg hoch, dann
fährt durch die Einfahrt zu Dueleens Sommerhaus. Er war gerade dabei, über den Eingang eine neue Persenning anbringen zu lassen. Er
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plante eine Beschriftung wie ›Chez Werner‹, oder so. Er hatte immer
ein offenes Haus.
Zuerst schoß er zur Begrüßung mit dem Korken aus einer
Champagnerflasche in die Luft, füllte zwei Gläser und sagte »Hausregel! Den ersten Schluck bediene ich, aber danach müssen Sie sich
alles selber holen. Nicht fragen, nachschauen, holen nehmen, wegmachen. Klar?«
Das Haus hatte sich mächtig entwickelt. Man kann auch sagen,
Dueleen hatte das Haus entwickelt. Aber genau genommen waren es
doch die Zwänge gewesen, die dann dies hatten erstehen lassen.
Es lag fünf bis sechs Autolängen vom Zubringerweg weg, außerdem war das Grundstück auf beiden Seiten mit hohen Mauern begrenzt. Der Weg waren bekiest, fiel leicht abwärts und dienten als
Parkplatz. Eine niedrige, ab sehr breite Garten- und Einfahrtstür vom
Vordergarten sorgte für die Autoklausicherheit.
Eine Garage war etwas überdimensioniert in Richtung der Straße direkt angebaut. Ging man links an dieser vorbei, kam man an vier
oder fünf blühenden Zitronenbäumchen vorbei. Das Haus stand quer,
hoch und ohne ein Fenster in dieser Richtung, vor einem. Die Farbe
war ortsangepaßt. Der Zementputz erreicht in dieser Gegend immer
die gleiche Farbe. Zwischen leichtem grau und braun. Nur das Licht
der Gegend, die Sonne, daß Grün der Pflanzen zwingen die Tristesse
heraus, lassen diesen Zementputz als angenehm erscheinen.
Vor der Eingangstür liegt ein großes und schweres Eisengitter.
Man kann ahnen, daß sich darunter ein Kanal befindet, der bei den
hier vorkommenden dramatischen Regenfällen notwendig ist. An der
Persenning über diesem Eingang arbeitete jetzt Dueleen.
Durchschritt man das Eingangstor, sah man durch einen knapp
zehn Schritte langen Gang in den Innenhof. Die Gärtner hatten gut
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gearbeitet. Die Blütenpracht erreichte mit Sicherheit die Möglichkeit,
die ein Fleuropgeschäft hatte. Nach rechts öffnete sich der Innenhof
in Richtung der eingeschossigen Seite des Hauses. Diese Seite war
sozusagen vollverglast. Das zweistöckige Hausteil, durch das man
gekommen war, hatte den Stil der kleinen Fenster, der Schlagladen,
des flach fallenden Daches mit Dachziegeln, die wegen der Art ihrer
Verlegung Mönche und Nonnen heißen.
»Die Vorratskammer ist hier unter der Treppe« sagte Dueleen
und zeigte auf eine kleinere Tür neben der Eingangstür. Eine Treppe
führt vom Innenhof gerade nach oben, eine Brückchen überspannte
den Eingang und da oben, »da sind meine Privatgemächer«, sagte
Dueleen.
»Hier unten, sofort das erstes Zimmer rechts, ist jetzt Ihres. Bad
und Toilette direkt daneben. « Damit war die Einweisung abgeschlossen.
»Ach nein, noch etwas«, sagte Dueleen. »Hier im Schrank liegt
Geld«, er öffnet die Schranktür in der Küche und holte einen großen
bunten Übertopf heraus. Daraus wird alles bezahlt. Post, Gärtner, Bier,
alles. Klar?«
Ich nickte und blickte in den Topf. Darin lag ungefähr soviel,
wie fünf guteinnehmende Kellnerinnen auf dem Oktoberfest zusammen an Umsatz in ihren Kellnerportemonnaies haben.
Dueleen zeigte mir die Küche, die einen Teil des eingeschossigen Bereichs einnahm. Er hatte die Einbauküche extra ein Stück höher
legen lassen. Er bückte sich nicht so gern.
Nur durch eine halbhohe Mauer getrennt war der eigentliche
Wohnbereich direkt angeschlossen. Gut in einem alten Schrank getarnter Fernseher, natürlich noch kein Satellitenempfang. Das kam erst
ein paar Jahre später. Deshalb konnte man gut auf das Fernsehen ver-
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zichten. Es waren nur zwei Programme, und dann erschwerenderweise
in französisch.
Die Musikanlage war klassisch gut. Und ein Telefon stand auf
dem Schreibtisch im Büro. Natürlich noch kein Fax. Der wurde auch
erst etliche Jahre später geliefert.
Den meisten Eindruck machte aber das Telefon. Ein echtes,
französisches, angeschlossenes Telefon. In St. Tropez ging das von
einem älteren Militär ausgegebene Gerücht, man käme dreimal eher an
das Ehrenkreuz als an ein Telefon. Er mußte es wissen. Das Kreuz
hatte er.
Dueleen und ich gingen am Wohntrakt vorbei auf das Doppeltor
zu, das einschließlich der Mauer hinter den Blumen den gesamten
Innenraum abschloß. Sein Lieblingsaufenthalt lag außerhalb. Hier
waren es keinen Mauern, sondern Mimosen, die eine Wand um den
Garten bildeten. Ein Maulbeerbaum, ein Schattenbaum stand fast in
der Mitte. Weißer Gartentisch mit den dazugehörenden Stühlen, einige
Liegen auf dem gepflegten Gras.
Die andere Hälfte war mit Natursteinen gepflastert. »Da ist ein
halber Meter Beton drunter«, sagte Dueleen. »sonst heizt die Sonne
das so auf, daß man sich die Füße verbrennt. «
Dueleen lachte. »Hat der Huber, der Nachbar nachgemacht.
Auch noch mit schwarzem Marmor. Nur spart der immer. Hat die
Platten nur auf ein paar Zentimeter Sand legen lassen. Jetzt kann der
ab zwei Uhr nicht mehr vom Garten ins Haus. Barfuß auf keinen Fall.
Und mit Gummisohlen bleibt er kleben. «
Dueleen ging zu der fahrbaren, weißen Bar, die am Ende des
Garten stand. Zwei, auch weiße, Laternen links und rechts. Er klappte
einen Deckel an der Säule der ersten Laterne auf. »Von hieraus kön-
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nen sie die Alarmanlage bedienen« sagte er. »Ist wichtig, wenn man
allein nach Hause kommt. «
Dueleen wurde von einem Nachbarn abgerufen und ich hatte
Zeit, den Inhalt meiner Reisetasche in den Schrank des mir zugewiesenen Zimmers zu packen. Mein Zimmer war praktisch eingerichtet,
Bett, Einbauschrank, Regal. Der eine Zugang führt durch die Doppelglastür, die man zusätzlich mit einem Schlagladen verschließen konnte, direkt in den Innenhof. Die andere in das Badezimmer.
Daß sich Geschmack nicht vereinheitlichen läßt, ist mir bekannt, aber hier war dem französischen Designer offensichtlich der
violette Farbeimer über seinen Entwurf gelaufen. Alles Ton-in-Ton.
Ich habe später mal Dueleen darauf angesprochen. »So mit zwei oder
drei Nackten, nicht zu schlanken, am besten eine Blonde und zwei
Schwarzen, da kommt das ganz gut raus«, sagte Dueleen.
Am Abend bereitete ich Spaghetti Bolognaise und Dueleen fand
einen Rotwein, den er für geeignet hielt. Wir unterhielten uns über
Sterne und Konstellationen. Denn es war Nacht geworden und am
klaren Himmel blinkten die Sterne.
Wir hatten das Licht gelöscht, und blickten genau nach Norden,
wo der Leuchtturm von Camarat seine Arbeit tat.
»Viermal blink, Pause, viermal blink, Pause« sagte der Leuchtturm.
»Der Polarstern steht hier fast zehn Grad niedriger als in
Deutschland. Das macht einiges. Auch an der Sonneneinstrahlung. Die
steht ja auch zehn Grad höher« sagte ich.
»Als ich das erste Mal den Leuchtturm blinken sah, hab ich mir
geschworen, mich hier niederzulassen. Ich bin überall auf der Welt
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rum gekommen. Aber hier will ich leben. « Dueleen nahm einen
Schluck.
»Es ist nicht das angeblich mondäne Leben, wissen Sie, die
meisten sind ja doch nur verrückt, das mich hier hält. Das ist nicht das
gute Essen, nicht das gute Trinken. Schon gar nicht die Frauen. Das ist
einfach nur die Landschaft. Und vielleicht ein paar französische
Freunde. «
Dueleen zündete sich seine Zigarette an. Dann kam die Zigarettenspitze zum Einsatz. »Wir sollten noch einmal ins Dorf gehen«,
sagte er. Ich war schon lange nicht im Gorilla. Müssen Sie unbedingt
kennen lernen. «
Ich packte das Geschirr in die Spülmaschine. Dueleen bemerkte
die Aktivität, leerte den Aschenbecher. »Muß ich mal mit Bernard
sprechen, da muß es eine Lösung geben. « Dueleen war scheinbar
wieder mit einem Problem beschäftigt, für das er seine Kreativität
brauchte.
Szene 8, take 2
Damals gab es den Senequier und den Gorilla , beide direkt an
der Mole. Und am Bouleplatz das Café des Artes. Natürlich noch erwähnenswert viele andere Lokale, Bars und Kneipen. Aber wenn man
dazu noch das Café de Lyon, an der Mole und beim Suffren-Denkmal,
erwähnte, hatte man die wichtigen Treffpunkte beschrieben.
Ob der Senequier überhaupt ein Lokal im Hintergrund hat, ist
mir verborgen geblieben. Der Senequier ist ein Straßencafe mit halbfester Überdachung, an der besten Stelle der Mole. Steht man an der
Mole und will den Weg zur Zitadelle hinauf, so liegt der Senequier
links, der Gorilla dadurch rechts. Biegt man vom Senequier kommend
links ab, in den Durchgang, ist man im Fischmarkt. Geht man am Gorilla rechts vorbei, ist man nach fünfzig Schritt am Café des Lyon.
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Setzt man sich ins Senequier, blickt man auf den Hafen und auf
die schönsten Schiffsärsche der Welt. Zumindest behaupten eingefleischte Seefahrer das. Die sagen auch, im St. Tropeer Hafen würde
römisch-katholisch angelegt. Ist eine Fachsprache unter dem Seevölkchen. Tatsächlich liegen alle Traumsegeler und Traumjachten mit dem
Heck zur Mole und sind so vertäut. Ihr Anker ist unter einer quer im
Hafenbecken verlaufenden Kette festgemacht. So zerren sie ihren Bug
in Richtung Hafenmitte.
Tagsüber, wenn man den Senequier besuchte, waren allerdings
meist nur wenige Schiffe an der Mole, die meisten waren auf See oder
auf Badeurlaub in der Bucht von Pampelonne. Das gab auch mal dem
einen oder anderen Besucher die Möglichkeit, kurzfristig anzulegen.
Und um dann zum Senequier zu gehen. Denn vom Senequier aus eroberten die Damen die Cóte d'Azur. Tagsüber. Dort saß das Angebot
an jungen Damen, jungen Abenteurerinnen, jungen Alkoholikerinnen
und jungen Durchgebrannten, die den Weg an die Cóte suchten. Allerdings saßen dazwischen auch die alterfahreren Segler, die Taucher,
auch Motorbootfahrer. Manchmal ein Jachtbesitzer oder ein Skipper.
Oft auch nur der zweite Maat der Charterjacht, die links vorne auf
Reede lag. Die Damen hatten die freie Auswahl, der zweite Maat
auch.
Zum Senequier ging man tagsüber, da setze man sich dem Getriebe der Mole aus. Dort kamen auch die Harleys an. Und fuhren
dann mit besetztem Sozius wieder ab. Senequier war eine Einrichtung,
gut für den Tag. Prinzipiell war das Straßencafe des Gorilla gleichgestaltet, selbst die Stühle, den Regisseurstühlen nachempfunden und die
Blechtische waren sehr ähnlich. Man hatte sich auf unterschiedliche
Farben geeinigt. Was dem einen sein Rot, war dem anderen sein Grün.
Der Gorilla hatte aber zwei Vorteile. Ein Vorteil war Willi, der
grünhaarige, kleine, dicke, schwule Koch, der an einer eisernen Platte
Faux Filet und andere Sachen grillte, und der Gorilla hatte ein Innen-
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leben. Innerhalb der Kneipe war der selbst damals schon etwas unmoderne, aber keineswegs alte Tresen, die kleinen Marmortische für zwei
Personen. Dazu natürlich die kleinen Stühle. Die weiße Papierunterlage, die man zum Essen auf den Tisch legte, mußte, falls, wie praktisch
immer, zwei Personen an einem Tischchen aßen, übereinandergelegt
werden. Platzsparend wurde eingedeckt und die Armbewegungen bei
Einnahme des sehr durchschnittlichen Essens war deutlich eingeschränkt.
Und an der Theke war es auch nicht so erwähnenswert. M. Bernard bediente recht und schlecht, seine Bedienungen liefen noch nach
außen, um einige Restgäste zu versorgen. Und ein Gorillafuß stand
hinten, hoch über der Theke auf einem Podest an der Wand.
Also wozu war jetzt der Gorilla gut? Hier traf sich der Einheimische mit dem Gast, der Weltenbummler mit dem Professor, der
Gute mit dem Bösen. Im Gorilla war Standesgleichheit erklärt. Wenn
der Stargast sein Faux Filet von Willi haben wollte, Auswahlmöglichkeit mit Brot oder Frites, so hatte er sich genau so in die Reihe zu
stellen, wie alle anderen. Man aß an den Tischen eng nebeneinander
und man sprach miteinander.
Und Damen wurden im Gorilla auch gesehen. Und wenn sie
auch nicht alle von der leichten Sorte waren, so wurden sie doch so
behandelt. Im Gorilla war immer was los. Laut, derb, alkoholisch und
fröhlich. Und das hielt sich bis in den frühen Morgen, zumindest wenn
die Gäste das noch aushielten. Im Gorilla wurde manch letzter
Schluck zweimal hintereinander genommen.
Das Café de Lyon hatte da einen anderen Stil. Es empfahl sich
als erste Kneipe in der Stadt und lag schließlich direkt hinter dem
Denkmal des Siegers des Krieges der Republik St. Tropez gegen das
Kaiserreich Spanien. Ja, St. Tropez war mal Republik gewesen, wie
Venedig, und hatte auch einen großen Ruf zu verteidigen. Die Geschichte schreibt, daß die Republikaner von St. Tropez nach dem glor-
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reichen Sieg auf einen Besetzung des Landes des Kriegsverlierers
verzichten haben. Sie waren schon immer großzügig.
Großzügig lang war der Tresen im Café de Lyon. Auf der linken Seite, von vorne bis hinten, tief in den Saal hinein. Nur vorne war
der Tresen abgerundet. Drei Barhocker standen an der Kopfseite. Und
im Sommer war das Fenster hochgeschoben. Dann saß man im Fenster. Draußen die Mole, die Schiffe, drinnen der Cognac auf dem Tresen. Oder der Champagner.
An der rechten Seite waren übrigens Tische in Nischen. Die
wurden praktisch nie benutzt. Frische Blumen standen aber dennoch
täglich auf diesen Tischen.
Am Kopfende des Tresens hing das wichtigste Gerät für alle,
die des Meeres wegen an den Hafen gekommen waren. Ein Barograph. Ein Barograph ist ein Luftdruckmeßgerät, das mit einem Tintenstift den Luftdruck auf einer sich langsam drehenden Trommel
aufschreibt. So kann man die Druckveränderungen der letzten Tage
verfolgen und trefflich darüber rätseln, wie sich der Druck verändern
werde. Denn tatsächlich hängt das Wetter, der Wind und auch der
Sturm vom Luftdruck ab.
Nur wie, darüber gab es immer äußerst unterschiedliche Meinungen der professionellen wie amateurhaften Seeleute, die sich am
Barograph stundenlang ihre Wetterprognose erzählten. Bis es dann zu
spät zum Auslaufen war und man sich rüber in den Senequier setzte,
um mal zu sehen, was so angekommen war.
Allerdings sollte man dazu sagen, daß diese Wetterdiskussion
auch höchst notwendig war. Ein Telefon gab es bei der Post. Eine
Anmeldung eines Gesprächs erfolgte üblicherweise am Vormittag,
darauf erhielt man ein Pappkärtchen mit einer Nummer und einer Uhrzeit. Das eine war die Kabinennummer im Postamt, das andere war die
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Uhrzeit, in der der Operateur versuchte, die Verbindung hinzubekommen. Es gelang nicht immer.
Unnötig, ausführlich zu erwähnen, das Wettersatelliten oder
Fernsehen nicht oder nur extrem dürftig zur Verfügung stand. Dafür
war aber der Versuch, Deutsche Welle über Kurzwelle im 46 m Band,
besonders Nachts, so zwei Stunden nach Sonnenuntergang zur hören,
mit großen Erfolgsaussichten behaftet. Nur da saß man ja im Café des
Artes, am Bouleplatz.
Jugendstil. Unglaublich. Vollständig erhalten und in Gebrauch.
Natürlich leicht runtergekommen. Die Bodenfliesen von den heruntergefallenen Petanque-Kugeln teilweisen zerbrochen. Der Tresen ein
Stück und Zinn. Ein kleiner, angebauter Schrank direkt am Eingang
rechts. Eine Jugenstilnymphe aus dem vollen Holz des Schrankes
herausgearbeitet. Die prallen nackten Brüste doch etwas abgegriffen.
Spiegel mit schmaler Goldfassung. Aus der Mitte kommt das Gasrohr
für die Gasbeleuchtung heraus. Die Brenner sind noch da, man hat
irgendwie Strom durch die Rohre gelegt.
Die eiserne Stützstange in der Mitte, mit der vorschriftmäßigen
Verschnörkelung und im erweiterten Gastraum Phantasiegemälde
riesiger Schlachtschiffe, alle unter französischer Fahne fahrend. Das
Kunststück, das daneben hing, war halb Bild, halb Plastik. Dreidimensional geformte Fische, Aale und anderes Meeresgetier. Aus Gips
gearbeitet, aber mit dem Metallüberzug versehen, der ein edles Aussehen in der Ansicht der vergangenen Jahre verriet. Die Decke ebenso
stilgerecht wie das Bild neben dem Tresen. Der schlaue Kerl vom
Land, der sein sittsames Mädchen im Kartenspiel abzockt. Um was die
gespielt haben. Manche meinten, es am Mienenspiel der jungen Schönen zu erkennen.
Wichtig, und nicht jugendstillike war die Kühltruhe, die links
hinten vor der rückwärtigen Tür stand, die ein weiteres Geheimnis bot.
Erstens befand sich dahinter die Treppe zur Toilette, zweitens ein
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Durchgang in eine Küche und wenn man durch die Küche dann in den
Innenhof des Hauses mit wunderschönem Garten kam, dann war man
auch im vornehmsten, feinsten und besten Gourmetlokal dieses Dorfes. Auffällig waren die Korbmöbel, mit denen der Garten ausgestattet
war. Korbmöbel erwartet man nicht unbedingt unter freiem Himmel.
Aber solange Madame Yves Lokal geöffnet war, war der Himmel über
St. Tropez so etwas wie eine großes Jugendstilplafond und über die
Temperaturen brauchte man sowieso nie zu klagen. Eine Speisekarte
wurde üblicherweise nicht verlangt, wahrscheinlich gab es keine. Madame Yves erklärte die Speisen. Und man besprach die Kreation. Man
ging beileibe nicht einfach zum Essen. Es war Kunst. Vielleicht auch
deshalb Café des Artes.
Vorne in der Kneipe war es eine Kunst, einen Platz an der Theke zu erarbeiten. Und wenn man sich den einen guten, den vierbeinigen schwarzen, viereckigen, von den drei Hockern erkämpft hatte,
dann war man lange im Lokal und Deutscher. Die Franzosen standen
am Tresen. Und warfen selbstverständlich ihre Kippen auf den Boden.
Für Deutsche stand ein Aschenbecher auf dem Tresen. Wurde er voll,
wurde er auf den Boden entleert. Kundendienst ist alles.
Neben dem Eingang, an der Wand rechts, war der Schrank für
die Petanque-Kugeln. Dunkles Holz, knapp mannshoch und zwei Meter breit. Und darin postkartengroße Fächer für die Kugeln. Mit kleinem Sicherheitsschlüssel verschließbar. Und auf jedem Fach ein bronzenes oder kupfernes Schild mit dem Namen des stolzen Besitzers.
Das Fach Nr. 1, oben links, trug den Namen gleich einer bedeutenden
englischen Bank, das zweite Schild war identisch mit dem Namen
eines Politikers. Den Politiker habe ich im ›des Artes‹ nie gesehen.
Und Dueleen wollte in den Gorilla. So um vor zehn am Abend.
Richtiger Ort zu falscher Zeit. Aber was soll's. Der weiße Kübel stand
sowieso vor dem Haus und irgendwo muß man im Dorf ja anfangen.
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Der Parkplatz auf dem Place Gambetta hieß im Jargon Polizeiparkplatz. Die Police Municipiale war dort untergebracht. Deshalb
trauten sich viele Auswärtige nicht, dort über die Maßen unerlaubt zu
parken. Deshalb war es der beliebteste Parkplatz für Eingeweihte.
Irgendein Eck, halb auf dem Parkplatz, halb in der Straße und fertig.
Fünfzig Meter Richtung Mole, links um und mit Willi über Faux Filet
diskutiert.
Ob ›en point‹ besser als ›bleu‹ oder ›rouge‹, ob ›Schuhsole‹ typisch deutsch oder man wirklich Senf zum Faux Filet aß. Mutard de
Dijon war eine Spezialität. Manchmal kamen einem aber auch die
Tränen. Beim ersten oder bei mengenmäßig zu heftigem Gebrauch.
Dueleen trank einen Pernod ohne Eis und Wasser und nötigte
Bernard damit eine gewissen Hochachtung ab. Ich versuchte ein Bier.
Auch zum Füßewaschen konnte man es im Gegensatz zu Wasser nicht
benutzen. Der Rosé wurde hier noch mit Eis gebracht, also in Form
eine französischen Schorle. Es war noch nicht kühl oder spät genug.
Oder ich hätte doch den Roten trinken sollen.
Die Ägypterin sei nicht mehr im Byblos, erklärte Bernard und
außerdem sei im Moment alles furchtbar unorganisiert. Ja, die Gebrüder aus Rumänien, denen das Byblos gehörte, seien alle zusammen mit
dem Flugzeug abgestürzt.
»So ist das Leben«, sagte Dueleen. Auf französisch. Und nötigte mit einem zweiten Pernod Bernard wieder ein trockenes Schlucken
ab. Allerdings sei das Hotel voll in Betrieb, die Nachtbar empfehlenswert wie immer und man könne dort eine Menge Spaß haben.
Wir kletterten in den Kübel und fuhren die kleine Ehrenrunde.
Also nur am Lou Carnad und an der Kelter vorbei, zurück zum Bouleplatz und dann nach rechts den Berg zur Zitadelle hoch. Vor dem
Grüngürtel der Zitadelle schlug ich auf Geheiß nach rechts ein und
fuhr wiederum auf Geheiß langsam und blieb stehen. Normale, niedri-
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ge Häuser auf der rechten, links Grün. Eine kleine Einfahrt auf der
rechten Seite und ein Uniformierter. Kein Polizist, Briefträger oder so.
Etwas mehr Gold an der Uniform und auch freundlicher. Parkwächter
also. Dueleen stieg aus und warf ihm den Schlüssel des Wagens zu.
Der Beinahegeneral grüßte zackig und rief »merci, captain«.
Wir gingen durch eine unscheinbare Tür eines etwas neueres
Fischerhauses in das Foyer. Als nächstes traten wir einige Schritte
vorwärts, um in den Lichthof des Foyers abwärts zu Blicken. Das
Mosaik am Boden, drei Stockwerke unter uns, war von Chagall, die
Skulptur an der Wand war von Picasso und anstelle eines Gemäldes an
der anderen Wand, hing nur gerahmt die Expertise, daß hier auch ein
echter Picasso hängen könnte. Daß er allerdings gerade an den Staat
ausgeliehen sei, weil der damit im Ausland angeben müssen. Oder so
ähnlich.
Der Herr hinter den Schalter des Foyers trug auch uniformnahe
Kleidung, weniger Gold, aber dafür drei gekreuzte Schlüssel am Revers. Er grüßte militärisch und rief »bonsoir, mon captain«.
Dueleen salutierte lässig zurück. Wir gingen die Treppe abwärts
zur Tagbar. Die war dann aber doch gut auf den Nachtbetrieb vorbereitet. Die Nachtbar wiederum war das Cave du Roi, unterhalb des
Swimmingpools, vor der Tagbar. Und da wird ein Gespräch im Lärm
der jüngeren Generation zerrieben .
Wir kamen an einer Toilette vorbei und Dueleen zog mich hinein. Hätte ich ihn nicht so gut gekannt, hätte es an dieser Stelle ernsthafte Schwierigkeiten gegeben. Also, er steht mit mir im Vorraum
einer natürlich prachtvoll ausgestatteten Herrentoilette und weist vor
sich auf den Spiegel und das Handwaschbecken. Dann weist er genau
auf die linke Seite des Handwaschbeckens. Dort ist kunstvoll ein Porzellanaschenbecher über eine Kunstschmiedehalterung an der Wand
verschraubt. Dann deutet Dueleen auf die rechten Seite. Dort sind vier
Dübellöcher zu sehen.
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»War gar nicht einfach«, sagte Dueleen, »aber der paßte so gut
an meine Eisenbahnanlage. «
Wir gingen weiter in die Tagbar. Begrüßung wie üblich, »oui,
mon captain« und ab jetzt wieder Whisky. Die Bar selbst, aber auch
die Tische waren nur mäßig, fast dünn belegt. Angenehme Musik und
wir wurden gefragt ob wir am Tisch oder an der Bar bleiben wollten.
Dueleen entschied sich für einen Tisch direkt am Fenster. Ein Blick
hinunter zeigte, daß circa fünf Meter tiefer der Swimmingpool lag.
Die Bar hatte zu dieser Zeit die Fenster geöffnet, denn die warme, angenehme Nachttemperatur konnte von der Klimaanlage noch
nicht perfekt nachgeahmt werden.
»Da sind schon ein paar hineingesprungen, weil das von hier so
toll aussieht«, sagte Dueleen. »Hätten die aber nicht tun sollen. Die
haben hier zur Zeit riesige Schwierigkeiten mit der Umwälzanlage und
der Heizung des Pools. Das Wasser kommt direkt aus dem Berg. Ist
so acht Grad warm. Die Heizung tut nicht. Also im Moment hat das so
zehn bis dreizehn. « Er hob das Glas. »Da hetze ich nur einen rein, den
ich nicht mag. «
Ein sehr typisch texanisch aussehender Texaner, Cowboystiefel
an und Hut auf dem Kopf, klein, drahtig, kam laut diskutierend mit
einem wohl mehr englischen Lord herein. Sie bekamen den verlangten
Spieltisch in der Mitte und der Butler des Engländers zog mit vornehmer Geste ein Backgammonbrett aus eine Velourlederhülle. Er
legte das Brett vor seinen Herrn und dessen Gegner und plazierte die
Steine, nachdem diese durch Handschlag ausgelost waren.
Dueleen blickte interessiert von unserem, etwas erhabenem
Sitzplatz auf die Spielwiese. Ein Plastikchip mit der Aufschrift 10000
wurde neben den Würfel, der die Zahlen 2, 4, 8, 16, 32 und 64 trägt
gelegt.
99
»Interessant«, sagte Dueleen. »Möchte nur wissen ob die um
Franc, Dollar oder Pfund spielen?«
»Dollar«, sagte unauffällig und leise der Kellner neben uns, »sie
spielen heute das zweite Mal hier. «
Die Würfel rollten und einige Steine wurden im Brett versetzt.
Da legte der so typisch britisch Aussehende den Zahlenwürfel in die
Mitte zwischen die leeren Kästchen für die Steine.
»Dacht' ich mir, der hat gerade verdoppelt. Steht gut«, kommentierte Dueleen den Spielverlauf.
Der Texaner würfelte, setze und drehte den Zahlenwürfel.
»Hätte ich nicht gedacht. Der ist mutig. Moment, das sind jetzt
vierzigtausend Dollar, um die die spielen. « Er rückte, wirklich interessiert, ein wenig um die Ecke, um das Spielfeld voll im Blick zu haben. Andere Gäste scharten sich jetzt auch um die Tisch. Der Lord
würfelte, setzte, drehte.
»Sind beides Wahnsinnige«, kommentierte Dueleen offensichtlich doch von Nervosität angesteckt. Achtzig kostetet das Spiel jetzt.
Die Spieler würfelten, setzten und drehten am Würfel, würfelten, setzten und drehten am Würfel. Das Spiel stand jetzt bei einer
Summe von dreihundertzwanzigtausend Dollar. Der Engländer würfelt, setzte und drehte den Zahlenwürfel.
»Das sind jetzt sechshundertvierzigtausend Dollar!« sagte Dueleen, nun doch offensichtlich beeindruckt, sogar vielleicht etwas weiß
unter der Nase. »Und wenn Texas jetzt nicht einen Sechserpasch wirft,
dann ist der geliefert«.
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Es kam Stimmung wie im Fußballstadion auf. »Ich springe in
den Pool, wenn der den Pasch wirft«, sagte Dueleen, wirklich mühsam um Fassung ringend.
Der Texaner warf noch einmal einen Blick auf die Spielunterlage, nahm die Würfel und warf. Es fielen zwei Sechser. Ein Aufschrei
ging durch alle Zuschauer, aus dem Augenwinkel sah ich, wie sich der
Platz neben mir leerte. Ich riß den Kopf herum uns sah Dueleen mit
elegantem Hechtsprung im Pool verschwinden.
In der jetzt folgenden Aufregung wurde erst einmal das Publikum sortiert, der geschlagene Engländer verließ, ohne ein Wort zu
sagen, das Lokal und Dueleen wurde aus dem Pool gefischt. Nach
zehn Minuten war er in anderer Kleidung, aber trocken, wieder am
Tisch. Der Texaner saß immer noch vor dem Backgammonbrett und
hatte einen Whiskey neben sich. Er warf etwas Eis hinein. Die Kellner
hatten die Gläser entweder abgeräumt oder der verehrten Kundschaft
wieder zugeordnet. Da kam der Butler des Engländers wieder in die
Bar.
Er zog das Velouretui des Backgammonbrettes aus der Innentasche seines Anzug. Jetzt fiel mir auf, daß er Handschuhe trug. Er legte
das Brett vorsichtig in den Hülle. Behutsam zog er erst links, dann
rechts, den Reißverschluß zu und nahm das Brett unter den Arm. Er
wandte sich zu gehen, blieb allerdings dann urplötzlich, so als hätte er
etwas vergessen, stehen. Dann drehte er sich zum Texaner um. Der
saß immer noch am Tisch und blickte immer noch in Richtung des
nicht mehr vor ihm liegenden Brettes.
Jetzt erst griff der Butler in die andere Innentasche seines Anzug und holte ein Lederetui heraus. Es sah so aus, als könnten darin
Geldscheine sein.
»Wir bedauern, Ihnen nur Pfund und keine Dollar geben zu
können«, übersetzte ich den Butler, »aber sie werden sicher eine Bank
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finden, die dies in Ihr Geld wechselt. « Der Butler sprach's zum Texaner und ging.
»Ich habe Ihren Sprung ins Wasser immer noch nicht richtig
verstanden«, sagte ich zu Dueleen.
»Ach«, sagte der, »wissen Sie, Texas ist ein alter Freund von
mir, ich bin zu fünfzig Prozent an ihm beteiligt. «
102
Szene 8, take 3
Das Frühstück des nächsten Morgens war durch den Mangel an
Brot gekennzeichnet. Die Vorratskammer und auch der Kühlschrank,
die Schränke allgemein und die Flaschenschränke im besonderen waren bis an den Rand gefüllt. Aber das Baguette ließ sich wirklich nicht
aufbewahren. Baguette ist so circa nach vier Stunden knochentrocken.
Höchstens ein Semmelbröselfabrikant kann es dann noch gut finden.
Jetzt gibt es zwar in Frankreich an jeder Ecke Baguette zu kaufen,
aber Dueleens Haus lag nun mal nicht an jeder Ecke, sondern eine
knappe Stunde Fußweg davon entfernt. Wobei noch zu erwähnen ist,
daß Fußwege in Südfrankreich ausgesprochen rar sind. Wenn er's
sportlich mag, fährt der Franzose Rad, Rennrad sogar. Aber zu Fuß
durch den Wald gehen, das machen die Wenigsten und die Deutschen.
Auf die große Vorratshaltung angesprochen erzählte er mir, daß
Generalstreik in Frankreich ein, zumindest vor einigen Jahren noch,
sehr bekannter Ausdruck war. Plötzlich, meist ohne für Ausländer
ersichtlichen oder aus der Tageszeitung erlesbaren Grund, gab es
nichts mehr. Oder genauer gesagt, innerhalb weniger Stunden waren
die Geschäfte leergekauft, die Tankstellen geschlossen und selbst im
Tabac konnte man noch nicht einmal mehr Gouloises kaufen. Das
hatte Dueleen einige Male erlebt. Fiel aber mehr in seine Zeit, als er
noch mit seinem Campinganhänger auf dem Campingplatz stand. Allerdings hatte er immer einige Kanister Sprit, also soviel, daß man
damit gegebenenfalls Italien oder die Schweiz erreichen konnte, unter
dem Anhänger im Sand vergraben.
Solche Vorsichtsmaßnahmen waren notwendig, denn diese rauhen Zeiten produzierten rauhe Sitten. Allerdings war in St. Tropez
immer noch was zu machen, denn die Tradition eines, wenn auch mit
einer Pestunterbrechung von zweihundert Jahren, zweitausendjährigen
Piratennestes machte auch eine Versorgung über See möglich.
103
Wenn die ältere Geschichte den Krieg mit Spanien oder die
noch ältere die christliche Sage des heiligen Torpes beinhaltet, so hat
die neuere Zeit von St. Tropez auch Geschichte.
Die größte amerikanische Nachschuboperation ging am Strand
von Pampelonne an Land, eine Straße heißt heute noch nach dem
amerikanischen General Patch. Und die Anzahl der Jeeps vom Typ
Willi, die hier an Land gingen, ist Legende. Heute sind einige dieser
Jeeps als hervorragend restaurierte Museumsstücke an den Ort ihres
Landganges zurückgekehrt. Aber sie konkurrieren immer noch mit
Arbeitsjeeps, die damals übriggeblieben sind. Also übriggeblieben, als
sie von ihren rechtmäßigen Eigentümern gesucht wurden. Die heutigen Besitzer haben so etwas wie ihre zehn Prozent zurückbehalten,
eine üblich Maßnahme in einem Hafen, wenn da was an Land gebracht wird.
Ein Gedenkstein in der Nähe des Bouleplatzes erinnert heute
noch an die Tatsache, daß sich dort die ›Maurenbrigade‹, also eine
handvoll schlecht bewaffneter Resistanceleute sich mit ›den zu Hilfe
eilenden alliierten Truppen, vereinigte‹. Neben dem Stein, der damals
noch an einer etwas anderen Stelle und außerhalb des Gitters um das
Dorfgemeinschaftshaus stand, gab es Baguette zu kaufen. Natürlich
gab es überall Baguette, aber wenn man es vom Auto aus kaufen will,
der Faulheit wegen, so war dies die beste Stelle. Man konnte nämlich
die neue St. Tropeer Straße hinein, die Carles wieder hinausfahren und
hatte so nur einen einfachen Bogen um den Bouleplatz zu beschreiben.
Wir entschieden uns an vollgedecktem Tisch, aber ohne Brot,
zur Fahrt um den Bouleplatz. Nur hätte uns eine innere Stimme sagen
sollen, daß es Dienstag war. Und Dienstag, und auch Samstag ist
Markt auf dem Bouleplatz. Und dann sind die Parkmöglichkeiten,
selbst unter Einbeziehung der Kunstparkmöglichkeiten von St. Tropez, äußerst gering. Wir erreichten zwar den Markt, hatten dafür aber
den Kübel auf dem großen Parkplatz am neuen Hafen, dem Hafen für
104
Plastikschiffe, wie Dueleen sich immer ausdrückte, wenn er über
GFK-Boote sprach, stehen lassen müssen.
Hunger und Durst kann man, zumindest solange man Geld in
der Tasche hat, in St. Tropez nicht erleiden. Und an einem Markttag
erst recht nicht. Unter den Platanen des Bouleplatzes ist es schattiger,
als auf den meisten anderen Plätzen des Dorfes. Und da die Häuser
hier auch weiter auseinanderstehen, ist die direkte Wärmestrahlung
der Wände nicht so hoch. Das tut dem Markt gut, denn die Temperaturen sind recht hoch. Und auf diesem Markt wird gegrillt, zum Beispiel
Kaninchen oder Taube am Spieß, auch der Schinken vom Schwein.
Oder es wird gebacken. Die Pizza am offenen Feuer, ein umgebauter
Kleinlaster enthält den steinernen Pizzaofen. Oder auch Fisch, aber die
stehen ein wenig abseits. Man ahnt die Gerüche des Orients und man
sieht Gewürzstände mit allen Köstlichkeiten, die Seefahrer ins Land
gebracht haben. Aber auch nicht zu vergessen, die eigene Produktion.
Das ist das Land, in dem der Honig fließt und die Milch zu Käse gemacht wird.
Ein übergroßes Honigangebot mit Auswahl unter einem Dutzend von Geschmacksrichtungen. Selbstverständlich, Gelee Royal
wird auch angeboten. Der Käse ist erwähnenswert und Charles de
Gaulle wird der Satz der Unregierbarkeit eines Landes mit vierhundertfünfundachtzig Käsesorten zugeschrieben. St. Tropez ist weitaus
unregierbarer, was den Käse angeht.
Tuchhändler, Lederhändler, Gürtelhändler, Schmuckhändler.
Alle, alle in den für einen Tag selbsterrichteten Gängen aus Marktständen, Sonnenschirmen und Warenbergen. Ein Korbtaschenhändler
genau an seinem Platz wie auch der Obstverkäufer. Und der bietet nun
wirklich alles an, was das Land zu bieten hat.
Es gelang uns, vier Baguette einzukaufen. Wie gesagt, Dueleen
übertreibt immer etwas. Auch warmen Schinken nahmen wir noch
mit, liefen eine erträgliche Abkürzung zum neuen Hafen und fuhren,
105
weil es jetzt nicht anderes ging, den längeren Weg aus dem Dorf zu
Dueleens Haus. Allerdings führt der auch zu den Stränden.
Zwei Mädchen, also nicht der Typ Dame, sondern der Typ
sportlich, vielleicht Sportstudentinnen, versuchten am Straßenrand ihr
Glück als Anhalterinnen.
Dueleen reagierte in einer Art Reflexbewegung. Ich erklärte
ihm noch, daß er Urlaub habe, da saßen die beiden schon auf dem
Rücksitz. War auch einfach, bei dem offenen Wagen. Geht fast so wie
mit einem Porsche. Nur braucht man in St. Tropez den Porsche-Effekt
nicht. Ich glaube sogar, er wirkt da gar nicht. Hat nämlich fast jeder
einen.
Das er nicht umhinkonnte, die durchaus netten Finninen, wie
sich herausstellte, zum Frühstück einzuladen, war mir klar. Wir hatten
sogar Glück, unser Frühstückstisch war in den Schatten des Sonnenschirms gewandert. Eigentlich war es die Sonne, die wanderte, das
Ergebnis bleibt aber das Gleiche. Der Tisch war gut gedeckt, die Speisen noch genießbar.
Die Finninen hatten die Badetaschen beiseitegestellt und nach
kurzer Hausbesichtigung die Flaschengalerie gefunden. Dort holten
sie in einer Art Siegeszug eine Zweieinhalbliterflasche Bacardi. Bacardi war in dieser Größenordnung im Haus, weil die Amerikaner, von
denen die Piraten das zollfrei bezogen und schmuggelten, keine kleineren Gebinde an ihre Navyshops abgaben.
Die gefundene Flasche wurde auf die freie Fläche vor den
Frühstückstisch gestellte und das Radio angemacht. Zufällig, oder
vielleicht auch immer, lief auf diesem Sender tanzbare Musik. Oder
besser Musik á gogo. Die Mädchen begannen den Rhythmus aufzunehmen. Dueleen lehnte sich in seinen Stuhl vor und versuchte, ein
Stück Baguette mit Butter und Honig zu versehen.
106
Die beiden waren gut aufeinander eingespielt. Sah aus, wie ein
Team, daß es gewohnt war, den Männern anzuheizen. Zuerst heizten
Sie aber sich selbst auf. Die eine, anders ist das nicht zu beschreiben,
denn die beschreibbaren Unterschiede waren gering, also die eine
nahm die Flasche, drehte den Verschluß ab und nahm einen deutlichen
und großen Zug. Dann gab sie die Flasche ihrer Mittänzerin. Gleicher
Schluck und gleiche Freude. Jetzt streifte die eine das T-Shirt ab und
nahm einen großen Schluck. Es zeigte sich nach dem zweiten Schluck,
daß auch die andere ein Bikinioberteil unter dem T-Shirt trug. Allerdings eines von der amerikanischen Sorte, Stoff der über Bänder zusammengeschoben wird. Und der in der Lage ist, schwere Lasten an
der richtigen Stelle zu halten. War auch notwendig, denn auch diese
Damen hatten Penthousequalität. Was mich freute, weil ich ein zu
großes Überangebot nicht mochte, für Hustler wären sie zu klein gewesen.
Mit dem Sinken des Bacardispiegels in der Flasche sank auch
die Bekleidungsquote. Zuerst tranken sie den letzten Schluck aus der
Flasche, dann warfen sie die Höschen in den Schattenbaum.
Dueleen aß ungerührt etwas von dem warmen Schinken. Die
Mädchen hielten sich gegenseitig und durchaus an den richtigen Stellen. Aber den Gesichtsausdruck konnten sie nicht mehr aufrecht erhalten. Sie legten sich fast gleichzeitig auf die zwei Liegen, die im Gras
standen und nahmen dankbar zwei von Dueleen zugeworfene Handtücher, um den Kopf damit zu bedecken. Kurze Zeit ertönte lautes
Schnarchen.
Wir beendete unser Frühstück mit Blick auf zwei nackte Frauenkörper, die breitbeinig in der Sonne lagen. Kurz vor Mittag und
nachdem ich eine Runde Würfeln gegen Dueleen verloren hatte, blieb
mir die Aufgabe, die Damen zu wenden, den Sonnenschirm über sie
zu stellen und später dann auch mehrmals in die Dusche zu führen.
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Die Außendusche war eine nicht alltägliche Einrichtung in dieser Ferienvilla. Noch im Innenhof gelegen, aber direkt an dem Tor
zum Außengarten mit Schattenbaum, war ein kleiner Eingang nach
rechts. Unauffällig. Eine normale heißkalte Dusche war mit wunderschöner Carrelage versehen, aber eben geradeso um die Ecke gebaut,
daß eine Vorbeigehender sie nicht einsehen konnte. Wenn es jetzt
einer der überalkoholisierten Damen zu schlecht ging, schleppte ich
den nackten, durch Schweiß etwas glitschigen Körper, manchmal
noch mit Gehunterstützung der Dame, manchmal ohne, um die Ecke.
Einige Minuten ließ ich sie fast allein, dann spritze ich mit dem
Schlauch das Meiste weg, dann schüttet ich ein wenig Duschgel auf
sie und spritzte auch hier alles sauber. Erfreutes Stöhnen gab es bei
Treffern an den bekannten Punkten. Wenn ich das Wasser kälter drehte, kam doch so eine Art Leben in den apathischen Vollbusenkörper,
der sich dann meist aus eigener Kraft auf die Liege zurückzog.
Dueleen war ungerührt. »Die Finninen saufen wie die Löcher,
aber so richtig vertragen tun sie nichts. «
Als sich die beiden am nächsten Morgen verabschiedeten, sagten sie uns, sie seien sehr glücklich gewesen und sie würden gern mal
wiederkommen.
Szene 8, take 4
Der weitere Urlaub sollte aufs Meer verlegt werden. Dueleen
hatte sein Motorboot, einen zweihundert PS starken Innenborder, zur
Pflege an einer kleinen Werft in der Bucht des Canaibes. Eigentlich
war der Weg kurz, doch wenn man nicht alle Kreuzungen, an denen
teilweise weit über mannshohes Schilf stand, richtig traf, kam man
unweigerlich wieder an der Zitadelle heraus und durfte die Wege neu
beginnen. Das erste Mal aber fuhr Dueleen und mir blieb diese
Schwierigkeit erspart. Die Sonne war, ob wir uns bemüht hatten, früh
aufzustehen, schon hoch am Himmel, der Golf war blau, das berühmte
Licht des Golfes erhellte die kleinen, einzelstehenden Fischerhäuser
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und die paar nicht ganz so ordentlichen Schuppen und kleinen Hallen,
die in der Nähe des einzigen Landungsstegs standen. Der Strand war,
im Gegensatz zum Plage de Pampelonne, von Kies gedeckt, einige
Felsspitzen, die einige Zentimeter aus dem Wasser blickten, bildeten
eine Art Umrahmung der kleinen Hafenszenerie.
»Das ist kein Hafen«, erklärte Dueleen, »wir müssen beim Auslaufen und Einlaufen genau die Richtung halten, hier sind überall Riffe. «
Ich versuchte an Hand einer deutlich detaillierten Seekarte, einen Weg zu finden.
»Nur geradeaus auf die Brücke von Ste. Maxime zulaufen, und
wenn der Signalturm Moutet auf der Klippe rechts, genau rechts steht,
dann nach links halten. Ungefähr eine Meile in Richtung auf die Burg
von Grimaud zulaufen, rechts schwenken und in der Mitte des Golfes,
aber nicht in der Torpedoschußbahn, aus dem Golf laufen. «
Im Golf gab es eine Torpedoschußbahn, denn am Ende des Golfes, noch auf St. Tropeer Seite war die Torpedofabrik. Hier wurden
seit langer Zeit Torpedos, wahrscheinlich nicht nur für die französische Marine, hergestellt. Selbstverständlich war das Ganze von einer
Aura der militärischen Geheimhaltung, also auch von Stacheldraht
und Wachposten umgeben. Allerdings waren die, militärisch schön,
getarnt. So blieb St. Tropez das Feriendorf, und mitten im bunten Motorboot und Seglertreiben war die Torpedoschußbahn. Beherrschte
man die Signalsprache der Flaggen, konnte man vermeiden, von der
Marine direkt aus der Schußbahn getrieben zu werden. Allerdings
sollte erwähnt werden, daß die Torpedos hier nur zur Probe liefen. Sie
wurden von einem Abschußturm, der eine Brückenverbindung zur
Fabrik hatte, abgeschossen und liefen, ohne Sprengstoff an Bord,
durch den Golf. In Netzen und mit einem KatamaranMotorarbeitsschiff, der Pegasus, wurden die gerade gelaufenen Torpedos wieder aufgenommen, um dann endgültig fertiggestellt zu werden.
109
Zumindest erzählte man sich das so in den Seemannskneipen des Dorfes. Und über die Querschläger konnte man nicht viel sagen, die waren
einfach fort.
Die Torpedoschußbahn diente aber auch noch einem zivilen
Zweck. Hier nahmen auch die Wasserbomber, die zweimotorigen
Amphibienflugzeuge der Feuerwehr, Wasser auf.
Und das lernte ich kurz nach unserem ersten Auslaufen kennen
und fürchten. Wir waren fast am Ende der Torpedobahn, also fast auf
dem offenen Meer, als wir diese sehr genau rechtwinkelig kreuzten.
Ich blickte nach links und konnte trotz eigentlich klarer Sicht das Ende des Golfes nicht sehen, Sonnennebel. Allerdings sah ich plötzlich
in, und eine exakte Entfernung möchte ich nicht angeben, einigen,
vielleicht zweihundert Metern, ein Flugzeug von vorne. Zweimotorige
Maschine, Hochdecker. Die von vorne großen, rund erscheinenden
Motoren erkannte ich Bruchteile später als Sternmotoren. Jetzt hörte
ich auch das Brüllen der Maschine. Auch der Motor unseres Aquamarina brüllte, unser Boot wurde zwar beschleunigt, aber behielt die
Richtung nicht gut, Dueleen drosselte um ein Weniges. Der Aquamarina nahm wieder Richtung an und auch Fahrt auf. Der Wasserbomber
auf der linken Seite wurde riesengroß. Er flog vielleicht einen Meter
über dem Wasser, die Gischt- und Wasserwelle, die er vor sich herschob zeigte, daß er noch am Aufnehmen von Wasser war.
Dueleen hielt mit der einen Hand das Steuerrad, mit der anderen
den Gashebel fest. Man sagt so schön, daß dann die Knöchel weiß
hervortreten. Kreideweiß, wie das Gesicht in solch einem Fall, ist die
bessere Beschreibung.
Der Wasserbomber flog jetzt nicht mehr ganz genau auf uns zu,
er fiel etwas nach back ab. Unser Aquamarina begann wieder sich
aufzubäumen, Dueleen nahm wieder einen Hauch Gas zurück. Das
Boot trampelte trotzdem. Wenn uns der Flieger jetzt traf, dann wurden
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wir von seinem Backbordpropeller geheckselt. Der Flieger zog etwas
hoch, das Wasseraufnehmen schien beendet.
Langsam, unendlich langsam hob sich der mit Wasser vollgepumpte, dicke, plumpe, laute Vogel weiter über die Meeresoberfläche,
senkte seine rechte Fläche, hob damit seine linke - und der linke
Schwimmer traf uns nicht. Warum Zentimeter angeben. Vorbei ist
vorbei. Wobei es fast mit uns vorbei gewesen wäre.
Dueleen reduzierte die Geschwindigkeit bis das Trampeln und
Stoßen des Bootes nachließ und fuhr weiter rechtwinkelig aus der
Topedobahn. Über das Heck sah ich dem gelborangen Wasserflugzeug
nach. Ein zweites folgte und genau so mühsam Höhe gewinnend, ein
weiteres. Alle auf der selben Bahn, nach dem Beenden der Wasseraufnahme nach rechts drehen, langsam steigen und in den Vorbergen des
Maurengebirges verschwinden.
»Die meisten müssen schon weg sein«, sagte Dueleen. »Ich habe so sechs, acht wegfliegen sehen und dachte, das seien alle. « Er
drehte den Aquamarina langsam nach Steuerbord. »Wir machen jetzt
einen großen Rechtsbogen und fahren an den Strand. Ich brauche eine
kleine Pause. Setzen Sie sich mal ans Ruder. «
Er stand auf und ging nach unten, in die Kabine. Ich setzte mich
ans Ruder, reduzierte die Geschwindigkeit noch einmal, bis der Motor
für meine Ohren ruhig lief und blickte noch einmal auf die Seekarte.
Ich erfuhr dadurch, daß eine der größten Klippen die Zähne des
Hundes genannt wurden und da der Name mir Respekt einflößte,
wählte ich den großen Bogen. Der Leuchtturm von Cap Camarat
konnte mir später dann wieder als Landmarke dienen.
Wir liefen außerhalb der Bucht von Pampelonne mit circa einhundertachtzig Grad, rechts zogen die Untiefen den Kopfs von St.
Tropez vorbei, dann fiel das Ufer zurück. Der erste Strand, rechts
111
noch an der steileren Küste, sonst aber schon am flachen Sandstrand
liegend, das mußte Tahiti plage sein.
›Kon Tiki‹ gab es auch schon seit ein paar Jahren, aber sonst
war der Strand noch fast leer. Auf den nächsten fünf Kilometern Küstenstrecke konnte ich noch zwei weitere Privatstrände ausmachen.
Dann kam ein etwas zurückgesetztes, etwas hinter den Dünen einzelnstehendes Haus.
Dueleen kletterte wieder zum Bootsführerstand empor.
»So was kann einen ganz schnell den Kopf kosten. « Er war also immer noch mit dem Sammeln der Knochen und Gedanken beschäftigt. Ich hatte nur noch weiche Knie.
»Nach 360 Grad drehen, nach 360 Grad drehen, schnell«, sagte
Dueleen.
Ich blickte mich wie rasend um, suchte mit den Augen, versuchte die Gefahr zu erkennen. Flugzeug, Sportboot, Klippe, was um des
Himmels Willen war es diesmal.
»Das ist der richtige Senequier«, sagte Dueleen. »Dort essen wir
jetzt zuerst einmal richtig.
Ich versuchte mich zu orientieren. Ob wir einen großen Bogen
gefahren hatten, waren wir nicht weit von St. Tropez entfernt. Vielleicht fünf Kilometer. Und was war das mit dem Senequier, der war an
der Mole im Dorf und nicht hier draußen am Strand. Dueleen übernahm das Boot und lief mit langsamer Fahrt senkrecht auf die Küste
zu. Als es noch so einhundert Meter zum Land waren, ließ er mich den
Anker werfen. Nach anderthalb Meter Kette schien der Anker zu greifen. Ich sah über die Reling ins blaue, klare Wasser und sah knapp
unter uns hellen, sauberen Sand. »Alle Kette werfen«, befahl Dueleen.
112
Ich zerrte die Kette aus ihrem Kasten und wollte aufhören, als jetzt
Tau kam.
»Noch zehn Meter Tau geben«, sagte Dueleen. »Hier ist nur
endlos tiefer Sand. Selbst mit der Methode müssen wir heute spät am
Nachmittag wieder hier sein. Wenn wir Glück haben finden wir das
Boot wieder. Kenne ein paar, die suchen heute noch ihren Kahn«.
Er begann sich auszuziehen und das einschließlich der Unterhose. Dann packte er alles in einen Plasitktüte und legte ein Handtuch
obenauf.
»Auf, anders geht's nicht, der Strand ist hier schon die letzten
dreihundert Meter total flach, aber hier in dem Bereich wandern die
Unterwasserdünen derart schnell, da kann man nicht mehr fahren. «
Wir schwammen nackt ans Ufer und trockneten uns ungefähr
zwanzig Meter vor drei jungen Damen, die sehr ordentlich mit Badeanzug bekleidet waren, ab. Es schien ihnen zu gefallen, uns zuzusehen. »Komisches Völkchen«, sagte ich zu Dueleen.
»Lassen Sie denen doch ihren Spaß, daß sind Tunten vom Aqua«, er deutete mit dem Kopf auf einen Privatstrand links.
»Hat aber seinen Vorteil. « Ich wußte nicht ob Dueleen über die
Transvestiten, Homosexuellen oder den Privatstrand sprach. »Die
meisten bringen ganz toll aussehende Freundinnen mit an den Strand.
Die brauchen die einfach zur Tarnung. «
Er sprach über Homosexuelle. »Die Miezen werden vorne abgegeben, wie die Chauffeure und haben dann nichts zu tun, als sich
die Nase zu pudern und dummes Zeug zu reden. Deshalb gehen wir
zum Senequier. «
113
Zielstrebig ging er auf die Dünen zu, drückte etwas herumstehenden Bambus beiseite, übersprang einen kleinen Graben und wir
standen vor einem Bauernhaus, das offensichtlich einen Anbau erhalten hatte.
»Der Senequier ist eine Institution«, wurde ich aufgeklärt.
»Dort reserviert der Vater das Kommunionsessen, wenn der Sohn
geboren wird. Hochzeiten und schlimmeres wird dort gefeiert. « Dueleen ging durch den Eingang, ein Kellner grüßte ihn in strammer, militärischer Haltung und sagte »bonjour, mon captain. «
Wir gingen einige Schritte weiter und ich sah, daß der Anbau
nur der Sichtschutz für ein großes Freischwimmbecken war. Sitzmöbel der feineren Art standen um das Becken. Einige Stühle waren belegt, meist gutaussehende Damen, vielleicht nicht mehr äußerst unerfahren, aber immer noch sehr knackig.
Der nächste, der uns begrüßte, war offensichtlich der Wirt.
Auch er grüßte militärisch, sagte ›mon captain‹ und führte uns zu dem
Tisch, der den Überblick über die ganze Anlage gewährte.
Ob die jetzt folgenden Verhandlungen ernst gemeint waren,
konnte ich nicht ergründen. Der Wirt Senequier pries in sicherlich
gutem französisch hervorragende Speisen an. In deutlich schlechterem
Französisch bestellte Dueleen Spaghetti, Faux Filet durchgebraten und
Pfeffersauce und zwei von den Damen dahinten. Der Wirt gab auf.
»Çe toujour la même chose«, verstand ich. Es war wirklich immer das
Gleiche.
Ein Kellner eilte in Richtung Küche und der Wirt ging zum
Pool. Nach einer Minute standen die zwei Damen, mit denen er gesprochen hatte, auf und kamen mit ihm zu unserem Tisch. Wir erhoben uns, wurden vom Wirt einander vorgestellt und setzten uns wieder. Meinen Namen hatte er frei erfunden, denn den kannte er noch
nicht. Klang aber glaubhaft. Ich war froh, daß die Damen Englände-
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rinnen waren und so nicht merkten, daß ich nicht Norweger war, wie
er angegeben hatte.
Wir speisten ausgiebig und lang, tranken Champagner zum Essen, von dem Dueleen sagte, daß man ihn eigentlich immer trinken
könnte und unterhielten uns mit den Damen.
Als seefahrende Nation waren natürlich auch die Engländerinnen am Boot interessiert, das Dueleen vor der Küste am Strand liegen
hatte. Sehr ausführlich schilderte Dueleen, welchen Weg man beschreiben müsse, das Boot wieder zu betreten.
Wir ließen uns vom Wirt zwei weitere Plastiktüten kommen
und nahmen mit den beiden den kurzen Weg zum Strand. Zu viert
entkleideten wir uns einen Meter vor dem Wasser und stopften die
Kleider in die Plastiksäcke. Dann schwammen wir zum Boot und kletterten über das Heck hinein. Dueleen gab mir und meiner Begleiterin
von einem Stapel Handtücher einige in die Hand. Mit seiner Begleiterin ging er nach unten, in die Kajüte und verschloß die Tür von innen.
Ich zuckte mit den Schultern und ging aufs Vorschiff. Sie kam
mit. Die Sonne stand schon tief genug, daß wir uns nicht beide das
Fell anbrannten. Die Engländerin hatte da weniger Chancen. Ihre doch
auffällig weiße Haut zeigte deutliche Rötungen, und das nicht nur im
Gesicht. Nach zwei Stunden schwammen sie zurück und Dueleen ließ
mich den Anker lichten.
»Heute Abend müssen wir endlich mal ins Dorf, die Puppen
tanzen lassen. Man wird ja im Urlaub richtig träge. « Er jagte den
Motor hoch und drückte das Boot gegen die leichten Wellen. »Aber
vorher sollten wir die Salzkruste loswerden. «
Szene 8, take 5
115
Der Abend fing ruhig an, wir hatten den Weg zurück mit dem
Boot genutzt, um einige Navigationsübungen zu machen, um auch bei
schlechterer Sicht den Steg zu finden und von der richtigen Seite anzufahren. Wir hielten uns dabei aber deutlich aus der Nähe der Torpedobahn. Bei aufsteigender Dunkelheit legten wir an.
Zurück zum Haus, das Salzwasser vom Körper und in neues
Weiß geschlüpft. Dueleen wollte seine blaue Strickjacke mitnehmen,
sein Goldschmuck paßte besser dazu, wie zu reinem Weiß, meinte er.
Als er vor dem Haus doch noch einmal die Abendtemperatur prüfte,
legte er schnell und überzeugt die Jacke zurück.
Das war eben auch St. Tropez. Die Nächte, die oft den Wert
von ›lau‹ annahmen, konnten, gewisse Wetterkonstellation vorausgesetzt, unendlich heiß werden. Wenn die Sonne den Tag über das Dorf
aufgeheizt hatte und sich abends eine Hochbewölkung, meist von
Süden kommend, über den Himmel schob, dann gab es heiße Nächte.
