Begleitmaterial Kiwi - Gestalte Deine eigene DSCHUNGEL
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Begleitmaterial Kiwi - Gestalte Deine eigene DSCHUNGEL
Begleitmaterial zur Vorstellung KIWI DSCHUNGEL WIEN SCHAUSPIEL / DAUER 70 MINUTEN / EMPFOHLEN AB 14 JAHREN Begleitinformationen erstellt von Marianne Artmann ANSPRECHPERSON für Informationen, Anmeldung und Kartenreservierung Pädagogische Einrichtung, Kulturvermittlung / Mag. Christina Bierbaumer MO. - FR. 09:00 - 17:00 / FON +43.1.522 07 20 -18 / FAX +43.1.522 07 20 -30 / [email protected] / www.dschungelwien.at 1. ZUR PRODUKTION „Kiwi“ Dauer: 70 Minuten Autor: Daniel Danis Übersetzung: Gerda Gensberger Aufführungsrechte: S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main Regie: Karsten Dahlem Assistenz: Katharina Vana Video: Guido Mentol DarstellerInnen: Agnes Hausmann, Sven Kaschte Zum Autor Daniel Danis (geb. 1962 in Rouyn-Noranda, Québec, Kanada) arbeitete als Schauspieler und Regisseur und lebt heute als Schriftsteller und bildender Künstler in Saguenay, Québec. Die Arbeiten des Frankokanadiers wurden in Kanada und Frankreich mehrfach ausgezeichnet. Er gilt heute als einer der wichtigsten französischsprachigen Schriftsteller. Seine Werke werden in Quebec, Schottland, Irland, Frankreich, Belgien, Italien und Deutschland gespielt. „Kiwi“ entstand auf Grund eines Pressefotos, welches die Überbelegung der rumänischen Gefängnisse mit Kindern dokumentierte. Über seine eigene Arbeit sagt Daniel Danis: "Wenn meine Charaktere tragische Leben führen, dann befähigt sie das, ihrem immensen Wunsch nach Leben Ausdruck zu verleihen. Mein Theater richtet sich mehr an das Unbewusste als an die Psychologie.“ „Kiwi“ wurde 2008 mit dem Deutschen Jugendtheaterpreis ausgezeichnet. Begründung der Jury: “Kiwi, Litchi und die anderen Kinder haben ihr altes Leben „unter einem Scheißhaufen begraben“ und sich Obst- und Gemüsenamen gegeben. Aus dem Gefängnis für Waisen geflohen, leben sie miteinander am Rande einer Metropole in einer eigenen Gemeinschaft. In dieser gibt es die gleichen Probleme wie überall auf der Welt, doch die ständige existenzielle Bedrohung ihres Lebens zwingt diese Teenager, über sich hinaus zu wachsen. Daniel Danis lässt seine Protagonisten ohne jede Sentimentalität von einem Leben am anderen Ende der Welt berichten. In der Gegenwärtigkeit und Atemlosigkeit der Erzählung liegt ein Sog, der der Geschichte dieser Namenlosen eine große Kraft verleiht.“ Quelle: http://www.spielart-berlin.de/2008/07/21/deutschen-deutscher-kindertheaterpreis-undjugendtheaterpreis-08 2 2. INHALTSANGABE In einer unbekannten Stadt wird ein elfjähriges Mädchen von ihren Verwandten ausgesetzt, als die Slums, in denen sie wohnen, zwangsgeräumt werden, weil sie Unterkünften für die Olympischen Spiele weichen sollen. Dem Mädchen bleiben allein die Wollmütze ihrer toten Mutter und der Schlüsselbund ihres toten Vaters. Es trifft auf eine Gruppe obdachloser Jugendlicher, die es in die „Familie“ aufnehmen. Ihr Name wird ab jetzt Kiwi sein. Denn alle in der Gruppe tragen die Namen von Obst- oder Gemüsesorten – Symbol für die Abgrenzung vom alten Leben. Kiwis engster Vertrauter ist Litchi, den sie von der Anführerin Mango als Ehemann zugeteilt bekommen hat. Alle aus der Gruppe verbindet eine tiefe Sehnsucht nach Wärme und Geborgenheit, und sie alle träumen von einem neuen, besseren Leben. Ein Leben, das sie gemeinsam in einem Haus mit Hof verbringen wollen. Aber für den Kauf dieses Hauses benötigen sie Geld. Sie putzen Autos, stehlen und prostituieren sich, jedoch immer die Regel befolgend, dass das Töten nicht erlaubt ist. Als Kiwi aber zusammen mit Litchi von einem Freier verfolgt wird, müssen sie diese Regel brechen und alles wird anders. Litchi muss gehen und die Gruppe wird immer stärker durch die Geheimpolizei bedroht. Heimatlose Jugendbanden machen sich schließlich nicht gut im perfekten Bild der anstehenden Olympischen Spiele. Und schließlich eskaliert die Situation: die Mitglieder der „Familie“ werden getötet, nur Kiwi, Litschi und Mangos Baby überleben. Die drei verlassen die Stadt und finden ein kleines Haus, das sie mit dem Geld der „Familie“ kaufen können. Zum ersten Mal haben sie eine reale Chance, dass ihr Traum war wird. „Daniel Danis' Blick auf die Notsituation von Straßenkindern bewahrt sich bei aller Düsternis den Trost menschlicher Beziehungen unter den Kindern, die einander die Möglichkeit von Vertrauen und Fürsorge wieder lehren. Danis findet dafür nicht nur eine anrührende Geschichte, sondern auch poetische Sprachbilder, die sich der Trostlosigkeit zu widersetzen scheinen. Drei Jahre umfasst der Bericht des Mädchens Kiwi, der den Leser und Zuhörer sehr schnell in seinen Bann zieht. Der Autor, der das Stück zunächst selbst zur Uraufführung brachte, verschränkte den narrativen Redefluss mit filmischem Material. Unabhängig aber von Danis' aktuellen Recherchen rund um neue Technologien auf der Bühne, behauptet sich der Text durch eine selbstbewusste, poetische Sprache, die nicht oberflächlich auf Jugendlichkeit setzt.