Der Südwind kam von Afrika und war warm, die Häuser hielten in
ihren dicken Mauern die Wärme wie in einem Backofen. Die windgeschützte Lage, sonst notwendig, um kräftigen Seewind erträglich zu
machen, verhinderte selbst eine leichte Luftbewegung.
Man griff zu Bermudashorts und sehr weitem T-Shirt oder Polohemd, Espadrillos gegebenenfalls. Die Armbanduhr war die eine
Möglichkeit Schmuck zu tragen, eine andere die Brille und die letzte
Möglichkeit war die lange, dicke, goldene Kette um den Hals. Ich ließ
die Armbanduhr weg, meine einfache Rolex erschien mir zu popelig,
Dueleen trug seine Pattek-Phillipe, die blaue Olive mit Goldarmband.
Er wechselte seine sonst silberfarbene Cartierbrille gegen das gleiche
Modell in Gold aus. Damit war auch diese letzte mögliche modische
Anpassung geschehen.
Taxis gab es nicht. Manchmal, wenn es ganz dringend war,
konnte man ein Taxi aus Nizza, über eine Strecke von hundert Kilo-
116
meter heranholen oder bis zum hellen Tag warten, dann bestand die
Möglichkeit, einen Wagen aus Cogolin zu ertelefonieren. Also wieder
in den Kübel und über die neue Straße hinein ins Zentrum. Den Wagen an der Zitadelle abgestellt und hinab zur Ponch.
Aus der Yacca-Bar hörte man den einzelnen Klavierspieler seine Evergreens üben. Als wir die Straße hinuntergingen, verblaßten
langsam die Evergreens hinter uns und wurden von dem Geschnatter
der Gäste des Straßenrestaurant übertönt. Hier an der Ponch wird erwähnswerter Fisch serviert. Als wir durch den Torbogen des ehemaligen Wehrturms nach links zur Bürgermeisterei einbogen, klang Dixilandjazz durch die Gassen.
Und als wir dann die Stadtkirche passierte, hörten wir getragene Orgelmusik. Die Menschen bewegten sich langsam. Nicht nur im
Bereich der Orgelmusik. St. Tropez hatte heute seine Stimmung. Die
Stimmung einer hellen, warmen Nacht, in der sich Musik und Gerüche, Menschen und Bewegungen, Meer und Hafen sich zu einem Bild
komponierten.
Die Jachten lagen, wie immer Heck voraus, am Kai. Die Laufstege lagen auf der Kaimauer und schabten ein wenig, oder sie bewegten sich in geringem Abstand darüber. In den nach hinten offenen
guten Stuben der Jachten standen riesige Blumensträuße, dekorativ
beleuchtet. Ein schönes Bild, von Schiff zu Schiff wechselnd, immer
den Geschmack des Eigners wiedergebend, aber eben immer Blumen
und Licht. Nachdem wir die Mole abgegangen hatten und dieses Bild
der Menschen, der Geschäftigkeit und der Friedlichkeit gleichzeitig
auf uns hatten wirken lassen, setzten wir uns an den Bouleplatz, vor
das damalige Café des Artes.
Bei solch einem Wetter saß man nicht im Inneren, man saß auf
dem Bouleplatz, sah die Petanquespieler zwischen den Platanen im
Licht vieler hundert Glühbirnen an Lichterketten spielen und sah der
Parade der Schönen zu.
117
»Wäre wirklich zu schade, wenn die ganz nackt herumliefe«,
sagte Dueleen und betrachtete eine doch schon stark angedeutete Rubensfigur, die in etwas engem, schwarzen, schulterfreien und knielangem daherkam. Das Kleid war an den Seiten geschnürt, um sich jeder
Form von Busen oder Po anzupassen. Die Schnürung war links, an der
Seite, vom Busenansatz bis zur Kniehöhe. Die Schnürung zeigte auf
einer Breite von mehr als einer Männerhand die Haut der Trägerin.
Von oben bis unten. Eine Frage nach eventuell vorhandener Unterkleidung brauchte man nicht zu stellen.
Die erübrigte sich auch bei den beiden Freundinnen, die, vermutlich aus Partnerlooküberlegungen eine Art Pyjama, aus Seide und
im Tarnlook gewählt hatten. Solange man auf der richtigen Seite der
Beleuchtung war, hatten wir den vollen Durchblick. Im Moment hielten sich die beiden vor einer großen Bodenleuchte auf, die eine der
Platanen beleuchtete. Wir saßen mehr im Dunkeln und trotzdem
leuchtete uns das Licht.
Das Kaninchen in Rotweinsauce mit Kräutern der Provence
wurde mit Kartoffelpüree gereicht. Wir wählten einen etwas schwereren, aber knochentrockenen Rotwein aus dem Chateau Bandol und
sahen weiter der Show der Promenade zu. Erwähnenswert enge Seidenkleider gingen mit beachtenswert schlanken und auch vollbusigen
Trägerinnen an uns vorbei, manchmal war es aber auch nur ein amerikanischer Bikini, der sich ein großes Seidenschal um die Hüfte gebunden hatte. Dazwischen arbeiteten die Kellner, die Fotografen, die
Blumenverkäufer, der Verkäufer der gebrannten Mandeln und die
Männer der Müllabfuhr.
Eine Gruppe, vier Damen und vier Herren, kam auf den Platz.
Ganz offensichtlich eine Theatergruppe oder so etwas, denn die Damen trugen tiefstdekolletierte Kleider, aber deren Stil war Rokoko.
Also weite, breite, glockenförmige, bis zum Boden gehende Röcke.
118
Die Herren waren in dunkle Anzügen gekleidet, erstaunlicherweise
mit Hut. Die Gruppe ging in das Restaurant des Lices, natürlich auch
unter freiem Himmel, auf dem Bouleplatz. Mit den Röcken war aber
wirklich nicht zwischen die Tische zu kommen. Die vier Damen
schnallten deswegen ihre Röcke vor den Tischen ab und vier Strapsdamen mit schwarzen Strümpfen, kleinem Tanga und typischem Rokokooberteil begaben sich an die Tische.
Die nächste, ziemlich dralle und noch recht junge Dame, die so
aussah, als müßte sie ganz dringend eine Engländerin sein, hatte sich
die kurze blaue Jeans und den schwarzen Büstenhalter nur mit Körperfarbe auf den Leib gemalt, die Feder im Haar schien allerdings echt zu
sein.
Die Dixijazzkapelle hatte uns auf ihrer Runde erreicht. »Wir besuchen mal die englische Villa«, entschied sich Dueleen. »Das ist jetzt
bei diesem Wetter das Beste. «
Die Hinterhöfe in St. Tropez verdienen nicht, so schlecht genannt zu werden. Es sind Innenhöfe, Innenparks oder Innenparadiese.
Nur kommt der Tourist nicht unbedingt in ein solches Paradies. Die
Höfe bilden sich natürlich aus den Häusern, den Mauern zu den Gassen und dem Wunsch der St. Tropezianer, abgeschieden in ihrem Haus
leben zu können. Die Größe der Innengärten wurde wahrscheinlich
von dem Wunsch bestimmt, hier eine ausreichende Menge an Gemüse
geschützt ziehen zu können.
Heute stehen Palmen in den Gärten, Wein rankt am Balkon,
Oleander und Mimosen. Es ist die ganze Pracht der Flora des Mittelmeerraums, die in diesen Gärten lebt. Herangebracht wurden die
Pflanzen aus aller Welt und oft und in Mengen von den Engländern,
die vor einigen hundert Jahren die größte seefahrende Nation waren,
deren Villen oft in die Gegend von Nizza gebaut wurden. An die Cóte
d'Azur eben. Und ein oder zwei englische Villen sind auch in die Gassen und Höfe von St. Tropez gekommen.
119
Man erreichte die englische Villa nur durch die Seitengasse einer Seitengasse. Die beiden Mauern, die die Gasse bildeten, standen
so dicht aneinander, daß ich an einigen Stellen aufpassen mußte, daß
ich mit den Händen nicht gleichzeitig an die rechte und linke Mauer
stieß. Die Tür zum Innenhof der Villa war in einen Bogen gefaßt. Ein
massiver Eisenring hing als Türklopfer daran. Dueleen klopfte mit den
Knöcheln und wir lauschten. Klaviermusik, Tschaikowski, gut interpretiert, sehr gut.
Eine schlanke, junge Dame öffnete uns und bat uns herein. Im
Innenhof die Schönheit eines gepflegten Blumenparadieses, einige
Ratangartenmöbel standen in der Nähe des offenen, großen, beleuchteten Garteneingangs eines Musikzimmers. Die anderen Gänge und
Zimmer waren gedämpft beleuchtet, auf den Tischen im Garten flakkerten kleine Öllämpchen.
Es mußte sich um das Musikzimmer handeln, denn ein großer
Flügel stand in Konzertstellung zum Garten, eine junge Dame saß am
Flügel und schlug jetzt gerade die Noten zu. Denn die letzten Akkorde
waren verklungen und in dem freundlichen Applaus nicht allzuvieler
Hände hatten wir unseren Tisch erreicht.
Die Dame des Hauses begrüßte Dueleen überschwenglich und
mich, nachdem ich vorgestellt wurde, freundlich.
»Ich habe morgen einen schweren Tag, sagt Dueleen zur Gastgeberin, »meine Frau kommt morgen hierher. « Laß doch noch einmal
das Klavierkonzert Nr. 1 spielen, bitte. «
Wir saßen in dem paradiesischen Garten und das Musikzimmer
glich von hier aus einer schönen Bühne, der Flügel dunkel, in einem
hellen Zimmer. Die Dame des Hauses ließ uns allein, ein klein wenig
wurde am Licht geregelt, das Musikzimmer verdunkelt. Der Himmel
über dem Paradies war hell, obwohl keine Sterne zu sehen waren. Es
120
war der Widerschein der unzähligen Lampen und Lämpchen, mit denen die Nacht tropezianisch gemacht wurde.
Mit dem ersten harten Akkord des Klavierkonzerts sprang das
Licht wieder an und die wunderschöne Pianistin mit langem, blondem
Haar, schlank und grazil, spielte unglaublich gekonnt und splitternackt. Natürlich mit hochhackigen Schuhen. Ich kannte langsam Dueleens Geschmack. Um uns war ein Paradies aus Blumen, vor uns die
Versuchung, wie im Paradies. Anfassen wäre wie das Pflücken der
verbotenen Frucht gewesen. Wir saßen und lauschten und wir saßen
mitten in der tropezianischen Nacht. Wir verabschiedeten uns nach
Ende der Aufführung leise und gingen, weitgehend schweigend zum
Wagen zurück.
Auf der Rückfahrt mit dem Kübel, offen wie immer, mußte ich
die immer noch währende Stille doch unterbrechen.
»Ich wußte nicht, daß Sie verheiratet sind«, sagte ich.
»Das weiß kaum einer, dabei sind ist das jetzt fast zwanzig Jahre. Wir haben geheiratet, als ich meine erste Stelle als Versicherungsverkäufer annahm und mein Studium an der Ingenieurschule schmiß.
Ich wollte schließlich meiner Frau etwas bieten. Und das ist mir auch
gelungen. Ich machte dann die Filmfirma auf und meine ersten Filme
drehten wir noch in einer Gaststätte und auf der Straße. War eigentlich
eine schöne Zeit. Als dann das Geld reichte, habe ich das Haus in
Glaubensberg gekauft und eingerichtet. Und dann hat meine Frau
Spaß am Wintersport gefunden. Die ist dann viermal im Monat am
Wochenenden Skilaufen gefahren. Bis ich mal hinfuhr und sie mit so
einem Skilehrer erwischt habe. In flagranti, im Bett, Beine hoch und
auseinander und gestöhnt! «
Man fühlte den Ekel, die Scham, die Wut, die Dueleen jetzt
dachte.
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»Wir leben seitdem getrennt. Sie ist gut versorgt und ich muß
das auch noch einige Jahre tun. Wenn ich sie nicht bei Laune halte,
geht die glatt zum Finanzamt singen. Sie war doch für über fünf Jahre
profroma Geschäftsführerin der GmbH. Vom Geschäft hat sie nicht
viel verstanden, aber genügend Zeit gehabt, eine ganze Menge Unterlagen beiseite zu schaffen. Und ich muß jetzt nett sein, bis das meiste
verjährt ist oder zumindest die Zeugen gestorben. «
Eine Frau hatte ich Dueleen nicht zugetraut und eine solche Geschichte, wie sie jetzt so kurz und knapp rüberkam, auch nicht.
»Dann werden Sie von ihrer Frau erpreßt? « fragte ich.
»Was ist schon Erpressung? Die Welt lebt vom Geben und
Nehmen, in diesem Fall nimmt Sie und ich gebe. «
Er hielt an, um in die Vorfahrtstraße hinein zu blicken, ein paar
Kilometer entfernt blinkte Camarat. Viermal kurz, Pause. Viermal
kurz, Pause.
»Wußten Sie vorher, daß ihre Frau kommt«, fragte ich.
»Nein, nein, die verfolgt mich nur, so gut sie kann. Sie hat heute morgen hier angerufen und will jetzt eine Woche Urlaub hier machen. «
Dueleen steuerte den Wagen jetzt den schmalen Weg rechts
hoch, um zum Haus zu kommen.
»Sie kommt um 17.45 in Nizza an. Wir können um 17.20 ab
Nizza nach Genf fliegen. Wir sind dann in einer dreiviertel Stunde in
meinem Chalet in Vertevalley. «
»Ich bin mit dem Wagen hier, ich kann ... « sagte ich, aber Dueleen unterbrach mich sofort. »Der Wagen geht mit dem Autoreisezug
122
zurück nach Frankfurt. Wird vom Fahrer hier abgeholt, in Frejus auf
den Zug gesetzt. Das ist doch alles kein Problem. «
Am nächsten Tag kam gegen vierzehn Uhr die Putzfrau, die alle
unsere Spuren hinter uns tilgte, um sechzehn Uhr stand ein Taxi aus
Nizza vor der Tür, und ich sah noch einmal kurz vor Ste. Maxime über
den Golf. Drüben lag St. Tropez, der Hafen, die Kirche, die Zitadelle.
Bunte Boote im Hafen und auf dem Golf. Was um alles in der Welt
ließ mein Herz so zusammenkrampfen? Da drüben liegt ein Dorf, das
zur Zeit Touristensaison hat. Wo Reiche, Verrückte und Weiber sich
gegenseitig verfolgen, wo Völlerei und Unzucht zu Hause sind. Was
ist daran schön?
Das Taxi fuhr durch Ste. Maxime, jetzt hatte ich nach rechts nur
noch den Blick auf das freie Mittelmeer. Bis Frejus blieben wir an der
Küste, danach erreichten wir über die Autobahn Nice Airport. Wir
starteten mit der Swissair, noch bevor die Lufthansa gegroundet war.
Und ich fragte mich immer noch, warum St. Tropez soviel anders war
als die ganze Cóte d'Azur. Warum wußte ich nur, daß ich zurückkommen würde?
123
Szene 9, take 1
Der Lehrgang in der Schweiz begann kurz nach dem Auschekken am Airport in Genf. Nicht mehr Taxi, Hubschrauber oder obenohne-Kübel sondern MOB waren angesagt. Ein wunderschöne Eisenbahnstrecke, filigran und doch gewaltig durch die Berge, um die Berge, über die Täler gebaut, führt den Zug immer höher hinauf in ein Tal
zwischen den Freiburger und Berner Alpen. Ein gläsernes Zugrestaurant und damit gleichzeitig Aussichtswagen, bot uns den Blick, der
sonst nur in übertrieben kitschigen Bergfilmen geboten wird. Ein eidgenössischer Schaffner begrüßte Herrn Dueleen persönlich und mit
Namen, kontrollierte danach aber penibel die Fahrkarten, um sie mit
allen guten Wünschen für eine Frau Herblein zurückzugeben.
»Das ist die Zugehfrau für mein Chalet«, erklärte Dueleen mir.
»Ich bin nicht allzu oft in Vertevalley und da muß schon jemand auf
das Chalet aufpassen. «
Der MOB hatte den spektakulärsten Teil seiner Fahrt hinter sich
und fuhr nun gleichmäßig durch ein tiefes Bergtal. Heißluftballons,
ich konnte mehrere auf einer Seite des Zuges sehen, hingen nicht allzu
hoch über der Talsohle und steuerten aus dem enger werdenden Tal
hinaus in die Höhe und Weite der Alpen. Neben dem Bahnhof von
Vertevalley lag die Wiese, auf der Gleitschirmflieger landeten. Ich
beobachtete eine Landung. Verblüffend weich, der Flieger machte aus
der Vorwärtsbewegung eine leichte Steigbewegung, hielt fast in der
Luft an und stand mit beiden Füßen fest auf der Wiese. Der Gleitschirm fiel schlaff hinter ihm zusammen.
Dueleen war, ohne sich um mich zu kümmern, über den Bahnhofsvorplatz gegangen und etwas nach rechts den Berg empor. Der
Dorfkern von Vertevalley schien hier zu liegen. Ein typisch Schweizer
Bergdorf, schon sehr viel Holz in der Architektur, aber auch die an
den Berg geduckte Bauweise. Und überwältigend reinlich gehalten.
124
Ich glaube nicht, daß ich mich getraut hätte, eine Zigarettenkippe auf
der Straße auszutreten. Vorsichtshalber zündete ich keine an.
Dueleens Ziel schien ein Gasthaus, mit dem Namen ›Cheval
blanc‹. Es erwies sich, in einem älteren Bauernhaus eingebaut, als
rustikale, kleine Speisegaststätte mit stabiler Schweizer Innenausstattung und französisch sprechenden Wirtsleuten.
»Wir sind noch auf der Seite der französisch sprechenden
Schweiz«, erklärte Dueleen. Das hier ist eigentlich die Schmuddelkneipe von Vertevalley. Aber ich komme gerne hier her, um Spaghetti
zu essen. Auch der Rotwein ist nicht schlecht. «
In diesem Moment sah ich den vorgeschobenen und den tatsächlichen Grund unseres Besuches im weißen Pferd um die Ecke
kommen. Sie trug eine üppige Portion Spaghetti, und die Tomatensauce darüber ließ die Version ›Bolognaise‹ vermuten, auf einem überdimensionalen Teller vor sich her. Das Rot fiel mir sofort auf. Nicht so
unbedingt das Rot der Sauce, sondern das Rot ihres zweiteiligen Kleides. Die Farbe stimmte bis auf die Nuance. Es erreichte die Farbe der
Sauce exakt. Und es saß eng auf der Trägerin. Das Material konnte
Kaschmir sein, aber nicht allzu dick geschlagen. Leichte Rippstruktur
des Stoffes ermöglichte einen freien Sitz. Und über dem Busen, wo es
sicher ernsthaft gespannt hätte, war das vermeidbare Problem durch
öffnen der Knöpfe gelöst. Um allerdings ernsthafte Entspannung zu
gewährleisten, mußten die Knöpfe bis mindestens eine Handbreit unter den Brüsten geöffnet bleiben.
Der Rock saß gut über einem nicht zu kräftigen Po und die fast
etwas kräftigen, aber sehr eleganten, langen Beine steckten in schwarzen Strümpfen, deren oberer Rand hin und wieder ein wenig unter
dem Rockende hervorblitzte. Sie war groß, wahrscheinlich übertraf sie
das Mannequinmaß um mehr als fünf Zentimeter. Aber das merkte
man erst, wenn Monique vor einem stand.
125
Die Haare waren schwarz, dunkelschwarz. Kräftig, dick, stabil.
Die glatte Langhaarfrisur reichte weit über die Schulter hinab und
schwarze Augenbrauen und eine kräftige, griechische Nase kennzeichneten den Körperteil, auf den kein Mann zuerst geblickt hätte.
Monsieur Dueleen wurde gehörend begrüßt und auf französische Art abgeküßt, wobei sie in verblüffender Weise immer noch die
Portion Spaghetti balancierte. Selbstverständlich setzten wir uns an
einen Fenstertisch, blickten auf die Hauptstraße des Dorfes, auf der so
alle fünf bis zehn Minuten ein Fahrzeug vorbeikam und bestellten das
Gericht, dessen Farbe dem Kleid so nahekam.
Der Rotwein, natürlich Schweizer Produkt mit französischem
Chateaunamen, war wirklich trocken, aber auch wirklich schwer. Ich
wickelte einen zwar nicht verzweifelten, aber auch nicht spritzerlosen
Kampf gegen die Spaghetti, Dueleen bestellte die zweite Flasche
Wein. Monique setzte sich einen kurzen Moment neben Dueleen und
erzählte, daß das ›Weiße Pferd‹ zu dieser Jahreszeit gegen acht geschlossen würde. Dueleen sagte ihr, sie solle anschließend doch mal
auf einen Sprung bei ihm, im Chalet vorbeikommen. Ich verschluckte
mich. Ich beginne wirklich ab einer gewissen Alkoholkonzentration,
wahrscheinlich im Gehirn, doppeldeutig zu denken. Oder eindeutig.
Wir erreichten noch vor zwanzig Uhr das Chalet und ich wurde
kurz in die drei, ineinander an den Hang verschachtelten Geschosse
eingewiesen. Mein Gästezimmer war im obersten Stock, und mein
Blick ging auf der einen Seite nicht nur die Stockwerke, sondern auch
noch ein ganzes Stück Berg bergab, während ich auf der Hangseite
über eine kleinen Bohle problemlos die zwei Pferde erreicht hätte, die
dort im satten Gras standen.
Der handbemalte Bauernschrank sah prächtig aus. Besonders in
diesem rundherum mit Holz vertäfelten kleinen, schnuckeligen Zimmer. Das Bett hatte französisches Maß und die Blumen auf der kleinen
126
Fensterbank waren nicht etwa aus Plastik und Stoff sondern echt, blühend und frisch gegossen.
Ich sortierte den geringen Inhalt meiner Reisetasche in die Fächer des Schrankes und stellte dabei fest, daß ich nur für St. Tropez
ausgerüstet war. Meinen Kleidervorrat schien ich für eine Höhe von
fast eintausendzweihundert Meter doch falsch gewählt zu sein.
Dueleen rief mich von unten. Die Treppe ab- beziehungsweise
aufwärts war keine richtige Wendeltreppe, eine äußerst enge, gewendete Treppe eben, auf deren verschiedene Simsen alpenländische Dekoration, von der Milchkanne bis zum Ochsengeschirr stand, hing,
dekoriert war. Eine Schweizerfahne war neben einigen, doch schon
sehr alten, langläufigen Gewehren drapiert.
Der zweite Stock, in den ich jetzt kam, war die Wohnetage und
hatte einen Kamin an der einen Seite des größten Zimmers, in dem
eine Holzeckbank am Fenster vor dem Balkon die beste Sitzmöglichkeit am Tisch bot. Ein großer Ledersessel vor dem Kamin stand auf
einem echten Eisbärenfell. Die Innenausstattung wie die Wände waren
in leicht rustikalem Holz gehalten, die Dekoration entsprach meiner
Vorstellung der Schweizer Mentalität. Das anschließende Nebenzimmer war ein Büro. Das liebste, kleinste Büro mit allem, was so
notwendig war. Die Einrichtung war in die Möglichkeiten des Hauses
so hineingebaut, wie es sonst vielleicht noch Schiffsbauer in der Kapitainskajüte tun. Zwei weitere Türen mußten zu weiteren Zimmern
führen.
Hier fand ich Dueleen nicht, also wendelte ich mich an einer
großen Kuhhaut entlang ein Stockwerk tiefer, um auf der Ebene eines
weiteren Zimmers und des Eisenbahnzimmers zu stehen. Ein Chalet
ist meist nicht zu verschwenderisch mit dem Platz, und alles was ich
bis jetzt gesehen hatte war vorsichtig, hübsch, fein und angepaßt in
das Haus eingebaut worden. Hier war Platz ausgegeben worden. Eine
Eisenbahnanlage, deren Geländedekoration die Wände hinauf weiter-
127
gezogen war, die mindesten drei sichtbare Stockwerke und darunter
noch eine weitere Ebene umfaßte, empfing mich. Und Dueleen mitten
in dem garagengroßen Raum. Hinter ihm waren um die zwanzig Trafos an den Wänden, Schaltkästen und Weichenstellanlagen. Die Steuereinheit umfaßte meiner schnellen Schätzung nach zehn Quadratmeter.
Dueleen schaltete einige schwere Schalter, rot und laut einrastend auf ›ein‹. Die Beleuchtung der Anlage, die Lichter in den Häuschen, im Bahnbetriebswerk, in den Bahnhöfen gingen an. Die Haltestellenbeleuchtung der Trolleybusse, die als erstes anfuhren, flackerte
kurz, dann waren auch deren Werbeflächen erleuchtet. Ein Mühlrad
begann mit Wasser aus einem Bach, der aus der Wand kam, gespeist
zu werden und die Kirchenglocken begannen zu läuten.
Die erste Lock pfiff, ein erster Zug begab sich auf seine runde
Reise. Signale stellten sich, Züge fuhren ab und hielten. Und aus der
Kelleretage fuhren immer mehr Züge auf die oberen Etagen. Ein Krokodil kletterte eine fast echte Bergstrecke empor und eine zeppelinähnliche, von einem Propeller getriebene Maschine sauste über eine
lange, gerade Strecke.
Ich sah Dueleen inmitten seiner Eisenbahn stehen und, obwohl
ich diesen Vergleich immer gescheut habe, er grinste glücklich wie ein
kleiner Junge vor einem Weihnachtsschaufenster.
»Drei Minuten schon«, sagte Dueleen. »Es ist äußerst schwer,
alles so zu schalten, daß jeder, jeden Zug freigibt oder bremst. Der
volle Umlauf, also bis alles wieder auf seinem Platz steht, soll mal
siebenundzwanzig Minuten dauern, zur Zeit sind wir bei…«
Der Betrieb auf der gesamten Strecke kam fast schlagartig zum
Erliegen. Die Beleuchtung blieb und die Trolleybusse fuhren auf einem Bahnübergang in einen stehengebliebenen Personenzug. Dueleen
blickte auf eine große Eisenbahnuhr an der Stirnseite.
128
»... acht Minuten. War schon ganz gut, muß ich aber noch eine
Menge dran arbeiten. «
Dueleen schaltete roten Schalter für roten Schalter auf Null,
kontrollierte eine Reihe von Weichenschaltern und legte den Haupthebel auf Null.
Ein Kuhglockengeläut ertönte, Dueleen meinte, daß dies seine
Zugehfrau, Frau Herblein sein müsse und bat mich, sie ins Haus zu
lassen, Tür links, dann geradeaus, dann links.
Ich fand eine Tür, die auch von innen wie eine Eingangstür aussah und öffnete. Vor der Tür stand Rosenresi. Nicht, daß ich jetzt eine
Rosenresi kenne, aber Kinderbücher und Heimatfilme haben in mir so
eine Vorstellung geprägt, wie Rosenresi aussehen müsse.
Dirndl natürlich, rotweiß getupft, weißes, fesches Schürzchen,
weiße Kniestrümpfe und eng geschnürtes Mieder, eine Oberteil mit
Puffärmeln und ein rotweißes Kopftuch.
»Grüzi«, sagte sie, »wissen Sie, ich habe nur geläutet, damit sie
nicht erschrecken. Ich habe schon einen eigenen Schlüssel, aber das
wäre den Herren vielleicht nicht recht gewesen. «
Mir wurde klar, daß sie ziemlich sicher aus dem deutschsprechenden Teil von Vertevalley stammte und daß sie das schönste ›ch‹
sprach, das ich bis jetzt gehört hatte.
Dueleen kam, stellte jetzt endgültig vor und Frau Herblein wurde die nächsten zwei Minuten ausgiebig gelobt, daß sie das Haus die
letzten sechs Monate so gut in Schuß gehalten hätte. Dueleen hatte ihr
auch Pralinen aus der Frist der Swissair mitgebracht.
129
Wenn es den Herren recht wäre, würde Sie dann ein kleines
Abendessen richten, meinte Frau Herblein. »Aber bitte für vier Personen, die Monique wird bald kommen«. Das freute die Frau Herblein
ganz furchtbar, daß die Monique auch kam, denn sie hatte sie schon
fast ein halbes Jahr nicht mehr gesehen. Sagte sie.
Monique kuhglockenklingelte etwa zwanzig Minuten später,
Dueleen ließ es sich nicht nehmen, die Treppe hinabzugehen und ihr
die Tür selbst zu öffnen. Er kam wieder ins Kaminzimmer, aber ohne
Monique.
»Ich hab Sie zuerst mal Duschen geschickt, das Mädchen riecht
immer so nach Kneipe«, sagte Dueleen.
»Ich habe auch die Sauna und alles andere schon angeheizt«,
sagt Frau Herblein. »Guter Gedanke«, sagte Dueleen, »kann das Essen
noch warten?
Es konnte, denn Frau Herblein hatte in kluger Voraussicht nur
ein kaltes Buffet vorbereitet, und deshalb entschied sich Dueleen für
einen gemeinsamen Saunagang.
»Gehen Sie schon vor, Frau Herblein und sagen Sie Monique
Bescheid« sagte Dueleen. »Wir kommen gleich nach. - Ach, ja, und
legen Sie für Herrn Nader auch Handtücher heraus. «
»Ja, Herr Dueleen, selbstverständlich. «
Nach fünf Minuten wurde ich, trotz leichter Widerworte, von
Dueleen in die Sauna getrieben. Die Badeanlage befand sich im vierten Stock des Hauses, also im Keller. Ich legte die Kleider ab und
benutzte eine der zwei mit Milchglas umkleideten Duschen im Vorraum, trocknete mich ab und suchte den nächsten Raum, in dem ich
die Sauna erwartete. Sie war auch da, dazu ein unterirdischer Pool.
130
Blau, mit den Motiven des Byblos aus St. Tropez, der Europa, die den
Zeus reitet, den Stier.
Auch eine Ruhezone zwischen hölzerner Sauna und Whirlepool
mit vier futuristischen Liegen sah ich. Und die Rosenresi mit der Monique.
Monique wiederzuerkennen war nicht so schwierig. Das dunkle,
dichte Haar, jetzt unter einem Handtuch zusammengefaßt, wirkte gegen das weiß des Handtuchs noch dunkler. Das Gesicht noch griechischer. Und die Brüste noch dramatischer. Groß war sie, auffällig groß
und das führte zu einem großartig großen Körper. Sportlich mußte sie
auch sein, denn den geformten Leib konnte man kaum ausschließlich
durch Arbeit in einer Kneipe erzielen. Und außerdem mußte sie hier
ein verschwiegenes Plätzchen kennen, denn ihre deutliche Bräunung
war nahtlos. Das schwarze Haar führte aber auch zu einer dichten,
auffällig dunklen Schambehaarung, die wiederum in äußerst kleine
Negerkrausen gelegt war. Ein Tangahöschen hätte sich bei ihr in den
meisten Fällen erübrigt.
Frau Herblein dagegen war, besonders im Gegensatz zu Monique klein. Nicht zu klein aber klein, mit kleinen Brüsten, fast noch wie
bei einem Mädchen, diese Brüste, die erst welche werden wollen. Ihre
Hautfarbe war weiß gegen Monique und ihre Figur hatte eine gewisse,
ganz leichte Männlichkeit. Sportlich durchaus. Der flache Bauch, das
schmale Becken, eine Schönheit so zwischen jugendlichem Körper
und sportlicher Attraktivität. Im Gegensatz zu Monique hatte sie, bis
auf einen zwei Zentimeter breiten Streifen oberhalb der Schamlippen
auf die Körperbehaarung an dieser Stelle verzichtet. Und ihr recht
kurzes, an den Kopf gekämmtes Haar war knallrot.
Ich wählt eine untere Stufe in der Sauna und sah, mir möglichst
keine Gedanken machend, auf die beiden mir gegenüberliegenden
Damen. Die ersten acht Minuten brauchte ich zum warm werden, dann
gab ich noch drei Minuten zu. Die Damen gingen nämlich nach acht
131
Minuten zum duschen und schwimmen und ich wollte nicht, daß sie
bemerkten, wie sehr mich das freute. Die Hitze, der tropfende
Schweiß, die Entspannung halfen mir, die sichtbare Freude zu unterdrücken.
Allzu asketisch nahm Dueleen seine Supersauna nicht, denn
Schwimmbad und Whirlpool waren gut temperiert. Ich wählte tatsächlich, gegen meine sonstige Gewohnheit, eine kleine Abkühlung mit
dem Schlauch.
Als nach verschiedenen Ruhepausen die vierte Runde eingeläutet wurde, verlangte Dueleen nach dem ›Schweizer Aufguß‹. Den
könne nur die Frau Herblein so gut, wurde mir erklärt.
Der Aufguß erwies sich als Aufguß mit einem Zwetschgenschnaps und Mentholöl, der mir mehrere Schwierigkeiten gleichzeitig
machte. Die Augen mußte ich schließen, die Atmung flachstellen. Das
ging noch. Aber jetzt kam ein brennendes Gefühl über die Haut. Eine
Vorstellung von sich wälzen in einem Brennesselfeld machte sich in
mir breit. Der Puls ging hoch, ich merkte das Pochen der Halsschlagadern. Bevor das Gefühl überstark wurde, verließ ich mit fast
geschlossenenen Augen die Sauna.
»Auf keinen Fall ins Wasser, legen Sie sich sofort auf den
Tisch, Monique kümmert sich um Sie. « Das war ein Befehl von Dueleen, sogar mit warnendem Unterton.
Ich fand einen Massagetisch und legte mich flach vornüber. Eine warme Flüssigkeit wurde mir zuerst über den Rücken geschüttet,
dann über die Arme. Leichtes Einmassieren führte zu einem unendlich
guten Gefühl. Ein Hand strich mir jetzt auch mit dieser Flüssigkeit
übers Gesicht und Monique sagte »laß die Augen zu, nicht zupressen,
nur schließen«.
132
Ein Geruch von Zwetschgenschnaps, mild und fein umgab mein
Gesicht. Die Oberschenkel wurden von Hand abgerieben, auch die
Unterschenkel. Das Brennesselbad war vergessen, mehr noch, es war
erwünscht gewesen, um dieses jetzt zu erleben. Ich wurde auf den
Rücken gedreht, und Hals, Brust und Beine wurden weiter verwöhnt.
Ein unheimliches Wärmegefühl stieg in mir auf und ich fühlte so etwas wie Druck in den Lenden. Meine Erregung steigerte sich, aber ich
fühlte nicht das gewohnte Gefühl einer Erregung. Eher hatte ich das
Gefühl, als ob ich in etwas wunderbar Weichem eingebettet sei.
Meine Entspannung traf mich wie ein Hammer. Es gibt wahrscheinlich keine Möglichkeit, einen Vergleich zu ziehen. Aber eins
konnte ich versichern. Mehr an Entspannung war nicht mehr möglich.
Ich stöhnte, bäumte mich auf und öffnete in der Wolke des Zwetschgenschnapsgeruchs die Augen.
Über meinem Schoß sah ich ein schwarzes Kissen, ein sich bewegender schwarzer, kitzelnder Haarberg. Die Haare hingen an meinen Schenkel herab und mit jeder Bewegung lief eine Schauerwelle
durch mich durch. Ich wollte nach dem Kopf greifen, ein schlanker,
nackter Arm kam unter dem Haarberg hervor, drücke mich wieder
sanft auf den Tisch. Der zweite Hammerschlag ließ mich nur noch
liegend zusammenzucken. Dann schlief ich ein.
Als ich geweckt wurde, konnte ich, mühsam mit schlotternden
Beinen und weichen Knien noch die Dusche erreichen und mich etwas
wieder in Form bringen und abtrocknen. Monique sah prächtig aus
und ging splitternackt, wie ich auch, vor mir her die vielen gewendelten Treppen in meine Gästezimmer. Deutlich habe ich noch die langen
Beine, die schlanken Fesseln, den trainierten Po in Erinnerung. Als ich
am nächsten Tag aufwachte, lag ich allein im Bett. Monique war irgendwann in der Nacht gegangen. Ich hatte ihr vermutlich nichts mehr
bieten können.
133
Szene 9, take 2
Der Besuch bei dem Notar in Saanen wurde mir nur kurzfristig
angekündigt. Aber vorher kam Siwi, denn Siwi hatte Vorteile, die nur
wenigen Menschen auf der Welt aufweisen. Er war nämlich Schweizer. Ein ganz echter, mit langem Stammbaum wie ein deutscher Schäferhund. Er war Pilot der Schweizer Luftwaffe, flog aber auch für
private Gesellschaften, er machte Luftfotografie und er war auch Kameramann. Manchmal auch für Dueleen. Weltenbummler war er
überdies, hatte neben seinen weltweiten Kontakten durch die Fliegerei
noch besondere Beziehungen nach Südafrika.
Als er zur Tür hereintrat, fiel mein abschätzender Blick mit seinem zusammen. Er war knapp an die einsneunundsiebzig groß, betonte aber immer die einsachtzig. Er war schlank bis hager, durchaus gut
trainiert, kantiges Gesicht und blondgraue Strapazierhaare, ungefähr
wie eine Kleiderbürste. Der Geschmack schien vom konservativsten
Herrenausstatter der Schweiz geprägt zu sein, denn Kombination,
Hemd und Schlips waren Ton-in-Ton zwischen grau und leichtbraun,
kleinkariert.
Sein Schwizerdütsch war durch hochdeutsche Einflüsse abgemildert und er hatte etwas wäßrige, blaugraue Augen. Er begrüßte
Dueleen überschwenglich und blickte bei jedem zweiten Wort schief
zu mir herüber. Die Andeutung, daß ich zuviel in diesem Raum war,
war überdeutlich. Dueleen ließ sich nicht stören, wir erreichten das
Kaminzimmer und tranken zur Abwechslung mal Kaffee. Nur Siwi
brauchte zur Abrundung einen Cognac. Die Herblein servierte mit
freundlich distanziertem Lächeln und selbstverständlich in anständigster alpenländischer Tracht.
Siwi plagten Reparatur- und Instandhaltungssorgen seines Flugzeugs. Außerdem wären gewisse Verbesserungen und zusätzliche
Einbauten, die unglaubliche Vorteile brächten, notwendig. Nach längerem Zuhören verstand ich eindeutig, daß er für sein Spielzeug Geld
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brauchte und daß das niemals Geld bringen würde, weil alle Unternehmungen nur ihm, seinem Weltenbummel und manchmal seinem
Ansehen diente. Er drehte nämlich nicht nur hin und wieder als Kameramann mit Dueleen einen dann vermutlich profitablen Film, er war
selbst auch Produzent von Kulturfilmen, die im Vorprogramm der
Kinos liefen und eigentlich immer nur Sponsoren brauchten. Allerdings war damit er als Kulturmensch bei einigen Kulturbeflissenen
recht beliebt.
Dueleen sagte ihm zu, daß für die Ausstattung und Instandhaltung des Flieger Geld von der GmbH, damit war eine seiner beiden,
ineinander verschachtelten Filmgesellschaften gemeint, fließen würde.
Allerdings bräuchte er eine Rechnung, so ungefähr über Drehaufwendungen für Film Nummer soundso. Die Nummer würde ihm noch
mitgeteilt. Und selbstverständlich müssen Filmmaterial, Negativ,
fünfunddreißig Millimeter, rüberkommen. Irgendwelche Szenen, die
man gegebenenfalls als Vordreh für einen anderen Film ausgeben
könne. Darauf achten, daß keinen besonderen Merkmale, wie Ort, Zeit
undsoweiter aus der Material ersichtlich seien. Man einigte sich auf
dreihundertneunzig Meter irgendwas aus Afrika, das mit Minen und
Mineralien zu tun hatte und auf dem Preis von neuntausendsiebenhundertsechszig pro Minute. Genau zehntausend wollte man nicht
sagen, das sah zu unehrlich aus, so wie abgesprochen.
Die Meterzahl und den Preis hatte man tatsächlich mit dem Taschenrechner ermittelt, allerdings durch Division. Man wollte nur
wissen, wie die Zahlen lauten, wenn Dueleen einhunterttausend Demärker rüberschiebt. Und zwei weitere Faktoren mußten einkalkuliert
werden, erstens der Unterschied von Demark zu Fränkli und dann
noch der Unterschied zwischen Filmfilm und Fernsehfilm. Der eine
läuft mit vierundzwanzig Bildern pro Minute, der andere mit fünfundzwanzig. Das machte in ersten Fall einen Nachschuß von achtzehntausend, im zweiten von viertausend Demärker notwendig. Nachdem auf
diesem Verhandlungswege, beim Frühstück im Chalet über Verteval-
135
ley, wesentliche Investitionen behandelt waren, kam Dueleen zu seinem kleinen Problem.
Er hatte die Gründung einer Schweizer Aktiengesellschaft
schon weit vorangetrieben. Dazu waren, wie ich jetzt erfuhr, neben
einem Geschäftsziel auch ein Schweizer Staatsbürger notwendig, um
die Seriosität des Unternehmens zu sichern und auch um den Staatsbürgern allgemein ein ordentliches Einkommen zu verschaffen. Dafür
lagen die Steuern, die diese Aktiengesellschaft im Falle eines geschäftlichen Gewinns an die eidgenössische Finanzbehörde abführen
mußte, bei lächerlichen acht Prozent. In Deutschland wäre mehr als
die Hälfte in den unersättlichen Rachen des Finanzamtes gestürzt.
Es hatte also einen Sinn, eine Gesellschaft in der Schweiz zu
gründen, aber was konnte eine Gesellschaft in der Schweiz verkaufen,
das da nicht hergestellt wurde?
»Das Copyright, das ›®‹ , das ist der Hammer«, sagte Dueleen.
»Ich erkläre es Ihnen mal an einem Beispiel. «
Dueleen steckte sich wieder eine seiner Zigaretten aus der gelben Schachtel an, nahm den ersten Zug und fummelte die Zigarette
dann in die Spitze. Ich bemerkte, daß Dueleen wieder kreativ wurde.
Frau Herblein räumte den Frühstückstisch ab und blieb ganz ruhig.
Und auch angezogen. Was ich auf die Anwesenheit eines Schweizers
im Haus zurückführte.
»Also«, sagte Dueleen »nehmen wir einmal an, eine Firma gibt
mir den Auftrag, einen Film zu drehen, wie ein Brief von einem Haus
in ein anderes getragen wird. Habe ich übrigens schon gedreht, war
für die Post, circa vierzig Minuten, allerdings nur sechzehn Millimeter. «
Dueleen konnte einen manchmal wirklich in Verzweiflung stürzen, jede Kleinigkeit wurde ausgebaut und durchleuchtet.
136
»Auf diesem Film ist dann ja ein Haus zu sehen, da kommt ein
Mann raus, der geht in ein anderes Haus. Dann kommt der Abspann,
alle Schauspieler, der Regisseur, der Drehbuchautor, der Produzent
und das Copyright. Und dann: Ende«, sagte Dueleen.
Frau Herblein wurde angewiesen, den Wagen gegen elf Uhr
vorfahren zu lassen und sich noch einmal beim Herrn Notar zu vergewissern, daß die Termin in Ordnung gehe.
»Also, ich liefere der Firma, die den Film bestellt hat, die Kopien, sagen wir mal eine, oder auch hundert, oder auch fünfhundert. Und
wenn die die Kopien in einer anderen Sprache haben wollen, dann
synchronisieren wir den Film. Und ich liefere dem Kunden die Kopie.
Und dafür zahlt er den ausgemachten Kopiepreis. «
Dueleen begann zu dozieren, ich wurde ärgerlich, Siwi hing an
den Lippen des Meisters, er hoffte etwas für sich lernen zu können.
»Natürlich«, sagte Dueleen, »haben die Kunden den Dreh, also
ich meine die gesamte Produktion schon bezahlt, aber sie haben nicht
das Copyright, denn sehen Sie, dieser Film ist mein Kunstwerk, in
dem ein Künstler, der Schauspieler, der ins Haus gelatscht ist, eine
schauspielerische Leistung gebracht hat. Der Verwertung im Rahmen
des Gesamtkunstwerks haben wir zugestimmt. Also der Kunde kann
die Kopien zeigen, wem immer er will. Aber er kann das Kunstwerk
doch nicht zerlegen. «
Ich ahnte, worauf Dueleen abzielte. Siwi schien innerlich erregt
ob solch guter Gedanken. Dueleen nahm den Stummel aus der Spitze
und drückte ihn aus, legte die Spitze Nummer eins zur Seite, nahm
Spitze Nummer zwei und das Ritual des Zigaretteanzündens begann
von neuem.
137
»Wenn man den Film verändert, wird das ein anderer Film.
Wenn wir zum Beispiel ein Szene an den Film ranschneiden, wo innen
im Haus, später, drei nackte Mädchen einen Brief aufreißen und lesen,
dann ist das nicht mehr das Original. Der Schauspieler wird zu Recht
sagen, er sei nie zu einem Bordell mit seinem Brief gegangen, sonst
hätte er die Rolle anderes dargestellt. Der Hausbesitzer, vor dessen
Haus die Briefbotenszene gespielt hat, wird sagen, nie und nimmer sei
er Bordellbesitzer usw. «
Also bleibt das Recht an einem Kunstwerk immer beim Künstler. Und ich bin der Produzent und Regisseur aller meiner Filme. Haben Sie schon mal auf den Abspann geschaut?«
Mir wurde klar, daß der oft lange Abspann Dueleen immer als
Produzent und Regisseur auswies. Er war da recht kreativ gewesen, er
hatte Begriffe wie Regiekameramann und Kameraregie erfunden und
auch die Tonregie. Und wenn nicht selbst erfunden, dann doch zumindest sofort den Wert dieses Wortes erkannt.
»Wenn ich also meine Rechte an den Filmen, und wir sind jetzt
so bei fünfhundertfünfunddreißig, der Schweizer Aktiengesellschaft
übertrage, dann kann meine GmbH nur noch Kopien an ihre Kunden
liefern, wenn die Tantiemen an die AG bezahlt werden. «
Dueleen grinste.
»Und die sind hoch. - Also fällt der Gewinn hier in der Schweiz
an, zu acht Prozent und ohne deutsches Finanzamt«, sagte Dueleen.
Siwi hatte jetzt einen Teil des Vorganges begriffen und versuchte Dueleen aufzuschwätzen, daß er dann ja auch seine Filmrechte
in die AG einbringen könne und so Geld vor dem Finanzamt retten
könne. Dueleen sah Siwi nur mitleidig an:
138
»Ich habe über fünfhundert Filme für die Industrie gemacht, alles potente Kunden, die richtig für ihre Filme gezahlt haben und Du«,
er deutete mit der Zigarettenspitze auf Siwi, »hast brotlose Kunst gemacht. Und Steuern zahlt man nur für Gewinne und Du hast in der
Schweiz sowieso noch nie was gezahlt. «
Ich suchte für mich einen Vergleich, um mir das Verhältnis
zwischen Siwi und Dueleen zu erklären. Er hielt ihn für einen Regenwurm, einen dicken, dummen, schleimigen, kriechenden Regenwurm.
Aber er brauchte ihn, den Wurm. Er mußte an den Angelhaken, damit
Dueleen die Schweizer Societet Anonyme dem Notar aus der Feder
ziehen konnte.
Siwi verließ, um die Toilette aufzusuchen, das Kaminzimmer.
Dueleen beugte sich sofort zu mir herüber und flüsterte mir zu: »Bei
dem muß man aufpassen, der hat sogar schon versucht, Frau Herblein
anzumachen. Der hat extra draußen gewartet, bis sie nach Hause gegangen ist. « Dueleen schüttelte mißbilligend den Kopf. »Und das
hier, in der anständigen Schweiz. «
Dueleens Fahrer hatte den schweren BMW von Deutschland
über die Autobahn und die Bergstraßen nach Vertevalley gebracht und
stand pünktlich und mit leicht grauem Anzug und Fahrermütze vor
dem Chalet. Die Fahrt nach Saanen war in fünfzig Minuten inklusive
aller Umstände, wie einer Lesung durch den Notar, erledigt. Erstaunlicherweise wurde meine Anwesenheit problemlos akzeptiert. Ich saß
neben Dueleen und Siwi, als diese die SA gründeten, der Notar die
Bedingungen vorlas und alles feierlichst unterzeichnet wurde.
Der Freiburger Hof war nach dem Bahnhof in Gstaad, dessen
Bahnhofskiosk der Lieferant der FAZ war, der nächste Anlaufpunkt.
Mit zielgerichteten Schritten ging Dueleen, die Zeitung unter dem
Arm auf den Haupteingang zu, durchquerte die Abteilung der guten
Speisen nach rechts hinten, um an der Theke der Barstube der einzige
Gast zu sein. Siwi folgte eilig, ich sah mir die Speisekarte an der Ein-
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gangstür an. Typisch schweizerisches Essen, die Karte sah richtig gut
aus, es war Mittagszeit. Man konnte die Wahl des Lokals befürworten.
Ich wurde zur Bar durchgewunken. Die Dame hinter dem Tresen entsprach ungefähr Dueleens Zuschnitt. Die Flasche mit Birnenschnaps, von dem Dueleen behauptete, nur hier gäbe es den Birnenschnaps mit diesem Flair, stand schon griffbereit. Man stieß auf die
Gründung des neuen Geschäftes an. Zu viert, die Dame schien jeglichen Widerstand schon im Vorfeld eingestellt zu haben und leerte die
flache Schnapsschale wie alle anderen auf einen Zug. Ich dachte an
mitgefangen, mitgehangen und daß das jetzt eben soweit sei.
»Aber achten Sie auf den Siwi«, tönte Dueleen, »der ist jetzt
auch Firmenbesitzer. Der zahlt alles allein, schreiben sie streng getrennt auf. «
Die Dame der Bar nickte und goß eine Runde Birnenschnaps in
die Schnapsschalen. Ich sah mir die Birne in der Flasche an. Schon
erstaunlich, wie man die Birne in die Flasche bekommt. Nicht den
Schnaps, sondern eine ganze, große, dicke, gesunde Birne.
»Möglichst große Birnen in der Flasche sind wichtig«, sagte
Dueleen. »Das ist wie bei den spanischen Sardinen. Da ist das Öl das
teure, hier der Schnaps. Also viel Fisch, wenig Öl, viel Birne, wenig
Schnaps. «
Dueleen bestand jetzt tatsächlich auf Siwi gegenüber getrennter
Buchführung und nötigte ihm sogar noch eine Runde Birnenschnaps
ab.
So senkte sich dann ein Tag über endlose sieben Stunden Barstehen und dem Genuß von Wiener Würstchen mit Kartoffelsalat, die
Dueleen für die größte lukullische Schöpfung des Hauses ansah, langsam seinem Ende entgegen. Die erstaunliche Dame der Bar hielt mit
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und Dueleen nahm hin und wieder, jetzt schon auf den Tresen gestützt, Maß. Sie lächelte ihm zu, schüttete nach, bonierte das Ganze
und steckte die Zettel zu Dueleens Stapel.
Der Fahrer wurde gegen sieben Uhr gerufen und führte einen
schwer gehenden Dueleen zum Wagen. Beim Verlassen der Bar, sah
ich, wie gerade das Schild ›geschlossene Gesellschaft‹ abgehängt wurde. Mir fiel jetzt auf, daß wir über all die Stunden allein die Bar
genutzt hatten.
Sehr mildes Wetter hatte sich jetzt auch in Gstaad und Vertevalley durchgesetzt. Dueleen bestand darauf, Siwi zurück nach Genf zu
fahren und schlief alsbald im Fond des Wagens ein. Gegen halb zehn
erreichten wir wieder Vertevalley und Dueleen zeigte sich ausgeschlafen und zu allen Dummheiten bereit. Im Chalet brachten wir uns wieder ein wenig auf Vordermann und setzten uns dann auf den Balkon
vor dem Kaminzimmer.
Sonnenuntergang war hier, der hohen Berge wegen, schon
längst vorbei und aus der sehr warmer Nacht kamen langsam die Sterne hervor. Das Dorf selbst warf wenig Licht und die Umrisse der Berge zeichneten sich immer noch scharf in den dunkler werdenden
Himmel. Ein Heißluftballon startete in einem Kilometer Entfernung.
Die Flammen seines Gasbrenners beleuchteten die bunte Hülle flakkernd von innen. Er stieg deutlich. Nach einigen Minuten war er zu
einem UFO am Himmel, dann zu einem Stern unter Sternen geworden.
Es war noch eine halbe Stunde vor Mitternacht, als ein Taxi
vorfuhr. Offensichtlich öffnete Frau Herblein, obwohl ich sie bis jetzt
nicht im Haus bemerkt hatte, die Tür. Dueleen nahm eine Art Ruhestellung in seinem Balkonsessel ein und blickte durch die große
Scheibe nach innen in das Kaminzimmer.
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Der Besucher, der ganz offensichtlich eine Besucherin war,
wurde von Frau Herblein ins Kaminzimmer geführt. Als die Beleuchtung aufflammte, erkannte ich die Bardame aus dem Freiburger Hof.
Sie trug jetzt ein langes Leinenkleid, glatt und nicht zu eng geschnitten, dafür seitlich bis zur Taille geschlitzt. Die blonden, halblangen
Haare trug sie jetzt offen und das Make-up war jetzt mehr auf Nachtbetrieb umgestellt. Sie kannte Frau Herblein offensichtlich gut, denn
die beiden schienen sich prächtig zu unterhalten und auch einige
Scherze auszutauschen. Die Dreifachverglasung der Balkonpanoramscheibe verhinderte allerdings jedes Zuhören. Wie ein Stummfilm lief
vor uns im vorteilhaft beleuchteten Zimmer ein Film ab. Wir saßen in
den dunklen Rängen auf dem Balkon.
»Balkon«, sagte Dueleen mit doch gedämpfter Stimme, »Balkon ist immer der beste Platz im Kino. « Er mußte es wissen. War
schließlich sein Beruf.
»Nachtraubtier mit sieben Buchstaben?« Ich flüsterte Dueleen
ins Ohr. Er sah mich erstaunt an. »Eule?« fragte Dueleen.
»Bardame«, wisperte ich zurück. Die folgenden Zuckungen,
gepaart mit Geräuschen, wie sie Lokomotiven beim Dampfablassen
machen, zeigten mir, daß zum ersten Mal einer meiner Witze getroffen
hatte.
Die Eule, hinter der Scheibe, hörte und sah von all dem nichts.
Sie war auch zu sehr damit beschäftigt, Frau Herblein das kleine, weiße Häubchen aus dem Haar zu lösen, das mutmaßlich ihre Stellung als
Hausdame bestätigen sollte.
Die Eule streichelte jetzt das Gesicht der Frau Herblein und
auch deren Arme. Hin und wieder küßte sie sie leicht, mal auf die
Stirn, mal auf die Wange. Jetzt auf den Mund.
142
Frau Herblein wurde umgedreht und mit geschickten Fingern
die Schnürung des Trachtenmieders aufgehoben. Brav stieg Frau
Herblein auch aus dem Rock. Trotz der recht guten Wärme trug sie
noch den zum Trachtenrock gehörigen weißen Unterrock und die
Trachtenbluse.
Dueleen hatte eine Zigarette in der Hand, eine Zigarettenspitze
zwischen den Lippen und das Dupont in der Hand. Er suchte eine
Möglichkeit, sich Feuer zu geben, ohne durch das Licht aufzufallen.
Er flüsterte mir ins Ohr: »Das hab' ich auch noch nicht gesehen, das ist
auch mir neu. «
Die Eule hatte in der Zwischenzeit Gläser und Whisky auf den
Kaminsims gestellt und bot der Frau Herblein jetzt eine kräftigen
Schluck an. Dann faßte sie ihr ungeniert mit beiden Händen unter die
Bluse. Frau Herblein streckte beide Arme hoch, räkelte sich stehend
unter den Händen der Eule und goß dabei das fast volle Glas Whisky,
halb aus Versehen, über sich und die Eule. Zwangsläufig erschraken
beide Damen ein wenig, und die eine war der anderen beim Ablegen
des jeweils benetzten Kleidungsstücks behilflich. Bei der Eule war
dies das Kleid, auf weiteres hatte sie verzichtet, bei Frau Herblein
immerhin noch Unterrock und Bluse, obwohl auch sie weitere Kleidungsstücke nicht für notwendig gehalten hatte.
Lachend verrieben sie die letzten Tropfen Whisky auf dem Körper, die Eule leckte mit spitzer Zunge die Brustwarze der anderen.
Dueleen wandte sich aus seinem Balkonsitz mir zu. »Wenn jetzt
noch die Monique kommt, haben wir schwarz, rot, gold« sagte Dueleen. War richtig beobachtet, rot die Herblein, goldblond die Eule und
Monique kannte ich schon als rabenschwarz.
Die Eule saß jetzt auf dem Sessel vor dem Kamin, hatte die
Hände hochgereckt und die Beine gespreizt, soweit der Sessel das
143
zuließ. Die Herblein kniete zwischen ihren Schenkeln und hatte den
Kopf tief in deren Schoß gedrückt.
»Da sage keiner was gegen die Frauenbewegung«, sagte Dueleen, »wenn sie nur rhythmisch ist. «
Spitze Schreie drangen jetzt selbst durch gut isolierendes Glas.
Dann sanken der Eule die Arme herab und Frau Herblein wälzte sich
zuckend auf dem Eisbärenfell. Langsam schlief die Szene ein.
Dueleen stand auf, schob die Glastür rechts von ihm zur Seite
und sagte »guten Abend die Damen. «
»Ach, Werner«, sagte die Eule »ich wollte nur mal fragen, wie's
Dir geht, habe Dich ja ein halbes Jahr nicht mehr gesehen. «
Dabei drehte Sie sich ein wenig im Sessel um, ohne allerdings
die Beine auch nur einen Hauch zusammenzunehmen. »Und Frau
Herblein habe ich mindestens gleich lange nicht gesehen. Ist das Dein
junger Freund?« Sie deutete auf mich. »Den will ich auch mal vernaschen, aber heute Abend bist Du dran. Komm wir gehen. «
Sprach's, stand auf, nahm ihr Kleid über den Arm und Werner
an die Hand und verließ das Zimmer. Allerdings drehte sie sich noch
einmal in der Tür zu mir um, faßte mit der rechten Hand unter ihre
rechte Brust und zeigte damit, auch durch vorschieben der Schulter
auf mich. Dabei leichtes Zwinkern mit dem Auge.
»Geil«, murmelte ich. »Ja, das kann sie gut«, sagte eine nackte
Frau Herblein hinter mir. »Haben Sie sonst noch einen Wunsch?«
144
Szene 9, take 3
Die Briefmarkensammlung wurde am Vormittag von einem
kleinen weißen Kombi mit drei Uniformierten als Besatzung gebracht.
Der Kombi fuhr vor, rangierte mit der Heckklappe in die Nähe der
Haustür. Der Beifahrer stieg aus, ging einige Schritt nach rechts und
stellte sich so an die Einfahrt, daß er das Chalet nach zwei Seiten
überblicken konnte. Der zweite Mann stieg aus, sicherte das Fahrzeug
von vorne und der dritte klingelte an der Kuhglockenklingel. Der trug
dann auch circa fünfzehn großformatige, dicke Alben die in passenden
Blechkästen steckten, ins Haus und ins Büro. Danach verabschiedeten
sich die Uniformierten herzlich von Dueleen und der verschwand in
seinem Büro. Gegen elf brachte ein Taxi die Amsel und beim Mittagstisch wurde mir erklärt, daß diese Sammlung noch einmal frisch bewertet werden müsse, für die Versicherung, aber auch für einen eventuellen Tausch von doppelt vorhandenen.
Dueleen sammelte ausschließlich das Gebiet Deutschland und,
so weit möglich, hatte er die Briefmarken nicht einzeln, sondern im
Bogen. Er betrachtete seine Sammlung als praktisch abgeschlossen
und war der Ansicht, daß es eigentlich nur sieben komplette Sammlungen überhaupt geben könne. Praktisch abgeschlossen nannte er
seine Sammlung aber nur, weil ihm das Veneta-Provisorium fehlte.