“ Barbara Engelhardt: Vorwort in: Theater der Zeit, Scène 10, Kinder- und Jugendtheater, Herausgegeben von Barbara Engelhardt Quelle: http://www.theaterderzeit.de/Book/Preface/24 3 3. INTERVIEW MIT DEM REGISSEUR Wie bist du auf das Stück „Kiwi“ gekommen? Ich habe von dem Stück zum ersten Mal in einem Gespräch mit einem deutschen Theater gehört. Dieses Theater wollte das Stück unbedingt produzieren, hat sich dann aber doch für etwas anderes entschieden - und die Mitarbeiter ärgern sich bis heute – wie sie mir gesagt haben ☺. Was waren deine ersten Gedanken beim Lesen? Hattest du sofort Bilder in deinem Kopf oder kamen diese erst später? Erster Gedanke: Wow, was für eine Sprache. Ich habe selten im Kinder- und Jugendtheater eine derartige Wucht der Worte gelesen, die ganz für sich selbst sprechen und es mir als Regisseur eher schwer machen, dafür geeignete Bilder zu finden, die nicht zu banal sind. Wie hast du die Darsteller gefunden? Agnes wird Kiwi spielen, mit ihr hab ich bereits zweimal gearbeitet, allerdings bisher immer als Dozent - sie kommt frisch von der Ausbildung an der Konservatorium Wien Privatuniversität, an der sie gerade ihren Abschluss gemacht hat. Jetzt arbeitet sie zum ersten Mal mit mir als Regisseur, ich bin gespannt und freu mich drauf. Mit Sven hab ich ja bereits im letzten Jahr gearbeitet. Für ‚Moby Dick’ haben wir ja gemeinsam den STELLA – Darstellender.Kunst.Preis für junges Publikum gewonnen, was unweigerlich zusammenschweißt – ich bin sehr froh dass ich ihn gewinnen konnte, da er diesmal neben seiner Schauspielerei auch für Video und Sound zuständig ist! Was ist dein Ansatz bei der Inszenierung, was ist dir wichtig, welche Mittel möchtest du verwenden? Ich möchte die Reise der beiden Hauptfiguren Kiwi und Litchi begleiten, die unglaubliche Dinge ertragen, er- und durchleben müssen. Dinge, die wir zwar aus den Medien kennen, die scheinbar unglaublich weit weg sind, aber letztendlich durch die Wucht ihrer Geschichte, ihrer Liebesgeschichte, ihrer Suche nach Familie plötzlich sehr nahe sind. „Kiwi“ ist nicht gerade leichte Kost: Armut, Kälte, Hunger, Obdachlosigkeit, Krankheit, Prostitution, Gewalt, … Der Autor lässt kaum etwas Schreckliches dieser Welt aus. Wie wird deiner Meinung nach das Publikum damit zurecht kommen? Doch: er lässt den Rechtsruck in Österreich aus … Aber zurück zur Frage: ich weiß nicht, wie die Zuschauer reagieren werden und bin sehr gespannt darauf. Auch in Deutschland und Österreich gibt es Menschen und Kinder, die auf der Straße leben, sich prostituieren müssen, das vergisst man leider sehr oft. 4 Im Stücktext wird nicht genauer definiert, in welcher Stadt die Geschichte spielt: das Wort „Slum“ lässt an Lateinamerika denken, ein Stadtteil soll im zweien Weltkrieg bombardiert worden sein, das spricht für Europa oder Japan. Auch die Arbeiten für die Olympischen Spiele geben keine genaue Auskunft. Wo ist für Dich das Stück angesiedelt und was hat es mit uns zu tun? Das Stück spielt für mich definitiv nicht irgendwo im Nirgendwo, denn mit jedem Paar Socken und jedem Pullover, den wir z.B. bei H & M kaufen, beteiligen wir uns an Ausbeutung und Kinderarbeit und Armut. Es gibt in der Jugendliteratur mehrere Helden ohne festen Wohnsitz, meist haben wir aber eine romantische Vorstellung von deren Leben (z.B. Huckleberry Finn). Ist „Kiwi“ für dich ein Gegenentwurf zu solchen Abenteuergeschichten? Na ja: auch Kiwi, Litchi und die andern sind auf der Suche nach Familie in ihrem Haus mit ganz viel Wärme ... Es ist daher nicht unbedingt ein Gegenentwurf, sondern ebenfalls eine romantische Vorstellung auf der Suche nach einer anderen Welt. 5 4. HINTERGRUNDINFORMATIONEN ZUM THEMA 4.1 Straßenkinder Bei dem Begriff „Straßenkinder“ denken wir möglicherweise zuerst an ferne Länder in Lateinamerika oder Afrika. Straßenkinder gibt es aber auch in Europa, auch in Österreich, auch in Wien. Zuerst jedoch zur Situation weltweit: 4.1.1 Straßenkinder weltweit Straßenkinder sind in der Regel Stadtkinder. Sie sind in den sich industrialisierenden Schwellenländern und in den Ballungsräumen weitaus häufiger anzutreffen als in ländlichen Regionen. Doch zunehmend findet sich das Problem - etwa in Simbabwe und Sambia - auch in ländlichen Regionen. Normalerweise durchläuft ein Kind unterschiedliche Stationen der Sozialisation: Familie, Kindergarten, Schule, Freundeskreis, Berufsausbildung, Berufsleben. Bei Straßenkindern reduzieren sich diese Stationen auf gescheiterte Erfahrungen in der Familie. Die Straße wird zum Ort der Sozialisation. Auf der Straße zu leben bedeutet, ständig unter Spannung zu stehen. Die Kinder haben keinen Rückzugsbereich oder geschützten Raum. Sie sind Gewalt, Drogen, Kriminalität und Willkür von Erwachsenen ausgesetzt. Von der Gesellschaft werden sie diskriminiert und ausgegrenzt: Kaum ein Straßenkind geht in die Schule oder wird regelmäßig medizinisch versorgt. Trauen sie sich in ein Krankenhaus, werden sie nicht selten schlecht behandelt oder wieder weggeschickt. Auch wenn manche Straßenkinder zeitweise über größere Mengen Geld verfügen können, fehlt es fast allen an gesundem Essen und sauberem Wasser. »Es ist, als würdest du um dein Leben kämpfen,« erzählt ein Straßenkind aus Bolivien. »Wenn du es nicht verteidigst, überlebst du nicht. Es ist der tägliche Krieg.