Und zwar nicht das einfache, sondern das doppelte.
Irgendwann einmal hatte ein Dampfer namens Veneta, der unter
deutscher Flagge fuhr, auch eine Poststelle an Bord. Der Postmeister
allerdings hatte sich mit einer Marke zu wenig eingedeckt, so daß die
Briefmarken drohten, auszugehen. Deshalb schnitt er die Briefmarken
in der Mitte durch, verkaufte jede halbe zum vollen Preis und ließ
damit die Briefe frankieren. Auch von diesen Briefen gab es nur noch
ein paar auf der Welt, aber es gab eine darüber hinaus gehende Besonderheit. Ein Passagier wollte nämlich einen Einschreibebrief aufgeben
und der war doppelt so teuer. Deswegen wurden auf diesen Brief zwei
145
halbe Briefmarken geklebt. Und dieses doppelte Provisorium fehlte
zur Vollständigkeit der Sammlung.
Frau Herblein servierte mit gelassener Ruhe und die Amsel berichtete bei Tisch über die wenigen wichtigen Schreiben der letzten
zwei Urlaubswochen, in denen wir uns ja noch immer befanden. Darabolenski hatte wieder neue Ideen entwickelt und die Verbandsvorsitzende des von ihm gegründeten Videovereins hatte neue Verbreitungsgebiete gefunden. Allerdings war das zur Besprechung notwendige Geschäftsessen erst in drei Wochen zu terminieren gewesen.
Nur, und jetzt wurde ich hellhörig, Dr. Ast hatte angerufen und
Besprechungsbedarf angemeldet. Er sei in zwei Tagen rein zufällig in
St. Tropez und würde versuchen, Herrn Dueleen zu treffen. Verschiedene Unterlagen hätte er der Frau Amsel schon zugeschickt.
Dueleen blickte etwas verärgert die Amsel an. »Was für Unterlagen, der kriegt doch seine zehn Prozent und hat sonst mit der Sache
nichts zu tun«, sagte Dueleen.
Bis jetzt hatte ich viel Offenheit, besonders von den Damen um
Dueleen herum, erfahren, aber daß mein Chef ohne weitere Vorsichtsmaßnahmen direkt der Bestechlichkeit geziehen wurde, schockte
mich doch für einen Moment. Ich versuchte mich still wie ein Mäuschen auf den Rest meiner Vanillenachspeise zu konzentrieren, aber
Dueleen hatte ganz offensichtlich den Moment als geeignet angesehen, sich bei mir über meinen Chef und Geschäftsleitungsmitglied
auszulassen.
»Wissen Sie«, sprach Dueleen mich direkt an, »der stört eigentlich mehr, als das er nützt. Aber durch seine Kontakte hat der überall
die Finger drin. Der geht hintenrum an Darabolenski rann, genauso
wie an Harald Weisstadt. Der Harald Weisstadt ist zwar mein Freund
und wirklich der einzige Chef in seiner Firma, aber im Verband kann
der Ast immer noch Stunk machen. «
146
Die Amsel machte einige Notizen in einen recht großen Terminplaner. »Wenn wir Ihn für morgen nach St. Tropez ins Haus einladen, dann können wir am Donnerstag wieder unsere Ruhe haben. Bitte
doch einfach Herrn Nader, das Boot für Dich in Porto Torres abzuholen, dann haben wir wirklich noch ein paar Tage Urlaub. «
Dueleen kniff ein wenig die Augen zusammen und entschied:
»Die Briefmarken kommen morgen um neun wieder ins Fach
nach Saanen, sag' bitte der Bank Bescheid, daß alles abgeholt wird.
Meine Frau wird vom Fahrer um siebzehn Uhr pünktlich im Haus
abgeholt und zum Flughafen gebracht. Reserviere sofort den Flug
nach Genf für sie. Wir fliegen mit der Maschine achtzehndreißig nach
Nizza. Reservieren undsoweiter, klar. Die Mouland kann das Haus in
St. Tropez bis zwanzig Uhr gereinigt haben. Auch o. k.. Den Herrn
Nader schicken wir heute mit der Alitalia nach Cagliari. Morgen kann
er dann die zweihundert Kilometer nach Porto Torres mit dem Taxi
abreißen. Dann ist er am Donnerstag spätestens abends auch in St.
Tropez. «
Dueleen sah in den Terminkalender der Amsel. »Der Ast kann
dann um acht Uhr am Dienstagabend kommen. Ruf ihn sofort an. Und
sag sofort dazu, daß ich am Donnerstag einen wichtigen Termin habe
und gegen Mittag abfliegen muß. «
Frau Herblein räumte den Tisch frei, fegte behutsam noch einige Krümmel in eine silberne Tischschaufel und fragte: »Soll ich das
Haus dann wieder abschließen?«
»Ja«, sagte Dueleen, »ich melde mich wieder vorher, wenn ich
komme. «
»Das hat das letzte Mal ein halbes Jahr gedauert«, sagte Frau
Herblein. Ein leichter Vorwurf schwang in der Stimme mit.
147
Die Amsel hatte sich das Telefon gegriffen, während ich versuchte, das Gehörte, zumindest soweit es mich betraf, zu sortieren.
»Hallo, Dr. Ast«, flötete die Amsel, »ich freue mich ja so, daß
ich mit Ihnen sprechen kann. « Die telefonische Entgegnung konnten
wir natürlich nicht hören. »So lange haben wir schon nicht mehr zusammen gesprochen«, die Amsel verzog das Gesicht zu einer Mine,
die andeutete, daß sie sich gerade beim toilettenreinigen wähnte. »Ja,
am besten ist es, Sie kommen doch mit dem Wagen, wenn sie gegen
acht Uhr am Haus sind. « Wieder eine unhörbare Entgegnung. »Wir
erwarten Sie. Aber ich komme erst gegen acht, vorher muß ich noch
ein paar Kleinigkeiten besorgen. Was man als Frau so braucht, um
sich schön zu machen. « - »Ja, auch wegen der Sonne«. - »Nein, ich
kriege bestimmt keine weißen Streifen. « - »Nein wirklich, keine Süßigkeiten mitbringen«, sie machte mit dem rechten Zeigefinger eine
kreisförmige Bewegung an der Stirn, »ich bin schon, wie sagen Sie,
prächtig genug gebaut. « - »Ja, auf Wiederhören und ich freue mich
auf morgen Abend. «
Sie machte ein Gesicht, wie nach dem Genuß einer ganzen, unreifen Zitrone. »Der Kerl ist mir fast widerlich. Ich mag sowieso die
kleinen, schwarzen Typen nicht. Und ein Fummler ist der auch. «
»Der Herr Nader bekommt dann den Vertrag über das Boot und
ich rufe noch den Augustini bei Aquamarina an, damit sie das Boot
fertig machen und dem Herrn Nader auch geben. «
Langsam verstand ich. Der bisherige Aquamarina war Dueleen
offensichtlich zu alt geworden, ein neuer war bestellt und ich sollte
ihn abholen. Jetzt mußte ich mir nur noch klarmachen, daß Cagliari
auf Sardinien lag und ich vermutete zurecht dann Porto Torres ebenfalls auf der italienischen Insel.
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Die Zeit drängte, mein Bordcase war gepackt und mit der Ausstattung für St. Tropez, die ich zuerst geplant hatte, lag ich jetzt ja
wieder richtig. Der Fahrer stand vor der Tür und zeigte eindeutig auf
die Armbanduhr. Ich verabschiedete mich durch winken von Dueleen
und der Amsel, nur als ich mich von Frau Herblein verabschiedete,
wollte ich ihr doch ein wenig Zuneigung zeigen. Sie verabschiedete
mich mit einem formvollendeten Knicks und wünschte mir gute Reise.
Ihr Gesichtsausdruck war der sparsame der gehorsamen Untergebenen. Der Fahrer erzählte mir auf dem Weg nach Genf, den er unglaublich zu schnell fuhr, daß Frau Herblein ein dummes Huhn sei. Er hätte
es schon ein paarmal bei ihr versucht. Aber sie sei wohl zu prüde, wie
alle hier in der Schweiz.
Am Airport Geneve erwischte mich Dueleen noch am Telefon
des Alitalia Schalters. Zwei Mitteilungen waren ihm noch wichtig.
Erstens freute er sich sehr darauf, einen Abend mit seinen Briefmarken alleine zu sein, und ich hätte davon ja doch keine Ahnung. Ich
konnte bestätigen. Und zweitens sollte ich doch bitte Marita mitnehmen. Er hätte ihr die Fahrt mit dem Boot versprochen. Sie sei zwar
Schweizerin, hätte aber einen Bootsführerschein und dann würde die
Fahrt hoffentlich nicht so langweilig.
Marita stand neben dem Alitalia Schalter und schaute mir zu,
als ich mich nach ihr umsah. Sie wartete geduldig, bis ich mir erklären
ließ, wie man hier in Genf jemanden ausrufen lassen könne und tippte
mir dann auf die Schulter.
Diesmal wäre ich nicht sofort auf die Idee gekommen, daß diese
junge Dame zu Dueleens Gefolgschaft gehörte. Sie war knabenhaft
schlank, aber nicht klein. Kurzes, unauffälliges mittelblondes Haar.
Weiße, lange Seglerhose, T-Shirt und weiße Windjacke. Ihr Gepäck
schien aus einem Seesack zu bestehen, der, zumindest dem äußeren
Eindruck nach, schon viel auf dieser Welt erlebt hatte.
149
»Marita Erni«, sagte sie mit der Stimme, die sonst nur aus den
Flughafenlautsprechern klingt. »Sie müssen Herr Nader sein, Herr
Dueleen hat mir schon viel über sie erzählt. «
Das war mir jetzt schon ein paar Mal aufgefallen. Fast jeder
oder jede, der ich vorgestellt wurde, hatte von Dueleen schon von mir
gehört. Oft schob ich das als reine Rhetorik beiseite, diesmal aber
nahm ich mir vor, dies alles zu hinterfragen.
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Szene 10, take 1
Da noch einige Zeit bis zu unserem Abflug war, wir die Bordkarten schon in der Tasche hatten und unser Gepäck schon eingecheckt war, konnten wir uns der Kunst des Moevenpiek Restaurants
im Flughafen zu Genf hingeben.
Marita war Mathematikerin, richtig ausgebildet an der Universität und hatte sich, schon zu dieser Zeit, auf die Computer geworfen.
Fröhlich, wie ein kleines Mädchen, schilderte sie die Möglichkeiten
eines weltweiten Datenaustausches, das Beschaffen von Rechnerkapazität in fremden Rechnern oder auch Ländern. Die Entwicklung neuerer, kleiner und demnächst auf jedem Tisch stehender persönlicher
Computer.
Sie hatte einen tollen Job bei Vielstadt Computers als Systemprogrammiererin und Dueleen hatte sie kennengelernt, als sie für
Harald Vielstadt persönlich dessen Eisenbahnanlage auf Computersteuerung umbauen half. Zu Harald Vielstadt hatte sie auch einen persönlichen Draht, hatte sich aber von der Geschäftsleitungsebene nicht
einfangen lassen sondern wollte lieber in der Forschung und dort in
der Entwicklungsprogrammierung tätig sein.
Dueleens Eisenbahnanlage in Vertevalley kannte sie ebenfalls,
Harald Vielstadt wollte Dueleen eigentlich die Umstellung auf Computersteuererung schenken, Dueleen lehnte allerdings ab. Dafür, so
erfuhr ich, habe er kofferraumweise Kabel aus dem Werk abholen
lassen, die er alle von Hand und selbst in seine Eisenbahn verlötet
habe.
Und Frau Herblein kannte sie auch. Sie hatte sie wirklich lieb
gewonnen. Frau Herblein hatte sie mehrmals mit auf eine Alm genommen, wo Marita dann die Nähe von Kühen und echtem Käse erleben durfte. Wie viele Ebenen hat das Herz einer Frau? Wie viele Tarnungen hat eine Frau? Ist das Versteckspiel erzwungen oder gewollt,
151
gehört das Spiel zum Spiel? Ich schreckte aus den Gedanken hoch und
folgte den Erklärungen über die Stacks, die beim Speichern nach dem
Prinzip first-in, first-out benutzt werden. Es war einfach zu verstehen,
es funktionierte wie in der First. Als letzter rein, dann als Erster raus.
Und nach einem kurzen, teueren Happen im Flughafenrestaurant kam ich zur Erkenntnis, daß es die Kunst dieses Restaurants war,
seinen Namen zu behalten. Marita fand, daß ihre Kantine nicht viel
besser sei. Aber dort täte man wenigsten was, um zu Verbesserungen
zu kommen.
Der Flieger entsprach meinen schlimmsten Erwartungen, landete dennoch nach etwas weniger als zwei Stunden in Cagliari und selbst
unser Gepäck war mitgekommen. Trotzdem hatte ich mit dem bekannten Spruch: »Fliegen ist zu schön, Frühstück in Frankfurt, Mittagessen
in New York und Gepäck in Hongkong« etwas Besorgnis bei Marita
ausgelöst.
Die Konstruktion von Flugplätzen, Businesshotels und Verbindungswegen ist eigentlich überall auf der Welt gleich. Steht auf dem
Schild des Hotels ›Sheraton' so wird die Kofferablage rechts, die Dusche links sein. Steht ›Interconti‹ drauf, so befindet sich die Bar im
Erdgeschoß rechts und sollte ›Ramada‹ draufstehen, findet man keine
Schränke im Zimmer.
Wir fanden im Forte Agip Unterkunft. Der Hund ist auch von
deutschen Tankstellen bekannt und das Badezimmer befindet sich
rechts. Wir entfernten uns in der mir unbekannten Großstadt nicht
allzu weit vom Hotel, fanden aber eine Taberna, deren Wein uns mit
einer lauten, betriebsamen Großstadt wieder versöhnte. Rechtzeitig
trennten sich unsere Wege auf dem Flur, die Dame rechts, der Herr
links. Ich sah noch eine wenig italienisches Hotelfernsehen und wurde
abrupt von Telefon geweckt, das mir in freundlichem italienisch irgendwas verkündete. Ich beschloß, dies als Weckanruf zu nehmen.
152
Das Frühstück, die Taxifahrt nach Porto Torres, alles sehr interessant. Hoch über das Wasser aufragende Berge, grün bewaldet, teilweise nur noch der Fels. Eine neue Autobahn und ein Fahrer, der über
mehr als zwei Stunden versuchte, uns italienisch beizubringen.
Manchmal sang er auch nur.
Auch wenig erwähnenswert die Verhandlungen mit dem Werftmann, der irgendwelche Papiere zusätzlich haben wollte, oder doch
zumindest eine Zahlung. Bar in die Hand, für ihn. Auch nur am Rande
interessant ist die fast eine Stunde kostende Suche nach einer
Buchhandlung oder einem Shipchandler, der mir eine Seekarte der
Gegend und noch wichtiger, eine Seekarte der Gegend um St. Tropez
verkaufen konnte.
Nachdem ich einen Packen Papier, bestehend aus EigentumsZoll- und Versicherungspapieren und einen nagelneuen Aquamarina
übernommen hatte, legte ich die Fahrzeit mit fünfzehn Stunden fest
und errechnete einen Spritbedarf von vierhundertundachtzig Litern
besten Supertreibstoffs. Das entsprach der exakten Tankgröße des
Fahrzeugs. Damals war es noch nicht üblich, weil technisch auch unmöglich, sich eine Wettervorhersage zu holen. Dafür genügte ein
Blick an den Himmel und das Vertrauen auf Neptuns Gnade.
Marita besorgte noch ein großes Handtuch, das eigentlich immer zur Hotelausstattung gehört, aber auf einem neuen Boot natürlich
nicht zu finden ist. Ich kaufte in einem kleinen Tante-Emma-Laden
Verpflegung, also Brot, Schinken, Käse, Wein und Wasser für die
nächsten vierundzwanzig Stunden ein.
Gegen achtzehn Uhr steuerte ich das Boot, das noch keinen
Namen trug, aus dem Hafen und fuhr die nächsten fünfundzwanzig
Meilen und damit die nächsten zwei Stunden mit Kurs nullfünf, dann
hatten wir die Insula Asinara passiert und schwenkten auf Kurs St.
Tropez. Der Kurs lag an bei dreihundertdreiunddreißig. Einfach zu
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merken, St. Tropez und Schnapszahl gehörten zusammen. Wir tauften
dreihundertdreiunddreißig zur Champagnerzahl um.
Wir setzten Positionslichter. Das hört sich jetzt wirklich gewaltig an, man legt einfach einen Schalter um, und schon stimmt alles.
Hoffentlich zumindest. Ich reduzierte die Fahrt auf um die neun Knoten, was der Bequemlichkeit bei leichtem Wellengang diente und außerdem Sprit sparte. Denn ich wollte nicht unbedingt mit dem letzten
Tropfen Sprit den Hafen sehen, dann aber das letzte Stück paddeln
dürfen. Ein Paddel war an Bord.
Als es langsam dunkler wurde, wir unser frugales Mahl abwechseln am Steuer sitzend eingenommen hatten und heller Mondschein eine romantische Nachtfahrt versprach, setzte sich Marita zu
mir auf die Steuerbank.
»Was erzählt denn Dueleen so von mir«, fing ich den Gesprächsfaden unseres Kennenlernens wieder auf.
»Ich glaube, es ist der Naturwissenschaftler, der ihn reizt. Er hat
es, aus seiner Sicht, leider, nie geschafft, sich darin einzuarbeiten. Und
Du bist eben für Ihn einer dieser Leute, die verstehen, warum die Welt
funktioniert. Ärzte und Pädagogen, Juristen oder Theologen gar kennt
er genug. Die verdienen ihr Geld mit verbesserten Medizinmannstänzen. Und wenn die Mediziner auch die der Realität am nähesten stehenden sind, so sind sie doch die geldgierigsten. «
Nun, immerhin waren wir beim Du angekommen, ohne daß ich
erwähnen mußte, daß ich der Ältere war. »Und wie ist Deine Beziehung zu Werner«, versuchte ich das Gespräch jetzt auf sie zu lenken.
»Nein, nein, wir duzen uns nicht. Herr Dueleen ist ein viel zu
vornehmer, feiner Herr, als daß ich mich trauen würde, ihn zu duzen.
Nur weil Herr Vielstadt mir den Urlaub empfohlen hat, habe ich mich
getraut, das Angebot anzunehmen. «
154
Ich fragte nach dem Risiko, das sie einginge, bei einem dann
doch recht fremden Menschen Urlaub zu machen. Ich erfuhr, daß sie
schon mehrfach in Freiburg-Glaubensberg und in Vertevalley gewesen war, um mit Herrn Harald Vielstadt die Eisenbahnanlagen zu begutachten und daß die beiden Herren so honorig seinen, daß eine Frau
sich da absolut sicher fühlen könne. Ich wunderte mich über die Vielschichtigkeit des Lebens.
»Und außerdem«, fuhr mich Marita fast an, »muß auch eine
Frau mal ihre Erfahrungen machen und nicht nur ein Junge. «
Es war fast genau zwölf Uhr geworden, als wir ungefähr die
Hälfte unseres Seeweges hinter uns gebracht hatten. Nach meiner Navigation standen wir achtundsiebzig Meilen vor St. Tropez und bei der
Fahrt war eine Landsichtung nicht vor sieben Uhr zu erwarten. Ich
übergab Marita die Wache und legte mich für zwei Stunden in die
Kajüte. Als ich um zwei das Ruder übernehmen wollte, blieb Marita
sitzen. So fuhren wir, nebeneinander auf den weißen Ledersitzen sitzend und eine leichte Decke über den Schultern, aneinander gelehnt
durch eine Sommernacht mit Kurs dreidreidrei. Am Horizont erschien
manchmal das Positionslicht eines Schiffes, hinter uns war klar der
Schwan, der die Milchstraße hinabsegelte zu sehen, über uns Vega
und rechts vor uns der Polarstern umkreist von großem Wagen und
Cassiopeia.
Als die Sterne langsam verblaßten, sahen wir voraus zum ersten
Mal wieder ein Leuchtfeuer. Ohne Glas war es etwas schwer auszumachen, aber je näher wir kamen, um so sichererer wurde ich mir:
blink, blink, blink, blink, Pause. Das war Cap Camarat, wir hatten auf
die Strecke von einhundertdreiundreißig Meilen auf weniger als drei
Meilen genau getroffen. Und dann noch die Bucht von Pampelonne.
Gegen sieben erreichten wir den Strand, warfen Anker mit langer Kette und Tau und schwammen an Land. Dann gingen wir zum Senequier
Café au lait-trinken und aßen Hörnchen mit Marmelade.
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Dueleens namenloses und von ihm heiß erwartetes Boot dümpelte derweil am Strand und wir legten uns in die langsam wärmer
werdende Sonne und schliefen erst einmal ein paar Stunden. Der Privat plage hatte in diesem Jahr einen neuen Besitzer bekommen, Alain.
Der Strand hieß bisher ebenfalls Senequier, jetzt dann Multinsula.
Die Farbe war orange geworden, die Matelas und die Sonnenschirme und der neue Privat plage leuchteten im Sand wie ein Schmetterling in einer grünen Wiese.
Nach einem halben, frisch aus dem kochenden Wasser kommenden Hummer fuhren wir den Aquamarina mit voller Fahrt durch
den Golf und legten ihn an die Pier des Nouvelle Port.
Marita hatte ein Zimmer in der Eremitage, unterhalb der Zitadelle, oberhalb des Bouleplatzes. Sie war erst auf Samstag mit Dueleen verabredet und wollte auf keinen Fall vorher stören. Ich sah das
ein, überließ sie dem schönen, selbstgewählten Schicksal, die Cóte
d'Azur von St. Tropez aus zu erobern. Ein freundlicher Autofahrer
nahm mich die fünf Kilometer in Richtung Dueleen mit und ich stand
wieder vor dem Sommervilla, dessen Vordach die Aufschrift »Chez
Werner« tragen sollte.
Ich klopfte, wurde von Dueleen selbst eingelassen und fand
plötzlich Innenhof und Haus unfreundlich oder auch nur falsch beleuchtet. Die Amsel saß am Tisch und hatte den Kopf auf die Hände
gestützt. Es sah fast so aus, als hätte sie geheult. Der Aschenbecher
vor ihr war mit einigen Stummeln gefüllt. Ein Zustand, den Dueleen
nie geduldet hätte.
Sie trug ein normales, sehr normales Kleid und darüber ein
Strickjacke. Ungewöhnlich bei der Temperatur. Auch das Gästezimmer unten rechts war unaufgeräumt. Eine Matratze war herausgenommen, Bettlaken lagen auf dem Strauch in der Mitte des Hofes.
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Keine Musik. Ich merkte einen kalten Hauch an mir vorbeiziehen,
aber das war nicht die Temperatur, das war die Stimmung.
»Das kann Ihnen nur die Amsel erzählen«, war die knappe Antwort auf meine Frage, was denn los sei.
»Werner, geh bitte ins Dorf, und tu so, als sei nichts geschehen,
sonst geht noch mehr kaputt. « Die Äußerungen waren dramatisch,
aber sie erhellten für mich die Situation nicht.
Mein Bericht über eine glückliche Bootsüberführung und intakte Ablieferung Maritas in der Eremitage wurde höflich dankend aber
als im Moment nicht wichtig, entgegengenommen. Allerdings bat die
Amsel mich um das Versprechen, im Haus zu bleiben, solange Werner
im Dorf unterwegs sei. »Einverstanden«, sagte ich.
Dueleen verabschiedete sich von der Amsel dadurch, daß er ihr
mit der Hand über den Kopf strich und so etwas wie »Du schaffst das
schon«, murmelte. Ich setzte mich in den Sessel mit einem an diesem
Ort ungewohnten Orangina in der Hand und wartete auf die kommende Erklärung.
»Er hat mich vergewaltigt«, sagte die Amsel. »Dr. Ast«, fügte
sie hinzu.
»Scheiße«, sagte ich.
Die entstehende Pause wurde gewaltig. Plötzlich hörte ich die
Stille dröhnen, die Gedanken versuchten, Fakten zu sortieren, das
Gehirn versuchte Ordnung in Gedanken zu bringen.
»Erzählen Sie«, sagte ich, und mir war klar, daß ein Psychologe
auch nichts anderes sagen würde. Ich meinte es aber in diesem Moment nicht als Neugier, nicht als einfache Lust an der Sensation. Ich
spürte einfach, daß hier ein Mensch verletzt war und daß er durch die
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Mitteilung seines Leids, seiner Wut, seiner Verletzung an einen Anderen das erreichen konnte, was wir manchmal als Mitleid bezeichnen.
Wirklich das Leid auf mehrere Schultern nehmen.
»Wir haben den ganzen Abend hier nur über Abrechnungen und
seine Provisionen gestritten. - Ach, nein, richtig gestritten nicht, aber
er ist ja unmäßig in seinen Forderungen. Briefmarken als Bezahlung,
alles Netto und noch für Sachen, bei denen er gar nicht mitgewirkt
hatte. Der ist eben vom Stamme der Nimm, aber das wußten wir ja
vorher. Aber diesmal war es fast soweit, daß wir wirklich Streit bekommen hätten. Aber der weiß doch alles, der kennt die VideoGeschichte, der kennt Dara, der hat schon in der Vielstadt-Verbindung
herumgestochert. «
Ich wußte, daß mein Chef ein netter Mensch war, aber daß er so
nett war, wußte ich nicht.
»Haben Sie die kreative Kleidung ... «, weiter kam ich nicht,
denn ich wurde mit einem Anfall von Wut, Lachen und Hysterie überschüttet.
»Bei dem Schwein doch nicht, der ist doch klebrig, wenn der
aus dem Zuber kommt. Der stinkt doch noch, wenn der mit Daraparfüm ersäuft worden ist. - Und außerdem ist er ein Pinscher. «
Meine Situation konnte sich nicht mehr zum schlechteren wenden, sie war am Tiefpunkt angekommen. Mein Chef als korrupter
Vergewaltiger und ich in einer Szene, die ein Staatsanwalt mir nie
abgenommen hätte.
Ich sagte immer noch nichts wesentliches. Bis jetzt wäre die
Szene auch ohne mich ausgekommen, zumindest was den Dialog anging.
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Die Amsel setzte sich aufrecht und sah mich an. »Ich lasse mich
nicht unterkriegen«, sagte sie sehr betont und langsam. »Helfen Sie
mir, bitte. « Sie stand auf und ging ins Gästezimmer. Dort packte sie
Kissen, Decken, Bezüge, alles was oberflächlich herumstand in einen
Bettbezug. Dann stopfte sie herumliegende Kleider noch dazu.
Sie leerte die Aschenbecher in den Bettbezug, auch einige Flaschen und Gläser warf sie unbesehen hinein. Sie durchforschte das
ganze Gebiet nach Teilen, die mit der Katastrophe in Berührung gekommen waren. Sie bat mich, alles auf den Müll zu werfen. Ich trug
den Sack hundert Meter weit zu den Müllcontainern und stopfte alles
hinein. Als ich wiederkam war sie dabei, mit Seife und Wasser Tische,
Fußboden und auch Fenster abzuwaschen.
Dreimal machte ich den Weg, und trug einen Sack mit Hausrat
oder Kleidung weg, die möglicherweise irgendwie ihre Erniedrigung
gesehen hatte. Sie bat mich immer, dazubleiben. Sie bräuchte nur noch
einen kurze Weile. Nach drei Stunden war das Haus praktisch klinisch
gereinigt. Sie verharrte im Innenhof und ging dann in die Außendusche. Über die Mauer warf sie mir einige Kleidungsstücke zu.
»Bitte auch wegwerfen, einfach wegwerfen. «
Ich trug den letzten Sack auch zu den Müllcontainern und benützte den Weg, etwas länger vom Haus wegzubleiben, denn die Stimmung war bedrückend. Dann ging ich doch zurück ins Haus. Die Amsel hatte ein schmuckes, ziemlich tief dekolletiertes, kleines
Abendkleid an. War frisch geschminkt und auch recht gut frisiert. Sie
hatte den Tisch geradegerückt und das Backgammonbrett auf den
Tisch gestellt. Der Champagnerkühler enthielt eine Flasche und die
Musik war klassisch.
»Ich bin schon wieder bei mir«, sagte die Amsel und wies mir
mit der Hand meinen Stuhl gegenüber an.
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In der Zwischenzeit war es doch fast Mitternacht geworden, und
ich spielte mit der Amsel Backgammon. Zwei Partien hatte sie gewonnen, eine ich. Trotzdem war die Stimmung sehr, sehr durchschnittlich. Ungefähr wie auf einem Finanzamt.
»Werner bleibt lange aus«, bemerkte ich. Die Amsel nickte. Sie
unterbrach das Spiel und holte Dueleens ledernen Allzwegordner aus
der Schublade des Schreibtisches. »Er hat das Wochenende tatsächlich
freigehalten. Da kann man lange warten. «
Alain brachte Dueleen am späten Morgen nach Hause. Es war
wirklich ein Freundschaftsdienst. Und es dauerte auch entsprechend
lange, bis wir Dueleen die Treppe hoch geschafft und in sein Bett
abgelegt hatten.
Die Amsel lud Alain zum Frühstück ein. Der war, wie immer,
quietschfidel und aufgedreht. Als Südfranzose hatte er zwar die mediterrane Hautfärbung, war aber ohne Zweifel echt blond. Nicht besonders groß, aber ungeheuer muskulös und drahtig. Mit einem auffälligen Hang zur Verkleidung, zu Schmuck und Show. Zur Zeit trug er
zwar die übliche weiße Seglerhose und die Espadrillos, aber dazu ein
blauquergestreiftes T-Shirt, wie es manchmal im Karneval verwendet
wird, um den Seemann darzustellen. Dazu einen auffällig breiten Silberarmreif am linken Handgelenk und einen ebenso auffälligen silbernen Ohrring. Auch der Ledergürtel war mit Silber beschlagen.
Alain sprach viele Sprachen Europas, aber eben alle nur soweit
sie ihm als Gastronom nützlich waren. Bis vor kurzem war er noch
Bedienerich beim Senequier gewesen, seine Qualitäten hatten ihm
aber erlaubt, der Proprietaire des Privat plage Multinsula zu werden.
Damit war er in die Reihe der Patrons aufgestiegen und führte jetzt
eine Kompanie an der Front des Tourismus.
Alain konnte zuerst der Amsel nicht ins Gesicht sehen, bis sie
im mehrmals richtig auf die Schulter schlug und ihm sagte, daß sie das
160
schon wegstecken würde. Alain wand und schüttelte sich. Er war tief
beschämt. Scheinbar steckte er die Geschichte schlechter weg als die
Amsel selbst.
Deutschen Kaffee produzierte die Amsel. Das ist in Frankreich
ein besonderer Genuß. Dort ist der Kaffee viel stärker gebrannt und
vielfach wird auch erzählt, daß man deswegen einfach schlechteren
Kaffee nehmen kann. Auf jeden Fall ist französischer Kaffee für
Nichtfranzosen nur als Café au lait oder als Espresso trinkbar. Ein
Feinschmecker wie Alain wußte allerdings den deutschen Kaffee zu
schätzen. Den zusätzlich angebotenen Cognac lehnte er nicht ab.
Es ist nicht die Art eines Südfranzosen, übermäßig redselig zu
sein, besonders den Touristen gegenüber. Auch wußten Sie die internen Geheimnisse, die sie mit ihren Geschäften an der Küste, Grenze
und im Tourismus verbanden, gut zu schützen. Man munkelte immer
von einer südfranzösischen Mafia, die aus der Zeit der Piraterie und
der Weltkriege übrig geblieben sein sollte, aber das wurde lautstark in
das Reich der Fabel verwiesen. So etwas gab es bei den Italienern,
gegen die man sowieso was hatte. Das waren eigentlich alles Verbrecher. Zumindest die, die über die Grenze kamen. Und jetzt lieferten
sie auch noch Wein. Wein nach Frankreich. Alain war empört.
Er begann deutlich besser und akzentfreier zu sprechen, als er
einen weiteren Cognac zum Kaffee nahm. Also hier, an der Cóte, da
gab es keine Mafia. Natürlich war Monsieur Marteau sein Patron, aber
eigentlich nur im übertragenen Sinne. Er war ja schließlich auch Patron für seine Leute. Einer mußte ja schließlich nach dem Rechten
sehen. Und man konnte ja auch nicht zulassen, daß die Preise verdorben wurden. Und wenn man nicht sehr achtgab, dann versuchten tatsächlich die Händler, Fisch vom Großmarkt und nicht vom einheimischen Fischmarkt zu kaufen.
Alain streichelte der Amsel über den Kopf, als sie ihm den
nächsten Kaffee und Cognac auf den Tisch stellte.
161
Und die Gendarmerie konnte man auch nicht mit allem belasten. Da war es eigentlich besser, wenn man die gleich draußen hielt.
Die machten nur Ärger. Aber das war jetzt auch besser geworden, seit
man sich geeinigt hatte. Eigentlich hatte man ja das gleiche Ziel. M.
Marteau hatte ja verkündet, daß es keine Verbrechen mehr in St. Tropez geben dürfe.
Alain schaute stolz in die Runde. »Wir nehmen das Geld direkt,
warum Diebstahl?«
Alain erklärte uns ausführlich die neue Philosophie seines Patrons. Touristen, die furchtbar viel Geld für Strand, Champagner und
Musik ausgeben, braucht man nicht ausrauben.
»Die geben ja alles, was sie mitbringen, sowieso aus. Und dann
ist das Geld da. Besser ist es, ihnen die Möglichkeit zu geben, das
Geld auszugeben. Wenn einer sich unsicher ist, ob er mit einer dicken
Brieftasche über die Straße gehen kann, dann geht er vielleicht nicht
in die Bar. Wenn er aber weiß, daß man ihm die vergessene Tasche
nachträgt, dann trägt er immer viel, viel Geld in die Bars, an die
Strände, in die Restaurant und in alle Boutiquen und Läden.
Es darf einfach nichts mehr gestohlen werden in St. Tropez, hat
M. Marteau jetzt befohlen. Und das wirkt Wunder. Bei uns ist die
Stadt jetzt voll mit Leuten, die nur noch Geld ausgeben. Hast Du mal
zugeschaut, was einer an einem Abend im Papagayjo ausgibt. Und ich
meine nicht nur einen, sondern die vielen, vielen die da kommen. «
Alain hatte sich warm geredet. »Aber wenn so ein... «, er murmelte einige französische Beschimpfungen, »daherkommt, dann machen wir auch etwas. «
162
Die Amsel lächelte ein wenig wehmütig. »Sei vernünftig, Alain,
was können wir denn machen. « Die Amsel hatte sich gut im Griff,
man merkte aber noch so etwas wie Trauer.
»Oui, Du mein Liebling, Du machst nichts. Aber Du mußt wissen, daß er hatte heute Nacht große Probleme. «
Alain blickte sich um und vertraute uns an: »Du mußt wissen,
es war plötzlich das Zimmer in seinem Hotel vermietet, die Koffer
waren schon draußen, vor dem Hotel. Und dann, als er bezahlen mußte, hat er angefangen Krach zu machen. Da ist er eingesperrt worden
von der Gendarmerie. Er hatte ja kein Hotelzimmer mehr, wo er
wohnte. Und sein einer Koffer ist leider dann vor dem Hotel auch
gestohlen worden. Seine vorderen Reifen vom Auto auch. Ich glaube,
der Fotoapparat auch. Aber dann, als er wieder raus kam, aus der
Gendarmerie, hat er im Gorille noch schlecht über die französischen
Gendarmen gesprochen. So hat es mein bon frére verstanden, und da
hat er Schläge bekommen. Du mußt wissen, so Fischersleute lassen
nichts über die französische Gendarmerie schlecht sagen. «
Die Amsel erschauerte, ich sah eine Welle von Genugtuung
aber auch Erschrecken durch sie hindurchlaufen. »Und wo ist Dr. Ast
jetzt?«
Wir erfuhren, daß man ihn jetzt, so um diese Zeit, mit einem
Krankenwagen nach Nizza fahren würde, um ihn da in ein Flugzeug
zu setzen. Die gebrochenen Rippen seien eben sehr schmerzhaft, eigentlich bei jeder Bewegung.
»Aber ihr könnt doch nicht.... «, die Amsel versuchte, zum
zweiten Mal in vierundzwanzig Stunden, ihre Gedanken und Gefühle
zu sortieren. »Ich meine Werner, Du, wenn ihr erwischt werdet oder
der Dr. Ast einfach sagt ... «
163
Alain unterbrach sie mit großer Geste. »Aber wir doch nicht,
mein Liebling, Werner und ich saßen im Café de Lyon, M. Marteau
stand hinter dem Tresen. Neben uns saß der Chef de Captainerie. Es
war nur seine Schuld, er hat Streit mit Fischermen angefangen. «
Alain schien mit seinen Ausführungen zufrieden. »Weißt Du,
Bernard vom Gorille ist ein, wie sagst Du? - Schwager von mir. Er
schuldet mir noch einen Gefallen. « Er lächelte. »Oder Werner auch
ein oder zwei, wie man sagt. Nur, Werner war sehr aufgeregt. Er verträgt nicht so den Whisky, wenn er aufgeregt ist. Aber wir haben ihm
alles erklärt. «
Alain testete die Kanne mit deutschem Kaffee. Leer. Dann sah
er sich die Cognacflasche an. Die hatte jetzt auch ihr nahes Ende in
Sicht.
»Cognac ist eigentlich besser als Whisky. Werner sollte mehr
Cognac trinken. « Alain stand auf. Er verabschiedete sich in grader
Haltung und mit Handkuß von der Amsel und ging schnurgerade über
die Hofmitte zur hinteren Ausgangstür. Gegen deren rechten Pfosten
lief er allerdings, aufrecht. Die französisch und bestimmt gutgemeinten Flüche über Pfosten, die an der falschen Stelle stehen, konnten wir
nicht übersetzen. Die Amsel starrte ihm mir offenen Mund nach.
»Ist das jetzt alles wahr oder wollte er mich nur trösten. « Die
Amsel zweifelte.
»Dr. Ast wird eine Wirtshausschlägerei gehabt haben, Du weißt
doch, wie die Franzosen übertreiben«, sagte ich. »Geh mal lieber hoch
zu Werner, der braucht wahrscheinlich ein frisches Hösli.
Szene 10, take 2
164
Dueleen kam am späten Nachmittag wieder auf die Läufe. Als
ich von einem kurzen Ausflug von Ramatuelle zurückkam, saß er bei
einer kleinen Tasse Fleischbrühe und einem Toast. Der berühmte Eisbeutel war auf dem Kopf drapiert und die Amsel kümmerte sich rührend um ihren Chef, der im Bademantel sein kärglich Mahl einnahm.
»Wie geht's Alain«, war nach einigen Stöhnlauten die erste klar
formulierte Frage.
»Der ist gegen den Pfosten gerannt«, ich zeigte auf den Pfosten
des hinteren Gartentores. Dueleen sah sich den Pfosten an. Sitzend,
ohne die Position und die des Eisbeutels zu verändern. »Und wo ist
denn eigentlich Marita Erni?«
»Wahrscheinlich im Eremitage«, mußte ich antworten, denn
mehr wußte ich auch nicht.
Nach einigem hin und her wurde ein Plan gemacht, der zur Rekonstruktion Dueleens, dem Beischaffen Maritas und der Vorbereitung der Heimreise der Amsel diente. Mein Part war in diesem Fall
mit dem Kübel Marita abzuholen.
Wenn die grelle Mittagshitze nachläßt, kommt eine Übergangszeit des heißen, aber lebhaften Spätnachmittags der dann in das bunte
Treiben der warmen Nacht übergeht. Ich hatte bei beginnender Dämmerung Marita und ihren Seesack in den Kübel gesetzt beziehungsweise geworfen und war, natürlich offen fahrend, auf dem Weg zurück. Da begann der Leuchtturm von Cap Camarat gerade seine Tätigkeit. Viermal blink, einmal Pause.
Ich stellte den Kübel auf den Kiesweg vor die Garage und wir
betraten durch die Haupteingangstür den Innenhof. Die Gartenbeleuchtung war schon eingeschaltet, das Licht hinter den großen Glasscheiben des Anbaues aber gedämpft. Der Himmel hatte noch eine
165
kleinen Rest der Helligkeit des Tages, die Wände der Innenhofes
brachten die Wärme des Sommers.
Die lange Zypresse rechts im Hof war von einem Strahler bis in
die geschätzt zehn Meter hohe Spitze beleuchtet, die Pinie in der Mitte
durch die Tiefstrahlerbeleuchtung richtig kernig und kantig. Selbst der
Efeu an der geputzten Wand warf Schatten, die romantisch stimmten.
Mal wieder die Pathetique. Tschaikowski war häufig. Paßte
aber auch unheimlich gut zur Atmosphäre. Dueleen stand mit üblichen
weißen Seglerjeans und Espadrillos, allerdings ohne Hemd, aber mit
der obligatorischen Goldkette im Wohnraum, der ja zum Innenhof nur
durch ein die ganze Wand umfassende Glasschiebetür abgetrennt war.
Und die war jetzt natürlich aufgeschoben. Er dirigierte die Stereoanlage. Das Licht der Anlage beleuchtet ihn von vorne und unten, der
Eindruck des Dirigenten eines Orchesters war perfekt.
Marita blieb ehrfurchtsvoll stehen und wollte lauschen. Dueleen
klopfte ab, die Stereoanlage verstummte und er begrüßte mit großem
Hallo Marita. Küßchen links und rechts. Aber höchst anständig. Die
Amsel bedauerte, unterbrechen zu müssen. Sie würde in wenigen Minuten vom Fahrer abgeholt und müssen sich gerade noch verabschieden. Der Fahrer klingelte, auch ich schüttelte der Amsel die Hand und
sie nahm mich noch einen Meter beiseite. »Es ist nichts passiert, ich
weiß nichts, sie nicht, keiner. Und glauben Sie mir, ich meine es ernst.
« Sie lächelte mir freundlich zu. »Bis bald, in Deutschland. « Tür zu,
Amsel weg.
Dueleen hatte sich ein T-Shirt übergezogen und wir saßen bei
nur wenig gedämpftem Licht im Wohnraum. Marita berichtete vom
Flug, von der Überfahrt, von den Vorteilen des Aquamarina und daß
sie sich das nur gewagt hätte, weil ein so erfahrener Bootsmann dabei
gewesen sei. Ich blickte neutral geradeaus und dachte an meine zwanzig Übungsstunden auf dem Bodensee. Und ich überlegte, was Dueleen denn schon wieder erzählt hatte.
166
Nein, das Gespräch war weitergegangen, heute noch mal ins
Dorf wollte Marita nicht mehr. Auch wenn es richtig sei, daß das
Nachtleben erst um elf anfängt zu beginnen, hier das Haus, der Garten, die Nacht, die Wärme, das sei alles so schön. Und wir wären
doch sicher auch oft hier, um diese Schönheit zu genießen.
Marita ging an der Bücherwand vorbei, und griff ein Buch heraus, stellte dann aber fest, daß es meiste freilich Lexika und Nachschlagwerke seien, die schöne Literatur käme etwas zu kurz. Sie fand
ein Bukowski-Gedichtbändchen, teilte uns dann aber mit, daß es in
original amerikanisch mehr Aussage hätte. Dueleen und ich sahen uns
gegenseitig an. Wir hielten uns nicht für Kulturbanausen, aber Bukowski im Original?
Die entscheidende Frage rückte immer näher. Vor uns ging eine
gut ausgebildete, recht adrett aussehende, unter dreißigjährige Akademikerin, die aus guten Elternhaus stammend, von den Schrecken
dieser Welt bisher weitgehendst ferngehalten war, vor der Bücherwand hin und her und fragte zwei im Sessel lümmelnde deutlich ältere
Kerle, was sie denn so Abends in St. Tropez machen.
»Saufen und Mädchen ausziehen«, sagte Dueleen.
»Glaube ich nicht, das ist doch alles nur so Machogehabe. «
Marita zog einen Bildband von Helmut Newton aus dem Regal.
»Nackte Mädchen schaut ihr doch nur im Groschenheft an«, sagte Sie.
»Das ist Helmut Newton, vermutlich einer der bekanntesten und
anerkanntesten Fotografen, er wohnt da drüben in Ramatuelle«, Dueleen zeigte mit der Hand in Richtung Ausgang. »Und außerdem gehört
schon Mut dazu, sich so einem Fotografen zu stellen. Die meisten
Mädchen schaffen das gar nicht. « Die Diskussion, wie unter Studenten, am Abend in der billigen Kneipe, bahnte sich an. Ich wollte, und
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schon gar nicht heute, etwas über Moral, Macho und vorgeschriebenen Verhaltensweisen wissen.
»Cognac?« fragte Dueleen. »Nein, ich greife heute mal zum
schweren Roten. Ich brauche mal etwas Geschmack auf der Zunge. «
sagte ich.
»Ich auch Rotwein«, sagte Marita. »Sind sie so gut, und holen
dann drei oder vier Flaschen aus dem Keller und stellen sie«, sagte
Dueleen.
Wir stellten vier Flaschen, ich entkorkte die erste Flasche, Dueleen prüfte. Zufrieden schenkte er aus. Der Wein war wirklich akzeptabel. Marita hatte sich jetzt in den dritten Sessel an unserem runden
Tisch gesetzt. »Und was tut ihr sonst, ihr Machos?«
»Spielen«, sagte ich. »Um Geld?« fragte Marita, offensichtlich
mit etwas Nase rümpfen.
»Auch«, sagte Dueleen, »aber meist nur um nackte Mädchen«.
»Die meisten Spiele sind mathematisch faßbar und folgen einfacher Wahrscheinlichkeitsrechnung. Natürlich gibt es Spiele wie
Schach oder vielleicht noch Skat, bei denen der Verstand gefordert ist,
aber Würfelspiele zum Beispiel haben doch einen rein statistischen
Verlauf. Das bedeutet, der Gewinn oder Verlust ist rein zufällig und
bei einer genügend großen Anzahl an Ausfällen berechenbar. Oder
man betrügt, also man führt vorsätzlich einen systematischen Fehler
ein. « Marita hatte ihr Seminar begonnen.
»Wir sollten 16tot oder ›sieben Leben hat die Katz‹ mit ihr spielen. « Dueleen wirkte stark belustigt. Ungefähr der Eindruck, den die
Rede einer Abstinenzlerin auf einen Bierkutscher machte, mußte diese
Rede bei Dueleen erzeugt haben. Wenn er spielte, gewann er. Ich hatte
ihn schon erlebt. Aber diesmal?
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»Was ist 16tot?«, fragte Marita. »Schon gewonnen, wie einfach
ist die Welt«, dachte ich.
»Nun, das ist ein Spiel mit einem Würfel und es gibt nur zwei
Regeln bei diesem Spiel. Die erste ist ›wer den dritten Wurf macht,
muß auch den vierten machen‹ und die zweite Regel heißt ›wer 16
oder mehr Punkte hat, ist mausetot.‹ Hat ganz verloren. Aus und vorbei. Hemd und Höschen. «
Dueleen zog die Schublade des dunkeln Schrankes neben sich
auf und holte ein kleines Kästchen heraus. Daraus nahm er drei mal
sieben Goldstücke und stellte jedem einen kleinen Stapel von
Goldstücken vor die Nase.
»Wenn Sie anfangen, mit diesem einen Würfel«, Dueleen hielt
einen schönen, großen Würfel hoch, »machen zum Beispiel mit zwei
hintereinander folgenden Würfen, fünf und vier, also neun. Um nicht
zu verlieren, muß ich zum Beispiel eine sechs und eine fünf machen,
also elf. Will der Herr Nader dann nicht verlieren, dann muß er mehr
machen als elf.
Kann also passieren, daß er zuerst eine fünf und dann eine drei
macht, zusammen acht. Damit hat er den schlechtesten Wurf und muß
ein Goldstück abgeben. Oder er macht einen weiteren, sagen wir die
vier, dann hat er zwölf.. «
»... und damit gewonnen. Neun gegen elf gegen zwölf. « sagte
Marita.
»Nein«, sagte Dueleen. »Daß die Leute nie die ganz einfachen
Regeln begreifen. Wer der dritten Wurf macht muß auch den vierten
machen, also noch ein Wurf und eine eins oder zwei oder drei ist gut.
Aber plus vier ist sechzehn und dann, oder mit fünf oder sechs, hat er
ganz verloren. Aus ratzeputz, fertig. «
169
Marita sortierte die mathematischen Wahrscheinlichkeiten
schnell im Kopf und befand es als blödes Spiel. »Und außerdem, was
passiert denn mit den Goldstücken, wenn ein anderer verloren hat?«
war die nächste Frage.
»Die, die Du noch übrig hast, gehören Dir«, sagte Dueleen.
»Ihr seid doch beide verrückt«, befand Marita, »das ist ungefähr
mein Monatsgehalt auf dem Tisch, darum spiele ich nicht.
»Nein,« sagte Dueleen. »Wenn Du verlierst, zahlst Du nichts,
dann ziehst Du Dich nur aus. Und machst für uns den Service hier.
Aber splitternackt, nur mit den schönen schwarzen hochhackigen
Schuhen, die Du anhattest, als Du kamst. «
Der achtet auch auf alles. Ich hätte mich nie erinnern können,
welche Schuhe Marita anhatte.
»Ihr seid verrückt«, sagte Marita zum zweiten Mal. »Wir waren
doch in Beleberg zusammen in der Sauna, Du hast mich doch schon
nackt gesehen. « Sie sprach zu Dueleen, verwendete aber den Plural.
Ich war nicht ganz sicher, ob ich als Anhängsel von Dueleen betrachtet wurde oder nur als stiller Kumpel.
Dueleen setzte den Würfel in die Mitte des Tisches und goß ein
wenig nach. »Ich spiele darum, daß Du dich ausziehst und Dich mir
zeigst. Ich will Dein Gefühl erleben, daß Dich zur Darstellung treibt.
Und ich will, daß Du das freiwillig tust. Hier in St. Tropez darf man
leben!«
Eine solche Rede hatte ich von Dueleen in diesem Zusammenhang noch nicht gehört. Ich versuchte, das mit der gesamten anderen
Erfahrung in Übereinstimmung zu bringen. Mir fiel auf, daß alle anderen Frauen, die ich bis jetzt um Dueleen herum kennengelernt hatte,
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ihr Leben freudig lebten, bewußt und sicher. Ich ahnte, daß hier eine
junge Anhängerin angelernt werden sollte. Warum ich dabei war? Ein
kurzer Schluck, wir prosteten uns zu.
»Und wenn einer vor mir mausetot ist, dann gehört mir das
Gold, das noch vor mir auf dem Tisch liegt? vergewisserte sich Marita.
»Ja,« sagte Dueleen. »Aber Du verlierst. Du willst nämlich verlieren. «
Lautes Zirpen der Grillen tönte in die angebrochene Gesprächspause. Draußen war es stockdunkel geworden. Die Wärme im Raum
war trotz der weit offenen Glasschiebetür auffällig hoch. Konnte aber
auch am Wein oder an der Stimmung liegen. Ein Fetzten Musik drang
mit einem leichten Luftzug ein, ich wandte mich meinem Glas zu und
sah den Würfel rollen.
»Zwei«, sagte Marita. »Und zwei macht vier. « Der Würfel rollte. »Und sechs sagte Marita, »das sind zehn«.
»Wer den dritten macht, muß auch den vierten machen«, sagte
Dueleen.
»Ja, Ja«, sagte Marita.
Die Grille zirpte immer noch, fast grell jetzt. Auf dem runden
Tisch vor uns standen drei mit dunklem, roten Wein gefüllte Gläser,
drei kleine Stapel Gold blinkten und ein Würfel lag in der Mitte des
Tisches in der Lederspielwiese.
»Und sechs ist sechzehn und tot«, sagte Marita. »Na ja«, sagte
Dueleen, »sechzehn und nackt!«
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Marita griff in die Spielwiese, nahm den Würfel, wog ihn einmal und warf mit entschlossenem, ernsten Gesichtsausdruck den Würfel. Dueleen saß entspannt in seinem Sessel, ich versuchte möglichst
nicht anwesend zu sein, hätte aber beinahe meinen Wein verschüttet.
Der Würfel tanzte, Dueleen lächelte, Marita starrte. Der Würfel
fiel um auf die ... sechs. »War zu erwarten«, sagte Dueleen.
Marita schaute uns streng und geschäftsmäßig an. Sie blickte
auf den Würfel. Sie schien angestrengt zu überlegen. »Die Chance war
ein sechsundreißigstel, also fast so wie Null beim Roulett. «
Sie schien mit dem Anschauen des Brettes beschäftigt zu sein.
Dueleen begann urplötzlich einen Witz zu erzählen:
»Reitet ein Mann durch die Wüste. Plötzlich dunkle Stimme
von oben: ›steig herab von dem Kamel und grabe‹. Der Mann steigt ab
und gräbt und stößt auf eine große Kiste mit Gold. Stimme von oben:
›aufladen und nach Kairo reiten‹. Der Mann reitet nach Kairo. Stimme
von oben: ›ersten Straße links‹. Der Mann tut wie befohlen. Plötzlich
steht er von einem Spielkasino und hört die dunkle, befehlende Stimme von oben: ›geh hinein und setze alles auf dreizehn‹. Der Mann
geht hinein und setzt alles auf dreizehn. Vierzehn kommt. Sagt die
Stimme von oben: ›Mist‹.
Marita hatte immer noch auf die Spielwiese gestarrt, aber offensichtlich zugehört. »Oh, shit, oh shit, oh shit. « sagte sie, als sie, doch
von Lachen geschüttelt aufstand und nach hinten Richtung Büro, hinaus in die warme Dunkelheit ging.
Dueleen nahm den Würfel aus der Spielwiese und legte ihn in
die Schublade, nahm einen anderen aber heraus und warf in zurück in
die Spielwiese.
172
»Sie wollte sich ausziehen, ich habe es ihr nur einfacher gemacht«, sagte er zu mir. »Aber wir sollten vielleicht die drei Flaschen
sicher in den Schrank stellen und auf Champagner umsteigen. «
Ich räumte die Gläser weg, er füllte den Kühler mit Eisstücken
aus der großen Eismaschine, die im Kämmerchen unter der Treppe
auch des Nachts tobte und steckte eine Flasche Champagner aus dem
Getränkekühlschrank hinein. Wir setzten und wieder. Auf dem Tisch
standen Champagnerschalen, die weiße Serviette hing über der Flasche und die ersten Tropfen rannen vom beschlagenen Kühler.
»Ich habe mich noch etwas geschminkt, ich glaube, das sieht
besser aus«, sagte Marita, als sie aus dem Dunkel des Hofes in den
Wohnraum trat und am Holzrahmen, an dem die bodenlangen Schlagladen angebracht waren, stehenblieb. Die Schlagladen verdeckten
zwar noch etwas mehr als die Hälfte von Marita, aber daß sie schwarze hochhackige Schuh trug, sah man deutlich.
Sie versteckte sich noch ein wenig hinter dem Laden, zog aber
schon spielerisch das Bein an. So wenig Brust war das nun auch wieder nicht, dachte ich bei mir, als ich meine Vorstellung, die ich aus
dem Anblick in sportlicher Kleidung gebildet hatte, jetzt mit der nackten Wahrheit verglich. Und schlanke, lange Beine, aber wichtiger der
Bewegungsablauf, als sie sich vom Eingang löste, den Sessel umrundete und sich hineingleiten ließ, um sofort die Beinchen sittsam zu
schließen und die Unterschenkel zu überschlagen.
»Zufrieden, Ihr Machos«, fragte Marita.
»Du?« fragte Dueleen. »Ja«, sagte Marita.
Dueleen legte die Pathetique auf, und stellte sich in Dirigentenposition, Marita drückte mit der Fernbedienung die Lautstärke nach
oben, bis es laut wurde, bis es schallte, bis man den Schalldruck körperlich wahrnahm. Und Dueleen dirigierte.
173
Szene 10, take 3
Am Samstag ist Markttag in St. Tropez. Markt auf dem Bouleplatz, dieser eine Platz, der sich in mindestens drei Namen aufteilen
muß und doch das eigentlich ruhige Zentrum des Dorfes ist. Als altes
Piratennest oder auch als Republik im venezianischen Sinne ist das
ganz alte St. Tropez an den Berg unterhalb der Zitadelle gebaut, besteht aus engen Gassen mit ziemlich hohen Häusern. Es ist winkelig
und die große, prächtige Kirche in der Mitte ist von weitem mit ihrem
auffälligen und dazu noch ockerorange leuchtenden Turm wunderschön anzusehen. Im Gewirr der engen Straßen kann man leicht an der
Kirche, die den Platz eines großen Häuserblocks einnimmt, vorbeilaufen.
Die Zitadelle wacht über der alten Stadt und sie blickt zum
Bouleplatz hinunter. Dabei muß sie aber in wenig die linke Augenbraue erheben, denn in dem grünen Streifen abwärts, der von der Zitadelle bis zum Bouleplatz geht, steht die Eremitage. Das Hotel, das
dadurch von sich aus wieder den Blick von oben auf den Bouleplatz
mit seinen Platanenreihen und Glühbirnenketten dazwischen bietet.
Die eine Längsseite wird durch die Gastronomie, wie zum Beispiel das Café des Artes oder das Bistro des Lices begrenzt, an der
anderen Längsseite führt die Straße vorbei, die so oft zur Ehrenrunde
wird, wenn man auch nur einmal eine Einfahrt verpaßt hat.
Blickt man vom Bouleplatz zur Zitadelle, dann steht einem da
zwar eine Reihe Häuser an der Straße im Weg, aber über der Grenzmauer, an der Straße daneben, stehen schon die ersten Palmen, die die
Gärten bergauf schmücken.
Eine Straße teilt den Platz in zwei fast gleiche, aber unterschiedliche Hälften. Die gute Seite ist die Seite der Boulespieler, die
174
andere wird von einigen übermannshohen Mauern begrenzt. Der Weg
zur Mole führt am Waschhaus vorbei, das in den beginnenden achtzigern immer noch genutzt wurde.
Und Samstags ist der Bouleplatz, also die Seite mit dem schweren, großen Rundbrunnen, der früher als Pferdetränke genutzt wurde,
Marktplatz.
Marita prüfte Gewürze nach links, Schmuck rechts. Körbe vorne und Hasenbraten nebenan. T-Shirts aller möglichen St. Tropezmotive waren auf den Tischen aufgelegt und es hingen auch einige Kleider an den Schirmen. Allerdings hatte man nicht den Eindruck, die
Spitze der Schneiderkunst Frankreichs zu erleben. Kittelschürzen für
den Gebrauch in der Küche wäre der augenscheinlich richtigere Eindruck.
Marita blieb an einem Stand stehen und blickte auf ein Stück
Stoff, das an einem Bügel am Sonnenschirm hing. Es sah aus wie ein
ärmelloses T-Shirt mit großem, nicht ganz runden Halsausschnitt und
war etwas länger. Schief, aber deutlich schief abgeschnitten am unteren Ende, dafür aber mit zwei Reihen überhandbreiten Fransen besetzt. Die Farbe war mit natur zu beschreiben, so mußte Baumwolle
aussehen, wenn man ihr weder Bleiche noch Farbe gönnte.
Der Handel war von Marita in Sekundenschnelle vollzogen und
Widerspruch unsererseits nicht gefragt. Der Einkauf einer französischen Korbtasche durfte uns nicht interessieren, und Marita fand tatsächlich unter dem Berg von Schuhen, die ein Sonderangebot darstellte, ein paar goldfarbene, hochhackige Schühchen, pantolettenartig,
hineinschlüpfen und gestrecktes Bein zeigen.
Nur am Schmuckstand haben wir sie dann allein gelassen, die
Verhandlungen um eine bis über den Gürtel hinausreichendes Halsgehänge, die bunte Steine, Holz und Metall auf langen Schnüren auf-
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wies, überstieg unsere Geduld. Dueleen kaufte in der Zwischenzeit in
der antiquarischen Abteilung des Marktes, in der Nähe des Kinos ein.