« Straßenkinder leben von der Hand in den Mund, halten sich mit legalen und illegalen Tätigkeiten über Wasser. Um sich behaupten zu können, übernehmen die Kinder oft auch die Verhaltensweisen von Erwachsenen aus dem Straßenmilieu: Sie »organisieren« Geld durch gewaltsamen Diebstahl, durch Prostitution und Drogenhandel. Straßenkinder sind dadurch extremen Risiken ausgesetzt, viele von ihnen sind selbst drogenabhängig. Die Problemlage von Straßenkindern ist damit anders gelagert als von Kindern, die in Absprache mit ihren Familien auf der Straße arbeiten. Die wenigsten Straßenkinder sind tatsächlich »verlassene« Kinder, deren Eltern gestorben oder in Kriegswirren bzw. bei Katastrophen verschollen sind oder nicht mehr in der Lage waren, für die Kinder zu sorgen und sie deshalb ausgesetzt haben. Häufiger sind es die Kinder selbst, die sich entschließen, den Kontakt zu den Familien abzubrechen, meist in Reaktion auf Gewalt und Missbrauch, und häufig nach Zyklen der Flucht und erneuter Rückkehr bzw. nach Heimaufenthalt. Der Weg auf die Straße hat also wenig mit jugendlicher Unternehmungslust zu tun, sondern ist die Entscheidung eines Kindes, das keine Alternative mehr sieht. Wo sich feste Gruppen und Bezugsysteme von Straßenkindern gebildet haben, fällt die Flucht auf die Straße leichter. Gegenseitige Hilfe und oft bandenähnliche Zusammenarbeit tragen dazu bei, den Gefahren auf der Straße zu trotzen. In diesen Gruppen wiederholen sich jedoch nicht selten die zu Hause erlebten Muster der Gewalt, insbesondere zwischen Jungen und Mädchen, zwischen Anführern und »Fußvolk«. Bei den älteren können - meist kurzfristige - Paarbeziehungen entstehen. Trotz extrem hoher Raten von Abtreibungen und Kindersterblichkeit kommt es zum Phänomen der »zweiten Generation« derjenigen Kinder, die auf der Straße geboren werden und dort aufwachsen. Straßenkinder sind zumeist öffentliches Ärgernis, dem mit ordnungspolitischen Maßnahmen (zwangsweise Heimunterbringung, Polizeirazzien, Vertreibung von öffentlichen Plätzen) begegnet wird. Mancherorts werden sie gezielt durch Prügeleinsätze der Polizei oder Todesschwadronen verfolgt. Vielerorts sind sie Opfer von Missbrauch, werden vergewaltigt oder zu Diebestouren erpresst. Allerdings können Straßenkinder auch Objekte wohltätigen Mitleids sein oder Gegenstand 6 von selbstkritischen Reflexionen einer Gesellschaft über die Ursachen, die die Kinder auf die Straße getrieben haben, aber auch über ihre von den Kindern gebrochenen Normen und Regeln. Sie tun vor aller Augen, sagt der Jesuitenpater Jorge Vila vom bolivianischen Kinderschutzbund DNI, was manches anerkannte Mitglied der Gesellschaft im Verborgenen tut. Straßenkinder sind bisweilen apathisch, bisweilen aggressiv. Sein eigenes Zuhause oder ein Heim zu verlassen und auf die Straße zu gehen erfordert aber auch Initiative und Mut. Der Überlebenskampf auf der Straße zerstört jedoch nicht nur Körper und Seele, er fördert auch bestimmte Tugenden wie Schnelligkeit, Einfallsreichtum und Eigenverantwortlichkeit, bisweilen auch Sinn für Solidarität, Humor und kritischen Geist, die bei Programmen zur Durchsetzung ihrer Menschenrechte genutzt werden können. Je länger die Kinder auf der Straße leben, desto schwieriger die Rückkehr in die Familie bzw. der Übergang in ein selbstständiges Leben jenseits der Straße. Der Begriff Straßenkindern ist von Bildern von Gruppen zerlumpter, auf dem Bürgersteig lungernder Kinder oder Jugendlicher geprägt. Heute finden wir jedoch auch Straßenkinder, die, um bei Diebstahl nicht aufzufallen, Markenkleidung tragen oder Makeup, wenn sie von Prostitution leben. Ein grundsätzlich anderes Phänomen sind - über die auf sich gestellten Straßenkinder hinaus - die Hunderttausenden von Kindern, die gemeinsam mit ihren Eltern obdachlos auf den Straßen etwa der indischen Metropole Mumbai leben. Heute wird auch über das Phänomen in Deutschland diskutiert. Die Suche nach Orientierung und Bindung spielt hier jedoch gegenüber ökonomischen Faktoren eine gewichtigere Rolle als in Ländern des Südens. Dort wie hier täuscht der Begriff »Straßenkind« jedoch insofern, als es sich nur zu einem geringen Teil um jüngere Kinder handelt, sondern mehrheitlich um Jugendliche. Zahlen zum Phänomen Straßenkinder Verlässliche Angaben über die Anzahl der Straßenkinder weltweit gibt es nicht. Eine Größenordnung des Phänomens geben jedoch Schätzungen von UNICEF und WHO, die von »mehreren ZehnMillionen«, bzw. über 30 Millionen Straßenkinder weltweit ausgehen, eine Zahl, die bei einer engen Definition von obdachlosen alleinstehenden unter 18-Jährigen vermutlich deutlich zu hoch gegriffen ist. Wenn im Weltdurchschnitt je ein von tausend Kindern auf der Straße Leben würde, läge die Gesamtzahl gerade einmal bei um gut drei Millionen. Die schwierige Datenlage erklärt sich unter anderem dadurch, dass nur wenige Straßenkinder eine Geburtsurkunde haben und dass die Zahlen jahreszeitlich fluktuieren. Vor allem aber ist die Zahl unklar, weil Straßenkinder von staatlichen Institutionen wie Schule oder Fürsorge in der Regel nicht erfasst werden. Private Institutionen und Projekten fehlt wiederum häufig der Gesamtüberblick. Die Daten variieren auch je nachdem, wie der Begriff »Straßenkind« definiert wird: Viele Schätzungen fassen die Gruppen der auf der Straße arbeitenden und in ihrer Familie wohnenden Kinder einerseits und die obdachlosen Straßenkinder andererseits zusammen, da der Übergang zwischen dem Arbeitsplatz Straße und dem Lebensmittelpunkt Straße oft fließend ist. Sie kommen damit zu der wesentlich höheren Anzahl von 100 Millionen Straßenkindern weltweit. […] Deutschland Die niedrigste Zahlenangabe stammt von der Nichtregierungsorganisation Off Road Kids. Demnach gebe es höchstens 1.500 Straßenkinder, und von den bis zu 2.500 Kindern und Jugendlichen, die in Deutschland jährlich auf die Straße gelangen, würden etwa 300 zu Straßenkindern. Die meisten sind 14 Jahre und älter. Bei jüngeren handelt es sich meist um Kurzzeitausreißer. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich Straßenkinder von einem Ort zum anderen bewegen können, wird die Zahl der unter 18-jährigen Obdachlosen im engen Sinne bundesweit auf mindestens 2.000, der Anteil der Mädchen auf 30 bis 40 Prozent geschätzt. Der Berliner Verein »Straßenkinder e.V.« nennt allerdings allein für Berlin schon die Zahl von je nach Jahreszeit 3.000 bis 5.000, schränkt aber selbst ein, dass zwei Drittel von ihnen noch bei der eigenen Familie, Freunden oder in der eigenen Wohnung leben. Unter Verwendung einer weitergehenden Definition derer, die ihren Sozialisationsmittelpunkt auf der Straße, aber durchaus noch regelmäßigen Kontakt zu den Eltern haben oder in alternativen Wohnstätten schlafen, kommt Uwe Britten in einer Recherche für terre des hommes zu einer Schätzung von circa 9.000 Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland, die von 7 entsprechenden Einrichtungen betreut werden. Er bezeichnet die in dieser Gruppe vorwiegend zu findende Lebensform als »Pendler« zwischen Heimen, Familie und Straße. […] Russland In Russland hatten die Zahlen nach der wirtschaftlichen Liberalisierung rapide zugenommen. Laut offiziellen Zahlen verbringen in einer weiten Definition zwischen 100.000 und 150.000 Kinder und Jugendliche die meiste Zeit des Tages auf der Straße. Südamerika Auch in Südamerika hängen die Zahlen von der Definition ab. Brasilien und Peru fassen unter Straßenkinder diejenigen zusammen, die auf den Straßen der großen Städte arbeiten, auch wenn sie abends zu ihrer Familie zurückkehren. Dabei kommt man auf Zahlen von sieben Millionen in Brasilien und 500.000 in Peru. In Bolivien dagegen wird die enge Definition verwendet, und UNICEF geht dort von circa 3.700 Kindern und Heranwachsenden auf der Straße aus. Die gleiche Organisation spricht im weiten Sinne in Kolumbien aber von 30.000 Straßenkindern, 37 Prozent davon in Bogotá. In einer relativ umfassenden Erhebung in den 16 wichtigsten Städten Kolumbiens kam das kolumbianische Familieninstitut dagegen auf die Zahl von 4.457 Straßenkindern im engeren Sinne. […] Südliches Afrika In Mosambik war die Zahl der Straßenkinder im engeren Sinne während des Krieges allein in Maputo auf mehrere tausend gestiegen. Heute soll es in der Hauptstadt zwischen 300 und 500 von ihnen geben. Höher sind die Zahlen im wirtschaftlich besser gestellten aber auch bevölkerungsreicheren Südafrika. Allein in der Metropole Johannesburg schätzt man die Zahl der Kinder, die auf der Straße leben, auf 4.000. Für Sambia liegen die Schätzungen des UN Office on Humanitarian Affairs (IRIN) bei insgesamt 75.000 Straßenkindern, fast zwei Prozent der Gesamtzahl der Kinder. Sieben Prozent von ihnen hätten überhaupt kein Zuhause mehr, in das sie zurückkehren könnten. […] Indien Die offiziellen Zahlen von UNICEF und indischer Regierung sprechen in einer weiten Definition derer die auf den Straßen leben und arbeiten, von 19 Millionen Straßenkindern im Alter unter 14 Jahren in Indien, wovon ein erheblicher Anteil zusammen mit Familienangehörigen auf der Straße lebt, und um die zehn Millionen noch Zuhause oder bei Verwandten schlafen. Gänzlich alleinstehende obdachlose Kinder gibt es laut Schätzungen von terre des hommes Partnern je etwa 10.000 in den großen Metropolen (Mumbai, Delhi, Kolkata, Bangalore und Chennai), und noch einmal weitere 50.000 in kleineren Städten. Südostasien In Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh schätzt das Consortium for Street Children 1.200 Straßenkinder, in ganz Kambodscha sollen zwischen 10.000 und 20.000 Kinder auf der Straße arbeiten, ohne jedoch den Kontakt zur Familie verloren zu haben. Zwischen einigen wenigen Hunderten und Tausenden je nach Jahreszeit leben mit ihren Eltern auf der Straße. Zum Begriff Straßenkinder […] In internationalen Fachkreisen ist es üblich geworden, drei Gruppen zu unterscheiden: 8 1. Obdachlose Kinder, die jeglichen Kontakt zur Herkunftsfamilie abgebrochen haben (Kinder der Straße). 2. Kinder, für die die Straße der Lebensmittelpunkt ist, auf dem sie die meiste Zeit des Tages in der Regel zum Geldverdienen, aber auch in Banden oder Cliquen - verbringen. 3. Kinder, die gemeinsam mit ihrer ebenfalls obdachlosen Familie auf der Straße leben. Allerdings ist der Übergang zwischen den Gruppen häufig fließend, etwa bei Kindern, die nur am Wochenende nach Hause gehen. Ursachen und Hintergründe Die Gründe, warum ein Kind auf der Straße lebt, sind individuell und regional verschieden. Wäre es nur die Armut, müsste die Zahl der Straßenkinder weit höher sein. Innerfamiliäre Gewalt und bei Mädchen insbesondere sexueller Missbrauch sind zumeist der Auslöser dafür, dass Kinder die Familien verlassen. Folgende Faktoren beschleunigen jedoch die Auflösung familiärer und nachbarschaftlicher Netze, die Kinder in Krisensituationen auffangen könnten. Verstädterung und Verfall familiärer und sozialer Netze: In der indischen Metropole Mumbai (Bombay) kommen täglich Hunderte von Kindern aus ganz Indien an. Sie hoffen darauf, in den Straßen der Megastadt überleben zu können. Allein im terre des hommes-Projekt »Shelter«, dessen Mitarbeiter die neu ankommenden Kinder auf den Bahnhöfen ansprechen, übernachten täglich zwischen 125 und 150 Kinder ab dem Alter von sechs Jahren. Ob in Asien oder Lateinamerika, überall dort, wo Menschen aus wirtschaftlicher Not vom Land in die Stadt flüchten, zerbrechen Familien. Im Großraum Mumbai leben schon heute über 20 Millionen Menschen. Wachsende Kluft zwischen Arm und Reich: Noch nie war der Gegensatz zwischen Arm und Reich auf der