In einer großen Vase standen drei Spazierstöckchen, alle elegant und leicht geformt, kleinen Silbergriff, mal als kleine Kugel, mal
als länglicher Griff ausgeformt. Beileibe kein Regenschirmgriff oder
eine Krücke, wie man sie bei Wanderstöcken finden. Diese Stöckchen
waren feiner. Ob Sie wirklich geeignet waren, sich darauf zu stützen?
Ich erinnerte mich einiger Zeichnung und Drucke aus dem letzten
Jahrhundert. Die jungen Herren, die damals diese Stöckchen trugen,
hatten es gewiß nicht nötig, sich auf den Stock zu stützen.
Dueleen prüfte jeden Stock, durch biegen, drehen am Knauf,
drehen an der metallenen Spitze und Untersuchung der Gravur. Er
schien unentschlossen. Er wog ein Stöckchen gegen das andere. Eines
wurde zurückgestellt und der Preis ein zweites Mal erfragt. Ich ahnte
den Beginn des Kuhhandels. Aber der Verkäufer schien bei dem von
Dueleen preferierten Stöckchen nicht weit genug nach unten zu gehen.
Die Handbewegung des Verkäufers deutete jetzt auf eine Gruppe von
kleinen Kindern, die am Rand der Treppe saßen. Ich konnte ihm fast
schon von den Lippen ablesen, daß er das Verhungern der drei lieben
Kleinen beschwor, wenn er auch nur noch einen Franc nachgeben
würden.
Marita war dem Anschein nach mit ihren Händlern handelseinig
geworden und hatte uns wiedergefunden. Mit einem französischen
Korb umgehängt, der schon etwas gefüllt war, tänzelte sie auf Dueleen
los, sagte ihm ein paar Worte und verschwand wieder im Marktgewühl. Dueleen schien durch die Unterbrechung aus der Form gekommen zu sein. Er fragte noch einmal nach dem Preis des letzten, weggesteckten Stöckchens, bot dafür die Hälfte, zeigte noch einmal einen
imaginären Schaden am Holz auf und wandte sich zum gehen, also in
meine Richtung. Der Verkäufer konnte Dueleen gerade noch mit dem
Stöckchen auf die Schulter tippen. Jetzt war das Geschäft gemacht.
Dueleen zog knurrend mit dem scheinbar schlechtesten, wenn auch
176
billigsten Teil von dannen und untersuchte immer noch den Schaden,
den er an der Spitze ausgemacht zu haben schien.
»Wir treffen uns in einer Stunde mit Marita bei M. Marteau«,
sagte Dueleen. »Aber jetzt gehen wir mal gerade hier hoch, ich muß
das jetzt prüfen. «
Er zerrte mich mehr, als ich ging, die Straße zum Fleuropladen
empor, rechts weg, über die Straße, die über der Stützmauer des zweiten Teils des Marktplatzes lag. Und dann noch fünfzig Meter weiter.
Jetzt standen wir unter Bäumen und im Schatten, was schon wieder
ein erwähnenswerter Vorteil war, über dem zweiten Teil des Marktes
und blicken von oben auf Verkäufer von Kuhfellen, Plastikspielzeug,
Eisenwaren und Honig.
Dueleen nahm sein neu erworbenes Stöckchen, und bog es
leicht gegen den Griff, dann machte er mit Gefühl, aber doch Kraft am
Silberknauf eine Drehbewegung und zog den Knauf vom Stöckchen
ab. Dem Knauf folgte eine ein Zentimeter breite Klinge, unglaublich
dünn und wie ich sah, beweglich wie eine Rasierklinge. Er schob
Stöckchens Scheide und Stöckchens Degen wieder ineinander und
lächelte mild.
»Damaszener Klinge, bestimmt über hundert Jahre alt. Reine
Handschmiedearbeit. Kein bißchen Rost. « Er schien sehr zufrieden.
»Der Vorbesitzer«, er warf den Kopf auf, als wolle er ›der Banause‹
dazu sagen, »hatte sicher keine Ahnung. Hier, der Auslöser für den
Innenkarabiner ist zugesetzt. Ich hätte es fast selbst nicht erkannt. «
Dueleen warf den Kopf hoch und schritt Richtung Mole. »Außerdem geschieht es dem M. Albert recht, die echte englische Seefahrertruhe aus einem Nachlaß einer englischen Villa in Nizza«, er
schnaubte verächtlich, »war ›made in spain‹, mußte sie dem Dara als
Geschenk andrehen. Was soll man sonst damit machen?«
177
Wir gingen durch die schmale Gasse, die vom Bouleplatz am
Salle J. Depas, der Versammlungshalle und Musikschule der klassischen provençalischen Musik von St. Tropez, vorbei in Richtung Mole geht. Ich las, daß es die Rue Georges Clemenceau war und sortierte
meine Begriffe von Rue und Avenue neu. Wir ließen uns mit den Leuten, die mit Taschen bepackt den Markt verließen treiben und warfen
einen Blick auf die am Quai liegenden Schiffe. Links lag das Musée
de l'Annonciade.
»Tja, mein lieber Nader, die Kunst!« Er deutete mit dem neu
gewonnen Stöckchen auf das Gebäude, das etwas zurückgesetzt und
mit Grün umgeben, an der Ecke der Mole steht, die meist von den
weniger bedeutenden Booten belebt wird. Und zweihundert Meter
weiter, allerdings noch vom Papagayjo abgeschirmt, wird richtig in
einer Werft gearbeitet.
»Der«, Dueleen zielte mit dem Stöckchen auf die Halle der
Werft, deren Slippanlage gerade wieder ein Motorboot an Land holte,
»der ist der größte Nepper hier im Dorf. Es gibt keinen Fischer, der
nicht bei dem den Motor auf Pump kaufen mußte. Die Kerle schaffen
nur noch für den! Eigentlich gehört dem schon jeder Fisch, der da
draußen schwimmt. « Dueleen drehte sich abrupt um und ich hatte fast
den Eindruck, er schüttele sich den Staub von den Füßen, als er in
Richtung des Denkmals des Herrn Bailli de Suffren losschritt.
Die breiten Schiebefenster des Café de Lyon waren wie immer
hochgeschoben, links auf den Tischen standen große, prächtige Blumensträuße auf den Tischen und wir setzten uns in's Fenster. Dueleen,
mit dem Rücken zum Barographen parlierte in gebrochenem deutschfranzösisch mit einem ungefähr die gleiche Sprache sprechenden M.
Marteau. Aber man kam bestens klar. Ich erfuhr, daß die Vertina IV
jetzt doch verchartert wird und daß ein neuer Mann eine Pizzeria in
der Rue de la Citadelle eröffnen wolle. Marteau hatte eine gute Meinung über diese geschäftliche Angelegenheit und Dueleen stimmte
ihm allgemein zu. Und der Kauf der zwei Häuser am Place de Lice
178
durch diesen Pariser Showunternehmer wurde nicht für gut befunden.
Allerdings, so ist das Leben, was sollte man dagegen machen. Aber,
so sagte man lachend und hob das Glas, »Paris ist weit«.
M. Marteau blickte hinter seinem Tresen auf und an Dueleen
vorbei auf die Straße. Er wies mit den Augen hinter Dueleen auf die
Straße und pfiff. Aber wirklich nur ganz dezent, nur für uns. Ich wendete den Blick und sah einen weißblonden Pagenkopf, ganz hart geschnitten, allerdings mit kurzem Haar, ein tolle Figur, an der ein naturfarbenes, sehr kurzes Doppelfansenkleid keinen Makel erlaubt hätte
und elegante Beine in goldigen Schuhen. Eine endlos lange Kette war
mehrfach um den Hals geschlungen und bunte und silberne große,
schwere Steine wippten beim Gehen. Und was für ein Gang. Und sie
kam sogar ins Café. »Bonjour, M. Marteau«, sagte diese ganz, ganz
Neue, die taufrisch aus den zwanziger Jahren gekommen schien.
»Sind sie doch, M. Dueleen hat schon viel von Ihnen erzählt. « Allerdings war diese Unterhaltung in flüssigstem Französisch und da M.
Marteau von seinen ausländischen Gästen so alles gewöhnt war, nur
keine perfekte Rede in der eigenen Sprache, blieb ihm, man könnte es
fast wörtlich nehmen, das Wort im Hals stecken. Er verschluckte sich
furchtbar, und war erst nach einiger Zeit wieder klar ansprechbar.
»Das ist Fräulein Erni«, stellte Dueleen vor,«aber Du darfst sicher Marita sagen, wenn Du nicht mehr so hustest. «
»Marcel«, sagte M. Marteau, stellte noch einen Cognacschwenker auf das Zinn des Tresens und griff zu einer Flasche, die im
Schrank, unter der Theke verborgen war. »Sagt Marcel zu mir, Werners Freunde sind auch meine Freunde«. Ich bemerkte, daß die Sauferei wieder anfing. Es war jetzt knapp ein Uhr und der Aquamarina lag
immer noch im Nouvelle Port.
Ich sah Dueleen an und sagte: »Haben wir nicht noch etwas vergessen?«
179
Dueleen fing an, über Broteinkauf und Wein nachzudenken, das
aber alles in Rauhen Mengen im Hause sei. Aber wenn schon, dann
könne man mal in Nizza bei der Lufthansa-Launch anrufen, ein paar
Freundinnen würden schon rüberkommen, wenn er anrief und ...
»Der Aquamarina«, sagte ich.
Dueleen setzte den Cognacschwenker hart auf den Tresen und
starrte mich an, ungefähr wie ein Schäferhund das Würstchen. Marteau deutete mit dem Finger auf Dueleen und schrie: »Er ist verrückt.
«
Von hinten kam ein Kellner und schlug ihm auf die Schulter.
Marita und ich sahen uns verblüfft an. Plötzliche Heiterkeitsausbrüche
waren mir nicht unbekannt, aber diesmal schien uns die Ergründung
nicht zu gelingen.
»Es ist doch seiner... «, war einer der ersten bruchstückhaften
Erklärungen, die wir bekamen. Dueleen blickte gelassen in die Runde
und im ganzen Saal wurde Champagner serviert. Auch im Straßencafe. Die Kellner flitzten und nach fünf Minuten erhob das gesamte Lokal das Champagnerglas und trank auf Dueleen. Der nahm diese Ehrung dankend hin.
Marita hatte sich in der Zwischenzeit einen Kellner gegriffen,
von dem man sah, daß er sich gerne hatte greifen lassen und die Geschichte aus ihm herausgeholt.
Wir hatten ja am Vortage das Boot im neuen Hafen beim Hafenmeister abgegeben, der das offensichtlich neue und gute und namenlose Boot auch angenommen hatte, besonders nach unserer Auskunft, es sei Dueleens. Ein Telefonanruf hatte ihn allerdings verwirrt.
Er, der Hafenmeister, war mit der Frage nach weiterem Vorgehen in
die unsägliche Geschichte mit Dr. Ast gestolpert und hatte nur zur
180
Antwort erhalten, daß ein neuer Aquamarina gänzlich uninteressant
sei.
Auch die nun einsetzenden internen Gespräche zwischen Marcel, Alain, aber dann auch der Gendarmerie, führten zu nichts. Erst im
Café de Lyon wurde urplötzlich klar, daß Dueleen einen Aquamarina
vergessen hatte. Kann ja mal passieren.
M. Marteau sah auf seinen Kellner, der vor ihm stand und fragte
»wer ist das?« Der sah seinen Chef verwirrt an und sagte: »Ich bin
Frederic. «
»Oh, hab ich vergessen«, brüllte Marteau. Die Kellnerschar
schüttelte sich vor lachen.
»Gib mir wenigsten noch einen Schluck«, sagte Dueleen mit
dem leeren Glas in der Hand. »Oh, tut mir leid, mon ami, hab ich vergessen«.
Die Stimmung geriet außer Rand und Band, diesmal hatte Dueleen verloren. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als aufzustehen und
mitzuteilen, daß er sich jetzt das Boot ansehen wolle.
»Es liegt im Nouvelle Port,« sagte Marteau, »da drüben. « Er
zeigte mit dem Finger in die Richtung. »Aber nicht vergessen. « Brüllendes Gelächter. Flucht auf die Straße. Langsames Abklingen der
Geräuschkulisse. Einige wenige Meter zum Papagayjo, dann einen
kleine Klettertour über die Schienen des Krans der Werft, dann nach
links und Rot auf dem Wasser gesucht.
Der Hafenmeister wurde sofort und in bar getröstet. Er empfahl
uns dafür auch diesen Liegeplatz hier vorne, direkt erste Reihe, erste
Stelle links. Wasser und Strom direkt davor.
181
Dueleen sah sich das Boot von allen Seiten an. Dann zog er die
Schuhe aus, ging an Bord und ließ die Motore an.
»Es ist schon getankt, M. Dueleen«, beeilte sich der Ableger zu
versichern.
»Macht Euch einen schönen Tag«, sagte Dueleen zu uns, »ich
muß das neue Pferd einreiten. « Er ließ die Leine loswerfen, schob den
Doppel-Gashebel leicht nach vorne und fuhr langsam blubbernd aus
der Reihe, drehte nach rechts, kurz nach links und fuhr die Hafenausfahrt Richtung der Baustelle von Port Grimaud. Das war das Letzte,
was wir von ihm sahen, zumindest bis um zweiundzwanzig Uhr, als er
wieder in der Tagbar des Byblos einlief. Er roch noch nach Salzwasser
und etwas Motoröl, war aber wieder schnieke fein. »Bon soir, mon
captain«, begrüßte ihn der Chef der Bar, »Whisky?«
Dueleen nickte und setzte sich zu uns ans Fenster seines berühmten Sprungs und montierte mit großer Geduld an den Schlüssel
des Aquamarina ein Bronzeteil. Vielleicht ein Stück eines Türschildes,
vielleicht auch ein altertümlicher Starterschlüssel. Auf jeden Fall stand
dort gegossen »Captain«.
»Hab den alten Aquamarina verkauft. Schmerzt, glaub' ich,
mehr als eine Scheidung. Zumindest meine. « Dueleen trank den
Whisky und sah Marita an. »Morgen kommst Du mit aufs Boot, dann
wollen wir den Kahn mal prügeln. «
Szene 10, take 4
Gegen fünf Uhr am Sonntagnachmittag stand der Taxifahrer vor
der Tür und lächelte. Zwei junge Damen entstiegen seinem Wagen
und begrüßten Dueleen mit Küßchen auf die Wange. Der Fahrer stand
immer noch da und lächelte. So zwei schöne, junge Damen, sportlich
gekleidet und eben mit dem gewissen Chic. Marita lud ihren Seesack
182
in den Kofferraum. Der Fahrer war noch zu sehr beschäftigt, den bestrumpften Damenbeinen auf den obligatorischen Pfennigabsätzen
nachzusehen, um zu bemerken, daß schon wieder zwei Fahrgäste hatte. Dueleen verabschiedete Fräulein Erni mit Handschlag, mich mit
zusätzlichem Handschlag auf die Schulter. Sollte er sein lassen.
Eine der neu eintreffenden Damen hatte als erstes die Tür der
Kammer sofort hinter der Eingangstür geöffnet. »Huch,« hörten wir,
»da ist ja wirklich eine Eismaschine drin«.
Dueleen winkte und die andere Dame hängte sich in seinen
Arm. Das Taxi fuhr die rue des bateaux entlang, wieder sah ich die
Zitadelle, dann den Golf.
Kommt man auf der Rue des bateaux auf den Golf zu, so liegt
lange Zeit der Leuchtturm von Camarat hinter einem, der Hügel, den
man dann hinab zum Golf von St. Tropez fährt, der verdeckt die Sicht
auf Cap Camarat und den Plage de Pampelonne. Dafür liegt der blaue
Golf vor einem, ein paar Palmen bringen frisches Grün ins Bild und
nach rechts liegt das Dorf an seinem Zitadellenberg. Der Hafen sieht
von hier wie in den Golf geschoben aus. Die Schiffe ziehen, für den
an Land stehenden Beobachter langsam dahin, nur die weiße Bugwelle zeigt ihre tatsächliche Geschwindigkeit.
Dann der Blick nach links auf die Stadt und ehemalige Festung
Gassin, daneben die Ruine der vorgeschobenen Festung Grimaud.
Dahinter schweres Grün des Maurengebirges.
Ich erlebte die Fahrt nun schon zum vielfachen Mal, aber ich
bewunderte immer wieder die Schönheit dieses Stückchen Frankreich,
an dem sich Land und Meer trifft. Kurz vor Ste. Maxime sah ich wieder einmal ein letztes Mal auf das Dorf auf der anderen Seite des Golfes, um wenig später über die Autobahn dem Flughafen Nizza entgegen zu rasen. Ein Blick von der Autobahn, da ist doch Cannes, ein
Blick von der Höhe hinab. Das ist der Airport Nice. Zwei parallele
183
Bahnen, auf einer künstlichen Insel in der Buch von Nizza angelegt,
draußen vor der Großstadt, an der Einmündung der Var, dem zu regenarmen Zeiten kaum merkbaren Flüßchen, der dem Arrondissement
seinen Namen gibt.
Der Start in Richtung Cannes, scharfes Drehen, bereits in der
Startphase in Richtung Genua. »Die Damen und Herren die links sitzen, sehen jetzt Nizza, Monte Carlo und über Genua drehen wir dann
nach Norden, um die Alpen zu überqueren«, sagte der Kapitän unserer
737. Ich kannte die Ansage. Trotzdem fand ich es nett, zu wissen wo
man war.
»Bitte stellen Sie die Lehnen senkrecht ... « Frankfurt Rhein
Main Airport hatte mich wieder. Ein Ausgang ebenerdig, die Koffer
im Keller abholen. Ein Kellerausgang in die Arbeitswelt. »Taxi. «
184
Szene 11
Vierzehn Tage später saß ich, jetzt schon die zweite Woche,
wieder an meinem Schreibtisch und blickte über eine Fabrik, die von
der Hitze überzogen, leicht unter mir waberte. Posteingang, Postausgang, Texte, Verträge, Unterschrift bitte. Dr. Ast hatte ich nur wenig
zu sehen bekommen. Es verlangte in mir auch nicht danach.
Meine halbe Sekretärin, das ist eine Sekretärin, die man sich
noch mit jemandem teilen muß, kam und verglich meinen und ihren
Terminkalender. »Ich mache einen Termin für Sie mit Dr. Kurzlauf,
am besten wird gleich morgen um neun sein. « Sie trug mir mit Bleistift den Termin ein.
»Kurzlauf«, sagte ich, »welch' hohe Ehre, der große Chef hält
also wieder mal eine Rede an sein Volk. « Die Vermutung war naheliegend, da alle Manager in zwar unregelmäßigen aber doch gleichmäßig verteilten Zeitabschnitten zu Vorträgen unseres Vorsitzenden
›gebeten‹ wurde. In einem Saal mit hundert bis zweihundert managenden Genossen hörte man sich dann die Ziele der Firmen- und
Geldpolitik an. Und dann strebte man eifrig, diesen Zielen zu folgen.
Glaubten wenigstens einige. Meistens mußte man das Geschäft eben
so machen, wie es ging.
»Nein«, sagte Sie, »das ist ein persönlicher Termin von Ihnen
und Dr. Ast. «
Ich bewahrte kurzfristige Haltung, bat um die übliche schriftliche Einladung im Eingangskasten mit TOPs und Teilnehmern und
kämpfte gegen innere Unruhe. Nach zehn Minuten rief ich Dueleen
an. In St. Tropez ging der Ruf ins Leere, ich versuchte FreiburgGlaubensberg. Dueleen war sofort erreichbar und ich schilderte ihm
die aus meiner Sicht ungewohnte Situation. Dr. Ast und ich beim
Chef, das konnte nicht gut gehen. Irgend etwas mußte faul sein, im
185
Staate aber auch in der Firma. Dueleen tröstete mich. Ich erzählte von
vorsorglicher Kündigung und Dueleen lachte.
»Wissen Sie, Herr Nader, ich werd's ihnen nicht sagen, aber ich
verspreche ihnen, daß sie mich morgen anrufen und ganz zufrieden
sein werden«, sagte Dueleen.
Sybillinische Reden vom Manipulator der Industriefilmwelt. Ich
drang nicht mehr weiter in ihn. Er schien irgend etwas zu wissen.
Aber er war schlau genug, mir nichts zu sagen. Oder er wußte nichts
und bluffte. War auch möglich. Mal die statistische Überlegung anstellen. Also, er blufft und es geht gut, dann gut, er blufft, und es geht
nicht gut, dann sowieso schlecht.
Mir gelang an diesem Tag nicht mehr viel in der Firma, und ich
ging früher als sonst in die Stammkneipe um die Ecke, um noch ein
oder zwei Schlummerbiere zu nehmen. Alle Kombinationen gingen
mir durch den Kopf, es kam aber nichts Positives dabei heraus. Neben
mir saß eine Reiseleiterin eines größeren Touristikunternehmens.
»Kennen Sie St. Tropez«, fragte ich nebenbei. Wir unterhielten
uns prächtig, sie kannte Ramatuelle und den Friedhof, auf dem Phillipe Gerard beerdigt ist, den Blick von Cap Camarat zur Bucht nach
Cavalaire, die Straße der alten Mühlen nach Gassin. Wir sprachen
über den Markt am Sonntag in Ramatuelle, über den Blick, ins Tal
vom Restaurante in Gassin mit dem nun wirklich bezeichnenden Namen ›Bellevue‹.
Wir schwärmten vom Hummern beim Senequier. »Aber die
Spaghetti bei Hugo waren auch nicht schlecht«, sagte Sie. Ich sah Sie
entsetzt an. Man kann nicht immer gleicher Meinung sein. Der Wirt
stellte ein nächstes Pilsglas vor mich auf den Tresen. Ich blickte auf
die Uhr und mußte anscheinend verächtlich die Mine verzogen haben.
Agatha, ihren Vornamen hatte ich erfahren, sah ebenfalls auf die Uhr.
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»Zu mir oder zu Dir«, sagte sie. Es muß einen St. Tropez-Effekt geben.
Der Wecker riß mich um sieben aus wilden Phantasien und Gedankenfetzen. Agatha blockierte unverhältnismäßig lange das Badezimmer. Abschiedskaffee im Stehen und das nächste mal bei Ihr.
»Tschüs. «
Um neun betrat ich in Nadelstreif und Krawatte, schwarzen
Schuhen mit dünnen Ledersohlen und mit dem Geruch des Photo von
Lagerfeld das Vorzimmer zur Hinrichtung. Dr. Ast saß schon im kleinen Besprechungszimmer. Die Privatsekretärin unseres Chefs verhinderte jede aufkommende Peinlichkeit durch Fragen nach Kaffee, bringen von Wasser und Auflegen der Tischvorlage. Ich wechselte mit Dr.
Ast die üblichen Präliminarien.
Dr. Kurzlauf betrat das Besprechungszimmer. Freundliche Begrüßung mit gegenseitigem Händeschütteln. Bitte um wieder Platz
zunehmen. Darstellung einer geplanten Umorgansation und der Darstellung, daß Dr. Ast dann als der Leiter der neu geschaffenen Sparte
vorgesehen sei, die das Marketing der Gesamtfirma bestimmte. Außer
natürlich dem naturwissenschaftlichen Bereich. Das war zwar zu ungefähr die Hälfte, aber der Zuwachs an Macht war mit einhundert
Prozent zu werten. Schlechte Karten für mich.
»Herr Nader wird dann zwangsläufig ... «, sagte Kurzlauf,
»nein, so will ich das dann doch nicht sagen. Sondern: Der Herr Nader
wird dann, Dank seiner hervorragenden Arbeit ihr bisheriges Wirkungsfeld übernehmen und natürlich die entsprechenden Bereiche, die
durch die Umorganisation dazufallen. «
Ich hörte, wie durch Watte, Glocken läuten. Ich konzentrierte
mich auf das Geräusch und stellte fest, daß es mein Puls war, der im
Ohr hämmerte. Dann blickte ich zu Dr. Ast hinüber. Der sah äußerst
durchschnittlich aus, aber kreideweiß.
187
»Ich habe die entsprechenden Organigramme als Vorplanung
einmal anfertigen lassen. Sehen Sie bitte alles in Ruhe durch. Änderungen sind selbstverständlich noch möglich. Die Besprechen Sie
dann am besten mit der Abteilung Planung und Organisation.
Ach, Herr Nader, der Herr Griff vom Verband der Vollhersteller
hat mich angesprochen. Sie haben mit der Video-Schulung scheinbar
einen äußerst guten Griff getan, ha, ha. Herr Griff will das für seinen
Verband auch so ähnlich in die Wege leiten. Könnten Sie sich doch
mal mit Herrn Griff in Verbindung setzen? Der Produzent der Reihe,
Moment der Herr .... «
»Dueleen«, ergänzte ich.
»Richtig, Dueleen, der soll ja eine unglaubliche Eisenbahnanlage haben. Hat mir der Harald Vielstadt bei der letzten Sitzung erzählt.
Wenn es sich irgendwie ergibt, muß ich die mir auch mal ansehen.
Meine Herren! Vielen Dank und Aufwiedersehen - die Unterlagen sind für Sie. «
Vor der Tür verabschiedete ich mich von meinem alten wie
neuen Chef per Handschlag. Wir vereinbarten noch, demnächst mal
einen privaten Abend gemeinsam zu verbringen und jetzt erst einmal
durchzuarbeiten, was uns die Umorganisation denn so bescheren würde.
Ich erreichte mein Büro, bat im Sekretariat, alle Gespräche und
Besucher fernzuhalten und rief Dueleen an.
»Jetzt ehrlich, was haben Sie gewußt?« fragte ich als erstes.
Die Geschichte war einfach. Ich hatte sowieso schon bemerkt,
daß die komplizierten Geschäfte immer ganz einfach abliefen. Due-
188
leen hatte stark auf seinen Freund, ich wußte nicht, wieweit man das
in Anführungszeichen schreiben mußte, Harald Vielstadt eingewirkt,
weil er ebenfalls eine Lehrfilmreihe für die Computerindustrie produzieren wollte. Harald Vielstadt aber gab nicht so leicht gutes Geld für
Filme hin. Deswegen hatte der auf der Verbandsschiene erreicht, den
nicht so beliebten Vorsitzenden Griff davon zu überzeugen, daß der
Verband sein Geld dafür ausgeben müsse.
Über die Beziehung zu Dueleen erwartete Harald Vielstadt jetzt
wieder einen über seine anteilige Bezahlung hinausgehenden Einfluß.
Und nebenbei hatte er Griff auch von der Eisenbahnanlage erzählt. Er
mußte seine ja irgendwie abgleichen gegen einen andere, bekannte
und gleichwertige. Und auch der Gegner, der Besitzer mußte einen
Namen in der Welt haben.
Und Dr. Kurzlauf hatte so eine brillante Schilderung der Eisenbahnanlage erhalten, die Griff nie gesehen hatte.
Die Umorganisation brachte für mich den Vorteil eines, etwas
später, verbesserten Gehaltes, eines größeren Einflußbereiches und der
Bewegungsfreiheit in Europa. Außerdem war Dr. Ast ziemlich aus
meinem Blickfeld entschwunden. Und das schon räumlich, denn wir
alle hatten einen Umzug hinter uns zu bringen und nachdem der abgeschlossen war, saß mein Chef drei Gebäude weiter und störte nur noch
wenig.
Dueleen rief mich mitten im Umzug an und verlangte, ich solle
unbedingt nach München kommen. Was es dort gäbe, hätte ich noch
nicht gesehen. Ich schloß, nach einem Blick auf den Kalender, der
August zeigte, Oktoberfest aus. Dueleen bestand auf meinem Kommen, und außerdem sei ich schon von ihm als Mitglied der Juri eingeplant. Ich versicherte mich, daß er das alles ernst meinte und flog am
nächsten Tag auf Kosten der Filmfirma und zum ersten Mal mein
Recht als neuer leitender Angestellter in Anspruch nehmend, ohne
Urlaubsantrag nach München. Erstaunlicherweise war ich nicht im
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Bayrischen Hof, der Lieblingsbleibe Dueleens oder im Vierjahreszeiten untergebracht. Diesmal war es das Holiday Inn am Rande Schwabings.
Nach herzlicher Begrüßung und einen Willkommensschluck in
der Bar wurde ich meinen Kollegen vorgestellt. Ein Redakteur des
Playboys und ein Filmregisseur aus den Staaten, von dem ich noch nie
etwas gehört, geschweige denn gesehen hatte. Aber alles offensichtlich große Nummern. Und dann wurde mir eröffnet, worum es ging.
Einer der größten europäischen Seifenkonzerne hatte eine Flüssigseife entwickelt, die einige Vorteile beim Vermarkten versprach.
Dazu hatte auch eine Marketingabteilung Konzepte entwickelt und
alles war gutgeheißen und abgestimmt worden. Und jetzt kam der
Haken. Eine der Hauptbewerbeschienen war das Fernsehen und die
verschiedenen Fernsehspots waren auch genau von der Werbeabteilung vorgeschrieben.
Dort stand zum Beispiel: In einer futuristischen Badeumgebung,
deren Farbgestaltung unserem Produkt angepaßt sein muß, schreitet
die perfekte Frau unbekleidet von links nach rechts durchs Bild um
mit einem Sprung in das Wasser die Spannung zu lösen.
»Naja«, sagte ich, »nackte Frau springt ins Wasser, »habe ich
schon mal gesehen. «
»Nein«, sagte Dueleen. »Die haben sich nicht getraut, das Weib
auszusuchen. Keiner wollte sich vortrauen. Jetzt machen wir das hier
in Form einer Wahl. Unten im Yellow Submarine, der Disco hier im
Haus, stehen einhundertundsechs nackte Weiber und wollen sich zeigen. «
»Wieviel?« fragte ich zurück.
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»Einhundertsechs, splitternackt. Jede läuft einmal um den
Tisch, macht Turnübungen und geht wieder. Und wir sitzen am Tisch,
und vergeben Noten. Schulnoten von eins bis sechs. «
»Aber das kann man den Mädchen doch nicht antun«, sagte ich.
»Nader«, Dueleen wurde fast ärgerlich, »die haben sich alle
freiwillig gemeldet und bekommen sechshundert Mark für einmal
ausziehen. Nicht von mir, von den Seifenfritzen. Da hat sich jede von
denen schon für viel weniger ausgezogen. So, und nun rein in die harte Arbeit. «
Auf der Tanzfläche der Disco war eine Kulisse aufgebaut, die in
grünen Farben ein Bad symbolisieren konnte. Rechts saßen circa
zwanzig nackte Mädchen an den Tischen des Tanzschuppens und
nippten an Getränken. Ein befrackter Kellner servierte. Ein junger
Kerl, dem Anscheine nach Aushilfsstudent, hatte wiederum zwanzig
Plastikkisten vor sich, in denen die Kleider der Damen lagen und große Plasitkschilder mit Nummern darauf lagen.
Ich setze mich, der Tischbeschriftung folgend, auf die Linksaußenposition am Juritisch. Schräg gegenüber des Juritisches war ein
Sekretärinnentisch mit Karteikasten und zwei Damen, die Liste führten. Wir Juroren tranken Champagner. Das Licht wurde auf Spot gedreht und die Show begann.
Dueleen begrüßte alle Teilnehmer, auch die Damen und bat,
ohne weitere Vorrede zur Wahl zu schreiten. Die erste Dame am Tisch
der Nackten stand auf, nahm vom Plastikkorb die Nummer eins und
tänzelte auf uns zu. Sie räkelte sich vor den Augen der Juroren, drehte
sich um und zeigte auch die Bewegung ihrer Rückseite. Sie sprang ein
paarmal hoch, landete sicher und kam nahe an den Jurorentisch. Eingehend ließ sie Brüste und Bauch prüfen. Die Strammheit der Hinterseite deutete sie mit dem klatschen der flachen Hand an. Dueleen
schüttelte sie die Hand. Wir bedankten uns artig durch Kopfnicken
191
und Dueleen zeigte mir, unter dem Tisch, den Zettel, den sie ihm in
die Hand gedrückt hatte. Eine Telefonnummer. Ohne Vorwahl. Mußte
dann direkt hier in München sein.
Nicht jede Nackte war erwähnenswert. Manche waren etwas
schüchtern, schlichen mehr in Entfernung am Tisch vorbei, manche
waren mutig und tanzten bis zum Spagat. Andere wiederum waren
mehr für brutalen Sex, faßten fest Brüste an oder spreizten gar die
langen Beine sehr. Manche waren der Ansicht, daß die gebückte
Kehrseitenansicht mehr brachte und eine doch erwähnenswerte Anzahl von zwölf traute sich, Dueleen ihre Telefonnummer heimlich in
die Hand zu drücken.
Waren die ersten zwanzig vorbei defiliert und hinter einer
Schamwand verschwunden, hinter der sie sich wieder ankleideten,
wurden die jetzt wieder leeren Kleiderkisten nach rechts getragen.
Zwanzig weitere Damen wurden an die Tische gelassen, die entkleidenten sich, packten ihre bestimmt ausgewählte Kleidung in die Plastikkisten, nahmen neue Nummernschilder in Empfang und das Defilee ging weiter.
Nach knapp zwei Stunden war der größte Massenstrip Deutschlands bis zu diesen Tagen vorbei. Die braven Sekretärinnen zogen die
Listen ein und rechneten noch einige Zeit. Das Licht ging an, die vorher nackten Damen wurden, jetzt bekleidet, nach Hause geschickt.
Ich fuhr mit Dueleen zum Haxenbauer. Nach soviel Fleisch war
ich nicht ganz sicher, ob ich jetzt auch den Fleischberg der Haxe gut
finden würde. Dueleen tröstete mich mit der harten Kruste. Die der
Mädchen sei doch ziemlich weich gewesen, und öfters auch etwas
labberig. Ich leistete mir ein Stuttgarter Dinkelacker Pils zur bayrisch
hervorragenden Haxe und fragte Dueleen nebenbei, ob er eine Ahnung
habe, wer denn jetzt die Aufnahme machen würde.
»Ich hab' den Auftrag«, sagte Dueleen.
192
»Nein, welches der Mädchen denn gewonnen hat, meine ich«,
sagte ich und arbeitete gegen die Haxe an.
»Ist doch egal, das geht so: Ich kriege die Nummer von der Sekretärin gesagt, die gewonnen hat. Und ich habe die Liste. Die Aufnahmen macht unsere Freundin Marita Erni. «
»Aber Marita hat doch gar nicht mitgemacht«, ich war wieder
mal total verblüfft.
»Ist doch unwichtig, ich brauche sie doch nur an der Nummer
eintragen, die gewonnen hat. «
»Ja, aber macht Marita das überhaupt, die ist doch schließlich in
festem, gutem Beruf, hat einen Ruf undsoweiter. «
»Sie lernen's nie, laufen tut natürlich irgendein Modell, daß so
ähnlich aussieht, und die kriegt sechshundert, hält's Maul und weiß
davon nichts. Läuft als Probeaufnahme. Und mit den Chefs sprechen
tut die Erni. Die macht noch Karriere. Und die kriegt einhundertzwanzig. Aber diesmal tausend.
Herr Nader, beschlabbern Sie ihren Anzug nicht. - Zum Wohl. «
193
Szene 12
Die Hitze war Ende August noch unerträglicher geworden.
Trockener Staub bestimmte das Wetter. Und an solchen Tagen regelmäßig der Arbeit nachzugehen, war nicht einfach. Allerdings war die
Zeit auch nicht besonders nervenaufreibend. Die Industrie schien mit
halber Kraft, vielleicht sogar noch etwas weniger, zu arbeiten. Die
Anzahl der Telefongespräche war drastisch gesunken und man konnte
es sich durchaus erlauben, die Tischzeit wirklich einzuhalten.
Herr Gerbert, mein Assistent kam nach der morgendlichen Kaffeepause in mein Büro, um die üblichen Rücksprachen zu erledigen.
Er begann aber mit der Information, daß er von einem Kollegen bei
der Lufthansa gehört hätte, daß bei Dueleen Film irgendeine Frau
verunglückt sei. Und daß Dueleen jetzt alles hinschmeißen wolle.
Ich war betroffen genug, Herrn Gerbert zu bitten, den Rücksprachentermin auf den Nachmittag zu legen. Als er mein Büro verlassen hatte, wählte ich die Telefonnummer der Studios in FreiburgGlaubensberg. Ein Anrufbeantworter gab mir die Gelegenheit meine
Wünsche auf Band zu sprechen. Das war höchst ungewöhnlich, das
hatte ich so noch nicht erlebt. An die Privattelefonnummer Dueleens
war niemand heranzuklingeln. Eine merkwürdige Situation. Ich spürte
das Unglück, konnte es aber nicht fassen.
Jetzt suchte ich ernsthaft eine Antwort, für die ich noch gar keine Frage hatte. Es war nicht Neugier, ich spürte, trotz der Hitze des
Tages, dunkle Wolken über mir und suchte einen Weg, sie zu vertreiben. Ich rief die Auskunft an und erfragte die Telefonnummer der
Dorfkneipe. Der Kneipenwirt gab mir die Auskunft, die ich gesucht,
aber eigentlich nicht haben wollte.
Es hatte einen Unfall gegeben, auf der Autobahn zwischen Freiburg und Basel. Mit einem Porsche. Gestern am frühen Abend. Und
wenn alles richtig war, was er wußte, dann war die Frau Amsel, die
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die Sekretärin von Herrn Dueleen, bei dem Unfall ums Leben gekommen. Der Wagen sei mit hoher Geschwindigkeit auf einen Brükkenpfeiler geprallt. Gebrannt hätte er auch noch. Nein, ein Beifahrer
sei ihm nicht bekannt. Nein, Dueleen sei es wirklich nicht, der hätte
die Nachricht gestern, hier in der Kneipe erhalten, von einem Polizisten. Ja, es sei sein Porsche gewesen, der ganz neue. Wo der Herr
Dueleen jetzt sei, wisse er nicht. Nur das Studio sei sofort vorläufig
geschlossen worden. Die Gehälter würden noch weiter bezahlt, aber
das wisse man alles noch nicht. Herr Dueleen könne das nur entscheiden.
Es ist nicht richtig, zu sagen, ich säße wie betäubt in meinem
Bürosessel. Es war nur ein Gefühl der schweren Leere. Mitleid war
auch nicht das Wort, denn der Tod hatte mir, uns etwas weggenommen. Wut ist auch eine Möglichkeit, dieses Gefühl zu beschreiben,
aber es ist dunkle, hoffnungslose Wut.
Mehrfach an diesem Tag sprach ich auf den Anrufbeantworter.
Aber mir war klar, daß Dueleen nicht erreichbar war. Ich versuchte
noch die Telefonnummern von Kameramann und Toningenieur. Ich
erhielt nur die mehrfache Bestätigung des Gehörten.
Es wurde Nachmittag, ich saß in meinem Büro, es war heiß und
die Amsel war tot. Mich in sinnvoller oder auch sinnloser Arbeit zu
verkriechen gelang mir nicht. Sätze, Brocken von Sätzen flogen mir
durch den Kopf. Keiner stimmte. Hatte sie wirklich ›ihr Leben gelebt‹.
Warum sollten die Götter einen lieben, den sie zu jung zu sich nahmen? Dueleen hatte erzählt, der Friedhof in St. Tropez, am Meer, unterhalb der Zitadelle, das sei der schöne Ort des Übergangs vom Leben zum Tod.
Kurz vor Feierabend kam auch noch ausgerechnet Dr. Ast in
mein Büro. Ich kämpfte mit Gefühlsaufwallung und sortierte mein
notwendiges, logisches Verhalten gleichzeitig. Ich sagte, ich hätte
erfahren, Frau Amsel sei bei einem Verkehrsunfall ums Leben ge-
195
kommen. Die Nachricht sei ziemlich sicher. Dr. Ast klopfte mit den
Knöcheln mehrfach auf meinen Schreibtisch, preßte die Lippen zusammen, dann bewegte er flatternd die Finger. »Ich muß in mein Büro«, sagte er. Er ließ die Tür hinter sich offen stehen.
Am nächsten Tag erwartete ich bei jedem Telefonklingen einen
Anruf von Dueleen. Aber es waren nur Geschäftspartner, die mir entweder erzählen wollten, was sie in der Zwischenzeit erfahren hatten
oder die von mir erfahren wollten, was geschehen sei.
Wenn sich am Vormittag die Telefonate noch um die traurige
Tatsache und deren Beschreibung bewegten, so wurden am Nachmittag doch schon erste geschäftliche Konsequenzen behandelt. Dara rief
an, erzählte mir, daß das Projekt der Videounterrichtung keinesfalls
dadurch behindert werden dürfe. Er hätte schon Kontakt zu einem
begabten Jungfilmer aufgenommen, der das alles auch könne. Ich
erklärte, daß wir langfristige Verträge mit verschiedenen Firmen und
Gruppen hätten und daß zur Zeit noch kein Handlungsbedarf bestünde. Dara bestand darauf, zweigleisig zu fahren. Der Vorsitzende des
Verbandes rief mich noch an, um einen Besprechungstermin vorzuverlegen. Es hätte eine gewissen Unruhe unter den Verbandmitgliedern
gegeben, weil jetzt scheinbar doch ein Projekt in Schwierigkeiten
gekommen sei. Er sei aber Dr. von Darabolenski schon dankbar, daß
er versuche, die Bundeszuschüsse in angemessener Form zu retten.
Wir vereinbarten einen späteren Termin. Ich blickte in meinen
sommerleeren Terminkalender und bedauerte, keinen früheren zusagen zu können.
Am nächsten Tag verstummte die Aufregung, nur Dueleen blieb
verschwunden. Anrufe in der Kneipe, bei der Frau, in der Firma, bei
den bekannte Kollegen, alles negativ. Auch das Telefon in St. Tropez
beantwortet mir keine Frage. M. Marteau hatte ihn nicht gesehen und
Alain hatte sogar frustran den Gärtner losgeschickt, das Haus zu untersuchen.
196
Dueleen war verschwunden. Seine Frau hatte angeblich eine
Vermißtenanzeige bei der Polizei aufgegeben. Von der Haushälterin,
die, obwohl in Urlaub geschickt, jetzt wieder die Stellung hielt, erfuhr
ich, daß die große Garage leer war. Ich erfuhr auch definitiv, daß der
Unfallporsche Dueleens gewesen war. Aber ich erfuhr zusätzlich, daß
das Motorrad fehlte. Ich drückte meinen Resturlaub aus der Personalabteilung heraus und fuhr nach Süden. Es mußte St. Tropez sein.
Diesmal brannte die Hitze über der Autobahn. Ich war kurz
nach Sonnenaufgang losgefahren, aber schon bei der Rheinüberquerung war das letzte bißchen Kühle, daß sich von der Nacht noch im
Wagen gehalten hatte, verflogen. Die sonst kühlen Vogesen waren
genauso trockenheiß wie die folgende Ebene der Saone. Der Tunnel
durch Lyon brachte zwar Schatten, aber heißen, abgasgeschwängerten,
kaum atembaren Schatten. Der Straßentunnel ist lang, bei stockendem
Verkehr, und wann stockt der nicht, ist man im Tunnel wie in einem
Grab gefangen. In einem heißen Grab. Der Wagen der Amsel hatte
nach dem Unfall Feuer gefangen. Er war weitgehend ausgebrannt
gewesen, als die Feuerwehr die letzten Flammen ablöschte. Die Feuerwehr hatte die Aufschlaggeschwindigkeit auf den Brückenpfosten
mit weit über einhundertfünfzig geschätzt. Der Mediziner war der
Ansicht, daß zumindest eine Bewußtlosigkeit sofort eingetreten war.
Das Feuer hätte wahrscheinlich nicht mehr getötet, wahrscheinlich
nicht.
Schweiß trat mir aus allen Poren, der Verkehr im Tunnel kam
einfach nicht vorwärts, die Hitze, Atemnot kam jetzt dazu. Ich kurbelte das Fenster herunter. Abgas ergriff meine Atmung und versuchte
mich zu erwürgen. Wieder hörte ich meinen Puls in den Ohren, im
Hals hämmern. Der Verkehr begann wieder zu laufen, die ersten Fahrzeuge vor mir bewegten sich. Jetzt war auch ich dran. Die Rechtskurve aus dem Tunnel, die Rhone breit vor mir, mit der abknickenden
Straße nach Süden fließend.
197
Plötzlich hörte ich den Motor wieder. Es muß in der Nähe der
Abzweigung nach Marseille gewesen sein. Vorher hatte ich kein Geräusch gehört. Oder es einfach nicht wahrgenommen. Jetzt hörte ich
nicht nur das Brummen, nein, auch die einzelnen Kolben, die Ventile,
die Pleuelstange, die Nockenwelle. Das Schleifen der Kohlen auf der
Lichtmaschine, das Rollen des Gummis auf der Betonpiste. Konzentration auf die Strecke, Kontrolle der Instrumente. Die Sonne stand
noch hoch, aber hinter mir, als auf die Autobahn nach Nizza einschwenkte und immer noch hoch, aber jetzt schon rechts von mir, als
ich oben auf der Höhe des Maurengebirges auf den blauen Golf von
St. Tropez hinunter sah.
Als ich die Serpentinen der schmalen Straße nach Grimaud hinabfuhr, schalt ich mich einen Idioten. Einem Gefühl, einem durch
nichts bestätigten Gefühl, war ich gefolgt und suchte einen Dueleen,
der wahrscheinlich gar nicht gesucht werden wollte, an einem Ort auf
der Welt, der doch so wahrscheinlich war, wie jeder andere.
Das Haus Dueleens war, wie bereits von Alain berichtet, verlassen. Dafür war St. Tropez überfüllt. War ich wahnsinnig gewesen. Ich
hatte vergessen, daß ich Ende August nach St. Tropez fuhr! August ist
der Ferienmonat in Frankreich, ganz Paris und das andere halbe Land,
das es sich leisten kann, ist an der Cóte d'Azur. Die Baumgrundstücke
und Wiesen, die sich den Rest des Jahres grün an das Mittelmeer
schmiegen, sind jetzt bunt, übervölkert, laut und alkoholisiert. Campingurlaub ist angesagt. Jeder Quadratmeter an der Küste, an der Küstenstraße und in noch erreichbarer Entfernung vom Meer ist als Platz
vermietet. Caravans, Zelte, Wohnmobile, ein buntes Volk mit seiner
Maschinerie füllt jeden freien Platz. Die Zeltplätze haben eigenes Leben, die Bistros, Restaurants, die Treffen am Meer, die Gruppen zwischen den Zelten. Manche Urlauber scheinen den ganzen Urlaub nicht
aus ihrem Campingplatz herauszukommen. Oder höchstens bis zum
Lunapark.
198
Ich kam am Lunapark, dem Rummelplatz der Region vorbei.
Jetzt am Nachmittag, noch in der brennenden Sonne stehend, hatten
nur wenige Amüsierbuden, meist die, die den Kindern etwas bieten
konnten, geöffnet. Trotzdem knatterten die Gokarts, die Achterbahn
lief, das Karussell tingelte seine Runde. Die Straße, die Autostraße
war verstopft mit Menschen. Menschen, Urlauber, die in großen
Gruppen dem Lunapark entgegenströmten. Oder von ihm kamen, oder
auf einen Campingplatz, zu einem Fest, von einem Fest kamen. Und
ich suchte Dueleen in St. Tropez.
Ich erstand im wahrsten Sinn des Wort einen Parkplatz auf dem
Parking de Nouvelle Port, dem großen Parkplatz, eigentlich vor den
Toren des Dorfes. Erstehen mußte ich ihn mit der Geduld zweier
Stunden in einer qualmenden Autoschlage, die die Franzosen vergnügt
sein ließ. Es war mir schon berichtet worden, daß das eigentliche Vergnügen des Urlaubs im August offensichtlich das Stehen im Stau auf
der Küstenstraße sein müsse, weil das schließlich so viele und ausdauernd betrieben. Ich war allerdings ausschließlich genervt und selbst
das Suchen eines freien Platzes auf dem abgeschrankten Privatparkplatz erwies sich als Pfadfinderspiel, zu allerdings sehr hohen Preisen.
Wie hatte ich annehmen können, irgendwo zu wohnen, in einem
Dorf, das jetzt in Oktoberfestmanier überlaufen war. In dem sich die
Besucher in Dreierreihen durch die Gassen schoben. Es herrschte
nicht nur Stau auf der Straße, es gab den Stau der Spaziergänger.
Ich kämpfte mich bis zum Café de Lyon durch, drückte mich
mit der Reisetasche in der Hand an die Theke und traf tatsächlich M.
Marteau. Verblüffung, als ich den Grund meines Kommens nannte.
Allerdings überzeugte er innerhalb eines Telefongesprächs den Portier
des Hotel Súbe, ein Zimmer für mich frei zu haben. Zumindest das
war also nicht gänzlich unmöglich im Dorf.
Es hielt mich kaum die Zeit, die ich brauchte, mir etwas Wasser
in Gesicht zu werfen, im Hotelzimmer auf, dann ließ ich mich schon
199
mit der Menschenmenge durch das so vertraute Dorf treiben. Es war
alles lauter, alles voller. Mehr Tische, mehr Stühle, es wurde schneller
gegessen, damit der Tisch wieder frei wurde. Der Blick vom Restaurant auf den Hafen wurde nicht mehr genossen. Er wurde nur noch für
kurze Momente verpachtet. Die Zitadelle wurde nicht erwandert, der
Weg nicht zum Blick zurück aufs Dorf genutzt. Die Zitadelle wurde
erobert. In geschlossener Touristenformation. Und links sehen Sie die
Kanonen, mit denen einst der Golf beherrscht wurde.
Mir wurde die Luft wieder zu eng. Ich mußte raus. Ich mußte
dahin, wo jetzt Dueleen auch war. Ich rannte fast den Weg der Zitadelle hinab, blieb am Übergang des Grüngürtels ins Dorf stehen. Sah
vor mir die Kirche, tiefer liegend als ich stand, darüber blickte ich auf
den Golf. Blau wie gemalt. Die anderen Dörfer sah ich in der Ferne.
Links die Straße führte ins Leben, am Eremitage vorbei, zum Byblos.
Byblos, nein das war unmöglich. Nicht im Leben. Ich ging nach
rechts, der Straße folgend, abwärts dem Meer entgegen. Die Straße
drehte sich langsam mit dem Zitadellenberg nach rechts, der Lärm des
Dorfes versank schon nach wenigen hundert Metern hinter mir. Der
Friedhof lag jetzt längs vor mir. Ich konnte von etwas oberhalb über
die Friedhofsmauer sehen, die steinernen Gräber waren hell. Manchmal blinkte etwas buntes. Ich betrat durch den Torbogen den Friedhof
und ging langsam an den Steinplatten, den Steinsarkophagen, den
Steinhäusern vorbei. Auf einer Grabplatte stand ein Spielzeugauto und
eine Puppe, auf einer anderen blinkte ein grellbunter Plastikkranz mit
Spiegelchen. Bunte, fröhlichen Teilchen, Geschenke der Lebenden an
die Toten, standen und lagen auf den steinernen Gräbern. Bunt, leuchtend, schrill. Ein Stein über einem Grab war auffällig schlicht, es trug
den Namen des Toten und darüber halbrund in den Stein gehauen
›Mort pour la France‹. Eine Trikolore, blau, weiß, rot, steckte in einer
eisernen Halterung am Stein.
Ich blickte mich um. Ich sah viele Gräber, die bunt, mit Plastik
und Spiegeln, Spielzeug und keinen Geschenken geschmückt waren,
200
aber ich sah auch die Gräber mit der Trikolore, ›Mort pour la France‹.
Und dahinter die im Sonnenschein helle Mauer des Friedhofs, danach
das Meer, das Meer blau, weit, endlos, kühl. Hinter dem Horizont lag
etwas Unerreichbares, etwas das ich nicht kannte.
»Afrika«, sagte ich mir und riß mich vom Bild, von der Stimmung los. Der Weg vom Friedhof führt weiter am Meer entlang unterhalb einiger äußerst teurer Villen in der Gegend des Plage des Graniers vorbei in die Baie des Canebiers. Dieses Bai ist schon vor der
Enge, von der aus St. Tropez den Golf beherrscht. Das Cap St. Pierre
ist noch geschützt, es ist gleichzeitig schon der Ausgang zum offenen
Meer, es begrenzt, beschirmt die andere Seite. Oberhalb des Cap endet
die Straße, die mich an Villen aber auch an kleinen, ärmlichen Fischerhäusern vorbei führte. Und da stand es dann. Ein Motorrad, Freiburger Nummer. Ich kletterte mehr, als ich ging, die Klippen nach
unten bis hinunter zum Meer. Dueleen saß auf einem Felsbrocken.
Neben ihm eine Decke, seine Jacke, eine Flasche Vitel. Vor ihm das
Meer, die Füße im Sand. Er war barfuß. Das Gesicht wirkte hager,
verhungert. Die Augen tiefliegend. Der Dreitagebart wirkte nicht modisch, sondern machte ihn zu einem Penner. Er sah mich an.
»Wie lange sitzen Sie hier schon«, fragte ich. »Zwei Tage«,
sagte Dueleen und beantwortete die noch nicht gestellten Frage: »Ich
wollte mir Ausdenken, wie man Gott betrügt. Aber das geht nicht. Ich
hab' da verloren. «
Er stand auf, kletterte vor mir den Hang hinauf und stieg auf
sein Motorrad. Er winkte mir, ich solle aufsteigen. Ich stieg auf, er
kickte die Maschine an und wir fuhren ins Byblos. Der Rückflug nach
Freiburg, über Basel, am nächsten Morgen, brachte uns planmäßig
und rechtzeitig zur Beerdigung. Dueleen hielt seine Trauerrede am
offenen Grab in bester Manier, wohlgewählte Worte, nichts überzeichnend. Er war wieder in seiner Welt der Industrie, der Macht, der
lügnerischen Rede. Der Anzug war bestimmt extrem teuer und anstelle
des sonst so goldglänzenden Schmucks hatte er wenig vom Dunklen
201
angelegt. Eine titanfarbene Armbanduhr, das Stöckchen mit dunklem
Ebenholzgriff. Stil muß man eben bewahren.
Als Vertreter meiner Firma bei dieser Beerdigung trat übrigens
Dr. Ast auf. Das war er seinem alten Freund Dueleen schuldig. Und
auch all den anderen Trauergästen aus Forschung und Industrie. Ich
stand ziemlich hinten und abseits. Als der Sarg ins Grab gesenkt wurde, sah ich über Dr. Ast hinaus in die Landschaft. Und im hellen blau
des Himmels sah ich in der Ferne Afrika.
202
Szene 13, take 1
In diesem Winter war für mich die Weg nach FreiburgGlaubensberg zur Gewohnheit geworden. Ein nächstes Projekt, das
stolz unter der Rubrik Sozialmarketing, man mußte es natürlich
›sauschl‹ sprechen, geführt wurde und auch mit Kultursponsering
Furore machte, war eine museale Darstellung der Geschichte der Optik und Meßtechnik. Ein solch hochgestecktes Ziel entsteht dann folgendermaßen:
Ein Professor hat das Hobby, alte Geräte und auch Bücher seiner Fachrichtung zu sammeln und wird in seinem Fachbereich natürlich nebenberuflich der Präsident der deutschen Gesellschaft für optisch optimierte Messeverfahren. Dann wird auf der einen Seite ein
Institut der Geschichte der optischen Messverfahren an einer Universität gegründet und dem ein Museum in der Stadt des Erfinders des
Meterstabes beigeordnet. Die staatlichen Zuschüsse fließen dann über
die Uniförderung, die Museenföderung und zusätzlich die Industrie,
die ja über die Gesellschaft deren gemeinnützigen Ziele sponsert.
Wenn sich der Professor dann ein reguläres Gehalt, zwei Aufwandsentschädigungen in gleicher Höhe und die Tantiemen aus seiner Aufsichtsratstätigkeit zugute geführt hat und wirklich nicht mehr weiß,
was er noch anstellen soll, dann muß zum hundertsten internationalen
Kongreß seiner und der Konkurrenzgesellschaft, die sich unter Bildung zweier Komitees zu vereinigen gedenken, eine kulturelle Aktivität entwickelt werden.
Es werden dann aus allen Museen der Welt die Teile nach Mailand geflogen, die teuer und in den Augen des Professors unersetzlich
sind. Nach Mailand, weil dort eben diesmal der Internationale Kongreß stattfindet.
Ein Kongreß ist teuer und es wollen sich ja in Mailand eine große Anzahl von Professoren, teils mit Ehefrau, teils mit Begleiterin,
versammeln. Einzelne hochbegabte Wissenschaftler wurden auch und
203
manchmal am Rand eines Kongresses gesehen, wenn Sie in einer sogenannten Postersession vor der Darstellung ihrer Forschung standen
und auf Gnade bei ihren Chefs oder der Industrie, die hin und wieder
etwas kauften, lauerten.
Zwangsweise wurde dieser Messe eine Industrieausstellung beigeordnet, die mit ihren Standgebühren und selbstverständlich durch
Kultursponsering den Kongreß finanzieren mußte.
Dueleen hatte die Vorbereitungen zum Zusammentragen dieser
vielen Geräte für die museale Ausstellung verfolgt und geschlossen,
daß nie wieder diese Sammlung so auf einer Stelle zu sehen sei. Daher
hieß sein nächstes Filmprojekt ›Die Geschichte der Optik‹.
Allerdings hatte Dr. Ast von den weit fortgeschrittenen Bemühungen Dueleens erfahren, dieses Filmprojekt durchzuziehen. Dr. Ast
hielt auch sehr viel von Kultursponsering. Allerdings hatte er, dem
zunehmenden Trend zum Zweitbuch folgend, sich mehr auf die Bücher geworfen. Er hatte als neuen, für Finanzumleitungen offenen,
externen Berater, einen Verleger gefunden, der seit Jahren mit kleinen,
kostenlosen Zeitschriften für ein bestimmtes Fachpublikum sich gerade noch über Wasser hielt und nebenbei noch als Grafiker arbeitete.
Der ließ sich nun, recht einfach, von der Industrie das Buch zur
musealen Ausstellung der Industrieausstellung des Kongresses sponsern. Und der Professor befürwortete das ausgesprochen. Denn auf
diese Weise wurde er auch noch Autor eines nächsten Werkes. Allerdings konnte er die Anzahl seiner Veröffentlichungen, bei denen er an
erster Stelle stand und deren Arbeit von dem an dritter Stelle genannten gemacht wurde, nicht mehr abschätzen. Dueleen war da genauer.
Er war jetzt so bei fünfhunderfünfundsechzig. Filmen.
Als sich der Herr Verleger Malmann und der Herr Filmproduzent Dueleen das erste Mal trafen, versicherten sie sich gegenseitig der
höchsten Hochachtung und der Bewunderung der gegenseitigen
204
Kunst. In einem hochklassischen Gespräch über die gespannte Problemlage der deutschen Industrie kamen sich beide näher und erkannten auch ihre gleichgestaltete Liebe zum Maltwhisky.
Einige Tage später war ich zu einer Routinebesprechung bei Dr.
Ast, als er am Schluß, wir waren nur noch allein im Raum, mir riet,
mit Dueleen etwas kürzer zu treten. Malmann hätte eine ausgesprochen schlechte Meinung vom Säufer Dueleen und außerdem sei das
Sponsering von Literatur im Moment salonfähiger. Ich versicherte,
diese Aspekte bei meinem weiteren Vorgehen zu berücksichtigen und
ließ mir noch erklären, daß damit nicht etwa der Abbruch des Projekts
›Optik-Film‹ gemeint sei.
In meinem Büro angekommen diktierte ich zuerst eine Aktennotiz über die Besprechung mit Dr. Ast, in der ich explizide die Absprache zur Fortführung des Projekts ›Optik-Film‹ festschrieb und
wählte den Verteiler ziemlich weit, dann rief ich Dueleen an.
Bevor ich etwas sagen konnte, fiel Dueleen mit der Tür ins
Haus.
»Herr Nader, werfen Sie diesen Malmann irgendwie aus dem
Geschäft. Der drängt sich rein, macht Geschäfte mit dem Ast und
drückt Sie schließlich an die Wand«, drängelte Dueleen.