Welt größer als heute. In Bolivien hat die Bevorzugung transnationaler Unternehmen in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts die Spaltung des Landes in zwei Teile noch verschärft: Ein kleiner Teil der Bevölkerung arbeitet im Exportsektor und hat an dessen Dynamik teil, die Mehrheit der bolivianischen Bevölkerung findet jedoch keine Beschäftigung, denn die heimische Wirtschaft stagniert. Etwa 64 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze (INE 2005). Arm sein heißt, ausgeschlossen sein von den Ressourcen, die anderen verfügbar sind. Das verursacht Frustration und Hoffnungslosigkeit. Es kommt zu Alkoholmissbrauch und innerfamiliärer Gewalt. In einer Studie über Straßenkinder in den vier größten Städten Boliviens geben zwei Drittel der befragten Kinder an, ihre Familie verlassen zu haben, weil sie misshandelt wurden (Hotel de Mil Estrellas, DNI 1997). Die Anzahl der Straßenkinder in Bolivien war in den 90er Jahren in der Zeit der wirtschaftlichen Liberalisierungsprogramme von wenigen hundert auf mehrere tausend gestiegen. HIV/Aids: In Afrika waren Straßenkinder lange Zeit ein praktisch unbekanntes Phänomen. Extreme Armut sowie die rasante Ausbreitung von HIV/Aids haben jedoch dazu geführt, dass auch hier immer mehr Kinder auf der Straße leben. Laut einer Prognose von UNAIDS werden im Jahr 2010 weltweit über 25 Millionen Kinder ein oder beide Elternteile durch Aids verloren haben. In Sambia, das zu den Ländern mit der höchsten HIV-Infektionsrate gehört, waren bereits im Jahr 2001 über eine halbe Million Kinder unter 15 Jahren verwaist. Laut einer Schätzung des Zambia Human Development Reports (1998) sind 58 Prozent der circa 75.000 Straßenkinder in Sambia zugleich Aidswaisen. Auch in den europäischen Ländern ist die Anzahl der Straßenkinder erheblich gestiegen. Die Internationale Arbeitsorganisation führt dies vor allem auf den Abbau der staatlichen Sozialleistungen infolge des Zusammenbruchs des Staatssozialismus zurück (Global Report on Child Labour, 2002). Krieg und Gewalt: Weltweit sind mehr als 20 Millionen Kinder und Jugendliche auf der Flucht (UNHCR 2003). Nicht nur in Afghanistan oder im Kongo geraten Kinder zwischen die Fronten, auch in Kolumbien und Burma werden sie Opfer von bewaffneten innerstaatlichen Auseinandersetzungen. Selbst viele Jahre nachdem offiziell Frieden geschlossen wurde leiden Kinder in Kambodscha unter den Folgen von Krieg und Gewalt: Auseinander gerissene und traumatisierte Familien, Armut, verminte Felder, zerstörte Dörfer, zu wenig Schulen und mangelhafte Infrastruktur. 9 Nahezu alle Untersuchungen zeigen, dass etwa ein Drittel der Straßenkinder Mädchen, zwei Drittel Jungen sind. Mädchen finden schneller eine Unterkunft, in dem sie zum Beispiel als Hausmädchen arbeiten. Sie sind zwar fern der Straße, oft aber ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen und sexuellen Übergriffen ausgeliefert. Auch auf den Straßen erleben die Mädchen patriarchale Gewaltverhältnisse und häufig sexuellen Missbrauch. Besonders problematisch wird ihre Situation, wenn sie schwanger werden. Auch in Deutschland sind Misshandlungen in der Familie einer der Hauptgründe, warum Kinder und Jugendliche aus ihren Familien fliehen. Die meisten kommen hier aber nicht aus wirtschaftlich benachteiligten Haushalten. In vielen Fällen ist es einfach Entfremdung von den Eltern, die ihre eigenen Probleme nicht lösen können. Die meisten haben eine »Karriere« in verschiedenen Jugendhilfeeinrichtungen hinter sich. […] Quelle: http://www.tdh.de/content/themen/schwerpunkte/strassenkinder/daten.htm 4.1.2 Straßenkinder in Wien Mindestens 300 Straßenkinder in Wien: Jugendämter und Familien sind überfordert Durch die Metropole Wien streunen mindestens 300 meist österreichische Straßenkinder. Die Jugendämter sind überfordert wie die zerrütteten Familien, die sie ausgestoßen haben. Von Emil Bobi Vormittagshitze, gedrückte Stille, der Duft von erwärmtem Teer auf alten Brettern, ein Feldhase im gestreckten Galopp auf der Flucht: Über dem ÖBB-Friedhof in der Innstraße schwebt ein Hauch wilder Kindheitsromantik. Neben dem „Hexenhaus“ rosten ausrangierte, teils ausgebrannte Uraltwaggons auf Gleisanlagen, die inmitten einer wilden Blumenwiese kaum noch zu erkennen sind. An den Außenwänden der Waggons und an den Mauern der verfallenen Hütten bunte, gesprühte Farbexplosionen. Halb verfaulte, halb verkohlte Autositze und Camping-Unrat liegen verstreut wie Zeugen einer untergegangenen Subkultur. Zig, wenn nicht Hunderte Kids haben hier gehaust, Party gemacht, gelebt. Bis eine Banden-Geschichte, zweiter gegen 20. Bezirk, das Dorf der aussätzigen Kids in Flammen und Rauch aufgehen hat lassen. Cem rechnet. Fünf Nächte pro Monat darf er bei „a_way“, einer Notschlafstelle für obdachlose Minderjährige am Westbahnhof, die von der Caritas betrieben wird, übernachten. Würde man die fünf Nächte an das Monatsende legen und die fünf des Folgemonats gleich an dessen Anfang, könnte man zehn Nächte hintereinander bleiben, ohne Ausschau nach einem Schlafplatz halten zu müssen. Das wäre was. Doch was soll’s. „Dass wir nicht länger dort bleiben dürfen, machen sie absichtlich“, sagt Cem nachdenklich, „dürfen die eigentlich so mit Kindern umgehen?“ Cem, so möchte er genannt werden, ist 16. Wirklich obdachlos ist er seit einem halben Jahr und besitzt, was er am Leib hat. Bei der Mutter liegen noch seine sieben Zwetschgen, doch nach Hause darf er nicht. Polizeiliches Betretungsverbot. Symeya ist 17 und lächelt gern. Seit sie vor vier Jahren „freiwillig“ vor dem Terror der vielen Stiefväter und der Überfordertheit der Mutter mit den vielen Kindern geflüchtet ist, „habe ich schon überall geschlafen, bin überall rausgeflogen. Man hat mich in der Erwachsenen-Psychiatrie gefesselt und mit Spritzen niedergemacht, weil ich vor Sehnsucht ausgeflippt bin. Alles, was ich am Leib hab, habe ich gestohlen. Ich habe Angst, 18 zu werden. Ich möchte nicht in einem Frauenhaus landen.“ Ram stammt aus einer vor zehn Jahren aus Indien eingewanderten Familie, ist 15 und davongelaufen, als er zehn war. Wurde gesucht, aber nicht gefunden, fand bei einem Älteren Unterschlupf, war nie in der Schule und nie wieder zu Hause. Vorige Woche ist seine Mutter gestorben. Das tut ihm leid. Aber vermisst hat er nie jemanden. Er ist der Dressman unter den Straßenkids. Seit einem Jahr trägt er täglich Anzug und Krawatte: „Ja, weil ich eine Freundin suche.“ 10 Antonio, 16, den geänderten Namen hat er selbst gewählt, ist erst seit ein paar Jahren in Österreich, zuvor wohnte er in Berlin. Vollkommen zerrüttete Familie, die jüngeren Geschwister auch in einem Krisenzentrum, er selbst darf sie von Amts wegen nicht besuchen. Er übe schlechten Einfluss aus. Er vermisst sie. In seiner Stimme schwingt Erfahrung und Bitterkeit. Er lässt seinen Blick über den Waggonfriedhof schweifen: „Schön, nicht? Da haben wir urabgechillt. Nicht alle haben hier gelebt, viele sind nur so gekommen.“ Da seien Waggons wie Schlafzimmer eingerichtet gewesen. „Komm“, sagt er, „wir zeigen dir Wien.“ Das Wien der verstoßenen Kinder. Wien. Durch diese Glitzer-Metropole streunen nach einer Schätzung der Caritas-Einrichtung a_way mindestens 300 obdachlose Minderjährige. Seltsam frühreife Wesen mit übertriebener Selbstständigkeit, die ihre Tage mit der Beschaffung des nächsten Schlafplatzes, von Lebensmitteln und Drogen verbringen. Sie haben gelernt zu nehmen, was kommt, auch wenn nichts kommt. Seit der frühen Kindheit in desolaten Familien misshandelt, vernachlässigt, traumatisiert und schließlich verjagt. Sie haben mehr vom Leben gesehen, als für reibungslose Erziehbarkeit gut ist. Sie haben aufgehört, sich von Eltern sinnlos sanktionieren zu lassen, die nicht einmal für sich selbst sorgen können. Und sie haben aufgehört, sich von Sozialpädagogen etwas vorschreiben zu lassen, die selbst überfordert an ihren eigenen Arbeitsbedingungen scheitern. Sie gelten als „betreuungsresistent“. Sie können „das Angebot“ der Jugendwohlfahrt „nicht annehmen“. Das bedeutet, dass sie selber schuld sind, wenn sie auf der Straße leben. Das Jugendamt hat einen „pädagogischen Auftrag“. Ausgebrannte Betreuer können oft nicht anders, als mit Ultimaten zu arbeiten: Wer nicht um 18.00 Uhr im Krisenzentrum ist, wer nicht bereit ist, fürs Schuleschwänzen ein Ausgehverbot hinzunehmen, wer nicht Ruhe gibt, der fliegt. Und sie geben keine Ruhe. Diese schwierigen Kids haben auf ihre Erfahrungen hin eine These entwickelt, die alles andere als weit hergeholt ist. Sie lautet: Niemand will mich. Auf der permanenten Suche nach Bestätigung dieser These dehnen sie permanent die Grenzen des Erlaubten, bis sie eine entsprechende Reaktion provoziert haben, die ihre These stützt. Niemand im Staat ist entspannt genug, diese Kids zu nehmen, wie sie sind – und ihnen dennoch zu geben, was sie zum Leben brauchen. So fallen sie durch die Maschen der staatlichen Versorgung, weil eine sozialromantische Gesellschaftsordnung Kinder im Kreis ihrer Familien organisiert und nicht auf der Straße. So stehen sie genau dort: ohne Anspruch auf irgendwas, weil sie für alles zu jung sind. Kein AMS-Geld, keine Sozialhilfe, nichts. Sie haben nichts, dürfen nichts, bekommen nichts. Ständig müssen sie von überall verschwinden. Die erwachsenen Obdachlosen auf der Praterwiese bieten ihnen an, für 20 Euro pro Nacht in ihrer Nähe nächtigen zu dürfen und dabei angeblichen Schutz zu genießen. 13, 14 Jahre alte Mädchen gehen für zehn oder 20 Euro auf den Strich, um sich mit Tabletten zudröhnen zu können. Selbstmordgefährdete oder „fremdgefährdende“ Jugendliche werden aus psychiatrischen Anstalten mit der Straßenbahn wieder weggeschickt, ausgestattet nur mit einem Plastiksack voller Psychopharmaka. Fast alles, was sie machen, wird gegen sie verwendet. Eine Sozialpädagogin, die anonym bleiben will, gibt ein Beispiel: Eine 16-jährige Drogensüchtige wurde von einem der Wiener Krisenzentren auf die Straße gesetzt, weil das Mädchen als „nicht kooperationsbereit“ eingestuft wurde. Der Grund: Sie hatte sich geweigert, einen Vertrag zu unterschreiben, in dem sie sich unter anderem zum Nichtrauchen verpflichten sollte. Ihre Weigerung, etwas zu unterschreiben, was sie nicht einzuhalten gedachte, wurde nicht etwa als Paktfähigkeit eingestuft, sondern als Entlassungsgrund. Die Betreuerin: „Der Staat reagiert wie die zerrütteten Familien. Keine soziale Intelligenz, keine menschliche Größe. Nur Aug um Aug und Zahn um Zahn.