Ich versprach, diese Aspekte bei meinem weiteren Vorgehen zu
berücksichtigen.
Die Vorbereitungen der Messe in Mailand gab ich weitgehend
an meine Mitarbeiter ab. Das nützte allerdings nicht viel, denn ungefähr vier Wochen vor Beginn informierten mich mehrere Anrufe vom
Professor bis zu Messebauer, von Dueleen bis Malmann, daß der
Überblick verloren gegangen war. Deshalb begann für mich eine Zeit
der fast durchgehenden, oft Tag und Nachtarbeit. Ich koordinierte
205
Messebauer, Vertrieb, Kongreß, Vorträge, Buch, Außendienst und Dr.
Ast gegen das Filmprojekt.
Am Abend vor der Eröffnung des internationalen Kongresses in
Mailand war ich vom Ausstellungsgelände direkt ins Hotel gekommen
um in der Bar den Herrn Verleger und den Herrn Produzenten in
tiefsinnigem vertrauten Gespräch an der Bar sitzen zu sehen. Und
neben Malmann saß meine Werbeassistentin, die verzückt dem Gespräch lauschte.
Selbstverständlich setzte ich mich dazu und das Gespräch sackte sofort auf Barniveau ab. Als Frl. Sapert uns dann verließ, wurde das
Gespräch nicht interessanter, dafür aber schweinigeliger. Ich zog
mich, Müdigkeit nicht nur vorschützend, zurück.
Vierzehn Tage später war ich wieder in Freiburg-Glaubensberg,
um die Filmteile zu begutachten, die Dueleens Mannschaft in Mailand
aufgenommen hatten. Ich merkte aber bald, daß Dueleen noch ein
anderen Anliegen hatte. Er hatte nämlich eine Anzeige aufgegeben.
Der Text:
›Vielreisender Filmproduzent sucht die Hausdame, die ihm in
seinen Häusern in St. Tropez, der Schweiz und Freiburg den Haushalt
führt und gelegentlich auch auf Reisen begleitet‹,
hatte zu einer Flut von über zweihundert Bewerbungen geführt
und Dueleen hatte allen sich anbietenden Damen über dreiundzwanzig
Jahre sofort abgeschrieben. Blieben noch vierzehn. Die optische Kontrolle der beigelegten Bilder reduzierten das Angebot auf neun. Diese
hatte er angerufen, drei weitere ausgesondert und sechs nach FreiburgGlaubensberg eingeladen. Vier waren gekommen, und die saßen jetzt
im Besprechungszimmer herum und lasen Zeitungen.
Wir betrachteten die jungen Unerfahrenen durch den Einwegspiegel. Eine fiel etwas aus dem Rahmen. Sie war trampelhafter. Also,
206
Gesicht, Figur alles o. k., aber sie trug Strickstrümpfe und flache
Schuhe. und ging auch etwas schwerer. Sie war auch nicht schwächlich. Brustumfang auffällig. Aber eben etwas derber.
»Die heißt Mercedes«, sagte Dueleen. »Mercedes Meier. «
Dueleen ließ Frl. Meier hereinbitten und legte die Bewerbungsunterlagen auf seinen sonst leeren Schreibtisch. Frl. Meier betrat das
Büro, Dueleen begann, das Vorstellungsgespräch ohne Vorstellung in
meiner Anwesenheit. Die Ausbildung an einer Hauswirtschaftsschule
war o. k., die letzten drei Jahre hatte sie im Hotel- und Gaststättenbereich gearbeitet und sie sprach auch hochdeutsch. Allerdings kam
immer wieder die Eifel durch. Eifeler können ihren Dialekt nicht vollständig unterdrücken. Und Mercedes war auf erstaunliche Weise einfach strukturiert. Nicht in der Art, wie heute Blöde so tituliert werden.
Sie war mit Sicherheit gut ausgebildet, beherrschte Schreibmaschine
und Buchhaltung, konnte kochen und planen. Nur eine beharrliche
Naivität konnte sie nicht vertreiben.
Dueleen sah Mercedes lange an. Dann fragte er, ob sie sich
denn an einen Betrieb wie beim Film üblich, oder wie in St. Tropez
täglich, gewöhnen könne.
Mercedes versicherte, alles tun zu wollen, was notwendig ist.
Dueleen ging einen Schritt weiter. »Im Film und in St. Tropez laufen
die Mädchen manchmal nackt rum«, sagte er.
»Das macht nichts«, antwortete Mercedes. »Und wenn Sie sich
ausziehen müssen, was dann?« fragte Dueleen.
»Das macht auch nichts«, sagte Mercedes.
»Dann zieh Dich aus«, sagte Dueleen.
207
Mercedes stand auf, stellte ihre Aktenmappe, die sie bis jetzt
auf dem Schoß gehalten hatte, auf den Boden. Dann zog sie einen
Schuh nach dem anderen aus und stellte beide ordentlich zusammen.
Sie hängte die Kostümjacke über die Stuhllehne und drehte den Rock
nach vorne, damit sie den großen Knopf und den Reißverschluß besser
öffnen konnte. Dueleen und ich schauten uns möglichst ausdruckslos
an und weiter zu. Mercedes legte den Rock zusammen und auf den
Stuhl, knöpfte die Bluse auf, zog sie aus und legte sie zusammen und
auch auf den Stuhl. Dem Unterrock entstieg sie nach oben, auch er
fand seinen zusammengefalteten Platz auf dem Stuhl. Um aus dem
Höschen zu steigen, hielt sie sich mit einer Hand am Stuhl fest, legte
das Höschen zusammen auf den Wäscheberg und zupfte die Jacke, die
sie dabei eine wenig verschoben hatte, zurecht. Der Büstenhalter krönte dann die Vorführung und das Päckchen auf dem Stuhl.
»Die Socken auch?« fragte Mercedes. Dueleen verneinte, bedankte sich höflich und bat sie, sich wieder anzuziehen. Er käme in
wenigen Minuten wieder. Wir verließen das Büro, Dueleen ging, ohne
ein Wort zu sagen, durch den Gang zum Besprechungsraum. Er bedankte sich bei den anderen drei noch übriggebliebenen Damen für die
Mühe. Bat sie zur Buchhaltung zu gehen und die Spesen abzuholen.
Dann ging er mit mir wieder zurück in sein Büro. Dort saß Mercedes,
nun wieder fein angezogen mit flachen Schuhen und Socken auf dem
Stuhl, der vor einigen Minuten noch von ihrem Büstenhalter gekrönt
worden war.
Dueleen wurde in wenigen Sätzen mit Mercedes handelseinig,
allerdings trieb es ihn doch, die letzte Frage zu stellen, ob es ihr bei
ihrem Striptease nicht mulmig gewesen sei.
»Zuerst schon«, sagte Mercedes, »da dachte ich, Sie wollten
mich vergewaltigen, aber irgendein Risiko muß man ja eingehen. «
Dueleen nickte ob der tiefen Weisheit der Worte. Mercedes war
Hausdame geworden.
208
Szene 13, take 2
Im nun kommende Frühjahr hatten wir weniger miteinander zu
tun. Die Videounterrichtung war institutionalisiert worden, wie Dara
es ausdrückte. Das bedeutete für Dueleen abschöpfen von Geldern, die
reichlich aus Fördermitteln der Industrie und staatlichen Quellen flossen und gelegentliche Treffs mit den Präsidenten und Direktoren verschiedener Organisationen. Das Produzieren von Filmen hatte er an
untergeordnete Bereiche abgegeben.
Die anderen Projekte waren entweder abgeschlossen oder schon
in den Stahlschränken der Filmaufbewahrung verschwunden. Trotz
gelegentlicher Anrufe ließ unser Kontakt etwas nach. Er schien keine
neuen Arbeiten anzustreben und hatte sich im Winter nach Vertevalley
verzogen. Eine Einladung dahin schlug ich aus.
Der nächste Sommerurlaub führte mich wieder nach St. Tropez,
allerdings diesmal nicht ins Gästezimmer der Dueleenschen Villa,
sondern in ein selbstgemietetes Studio avec deux pieces in der Rue
Feniers, direkt im alten Zentrum des Dorfes.
Am zweiten Abend wurde ich von Mercedes aus meinem Studio
entführt und in Dueleens Villa geschleppt. Sie hatte den Auftrag, mich
abzuholen, und es war einfach unmöglich, ihr Widerstand zu leisten.
Nicht etwas wegen ihrer Anmut, Schönheit oder ihres Charmes, einfach die Beharrlichkeit war ausschlaggebend.
Dueleen saß in seinem Eamy-Sessel und ließ sich eine Zigarette, das Feuerzeug und die Spitze bringen. Mercedes bediente ihren
Chef und auch mich perfekt. Der Maltwhisky kam wieder auf den
Tisch und ich merkte, daß Dueleen etwas erzählen wollte. Ich wartete
die Entwicklung ab, sah in den Garten, die Mimosen blühen und auf
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Mercedes, die in unaufdringlicher Weise ihrem Chef nahe war, um
ihm jeden Wunsch von den Augen abzulesen.
»Also«, so begannen die langen Reden von Dueleen öfter, »also, ich habe mich mit Mercedes geeinigt, zusammenzuleben. Also
nicht, was Sie denken, sie bleibt nach außen hin meine Hausdame und
der Steuer gegenüber auch. Ist viel billiger, wenn ich sie von der Steuer absetzen kann. Aber ihnen wollte ich sagen, daß ich mit Mercedes
zusammenlebe. «
Eine merkwürdige Eröffnung von einem Mann, der sich im engeren Machokreis rühmte, besser als Hartmann zu sein und schon über
fünfhundert Abschüsse hinter sich zu haben.
»Mercedes folgt mir aufs Wort, hat sie mir versprochen und ich
bin dann auch gut zu ihr«, sagte Dueleen.
»Und ihr altes Lotterleben wollen Sie damit an den Nagel hängen«, war meine erste Frage.
»Nein, auf keinen Fall, nur jetzt mache ich es mit Mercedes.
Wir leben noch einmal mit Tempo zweihundert gemeinsam. «
Ich brachte die Sprache vorsichtig auf die Tatsache, daß er zumindest juristisch als verheiratet zu gelten hätte. Und ob da nicht irgendwelche Schwierigkeiten zu erwarten wären.
»Meine Frau hat das Haus in der Froschstraße, da ist ein Studio
drin, das sichere Miete zahlt, damit muß sie zufrieden sein. Aber mein
Problem ist tatsächlich meine Frau. Wissen Sie, es geht um die Verjährung. Es verjährt ja alles zu unterschiedlichen Zeiten. Und meine
Frau kann am mir noch drei Jahre Geld verdienen, dann ist die Verjährung eingetreten, dann kann sie nichts mehr gegen mich unternehmen
und die Scheidung kann dann auch laufen. « Dueleen sah sich Mercedes von oben bis unten an.
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Sie trug ein leichtes, blaues Kostüm mit kurzem Rock, fast klassisch geschnitten. Schwarze Stöckelschuhe und ich vermutete, unter
der Jacke nichts weiteres. Die braunen, kräftigen Haare waren fast zu
einem Pagenschnitt geworden.
»Wir machen wieder Barservice«, sagte Dueleen. Mercedes lächelte, und zog sich zurück.
»Noch drei Jahre, und ich bin von meiner Frau erlöst. Dann hat
die mich zehn Jahre ausgenommen, aber dann bin ich frei. «
Ich fragte nach einem Ehevertrag, der so eine Freiheit möglich
machen würde. Dueleen bedauerte, Zugewinngemeinschaft. Also eigentlich alles halbe, halbe.
»Aber in drei Jahren werde ich nichts mehr haben«, sagte Dueleen. »Wissen Sie, was das schöne an einer Aktiengesellschaft ist?
Man muß keinem sagen, daß einem die Firma gehört. « Er drehte wieder das Glas mit Whisky in der Hand und betrachtete die Farbe gegen
das Licht.
»Und ich habe eine Aktiengesellschaft, und da gibt es nur einen
Besitzer«, er klopfte mit dem Zeigefinger auf seine Brust, »mich«.
Mercedes klapperte wieder über die Carrélage vor dem Kamin.
Ich warf einen Blick hinüber. Barservice hatte Dueleen angesagt. Mercedes stand am Kamin, schwarze, halterlose Strümpfe, schwarze,
hochhackige Sandalettchen, kleinen brusthebenen Halb-BH und ein
weißes Schürzchen. Als sie sich umdrehte, sah ich, daß sie auf die
richtige Stelle am Ende der Wirbelsäule einen weißen Plüschbommel
geklebt hatte.
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Mercedes machte neben mir einen Knicks, wechselte die Gläser
und goß nach. Ich sah auf ihre auffällig großen, runden Höfe der
Brustwarzen.
»Sie haben sich ja gut eingelebt«, sagte ich zu Mercedes. »Ich
tue alles, was Werner will«, sagte sie.
»Und kein bißchen eifersüchtig«, bohrte ich nach. »Nein«. sagte
Mercedes.
Unser Gespräch kreiste lange um dieses eine Thema. Mercedes
fühlte sich ausgesprochen wohl, wollte diese Situation weiter so leben
und ließ sich nicht beirren. Und als ich dann den von Dueleen unterschwellig provozierten Fehler machte, zu sagen, »ich möchte mal
sehen, wie Mercedes reagiert, wenn ihre Lusthansaschönheiten hier
toben«, sagte Dueleen »top, die Wette gilt«, und wir wetten einen
Flasche Maltwhisky gegen eine Sexorgie mit vielen Frauen.
Als mich Mercedes gegen drei Uhr morgens mit dem Wagen
zurück ins Dorf, in mein Studio in die Rue Fenier brachte, hatte ich
mehr Whisky vertrunken als verwettet. Denn daß ich die Wette verwettet hatte, daß ich nach Dueleens Vorstellung schon wieder verloren, weil gewonnen hatte, war mir klar. Dueleen mußte gewinnen. Er
suchte die Konfrontation, den Kampf, den Sieg.
Die angesagte Party in der Villa Chez Werner begann am Ende
des heißen Sommertages, als die brennende Hitze wieder in warme
Wärme übergegangen war. Die Sonne stand gerade noch am Himmel,
als Mercedes im Außenhof den großen Grill entfachte und zu einem
Büfett, das sie den Tag über gebaut, gebastelt, gezaubert hatte, jetzt
noch heiße Fleischscheiben produzierte.
Dueleen hatte den Tag über, neben dem Back Gammonspiel,
das er erfolgreich gegen mich betrieb, einige komplizierte Telefonate
geführt. Der Inhalt klang für mich ungefähr wie »wenn Du dann den
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545 nicht machst, kann die Beate auch auf die 322 wechseln. Ja, mach'
das. « Es war mir schon klar, daß hier organisiert wurde, aber das
Ergebnis überrascht mich, als die beiden Taxis aus Nizza vor dem
Haus hielten und sechs Damen, jede ein Bordcase in der Hand, den
Kiesweg abwärts auf die Eingangstür mit der Persenning ›Chez Werner‹ zugingen.
Es war sozusagen eine Musterkollektion vom Besten. Wenn
auch die Kleider- und Schuhgröße, wie bei Modells üblich, bei einheitlichen 38 lag, die Körpergröße mit einer Schwankung von nur
einem Zentimeter bei einsdreiundsiebzig und das durchschnittlich
Kampfgewicht sicher genau eingehalten wurde, es war wirklich für
jeden etwas dabei. Die Haarfarbe von Schwarz bis blond über braun
und rot, von wirklich lang, bis Stoppelschnitt. Die Brüste von enorm
bis handlich, die Beine alle lang und bis auf den Boden.
Die Bordcases wurden in die Ablage gestellt, Mercedes servierte auf silbernem Tablett mit weißem Deckchen Champagner und das
Begrüßungsgeplapper begann. Ich betrachtete Mercedes. Sie hatte eine
einfache Seidenbluse zu einem äußerst kurzen, schwarzen Rock gewählt und sich sogar ein weißes Schürzchen vorgebunden. Sie sprach
mit jeder der Neuangekommenen, sie lachte, scherzte und schenkte
Champagner aus. Dueleen zog sich aus dem Kreis der sieben Grazien
für einen Moment heraus und kam zu mir, der ich jetzt die ehrenvolle
und schweißtreibende Aufgabe des Bratens am Grill übernommen
hatte.
»Mercedes macht das schon«, sagte er zu mir, »passen Sie nur
genau auf. Und ... «, er hatte sich schon von mir abgewandt, das
schien ihm aber doch wichtig, »wir sind nur Zuschauer, keine Aktion,
nur Genuß. Klar, Herr Nader?«
Ich nickte und achtete darauf, mir die Finger nicht zu verbrennen, an den Grillfleischstücken. Mercedes komplimentierte die Damen
durch den Innenhof, man betrachtete noch die Blumen, das Grün, die
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Pracht der Blüten, ging in den Außenhof und auch ich wurde begrüßt.
Das Essen am großen weißen Tisch unter dem Schattenbaum verlief in
friedlicher Ferienatmosphäre und die rechts und links mehrfach neben
mir sitzenden Damen führten Konversation über Mode und Parfüm.
Mercedes hatte zusätzlich Bodenfackeln in den Rasen rund um
die mit groben, weißen Kalksteinen gepflasterte Mitte des Außengartens gesteckt, und mit eintretender Dämmerung auch entzündet. Die
Temperaturen waren immer noch hoch, die Fackeln flackerten und die
Musik war südamerikanisch geworden. Drei der Schönen standen an
der kleinen weißen Bar, die unter einer der Laternen stand, die den
Außengarten beleuchteten und unterhielten sich mit Mercedes, die
immer noch züchtig, wenn auch kurz gekleidet, mit weißem Schürzchen jetzt die Bar bediente.
Der leichte Wind, der vom Meer her säuselte, war warm. Der
Mond war in der Zwischenzeit aufgegangen und lag fast voll, draußen
über dem Meer. Die silberne Spur eines verspäteten Sportboots kreuzte den Lichtstreifen des Mondes auf dem ruhigen Wasser.
Die schwarzhaarige, kurzes Haar, begann langsam dem Rhythmus der Musik zu folgen. Mercedes nahm die Bewegung auf und wurde sofort hinter der Bar weggeholt, um mit der Kurzschwarzen zu
tanzen. Sieht schon gut aus, wenn sich zwei Frauen zu Samba stehend
auf der Tanzfläche räkeln. Das Band machte eine Pause, die Tanzdarbietung hiermit beendet, aber die Kurzschwarze schaute sich ihre
Partnerin noch einmal genau an. Dann drehte sie sie langsam, wie mit
einem Tanzschritt um und öffnete die Schleife des mercedeschen weißen Schürzchens, das zu Boden glitt. Mercedes strich mit dem gekrümmten Zeigerfinger ihrer Partnerin über den Bauch, öffnete deren
breiten Ledergürtel, der über dem Rock lag, und der plumpste zu Boden.
»Au, fein, Striptease,« klang die Stimme der Kurzhaarblondine
von der Bar her.
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»Das würde Dir gerade noch gefallen«, gab die Kurzschwarze
zurück, »wenn Du... «, sie zeigte mit dem Finger auf Kurzhaarblondie,
»nicht zu feige bist, spielen wir sofort die Reise nach Rom. «
Allgemeines Gelächter und Stimmengewirr, Satzfetzen wie
»lieber splitternackt als sturzbesoffen« und »lieber sturzbesoffen und
gut bedient«, kamen an mir vorbei. Die sechs hatten ein ziemlich deutliche, wenn auch gepflegte Aussprache und auch die entsprechenden
Ansichten dazu.
Die Damen hatten sich geeinigt, es wurde die Reise nach Rom
zelebriert. Die Bar wurde etwas in die Mitte geschoben, sechs Whiskygläser auf die Bar gestellt, und mir die Fernbedienung der Musikanlage in die Hand gedrückt. Dueleen und ich saßen wie in Logensesseln
unter dem Schattenbaum, die Bar war erhellt von der Laterne, aber
mehr noch von den Fackeln, die die Szene jetzt deutlich beleuchteten.
»Drücken Sie, Herr Nader,« rief Mercedes. Ich drückte auf den
einzig mir verständlichen Knopf der Fernbedienung, und Wiener Walzer erklang. Die Damen drehten sich im Tanzschritt um die Bar, fast
ballettartig, elegant. Dueleen legte mir die Hand auf den Arm. »Drükken«, sagte Dueleen. Ich drücke auf die zweit verständlichste Taste,
›off‹, die Musik brach ab und aus der Tanzdrehung heraus griff jede
nach dem ihr nächst stehenden Whiskyglas. Gelächter, fast Gejohle
folgten dem abgebrochenen Wiener Walzer, als sechs der sieben Tänzerinnen freudig feststellten, das die Langhaarblonde kein Glas in der
Hand hatte. Sie war zu langsam gewesen.
»Ausziehen, ausziehen«, skandierten sechs Frauenstimmen und
als Langhaarblondie vortrat, den Rock fallen und damit ein sehr kleines Tangahöschen sehen ließ, tranken die Damen prustend auf ihr
Wohl.
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Langhaarblondie goß die Gläser wieder einen Finger breit voll,
rückte alle Hocker vor der Bar wieder in die Reihe, schnippte mit den
Fingern und sagte »Musik«.
Chacha brachten die Lautsprecher, die Damen setzten sich in
Bewegung, umrundeten die Bar. Eine traute sich weit weg, lockte eine
andere zu sich, ein Damenpärchen tanzte direkt zusammen und Dueleen nahm mir die Fernbedienung weg.. Er drückte sofort.
Die Musik brach ab, die Damen griffen zum Whisky. »Ausziehen, ausziehen« aber auch »show your tites« wurde gerufen, als die
Vollbusigste, eine Brünette, ohne Glas vor der gierigen Meute stand.
Sie hatte voll verstanden und zeigte, was auch wir sehen wollten. Unglaublich volle, stramme Brüste mit großen Brustwarzen und dunklem
Hof. Und das bei schlanker Taille. Ihre Bluse und ihren BH warf sie
sofort hinter die Bar. Die übrigen Damen tranken auf ihr Wohl.
Dann ging sie zur Bar, nahm drei der sechs Gläser und warf sie
einfach in den Ascheimer, füllte dafür aber in die drei verbliebenen
Gläser zwei Finger hoch den guten Malt.
Dueleen drückte, diesmal war es ein Marschfox, die ›Yellow
Rose of Texas‹, die bemüht wurde, die Schönen um die Bar paradieren
zu lassen. Man sah schlankes Bein mit Tanga, volle Brust und die
Musik brach ab.
»Jetzt will ich auch wieder mal drücken«, sagte ich zu Dueleen,
der, als würde er an der Eisenbahnanlage Züge steuern, versuchte,
seine bevorzugten Damen als erste ins Leere greifen zu lassen.
Mercedes war diesmal auch unter den Damen, die neben das
Glas gegriffen hatten. Als sie die weiße Bluse hinter die Bar warf,
konnte man Vergleiche zu der neben ihr tänzelnden Vollbusigen ziehen. Die hatte nämlich in der verschärften Runde ihren Rock verloren
und tänzelte nur noch mit knappen Tanga. Auch nicht ohne, konnte
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man nun über Mercedes sagen. Vielleicht nicht ganz so schmale Hüfte, nicht ganz so volle Brüste, aber nicht schlecht, besonders jetzt mit
dem schlanken, sehr kurzen Röcken.
Die Rothaarige hatte als einzige unter den sieben bis jetzt noch
nicht verloren, dafür aber vier Portionen Whisky in zehn Minuten
abgekommen. Sie lächelte freundlich, leicht verklärt und kommandierte, nachdem sie brav die drei verbliebenen Whiskygläser wieder zwei
Finger breit aufgefüllt hatte, »Musik an. «
Diesmal drehten sich die Damen wieder im Kreise, die Stereoanlage hatte mal wieder den Wiener Walzer gefunden, um die Bar.
Tanzmusik der gediegenen Art drang in die Nacht. Ich nahm Dueleen
mit Fernbedienung ab. Er wehrte sich ein wenig, aber da wir beide nur
in Richtung der sich drehenden Damen, sahen, drückten wir mehr aus
Versehen auf ›off‹. Stand der Aktion danach dreimal oben ohne und
zwei verlorene Röcke.
Pralle Brüste zweimal, einmal wirklich kleines, rundes knackiges Obst. Ich drückte, weil Dueleen mir dauernd versuchte, die Fernbedienung wegzunehmen. Die einzig Rote hatte keinen ernsthaften
Versuch des Glasnehmens gemacht. Sie opferte den Rock, Schwarz
und Blondkurz hatten auch den gleichen Verlust zu verzeichnen. Sie
kicherten doch schon ganz mächtig, als die Brünette, zur Zeit nur noch
ganz knapper Tanga, die drei Gläser wieder füllte. Gut zwei Daumen
breit.
Ich hatte den Musikwechsel erwartet, es war wieder die Yellow
Rose und die Damen marschierten. Anführerin diesmal Mercedes, die
sich jetzt, so sah es zumindest aus, an eine Polonäse bei dörflichen
Festen erinnert fühlte, denn sie führte die Damen direkt an unserer
Nase vorbei. Musik aus, volle Bewegung, auch in die freien Brüste,
drei halten die Gläser hoch, schwarzhaarig lang wird zur zweiten, nur
noch mit dem Tanga bekleideten, die einzig Rote ebenso. Sie schien
auch diesmal den Strip dem Whisky vorzuziehen, nur die kurze
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schwarzhaarige will die Tittenschau nicht vollständig machen. Ihr
erschien ihre Bluse immerhin lang genug, daß sie nach dem Verlust
von Rock, jetzt den Verlust des Höschens hinnimmt.
»Auch interessant«, raunt Dueleen mir zu, »schwarzer Bär, aber
sauber ausrasiert«. Stimmte. Die Musik setzte wieder ein, diesmal mit
südamerikanischem Rhythmus. Die Körper zuckten im Fackellicht,
die Brüste wogten, sieben Beinpaare bewegten sich im Takt. Mercedes
tanzte direkt vor uns, schwarzer kurzer Rock, voll Brüste, Bewegung
in den Hüften. Die Musik brach ab. Mercedes schaute mit einem leicht
geschlossenen Auge auf Dueleen, schlüpfte aus dem Rock und warf
ihn über die Bar. Sie hatte kein Glas in der Hand und das war auch
den beiden Blondinen so ergangen. Mercedes deutete mit beiden Händen auf die beiden, die sich jetzt der allgemeinen Kleiderordnung anschlossen. Die langhaarige warf ihren Rock weg und ihre kurzhaarige
Haarfarbenkollegin gab die Bluse auf.
Dueleen lehnte sich im Sommersessel zurück und blickte für einen Moment nach oben in die Blätter des Schattenbauens, unter dem
wir saßen. Dann goß er mir und sich noch Champagner nach und
blickte auf das vor ihm stehende Angebot. Sechsmal Tanga und sonst
nichts und einmal eine Bluse, darunter auch nur eine Nackte. Die einzig Rothaarige trank mit Bedacht an ihrem Whisky und Mercedes
nahm die Brüste der Vollbusigen in die Hand und wog sie vergleichend mit ihren. Ein kleines Küßchen auf die Brustwarze gehaucht
und die beiden hatten sich verstanden.
Die Musik begann fast plötzlich, blieb südamerikanisch. Sechs
Tangamädchen und eine Bluse kamen in den Rhythmus und die Hüften, die Brüste bewegten sich vor uns. Mercedes faßte die schwarzhaarig Kurze um die Hüfte, drehte sie zu uns und zeigte uns deren
schwarzen Bär. Sie hielt sie sogar noch ein wenig länger in unsere
Richtung und umfaßte die Hüfte noch ein wenig mehr. Wir sahen am
sich bewegenden Frauenkörper den sauberen schwarzen Streifen
oberhalb und die glatte Haut daneben. Sehr sauber, Mercedes fuhr mit
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der Hand in den Schritt der anderen und glitte durchs Krause und über
die glatte Haut zwischen den Schenkeln. Die Musik brach ab.
Mercedes und die Kurzschwarze standen so weit zu uns, daß sie
keine Bewegung in Richtung Bar und Glas machen mußten, die pralle
Brünette griff auch daneben. Vier Tangamädchen, die lange und die
kurze Blonde, die langhaarig schwarze und die einzig Rote kamen zu
uns unter den Baum und kuschelten sich links und rechts auf die
Sommersessel neben uns. Sie klatschten im Takt und riefen »it's show
time, action«. Dabei begannen sie im Takt, immer schneller werdend
zu klatschen. Die Musik hatte gewechselt, ich hatte nicht bemerkt, wer
es war, aber jetzt hörte ich, wenn auch leiser als vorher Tschaikowski,
Capriccio Italien.
Mercedes schälte die Kurzschwarze aus der Bluse. Eine Brust
brach unter dem Stoff hervor, dann die andere. Die Schultern, die
Hüfte, das Stück Stoff fiel. Die Nackte drehte sich um, vor die beiden
Tangamädchen und zeigte zuerst viel freie Rückenansicht und schmales, elegantes Rückenteil, dann kniete sie sich halb vor die Beiden. Sie
faßte mit jeder Hand zwischen die Beine, fand dort je einen Tanga und
zog beide Bändel auf. Zwei Nackte, sehr vollbusige in Vorderansicht,
eine davor in Rückansicht kniende. Der schwarze Kurzhaarkopf bewegte sich nach recht, bis er den Schoß von Mercedes erreichte. Die
Brünette hatte sich halb hinter sie gestellt und hielt Mercedes Arme
hoch über deren Kopf. Die Brüste von Mercedes quollen so prall nach
vorne, die der Brünette aber mindesten gleich so. Durch die Musik
hörte man hin und wieder eine Grille, ein leises, warmer Lufthauch
zog vom Meer herüber. Mercedes Körper bewegte sich leicht, es
konnte das Zucken der Fackeln sein, es konnte ihr Zucken sein. Der
schwarze Kopf blieb unterhalb des Bauchnabels und bewegte sich nur
ganz leicht. Die einzig Rothaarige hatte mir das Hemd aufgeknöpfte
und rieb ihre Hand über meine Brust und Bauch, dann suchte diese
Hand der Weg unter den Gürtel.
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Mercedes bewegte sich deutlicher, sie drängte, mit erhobenen
Händen, jetzt sich manchmal nach hinten beugend, an die dickem
Brüste der Brünette. Die Beine öffnete sich immer mehr, der schwarze
Kopf arbeitete vor ihrem Körper. Ich spürte eine kleine Damenhand,
die den Weg unter den Gürtel gefunden hatte und sah, wie die andere
Hand den Gürtel löste. Dann sank rotes, dichtes, volles Haar über die
Stelle, die gerade so zügig entblößt worden war. Ich spürte wieder
diese warme, weite Nässe, dieses Gefühl des aufgenommen werdens.
Mercedes stand jetzt breitbeinig vor der Bar, die vollbusig Brünette
hielt immer noch mit einem Arm Mercedes Arme leicht hoch, ihre
andere hatte sie auf ihre krausen Häarchen gelegt und zwei Finger
massierten links und rechts den Hügel. Mercedes begann Laut zu geben, nichts Verständliches, aber deutlich verständlich. Das war kein
Stöhnen, das war ein Schreien nach mehr. Die Vollbusige führte Mercedes Hand zu sich, Mercedes zuckte nur noch, schrie und umklammerte alle. Die drei Körper zuckten gemeinsam, stöhnten, suchten
sich.
Ich öffnete wieder die Augen, strich der Rothaarigen über den
nackten Rücken und sah mich um. Dueleen und drei Damen fehlten.
Ich sah Licht oben im Haus und Schattenspiele an der Wand, hörte
Stimmen, hörte Tschaikowski im ganzen Haus.
Die Vollbusige hatte sich aus der Dreierbeziehung gelöst und
sich neben mich gesetzt. Ich verteilte im sitzen Champagner. Die einzig Rote blickte von mir hoch, nahm auch einen Schluck Champagner
und die Vollbusige nahm das auf, das die Rote ihr so klein geworden
übergelassen hatte.
Man muß mir angesehen haben, daß ich soviel auf einmal nicht
erwartet hatte. Die bei Mercedes so zungenaktive Schwarzhaarige
holte sich auch neben mir Champagner ab, kniff mir ein Auge zu und
sagte: »Abgemacht ist jeder mit jedem, mal sehn wie lange Männer
das durchhalten. « Sie nahm meine Hand und führte die Fingerspitzen
in die warme, feuchte Stelle und ich suchte, leicht nach oben gehend,
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diesen kleinen Lustknubbel, den sie mir mit Körperbewegung half zu
finden. Während ich begann, mit der linken Hand unglaublich große,
feste Brüste zu fassen, mit den Fingerspitzen die olivengroßen Brustwarzen der Vollbusigen zu drehen und bewegen, merkte ich erneut
eine im mir aufsteigende Gefühl. Die Rote hatte sich halb aufgerichtet
und bot mir immer mal wieder ihre deutlich kleineren Brustwarzen
zum Hineinbeißen an und hatte ihre Finger unter ihren Tanga geschoben.
Ich sah hinauf in den Schattenbaum, dessen großen, dunklen
Blättern die Fackeln flackernd beleuchteten. Dann blickte ich hinüber
zum Haus, auf den kleinen Balkon, der schon fast über dem flacheren
Querbau hing. Die Balkontüren waren weit offen und gegen die weiße
Wand des erleuchteten Raumes sah ich die ekstatische Bewegungen
wohlgeformter Körper im bewegten Scherenschnitt.
Mercedes war irgendwann verschwunden, die Musik war aus
und eine der Fackeln schon niedergebrannt. Ich griff die mir verbliebene Rothaarige und die Vollbusige und wollte in Haus gehen. Da fiel
mir auf, das die Rote wirklich noch ihren Tanga anhatte. Ich sah ihr in
die Augen und wir einigten uns darauf, daß das jetzt unschicklich sei.
Der Tanga flog in den Schattenbaum.
Im Haus suchten wir uns im großen Wohnraum einen Platz zum
bleiben, denn neun einzelne Betten hatte auch dieses Haus nicht. Die
überbreite Couch war schon auseinander geklappt und zu einer so
zwei bis dreiliegigen Bettstatt geworden. Ich wählte die Mitte und zog
ein dünnes Laken über mich. Mehr brauchte man bei diesen Temperaturen und den beiden Heizkörpern links und rechts von mir nicht.
Am nächsten Morgen zog ich mich zwischen zwei Körpern aus
der Affäre, griff mir Badehose, T-Shirt und Espadrillos und ging zu
Fuß zum Strand. Die Uhrzeit bestimmte ich mit einer Stunde nach
Sonnenaufgang, allerdings spürte man schon wieder die Wärme als
Strahl auf der Haut. Ich ging am Senequier vorbei. Der staubige Park-
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platz vor dem Anwesen war bis auf ein Auto leer. Die Palmen am
Rand sahen noch grün in der Morgensonne aus. Selbst dieser kleine
Dünenausläufer, der den Plage vom Hinterland trennt, hatte jetzt noch
grüne Grashalme verstreut auf sich stehen. Am Tage sah das sandgelb
aus. Ich bog nach den fünfzig Metern Düne nach links und ging über
den öffentlichen Strand auf den Privat plage Multinsula zu. Von außen
sah man die Palmwedel, mit denen die Hütten verkleidet waren und
den Zaun, der den Plage bis einige Meter zum Meer hin abtrennten.
Ich trat durch den Eingang, wunderte mich, hier schon offene Türen
zu finden und ging in den Teil, in dem die offene Bar dem Meer zugewandt, aber auf festem Boden stand. Auch die Bar war recht fest
konstruiert. Das Holz sah mindest wie Teak aus, eine Generation hatte
kaum Spuren darin hinterlassen. Allerdings war auch alles sehr rustikal, vielleicht so rustikal, wie ein echt St. Tropezianer Piratensegler.
Alain saß in einem großen Sessel vor der Bar und blickte aufs
Meer. Daneben saß Dueleen. Der Sessel war ebenfalls riesengroß, aber
ebene etwas kleiner als der Alains. Dueleen winkte mit der Hand und
wies mir den nächst kleineren Sessel zu. Ich war verblüfft. Auf dem
Tischchen zwischen den beiden standen die großen Tassen für Café au
lait und frische Croissants lagen auf einen kleinen Tablett in der Mitte.
Wir frühstückten in der Mitte von Cap Camarat und den Zähnen
des Hundes, in der Bucht von Pampelonne. Zwölf Kilometer flacher,
glatter Sandstrand, rechts die grünen Ausläufer des Maurengebirges,
die an der vordersten Stelle den Leuchtturm tragen, links der Kopf von
St. Tropez, dem kräftigen Stückchen Land, das den Golf so schön
gegen das Meer abschließt. Die Palmen rauschten ein wenig. Es kam
doch ein Hauch des Frühwindes auf, mit dem sich früher die Segler
morgens aufs Meer tragen ließen.
»Und Marteau will sich wirklich zurückziehen?« fragte Dueleen. Alain, dessen Deutschkenntnisse oft nicht so groß schienen, besonders wenn besserwissende und vorschriftenmachende Deutsche an
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seinen Plage erschienen, antworte mit zwar deutlichen Akzent, aber
doch für mich verblüffend fehlerfrei.
»Du mußt wissen, Marteau hat ein krankes Bein. Er muß in die
Klinik und er geht nur in die Klinik, wenn alles geregelt ist«. Sagte
Alain und weiter, »Du mußt Dir keine Gedanken machen, Marteau
will alles zurückgeben, was er bekommen hat. «
Dueleen wehrte ab, er erklärte, wie unnötig jede Art von Aufregung sei und daß er Marteau vollkommen vertraue. Ich erriet im Laufe
des Gesprächs, daß Dueleen gegebenenfalls doch mit einem kleinen
Sümmchen an der Gastronomie des Dorfes beteiligt war. Verblüfft
war ich über die Offenheit, mit der Alain das alles erwähnte. Bis jetzt
war ich von einem Schweigegelübde besonderer Art und auch von so
einem, das man nicht ablehnen kann, ausgegangen.
Alain schilderte mir, daß Dueleen vor fünfzehn Jahren den entscheidenden Anstoß gegeben hatte, daß Marteau seine Idee, die Gäste
legal auszurauben, durchsetzen konnte. Ich ahnte, daß eine Summe
aus dem Geschäft mit Persien hier doch eine Rolle spielen mußte.
Dueleen bestätigte.
»Wir haben hier nie was unterschrieben, kein Zettel und kein
Grundbuch. Ich hab Marteau nur das Geld gegeben und er hat das
Café de Lyon und die Häuserzeile am Place die Lice gekauft. Dummerweise hat uns damals Claude Bernier, den kennen Sie aus Paris,
dieser Macher von Show und Entertainment, immer im violetten Frack
und Zylinder, ein paar Filetstücke weggenommen. Er hat das mit dem
Geld seiner Mädchen gemacht. Aber, wenn man ehrlich ist, hat er das
Geld wenigsten auf ihren Namen angelegt und nicht sofort verbraucht.
Ja, ja, die Hausreihe am de Lice gehört auch ein wenig nach Paris. «
Alain versuchte zu verdeutlichen, wie schlecht die Zeiten gewesen waren, als nach dem Krieg und einer von allen genossenen
amerikanischen Versorgungsinvasion über den Plage von Pampelonne
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wieder das normale Leben anfing. Weinbau, Fischfang, Honig, Milch,
wie im Paradies. Aber in diesem Paradies brauchte man Geld. Und der
Druck der italienischen Mafia war auch nicht ohne. Die versuchte ihr
Gebiet zu vergrößern. Einfluß auf den Bereich zwischen Marseille und
Genua zu gewinnen.
Es muß damals nicht ohne Kämpfe abgegangen sein, die von so
vielen Wirren der Nachkriegszeit aber überdeckt wurden. Die Kommunisten versuchten noch über eineinhalb Jahre einen Aufstand. Dann
kam das Algerienproblem und damit abertausende Algerienfranzosen
aber auch Algerier, die nur Frankreich gedient hatten, ins ganze Land
aber auch besonders ins Var.
Und dann kamen plötzlich ein paar Leute, die aus St. Tropez
etwas machen wollten, was es eigentlich immer war. Ein wunderschönes Dorf, in dem das Leben quillt und manchmal überquillt. In dem es
keine Angst, sondern Lebensfreude gab.
Da waren einmal Filmregisseure, die mit ihren Filmen die
Stimmung vorweg zeichneten, die später entstehen sollte, da waren
Geschäftsleute, die Geld in das Zweitgeschäft in St. Tropez steckten.
Firmenname Dupunt, Standort Paris und St. Tropez stand plötzlich auf
den Papiertüten. Und da waren ein paar Männer, angeführt von Marteau, die Diebstahl, Raub, Schlägerei, Vergewaltigung im gesamten
Bereich des Dorfes verboten. Nicht die Gendarmerie setzte die Idee
von St. Tropez propre um, die heute übrigens fälschlicherweise auf
den T-Shirts der Müllabfuhr steht. Es war zum Beispiel Marteau, der
seine Idee durchsetzte und Werner Dueleen war wahrscheinlich einer
seiner wesentlichen Helfer. Gemessen am heutigen Umsatz war der
Spieleinsatz ziemlich gering, als Initialzündung aber eine großartige
Sache. Alain klopfte mal wieder Dueleen auf die Schulter.
»Du mußt wissen, ich bin noch da, auch wenn Marcel sich in
die Berge zurückgezogen hat. « Alain lehnte sich zurück, blickte aufs
Meer und spielte mit der linken Hand an seinem mit schweren Silber
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bezogenen Gürtel. Dann zog er ein Opinell, das französische Taschenmesser aus der Tasche.
»Du mußt wissen, Opinell ist ein einfaches Messer. Holzgriff
und Blechring vorne. Und es ist leicht. Und der Stahl kann rosten,
wenn man ihn nicht benutzt. Aber es ist scharf, immer scharf. Und
man kann es noch mehr scharf machen, ohne daß es kaputt geht. Du
sollst ein Opinell haben«.
Er gab mir das Messer. »Ein Geschenk, mußt Du wissen«, sagte
Alain. Wir sahen auf die Wellen, die unendlich gegen den Strand
schlugen. Dueleen nickte mir zu. »Passen Sie gut auf ihr Messer auf,
wenn Sie mal nicht wissen, wie man es gebraucht, dann fragen Sie nur
Alain, er hilft ihnen dann. « Prohetische, verklausulierte, dunkle Worte. Man konnte Sie glauben, auch nicht. Allerdings als Dueleen sagte:
»Es ist jetzt elf Uhr, wir können wieder ins Haus, das ist in der Zwischenzeit aufgeräumt«, glaubte ich ihm. Alain brachte uns mit einer
Mischung aus Jeep und Lastwagen wieder zur Villa. Das Haus war
sauber, die Mädchen weg. Bis auf Mercedes. Sie hatte den Tisch gedeckt und war dabei, das Essen vorzubereiten.
Szen 10, take 3
»Wissen Sie Herr Nader, in einem Jahr kann ich mich neu orientieren«, sagte Dueleen, als wir beim Essen saßen. »Meine Frau darf
auf keinen Fall etwas von einer zukünftigen Scheidung erfahren, sonst
wirft die mir mächtig Knüppel zwischen die Beine, aber wenn das
Jahr vorbei ist, dann können wir etwas Neues anfangen. «
Mercedes legte etwas von einem wirklich gut gemachten Hasen
nach und wirkte völlig uninteressiert. Ich blickte mich im Haus um.
Spuren einer doch recht wilden Nacht waren nicht zu sehen, der Tisch
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war freundlich gedeckt, sie selbst wirkte wie die besterzogene Hausdame in St. Tropez.
»M. Lepen wird heute gegen sechzehn Uhr hier sein, wir sollten
uns dann ein paar Grundstücke ansehen«, sagte Dueleen. Er wählte
Badoit Sprudelwasser anstelle des sonst üblichen Rosés. »Er hat ein
paar Stellen rausgesucht, an denen ich bauen könnte. Ich natürlich
nicht«, korrigierte sich Dueleen und lächelte, »eine Aktiengesellschaft, die ich zufällig kenne. «
Mercedes reichte die Sauce von hinten an, sie war zum Service
aufgestanden. Heute hatte sie ein kurzes, eng sitzendes Jeanskleid mit
Reisverschluß vorne ausgesucht. Man konnte es damit von ganz brav
bis ganz gewagt einstellen. Zur Zeit stand es auf durchschnittlich brav.
»Soll ich etwas vorbereiten«, fragte sie. »Nein, sagte Dueleen, wir
werden anschließend außer Haus sein. So eine Besprechung und Besichtigung dauert immer etwas länger. - Aber«, Dueleen dachte kurz
nach, »Du solltest mal ins Dorf gehen und Dir einen privaten Abend
gönnen, Du kommst ja kaum mehr aus dem Haus. «
»Ich wollte mir heute den Film im Fernsehen ansehen«, sagte
Mercedes«, ich bin ganz gern im Haus. «
M. Lepen kam äußerst pünktlich. Er hatte, trotz großer Hitze,
Anzug und Krawatte gewählt. Die Klimaanlage im Wagen, mit dem
wir fünf Kilometer weiter fuhren und ein Grundstück besichtigten,
ermöglichte ihm das. Wir blickten auf ein quadratisches Hanggrundstück mit circa vierhundert Meter Seitenlänge. Leichte Hanglage,
Nordostseite.
»Durch die Lage ist das für Ihre Zwecke ideal«, erklärte Lepen,
»als Villengrundstück wird die Lage so nicht gerne genommen, als
Studio ist es prächtig. Geringe Kosten, Zufahrt einfach von der Hauptstraße, Entfernung groß genug, keine Geräusche, keine Arbeiten. Und
ich möchte ihnen jetzt einmal die Finanzierung erläutern. Der franzö-
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sische Staat gibt ihnen einen Kredit zu fünfeinviertel Prozent auf die
Hälfte der Investitionssumme und meine Bank kann ihnen eine erste
Hypothek für siebeneinhalb anbieten. «
»Und was kostet das Grundstück?« Dueleen blickte, wie ich,
auf Sträucher, Steine und etwas Sand.
»Das kommt jetzt wieder drauf an«, erwiderte Lepen, »wenn
wir den Regionalfond zur Arbeitsplatzschaffung einsetzten können das sind so dreihunderttausend Franc pro Arbeitsplatz - und wenn wir
noch die…«, Lepen zögerte, bis jetzt hatte er fließend Deutsch gesprochen, aber dieser Begriff war doch zu typisch Französisch.
»Gold oder Erbsen«, verlangte Dueleen zu wissen. »Nichts,
richtig gesehen nichts«, versicherte Lepen, »sie müssen sich eben nur
verpflichten…« Dueleen unterbrach ihn. »Und ohne Verpflichtung?«
»Also ich könnte, wenn ich mit meiner Zentrale rede, eine…«
Wieder wurde er unterbrochen. »Lieber Herr Lepen, bitte glauben Sie
mir, daß ich alle Angebote, die sie mir machen, ernsthaft prüfen werde, aber ich möchte hier investieren. « Er betonte das Wort investieren
auf jeder Silbe. Dann griff er in seinen braunen, etwas übergroßen
Lederplaner, selbstverständlich von Hermes, und zog ein Stück Papier
hervor, blickte kurz darauf und gab es Lepen.
»Eröffnen Sie damit ein Konto für, sagen wir… die Studio-BauGesellschaft. Sprechen Sie mit Ihrem Notar, welche Bedingungen
dafür notwendig sind. Sitz hier in St. Tropez. Gleichberechtigte Gesellschafter Dueleen und Nader. Grundkapital zwanzig Franc. «
Lepen blickte verdudzt und andauernd auf das Stück Papier, das
er immer noch in der Hand hielt. Hätte ihm als Banker nicht passieren
sollen.
227
»Das ist ja ein Scheck über eine Million Franc«, sagte er.
»Bankbestätigt«, sagte Dueleen. »Aber schauen Sie genau hin, das
sind nicht Franc, das sind Schweizer Franken. «
Lepen war von der Rolle. Dueleen blickte über das Grundstück,
er schien die Pinien zu zählen. »Aber wieso zwanzig Franc Grundkapital…« Lepen kam aus dem Stottern nicht heraus. War aber auch viel
verlangt von einem südfranzösischen Kleinbanker, hier noch Haltung
zu erwarten.
»Nader«, sagte Dueleen, »geben Sie dem M. Lepen bitte zehn
Franc. « Er selbst holte aus der kleinen Tasche oberhalb der rechten
Hosentasche ein entsprechendes Geldstück, außen kupferfarben, innen
silbrig. Mir kam es auf die zehn Franc auch nicht an. Ich drückte Lepen das gleiche Geldstück in die Hand.
»Gut«, sagte Dueleen, fahren wir noch ins Dorf, ich will noch
mal ins Café de Lyon.
Lepen fuhr uns ins Dorf, ohne daß noch eine wesentlich Unterhaltung aufkam. Und ich hatte sogar das Gefühl, als wäre er etwas unsicher beim Fahren. Wir stiegen am Quai Suffren aus, entließen einen
immer noch verblüfften M. Lepen und gingen zu Marteau.
Die Fenster waren hochgeschoben, am linken Fenster, auf der
Thekenseite waren zwei Barhocker frei. Dueleen setzte sich unter den
Barographen und Marteau kam mit »Ça va«, das ebenso beantwortet
wurde. Es ging eben so. Marteau zog sich hinter dem Tresen seinen
Hocker näher heran und man begann ein sehr gemischtes Gespräch,
schon was die Sprache anging, aber auch die Themen. Marteau begrüßte die von Dueleen geplante Zusammenarbeit mit Lepen und versicherte dessen absolute Zuverlässigkeit, zumindest solange er und
Alain hier noch etwas zu sagen hätten. Das Grundstück sei aber vielleicht nicht optimal. Er hätte da noch ein näher gelegenes im Auge.
Ob er schon die neuen Gogogirls im Papagayjo gesehen hätte, oh lala,
228
obwohl sie nicht aus Paris, sondern aus London kämen. Da sei er eigentlich nicht so dafür, aber der dicke John, der Pianist, hätte ihm
auch mal einen Gefallen getan.
Ich sah M. Marteau lange an. Da stand ein Kneipenwirt in einer
zwar zentral gelegenen, aber doch nur durchschnittlichen Kneipe,
beschäftigte so fünf Kellner, war sich nicht zu schade zum Wein ausschenken und Bier zapfen und redete über Millioneninvestitionen und
das Personal des größten Cabarets im Dorf. Kein Mensch würde ihm
den Mafiaboss glauben. Vielleicht war er es auch gar nicht. Aber es
funktionierte alles. Das der Sitzplatz in seinem Lokal für uns frei war,
war ja noch machbar, daß ich aber auch in einer vollkommen fremden
Pizzeria ausschließlich am runden Tisch, gerade am Übergang von
Lokal zu Straßenrestauration saß und als einziger soviel Platz verbrauchen durfte, wie vier andere, sterbliche Gäste, das fiel mir auf.
Marteau und Dueleen waren jetzt bei der Werft und dem Besitzer, den sie nicht leiden konnten. Der Aquamarina war wieder dran
und zwischendurch rief Marteau auch mal laut »mon captain«.
Da ich auch mal frei von Dueleen und seinen Bekannten haben
wollte, verabschiedete ich mich und ging die paar Meter zu Fuß zum
Café des Artes. Unter den Platanen sah ich den Petanquespielern zu
und trank Rotwein. Preiswert. Zwei Holländerinnen hatten den Weg
vom Senequier bis hier geschafft. Sie versuchten sich in Stellung zu
bringen. Die Petanquespieler diskutierten heiß, ob man lieber rolle
oder werfe. Die kleine Fotografin setzte sich zu mir an den Tisch. Die
Geschäfte liefen, wie immer, nicht so gut, so war das Leben. Wir tranken noch einen kleinen Rotwein. Ich sah sie mir genauer an. Klein,
deutlich kleiner als Modells, dafür hager, durchtrainiert. Zwar schon
ein Jahr älter als ihr allerbestes Jahr, dafür aber sonnengegerbt und
lustig. Einer der Helfer des Hafenmeisters hatte, so mußte man vermuten, auch Feierabend. Er setzte sich zu uns. Es kam der Maurer, eine
Koch, ein Garçon dazu. Und eine Indianerin. Oder sie sah zumindest
so aus.
229
Ernsthaft beschrieben war die Dame möglicherweise sechzig,
bei guter Straffung, die hier offensichtlich vorlag, waren auch knappe
siebzig möglich. Sie trug einen längeren, ledernen Indianerrock mit
den dazugehörigen Ketten und Lederschnürungen und ein dazugehöriges Bolero-Oberteil. Offen und natürlich bei jeder Bewegung die
gelungene Arbeit des plastischen Chirurgen zeigend. Zu der harten
europäischen Nachtbar-Bemalung hatte sie noch einige Striche in
blau, weiß, rot aufgelegt, im Gesicht, auch auf dem Körper. Eine Vielzahl von Steinketten und Lederschnüren wurde dann von einem Lederstirnband mit Glasperlenstickerei gekrönt.
Sie gehörte zu dieser Runde, mehr deswegen, weil jeder der regelmäßig im des Artes erschien, zu der Runde gehörte. Sie begann mir
hervorrangenden Englischkenntnisse zu bescheinigen, sie konnte sich
an meiner Sprache kaum satthören. Außerdem erzählte sie von ihren
Fotos, ihrer künstlerischen Sammlung, die ich unbedingt mal sehen
müsse. Langsam wurde mir die Sache mulmig. Dann lud sie den Maurer und den Garçon mit mir zu sich, in ihre Stadtwohnung. Da ich
zögerte, steckte sie mir noch einen Tausendfrancschein ein die Tasche.
Jetzt wurde es peinlich. Da trat doch Christian, der Bartender zu mir
und bat mich ans Telefon. Es war irgendwie dringend. Ich ging hinein,
nahm den Hörer und hörte ein lang anhaltendes ›tuuuut‹. Ich erwiederte diesem tuuut, »…,daß ich nicht wolle,… daß, wenn es sein müsse
ich …« und legte auf.
Ich bedankte mich bei Christian, ging zur Indianerin, gab ihr, die meinem Gespräch und meiner Mimik penetrant gefolgt war, den Schein
zurück und bedauerte, außerordentlich.
Bei Weggehen mußte ich darauf achten, nicht zu schnell zu laufen.
Langsam, aber zielsicher ging ich in Richtung der Rue Fernier, und
rannte erst, als ich außer Sichtweite gekommen war. Ich hatte Glück
gehabt, diesmal hatte der St. Tropez-Effekt nicht funktioniert.
230
Am nächsten Tag wurde mir mein Auto gestohlen. So was ist vollkommen unromantisch. Bringt auch keinen Kick oder Erlebniswerte.
Ich war am Tag durchs Maurengebirge gewandert, ein durchaus
schwieriges Unterfangen, da die Franzosen zwar begeistere Radfahrer
sind, dem Wandern und Wanderwegen offensichtlich aber nichts abgewinnen könne. Deshalb muß man sich, sofern man will, auf Feuerwehrwegen oder, falls dies die Gegend überhaupt zuläßt, querbergein
durchschlagen.
Der Bergrücken ist bis über siebenhundert Meter hoch, es gibt
wenig Steinwände. Die Verwitterung des Glimmergesteins führt zu
Schrägen, die kaum Halt und Stand gewähren und auf dem Sand
kommt man auch nur mühsam aufwärts. Die Täler und Schluchten
sind oft dicht von macchiaähnlichem Gewächs überzogen, an anderen
Stellen haben Maronenbäume oder auch Korkeichen überhand gewonnen. Je höher man kommt, um so mehr und krüppeliger werden
die Pinien bis man tatsächlich bei circa sechshundert Meter an eine
Art Baumgrenze kommt. Nicht unmöglich, wenn auch schwer, ist es,
Wasser zu finden. Abgesehen von den Zysternen, die die Feuerwehr
wegen der dauernden Waldbrandgefahr hier überall aufgestellt hat.
Belohnt wird man bei einer Wanderung durch diese fast menschenleere Gegend durch eine verblüffende Flora. Orchideen, Kakteen, in freier Wildbahn. Und wenn man sehr acht gibt, oder wie ich,
gar nicht, läuft einem tatsächlich mal ein Wildschwein über den Weg.
Meistens sind es aber halbzahme Ziegen, die die Gegend immer noch
abweiden und abends freiwillig zum Melken in die offene Feldscheuer
zurückkehren.
Nach so einem Wandertag war ich natürlich einigermaßen müde, schaute jedoch noch, wie versprochen, bei Dueleen vorbei. Ich
kam bei beginnender Dunkelheit an, parkte meinen Wagen, der sich
mit Dueleens Hausdame und jetzt auch Gefährtin den Vornamen teilte,
vor dem Haus und wurde mit Essen, Trinken und einem Würfelspiel,
231
das ich verlor, empfangen. Die Müdigkeit quälte mich immer stärker.
Das Angebot, direkt ein Bett, für mich alleine in einem einzelnen
Zimmer, zu erhalten, war beglückend. Ich schlief gut bis gegen neun
Uhr, als Mercedes an meine Schlagladentür klopfte.
»Herr Nader, wo haben Sie ihren Wagen geparkt?« Sie fragte
scheinbar ruhig, aber ich merkte eine Anspannung.
»Direkt vor der Garage, in der Einfahrt. Soll ich wegfahren?«
fragte ich.
»Nein, da steht Ihr Wagen nicht. «
Denkpause bei mir. Doch, der muß da stehen, direkt vor der
Einfahrt. Nicht besoffen gewesen beim Parken, keine Nachtausflüge.
Der Zündschlüssel liegt auf dem Nachttisch. Kleiner Scherz von Mercedes? Wohl kaum. Raus aus dem Bett, Badehose, T-Shirt, mit den
Händen durch die Haare und raus in die Sonne. Kurze Blendung im
Innenhof. Um neun steht die Sonne schon merklich hoch. Es ist alles
regelrecht hell. Weg nach draußen, barfuß über den Kies der Einfahrt
und ein Blick nach rechts und links. Eindeutiger Anblick. Mein Auto
war weg. Dort stand jetzt zwar Mercedes, aber nicht mein Daimler.
Ich rief die Police Municipial an und erhielt die Auskunft, daß
dafür die Gendarmerie zuständig ist. Dort erhielt ich die Auskunft, daß
ich bei Gelegenheit, wenn es meine Zeit zuließe, mal vorbeikommen
solle, um den Process Verbal durchzuführen. Und wenn ich nicht genug französisch könnte, sollte ich mir gleich einen Dolmetscher mitbringen. Auf meine Kosten natürlich.
Eine Stunde später saß ich, jetzt gewaschen und gekämmt, am
Frühstückstisch. Die Frage, ob ich mein Auto vielleicht irgendwo
anders abgestellt haben könne, hatte ich genügend oft durchdacht und
schlußendlich verneint. Ich lieh mir den Kübel und fuhr auf der Küstenstraße und dann auf der General Leclerc Richtung Dorfzentrum.
232
Das Hotel de Paris, damals das erste Jahr geschlossen, vor mir, bog
ich nach links, und parkte vor der Gendarmerie, die aus einer beträchtlichen Anzahl französischer Komödienfilmen so bekannt ist.
Ich kam nicht sofort dran, denn direkt vor dem Eingang der
Wache stand ein R 4, dessen Motor munter brummte. Die Fahrerin
stand davor und vor allem vor den abgeschlossenen Türen. Das sich
ein Gendarm mehr für dieses Problem, besonders bei dem Aussehen
der Dame und deren Rocklänge, vom Verhältnis Brust zu Taillenweite
ganz zu schweigen, interessierte, verstand ich. Seine Maßnahme erschien mir allerdings etwas brutal. Ich hatte einen ähnlichen Öffnungsversuch mal in Deutschland von einem gelernten Autoschlosser
gesehen, der sich mit Holzkeilen langsam einen weg für einen Stahlhaken bahnte. Hier nahm der Gendarm einen großen Schraubenzieher,
steckte ihn ins Schloß des Kofferraums, hielt ihn mit der linken Faust
und schlug einmal kräftig mit der rechten Hand auf die Faust. ›Plink‹,
sagte der Schließzylinder und verschwand im Wageninneren. Der
Gendarm öffnete galant die Heckklappe, ließ die Frau im Minirock in
den Wagen krabbeln, sah interessiert dabei zu und wünschte ihr eine
gute Fahrt.