“ Das Wiener Amt für Jugend und Familie (MA 11) macht in seinen Einrichtungen vieles, das auch funktioniert. Rund 2000 der „kaputtesten Kinder“ (eine Sozialpädagogin) werden in Krisenzentren und betreuten Wohngemeinschaften versorgt. Es gibt Spezialbetreuungsplätze um angeblich bis zu 700 Euro täglich. Es gibt erlebnispädagogische Urlaubsreisen, bemühte Betreuer und mit einem Budget von 120 Millionen Euro (2009) gar nicht so wenig Geld. Doch es gibt eine Gruppe der Allerletzten, die von den Aktivitäten der Jugendwohlfahrt nicht erfasst wird und ganz durchfällt: die Betreuungsresistenten, die kaputtesten der Kaputten. Dass es sie gibt und dass es Hunderte sind, wird tabuisiert oder sozialromantisch verklärt. Betreuer der MA 11 bezeichnen sie als freiwillige „Nomaden“, die die Angebotspalette der Jugendwohlfahrt nicht annehmen wollen. Der Wiener Jugendstadtrat Christian Oxonitsch kennt die Zahl der Betroffenen nicht. Antonio, Symeya, Cem und Ram haben vieles gemeinsam. Immer wieder versinken sie in gedankenschweres Dösen. Reglose, nach innen gerichtete Blicke signalisieren dann: Sag nichts. Es gibt nichts zu sagen. Auf der Donauinsel streifen wir durch die Büsche und treffen immer wieder auf Lagerplätze und vereinzelte Zelte mit schlafenden Kids. „Am Nachmittag“, sagt Cem, „ist alles voll hier, manche 11 arbeiten als Boten für Dealer, die meisten trinken Alkohol, fast alle kiffen.“ Antonio kann nicht mehr nach Hause, seit er seine Lehrstelle gekündigt hat. Seit Jahren habe es immer nur „Stress“ mit dem Vater gegeben. „Er soll mich schlagen, okay, aber er soll nicht solche Dinge zu mir sagen.“ Cem springt ein und erläutert: „Er meint herzverletzende Sachen, verstehst du?“ Antonio: „Meine Mutter lässt mich nicht mit meinem kleinen Bruder reden, ich bin ein schlechter Einfluss. Meine Eltern haben mich bei meiner Firma schlechtgemacht. Früher war ich in der Schule positiv, hab bei der Vienna gekickt. Doch jetzt werden die Zeiten immer schlechter. Wenn es so weitergeht, werde ich Dealer.“ Alle vier haben die letzte Nacht bei a_way am Westbahnhof verbracht. Die fünf monatlichen Nächte sind nun aufgebraucht. Heute müssen sie wieder schauen, wo sie bleiben. „Was sollen wir machen“, fragt Cem, wir können unser Gesicht nicht ändern. Die kennen uns.“ Symeya hat eine Idee: „Wir könnten es in St. Pölten versuchen. Die bei der Notschlafstelle dort sind auch nett.“ Gestern dachte Antonio kurz, es gehe bergauf. Es war ihm ein Platz in einem Krisenzentrum in Aussicht gestellt worden. Doch heute früh war alles anders. Er sagt: „Die helfen mir nicht. Sie haben angerufen und gesagt, wir haben nichts für dich. Heute bin ich wieder draußen.“ Auch Cem hat einen Anruf vom Jugendamt erhalten. „Ich hab einen Platz im Krisenzentrum“, verkündet er knapp, „ich muss um 13.00 Uhr zum Jugendamt nach Floridsdorf.“ Bei a_way hinter der Riesenbaustelle am Westbahnhof machen zehn Sozialpädagogen seit fünf Jahren das Einzige, was man nach Meinung von Experten mit diesen Jugendlichen sinnvollerweise machen kann: Man lässt sie sein, wie sie sind. Martin Haiderer leitet die Notschlafstelle: „Sie können kommen, müssen nichts erklären, nicht einmal ihren Namen nennen. Sie bekommen etwas zum Essen, ein Bett zum Schlafen, bei Bedarf saubere Spritzen und dürfen Kleider waschen. Meist kommen sie aus eskalierten Stresssituationen und finden hier die Möglichkeit zu schweigen und sich zu sammeln. Dann versuchen wir ein Gespräch.“ Haiderer erklärt, „dass diese psychosozial auffälligen Kids erstaunliche Sozialkompetenzen zeigen, wenn man sie nur in Ruhe lässt.“ Im Vorjahr sind 360 verschiedene Jugendliche hier gewesen. Manche kommen nur einmal, andere sporadisch, wieder andere konsumieren regelmäßig ihre fünf monatlichen Nächte. Vereinzelt landen hier auch harmlose Fälle wie Jugendliche vom Land, die ihr Zugticket verloren haben. Genaue Zahlen gibt es nicht, weil das Problem bisher nicht untersucht worden ist. Haiderer: „Man muss davon ausgehen, dass es auch solche gibt, die wir nicht kennen. Aber die Straßenkinder Wiens auf 300 zu schätzen ist noch konservativ. Es sind echte Straßenkinder, 13- bis 18-jährig, und ihre Zahl steigt. Sie schlafen in Abbruchhäusern, in Waggons, in Parks. Treffen sich bei den Kinozentren, im Prater, an der Donau, am Karlsplatz und anderswo.“ Die Wiener Jugendwohlfahrt betreibe teils gute Einrichtungen, doch mit den wirklich schwierigen Kids komme man dort nicht mit: „Zwei Drittel der Jugendlichen kommen von der MA 11, wurden rausgeschmissen. Sie müssen sich anpassen oder gehen.“ Für das Jugendamt stehe das Gesetz im Vordergrund, für a_way der Mensch. Haiderer findet es unerträglich, dass diese Jugendlichen keinerlei Anspruch auf ein Existenzminimum haben, und fordert ein Antragsrecht durch Sozialbetreuer. Abschiebungen. Es ist 13.00 Uhr. Cem hat seinen Termin am Floridsdorfer Jugendamt. Nach einer Stunde stürmt er mit hochrotem Kopf aus dem Büro einer Betreuerin. „Sie haben mich belogen. Ich hab gar keinen Platz. Sie haben gesagt, ich kann hier eine Nacht am Boden schlafen und muss morgen nach Oberösterreich gehen und einige Monate warten. Sie wollen mich abschieben. Sie hat gesagt, wenn ich nicht heute um 18.00 Uhr da bin, brauche ich mich gar nicht mehr zeigen und kann auf der Straße bleiben.“ Cem wurde schon einmal nach Oberösterreich abgeschoben. In eine Wohnung mit einer Matratze, einer Decke, einem Polster und einem Fernseher. Kein Geschirr, nichts. Und völlig alleine. „Einmal hab ich mich drei Tage nicht gemeldet, weil mein Handy kaputt war. Da haben sie mit Polizei, Feuerwehr und Rettung die Tür aufgebrochen. Ich bin aufgewacht, und sie haben mich beschimpft und gesagt, dass sie mir die Kosten des Einsatzes abziehen werden, sobald ich 18 bin.“ Sein Vater war nie da, die Mutter hat sich nicht um die Kinder gekümmert. „Mein Vater wollte von einem Onkel, dass er mich erzieht. Seit meinem dritten Lebensjahr hat er mich behandelt wie einen Soldaten, der was verbrochen hat. Gebrüllt, geschlagen, bespuckt. Meine zwei kleinen Geschwister sind in einem anderen Krisenzentrum. Ich darf sie nicht sehen. Sie haben uns voneinander getrennt. Ich hatte so große Sehnsucht.