Er bat mich ins Innere der Wache, deren Abnutzungs- und Verbrauchszustand wirklich nur noch mit Charme zu beschreiben ist,
wenn man Beleidigungen vermeiden will. Er fand einen Block mit
Vordrucken, schrieb aus meinen Papieren die notwendigen Angaben
ab, ließ mich an einer Stelle unterschreiben und unterschrieb die andere Stelle. Dann stempelte er das Ganze noch mit einem gewichtigen
Stempel. Das Stempelkissen hätte allerdings auch mal neue Farbe
brauchen können.
Dann stand ich ohne mein Auto, aber jetzt amtlich als bestohlen
festgestellt, wieder auf der Straße. Ich schlenderte ins Dorf und kam
fast automatisch am Quai an, im Café de Lyon. M. Marteau war anwesend, wie immer mit einem Ohr am Telefon, mit dem anderen dem
Gespräch der Gäste lauschend. Mit einem Auge die Mädchen auf der
233
Straße, mit dem anderen die Abrechnungsmoral seiner Garçons verfolgend. Er hatte das drauf. Ich setze mich auf den Hocker vor der
Theke, mitten ins Fenster und bestellte mir Cafe und Cognac. Dann
nahm ich meinen neuen Zettel aus der Tasche und wollte ihn noch mal
durchlesen. Marteau mußte das bemerken, aber er reagiert überraschend. Er nahm mir das Blatt fast weg und seine Augen fuhren fahrig
über das Papier. Er schien das Formblatt zu kennen, der Inhalt war
ihm damit sowieso klar. Er gab mir das Papier zurück und starrte mit
zusammengepreßten Lippen über die Theke auf das Hafenbecken.
Telefon und sonstige Tätigkeit schien er eingestellt zu haben. Ein Gespräch war in dieser Form mit ihm nicht möglich, mein Zahlungsversuch wurde von ihm abgelehnt und ich ging, mich leicht wundernd.
Ohne Auto, obwohl mir Dueleens offener VW sofort zur Verfügung gestellt wurde, bleibt einem der Strand als einfachster Ausweg.
Zum Mittagessen hatte ich mich am Multinsula eingefunden und die
Plate de jour bestellt, eine Wahl, die ich öfter traf und immer wieder
dafür hervorragend entschädigt wurde.
Als ich mir, als neuer Fußgänger, nach dem Essen noch Kaffee
und Cognac leistete, setzte sich Alain zu mir. Er sah mich traurig an
und sagte, M. Marteau hätte ihn angerufen. Ob das denn alles stimme?
Ich lege ihm den Gendarmeriezettel auf den Tisch, er studierte
ihn auffallend lange. Stellte fest, daß das ganze ja keinen Kilometer
von hier stattgefunden habe und holte die Flasche Cognac. Daß ich
getröstet werden sollte, verstand ich, auch wenn Cognac am frühen
Nachmittag bei Hitze nicht unbedingt der beste Tröster ist. Nur warum
sich Alain tröstete? Nun ja, geteiltes Leid ist doppelter Cognac. Als
ich ging, saß Alain auf seinem Sessel und sah aufs Meer, rechts fing
Camarat an zu blinken. Viermal kurz, Pause.
Der Nice Matin des nächsten Tages hatte eine politische und ein
lokale Titelgeschichte. Lokal war wenige Kilometer von St. Tropez
ein Auto mit zwei Italienern, denen man nachsagte, sie seien von der
234
Mafia, so unglücklich von der Straße abgekommen, daß ihr Fahrzeug
in einen Steinbruch gefallen war. Dort hatte der verheerende Aufschlag einen Brand ausgelöst. Die beiden Italiener, die schon vorher
mit Autodiebstählen im Raum St. Tropez in Verbindung gebracht
worden waren, konnten leider, trotz größtem Einsatz von Feuerwehr
und Rettungsdienst, nicht mehr gerettet werden.
Ich besuchte auch an diesem Tage den Plage Multinsula, der
Betrieb lief weiter, wie normal. Gäste kamen, Gäste gingen, Mittagessen, Aperitif. Alain sprach mit mir über seinen Plan, deutsches Bier
vom Faß auszuschenken. Dagegen sprach allerdings seine Bindung an
die hiesigen Weinbauern. Er wollte sich das noch mal überlegen.
Am Café des Artes entkam ich an diesem Tag das zweite Mal
der Indianerin und alles zusammen war mir dann doch so viel, daß ich
mein Studio in der Rue Fernier vorzeitig kündigte und von Frejus mit
dem Zug nach Deutschland fuhr. Sechzehn Stunden. Man kann das
auch in eineinviertel mit dem Flieger haben.
235
Szene 14
Der Herbst hatte hier in Deutschland Einzug gehalten und Dueleen war mir einige Wochen nicht in die Quere gekommen. Bis es an
diesem Freitag, dem dreizehnten wieder mal so weit war.
Präliminarienaustausch, »Nader«, »Dueleen. «
»Sie müssen unbedingt …«, fing schon gut an, der Dueleen,
aber er ließ sich nicht ins Wort fallen. Also ließ ich ihn ausreden und
versuchte, die verschiedenen Aussagen so zu sortieren, daß ich damit
etwas anfangen konnte.
Er hatte eine neue ›Schiene‹ aufgetan. Er wollte sich auf die Literatur werfen und hatte dafür so lange gesucht, bis er die Copyrightinhaber einer besseren Krimiserie ausfindig und denen auch den Mund
wässrig gemacht hatte. So ein Heftchen wurde jede Woche geschrieben, die ungefähr sechzig Seiten waren fast genau eine Drehbuchvorlage für einen Spielfilm. Die Technik zum Drehen konnte man mieten,
ebenso Kameraleute, Regisseure und die Schreiberlinge, die aus Groschenheftchen Drehbücher machen mußten. Das war alles kein Problem. Die Finanzierung erschien, obwohl er jetzt doch in etwas größere Gefilde geschwebt war, immer noch kein Problem und ich fragte
mich, wo der Knackpunkt lag.
Dueleen hatte es geschafft, die Verhandlungen auf eigenes Territorium zu verlagern. Der Verlag schickte zwei Damen nach Freiburg-Glaubensberg. Dies sollte ja kein Problem sein, aber diese Damen mußten dem System Dueleen zuwiederlaufen. Bis jetzt hatte er es
mit Männern zu tun. Frauen spielten mit. Jetzt war alles anders. Und,
ich hätte es nie gedacht, der Vorname der beiden bereitete ihm auch
Schwierigkeiten. Beide hießen nämlich Doktor.
Die Diskussion, daß meine Lateinschulenzeit auch schon fast
zwanzig Jahre vorbei war und daß ich weder Kunst noch Kultur mit
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Löffeln gefressen hatte, wurde abgewürgt. Diesmal, entschied Dueleen, mußte ich kommen. Oder er wolle alles absagen. Das beste Hotel, wurde mir versichert, sei wirklich reserviert und besondere Anstrengungen von mir nicht von Nöten, aber die Anwesenheit eben. Das
sei es.
Der Nachfolgedaimler brachte mich kurz vor Dunkelheit nach
Glaubensberg. Die Treppen hoch und in den großen Raum, der Bibliothek, Kaminzimmer und Arbeitsraum war. Ich wurde den Damen vorgestellt. Erstaunt stellte ich fest, daß meine Anwesenheit der Grund
war, daß Dueleen sich bei den Damen bedankte, auch diesen Termin
am Freitagabend wahrgenommen zu haben.
Ich war noch erstaunter, wie viel bei diesem Gespräch, bei dem
Mercedes Kaffee und kleine Gebäckstücken reichte, sich um die notwendige Gefühlswelt der Leser drehte. Wie durch eine falsche Verfilmung eine ganze Generation von Lesern ihrer Vorstellung beraubt
werden könnte. Und welchen Einfluß das wiederum auf das Verlagsgeschäft hätte, dessen Stil nun eben einmal zu verteidigen sei.
Dueleen wandt sich, einen Aal überzeugend schlagend, durch
alle Fährnisse und hatte nur Verständnis. Ich hatte immer noch den
Eindruck, daß die Dresfrauen von Groschenheften sprachen. Esoterische Gedanken blitzten auf und Kama schlängelte sich am Kamin
entlang in die Flammen des Holzfeuers im Kamin.
Ich sah mir die Dresfrauen von der Seite an. Vierzig, vielleicht
zwei Jahre mehr. Äußerst gepflegt, bis zu den Fingerspitzen. Gewicht
und Größe passend, Schuhgröße 38. Auch wenn die Schuhe mindestens italienische waren. Beide in Kostümen, Konfektion saß heute oft
besser als Schneiderware, aber hier saß alles gut und es stellte sich
keine Frage nach dem woher. Schmuck war für meinen Geschmack
etwas zu viel. Dafür dezent geschminkt. Dueleen versicherte gerade,
daß er besonderes Interesse an den Zwillingsforschungen zur Telepathie hatte, war aber schlau genug, die präkognitiven Künste als Vor-
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hersehen zu bezeichnen und zu diskutieren, ob eine Verbindung mit
der Hellseherei bestand. Hätte ich nur ein wenig mehr von Telekinese
verstanden, ich hätte mich auf der Stelle wegteleportiert. Zumindest in
die nächste Kneipe, am besten eine, wo Bauarbeiter saufen.
Mein Schweigen fiel auf, ich wurde zwangsweise in das Gespräch aufgenommen. Ein dunkler Gedanke, fies, hinterhältig zuckte
durch mein erbostes Gehirn. Ich erzählte, daß ich schon viele Jahre
mit dem Psi-Phänomen zu tun gehabt hätte und auch den Professor
Runder, den Leiter des Instituts für Parapsychologie, gut kenne. Allerdings mußte ich mir, ohne es natürlich zu sagen, eingestehen, daß ich
nur wußte, daß gegen ihn ein Verfahren zur Zwangsemeritierung lief,
weil er seine Promotionsurkunde gefälscht hatte.
Sei's wie's sei, die Damen waren esoterisch, nicht aber in dieser
Welt zuhause. Ich berichtete von gelesenen paranormalen Effekten.
Die meisten Taschenspieltricks hatte ich durchschaut. Aber ich sprach
nicht davon, ich kam auf Hanussen.
Hanussen gibt es mindestens eins und zwei. Der zweite war ein
trauriger Abklatsch seines traurigen Vorgängers. Der Schaden, den
beide angerichtet haben, ist groß. Aber es gibt in der Branche eine
Seance, die heißt Hanussen.
Langsam führte ich die Damen in meine Künste ein und nach
längerem Zögern willigte ich auch ein, einen Versuch nach Hanussen
zu machen. Kaffee und Zeit nötigen mir aber eine kurze Pause ab. Als
ich zurückkam, bat ich die Damen um Entschuldigung und Dueleen,
sich kurz mal die Türklinke der Herrentoilette anzusehen. Ich hatte
mir dort die Hand etwas eingeschnitten. Ein kleines Pflaster, von Mercedes in der Küche angelegt und etwas rot an der linken Hand wurden
äußerst bedauert. Aber so schlimm war es wirklich nicht.
Dueleen kam wenige Minuten später wieder und versprach die
Reparatur an der Türklinke, die er provisorisch wieder in Schuß be-
238
kommen hatte. Dann kam Mercedes und sagte, daß das kleine Buffet
im Speisezimmer bereitgestellt sei und daß sie, wenn nichts mehr vorliege, jetzt ihren freien Abend nehmen würde. Dueleen verabschiedete
sie generös.
Die Stimmung wurde wirklich esoterisch. Das Feuer im Kamin
flackerte, das Licht wurde gedämpft. Draußen war die Dunkelheit
hereingebrochen. Ich erklärte die Durchführung des Versuchs. Dueleen holte drei weiße Karteikarten, von denen er Dutzende verbrauchte, und seine persönlichen Kuverts. Drei Bleistifte wurden dazu verteilt und ich begann:
»Ich werde jetzt einen Versuch des Hellsehens, also einen Versuch machen, etwas zu sehen, daß mir zeitlich oder räumlich nur auf
paranormalem Weg zukommen kann. Kurz gesagt, ich werde Fragen
beantworten, die sie stellen. Zettel und Bleistift dienen zur Dokumentation Ihrer Frage, in dem Kuvert wird Ihre Antwort sicher verschlossen. Wenn ich mir dann dieses Kuvert an die Stirn führe, habe ich eine
Chance, etwas paranormal zu sehen. Stellen Sie mir bitte nicht die
Frage nach den morgigen Lottozahlen …«, ich lächelte die Damen an,
sie lächelten gespannt zurück, »…so genau sehe ich nicht. Stellen Sie
mir bitte Fragen in die Zukunft orientiert oder die Gegenwart betreffend. Mit der Vergangenheit wird es durch Überlagerung immer etwas
schwierig. «
Die Damen nickten eifrig, Dueleen schob noch an den Sesseln.
»Damit nichts schief gehen kann«, sagte Dueleen. Eine Stehlampe
beleuchtete mich recht grell von links, rechts, etwas hinter mir flackerte der Kamin. Meine drei Kandidaten, Dueleen mußte auch mitmachen, saßen im leichten Halbkreis in knapp zwei Meter Entfernung vor
mir.
»Bitte überlegen Sie sich die Frage, kurz und einfach, damit
man nachher alles lesen und verstehen kann, bitte«, sagte ich.
239
Dueleen und die Dresfrauen blickten theatralisch an die dunkle
Decke und suchten Fragen. Dann schrieben alle, jeder achtete darauf,
daß der Andere keinen Einblick hatte. Dann wurden die Briefumschläge zugeklebt. Dueleen sammelte die drei Kuverts ein, ich lehnte
mich im Sessel zurück, streckte die linke Hand nach vorne und ließ
mir die drei Fragen in die ausgestreckte linke Hand stecken. Vorsichtig, deutlich, daß jeder alles sehen konnte, nahm ich die ersten Umschlag mit der rechten Hand und näherte ihn langsam meiner Stirn. Es
überkam mich eine Art leichter Trance, als ich die Augen halb schloß
und sagte:
»Es ist ein Fell, ein wunderschönes Fell, langhaarig, weich. Ich
sehe Glück, ich sehe Freude. Die Wärme fühle ich und viel Schönheit.
«
Ich schüttelte mich leicht, sah zu meinen Probanten hinüber und
sah Unverständnis im Gesicht der Dresfrauen. Ich nahm den Brieföffner, riß dieses Kuvert auf und las vor:
»War es richtig, die Mufflonschabracke vor den Kamin zu leben«? Ich sah mich um und fragte, »wer hat das geschrieben«? Dueleen meldete sich und die beiden Doktores waren verblüfft. »Ein Treffer«, oder »zumindest sehr nah dran« und »wirklich erstaunlich«, hörte ich die Damenstimmen wispern.
Ich steckte den geöffnete Brief zurück zu den anderen zwei ungeöffneten in meiner linken Hand und zog den nächsten Brief mit der
rechten Hand an den Kopf, immer darauf achtend, daß die beiden anderen Briefe in den linken Hand gut sichtbar blieben. Wieder legte ich
mich etwas zurück und ließ das Kuvert sichtbar auf mich wirken.
»Ein Hund, ein schönes Tier, er steht einem Menschen sehr nahe, aber ich sehe auch Leid. Aber das klingt ab, die Gesundheit kehrt
zurück. «
240
Aus meinem hell beleuchteten Kreis konnte ich nicht besonders
gut auf die Probanten sehen, aber die Mittlere hatte sich aufgerichtet
und starrte fast verblüfft auf den Umschlag, den ich jetzt mit dem
Brieföffner öffnet und vorlas:
»Wird mein Hund gesund?« Wieder die gleiche Frage, wer das
geschrieben habe. Ich brauchte die Reaktion nicht abwarten, natürlich
die Mittlere. »Es ist wirklich ein lieben Tier, erklärte sie, und jetzt
beim Tierarzt …«. Dueleen beschwichtigte sie, hielt den Zeigefinger
vor ihren Mund und machte »Pssst!«
Der Vorgang zur Beantwortung der dritten Frage war wie vorher auch. Diesmal sagte ich:
»Schwarz, rund, groß, schwer. Es riecht nach Gummi, schwarzem Gummi und das auf weißem Schnee. Man sollte den schwarzen
Gummi auf den weißen Schnee stellen. «
Ich schüttelte die mich immer wieder anfallende Trance aus den
Knochen, riß den letzten Umschlag auf und las vor: »Soll ich Winterreifen kaufen?«
Ich gab alle drei Kuverts, alle Karteikarten zurück zur Prüfung
und war dann sichtlich erschöpft.
An der sich entspinnenden Diskussion, daß ich nicht Reifen
sondern schwarzer, runder Gummi gesagt hätte, beteiligte ich mich
nicht. Dueleen wurde auch bald umgestimmt, daß das doch wirklich
das Gleiche sei. Und dann kam, was kommen mußte, die nächste
Seance wurde gefordert.
Ich erklärte den Damen, daß es zwar nicht wesentlich anstrengend sei, so etwas zu machen, aber daß die Ergebnisse nach hinten
eigentlich immer schlechter werden würden. Außerdem hätte ich die
Erfahrung gemacht, daß Kaffee und auch Aspirin, meine Fähigkeiten
241
doch beträchtlich senkten. Und daß ein paar Cognacs zwar halfen,
aber zum Schluß doch immer in die unkontrollierte Sauferei führten.
Ich lehnte es kategorisch ab, allein Cognac zu trinken. Die Damen erkundigten sich nach der Strecke zum Hotel. Fünf bis sieben
Minuten mit dem Taxi. Dueleen war in seinem Element. Er holte
diesmal einen Hennessy, Schwenker, die etwas größer waren als die
normalen, aber dafür nur Kleinfingerbreit gefüllt wurden. Dueleen
legte noch zwei Scheite auf den Kamin und wir stießen an. Die Karteikarten und die Kuverts wurden auf die eine Seite gelegt, die neuen
Unterlagen rechts von den Damen. Sie sprachen immer noch über die
Interpretation meiner Aussage, verblüfft, wie genau und wie doch
angedeutet ich geredet hätte. Zum Beispiel war das Fell ja eindeutig,
aber Freude, Schönheit, das konnte nicht ganz stimmen. Aber man
entschloß sich, mir fünfundachtzig von hundert Punkten zu geben.
Ich hielt meinen Cognacschwenker noch einmal in die Mitte
und blickte die Dresfrauen strafend an, als sie mich alleine, so zur
Probe trinken lassen wollten. Ein kleiner Finger breit, »zum Wohl die
Damen«. Ein Blick auf den Hennessy, den Dueleen zurück auf den
Tisch hinter sich ins Dunkle stellte, zeigt eine Flasche, die nicht wußte, ob sie halb voll oder halb leer war.
Die Hellseherunde ging nach bekanntem Muster, die Antworten
waren:
›Ein ruhiges, schönes Haus, hell, noch etwas warm. Problemlos,
freundlich. Es ist o. k.‹ Die Frage dazu kam von Dueleen, ›ist mein
Haus in St. Tropez in Ordnung?‹
›Ein Mensch wünscht sich sehr, näher heranzukommen. Zurückweisung kommt von einem alten Bekannten.‹ Die Frage dazu war
›Ist nach meiner Scheidung eine neue Beziehung in Sicht.‹ Und
242
›Privates fließt in die Karriere ein, aber nur Positives, sie können tun, was sie wollen, die Karriere geht aufwärts.‹ Mit der Frage:
›Kann Privates meiner Karriere schaden‹.
Die Diskussion wurde erheblich, die Dresfrauen überzeugten
Dueleen, der immer noch an der Qualität meiner Aussagen zu mäkeln
hatte, daß kaum eine andere Interpretation meiner Aussage sein Haus
betreffend möglich sei und bei der Frage nach der Karriere hätte sie
wirklich gedacht, daß sie vielleicht nicht immer so zurückhalten sein
solle. Schließlich sei sie knapp an die vierzig und das sei noch kein
Alter. Dueleen brachte seinen ganzen Charm auf, verließ die Altersdiskussion, zeigte der einen Dresfrau die ungefährliche Toilette und
der anderen den Blick durchs Panoramfenster. Ich blickte auf die Flasche Hennessy, die plötzlich wieder wußte, daß sie fast voll war.
Ich trank mit den Damen noch einen und einen zweiten
Schwenker. Die Temperatur war langsam ganz schön hoch geworden,
so ein Kamin heizt dann doch beträchtlich, wenn man neues Holz
auflegt. Der Thermostat für die Raumheizung, am Panoramfenster,
zeigt allerdings auch hohe Werte. Mußte irgend jemand dran gespielt
haben. Ich legte Jackett und Krawatte erst ab, als die Damen ihre Kostümjacken auch ablegten und einen Knopf mehr öffneten, als ihnen
die geschäftliche Schicklichkeit erlaubte. Wir tranken noch einen
kleinen Schluck auf das Gelingen der nächsten Seance, die ich jetzt,
wenn auch widerstrebend, zu geben bereit war.
Das Kaminfeuer hinter mir knackte, das Licht war wieder auf
mich konzentriert, die Ruhe, die ich brauchte, um mich zu konzentrieren wurde eingehalten.
Die Antwort: ›Ein weißes, geliebtes Auto, einfach, schön, offen.
Es steht im warmen, im Kies. Daneben ein Zitronenbäumchen.‹
Die Frage: ›Ist auch mein Auto in St. Tropez sicher?‹
243
Die Antwort: ›Es gibt ein Zuviel und ein Zuwenig, hier liegt
Freude beim Viel und Ärger und Verdruß beim Wenig.‹
Die Frage: ›Soll ich nachher noch einen Cognac trinken?‹
Die Antwort: ›Wir kommen uns näher, wir entfernen uns, wenn
wir nicht zugreifen, geht der Faden verloren.‹
Die Frage: ›Treffen wir uns einmal wieder?‹
Die Diskussion über meine Trefferquote oder Aussagegenauigkeit nahm größere Ausmaße an. Während Dueleen zugeben mußte,
daß neben seinem Auto in St. Tropez ein Zitronenbäumchen an der
Garagenwand wächst und mir daher die ersten dreißig Prozent gegeben wurden, hielten die Dresfrauen die beiden anderen Aussagen zwar
für in die Richtung gehend, aber nur jeweils fünfzig Prozent. Ich obsiegte also wieder, wenn auch knapp.
Selbstverständlich wurde die letzte Seance gefordert, Dueleen
schüttete noch Cognac nach, ein weiterer Stamm kam aufs Feuer.
Nein, diesmal machte ich größere Bedenken geltend. Irgendwann ist
alles ausgelaugt und ich kann Fragen nur klar beantworten, wenn es
klare Entscheidungen gibt. Außerdem muß eine gewisse Gefühlsaktivität dabei sein. Sonst ist alles flach, unbildhaft. Schal.
Ich erbat Bedenkzeit und ging für fünf Minuten ums Haus. Etwas frische Luft und etwas Abstand. Als ich nach der selbstgewählten
Pause wiederkam, war die Stimmung lustig, die Damen hatten die
Gläser in der Hand, prosteten mir zu und saßen sichtlich angekratzt
auf ihren Sesseln.
Nach dem üblichen Einsammeln der Briefe hatte ich zuerst etwas Konzentrationsschwierigkeiten. Ich mußte erstens mehrfach um
Konzentration auf die Aussage bitten und dann auch um Ruhe. Mehrfach unterbrach ich den Versuch, eine Aussage zu machen, die Anwort zu finden. Dann nahm ich alle drei Briefe auf einmal in die Hand,
hielt sie mir an die Schläfe und sagte:
244
»Die Schönheit siegt, der Mut sich zu zeigen wächst, der
Wunsch die Schabracke mit der Haut zu spüren, ist da. Zweimal spüre
ich den Wunsch, die Wärme des Feuers auf der nackten Haut zu spüren. Weg ihr Geister der Angst. Hic est rhodos, hic saltat!«
Dann gab ich ganz ruhig der mittleren Dresfrau die ungeöffnete
Briefe, den Öffner und sagte: »Lies vor!«
Sie zitterte deutlich, als sie den ersten Brief aufriß und las:
»Liege ich nachher nackt auf dem Fell«, und beim zweiten Brief las
sie »traue ich mich, den Strip zu machen?« Der dritte Brief lautete,
»sehe ich meine Wünsche?«.
Die mittlere Dresfrau drehte die drei Kuverts in der Hand, suchte auf dem weiß der Karteikarte den Fleck, den sie bis jetzt nicht gefunden hatte. Dueleen hatte die Anlage etwas hochgefahren, wieder
Tschaikowski. Die linke Dresfrau stand auf, hatte ihren Cognacschwenker in der Hand und ging zum Kaminfeuer. Der helle Schein
des Strahlers, der mich bis jetzt beleuchtet hatte, wurde etwas gedimmt. Das Flackern der Holzfeuers bestimmte das Licht. Sie stellte
ihren Schwenker auf den Sims oberhalb des Kamins und sah, immer
noch näher ans Feuer tretend, hinein. Als Sie sich umdrehte, war die
Bluse aufgeknöpft. Um aus dem Rock zu schlüpfen, hielt sie sich mit
einer Hand am Kamin fest. Tatsächlich, man sieht es noch selten,
Strapse, Strümpfe, stützender Büstenhalter, schwarz auf weißer Haut.
Feuer flackerte, die Anlage tönte jetzt lauter. Wir hatten nicht auf die
mittlere Dresfrau geachtet, die war aufgestanden und hinter ihren Sessel getreten. Wir hatten uns alle nämlich, wie bei Showvorführung,
der Bühne zugedreht. Und das wenige Licht der Lampe, unter der ich
bisher gesessen hatte, hatte ich auch noch in Richtung Kamin gedreht.
Die Beleuchtung für die linke Dresfrau war optimal, in diesen Lichtkreis trat jetzt die nackte Mittelere. Sie hatte, unbemerkt von uns, hinter dem Sessel die Kleider liegen lassen und kam jetzt zu ihrer Kollegin, die immer noch, vergleichsweise recht schicklich angezogen war.
245
Die Mittlere zog die linke Strapsfrau auf die Schabracke vor
dem Kamin nieder, unterstützte mit der Hand das Kreuz, hob ihr das
Becken an und nahm ihr das Höschen weg. Wir saßen in unseren Sesseln und sahen eine Lesbenshow nun wirklich nicht geahnten Ausmaßes. Die Körper verschlangen ineinander, der Kopf der einen, wie der
anderen versank im gegenseitigen Schoß, spitze Schreie und auch
dunkles, tierhaftes Gebrüll. Endlich Zuckungen, zuerst durch den einen Körper, dann durch denn anderen, wiederholte male. Noch einmal. Ein schlaffe Stille trat ein.
Die Stereoanlage war verstummt, Dueleen hatte zwei Bademäntel den Damen übergehängt und zeigte ihnen jetzt das Schlafzimmer
im unteres Stock. Doppelbett, wie ich von Doris wußte. Ich trug noch
die beiden Bordcases der Damen vor die Tür des Gästeappartements.
»Ist noch ziemlich früh, gehen wir noch einmal in die Dorfkneipe«, sagte Dueleen. »O. k. «, sagte ich. Ein Taxis brachte uns in
drei Minuten hinüber in die Dorfmitte.
Im ›Eichbaum‹ war nicht viel los, keine direkten Bekannten von
Dueleen an der Theke, der Wirt etwas griesgrämig beim Sortieren von
Rechnung und die Bedienung freute sich natürlich. Wir setzen uns an
einen Ecktisch, etwas gedeckt von der Ecke zum Nebenzimmer.
»Zwei Bier, und bitte Zigaretten,« verlangte Dueleen von der Bedienung, »ich habe meine in der Aufregung vergessen. «
Na also, das war doch wenigsten ein Geständnis, daß es auch
für ihn noch etwas Aufregendes gab. Er sah mich lange an. Dann begann er zu grinsen und holte ein längeres Stück Toilettenpapier aus
der Tasche. Er drehte so lange, bis die darauf geschriebene Kugelschreiberschrift richtig lag. Dann las er vor:
» 1. Frage D. = Schabracke ok?
2. » D. = Villa ok?
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3. » D. = Auto ok?
4. Anmache: Strip. Glaubt er nicht! Antwortet falsch!«
Dueleen lachte brüllend auf. »War ziemlich schwer, alles zu begreifen. Ich hatte den Hanussen von Ihnen ja schon mal mitgemacht,
aber so genau wußte ich das auch nicht mehr. « Er faltete das Toilettenpapier in sinnvolle Abteilungen. »Das sie meine Fragen wissen
mußten war mir klar. Sie wissen meine Frage und beantworten sie als
erstes. Allerdings reißen Sie einen anderen Umschlag auf. Wenn Sie
meine Frage dann vorlesen, lesen sie in Wirklichkeit die Frage der
nächsten. Und so genau weiß keiner die Formulierung mehr, die sie
gesagt haben. Wenn die Richtung stimmt, ist alles o. k. und wird geglaubt. Hat ja auch gut funktioniert. Aber jetzt sag ich ihnen mal, wie
ich ihren letzten Satz verstanden habe.
Ich habe den Miezen…«, er hatte offensichtlich die Scheu von
den Dresfrauen verloren, » …erzählt, daß sie doch offensichtlich nur
antworten, was wahrscheinlich ist. Ich hab natürlich zugegeben, daß
es interessant ist, das sie die Fragen irgendwie ahnen, aber die Fähigkeit zu antworten hab' ich Ihnen bestritten. Die haben Sie übrigens toll
verteidigt und an Sie geglaubt. « Dueleen nahm einen Schluck Bier,
ich auch. »Also, dann hab ich gesagt, man müßte dem Herr Nader
einen Strip oder so was anbieten, das glaubt der nicht, und antwortet
falsch. Der glaubt doch nie, daß so was passieren könnte. Dann sagt er
nein, dann haben wir ihn bei der Falschantwort. Und…«, Dueleen
prustete, »die andere hat gefragt, was sie denn mache solle. Da hab ich
ihr vorgeschlagen, sich nackt auf der Schabracke zulegen. « Dueleen
prustete, schüttelte sich vor lachen. »Ich liebe Esoterik, ich liebe paranormale Sitzungen!« Er stand auf, und prostete einer höheren Einsicht, irgendwo in der Decke des Wirtshauses, zu.
»Es war aber knapp, nur ›nackt‹ auf den Zettel zu schreiben,
den Sie an die Haustür geheftet haben«, sagte ich zu Dueleen, »etwas
genauer hätte ich es schon gern gewußt. Wie soll ich weissagen, wenn
ich nichts weiß. « Ich nahm einen ›gutgegangen Schluck‹, Dueleen
247
erwiderte: »Diese blöden Kugelschreiber schreiben so schlecht auf
Toilettenpapier. Warum muß man es denn eigentlich auf Toilettenpapier schreiben. « Dueleen schien diesen Aspekt nicht überdacht zu
haben.
»Kann man im Notfall auffressen«, sagte ich.
Dueleen nickte verständnisvoll. »Wo haben Sie eigentlich Mercedes hingeschickt?« Ich hatte das bis jetzt noch nicht raus bekommen. »Das ist doch einfach, die schläft hier im ›Eichbaum‹«.
»Mache ich auch,« sagte ich, »die Diskussion über meine Fähigkeiten können Sie morgen beim Frühstück allein mit den Dresfrauen führen, ich bin weg. « Wir stießen mit einem frischen Bier an, Dueleen dachte, so vermutete ich zumindest, an die Verhandlungsführung
über die Filmrechte.
»Herr Wirt, kann ich noch ein Einzelzimmer heute nacht haben?«
»Aber sicher, der Herr, ist nur ein Zimmer belegt. « Und so
übernachtete ich für siebenundzwanzig Mark in einem Dorfgasthaus
in einem Einzelzimmer, Dusche und Toilette auf dem Flur und in dem
Nachbarzimmer schlief keusch eine Hausangestellte, die allerdings das
beste Zimmer erhalten hatte. Sie hatte Dusche auf dem Zimmer. Nun
ja, Toilette? So oft kommt das ja auch nicht vor. Und in diesen dörflichen Gasthäusern haben die ja ein Handwaschbecken im Zimmer.
Getrickst wird eigentlich immer.
248
Szene 15
Dueleen beschäftigte sich in diesem Frühjahr mehr mit dem
Umbau seiner mediterranen Villa und einer neuen Eisenbahnanlage in
der Garage, als mit Filmprojekten oder auch nur mit Frauen. Ich war
im Frühjahr zweimal kurz bei ihm gewesen, um einige geschäftliche
Dinge zu besprechen. Man könnte allerdings der Wahrheit zuliebe
sagen, es stank derart in der Firma, daß ich mir zweimal Auszeit nahm
und Mittelmeerluft atmete. Geschäftliche Mittelmeerluft. Dabei lernte
ich wiederum immer mehr interessante Leute kennen, als auf einer
durchschnittlichen Fachmesse. Dueleen hatte immer alle wichtigen
Leute für einige Tage nach St. Tropez eingeladen.
Das hatte zwei Vorteile. Erstens kamen die so streßgeplagten
Meinungsbildner, und zwar gerne. Das war übrigens sonst nur sehr
schwer zu erreichen. Vor einem Professorenzimmer saß meist ein
Drache, nicht immer ein süßer, und die Industrie und auch die Filmer
standen wie Bittsteller vor der Tür. So aber, wenn St. Tropez rief,
kamen die Herren. Und dann waren sie im Haus, am Tisch und konnten ihre Meinung, die oft genug hier bei der entsprechenden Frage erst
gebildet wurde, bilden. Deswegen, so glaubte zumindest Mercedes,
waren das Meinungsbildner.
Ich hatte schon einige Institutsfürsten bei Dueleen kennengelernt, auch wenn ich zugeben muß, das Darabolenski der schlimmste
war. Diesmal war ein anderer Gast im Haus, Herr Ried. Der war Stationsleiter am London Airport gewesen und wegen kleinerer Vergehen,
in der eine Schar von circa zwanzig Stewardessen eine Rolle spielte,
nach Malaga strafversetzt.
Ried und Dueleen unterhielten sich prächtig, die Welt der Flughäfen, der Launches und des übermüdeten weiblichen Personals tat
sich vor mir auf. Ich erfuhr, daß Dueleen sich unweit des Flughafens
sogar einmal eine Eigentumswohnung angeschafft hatte, damit die
Stewardessen schneller erwischt werden konnten.
249
Trotz der wilden Geschichten und den wilden Tagen in grauer
Vorzeit lag über dem Frühjahr eine gewisse Unattraktivität. Das Wetter spielte nicht so mit, und irgendwie hatte die politische Stimmung
auch Auswirkungen, die man nicht messen, aber fühlen konnte.
Kaum an meine Schreibtisch zurück, erfuhr ich durch einen Anruf von Mercedes, Dueleen läge im Lörracher Krankenhaus. Als ich
dort anrief, wurde ich von Dueleen zuerst einmal für die nächsten
vierzehn Tage ausgeladen und die Mitteilung einer Virushepatitis war
zwar unschön, aber ich sah nichts direkt lebensbedrohendes. Selbstverständlich besuchte ich Ihn nach den vierzehn Tagen auf der Privatstation. Er war gerade dabei, auszurechnen, wieviel Tage er noch als
Patient die Klinik beehren müsse, damit seine unglaublich hohe Krankenhaustagegeldversicherung zweihundert Prozent Rendite ausspie. Er
sprach von einer Rekonvaleszenz in Vertevalley, ruhigen Tagen im
Haus, mit dem Blick auf den Hausberg, die Seilbahn, dann der Balkon und dem vielleicht noch vorhandene Schnee. Geschäftliche Aktivitäten waren zurückgenommen worden. Wir sprachen nicht davon,
aber es mußte die ersten Entlassungen gegeben haben. Auftragsmangel.
Mercedes residierte während dieser Zeit allein im Haus am
Wald und besuchte ihren Chef treu jeden Tag. Ich fuhr zum ›Eichbaum‹. War ziemlich leer. Frühjahr, nicht viel los.
Unsere fast zur Gewohnheit gewordene Sommerexkursion nach
St. Tropez entfiel. Dueleen schonte sich in Vertevalley. Als er mich
dann Ende August drängte, vom zweiten bis fünfzehnten September
ihn in seinem Haus in St. Tropez zu besuchen, freute ich mich ehrlich.
Ich hatte tatsächlich unter so etwas wie St. Tropez-Entzug gelitten.
Einen kurzen Moment spielte ich mit dem Gedanken, zwei Wochen
früher in den Süden zu fahren, aber dann erinnerte ich mich an die
Schrecken des August, wenn Gesamtfrankreich in St. Tropez auf einmal Urlaub macht. Zweiter September war gut gewählt. Temperatur
250
und Sonnenstand noch hoch, Tage noch ausreichend lang und Nächte
schon ausreichend lang. Also September in St. Tropez.
Der Flieger kam wie immer in Nizza runter, ich stellte wie immer die Sessellehne senkrecht und das Rauchen ein. Die Außentemperatur war bei den vorgeschriebenen zweiunddreißig Grad und das
Grün war nur an den Stellen, an denen kräftig gewässert wurde, grün.
Das Land war aufgedörrt, Kontrast dazu waren die gestutzten Grasflächen vor dem Flughafengebäude. Kontrast zum Blau des Himmels das
Grün der Fächerpalmen.
Der Taxifahrer, sozusagen Dueleens persönlicher Taxifahrer,
wie immer vor dem internationalen Ausgang, Fahrt über die Autobahn, Blick auf Cannes. Mautstelle und Franc im freien Wurf in den
Automaten werfen. Abfahrt Frejus, Küstenstraße und der erste Blick,
kurz hinter Ste. Maxime hinüber nach St. Tropez.
Der Kiesweg vor dem Haus war gepflegt und knirschte wie
immer unter meinen Schritten. Übrigens auch unter den Reifen der
Fahrzeuge, die die Garage erreichen wollten. Die Zitronenbäumchen
trugen jetzt Früchte. Der Innenhof hatte seine Farben verändert,
Herbstblumen bestimmten die Farbe, die Mimosen hatten sich zurückgezogen. Die Zypresse stand senkrecht. Das Tor zum Außenhof war
geschlossen. Mercedes öffnete mir die Tür. Feine, frauliche Frisur und
einen einteiligen Badeanzug, der noch um ein Baderöckchen verlängert war. Die schwarzen Schühchen waren hochhackig.
Sie führte mich wie einen Fremden in das Gästezimmer, wollte
mir beim Auspacken helfen und es bedurfte schon einiger Überredungskunst, daß sie das Außentor öffnete und wir uns in den Garten
setzten. Ich bekam sie zum Reden.
Dueleen war, das hatte ich schon gemerkt, nicht im Dorf. Er
war, für Mercedes irgendwo, in Deutschland. Aber sie hatte erfahren,
daß er mehrmals ins Krankenhaus gefahren war. Zur Behandlung. Und
251
daß es ihm nach jeder dieser Behandlungen immer furchtbar schlecht
ging. Und jetzt hatte sie einen Brief ›gefunden‹, in dem etwas von
Chemotherapie stand. Und was das denn sei.
›Cave linguam‹, sagte ich mir und versicherte, daß es doch unheimlich sinnvoll und aussichtsreich sei, wenn ein Therapie gemacht
würde. Eine Therapie sei doch gerade die Maßnahme, die zu Gesundung führten. Mercedes fing an zu schluchzen. Dann sah sie mich an
und fragte: »Ist es Krebs?«
Natürlich konnte ich das aus einer so kleinen Information nicht
ablesen. Wobei ich mir, nicht aber Mercedes, eingestand, daß Chemotherapie außer bei Krebs dann doch nirgends angewendet würde. Außerdem gebe es ja so viele hilfreiche Chemikalien. Von Aspirin bis
Glaubersalz. Alles Chemie und alles in der Apotheke zum Wohl des
Menschen.
Der Mensch neigt zum Glauben des Unmöglichen und zur Verdrängung des Wahrscheinlichen. Diese hilfreiche Geistesverwirrung
half auch Mercedes. Sie trocknete die Tränen, servierte ein Abendessen und ich konnte sie sogar zu einem Besuch im Dorf überreden. Sie
hatte das Haus nicht verlassen, seit Dueleen zur Behandlung wieder
nach Deutschland gereist war.
Das Café des Artes hatte Touristen verloren, aber Einheimische
gewonnen. Ein paar Männer begrüßten mich mit »Ça va,«, »ça va,«
sagte ich. M. Marteau hatte sich zurückgezogen, erfuhr ich. Sein Vetter würde im Moment das Geschäft betreiben. Man war nicht so zufrieden mit der Entwicklung.
»Champagner, Madame?«, Christian war wie immer höflich
und zuvorkommend. Gewohnheitsmäßig tranken wir unser Glas
Champagner. Die Creperie Bretonne, rechts Blick auf die Fischer im
Hafen und geradeaus der Blick auf die Hafenausfahrt, rettete den
Abend. Man erzählt sich, daß der Siegeszug der Crepes in alle Welt
252
hier seinen Anfang genommen hätte. Ist zwar bestimmt übertrieben,
aber die Creperie Bretonne hat bestimmt mit dazu beigetragen.
In einem Land, in dem Milch und Honig fließt, wählte ich das
Crep nur mit Honig, Mercedes hatte eine Portion aus Schokolade,
Sahne, Honig, Nüssen und vielem anderem mehr vor sich. Wir saßen
auf den dreibeinigen äußerst rustikalen Hockern vor dem Haus. Ich
blickte in die eigentliche Kneipe hinunter. Lange Treppe abwärts in
den Keller, rechts die eigentliche Creperie, dahinter der große Stammtisch. ›Teufelchen auch‹, dachte ich und erinnerte Stunden, von denen
manche ein wenig alkoholumnebelt waren.
Wir tranken Cidre brut aus Tassen und genossen den Sonnenuntergang bis weit in die tiefe Nacht hinein. Auch den nächsten Morgen,
nach einem gepflegten Frühstück ohne Alkohol. »Wenn Sie wollen,
der Werner trinkt immer ein oder zwei Pernod zur Magenanregung«.
Ich führte Mercedes zum Privat plage, Alain war vergnügt wie immer
und der Plagist schleppte uns neue Matelas auf den frisch geharkten
Sand. Ich las Nice Matin und als Mercedes mal für einen Moment fort
war, um sich die Nase zu pudern, fragte mich Alain sofort nach Werner.
»Ein wenig krank, wird bald auch kommen«, war meine Antwort. Alain sah mich an. Dann ein Schlag mit der rechten Hand auf
die Schulter. »Çe la vie!«.
Dueleen kam dann wirklich mit vier Tagen Verspätung, freundlich, aufgekratzt und selbstsicher. Sein persönlicher Taxifahrer trug
den Koffer herein. Das Haus wurde in vollen Betrieb genommen. Die
Stereoanlage kannte wieder Tschaikowski und Mercedes rannte splitternackt durch die Gegend, beim Servieren des Essens trug sie wiederum das weißes Schürzchen und wenn ich abends mit Dueleen noch
ein oder zwei Partien Back Gammon spielte, war natürlich Barservice
angesagt. Dueleen bot mir zwei oder dreimal an, mir schnell eine Mie-
253
ze kommen zu lassen, wirklich etwas Gutes. Meine Stimmung war
nicht danach. Ich spielte Back Gammon.
Dreimal ging Dueleen in dieser Zeit mit uns ins Dorf, verschwand für drei Stunden und tauchte ohne besondere Erklärung wieder auf. Beim dritten Mal hatte er eine mindestens fünfzigjährige
Französin, klein, nicht besonders attraktiv aber teuer gekleidet, am
Arm. Er bestand darauf mir Mdm. Balou vorzustellen. Die Dame, die
ihm immer geholfen hatte, wenn er in St. Tropez war. So sagte er wenigsten. Mdm. Balou sollte ihre Adresse aufschreiben. Wie fanden
keinen Zettel, außer meiner Adressenliste in meiner Brieftasche. Auf
eine freie Stelle schrieb sie mit wackeliger Hand Adresse und Telefonnummer.
Dueleen hatte von einem Architekten einen Vorentwurf für das
Studio erstellen lassen. Der Plan hing an der Magnettafel im Arbeitszimmer. Ebenfalls da hing eine Zeichnung, die den Treppenumbau im
Haus betraf. Dueleen wollte sich mehr Zugang nach allen Seiten verschaffen.
Wir verlebten zwei ruhige Septemberwochen und beobachteten
wie die Temperatur langsam sank. Die Tage wurden kürzer und man
floh nach Dunkelheit ins Haus oder in die Stadt. Der Tau durchfeuchtete die Natur. Auch der Schattenbaum schützte nicht gegen die
klamme Nässe. Der Kamin wurde schon ein- oder zweimal, allerdings
erst spät am Abend und mehr aus Schau- als aus Wärmegründen angeworfen und, was das auffälligste war, man schloß nachts die Fenster.
Ich fuhr zwei Tage vor Dueleen aus St. Tropez ab. Sie wollten
das Haus noch winterfest machen. Das bedeutete, daß eine Möbelspediteur so alles, was wertvoll war, und das war schon ein Kleinlaster
voll, heraustrug, abtransportierte und sicher einlagerte.
254
Allerdings hatte Dueleen mir bei meiner Abreise noch ein Versprechen abgenommen. Eigentlich viel zu feierlich und auffällig. Wir
trafen uns oft. Er wollte mich unbedingt am fünfzehnten November
sehen. So ungefähr. Nicht genau. Zwei oder drei Tage hin oder her,
egal. Aber am fünfzehnten November, hier in St. Tropez.
Am sechzehnten September flog ich zurück nach Deutschland,
am achtzehnten folgte Mercedes mit dem Wirtschaftsauto, also dem
Kübel nach. Dueleen flog, er hatte gesundheitliche Probleme. Bei
Filmaufnahmen am ersten Oktober brach er zusammen, in der Klinik
sah ich ihn das letzte Mal auf der Intensiv. Bewegungslos, blaß, eingefallen. Die Ärzte gaben mir, als nicht Verwandtem oder Verschwägertem keine Auskunft, Mercedes wußte kaum etwas über ihren Werner.
Er starb, ohne das Bewußtsein wiedererlangt zu haben an seinem Geburtstag. Es wäre sein vierundfünfzigster gewesen.
Frau Dueleen entließ am gleichen Tag Mercedes, ohne Gehaltszahlung. Sie nahm ihr selbstverständlich alle Schlüssel ab und verzögerte später die Herausgabe des persönlichen Besitzes um ein halbes
Jahr. Aus Kostengründe wurde die Beerdigung im kleinsten Kreis
durchgeführt. Eine Beerdigungsunternehmerin und Frau Dueleen redeten in der Leichenhalle, vier entfernte Verwandte von ihr standen
herum. Ich war der fünfte Anwesende, ich stand hinten.
Der Sarg wurde in ein Grab gesenkt, ein paar Blumen fielen.
Ich ging noch einmal auf und ab. Das Grab neben Dueleens trug den
Namen Amsel.
255
Szene 16, take 1
An Nikolaus, also am sechsten Dezember, rief mich ein Vertreter der Oldenburg-Mecklenburgischen Versicherung im Büro an. Er
erzählte mir, wie lange er gebraucht hätte, mich als besonderen und
alten Freund Dueleens zu finden. Und wie sehr es ihn freue, mal einige Worte mit mir wechseln zu dürfen. Er gab sich als Kenner der Familie zu erkennen und fand Babsi Dueleen sei eine wirklich starke
Frau, die den herben Schicksalsschlag so tapfer weggesteckt habe.
Mein Mißtrauen war geweckt. Und auch die Versicherung, die er für
Fräulein Meier abgeschlossen hätte, ehre Herrn Dueleen natürlich.
Und er wolle selbstverständlich nicht, daß eine so großherzige Tat
dann wegen ein paar lächerlicher Formfehler nicht zum Tragen käme.
War es vorher Mißtrauen, jetzt dachte ich nur noch an den Käse, der
die Mausefalle so interessant macht.
Bis hier hatte ich geduldig zugehört und unterbrach jetzt doch
mit der Frage, was mich die ganze Geschichte denn anginge.
»Herr Nader, sehen Sie, das ist so. Herr Dueleen hat zugunsten
Fräulein Meiers …« Ich unterbrach wieder. »Jetzt sagen sie mir doch
bitte erst einmal, wer dieses Fräulein Meier ist. Sonst komme ich mit
ihrer ganzen Erzählung nicht mit. «
»Fräulein Meier, Fräulein Mercedes Meier …« Ein Blitz zuckte
durch mein Gehirn. Gleichzeitig versuchte ich Konzentration einzuschalten und Ruhe auszustrahlen. Hatte ich doch Recht. Hier lief wirklich mal wieder alles bergauf. »Ach«, sagte ich, »die Hausdame von
Dueleen. Nettes Mädchen, habe sie ein- oder zweimal gesehen. «
Meinem telefonischen Gegenüber von der OldenburgMecklenburgischen Versicherung ging jetzt auch einiges gegen den
Strich. Er behauptete, Beweise zu haben, daß Dueleen nach seinem
Wissen in einer Art wilden Ehe mit der Meier gelebt habe. Ich entschloß mich, das Gespräch abzubrechen, weil ich von einem mir Un-
256
bekannten eigentlich keine Beschimpfungen meines guten und verstorbenen Bekannten anhören wollte. Nach deutlicher Rede legte ich
auf.
Natürlich schossen mir die verschiedensten Gedanken durch
den Kopf. Da hatte der alte Fuchs also etwas angerührt, um seiner
Mercedes noch einen Gefallen zu tun. Daß es da Schwierigkeiten geben sollte, hielt ich für annähernd ausgeschlossen. Dueleen hatte sich
gewiefter Geschäftsmann erwiesen, kaum denkbar, daß er hier Fehler
gemacht haben sollte.
Das Telefon klingelte wieder, ein demütig redender Vertreter
der Oldenburg-Mecklenburgischen Versicherung versuchte wieder auf
mich einzudringen. Diesmal lehnte ich jede weitere Diskussion am
Telefon ab, erklärte mich aber bereit, einen Vertreter der Versicherung, der sein Interesse an Herrn Dueleen erklären und beweisen könne, hier zu empfangen und mit ihm zu reden. Inwieweit ich noch auskunftsfreudig sein wolle, müsse ich dann später entscheiden, »…einen
schönen guten Tag und auf Wiederhören. «
Das Telefon klingelte nach einer Minute wieder. Wieder der
Vertreter der Versicherung, jetzt devot. Ich möge doch Ort und Zeitpunkt vorschlagen, an dem wir miteinander reden könnten. Ich wählte
in memoriam Werner Dueleen die Bar im Interconti. Der Herr Vertreter der Versicherung sagte zu. Ich war etwas verblüfft.
Die Pünktlichkeit der Mauerer, beim Einlegen der Pausen, ist
sprichwörtlich. Diesmal ist die Pünktlichkeit des Versicherungsvertreters hervorheben. Der Zeiger der Uhr sprang auf acht, und ein ach so
durchschnittlicher Vertreter seiner Art trat in die Bar. Vielleicht hatte
ich früher auch so gewirkt, vielleicht ist es nur die Erfahrung, die das
Auftreten sicherer macht. Mein Vertreter jedenfalls konnte nicht in der
Tür stehenbleiben, um sich Überblick zu verschaffen um gegebenenfalls zu grüßen, er stoffelte auf den nächsten Kellner zu und winkte
mit einer Visitenkarte in der Hand. Dann rannte er, zumindest beinahe,
257
noch einen Barhocker um. Verstand anschließend den dezenten Hinweis des Kellners, der nicht mit den nackten Fingern auf mich zeigen
wollte falsch und suchte am Boden. Der Kellner hatte nämlich mit der
geraden Hand auf dem Boden die Richtung angedeutet, in der mein
zukünftiger Gesprächspartner weitergehen solle.
Ich unterbrach die Farce, stand auf, fragte ob er der Herr Reiner
von der Oldenburg-Mecklenburgischen Versicherung sei. Jetzt wurde
er auch die Visitenkarte an mich los. Ich bugsierte ihn an meinen Ecktisch und er begann aus einem der üblichen Aktenkoffer sofort Akten
auf den Tisch zu schaffen. Ich erklärte ihm langsam, aber deutlich,
daß dies hier die Bar sei und diese der Entspannung und Unterhaltung
diene. Nur in Ausnahmefällen würde hier hin und wieder kurz mal
übers Geschäft gesprochen.
Herr Reiner war eingeschüchtert, bestellte sich ein Bier und war
dann nicht mehr zu bremsen. Was ich allerdings hörte, begann mich
zu interessieren. Ich ahnte, daß der alte Fuchs Dueleen etwas angerichtet hatte, dessen Tragweite ich im Moment nur ahnte, keinesfalls
übersah.
Herr Reiner erklärte mir, unter Vorlage von Fotokopien der Originalunterlagen, wobei er beschwor, die Kopien seien echt, daß
Dueleen am achtzehnten September bei seiner Gesellschaft eine Kapitallebensversicherung abgeschlossen habe. Und zwar in Höhe von eins
Komma vier Millionen Auszahlungssumme. Das Ganze sei eine Finanztransaktion gewesen. Der Abschluß sei, wie gesagt, am achtzehnten September gewesen, eine erste Rate sei auch anbezahlt, und die
Restsumme hätte in der ersten Dezemberwoche einbezahlt werden
sollen. Die Versicherung hätte keine monatlichen Zahlungen erfordert.
Mit der einmaligen Zahlung von achthunderttausend wäre der Versicherungsschutz und die Kapitalvermehrung gleichzeitig möglich gewesen. Ein Angebot seiner Versicherung, wie man es so leicht nur bei
jeder anderen auch finden würde.
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»Wo liegt der Haken?« fragte ich. »Herr Dueleen ist tot«, ereiferte sich Herr Reiner. »Wir sitzen auf einer Forderung von achthunderttausend und müssen noch darüber hinaus eins Komma vier Millionen an die Meier auszahlen. «
Ich fand es sehr bedauerlich, daß Dueleen gestorben war, aber
ließ mir noch einmal erklären, warum jetzt noch Fräulein Meier so
viel Geld bekäme. »Er hat sie als Begünstigte eingesetzt«, war die
lapidare Antwort.
Nachdem ich Herrn Reiner also mühsam die Geschichte aus der
Nase gezogen hatte, die, zumindest wie sie sich jetzt darstellte, doch
ein echter Dueleen war, blieb immer noch eine andere Frage offen.
»Was um Himmels Willen wollen Sie von mir, Herr Reiner,«
fragte ich. Auch hier war die Erklärung langwierig, von Einschüben
und Verklausulierugen behindert, aber es klärte sich folgender Sachverhalt, wie ihn die Versicherung mit viel Mühen ermittelt hatte. Es
war einfach kein Geld mehr zu finden. Die Produktion der Filme war
zum erliegen gekommen, die Liquidation der Firma eingeleitet. Die
Konten erwiesen sich als leer, die Häuser als beliehen. Frau Babsi
Dueleen hatte bereits mit Rechtsanwälten zu kämpfen, die irgendwo
zugreifen wollten und das Wort vom Konkursbetrug machte die Runde. Wobei man einen Toten schlecht noch zusätzlich einsperren konnte.
Ich ersparte mir die Peinlichkeit, Herrn Reiners Spesenkonto für
die nächsten zwei Monate im voraus zu belasten und bezahlte mein
Getränk selbst. Er war etwas beleidigt, daß ich ihn nicht eingeladen
hatte.
259
Szene 16, take 2
Ich rief noch am gleichen Abend, gegen zehn Uhr, Mercedes
an. Ich hatte, mehr zufällig, den ungefähren Wohnort ihrer Eltern noch
im Kopf und es gelang mir tatsächlich über die Auskunft die richtige
Telefonnummer zu ermitteln.
Mercedes war, auch zwei Monate nach Dueleens Tod noch
mächtig fertig, aber sie war sofort bereit, mir alle Auskünfte, Informationen und Hintergrundswissen zu geben, das ich brauchte. Die Versicherung hatte ihr, ohne daß sie den Grund wußte, mitgeteilt, daß auf
Grund eines Paragraphen, den Mercedes so schnell nicht finden konnte, eine Zahlung an sie sowieso unmöglich sei. Davon war wiederum
Mercedes überrascht, denn sie hatte keine Ahnung von einer irgendwie gearteten Versicherung, von der sie Nutzen haben könnte. Frau
Dueleen hatte sie angerufen und ihr mitgeteilt, daß das Geld selbstverständlich ihr als Ehefrau gehören würde und daß sie als Mätresse darauf keinen Anspruch hätte. Mercedes hatte sich weitere Anrufe verbeten.
Ich tröstete Mercedes telefonisch und lud sie zu einem Besuch
ein. Sie hatte sowieso nur Probleme, mit der Krankenkasse, mit der
Rentenversicherung, eigentlich überall. Alles war nicht mehr bezahlt
worden, ihr persönliches Habe hatte Frau Dueleen konfisziert und ließ
sie nicht mehr in die Häuser, kurz, es herrschte Chaos. Ich bat Mercedes, möglichst alle Unterlagen, die sie hatte, mitzubringen.
Szene 16, take 3
Mercedes war hagerer im Gesicht geworden, sie hatte sich auch
für dunkle Kleidung entschieden. Flache Schuhe, ungefähr so, wie ich
sie einmal kennengelernt hatte. Die Stimmung war natürlich gedrückt,
als ich sie am Bahnhof abholte und ihre kleine Reisetasche die kurze
Strecke zum Wagen trug.
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Als wir dann aber am Schreibtisch in meiner Wohnung saßen
und alles sortierten, löste sich nach und nach der Druck der Trauer
und wir arbeiteten ab, was abarbeitbar war. Wir, das heißt Mercedes
auf mein Anraten hin verlangte per Schreiben die Herausgabe ihres
Besitzes von Frau Dueleen. Wir schrieben auch an die Versicherung,
verlangten volle Information und kamen zum Schluß zu einem Punkt,
den ich so nun wirklich nicht erwartet hatte. Mercedes hatte nämlich
doch etwas gerettet. Das waren einige Karteikarten, auf denen Dueleen seine Arbeit geplant hatte. Und die hatte Mercedes, diesmal als
seine Sekretärin fungierend, in ihrer Aktentasche, als er in die Klinik
eingeliefert wurde. Außerdem besaß sie die komplette Kopie seines
Telefonregisters. Das hatte sie benützt und die meisten Bekannten und
Freunde von Werner Dueleen angerufen und ihnen von seinem Tod
berichtet. Frau Dueleen hatte eine solche Aktion nicht für notwendig
gehalten. Wahrscheinlich besaß sie aber auch gar nicht die notwendigen Adressen.
Allerdings war auch Mercedes an Schwierigkeiten gekommen.
Merkwürdigerweise war keine der Telefonnummern, die hinter einem
einfachen Mädchenvornamen stand, richtig. Ich sah mir die Liste an.
Er hatte die Nummern verschlüsselt. Ich fand sogar den kleinen Punkt
hinter der verschlüsselten Telefonnummer, der diese markierte. Den
Schlüssel habe ich nie gefunden. Andere Spezialisten übrigens auch
nicht.
Die Karteikarten waren übliche Arbeitskarten, enthielten Namen, Adressen, Termine. Beim Durchsehen fiel mir meine eigene
Karteikarte in die Hände. Interessiert las ich, daß Dueleen nicht nur
meine Adresse, Telefonnummer o. ä. dokumentiert hatte. Ich fand
auch die Nummer der elterlichen Wohnung, das Datum meines letzten
Besuchs in Freiburg-Glaubensberg und einige andere Intimitäten
mehr.
261
Aber es standen auf dieser Karte auch Worte, Sätze, Zeilen, die
ich nicht, zumindest nicht sofort interpretieren konnte. Herausgelöst
aus der Normalinformation stand da:
Geldveränderung 1295
Sept 9- 1,8 Mio 11- 1,5 Mio 12- 1,2 Mio bei 7,5 %
Maus doppelt rückwärts
Mercedes war es langweilig geworden. Sie hatte meinen Alkoholschrank untersucht und festgestellt, daß ich keinen Maltwhisky im
Haus hatte. Ich holte Champagner aus dem Kühlschrank. Sie trank die
Flasche fast ganz allein, während ich die gewonnene Information zu
sortieren versuchte.
Mercedes bekam so die notwendige Bettschwere, um in meinem
nicht übertrieben komfortablem Gästezimmer gut zu schlafen. Ich saß
weiter am Arbeitstisch und begann einen Gedanken zu verfolgen, der
so unwahrscheinlich war, daß er wieder wahrscheinlich wurde. Wo
war Dueleens Geld. Hatte er es beiseite geschafft? Hatte er überhaupt
welches? Wenn ja, wohin?
Es ging mich eigentlich wirklich nichts an. In dieser Nacht kam
ich nur zu einem unruhigen Schlaf. Am nächsten Morgen rief mich
Frau Babsi Dueleen an. Sie bat mich, als alter Geschäftsfreund und
auch sonst Freund ihres Mannes und in Anbetracht der komplizierten
Lage, sie zu besuchen. Im Studio. Es sei alles unverändert.
Weiß der Teufel, was mich trieb. Ich sagte zu. Dann beruhigte
ich Mercedes, die während des Telefonats dauernd versuchte, mit
Abschneidebewegungen mit dem Zeigefinger am Hals ihrer Meinung
über Frau Dueleen Ausdruck zu geben.
Szene 16, take 4
262
Frau Dueleen empfing mich im Büro des Studios. Sie sah keineswegs unattraktiv aus. Eigentlich alles modellmäßig. Nur brachte
sie so fünfzehn bis zwanzig Kilo zuviel auf die Waage, die wiederum
recht gut verteilt waren. Blond war sie auch. Das schwarze, mehrschichtige Seidenkleid stand ihr gut, an den meisten Stellen lag es
sanft, manchmal entzog Faltenwurf die richtigen Stellen dem Beobachter. Frau Dueleen schritt auf mich zu, begrüßte mich mit innigster
Herzlichkeit und erzählte mir bei einer Tasse Kaffee, daß sie die Liebe
zu ihrem Mann wiedergefunden habe, als er so hilflos auf dem Sterbebett lag. Ich zeige volles Verständnis und bat sie, mir zu sagen, wie
ich ihr helfen könne, diesen großen Schmerz zu ertragen.
Damit waren die Konventionen erfüllt und wir konnten an die
Arbeit gehen. Die Firma war geschlossen, den Mitarbeitern mangels
Masse gekündigt. Ob und was von der Firma noch Wert besaß, versuchten gerade ein vereidigter Schätzer und ein Rechtsanwalt zu ermitteln.
Ich blickte auf den Telefax, aus dem ungefähr sechs Meter Papier heraus hing. Ich las einiges kurz an. Es waren Kopiebestellungen.
Fast ausschließlich. Ich zeigte das Frau Dueleen. »Das sind fast zwanzig Bestellungen von Kopien, die könnte man doch noch aus dem
Bestand erledigen«, sagte ich. »Ach was«, entgegnete die Geschäftsfrau Dueleen, »das sind doch nur zusammen so zwanzigtausend Mark.
Und dann muß man die Kopien auch noch zur Post bringen. Das ist
unsinnig. Früher, da haben wir Filme für hunterttausende, dreihunderttausend und mehr Mark gemacht. Aber jetzt, das Kleinvieh. Uninteressant. «
Ich stimmte Frau Dueleen zu, sie hatte mit ihrer Einschätzung
sicher recht. Wir gingen in die Schneideräume. Es begann gespenstisch zu werden. Mit der Leere der Hallen und Räume konnte ich
zwar fertig werden, mich aber nicht daran gewöhnen. Mir fiel immer
wieder die Leere auf. Der Geruch hatte sich geändert. Es roch etwas
feucht. Aber dann lag da, vor den Schneideräumen, eine angebrochene
263
Packung gelber Zigaretten. Unwillkürlich griff ich in die Tasche, um
nachzusehen, ob ich nicht wieder versehentlich das Feuerzeug eingesteckt hatte. Mich schauderte, dann zündete ich mir eine meiner eigenen Zigaretten an. Der Geruch der Umgebung wurde besser.
Auf den Schneidetischen lagen fünf praktisch fertige Filme.
Von einem wußte ich, daß nur noch der Nachspann, der für Dueleen ja
so wichtig war, fertigzustellen war … ›Die AG in der Schweiz, keiner
muß wissen, daß ich der Besitzer bin‹, bohrte sich der halbvergessene
Satz von Dueleen in meinen Kopf. Ich starrte auf die Filme. Frau Dueleen plapperte im Hintergrund davon, daß sie keine Leute habe, die
die Filme fertig machen wollten und daß jeder nur ihr Geld haben
wolle und daß sie auch nicht mehr wissen könne, wie das alles weitergehe. Ich stimmte ihr zu.
Frau Dueleen bestand darauf, daß wir noch in ihr Haus in der
Froschstraße führen. Hier, in dieser kalten Atmosphäre, konnte sie
keinen ruhigen Gedanken finden. Ich fuhr hinter ihr her, fand neben
ihr einen Parkplatz und stellte auf Grund der Größe ihres Daimlers
fest, daß die vollkommene Verarmung noch nicht eingetreten sein
konnte.
Frau Dueleen bot mir ein wenig Kaffee und Cognac an, sie hatte, wie sie betonte, davon nicht viel im Haus. Dann gab sie sich einen
Ruck und erzählte:
»Ich habe mir natürlich sofort einen Rechtsanwalt und einen
Betriebsprüfer genommen und wollte die Firma weiterführen. Wir
haben schließlich immer gut davon gelebt und unsere Leute hatten es
gut bei uns. Aber, stellen Sie sich vor…«, sie lehnte sich verschwörerisch nach vorne, der Ausblick erreichte zwar Masse, aber keineswegs
die Klasse, die ich schon gesehen hatte, »…es war kein Geld da.
Glauben sie mir…«, theatralisches Geste mit gespreizten Fingern, »…
kein Geld auf den Firmenkonten, die Geräte beliehen, das Haus hier
264
beliehen, das Haus in der Schweiz, das in St. Tropez auch, alles beliehen, bis an die Oberkannte. Das gehört alles praktisch den Banken. «
»Und die andere Firma?« Ich wollte testen, ob das Wort von der
Schweizer SA jetzt fiel. »Nein, die GmbH ist genau so pleite wie die
GmbH & Co. KG, es ist nur eine Frage der Zeit, bis alles abgeholt
wird. Ich versuchte noch einmal zu testen, was Frau Dueleen denn
wußte: »Und die Filmrechte, die sind doch sicher etwas wert?«
»Die sind auch alle verkauft. Nichts, gar nichts ist mehr da.
Mein Rechtsanwalt und der Betriebsprüfer wollen jetzt Geld von mir,
weil in der Firma nichts mehr zu holen ist. « Ich bedauerte das außerordentlich und schalt Rechtsanwälte aus Überzeugung als schlechte
Menschen. Ich versprach Frau Dueleen, den Verleger Hans Dieter
Malmann, mit dem es ja geschäftliche Verbindungen geben müsse,
denn hier lägen einige Schreiben herum, in denen es um größere
Summe ginge, zu kontaktieren. Ob ich mir das Grinsen verkneifen
konnte, weiß ich nicht. Ausgerechnet Malmann und Dueleen. Da kam
Dr. Ast wieder ins Rennen.
Frau Dueleen hatte das Halstuch abgenommen, sicherlich in der
Absicht, das Dekolleté besser zur Geltung zu bringen. Jetzt zeigte sich
ein ziemlich faltiger Hals.
Ich verabschiedete mich mit gehauchtem Handkuß von Frau
Dueleen, sie drückte mich in einer Anwallung von Gefühl, Trauer und
Dankbarkeit an die dicken Brüste. Wir versprachen, uns weiter zu
kontaktieren.
Szene 16, take 5
Ein Brief mit verkürzter Zustellurkunde, also diese häßlichen,
blaugrauen, auf schlechtem Umweltschutzpapier gedruckten Briefumschläge, die einem signalisieren, daß man wieder mal für sechzig
265
Mark zu schnell gefahren oder für dreißig Mark zuviel geparkt hatte,
lag in meinem Briefkasten, als ich am Montag nach Hause kam.
Die Staatsanwaltschaft, und hier besonders eine Abteilung für
Wirtschaftskriminalität, ein Herr Dr. Schwiek, wollte mich unbedingt
verhören. Vorladung und alle möglichen Hinweise, wie ich mich zu
verhalten hätte, daß mir nur die zweiter Klasse der Bundesbahn erlaubt sei und ähnliche, nette Informationen.
Da klingelte das Telefon, und es meldete sich Herr Schwiek.
Nein, er meldete sich nicht mit ›Staatsanwalt Dr. Schwiek‹, nein, er
sagte einfach »Schwiek«. Langsam wurde ich daran gewöhnt, nicht
mehr verblüfft zu sein. Ich warte das »hallo, hallo«, ab und antwortete
mit »Nader, ja, Herr Doktor Schwiek, was kann ich für sie tun«.
Schwiek, O-ton: »Aber Herr Kollege, unter Akademikern muß
man sich doch wirklich nicht immer mit dem Vornamen Dietrich anreden«, gab sich jovial, lustig, aufgeschlossen. Das mit der Vorladung
war irgend ein Mißverständnis, sagte er zumindest. Selbstverständlich
wolle er mit mir reden, und es ginge um den Fall Dueleen, aber eine
Vorladung, nein. Wirklich nur ein Versehen. Er würde jetzt gern einen
Termin ausmachen, wann er mit mir reden könne. Was denn an dem
Tod meines Freundes Dueleen zu einem Fall werden könne, wollte ich
dann doch wissen. Alles äußerst schwierig, äußerst kompliziert und
am liebsten würde er mir das Auge in Auge und außerhalb der Dienstzeit erklären. Ich dachte an den Auftritt von Herrn Reiner, dachte in
memoriam Werner Dueleen und bestimmte die Bar des Interconti, acht
Uhr abends zum Treffpunkt.
Bei solchen Treffen, nicht mit dem Staatsanwalt privat, sondern
ganz allgemein geschäftlich, hatte ich mir angewöhnt, sehr genau fünf
Minuten zu früh zu erscheinen. Das gab mir mehrere Möglichkeiten.
Ich konnte dadurch neben anderem den Platz bestimmen. Wer zum
Beispiel redet gerne mit einem Partner, von dem er nur einen Schattenriß sieht, weil die Raumbeleuchtung oder die Sonne hinter dem
266
anderen stehen? Ein Plätzchen kann so gefunden werden, daß ein belanglos in der anderen Sitzgruppe Sitzender der wichtigste Zeuge wird
oder so, daß eine dauernde Störung durch Personal diesmal die Verhandlungen unmöglich macht. Schwiek kannte den Trick offensichtlich, er war vor einer Minute eingetroffen und wählte gerade den
Tisch. Blendfrei für mich, ich war verblüfft. Er begrüßte mich überschwenglich, lud mich zum Sitzen ein und schob mir, mit der Getränkekarte, einen Ausweis zu, der ihn als Staatsanwalt auswies. Zumindest Stil hatte er, ein wenig.
»Herr Dueleen war hier ja sehr bekannt«, begann er das Gespräch, nachdem ich mich für Bier und er sich für Champagner entschieden hatte. Manchmal läuft alles bergauf. Außerdem war es schon
auffällig, wie kommt ein Staatsanwalt so schnell an diese Informationen. Er sagte es mir schnell. Er ermittelte im Fall der Steuerverkürzung gegen Dueleen und Andere und war der Ansicht, einen großen
Fall von Wirtschaftskriminalität vor sich zu haben. Meine Bedenken,
Dueleen gegenüber wischte er mit dem Hinweis auf dessen Tod weg,
jetzt aber müsse die Firma und die Geschäfte geklärt werden. Er erzählte mir ganz wenig vom Steuerbürger und der Pflicht jedes Einzelnen. Dafür sagte er, daß es seiner Ansicht nach um zweiunddreißig
Millionen Mark gehe. Jetzt war ich doch verblüfft. Das wäre die
Summe, die herauskäme, würde man alle Geschäfte nachrechnen, die
ins Ausland abgelaufenen Gelder dazuzählen und die Beleihungen
addieren. Die Beleihungen interessierten mich. Schwiek berichtete
offen, daß Dueleen am 9., 11. und 12 September von drei verschiedenen Banken das Geld für die Beleihung aller Objekte nach St. Tropez
hatte überweisen lassen. Und nach allen Informationen dort auch abgeholt habe.
Ich stand auf, entschuldigte die kleine Pause und schrieb mir
auf der Toilette auf: 9., 11. und 12. September. Schwiek war immer
noch fröhlich, als ich wiederkam. Jetzt fragte ich, was ich denn in
seinem Sinne für ihn tun könne. »Wir müssen das Geld finden«, war
seine Antwort, »und sie sind der einzige, der sich gut genug auskennt
267
und uns weiter helfen kann. Ich habe natürlich schon mit Fräulein
Meier gesprochen. Aber die hat der Dueleen doch dumm gehalten. Die
wußte nicht eine Nummer eines Bankkontos, nicht mal, mit welcher
Bank er zusammenarbeitete. Die hat ihr Gehalt immer bar ausbezahlt
bekommen!«
Jetzt war Schwiek in Fahrt. »Sie hat Rechnungen geschrieben
für ihren Chef, wußte aber nicht, daß man eine Kopie davon ablegt.
Dueleen hat alles vor ihr verheimlicht. «
»Stimmt«, sagte ich, »Dueleen wollte nicht, daß er noch mal
durch eine Frau erpressbar wird. Aber überschätzen sie meine Möglichkeiten nicht. Eigentlich hatte ich nur eine Urlaubsbekanntschaft
mit Herrn Dueleen. «
»Herr Nader«, Schwiek wurde direkter, »Dr. Ast und auch Herr
Malmann haben mir schon berichtet, daß sie der einzige Freund Dueleens waren. Ich will auch keinen Verrat von Ihnen. Ich muß einen
sehr komplizierten Fall aufklären und Sie sind der einzige, der mir
sagen kann, wo zweiundreißig Millionen geblieben sind. «
»Vielleicht ausgegeben, Dueleen hatte, wie jeder weiß, einen
aufwendigen Lebenswandel«, sagte ich. Schwiek schüttelte den Kopf:
»Rechnen Sie mit! Drei Häuser, alle voll bezahlt. Keine Miete. Das
Haus in St. Tropez zum Beispiel verursachte Kosten von vierzehnhundertachzig Franc im Jahr, nachgewiesener Maßen. In Frankreich
gibt es praktische keine Steuern auf Grund und Boden. Das sind Kosten für Grundgebühr Wasser, Strom und Telefon, auch die Müllabfuhr ist drin. Das Haus in der Schweiz kostete ihn schon eintausendfünfhundert Schweizer Fränkli im Monat und rechnen Sie doch das
gleiche für das Freiburger Haus. Die Arbeiten wurden von der Firma
bezahlt, die Damen waren Angestellte. Frau Herblein aus der Schweiz
zum Beispiel, stand als Beraterin in Hygienefragen auf seiner Lohnliste. «
268
Im Nachhinein mußte ich zugeben, daß Dueleen mich mit der
Schilderung seiner Liebe zum Finanzamt nicht angeschwindelt hatte.
»Und ein besonderer Nachteil für meine Untersuchungen ist
noch, daß seine Frau, Babsi Dueleen, seit etwas über fünf Jahren nicht
mehr in der Firma ist. Und seine rechte Hand, Frau Amsel ist ja vor
kurzem tödlich verunglückt. Ich greife ins Leere, wenn Sie mir nicht
helfen. Und außerdem, Herr Nader, glauben Sie mir, die Jagd nach
dem Geld hat schon begonnen. Viele haben gemerkt, daß da was sein
muß. Das kann man einfach rechnen. Allein für die drei Beleihungen
hat Dueleen viereinhalb Millionen eingenommen. «
Ich bedauerte, unter Männern, meine schwache Blase und ging
wieder auf die Toilette, kramte das Stückchen Toilettenpapier hervor,
auf das ich mir die ersten Zahlen geschrieben hatte und schrieb noch
4,5 Mio dazu.
Als ich zurückkam, sah ich, daß sich die Bar und der Nachbartisch mit ein paar gutaussehenden Amerikanerinnen gefüllt hatte.
Schwiek und ich beendeten recht schnell unser erstes Kennenlerngespräch. Ich versprach, mir alles zu überlegen und er durfte mich dafür
im Büro anrufen. Hatte alles seine Vorteile. Nicht meine Telefonkosten und nicht meine Freizeit. Schwiek wandte sich den Amerikanerinnen zu. Ich verabschiedete mich winkend.
Szene 16, take 6
Ich beeilte mich, in meine Wohnung und an meinen Schreibtisch zu kommen. Wenn mein Verdacht stimmte, war wirklich etwas
an Schwieks Vermutung. Aber dann war da auch noch eine andere
Vermutung. Wenn das alles stimmte, warum standen die Zahlen auf
meiner Karteikarte. Zufall?
Selbst das Flackern der Neonröhre im Arbeitszimmer war mir
zu langsam, ich suchte im Korb der unerledigten Arbeiten den Zettel,
269
auf dem ich die Ungereimtheiten aus meiner Karteikarte herausgeschrieben hatte. Ich legte den Zettel und das neu gewonnene Stück
Toilettenpapier nebeneinander, da stand auf dem einen:
Geldveränderung 1295
Sept 9- 1,8 Mio 11- 1,5 Mio 12- 1,2 Mio bei 7,5 %
Maus doppelt rückwärts
und auf dem anderen
9., 11. und 12. September
4,5 Mio.
Man konnte das interpretieren. Wenn man die 1,8 Mio mit den
1,5 Mios und den 1,2 Mios addierte, kamen die 4,5 Mios heraus. Und
9, 11, 12, konnte das Datum sein. Vielleicht.
Wenn Dueleen diese viereinhalb Millionen, vermutlich in Mark,
sich nach St. Tropez hatte überweisen lassen, dann war das während
meiner Anwesenheit dort geschehen. Das konnten dann nur seine drei
kurzen Stadtausflüge gewesen sein, die ich zwar bemerkt hatte, die
aber nicht auffällig gewesen waren.
Ich mußte mich immer wieder zur Ruhe zwingen. In den zwei
Tagen in St. Tropez ohne mich war Mercedes die ganze Zeit anwesend. Außerdem wurde in der Zeit das Haus ausgeräumt. Wo war das
Geld? Zurück nach Deutschland, unsinnig. Schweiz? Hatte er nicht
mehr berührt. Ich suchte die Telefonnummer von Alain heraus.
Selbstverständlich ging am Strand keiner mehr ans Telefon, vielleicht
war es auch schon abgeschaltet. Das Café de Lyon hatte einen neuen
Besitzer, ich versuchte es und verlangte die neue Telefonnummer von
M. Marteau. Man konnte sie mir leider nicht geben. Aber vielleicht
konnte man etwas ausrichten, einen Satz weitergeben. Ich buchstabierte meinen Namen, und sagte, man möge M. Marteau ausrichten, Dueleen sei tot, oui, il est mort. Oui, Merçi. «
270
Der Rückruf von M. Marteau erreichte mich in zehn Minuten.
Er wußte noch nichts von Dueleen Tod, war ernsthaft erschüttert, aber
als ich ihm sagte, daß Dueleen mindestens einige Millionen Mark
irgendwo vor seinem Tod versteckt haben müsse und daß das Finanzamt dahinter her wäre, war er erschrocken. »Da mußt Du sofort Alain
anrufen«, sagte M. Marteau, »er wird Dir helfen. « Ich sah auf das
Opinell, das auf meinem Schreibtisch lag. »Merçi, M. Marteau, merçi
beaucoup. «
Szene 16, take 7
Alain war einfach zu erreichen. Selbstverständlich stimmte die
Nummer, die mir M. Marteau durchgesagt hatte. Alain hörte mir zu
und versicherte mir, daß er das Haus kontrollieren würde. Das sei
nicht so schwer. Der Gärtner sei ein Schwager eines Freundes, der
Bauunternehmer, der immer für Dueleen gebaut habe, wiederum ein
Schwager von M. Marteaus Onkel. Das könne man alles erreichen,
ohne daß da irgendein Aufsehen gemacht werden müsse. Meine Frage
nach der Gendarmerie wurde negiert. Alain sah nicht ein, was die
Gendarmerie in diesem Fall für eine Rolle spielen könnte.
Am nächsten Tag erhielt ich die Anwort, das Haus sei stubenrein und sicher keine Werte an Bord. Ganz sicher. Der kleine Haustresor stünde offen und sei auch leer. Fußböden, Decken, alles untersucht, M. Bacceau kenne schließlich das Haus genau. Nein, kein Geld,
Gold oder versteckte Schätze.
»Vielen Dank, Alain, ich rufe Dich wieder an, wenn ich mehr
weiß«, sagte ich. »Don Bertram, ich freue mich auf ein Wiedersehen«,
sagte Alain. Klick. Aus.
271
Szene 17, take 1
Die Tage zogen im Grau eines sich in den Dezember verspäteten Novembers. Etwas Regen zum tief hängenden Nebel, Frost am
Morgen und naßkalt, überall. Das bißchen Helligkeit kam durchs
Dunkelgrau. Daß eine Sonne über dem allen leuchte, vermutete man
kaum mehr. Bei mir lief business as usual. Der Papierkram reichlich,
die Sekretärin aufmüpfig, das Kasinoessen eintönig.
Ich bemerkte, daß sich meine Gedanken immer häufiger um eine einzige Aussage von Herrn Schwiek drehten. ›Hat sich am 9., 11.
und 12. September sich Geld nach St. Tropez überweisen lassen. Und
auch abgeholt. Viereinhalb Millionen‹, klang es mir im Kopf. Ich
prüfte mit dem Kalender, das waren Dienstag, Donnerstag und Freitag, die zweite Woche im September. Da war ich in St. Tropez gewesen, direkt im Haus, eingeladen von Dueleen. Ich versuchte stückweise die einzelnen Tage zusammenzusetzen, wann was gegessen, wann
am Strand.
Meine Liste der Woche wurde immer vollständiger. Es war
klar, hier wollte der Staatsanwalt ansetzen. Aber ich wollte erst wissen, was los war. Ich wollte die Karten mischen und nicht der Staatsanwalt für mich. Oder gegen mich. Wieweit kann man einem Staatsanwalt trauen. Lügt der? Immer, oder nur Zwecklügner? Warum fragt
der mich. Was wußte er mehr, daß ihm Frau Dueleen und die ganzen
Angestellten nicht mehr reichten.
Viereinhalb Millionen schienen Cash in St. Tropez über den
Tisch gegangen zu sein, Schwiek sprach aber von zweiunddreißig
Millionen, die fehlten. Ich blickte in den endlos grauen Himmel. Das
Persiengeschäft! Da mußte auch ein Teil stecken. Wie hatte Dueleen
zu mir gesagt: ›In St. Tropez steckt auch ein Teil und sie werden ihn
hin und wieder sehen‹.
272
Ich rief den Herrn Verleger Hans Dieter Malmann an und bekam auch, was mich erstaunte, ein freies Telefonohr. HD Malmann
verabredete sich zu einem Arbeitsessen mit mir.
Als Aperitif nahmen wir Champagner, als Getränk zum wunderbaren Filet de loupe mit Kräutern der Provence ebenso und hinterher knallten wir uns damit die Hucke zu. Wir waren beide der Meinung, daß ein so ausgiebiges Mahl zur Mittagszeit eigentlich dem
Prinzipal das Geld gestohlen bedeute. Aber schließlich war er selbst
Prinzipal und ich der leitende Angestellte seiner wichtigsten Auftragsfirma. HD Malmann war wenigstens ein anständiger Verlierer. Als ich
auf Briefe, die Frau Dueleen angesprochen hatte, zur reden kam, fing
HD Hartmann an zu lachen. Das war auch der Einsteiger seiner Erzählung, was Dueleen mit ihm angestellt hatte. Die beiden hatten bei dem
Treffen in Mailand gemerkt, daß eine Zusammenarbeit nicht möglich
war. Jeder wußte, daß er an dem Geldbeutel schnitt, den der andere zu
greifen versuchte. Sie waren sich also wirtschaftliche Feinde. Notgedrungen mußten sie sich aber, wiederum ihres gemeinschaftlichen
Großauftraggebers wegen, an seinem Tisch sehen lassen. Und so versuchte jeder, den anderen hereinzulegen. Dueleen hatte die Schlacht
eröffnet, und sich in einem Moment, als meine liebste Assistentin sich
gerade die Nase puderte, kurz zehntausend Mark von HD Hartmann
geliehen. ›Geld vergessen, will noch ein paar Damen besuchen, morgen zurück‹. Dann hatte er stets bestritten, Geld von HD bekommen
zu haben. Kleine Strafe für Eindringen in das Geschäftsfeld. Hart kann
das Geschäftsleben sein, äußerst hart.
HD Hartmann hatte das alles zuerst ernst, dann bitter ernst genommen. Er wollte Dr. Ast zu Maßnahmen gegen Dueleen veranlassen. Der lehnte, weil auf dessen Gehaltsliste stehend, ab. Staatsanwalt
und Polizei kamen nicht in Frage und auf eine Schlägerei, die er sogar
in Erwägung gezogen hatte, konnte er sich nicht einlassen. Die körperliche Überlegenheit lag zu stark auf der anderen Seite. Auch wenn er
mehr Masse in den Ring gebracht hätte. Im Laufes des Jahres hatte
HD Hartmann eingesehen, daß er diese Runde verloren hatte und
273
schon fast Gefallen an seinem Feind und dessen Idee gefunden. Deshalb tranken wir in seinem Sinne Champagner und HD Hartmann
hatte auch die Möglichkeit, neue Kontakte mit mir zu knüpfen, denn
die Welt des Films war ja tot, er hatte auf Verlag gesetzt.
Irrwege sah ich vor mir, kreuz und quer, verzweigt verästelt.
Trotzdem blieben Tatsachen. Häuser beliehen, Geld weg, Vermögen
weg, Persiengeld verschwunden. Eine blühende Firma sofort in Liquidationsschwierigkeiten. Eine Produktion von fünf Filmen, die gestoppt auf dem Tisch lag.
Ich schätzte, was die fünf fast fertigen Rollen auf den Schneidtischen bringen mußte. Ich kam auf durchschnittlich einhunderttausend pro Rolle. Dazu eine Frau Dueleen, die offensichtlich nur mit
Hunderttausendern plempern konnte und schon fast nichts mehr, außer
ihrem eigenen Fett, auf den Rippen hatte. Der Rechtsanwalt und der
Wirtschaftsprüfer begannen ihr wegzulaufen.
Mercedes rief mich drei Tage vor Weihnachten an und war,
obwohl sie sich sehr vorbereitet hatte und mit guten Vorsätzen in das
Gespräch gegangen war, nach wenigen Sätzen am Heulen. Ich lud sie
über Weihnachten zur mir ein. Sie nahm dankbar an und vergaß, Bedenken vorzuspielen.
Szene 17, take 2
Diesmal hatte sich Mercedes aber richtig auf den Besuch vorbereitet. Nicht mehr flache Schuhe, nein, wieder anständig hochhackig.
Auch neue Frisur zum schmäler gewordenen Gesicht. Und für den
Abend jenes kurze, bestickte Jeanskleid, dessen Reißverschluß über
dem Busen sehr schnell von sexy bis hochgeschlossen verstellt werden
konnte.
Selbstverständlich hatte Mercedes Trauerarbeit hinter sich zu
bringen, so drehten sich die Gespräche auch meinst um Dueleen oder
274
um die Zeit in St. Tropez. Die Schikanen, die ihr Frau Dueleen noch
zufügte, machten sie rasend. Ich steuerte auf die Zeit, erste, zweite
Septemberwoche und die zwei Tage hin, die Dueleen allein mit ihr im
Haus gewohnt hatte. Alles war ich erfuhr, schärfte meine Sinne, verstärkte meinen Verdacht, aber auch meine Ängste. Langsam kam ich
in eine Affäre, die ich nicht steuerte.
»Nein, Herr Nader, an dem Tag, an dem sie zum Flugplatz nach
Nizza abgeholt worden sind, haben wir angefangen, alle die Sachen,
also die Wertsachen, wie immer in die Pappkartons zu packen. Frederic hat sie am nächsten Morgen abgeholt und wir sind am Abend mit
dem Kübel nach Nizza gefahren. Ich habe Werner zum Flieger gebracht, den Wagen selbst auf den Autoreisezug in Frejus verladen und
wir haben uns dann am Mittag des nächsten Tages hier in Freiburg
wieder getroffen. Und…«, Mercedes begann wieder zu schluchzen,
ich gab ihr ein Taschentuch, »…da hat er ja auch nur noch die paar
Tage gelebt.
Ich fragte, ob Sie denn alles Gepäck bei sich gehabt hatte und
alle Antworten liefen in eine Richtung. Wenn überhaupt Gepäck, das
nach Deutschland transportiert wurde, dann war es ihres, im Kübel,
der im Autoreisezug zurück geschafft wurde. Dueleen selbst flog mit
seinem etwas überdimensionierten Zeitplaner und seinem Stöckchen.
Es trieb mich zur Inquisition. Ich prüfte Tage, Bewegungen und
Ausgang von Dueleen und Mercedes spielte lieb und ernsthaft mit. Ich
vermutete, daß sie auf diese Weise auch trauerte, daß die genaue Erinnerung ihr gut tat. Für mich blieb übrig, daß ein Päckchen von mindestens viereinhalb Millionen Mark in Frankreich, Bereich St. Tropez
liegen mußte.
Halt, neue Idee. »Mercedes, was war denn an dem Schlüsselbund von Herrn Dueleen. « Ich sah ein Schließfach vor meinen schon
arg strapazierten geistigen Augen. Ja, das war eigentlich ganz einfach.
Ein Schließfach. Er hatte das Geld sich überweisen lassen und auch
275
ausbezahlt bekommen. Wieviel ist eigentlich viereinhalb Millionen in
was für Scheinen? Ich mußte einen Überblick über die Menge bekommen, von der ich sprach. Ich ließ Mercedes mit übergeschlagenen
Beinen im Sessel sitzen, entschuldige mich bei ihr mit dem Hinweis,
ich müsse mir gerade etwas überlegen, etwas klar machen und ging ins
Arbeitszimmer. Mercedes rief hinter mir her: »Wenn Sie arbeiten
müssen, dann kann ich mich ja umziehen. « Ich sagte nebenbei »ja«,
denn ich mußte einen Gedanken zuerst einmal zu Ende bringen.
Im Arbeitszimmer griff ich einen Stapel von abgepackten fünfhundert Blatt Computerpapier und maß die Höhe mit ziemlich genau
fünf Zentimeter. Ich schloß daraus, daß tausend Scheine zu je tausend
Mark, was ja die größt mögliche Einheit ist, zehn Zentimeter hoch
sind, die Million also einen Stapel von 10 Zentimetern darstellt. Dann
aber eng gepreßt. Viereinhalb Millionen sind dann eben gerade eng
zusammengepreßt in einem Aktenkoffer zu transportieren und wiegen
mindesten sechs Kilo. Sollte man allerdings nur zu Einhundertmarkscheinen greifen, um den sofortigen Einsatz und Verbrauch zu ermöglichen, wird das Ganze deutlich und einfach rechenbar größer. Dann
muß man zehn Aktenkoffer von eng zusammengepreßtem, neuem
Geld mit einem Gesamtgewicht von sechzig Kilo rechnen. Bei gebrauchten Scheinen konnte man ein Vielfaches an Volumen rechnen.
Die Koffer nicht eingerechnet. Dueleen hatte nie Koffer bei sich, nie
fünf Kilo transportiert. Er hatte sein Stöckchen und seinen Lederplaner.
Mercedes trat hinter mich und fragte, ob mir das so gefalle. Ich
drehte mich um und sah schwarzen Hebe-Büstenhalter, Strapsgürtel
und Strümpfe schwarz, Tangahöschen ebenfalls und goldene Pantolettelchen. »Wunderschön«, sagte ich zu Mercedes, »aber ich will noch
etwas arbeiten. « »Deswegen habe ich mich ja ungezogen«, flötete
Mercedes. Ich sah das alles voll ein.
In Gold, rechnete ich weiter, sind zwanzigtausend Mark ein Kilogramm, grob zumindest, die Million wiegt fünfzig Kilo, weiterrech-
276
nen unnötig. Fünfzig Kilo sind nie von Dueleen durch die Straße
transportiert worden. Mercedes schenkte mir etwas Champagner nach.
Zurück zum Schließfach. Ein Schließfach, Größe so wie ein
großer Briefkasten, daß hätte unter Umständen gereicht. Ich drehte
mich auf meinem Arbeitsdrehledersessel um und betrachtete Mercedes. Schönes Kind, mußte ich zugeben. Der Teufel ritt mich. »Zieh
den Tanga aus«, sagte ich und drehte mich wieder zum Arbeitsplatz.
Schließfach, wo? Ich drehte mich wieder Mercedes zu, sie saß
im Sessel, brav die Beine übereinander geschlagen, die krausen Härchen bildeten einen dichten Tangaersatz, sie lächelte lieb. »Mercedes,
hast Du eigentlich den Schlüsselbund von Herrn Dueleen noch in der
Hand gehabt«, fragte ich, möglichst wenig Betonung in irgendeine
Richtung legend. »Aber sicher, den hab ich die ganze Zeit gehabt, als
er im Krankenhaus war. Und die fette Ziege hat ihn mir abgenommen«. Mercedes trotzte. »War da ein anderer Schlüssel dran als
sonst?«, ich tat uninteressiert. »Nein, ganz sicher nicht, nur die drei
Schlüssel, Schließanlage Freiburg, Chalet und St. Tropez. Drei
Schlüssel. Er wollte doch noch nicht mal den Autoschlüssel haben,
weil der in der Tasche so auftrug. « Mercedes war sich ganz sicher.
Wir kauten aber und aber die letzten Tage durch. Kein Transport von auch nur einem Kilo Papier, keine Schlüssel, keine auffällige
Abwesenheit über die dreimal drei Stunden hinaus, die ich selbst miterlebt hatte. Ich streichelte Mercedes über das Gesicht und verabschiedete mich langsam zum Schlafengehen. Mercedes ging nicht in
ihr Gästezimmer, sie kam eigenaktiv, freiwillig und vorsätzlich mit
mir mit. Sie kann einen furchtbar müde machen, auch ohne daß man
das Gefühl des Eindringens hat. Sie kann es wunderschön weich,
feucht und warm, aber sie schlabbert dabei ein bißchen.
Die Weihnachtsfeiertage hatten bei mir nichts heiliges an sich,
mehr unheilig, aber davon viel. Am Tag vor Silvester brachte ich
Mercedes zur Bahn. Für sie begann eine neue Zeit. Sie mußte Arbeit
277
suchen, höchstwahrscheinlich die Stadt, die Gegend verlassen. Aber
wir verabschiedeten uns, als sähen wir uns nächste Woche wieder.
Szene 17, take 3
Der Januar brachte helle Tage. Die Luft war klar, die Sicht weit,
der Himmel hellblau. Unter meiner Schreibtischunterlage lag der Zeitplan Dueleen, der Zeitplan seiner letzten Aktivität. Wo war das Geld,
Gold? Es mußte in St. Tropez sein. Oder hatte es gar Alain gefunden
und verwendet? Oder Frau Dueleen, gefunden und dem Konkursverwalter hinterzogen. Oder war der Staatsanwalt Schwiek hinter allem
her, mit oder ohne Polizei?
Alain rief mich im Büro an und berichtete, Frau Dueleen habe
das Haus in St. Tropez nach Silvester bezogen. Und wenn seine Beobachtungen, also die Beobachtungen seiner bon frére, stimmten, dann
sei sie mit einem anderen Mann dabei, Löcher in die Wände der Ferienvilla zu schlagen, Bodenleisten abzureißen und Schränke umzudrehen. Damit war klar, zumindest Babsi, die Fette, hatte das Fett noch
nicht. Und einen neuen Freund zum Löcher schlagen hatte sie auch.
Alain bestritt, daß das ein neuer Freund sei. Er hätte den schon ein
paar mal bei Dueleen gesehen. Das sei ein Schweizer, hager, Bürstenkopf und altmodisch angezogen. Ja, Siwi, das sei möglich, so müsse er
heißen.
Wenn ich mich vielleicht am Anfang der Geschichte über zu
vieles gewundert habe, jetzt nahm ich langsam wirklich alles gelassen
hin. Die Witwe Dueleen mit dem dünnen Strohmann der Dueleenschen Aktiengesellschaft in der Schweiz. Wenn der das Geld in der
Schweiz nicht finden konnte, dann war es auch nicht da. Hatte der
Staatsanwalt Schwiek vielleicht recht. Ging es nicht um die Beleihungssumme für drei Häuser, sonder um zweiunddreißig Millionen.
Oder um eins Komma sechs Tonnen Gold?
278
Der Telefonanruf von Dr. Ast störte mich in meinen Gedanken.
Aber er wollte mir nur sagen, daß er gehört habe, daß die Staatsanwaltschaft hinter dem Vermögen von Herrn Dueleen her sei. Ein
Staatsanwalt hätte auch ihn und Herrn Malmann befragt. Obwohl sie
eigentlich nicht viel zu der Sache beitragen konnten, da sie Herrn
Dueleen ja nur vom Sehen kannten, war doch interessant, daß der Herr
Staatsanwalt der Ansicht war, hier einen der großen Wirtschaftskriminalitätsfälle mit eine Schadensumme von über dreißig Millionen vor
sich zu haben. Herr Dr. Ast betonte mir gegenüber, daß bei einer solchen Untersuchung selbstverständlich die Firma rausgehalten werden
müsse. Er aber gehe davon aus, daß alle Aufträge ordnungsgemäß von
der zuständigen Einkaufsabteilung ausgefertigt worden seien und daß
keine weiteren Bedenken entstehen könnten. Sonst sei ich dafür verantwortlich, zumindest seit der Umorganisation. Ich verstand sein
Bemühen, die Firma aus eventuell aufkommenden Gerüchten, die
natürlich unbegründet waren, herauszuhalten.
Dann beugte ich mich wieder über die Liste, den Terminplan
der letzten Tage in St. Tropez. Ich sah mich abfahren, Mercedes räumt
Gläser und Teller in die Schränke, Zeitungen werden zum Müll gelegt
und vieles, was den Winter nicht überstehen würde. Blumensträuße,
angebrochene Milch und was sonst noch. Alles Müll. Der Kühlschrank wird geleert, der Schnapsschrank aufgeräumt. Die großen
Kisten aus Pappkarton stehen im Hof. Die beiden Männer von Frederic kommen, stöpseln Fernseher, Stereo und Telefax ab, Telefon auch,
bis auf den amtlichen Apparat. Sie holen die Anlage aus dem oberen
Stockwerk, hängen den Seidenteppich ab. Rollen ihn auf. Dueleen hat
seine private Pappschachtel, viel kleiner als die der Möbelpacker. Er
sammelt Eisenbahnwagen und Lokomotiven, aber auch teuere Kugelschreiber und Füllhalter im Haus ein. Kurz, ein Einbrecher soll keinen
Nutzen haben. Zum Schluß liegt dann diese letzte Schachtel auf dem
Schreibtisch vor Dueleen. Ein paar letzte Sachen werden rein geworfen, wie die Schlüssel zu den Schlössern der Ketten von Boot, Motorrad und die ganzen Schlüssel von Wasser, Elektrizität und die des
Vorhängeschlosses des Außentores nach hinten.
279
Ich verlangsamte das Denken. Zu einem Schließfach gehört ein
Schlüssel. Mit dem kommt man dran. Aber der Schlüssel zeigt einem
anderen auch, daß man ein Schließfach hat. Findet zum Beispiel die
Polizei einen Schließfachschlüssel, dann hat sie auch gleich alles darin
Versteckte gefunden.
Zweiter Lehrsatz des Zaubermeisters, des trickreichen Dueleen:
›Wo versteckt man eine Orange? Antwort: am besten unter Orangen!‹
Also warum soll der Schlüssel zum Schließfach nicht in der Kiste
beim Spediteur liegen?
Szene 17, take 4
Ich überlegte es mir einmal, zweimal, dreimal. Dann entschloß
ich mich, hinderte mich selbst daran, meinen Entschluß wieder rückgängig zu machen und rief Alain an. Ich erreichte ihn sofort und
schilderte ihm, daß ich vermute, ein Schließfachschlüssel oder so etwas ähnliches müsse im Kasten beim Spediteur liegen. Alain jauchzte
fast vor Begeisterung. Er fand auch diesen Auftrag nicht sonderlich
schwierig, ein Vetter des Onkels, oder so, war mit einem der Arbeiter
des Spediteurs verwandt. Einfach eigentlich. Nur die Aufgabe noch
einmal genau beschreiben. Nicht einfach alles klauen, sondern da lassen. Nur nachsehen, ob unter den vielen Schlüsseln in dem kleinsten
Pappkarton ein Schlüssel ist, der aussieht wie ein ganz großer Briefkastenschlüssel oder wie ein ganz kleiner Tresorschlüssel. Und nur den
einen Schlüssel holen! Klar? Alain war das klar.
Ein Päckchen aus Frankreich erreichte mich am siebten Tag
nach diesem Anruf. Es enthielt, in ein Stückchen weißen Stoff gewikkelt einen Sicherheitsschlüssel, wie er für Schließfächer verwandt
wird. Auch ließ die Beschriftung keinen Zweifel, daß es ein Schlüssel
der Credit Besançon war. Die Filiale kannte ich, direkt im Dorf, zentral und von überall erreichbar. Schönes Gebäude, groß, stabil und
stolz.
280
»Don Bertram«, sagte Alain, und das sagte er schon seit einiger
Zeit zu mir, »du mußt wissen, wir haben natürlich versucht das Geld
aus dem Schließfach zu holen. Aber das geht nicht. Der Direkteur der
Bank braucht die Unterschrift und ein, wie sagt man, code-word, sonst
darf er es nicht herausgeben. Weißt Du, M. Lepen ist ein Schwager
von M. Marteaus Bruder, aber er kann nicht, weil die Aufsicht der
Bank ihn einsperren lassen würde «.
Mir wurde damit klar, daß der Durchgriff der erlauchten Gesellschaft auch problemlos bis in die Fächer ging. Nur eben nicht in allen
Fällen, wenn es nicht ganz so wichtig war. Und den Schwager Bankdirektor konnte man natürlich nicht inkommodieren. Ich bedankte
mich bei Alain und begann wieder, mit die Zettel durchzusehen, die
ich zum ›Fall Dueleen‹ angelegt hatte.
Wenn ich die mittlere Zeile richtig gedeutet hatte, und darauf
wies jetzt alles hin, so waren nur noch die Worte ›Geldveränderung
1295‹ und ›Maus doppelt rückwärts‹ im Spiel. ›Geldveränderung‹
hatte durchaus die Qualität eines Codewortes, eines Paßwortes, aber
für eine französische Bank war es äußerst ungewöhnlich. Selbst in
französischen Telefonbüchern mußten Deutsche, die Müller hießen,
sich entweder in Muller oder Mueller umtaufen, die französische
Sprache und die Tastatur ihrer Schreibmaschine ließ nichts anderes zu.
Außerdem kam ich langsam zu einer Erklärung dieser Zeile. Die
Geldveränderung konnte durchaus ernst gemeint sein, Geld von der
Bank in die Versicherung. Er wollte ja im Dezember das Geld in die
Versicherung einzahlen. Zumindest stand das so auf dem Versicherungsvertrag, den er abgeschlossen hatte.
Also strich ich in meinen Gedanken auch diese Zeile und las intensiv ›Maus doppelt rückwärts‹. Selbstverständlich war dies die geheimnisvollste Zeile, und doch dämmerte mir langsam, was passiert
war. Bei einem unserer Gespräche in Freiburg, ungefähr ein halbes
Jahr vor seinem Tod, kamen wir auch auf Paßwörter für Computer,
281
Telebanking und sonstiges zu sprechen. Und weil Dueleen nicht einsehen wollte, daß Paßwörter leicht erratbar waren, wenn sie nicht nur
eine zufällige Kombination von Buchstaben und Zahlen waren, spielte
ich mit Ihm ein mir bekanntest, meist gutgehendes Spiel.
»Herr Dueleen«, sagte ich, »zählen Sie jetzt bitte laut die Zahlen zwei und zwei ist vier und zwei ist sechs und zwei ist acht undsoweiter durch. Dazwischen stelle ich ein paar Fragen, die sie bitte sofort beantworten. « Er hielt das Spiel für kindisch, außerdem war kein
Gewinn von Schnaps oder nackten Damen zu sehen.
Er begann zu zählen, ich fragte: »Eine Farbe?« »rot«, »eine
Blume?« »Rose«, »ein Werkzeug?« »Hammer«, »ein Musikinstrument?« »Geige«. Dazwischen immer die weitere Addiererei. Dann
stoppte er, ich sah ihn scharf an und sagte: »Eine Zahl zwischen drei
und zehn?« Und er antworte brav »sieben«. Den Zettel, den ich meinem Portemonnaie entnahm, und auf dem, schön untereinander ›rot,
Rose, Hammer, Geige, 7‹ stand, mißtraute er eine Zeitlang. Erst ein
Test mit drei anderen Mitarbeitern führte zu seiner Erkenntnis, daß
diese Antworten fast immer gegeben werden, die Vorhersage, wenn
man es genau nimmt, also kein Trick ist.
Dann ließ ich ihn ein Codewort mit den vorgeschriebenen acht
Buchstaben erfinden und aufschreiben. Mercedes kam um die Ecke,
brachte Kaffee und ich sagte Dueleen: »Steht auch schön Mercedes
auf dem Zettel?« Angewidert warf er den Zettel weg. Es war immer
das selbe, Hacker brauchten nur den Namen der Ehefrau, der Freundin
oder des Hundes eintippen und schon war die ganze Sicherheit für die
Katz.
Danach unterhielten wir uns weiter über Vergessen und Aufschreiben von Paßwörtern und ich vertrat die Ansicht, daß man nicht
das echte Wort, sondern nur die Eselsbrücke dazu aufschreiben dürfe.
Mein Vorschlag für das Paßwort Eselsbrücke war also Pferdesteg.
282
Dueleen sah das halbwegs ein, das Gesprächsthema wechselte und ich
hatte die Szene fast vergessen, bis ich ›Maus zweimal rückwärts‹ las.
Es war nicht logisch, nicht folgerichtig, nicht erklärbar, aber ich
schrieb auf das Stück Papier neben diese Zeile ›Suamsuam‹. Konnte
stimmen, oder auch nicht. War mir jetzt fast egal. Es war Winter und
kalt und ein kurzer Tag, der schon wieder der Nacht entgegensank.
Wie schön war es jetzt noch in St. Tropez. Der Sonnenstand dort läßt,
zumindest aus unserer Sicht, die Monate Dezember und Januar aus.
Dort geht der Sonnenstand unseres Novembers kontinuierlich in den
Sonnenstand unseres Februar über. Der Frühling ist dann schon recht
nahe.
283
Szene 18, take 1
In den Tagen vor Fastnacht oder Karneval, je nach Tradition
verschieden, bricht Verschiedenes aus. Manchmal ist es die Tanzwut,
manchmal die Schunkellust. Sehr häufig ist aber auch eine Kurzzeiterkältung, die so ungefähr drei Tage andauert und damit nicht krankenscheinpflichtig ist. Mit Verlängerung eines Wochenendes sind das
fünf Tage und die nahm ich mir jetzt. Ich hatte am Dienstag mit Alain
telefoniert, der mir von blauem Himmel, Temperaturen des Mittags
um über zwanzig Grad und dem ersten Grün vorschwärmte. Außerdem lag immer noch auf meinem Arbeitstisch bei mir zu Hause ein
Schlüssel und ein Zettel mit dem Wort ›Suamsuam‹.
Dienstag hatte ich Halsschmerzen geheuchelt, Mittwoch meiner
Sekretärin angerufen und erklärt, ich müsse jetzt doch mal das Bett
hüten und dabei furchtbar gekrächzt. Allerdings war ich da schon in
Ste. Maxime, in einer Telefonzelle und hoffte, daß der Gesang der
Vögel nicht zu deutlich übertragen würde. Ich war des Nachts gefahren, aus Schlamm und Matsch nach trocken und sonnig.
Anfang Februar ist das Licht am Golf etwas Besonderes. Vielbeschrieben, gelobt, von Malern gesucht und von Dichtern besungen.
Es ist einfach klar, hell. Es ist deutlich. Die Landschaft ist in Farbe, ist
kontrastreich, aber nicht grell. Details werden deutlich, übertrumpfen
aber anderes nicht. Das Licht im Februar ist schön. Und ich blickte
hinüber nach St. Tropez, die Zitadelle, das Dorf darunter. Der Schönheitsfleck, rechts vom Dorf gelegen, kam deutlich heraus. Ein weißes,
mehrstöckiges Gebäude, man erwartet eventuell eine Klinik oder ähnliches, aber es ist nur gleich häßlich gebaut, ist die Bausünde der sechziger Jahre. Aber es ist eine der ganz wenigen.
Jedes Jahr entsteht mehr Stadt, mehr Bebauung im Umfeld, die
Fahrt um den Golf führt schon an neuen Kunststädten vorbei, an
Werftanlagen und Verkaufsgebieten. Erst hinter der Torpedofabrik
sieht es wieder nach St. Tropez aus.
284
Ich setzte mich an der Mole auf einen der hellen, runden, steinernen Poller und blickte in die leeren Fensterhöhlen eines ehemaligen
Café de Lyon. Die Inneneinrichtung war herausgerissen, die Theke,
die lange Zinntheke war fort. Die elliptischen Spiegel an der Wand
hinter den Sitzgruppen verschwunden, wie diese selbst. Ein Pizzaofen
wurde im Hintergrund installiert. Fernsehgeräte hoch an die Decke
geschraubt. Und eine Klimaanlage wird verhindern, daß die Schiebefenster zur Mole geöffnet werden und man im offenen Fenster auf die
Mole blickt. Suffren blickte von seinem Denkmal auf seinen Hafen. Er
ist offensichtlich mehr Unverstand gewohnt.
Ich traf Alain wenig später im Gorilla, wir verzichteten nicht
auf einen Begrüßungsschluck und nebenbei erwähnte ich, daß ich
morgen in die Credit Besançon gehen würde. Alain fragte nicht, ob
ich das gut fände.
Ich wohnte diesmal, wie des öfteren im Winter, im Eremitage.
Das Hotel hat, im Gegensatz zu vielen anderen, auch zu dieser Jahreszeit geöffnet. Und man hat diesen sagenhaften Blick auf den Bouleplatz. Wenn die Blätter der Platanen gefallen sind, aber die Lichterketten zwischen ihren Ästen den paar Petanquespielern noch leuchten,
die sich abends, Winter wie Sommer, hier treffen. Ruhig, friedlich,
vertraut. Die Schönheit der mediterranen Gemeinde, ein Stadtbild wie
oft gemalt.
Ich frühstückte, entschieden gegen meine Gewohnheit, aber
immerhin möglichst spät. Croissant und Honig, Marmelade. Kaffee
brutal, durch Milch gemildert. Ich war im Begriff, in eine Bank zu
gehen, ein Wort auf einen Zettel zu schreiben und ein Bankfach zu
öffnen, das nicht meines war. Ich versuchte meine Motive zu erklären.
Es war nicht Armut, nicht Neid, nicht Besitzgier. Es war das unerklärliche Gefühl, ein Spiel zu spielen, das Dueleen angefangen hatte. Ich
machte mir klar, daß ich die Ausrede, zumindest bei einem unserer
irdischen Richter, nicht bringen brauchte. Dann ging ich die steile Rue
285
de la Citadelle hinunter, nicht ohne noch mal nach rechts und zum
Turm Jarlier geschaut zu haben. Ein Turm in die Spitze der Straße
gebaut. Oder auch die Straße nach dem Turm gebaut. Wer weiß. Naturstein, dunkel, schichtig aufgehäuft. Kein Fenster erkennbar, unendlich hoch. ›In den Turm wird man Dich sperren‹, sagte es in mir. Ich
ging weiter. Viele der Geschäfte und Boutiquen waren in diesem Monat nicht geöffnet, der Bäcker unten links und das kleine Geant Casino
an der Ecke zur Querstraße hatten dagegen lebhaften Betrieb.
Zwischen Senequier und Fischmarkt auf der einen Seite und
dem Gorilla auf den anderen ging ich nach links. Im Hafen lagen einige Schiffe, erstaunlich für die Zeit. Ein paar Weltenbummler schienen
sich für das Frühjahr an der Mole Jean Reveille festgemacht zu haben.
Die Pegasus lag wie immer im Hafen. Am Café de Lyon wurde gebaut.
Als ich vor der Bank stand, holte ich noch einmal tief Luft.
Französische Banken haben meistens eine einzige Drehtür als Einund Ausgang. Man tritt in die Drehtür und geht vorwärts, um einen
Viertelkreis voran zu kommen. Dann ist die Tür blockiert. Vom guten
Willen des Bankangestellte, der entscheiden muß, ob man nun Bankräuber ist oder nicht, hängt es ab, wie lange man eingesperrt in der
Drehtür steht. Raus übrigens der gleiche Vorgang. Ist man erst mal in
der Bank, ist man eigentlich auch gleich im Gefängnis. Diese Sicherheit war sehr beruhigend für mich.
Ich fand ohne große Komplikation den Schalter, der für die
Schließfächer im Keller zuständig ist. Ein freundlicher, aber uninteressierter Angestellter schob mir einen Zettel über den Tisch, ich trug
meinen Namen auf den Zettel ein und schrieb auf das freie Feld ›Suamsuam‹. Im letzten Moment erinnerte ich mich an meine Absicht,
möglichst undeutlich zu schreiben, um gegebenenfalls eine Diskussion
um das, was ich geschrieben, entfachen zu können. Zu spät. Mit etwas
zittriger, aber doch lesbarer Handschrift stand da: ›Suamsuam‹.
286
Der Angestellte tippte etwas in seinen Computer, erhielt offensichtlich eine Freigabe, gibt mir ein paar Zettel und zeigte mir mit der
Hand den Weg nach hinten links in die Bank, dort wo die Treppe
abwärts geht, hinunter zu den Schließfächern. Ich ging an einem dikken, uniformierten Mann vorbei, der rechts von mir in meinem Gesichtsfeld vorbeikam. Die Szene wurde unrealistisch, ich schwebte die
Treppe hinunter. Gelb beleuchtet und wenn die Erinnerung nicht trügt,
aus hellem Naturstein gebaut. Breite Treppe, zweimal ein Viertel nach
links. Dann noch ein Uniformierter. Jetzt wirkte der Raum etwa wie
eine bessere Herrentoilette. Alles hell gekachelt. Der Holztisch des
Uniformierten ist alt, fast schäbig. Sein Stuhl auch. Er nimmt mir die
Zettel, die ich oben am Schalter bekommen habe ab, legt sie in einen
Kasten auf seinem Tisch, sagt »merçi, Monsieur« und begleitet mich
durch eine abenteuerlich dicke Tresormauer, durch die geöffneten
Tresortür hinein ins Innere des Ganzen.
Die Verwirrung möglichst wenig zeigend blicke ich mich um,
er führt mich weiter auf eine Ecke des Raumes zu. Der ganze Raum ist
gefüllt mit Fächern, Türen gleicher Größe sind zu Reihen zusammengefaßt. Türchen und Türchen, oder, wen man nach unten sieht, Tür an
Tür. Jede Tür zwei Schlüssellöcher. Er stellt mich vor eine Wand. Ich
lese die großen Fächer 1270, ich suche 1295, links, nein da ist 1200.
Dann in der Mitte. Endlich, das ist 1295. Es ist nur so groß wie ein
Autoradio. Ich denke schon wieder in Kreisen. Aber es steht doch
1295 drauf. Der Uniformierte hat schon seinen Schlüssel ins Schloß
gesteckt, hastig schließe ich auf, öffne das unglaublich kleine Türchen
und für mich entnimmt der Uniformierte einen kleinen Stahlkasten,
vielleicht von der Größe einer Stange Zigaretten.
Mein uniformierter Begleiter legt diese Blechschachtel auf einen Holztisch, nickt mir zu und zieht sich wieder durch die Tresortür
an seinen Tisch zurück. Dieser Blechkasten ist nicht schwer zu bedienen, nur den Deckel abheben und schon liegt alles, was dieses Fach
beherbergen kann, vor einem. Wie soll in dem Ausmaß einer Stange
Zigaretten eine Summe von viereinhalb Millionen sein. Oder mehr.
287
Schwiek spinnt. Alle, einschließlich mir. Sonst hätte ich diese blöde
Tour nicht gemacht. Tausend Kilometer hin und zurück, um vor einem
leeren Blechkasten zu stehen. Denn leer ist er wahrscheinlich. Als ich
ihn in die Hand nehme, spüre ich kaum Gewicht.
Irgendwann muß es sein. Deshalb öffne ich jetzt den Deckel
und sehe einen Schlüssel. Eindeutig und auf den ersten Blick ein Tresor- oder Schließfachschlüssel. Doppelbart, langer Schaft. Ich nehme
ihn in die Hand. Eine Nummer ist oben in einem Aluschildchen eingeschlagen. 1295. Es ist zum verrückt werden, 1295 habe ich in der
Hand, der sieht vollkommen anders aus. Es bleibt nichts anderes übrig, als den Schlüssel einzustecken, den Blechkasten wieder zuzuklappen und die Kiste zurückzuschieben. Patsch, da ist die Klappe zu. Ich
finde meinen Weg die Treppe hinauf, finde den Ausgang. Werde für
drei Sekunden noch in dieser blöden Gangsterfalle gefangen und atme
auf, als das Licht des Mittags und des Golfes mich wieder aufnehmen.
Offensichtlich sind meine Nerven für solche Vorgänge doch zu
schwach konstruiert. Ich beginne erst wieder richtig zu ticken, als ich
von der Autobahn aus Cannes sehe. Ich bin fünfzig Kilometer weit
geflohen. Vor nichts und niemand. Und das Paßwort hatte gestimmt.
Alain ist merklich verblüfft, als ich ihm am Telefon erzähle, daß ich
gerade ein bißchen Sightseeing zur Entspannung mache, jetzt kurz vor
und über Cannes stehe und so in einer Stunde mich mit ihm im Café
des Artes treffen könne.
Dieser Tag war wirklich schön. Im Wagen wurde es fast überdeutlich warm. Am besten fährt man, wenn man beide Seitenscheiben
unten und das Dach offen hat. Allerdings gehört dazu eine richtig gute
Fußheizung. Dann kann man wirklich im Licht des Frühling und a
volant la rue genießen. Man rollt unbeschwert durch beginnendes
Grün, durch helles, frisch gewaschenes, freundliches Land. Und am
Bouleplatz sitzt man im Freien, mindestens bis Sonnenuntergang. Es
ist nicht die Frage der Temperatur, es ist die Sache der Sonne. Wer im
Sonnenschein sitzt, sitzt im Leben, in der Wärme, wer um die Ecke in
288
den Schatten geht, der sollte lieber den Schal, den man jetzt immer
offen über der Schulter trägt, wieder dicht um den Hals schließen.
Diesmal trinke ich am hellen Tag Rotwein. Alain hat mir dazu
geraten. Es sei nicht das Zeug für die Touristen, jetzt könne man es
trinken. Wir drehen den neu gewonnenen Schlüssel durch die Finger,
Alain hat einen Schwager, dessen Bruder einen kennt, der Tresore
aufmacht, oder so. Selbst der, kaum eine halbe Stunde später eingetroffen, kann nur sagen, daß solch ein Schüssel manchmal zu einem
Stahlschrank oder Tresor gehört, kaum aber zu einer Bank. Für eine
Bank zu klein und popelig, für einen Privatmann ungewöhnlich. Vielleicht, daß man in der Industrie solche Schränke verwendet. Und zu
der Nummer kann er erst rechts nichts sagen. Das ist eben der 1295ste
Schrank in solch einer Reihe. Aber wo die stehen, nein, da ist auch der
beste aller Schwager überfragt.
Ich erreichte nach einer weiteren Nachtfahrt am Freitag wieder
heimatlichen Boden und legte mich gegen Mittag hin, um etwas zu
ruhen. Am Abend hatte ich Fieber und der Arzt stellte mir noch am
selben Abend einen gelben Urlaubsschein für über vierzehn Tage aus.
Die Lungenentzündung hatte mich erwischt. Und die vierzehn Tage
brauchte ich dringend. So hat sich dann bei mir in der Firma die Meinung festgesetzt, daß ich nicht zu denen gehöre, die krank machen,
ohne ernsthaft krank zu sein.
Szene 18, take 2
Der Herr Staatsanwalt gab sich mal wieder telefonisch die Ehre,
mit mir den Fall Dueleen durchzusprechen. Er hatte in der Zwischenzeit einen festen Platz in meiner Terminplanung gewonnen. Wenn es
Montag wurde und meine Wochenanfangssitzung gerade vorüber war,
ich in meinem Büro saß und eben die erste Zigarette anzündete, rief
Schwiek an. Mal berichtete er mir vom Ausgang des einen der Konkursverfahren, Dueleen Film betreffend, mal von wiedergefundenem,
289
verschwundenem Betriebsmaterial der Firma. Mal fragte er mich auch
nach der Anzahl der Kameras, die zu Dueleens Leicasammlung gehörten. Dann suchte er weiter. Einem Kameramann zum Beispiel hatte die
Polizei unter dem Bett eine komplette Ariflexausrüstung herausgeholt.
Er behauptete natürlich, sie nur ›sichergestellt‹ zu haben, damit sie im
Trubel der Auflösung des Dueleenschen Imperiums nicht gestohlen
würde. Schwiek schüttete mir öfters sein Herz aus. Da hatte die Polizei den Dieb eines Seidenteppichs aus der Villa am Wald gefaßt, und
dort tauchte auch noch Rohfilmmaterial aus Hehlerbeständen auf.
Eigentlich viel zu tun, aber für Schwiek war das Polizeiarbeit, er suchte die große Summe.
»Die Summe, die wir suchen, liegt wirklich bei zweiunddreißig
Millionen. Das ist das, was meiner Ansicht nach so ziemlich genau
dem Fiskus hinterzogen wurde. Wir sind seit Wochen dabei, die
Buchhaltung Schritt für Schritt durchzugehen und die Querverweise
zu schreiben, um dann bei den anderen Firmen gegenkontrollieren zu
können. Aber…«, er sah auch das offensichtlich als Aufgabe anderer,
unter- oder zugeordneter Behörden an, »…die Frage für mich ist, was
hat er mit dem Geld gemacht. Ich suche die Grundstücke, die Firmen,
die den Gegenwert darstellen. «
Der Schlüssel aus dem Schließfach und das Opinell, das mir
Alain vor einiger Zeit mal geschenkt hatte, lagen in einem kleinen
Holzkästchen, etwa wie die früheren Griffeldosen, vor mir auf dem
Tisch. Ich schob den Deckel etwas zurück und betrachtete den Schlüssel.
Schwiek zählte mir an Telefon auf, was die Briefmarkensammlung heute wert sei und wie wenig, zumindest relativ, Dueleen dafür
bezahlt hatte, damals. Ich hielt diese Art von Wohlstandsmehrung für
nicht strafbar und Schwiek gab mir recht. Um ihm irgendeine Antwort, eine scheinbare Unterstützung zu geben, fragte ich nebenbei, ob
er Dueleens Waffen schon einmal untersucht habe. Merkwürdigerweise ereignete sich jetzt auf der anderen Telefonseite eine bleierne Stille.
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Schwiek beendete verblüffend schnell das Gespräch, versprach am
nächsten Tag, zur selben Zeit, sich mal wieder mit mir über Herrn
Dueleen zu unterhalten.
Natürlich war mir klar, daß die Anrufe nicht aus Freude an meiner Stimme kamen, sondern daß er sich jedes Mal ein kleines Stückchen Bild mehr von Dueleen machte. Wenn ich nur beispielsweise
erwähnte, daß Herr Dueleen öfter Spielzeugeisenbahnbauteile aus
Stuttgart bezog, so war der dortige Händler recht schnell gefunden
und dessen Buchhaltung untersucht. Allerdings, ich mußte wirklich
lächeln, war Bargeld die Methode des Herrn Dueleen gewesen. Und
das ist schlecht verfolgbar.
Daß Schwiek Dienstag, am Vormittag anrief, fand ich nicht
mehr so gut, irgendwann mußte auch ich mal Arbeiten. Und außerdem
wollte ich ja nicht allzu bekannt machen, daß ich fast wöchentlich mit
einem Staatsanwalt telefonierte. Ehrlicherweise mußte ich mir allerdings zugeben, daß ich diese Telefongespräche auch suchte. Damit
war meine Verbindung zum ›Fall Dueleen‹ offengehalten. Eigentlich
informierte mich Schwiek recht gut und er bekam dafür Anekdoten
und Geschichten aus dem Leben Dueleens geliefert. Ich fütterte ihm
mit Namen und Kunden, die er schon sicher aus den Büchern der Firma hatte lesen können, schilderte Auftritte auf Messen, die so öffentlich waren, daß schon keiner mehr hinsah. Aber Schwiek hörte aufmerksam zu.
Diesmal begann er das Gespräch anders. »Herr Nader, Sie haben uns auf eine Spur, nein, ich möchte lieber sagen, eine Ungereimtheit geführt, die wir noch langfristig untersuchen müssen. Stellen Sie
sich vor, in der Webeka, also das ist die Waffenbesitzkarte, die bei der
dortigen unteren Ordnungsbehörde geführt wurde, sind folgende Waffen aufgeführt…«. Er las vor, und ich ging im Geiste an der Wand im
Untergeschoß des Hauses am Wald durch den langen Gang, an dem
rechts all diese Dinge hingen. Stets zu meinem Erstaunen, denn eigentlich war verschlossenere Aufbewahrung vorgeschrieben.
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»Ein MAS-Schnellfeuergewehr, französische Bauart…«,
stimmt, schwerer, dunkler Schießprügel. Militärwaffe. Durfte in
Deutschland nur verkauft werden, wenn der Selbstlademechanismus
blockiert war. Dueleen hatte es so gekauft und eingetragen, die kleine
Änderung rückwärts hatte er durch einfaches Einsetzten eines in der
Schweiz frei erwerbbaren Ersatzteils erreicht. »…ein Karabiner
98…«, klar, stimmte auch, hervorragender Erhaltzustand, natürlich
nummerngleich. Die Standardwaffe der deutschen Infanterie.
»…Kleinkaliberrepetierer .22 lfb…«, richtig. die kleine Petsche. War
ein Zielfernrohr drauf, schoß richtig genau. Wir hatten mal im Sommer ein paar Schuß auf dem hinter dem Haus liegenden Schießstand
gemacht, der allerdings eigentlich nur für Luftgewehr genehmigt worden war. »…Unterhebelrepetierer 30.30…«, diese Winchester der
Ausführung one of a thousend. Ausgewählte Ware. »…Schrotflinte…«, richtig, Schwarzpulver, Damastlauf. Eigentlich ein Ausstellungsstück, aber so noch funktionsfähig. Dazu kam noch, Schwiek
führte die Aufzählung zu Ende, die Tontaubenflinte, der Bergstutzen
und die schwere Holland & Holland, Nitroexpress.
Ja, ich mußte zugeben, ich kannte alle diese Waffen, hatte sie
mal in der Hand gehabt und wußte, daß meist eine kleine Geschichte
damit verbunden war. Die Remington-Pistole zum Beispiel. Ich hatte
bei der Aufzählung die Pistolen und Revolver nicht gehört. Ich fragte
danach. »Richtig, hier sind noch zwei Pistolen eingetragen. Eine
Brünner 6.35 und eine Remington Schnellfeuer. «
Manchmal muß man das Wild auch anfüttern. Es ging mir wirklich gegen den Strich, diesem Staatsanwalt Brocken hinzuwerfen und
in seinen Augen dann der Informant zu werden, den er nicht liebte.
Denn Merke: Man liebt den Verrat, aber nicht den Verräter. Aber ich
wollte ihn ja auch als Informationsquelle behalten.
»Herr Schwiek, es müssen noch mehr Faustfeuerwaffen auf der
Liste stehen, ich selbst habe eine 357 Magnum mit Vierzollauf in der
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Hand gehabt, auch eine PPK habe ich gesehen. «, sagte ich, mich
selbst ein wenig über mich wundernd.
Schwiek war überschwenglich, er bedankte ich für den Hinweis,
schrieb alles mit und versicherte, daß es sich doch lohnen würde,
wenn wir den Fall Dueleen so durchsprachen. Aber er hätte mir das
Wichtigste eigentlich noch gar nicht gesagt. All die von ihm aufgezählten Waffen waren weg. Verschwunden, vielleicht gestohlen. Frau
Dueleen sei außer Verdacht, die Putzfrau bestätigte, daß diese Waffen
alle schon Mitte August von den Wänden verschwunden seien. Also
zu Lebzeiten des Herrn Dueleen. Und seine Frage war, ob ich die
Waffen danach noch einmal gesehen hatte. Gute Frage, ich versicherte
nein, das Gespräch verlief bis zum baldigen Ende in Floskeln.
Ich hatte es wirklich satt, immer wieder verblüfft zu werden.
Aber diesmal funktionierte es mal wieder. Wieso waren die Waffen
weg. Nicht wegen der Tatsache, daß es Waffen waren, die mußte man
mehr als persönliches Spielzeug ansehen, mit dem kein Schaden angerichtete werden sollte. Nein, es ging mir um Gewicht, Transport, Lagermöglichkeit und um die Grenze, über die das alles gebracht werden
mußte.
Mercedes hätte es nicht übersehen können, wenn diese acht
Langwaffen ins Mittelmeerhaus transportiert worden wären. Wenn
man jeder Waffe so vier bis fünf Kilo Gewicht zuordnete, so waren
das vierzig sperrige Kilo, die auch nicht so einfach in eine Ecke gestellt werden konnten. Außerdem war ja auch noch etwas Munition zu
den Waffen vorhanden. Zwei Kilo im Schnitt gerechnet, noch mal
Gewicht, das getragen werden müßte. Und die Hüllen und Koffer um
alles herum. Mir war, eigentlich schlagartig klar, hier war etwas anders gelaufen, als Schwiek es sich vorstellte.
Es konnte nicht sein, daß die Waffen gestohlen wurden, während Dueleen im Haus war und auch Mercedes hätte ja sofort Alarm
geschlagen. Ich rief Mercedes an, erkundigte mich nach den Erfolgen
293
der Stellensuche und heiterte sie ein wenig auf. Ich erfuhr auch auf
direkte Frage, daß sie vom 17. August an ein paar Tage Urlaub bei
ihren Eltern gemacht hatte und direkt nach St. Tropez geflogen war.
Sie hatte das Haus am Wald also nicht mehr gesehen. Dueleen mußte
sich in der Zeit auf Geschäftsreise befunden haben, denn er hatte keine
besonderen Wünsche für diese Zeit angemeldet. Ich fragte, ob denn
der neue Porsche in der Garage gestanden hatte und erhielt die nächste, zunächst unsinnig erscheinende Information. Der Porsche und der
Kübel standen damals in Freiburg-Glaubensberg noch in der Garage.
Der Kübel war nämlich noch gar nicht zurück nach Frankreich gebracht worden. Dueleen Krankenhausaufenhalt im Frühjahr hatte das
nicht nötig erscheinen lassen.
Szene 18, take 3
Ich saß vor meinem Puzzelspiel. Ich hatte alle Teile wieder aus
der Firma zurück in mein privates Arbeitszimmer gebracht und eine
kleine Sperrholzkiste gefunden, in die ich alles einsperren konnte.
Neben dem Opinell lag dort meine Karteikarte aus Dueleens Unterlagen, die die drei interpretierungswürdigen Zeilen beinhaltete. Ein
Stück Toilettenpapier, jetzt mit breitem, durchsichtigen Tesafilm
überklebt, befestigt und handhabbar und ein Schlüssel, der vielleicht
zu einem Stahlschrank gehören könnte und der Dueleen wichtig genug
war, ihn in St. Tropez in der Bank zu verschließen. Dazu legte ich
jetzt ein Stück Papier auf dem stand: Waffen im August weg, wohin?
Kübel im August noch in Freiburg, wie nach St. Tropez?
Dann ging ich in meine Stammkneipe, saß in rauchiger Luft, zu
der ich selbstverständlich nach Kräften beitrug, sah dem anderen beim
Dartspiel zu, trank Bier und fragte mich immer wieder, wie man so
sechzig Kilo Waffen und Munition wegbekommt. Ich war sicher, daß
es Dueleen selbst gewesen war, der die Waffen ausgelagert hatte. Er
mußte es selbst gewesen sein.
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Wie bekommt man vier Elefanten in einen VW. Das war ein
Uraltwitz aus der Elefantenreihe. Der Wirt stellte mir ein neues Pils
vor den Kopf und wünschte »zum Wohl«. Ich bedankte mich und
beantworte meine Elefantenfrage mit ›zwei hinten, zwei vorne‹. Die
Elefanten stellte eine Witzreihe dar, der nächste, der, ermüdend oft
gehört, jetzt kommen mußte, war ›und wie stellt man fest, daß die
Elefanten im Hochhaus sind? ‹ Auch hier wußte jeder die Antwort:
›Dann steht der VW davor‹. Etwas elektrisierte mich, der Wirt stellte
mit »zum Wohl« das nächste Pils vor meine Nase. Klar, nur die Fakten sehen. Der VW-Kübel war zuerst in Freiburg-Glaubensberg, dann
in St. Tropez. Die Waffen waren zuerst im Haus am Wald, dann wurden sie mit dem Kübel gefahren.
Nein, nur vielleicht, da fehlte mir noch ein Schritt.
Szene 18, take 4
Herr Mildekerk rief mich an, der ehemalige Tonmeister Dueleens, von dem ich schon wußte, daß er einen Koffer mit kompletter
Ariflexausrüstung ›sichergestellt‹ hatte und jetzt bei mir Unterstützung
suchte. Ich versicherte ihm, daß ich oft gesehen hatte, daß er nach
einem Drehtag technisches Material in seinen Privatwagen geladen
hätte. Auch gab ich ihm zu, daß dies auch hinundwider eine der Ariflexen gewesen war und war mit ihm seiner Meinung, daß eigentlich
alle Welt nur gegen ihn sei und daß es schade um Werner Dueleen
war. Ein wirklich feiner Mensch.
Ich erkundigte mich, wann er denn Werner Dueleen das letzte
Mal gesehen habe. »Das war im August, als ich ihm half, den Stahlschrank aus der Registratur in den Kübel zu schaffen. « Da ich meine
Erfahrungen mit Verblüffungen im ›Fall Dueleen‹ gemacht hatte, reagierte ich ruhig und ließ ihn weitererzählen.
»Es war ungefähr Mitte August. Da haben wir noch in der Registratur umgeräumt und einen alten Stahlschrank rausgestellt. Früher
295
mußte das Filmmaterial immer in feuersicheren Schränken gelagert
werden. Das war am Anfang noch hoch feuergefährlich. Und den
Schrank, ein richtig stabiler, eine Art Tresor, wir mußten ihn zu dritt
und viert auf den Rücksitz des Kübels hieven. Verdammt schwer. «
Mildekerk versuchte mir dienlich zu sein, erhoffte irgendwie eine
Aussage von mir. Wahrscheinlich vor Gericht. Vielleicht aber auch
nur zu seiner Selbstbestätigung.
»Paßt so ein Schrank denn überhaupt in den Kübel«, vergewisserte ich mich. »Paßgenau, der lag auf den Rücksitzen, wie dafür gemacht. Wir haben die Tür extra noch nach oben gedreht, damit sich
der Griff nicht in die dünnen Polster bohrt. « Mildekerk war stets ein
vorbildlicher Mitarbeiter, der mitgedacht hatte. Ich versicherte ihm,
daß ich, falls notwendig und möglich, eine Aussage in seinem Sinne
machen würde.
Am Abend rief ich Alain an und sagte: »Wir suchen einen
Stahlschrank, der ist sechzig mal sechzig Zentimeter breit und ungefähr ein Meter sechzig oder siebzig hoch. Er ist grau angestrichen und
hat ein Schlüsselloch in der Mitte. Darüber ein metallischer Griff, der,
falls er geschlossen ist, waagrecht steht. Der Schrank ist schwer, ich
denke über einhundertzwanzig Kilo. Und er steht in einem trockenen
Raum, der gut abgeschlossen ist. In dem Schrank sind Millionen an
Geld oder Papieren und mindestens acht Gewehre. «
Alain hielt mich für verrückt. »Don Bertram«, sprach er beruhigend auf mich ein, »Dueleen war vorsichtig, aber er war doch nicht
verrückt. « Ich schilderte ihm die notwendigen Schlußfolgerungen und
er akzeptierte. Widerwillig und maulend. Aber es mußte so sein. Er
sah es ein. Er würde die bon frére befragen. Das sei eine einfache
Aufgabe. Irgendwo müßte Dueleen das Ding ja abgestellt haben. Spedition, Lagerhaus, vielleicht bei einem Freund. »Ja«, sagte ich, »irgendwo muß er es abgestellt haben. «
296
Szene 18, take 5
»Herr Nader«, sagte Schwiek zu mir am Telefon, »wir müssen
uns unbedingt mal wieder persönlich treffen. Ganz zwanglos. Es gibt
wieder viel zu bereden, bei dem man sich mal ins Auge blicken sollte.
« Ich hoffte, daß Schwiek nicht ahnte, daß ich den Kontakt zu ihm
nicht abbrechen lassen wollte, denn er stellte immer noch meine beste
Informationsquelle zum ›Fall Dueleen‹ dar. Richtig betrachtet, meine
einzige, die noch funktionierte.
Ich hatte Mercedes ohne große Schwierigkeiten überreden können, die Telefonbuchseiten, die sie noch besaß, zu fotokopieren und
mir zu schicken, aber viel mehr war aus dem Mädchen nicht herauszuholen. Ich war immer wieder verblüfft, wie sehr Dueleen es geschafft hatte, sie in Unkenntnis zu lassen. Selbstverständlich bekam
sie Bargeld auf die Hand, also woher sollte sie die Bankverbindung
kennen. Oder aber auch die Geschäftsfreunde. Der Herr Ried war für
sie von irgendeiner Fluggesellschaft. Mehr wußte sie nicht darüber.
Allerdings konnte ich aus dem Telefonbuch von Dueleen eine Telefonnummer in Valencia ermitteln. Ich versuchte es, Treffer.
Er hatte über Umwege bereits vom Tod Dueleens erfahren, in
der Industrie war die Information recht schnell gewandert, hatte aber
selbstverständlich keinen Kontakt zu Frau Dueleen oder jemand anderem. Wir sprachen über alte Zeiten und ich fragte ihn, wie nun fast
jeden, den ich kannte, nach Dueleen aus. Ein paar wilde Abende in
Hamburg und München waren nicht so erwähnenswert, aber Ried war,
wenn auch nur sehr umrißhaft in die Lage, zu erklären, wo sich diese
einige Male erwähnte, aber nie greifbare Eigentumswohnung von
Dueleen befindet oder zumindest befand.
Ich legte ein regelrechtes Gesprächsprotokoll an und ließ mir
die meisten Antworten, so weit wie möglich, diktieren. Ich wollte
nicht, daß meine persönliche Interpretation in die spärlichen Informationen, die sich noch in Rieds Gehirn gehalten hatten, einfloß.
297
Deshalb lagen jetzt in meinem kleinen Sperrholzkasten zwei zusammengefaltete Briefbögen, auf denen ich das Ergebnis meiner Befragung zusammengefaßt hatte. Schon aus Gewohnheit nahm ich die
Kisten vor und spielte mit dem Inhalt. Diesmal las ich mal wieder die
Beschreibung:
» Telefonnotiz vom 30. 4. - Manfred Ried tel. aus Valencia
... also das ist schon fürchterlich lange her, aber ich versuch'
noch mal so genau wie möglich zu erzählen, wie wir damals gefahren
sind:
Vom Airport Nice sind wir über den Parkplatz nicht in Richtung Nice, sondern in Richtung Cannes usw. gefahren.
Auf entspr. Frage: Auch nicht Richtung Berge, nicht nach
Grasse.
Dort gibt es mehrere Verkehrsverteiler hintereinander. Man
fährt auch unter der Autobahn durch und daneben entlang. Das war
alles eine große Autobahnbaustelle. Fünf Kilometer, dann ist man aus
dem Straßengewühl draußen und fährt dann auf einer ganz normalen
Nationalstraße.
Auf entspr. Frage: Da ist alles noch bebaut, das sind die Ausläufer von Nizza.
Dann geht es circa eine Viertelstunde lang von Nizza weg.
Nicht auf der Autobahn, auch nicht auf der Straße an der Küste entlang. Ein paarmal wird abgebogen, aber eigentlich fährt man immer
geradeaus.
Nach weiteren 30 Minuten kommt man dann über einen Berg,
oder besser Hügel.
Auf entspr. Frage: Keine offensichtliche Ortsdurchfahrt folgte
mehr.
Hinter einem sind die Berge, vor einem, wird es etwas flacher.
Da sieht man das wieder das Meer. In einer Entfernung von 1 bis 2
Kilometern.
298
Auf entspr. Frage: Natürlich ist das etwas bebaut. Aber das ist
keine Stadt, das ist vielleicht das Randgebiet von einer Stadt.
Auch an der Küste ist keine volle Bebauung. Nur hin und wieder, man sieht die Küstenstraße. Dann biegt man von einer größeren
Straße nach links ein.
Auf entspr. Frage: Vom ersten Blick aufs Meer bis zum Haus ist
es nur ein Kilometer. Jetzt geht es links hoch und das Meer ist rechts.
Die Straße ist in keinem guten Zustand. Wegen Bauarbeiten oder so.
Nur rechts stehen Häuser. Es gibt Straßenbeleuchtung. Am Anfang der
Straße ist ein Geschäft oder eine Kneipe oder zwei. Es sind ungefähr
zehn Häuser nebeneinander. Die Straße hört irgendwie auf oder verläuft weiter hinten. Das Haus steht ungefähr in der Mitte der 10 Häuser, es läuft noch eine Gasse den Berg hinunter oder sogar ein paar.
Aber da waren wir nicht. In den Gassen stehen keine Häuser. Das ist
nur eine Hausreihe. Einige sind Doppelhäuser.
Auf entspr. Frage: Ungefähr zwei oder drei Stockwerk hoch.
Wir sind durch einen großen Eingang, wie Hotel oder Kaufhaus
oder so gegangen. Der Eingang war aus Aluminiumrahmen. Glas und
ähnliches. Hell beleuchtet.
Auf entspr. Frage: Aber vielleicht nicht ganz neu.
Wir sind sofort nach rechts gegangen, dann links eine lange
Treppe hinaufgestiegen. Wie durch einen Tunnel. Oben noch mal
nach links gedreht, vielleicht. Da war der Kasten, hinter dem Strom
und Wasser eingeschaltet wurde.
Auf entspr. Frage: Eine Blechtür in der Wand.
Dann rein in die Wohnung. Normale Tür, links Toilette- mit
Fenster. Links ist auch die Küche, dann links - alle Zimmer waren
links nur das große Wohnzimmer war vorne. Aber da kam man auch
so rein, da es links lag. Also Toilette, Küche, Zimmer oder noch eine
Kammer, dann das große Zimmer mit der Schiebetür.
Auf entspr. Frage: Fenster mindestens 4 m breit.
Und ein Balkon davor aus Beton - solche Figuren wie Nixen
und Wasserträger usw. auf Sockeln. Nach links und rechts war, glaub'
ich, Wand. Es konnte keiner in den Balkon reinschauen. Deswegen
299
war die Wand. Hat er mir erzählt, hat er extra machen lassen, damit
ihm keiner zuschaut.
Eigentlich waren da sehr wenig Möbel. Ich erinnere mich kaum
- ein, zwei Sessel, ein Glastisch und... irgendwie war das alles fertig
aber mit sehr wenig Möbeln.
Auf entspr. Frage: Es müssen zwei Schlafzimmer gewesen sein.
Ich hatte ein richtig großes Bett im Zimmer und Werner auch.
Es gab schwarze Lederstühle. Mit drei Beinen, komische Konstruktion. Habe ich nie wieder gesehen. Der Balkon, die Terrasse war
6 oder 8 m breit und bestimmt 4 m tief.Die Brüstung war aus Beton so
Gitter und Bogen und Podeste mit Figuren. Der Boden war gekachelt
im grün/braun während das Wohnzimmer ziemlich hell gekachelt war.
Auf entspr. Frage: Nichts von Heizung in der Erinnerung. Auch
kein Kamin.
Man sah von der Terrasse in einem bis zwei km das Meer und
weil es dunkel war, einige wenige Lichter im Grün dazwischen.
Auf entspr. Frage: Keine Stadt
Das Haus lag nicht sehr hoch über dem Meer, also keine Klippen oder Berge, nur so ein sanft ansteigender Hügel, hinten wo das
Haus stand, etwas mehr. Ich glaube nicht, daß das in einer Stadt war,
es muß gegebenenfalls ein Randgebiet gewesen sein.
Auf entspr. Frage: Es war nicht Cannes, das kenne ich. Aber wo
- irgendwo bei Antibes vielleicht, aber das auch nicht, das kenne ich
auch. Mutmaßlich irgendwo auf dem Land zwischen St. Tropez und
Cannes.
Zurück sind wir über die Autobahn gefahren, also eine Auffahrt
war so 15 Minuten entfernt. Die Autobahn war eine riesige Baustelle.
Über die Autobahn hat es aber länger gedauert. Dueleen sagte noch,
der fährt immer über die Landstraße, weil das viel günstiger ist.
Auf entspr. Frage: Zum Zeitpunkt: Es wird so Ende 70er, Anfang 80er gewesen sein. Nach seiner Aussage hat er die Wohnung - es
war eine Wohnung in einem größeren Haus - bar bezahlt.
Auf entspr. Frage: Die Wohnung war als Fluchtpunkt gekauft.
Werner wollte nicht, daß die Wohnung bekannt wurde. Auf keinen
Fall seiner Frau und der Firma und dem Finanzamt. «
300
Das Treffen mit Schwiek fand diesmal in ›Five Continental‹ im
Frankfurter Flughafen statt. Im Flugsteig B, nach Süden gelegen, ist
ein erwähnenswert gutes Restaurant. Besonders, wenn man die überteuerte Primitivgastronomie im restlichen Flughafen als Vergleich
heranzieht. Geboten wird die ruhige Atmosphäre der dicken Postersessel und Stühle, die Ruhe gedämpfter Teppiche, die Freundlichkeit
sauberer, weißer Tischdecken. Auch Kellner und vor allem Küche
waren deutlich über dem Niveau. Also ein Treffpunkt für Manager
und Vielflieger, die einmal Pause machten, ein paar Absprachen mit
Ihren Kunden trafen und auch einmal eine etwas andere Küche als die
der Flieger wollten.
Diesmal gelang es mir nur, pünktlich zu sein. Ich hatte den
Fußmarsch aus der Tiefgarage durch die Unterwelt des Bahnhofseingangs und auch die Länge des Armes von Flugsteig B kürzer eingeschätzt. Daher reichten meine fünf eingeplanten Vorminuten eben nur
zur Pünktlichkeit. Aber es war immer noch Zeit genug, den Sitzplatz
zu bestimmen. Schwiek kam eine Minute hinter mir.
Wir begrüßten uns wie alte Freunde, wählten zum Mittag als
Aperitif Champagner und Schwiek erzählte, ohne mir eine Frage zu
stellen, die Situation, wie sie sich ihm darstellte. Er hatte die Buchhaltung der Filmfirmen Dueleens durchleuchtet. Die Finanzierungen
waren praktisch immer Tafelgeschäfte gewesen, kaum zu beweisen,
aber zu vermuten. Ich fragte nach.
»War wirklich einfach für ihn«, erklärte Schwiek. »Dueleen
muß, da bin ich mir sicher, so in den siebziger Jahren einmal zu einer
riesigen Summe Geld gekommen sein, denn da begann sein wirtschaftlicher Aufstieg. Vorher hat er drei oder vier Banken für die Finanzierung eines Films gebraucht, plötzlich konnte er sich die Bank
aussuchen, die ihm das Geld lieh. « Schwiek schien seine eigene Meinung über Bank und Bänker zu haben, und die war nicht die Beste.
301
»Warum hat er denn nicht einfach das Geld zum Filmemachen
genommen«, fragte ich zurück, obwohl mir der Weg der Vermögensvermehrung an dieser Stelle vollkommen klar war.
»Dueleen hat bei einem Bänker, sagen wir, zwei Millionen Dollar angelegt. Geschätzt als dessen Bankobligation. Und natürlich in
seinem Depot gelagert. Dafür bekam Dueleen erträglich Zinsen und
der Bänker hatte ein Geschäft gemacht. Dann lieh er sich zwei Millionen vom Bänker, der ja damit kein Risiko einging. Deswegen bekam
er es auch problemlos. Sagen wir mal zu vierzehn Prozent. Und diese
Kosten hat er dann bei der Steuer als Kosten des Filmprojekt geltend
gemacht. « War für Schwiek die einfachste Sache der Welt.
»Wo ist der Gewinn? « Ich mußte so fragen, sonst hätte
Schwiek nicht weitererzählt.
»Die Vierzehn Prozent Zinsen bei der Bank waren doch für den
Bänker ein tolles Geschäft. Da hat er dem Dueleen eine Provision
gezahlt, geschätzt so ein bis zwei Prozent. Also grob geschätzt mal
dreißigtausend Dollar. In der Schweiz aufs Konto, acht Prozent Steuern für die Schweiz, ordentlich entrichtet!«
Ich zeigte mich beeindruckt und versuchte auszurechnen, wie
hoch die Gesamtsumme ist, die da geflossen sein mußte. Schwiek half
mir mit Faktenwissen aus. »Sind mehr als dreihundert Filme, die so
finanziert worden sind. Wenn wir alle anderen Tricks weglassen, hat
er allein durch die Finanzierung in den letzen fünfzehn Jahren knapp
dreißig Millionen Mark gemacht. Und dann kommt noch dazu, was
durch die Beleihung der Häuser verschwunden ist. «
Daß Schwiek noch Fragen an mich hatte, war ganz klar. Er war
nicht im ›Five Continental‹ um Champagner zu kleinen Steaks zu
schlabbern, um small talk zu machen. Irgend etwas wollte er wissen,
daß er nicht so direkt fragen konnte oder wollte.
302
»Bei solchen Summen kann die Steuerbehörde Prämien aussetzen, um an den großen Brocken zu kommen. Also verstehen Sie mich
nicht falsch Herr Nader, aber wenn Sie zum Auffinden des Geldes
oder der Werte überhaupt beitragen, kann ich ihnen zehn Prozent der
Summe versprechen. «
Jetzt war es raus. Also so was wie Bestechung. Und dann anschließend kommt der Staatsanwalt, schmeißt einen ins Loch, nimmt
unredlich Erworbenes wieder an sich. Ich hörte mal wieder die mir
langsam bekannte Nachtigall trapsen.
Ich versicherte Schwiek, daß dieses Angebot mich äußerst interessieren würde, denn »wer lehnt schon drei Millionen ab«. Und
versprach auch, mir intensiv die Gedanken zu machen, die notwendig
waren. Ich versprach sofort und ohne Zögern, ihm alle Fragen zu beantworten, die er stellen könne und hoffte auf eine gedeihliche Zusammenarbeit. Allerdings bräuchte auch ich seine Informationen, denn
nur durch Zusammenfügen allen Wissens sei der Weg nachzuvollziehen, den Dueleen gewählt hatte, sein Vermögen verschwinden zu lassen.
Schwiek war ergriffen von meiner Bereitschaft und ich hoffte
auf mein Pokerface. Die Situation war wirklich abstrus. Man belog
und betrog sich gegenseitig mit freundlichster Mine und versicherte
sich gegenseitiger Hochachtung.
Jetzt mußte aber auch ich Futter vor die Sau werfen. Ich erzählte Schwiek von dem alten und neuen Aquamarina, den ich über die
See geholt hatte und tat dabei sehr geheimnisvoll, ließ aber natürlich
Marita aus der Erzählung außen vor. Schwiek war dankbar. Er wollte
versuchen, die Einziehung des Bootes in Frankreich durchzusetzen.
Allerdings konnte es sein, daß die Franzosen dieses Schnäppchen
gerne selbst machen würden. Als wir uns verabschiedeten, hatte ich
das Gefühl, aus einem Traum aufzuwachen. Es war unrealistische
Realität.
303
Szene 18, take 6
Dr. Ast hatte eine Woche später ebenfalls das dringende Bedürfnis, mal wieder einen privaten Abend einzulegen. Es wollte, nach
eigener Bekundung, über alte Zeiten sprechen und dabei auch wieder
ein Glas Wein trinken. Er wählte die ›Glashütte‹ im Backsteinbau aus,
eine feine Wahl, denn der Italiener, Luigi gerufen, war erste Wahl.
Nicht unbedingt als Pizzeria aufgezogen, bot Luigi hervorragende
italienische Küche und hatte Weine, die das Herz erfreuen konnten.
Ich hatte nur eine kleine Speise aus drei verschiedenen Nudeln
gewählt, Dr. Ast hatte mir kräftig schweren Rotwein nachgegossen
und wir hatten unseren parallel verschobenen Aufstieg praktisch
durchgesprochen, als er plötzlich auf Dueleen zu sprechen kam. Frank
und frei erzählte er, daß er von einem Staatsanwalt das Angebot erhalten habe, für die Wiederbeschaffung von vielen Millionen jeweils
zehn Prozent zu erhalten. Meine Abhärtung im Fall Dueleen war so
weit fortgeschritten, daß ich nicht mehr überrascht war. Ich konnte die
Nudeln ohne Bedenken schlucken und verschluckte mich nicht dabei.
Ich fand dies Angebot verlockend, fragte mich aber, wieso der
Staatsanwalt denn überhaupt mit Dr. Ast gesprochen hatte. »Er geht
offensichtlich alle Leute durch, die mal eine Banküberweisung von
Dueleen erhalten haben. « Er merkte, daß er auf Glatteis kam. »Zum
Beispiel auch HD Malmann. Der hat doch irgendeinen Streit um
zwanzigtausend Mark mit Dueleen gehabt…«, »ha«, dachte ich, »die
Summen steigern sich, bei mir hatte er zehn zugegeben…«, und deshalb ist die Untersuchung auch auf die Buchhaltung des Verlags ausgedehnt worden. « Ich machte ein bedenkliches Gesicht.
»Aber nein, Herr Nader…,« sagte Dr. Ast, »… wir sollten unser
Wissen zusammenwerfen und versuchen, zumindest die zehn Prozent
zu bekommen, ehrlich geteilt ist das ja auch immer noch was. « Dr.
Ast prostete mir zu. Ich prostete ebenfalls. »Dann rann an den schnö-
304
den Mammut«, sagte ich. Wir waren uns ganz einig geworden. Auch
mit Schwiek war ich einig geworden. Die Frage war nur noch, wann
sie alle über mich herfielen.
Zu erwähnen ist noch, daß HD Malmann mit mir am übernächsten Tag eine Verabredung beim ›Reich‹ hatte, selbstverständlich gut
über Herrn Dueleen sprach, den er eigentlich, trotz seiner verschiedenen Unarten, besonders gemocht hatte und mir ein Anbot machte, bei
der Suche nach dem Geld behilflich zu sein. Mindestens fünfzig/fünfzig, Unkosten natürlich abgezogen. Ich bedankte mich für das
Angebot, daß ich herzlich gerne annahm, aber leider nicht wußte, wie
ich es umsetzen solle.
Ich versicherte ihm, daß ich keinen Schritt weiter sehe, als alle
anderen im Moment. Ich empfahl aber dem Kontakt zu Frau Dueleen,
die ich als attraktive Endvierzigerin schilderte, die durchaus Niveau
besaß. HD Malmann leckte sich die Lippen. »Wie lange ist sie denn
jetzt eigentlich schon Witwe«, wollte er wissen. »Gut ein halbes Jahr«,
antwortete ich ihm. »Haben Sie die Telefonnummer«, fragte er. Ich
versprach, sie ihm am nächsten Vormittag durchzutelefonieren. Klar,
nicht an die Sekretärin, mich direkt verbinden lassen.
305
Szene 19, take 1
Alain rief mich unerwartet an und hatte, wie immer, anfangs
etwas Schwierigkeiten mit der Sprache. Ist auch zugegebenermaßen
schwierig, in einer fremden Sprache zu telefonieren.
»Don Bertram, « sagte er, »also, bitte verstehe es nicht falsch.
Du mußt wissen, daß Du gebeten wirst zu kommen. Nicht so, wie man
sagt, Du kannst nicht ablehnen. Nein, es ist wichtig, und wir bitten
Dich zu kommen. «
Natürlich sagte ich mein Kommen zu, begann aber sofort danach mit Nachdenken. Eine merkwürdige Sache. Ich wurde dringend
gebeten, zu einem Treffen mit M. Marteau nach Grasse zu kommen.
Natürlich war mir M. Marteau lieb und wert, ich kannte ihn ja ausgiebig genug als ehemaligen Kneipenchef des Café de Lyon, auch hatte
ich einen gewisse Ahnung, daß seine Macht weiter als seine damalige
Theke reichte. Aber die Einladung war doch schwer erklärbar. Auch
Alains Eifer war auffällig. Warum jetzt plötzlich wieder M. Marteau,
der sich in den Ruhestand zurückgezogen und auch noch einhundert
Kilometer von St. Tropez entfernt hatte. Aber eine so deutliche Bitte
wollte ich dann doch nicht abschlagen. Schließlich war Alain mein
zweiter Kontakt im ›Fall Dueleen‹. Und schließlich benahm sich der
erste Kontakt, mein Staatsanwalt ja auch merkwürdig genug.
Kurzbesuche machen Kurzflüge notwendig. Als ich am Lufthansacenter im Frankfurter Flughafen, Terminal eins, Halle B, meine
Tickets holte, gedachte ich doch der schönen Zeiten, als von hier aus
mal eine wirklich tolle Frau mit mir nach St. Tropez geflogen war.
Oder eigentlich ich mit ihr. Ich blickte meiner Groundstewardeß während sie im Computer das Ticket erklickerte, tief in die Augen. Sie
lächelte freundlich, gab mir mein Ticket und wünschte einen schönen
Flug. Mehr war irgendwie nicht drin. Warum auch. Ich hieß nicht
Dueleen, und zum St. Tropez-Effekt gehörte nun eben Dueleen. Ich
flog jetzt zu M. Marteau. Das war die andere Seite der Medaille. Die
306
Seite der Menschen, die im Tourismusgeschäft arbeiten. Die dort leben und die, wie auch wir, Umsatz und Gewinn machen. Die Geld
nicht im Urlaub und in Schönheit verplempern, sondern die Geld verdienen oder auch machen müssen.
Ich überlegte, ob M. Marteau sein Geld wirklich mit der Kneipe
verdient hatte. Wie denn die Beziehung zwischen Alain, dem Strandwirt und M. Marteau, dem Stadtwirt sein könnte. Was Dueleen in
dieser Beziehung wohl zu tun hatte und warum zum Teufel ich überhaupt in einer Maschine saß, die jetzt gerade über Genua nach rechts
bog, um demnächst den Landanflug auf Nice durchzuführen.
Ich war hinter dem Geld her, hinter Millionen, leicht verdienten
Millionen, sagte ich mir einmal. Dann sagte ich mir, es sei nur das
Spiel des Monsieur Dueleen, das ich mitspielte. Oder war es der Reiz
des Verbotenen, dem ich eigentlich so lange bedenkenlos folgen konnte, bis ich das Geld wirklich an mich nahm. Was wollte mir ein Staatsanwalt denn vorwerfen. Daß ich recherchierte, wo Dueleens Millionen
waren? Und warum sollte ich nicht recherchieren. In einen ›Fall Dueleen‹, in dem mir selbst der Staatsanwalt zehn Prozent anbot. Oder der
mich dadurch in die Falle locken wollte? Natürlich stellte ich auf Anweisung wieder den Sitz senkrecht, drückte die Kippe aus und klappte
das Tischchen vor mir hoch. Anschnallen wie immer, Landeanflug
und eine Außentemperatur von diesmal nur fünfundzwanzig Grad. Es
war Frühling, Frühling an der Cóte d'Azur.
Auch in Nizza bemerkt man noch einen Schimmer der Lichtes,
das im Frühjahr den Golf von St. Tropez so auszeichnet, wunderschöne Farbenklarheit, nicht stechend, eben nur farbig, hell, mit einer
leichten Fröhlichkeit. An der Promenade d'Anglaise, der kilometerlangen Promenade am Meer, waren die Palmen schon längst wieder ausgepackt, das Gras grün, die Frühlingsblumen blühten und die Häuser
und Vorgärten hatten ihren Frühjahrsputz hinter sich. Ich schlenderte
an der Meerseite auf dem Trottoire in Richtung Stadtmitte und warf
hin und wieder einen Blick über das Eisengeländer hinunter zum
307
Strand. In Nizza liegt der Strand geschätzte drei Meter unterhalb der
Straße und umfaßt die gesamte Bucht parallel zur Promenade. Der
Strand ist was gleichmäßig breit, sollen es fünfzig Meter sein. Nur
besteht er aus festen, vom Meer sauber gewaschenen, hellen Steinen,
an einer Stelle nur noch kieselgroß, an anderer doch noch vom Gewicht eines Backsteins. Im Sommer sind auch hier öffentliche und
private Strände in bunter Reihe nebeneinander. Im Frühjahr lohnt es
sich für die Plagisten offensichtlich nicht, ihre Strände zu öffnen. Nur
hin und wieder sieht man ein buntes Handtuch auf den hellen Steinen
und hin und wieder versucht auch jetzt schon eine Schönheit, zumeist
nur obenherum, nahtlos braun zu werden. Man ist doch mitten in der
Stadt und auch direkt am Meer. Man macht Kompromisse, kleine
Kompromisse, was die Größe der Tangas angeht.
Der Verkehr auf der Promenade geht immer mindestens dreispurig in beide Richtungen. Der Straßenlärm, durchaus laut, vermischt
sich mit dem Geräusch des Meeres und dem Rauschen der Palmen zu
einem typischen, deutlichen Geräusch. So hört sich Nizza an. Und
dieses Geräusch bleibt einem auch die Nacht erhalten, zumindest
wenn man, wie ich, ein kleines Hotel am Place Messena gewählt hatte.
Zentrale Lage bedeutet eben immer, der Straßenverkehr geht mitten
durchs Zimmer. Oder mindestens beinahe. Nach einer also nicht ganz
ruhigen Nacht nahm ich, um mir die Komplikationen der öffentlichen
Verkehrsmittel zu sparen, ein Taxi und ließ mich in die Höhe der Stadt
Grasse fahren. Pünktlich stand ich vor dem Haus, etwas außerhalb der
an einen recht steilen Hang gebauten Stadt, in der Rue Albert und
wurde freundlichst empfangen.
Das Haus stand, fast zwangsläufig, auch am Hang und war der
Straße zu durch eine vielleicht drei Meter hohe Mauer gestützt. Hinter
dieser Mauer hatte man ein wenig ebene Fläche für das Haus entstehen lassen und fast notgedrungen dadurch den Eindruck einer Burg
gewonnen. Das Haus thronte über der Mauer, der Eingang war ein mit
Eisentor verschließbarer Mauerdurchgang, dem eine lange Treppe
aufwärts folgte. Allerdings schon das Eisentor war von einem dieser
308
freundlichen Menschen verstellt, die so knapp zwei Meter groß sind,
etwas mehr als einhundert Kilo wiegen und deren Anzug, durchaus
feine Fertigung, immer den Eindruck macht, er säße etwas zu knapp.
So wurde ich auf diesem Weg mein Bordcase los, der junge
Riese stellte es, freundlich lächelnd natürlich, sofort in eine Kammer
hinter sich. Das Abtasten nach Waffen geschah zwar nur mit den Augen, aber ein zu dickes Feuerzeug hätte wahrscheinlich Alarm, nicht
nur in den Augen des Bodygards, sondern auch bei der recht gut getarnten elektronischen Anlage im Torbogen hervorgerufen.
Nachdem ich Prüfung Nummer eins erfolgreich bestanden hatte,
wurde ich von einem zweiten Herrn gleich freundlichen Gesichts und
gleichen Gewichts die Treppe empor geführt und in den großen Raum
begleitet, der mit einem gewaltigen Panoramafenster den Blick über
Grasse, über das ganze Land bis weit hinten zum Mittelmeer freigab.
M. Marteau begrüßte mich nun wirklich freundlich, auch wenn ich
dieses französische Küßchen hier, Küßchen dort, nicht so richtig vertrage und stellte mich seinen anwesenden Freunden vor. Fünf Herrn
im Alter so um die fünfundsechzig, hervorragender Schneider und
doch auffallend, etwas grobe Hände. Auch wenn auch hier die Maniküre hervorragendes geleistet hatte.
Es war M. Marteaus fünfundsechzigster Geburtstag. Ergriffen
schüttelte er mir auch anschließend noch und immer wieder die Hand.
Es tat ihm so leid um seinen guten Freund Werner Dueleen und daß
ich wenigsten gekommen sei, das war die Freude seines Alters. Auch
seine Freunde schlugen mit abwechseln mit der flachen Hand auf die
Schulter oder versuchten ihr bruchstückhaftes Deutsch oder ich mein
bruchstückhaftes Französisch. Nach einem Festtagsmahl, wie es nur
im Süden Frankreichs serviert werden kann, nach all dem Champagner und den vielen guten Wünschen und der Erklärung, daß man mir
vorsätzlich den Geburtstag verschwiegen hätte, um mich nicht in die
Bredouille der Geschenksucherei zu bringen - »was braucht ein alter
Mann noch, außer seinen Freunden« - nahm mich dann M. Marteau
309
doch beiseite und sagte wenige Sätze. Er sprach mehr zum Panoramafenster, mehr aufs Land hinaus, über Meer hinweg, als zu mir.
»Dueleen war unser Freund, Don Bertram, Du weißt nicht, wie
er uns geholfen hat, als wir alle vor fast zwanzig Jahren nicht mehr
wußten, wie wir hier unser Geld verdienen sollten. Weißt Du, es ist
wichtig, daß er zur richtigen Zeit uns geholfen hat. Sein Geld haben
wir ihm längst wiedergegeben, aber er und Du, Don Bertram, Du
bleibst unser Freund. Alain wird Dir helfen, das Geld, das Dir gehört
zu finden und Mdm. Balou wird Dir auch helfen. «
Ich umarmte M. Marteau, Küßchen links, Küßchen rechts. Ich
erhob mein Glas, trank auf Werner Dueleen und wunderte mich doch
ein bißchen, im Kreis einer solch ehrenwerten Gesellschaft zu stehen.
Und Alain stand nicht dabei herum. Ob ihm nur der dunkle Anzug
nicht stand. Ob er das richtige Alter oder die richtige Charge nicht
hatte?
Es wunderte mich schon nicht mehr, daß ich, wie alle anderen
auch, mit einer großen Limousine abgeholt wurde. Der freundliche
Herr am Eingang, mit dem etwas zu kleinen Anzug, reichte mir, immer noch freundlich, mein Bordcase und ich kletterte in den Fond.
Alain erwartete mich da.
Er war ja so erfreut, daß M. Marteau mich eingeladen hatte und
sprach von all den Anwesenden nur in bedenklich honorigem Ton. Ich
hatte wahrscheinlich meine Vorstellung bei Hofe hinter mich gebracht, ich war mir nur nicht klar, wie mein Leben an und mit dem
Hofe jetzt aussehen sollte.
Szene 19, take 2
Mdm. Balous Haus lag ein paar Minuten vor dem Ortsschild
von St. Tropez. Herrlich großer Garten, pinienbestanden und weit
310
nach hinten, jetzt doch schon einige Meter über dem Golf, eine Villa
im englischen Kolonialstil.
Alain kam nur wenige Schritte aus dem Wagen, Mdm. Balou
begrüßte mich an der Auffahrt. Mein Bordcase wurde aus dem Wagen
gereicht und ich stand, von Alain und einem großen, dunklen, fahrbaren Untersatz verlassen, auf dem Kiesweg. Mdm. Balou hatte ich nur
einmal, kurz von Dueleen Tod kennengelernt. Ich erinnerte mich noch
an die Szene, als sie auf meine Adressenliste ihre Namen schrieb.
Dueleen hatte darauf bestanden. Jetzt sah ich sie zum zweiten Mal.
Unfein, das Alter einer Dame zu schätzen, aber sie gehörte mindestens
zur Altersgruppe Dueleens, sie war klein, etwas untersetzt und mit
Sicherheit keine Schönheit. Wie beim letzten Treffen auf dem Bouleplatz wirkte sie sehr gepflegt. Seidener Hosenanzug, die Haare unter
einer Art Turban versteckt, der sie auch etwas größer machen sollte.
Aber das reichte nicht weit hinauf.
Mdm. Balou bat mich herein. Ich blickte mich um und hatte den
Eindruck, in einer Art Gaststätte zu stehen, nein, vielleicht so etwas
wie ein ganz, ganz kleines Teestübchen, allerdings mit drei Tischchen,
kleiner Theke und einem Flügel im Hintergrund. Blumen auf den Tischen, Blumen an den Fenstern, Topfblumen, Schnittblumen, eine
Mischung aus Treibhaus und Blumenladen. Es gab tatsächlich Tee,
Mdm. Balou trank ihn mit einem Tropfen Milch. Das wirkte sehr englisch, die Unterhaltung mußte ich allerdings in französisch führen,
denn Mdm. Balou sprach wirklich kein Wort deutsch.
Werner war ihr Gönner gewesen und sie war so traurig, als er
verstarb. Er hatte sie, obwohl er sich sonst kaum sehen ließ, im letzten
Sommer noch besucht und ihr berichtet, daß er vorhabe, sich aus dem
Geschäft zurückzuziehen und daß er mich als seinen Nachfolger betrachtete. Aus unklaren Gründen hatte er dann meine Vorstellung auf
dem Bouleplatz vorgenommen. Mdm. Balou war etwas entsetzt von
dem Stil, aber Werner habe doch sicher gewußt, was er tat. Schließlich
sei er ja nur wenige Tage später von uns gegangen. Sie schluchzte
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etwas, riß sich aber erstaunlich zügig zusammen und lächelte mich an.
Ich hatte den Eindruck, Mdm. Balou hätte eine neue Seite, vielleicht
sogar ein neues Buch aufgeschlagen.
Nach einer halben Stunde Konversation wollte ich mich zur Hotelsuche aufmachen. Mdm. Balou verwehrte mir dies mit dem Hinweis, daß mein Zimmer oben schon gemacht sei und daß ihre Damen
mich ja auch noch sehen möchten. Daher telefonierte sie ein paar kurze Worte und dann kamen die Damen aus ihren Zimmern herunter in
Mdm. Balous Blumenparadies. Babette, Clodette, Ninette, Namen
taten nichts zur Sache. Aber sie waren prächtig. Die eine, die ich Babette nannte, beherrschte deutsch hervorragend, die beiden anderen
weniger. Die Damen stammte aus gepflegtem Elternhaus, hatten hier
ein Studium begonnen, waren da von einer Ausbildung weggelaufen
oder wollten sich, wie im dritten Fall, als Künstlerin durchs leben
schlagen.
Man konnte schnell begreifen, daß Mdm. Balou ja das Gleiche
am Senequier tat, wie der zweite Maschinenmat. Sie griff Mädchen
auf. Allerdings griff sie nur vom Feinsten. Und sie schien strenge
Zucht und Ordnung zu halten. Die Damen lernten Fremdsprachen,
malten Bilder oder schrieben Bücher in ihren Zimmern. Das Wort
›Freier‹ kannten sie auch in seiner französischen Version nicht. Nur
hin und wieder bat Mdm. Balou sie, auf der einen oder anderen Party
ein wenig für Unterhaltung zu sorgen. Und Kinder der Traurigkeit
waren sie ja nun wirklich aus nicht. Finanzielle Sorgen entwickelten
sich bei den drei Damen nicht, da Mdm. Balou die Abrechnung der
Partybesuche übernahm und scheinbar recht knauserig die Barschaft
ihrer, nun, sagen wir, Mitarbeiterinnen, verwaltete.
Die Frage, ob Dueleen denn auch Kunde des Etablissements
gewesen sei, wurde etwas verwundert mit dem Hinweis beantwortet,
er sei schließlich der Patron gewesen. Und diese Stelle müsse ich jetzt
eben einnehmen. Es sei sehr wichtig, daß man in dieser Gesellschaftlichen Stellung einen Patron habe und sie, Mdm. Balou habe schon mit
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Alain gesprochen. Alain sei auch der Meinung, daß ich Dueleens
rechtmäßiger Nachfolger und damit Patron des Hauses sei. Und Mdm.
Balou versprach mir, das Haus genau so zu führen, wie sie es immer
getan habe. Nur wußte ich nicht, wie und was für ein Haus sie führte.
Zumindest ahnte ich nur wenig. Und wenn ich alles richtig verstanden
hatte, war ich gerade mäßig stolzer Besitzer eines sehr vornehmen
Etablissements geworden.
Ich scherzte und schäkerte mit den Damen, trank auf Dueleens,
dann auf der Damen Wohl, ließ Mdm. Balou hochleben und hörten
Tschaikowski. Der Zeiger der Uhr rückte immer weiter vor, und ich
suchte den Ausweg, den es vermutlich nicht gab. Dann ergab ich mich
in mein Schicksal. Da ich keine der Damen bevorzugen durfte, blieb
mir nichts anderes übrig, als alle Drei mit ins Bett nur nehmen. Mdm.
Balou blieb natürlich außen vor. Vor dem Zimmer und vor dem Bett.
Damit hatte sie aber schon gerechnet und sich rechtzeitig auf ihr Zimmer verabschiedet.
Szene 19, take 3
Alain kam kurz vor Mittag, um mich mit zum Strand zu nehmen. Er überging mein stark gerupftes Aussehen schweigend und
schwieg auch noch, als wie uns am Plage von Pampelonne in den
Sand des Strandes setzten. Um diese Jahreszeit waren die Private plages auch hier noch nicht geöffnet. Die Hüttchen und Häuschen waren
geschlossen, die Stühle, Tische, Sonnenschirme und Matratzen noch
nicht aus dem Lager geholt. Nur seine Strandsessel hatte er schon
herausbringen lassen und in die Sonne gestellt.
Die Frühlingssonne war schon erstaunlich stark, das Wasser des
Mittelmeers aber noch so kühl, daß man, es sei denn, man hätte übertriebene masochistische Neigungen, gerne auf ein Bad darin verzichtete. Die Bucht war noch frei von den gelben Bojen, die die Bereiche
der Schwimmer abgrenzen, der Strand war von den Wellen überspült,
gereinigt und verändert worden. Sandbänke hatten sich in den Win-
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terstürmen aufgeworfen und waren später weggespült worden. Der
Sand war durch die Luft geblasen worden, hatte sich an den wenigen
Dünen gefangen und die festgefahrenen Wege im Sand verschwinden
lassen. Es ist alles so, wie es vor zwanzig Jahren war, oder zumindest
beinahe. Erst die Saison wird immer mehr Buden, Parkwächter, Eisverkäufer und vor allem viele, viele Menschen an diese Strände ziehen.
Der Berg von Camarat war, obwohl durch die Pinien eigentlich
immergrün, nun besonders grün. Die hellen, neue Triebe färbten ihn
von dunkel- in hellgrün um und die überall blühenden Frühlingsblumen brachten tausende von Farbtupfer in neues Gras, neuen Bambus,
neues Weinlaub.
»Don Bertram«, sagte Alain, »Du mußt wissen…«. Er sagte oft
›Du mußt wissen…‹, die Redewendung schien ihm den Umgang mit
der deutschen Sprache zu vereinfachen, oder aber, ich mußte wirklich
noch viel wissen. »…Du mußt wissen, daß Werner sehr viel für uns
getan hat. Das Haus von Mdm. Balou ist jetzt Deines. Werner hat es
ihr nie geschenkt, nur immer überlassen. Wir hoffen, daß Du es ihr
weiter läßt. «
Ich stimmte ohne Zögern zu, wollte aber wissen, ob es denn
Grundbucheintragungen oder ähnliches gäbe, denn sonst bestünde ja
die Gefahr, daß irgendwann eine Frau Dueleen und ihre Rechtsanwälte Ansprüche anmelden würden. Alain konnte mich wirklich beruhigen. So etwas war nicht möglich. Selbstverständlich gehörte das Haus
offiziell einem unbedeutenden Einwohner des Dorfes, der genau wußte, wem es wirklich gehörte. Keine Gefahr. Den Büchern des Staates
und der Polizei wollte man hier nicht vertrauen. Man wußte einfach,
wem was gehörte.
Damit war ich bei dem Thema, das mich ursächlich in diese Situation getrieben hatte.
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»Wo ist der Blechschrank, den wir suchen? « trieb ich meine
Gedanken voran. » Don Bertram«, sagte Alain, »ich versichere Dir, er
kann nicht wegkommen. Wir haben schon das Haus durchsucht und
die Spediteure gefragt. Meine bon frérs suchen jeden Jachtklub oder
Campingplatz, wo etwas eingelagert werden kann ab. Wir finden Deinen Schrank. «
»Ja«, sagte ich, »irgendwo muß das Geld ja sein. « Ich blickte
hinüber nach Cap Camarat. Es war heller Tag. Der Leuchtturm strahlte
in weiß auf seinem Berg. Er blinkte nicht, nicht am Tag.
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Szene 20, Abspann
Jetzt, nachdem fast ein Jahr vergangen ist, seit ich das letzte
Mal St. Tropez besucht und dort einen Schrank gesucht habe, entschließe ich mich, den Fall Dueleen auch für mich zu den Akten zu
legen. Die paar Fakten, die ich noch eroierte, waren nicht mehr aufschlußreich. HD Malmann hat in der Zwischenzeit Babsi Dueleen
geheiratet, das Paar ist in die Toscana verzogen und ist für mich nicht
mehr findbar. Der Staatsanwalt Dr. Schwiek hat mir einen Brief geschrieben, in dem er mir für die Zusammenarbeit dankte und zusätzlich mitgeteilt, daß er vorläufig weitere Nachforschungen im ›Fall
Dueleen‹ eingestellt hat. Die Dueleensche Villa in St. Tropez steht
zum Verkauf, die Bank versucht, ihren Schaden gering zuhalten.
Mercedes hat die Versicherungssumme, wenn auch in drei unterschiedlich großen Raten, ausbezahlt bekommen. Auch sie ist verheiratet. Die Versicherungssumme diente ihr und ihrem neu gewonnenen Ehemann dazu, in der Eifel eine Tankstelle zu kaufen. Sie soll so
durchschnittlich gehen. Die Ehe wahrscheinlich auch. Ezenberg ist
wegen des Diebstahlversuchs einer Kameraausrüstung mit einer Bewährungs- und einer kleinen Geldstrafe weggekommen. M. Marteau
hat sich von einem Schlaganfall nur soweit erholt, daß er in einem
Rollstuhl in einem Pflegeheim lebt.
Marita und ich treffen uns während meines Urlaubs bei Alain
am Multinsula Plage. Wir werden da ein Glas Champagner auf Werner Dueleen trinken, aufs Meer hinausschauen und von den alten Zeiten erzählen. Alain will immer noch den Schrank suchen. Aber er
betreibt es mehr als Hobby. Ernsthaft glaubt er nicht mehr an den Erfolg.
Und wenn ich dann, bei beginnender Dunkelheit nach rechts
sehe, werde ich den Leuchtturm von Cap Camarat sehen, der sein
Lichtsignal über das Meer sendet. Viermal blink, Pause.
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