“ Cem ist ein typisches Beispiel für Familien, die nicht miteinander, aber auch kaum ohneeinander können: Seine Mutter habe auch zuletzt noch immer versucht, ihn wie ein kleines Kind zu schlagen. „Ich hab sie weggestoßen, und sie hat die Polizei gerufen und 12 gelogen, ich hätte sie geschlagen. Die Polizei hat mich schon dreimal weggewiesen. Jetzt hab ich Betretungsverbot.“ Nach Oberösterreich geht er jedenfalls nicht. „Mir doch egal“, sagt er. Im Fachjargon der Wiener Sozialpädagogik nennt man das „Betreuungsresistenz“. Besonders mitgenommen hat ihn ein Erlebnis während eines kurzen Aufenthalts im Wiener Krisenzentrum am Augarten vor einem halben Jahr. Peter, ein 16-Jähriger, süchtig, hatte es im dritten Versuch geschafft, mit einem wüsten Mix aus Tabletten Selbstmord zu begehen. Doch was Cem besonders getroffen hat, war, „dass dem Toten jemand das neue Handy gestohlen hat. Eine Betreuerin wusste auch, wer es war, hat aber nichts gemacht.“ Die Betreuerin befindet sich seit einem halben Jahr in Krankenstand. Ausgestattet mit Essbarem aus dem Supermarkt, liegen wir abends auf der Praterwiese unter dem Riesenrad. Symeya war ebenfalls in Oberösterreich „untergebracht“, obwohl sie davor keinen Bezug zu der Gegend hatte. „Weil ich ausgerastet bin, haben sie mich niedergespritzt, dass ich für nichts mehr Kraft hatte und zehn Kilo zugenommen habe. Ich war einmal ein normales Mädchen. Jetzt bin ich ein Straßenkind. Ich ziehe um die Häuser, aber nachdenken tu ich nur, wenn ich ganz alleine bin. Und das bin ich selten. Andere würden sich umbringen, ich halte das aber aus.“ Ram, der Dressman, hat den ganzen Tag nicht viel geredet. Auch er ist immer nur geschlagen worden von einem Vater, der, so Ram, „die Halbgeschwister liebte, aber mich nicht“. Ram ist guter Dinge: „Mir ist eine Arbeit beim Mäkki (McDonald’s, Anm.) versprochen worden. Dann verdiene ich mehr als 1000 Euro.“ Ihm hat es überall gefallen, wo er gewohnt hat. Was ihm fehlt, ist nicht viel mehr als eine Freundin. Na ja, vielleicht auch eine Wohnung, ein Schulabschluss, wirkliche Arbeit und nicht nur versprochene – und Kontakt zu den Eltern? „Nein, das will ich nicht. Das ist schon in Ordnung.“ profil.at 17.7.2010 Quelle: http://www.profil.at/articles/1028/560/273420/mindestens-300-strassenkinder-wienjugendaemter-familien 4.2 Aufräumen für Olympia POLIZEIEINSATZ IN DEN FAVELAS Rio räumt auf für Olympia Von Matthias Kremp Rios Armenviertel, die Favelas, gehören zu den gefährlichsten Wohngegenden der Welt. Tausende Polizisten sollen die von Drogen und Kriminalität zerrütteten Slums in Vorbereitung auf Olympia 2016 befrieden. Hilfe erhofft sich die Stadt von New Yorks Ex-Bürgermeister Giuliani. Für Rio de Janeiro, die brasilianische Megacity, die 2016 die Olympischen Sommerspiele ausrichten soll, hat die Zahl 68 eine ganz besondere Bedeutung. 68 nämlich ist genau die Zahl junger Brasilianer, die in den Slums der Stadt getötet werden - täglich. So lautet zumindest das Ergebnis einer Untersuchung des Statistikinstituts Instituto Brasileiro de Geografia e Estatística (IBGE), dass die Zahl der zwischen 1998 und 2008 gewaltsam in den Favelas zu Tode gekommenen Menschen ausgewertet hat. Dort leben Schätzungen zufolge rund eine Million Menschen, oft unter ärmlichsten Bedingungen. Meist handelt es sich um Landbevölkerung, die auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen nach Rio kommt, sich aber keine Wohnung in den besseren Vierteln der Stadt leisten kann. Obwohl die Bewohner der Favelas unter oft erbärmlichen hygienischen Bedingungen leiden und Drogenhandel und organisierte Kriminalität vielfach zum Alltag gehören, haben sich in den Unterschichtquartieren vielerorts Gemeinschaften gebildet, die den lokalen Bandenchefs erstaunlich loyal gegenüber stehen. So gibt es etwa Berichte, dass die Bewohner einer Favela 1987 gegen die Verhaftung eines örtlichen Drogenhändlers protestierten, weil dieser den Bau einer Kanalisation finanziert und elternlosen Kindern geholfen haben soll. 13 Doch solchen Robin-Hood-Geschichten zum Trotz hat sich Rios Stadtverwaltung vorgenommen, gegen Kriminalität und Wildwuchs der Favelas vorzugehen. Einen ersten Schritt in diese Richtung machten die Behörden am 30. November. Im Rahmen einer als "Operation Olympische Reinigung" bezeichneten Aktion marschierten Angaben des " Brazzil Magazine" zufolge 300 Militärpolizisten in die Favelas Pavão-Pavãozinho und Cantagalo ein. Anders als bei ähnlichen Aktionen zuvor sollen die Polizisten diesmal aber nicht nur zu einem kurzfristigen Einsatz ausgerückt sein, sondern dauerhaft als Schutztruppe in der Favela bleiben. Die "Logik des kaputten Fensters" Insgesamt will der für die öffentliche Sicherheit zuständige Minister José Mariano Beltrame 3300 Polizisten in verschiedene Favelas entsenden. Die so entstehenden, als "friedensstiftende Polizeieinheiten" bezeichneten Sicherheitstruppen sollen dafür sorgen, dass bis Ende 2010 30 Prozent der Slum-Bevölkerung Rios in sicheren und entkriminalisierten Wohngebieten leben. Insbesondere junge Polizeirekruten sollen dabei eingesetzt werden. Als besonderen Anreiz für den Job stellt Beltrame einen Bonus von 500 Real (knapp 200 Euro) in Aussicht. Als zusätzlichen Aktivposten hat sich Sérgio Cabral, Gouverneur des Bundesstaates Rio, der Dienste von New Yorks Ex-Bürgermeister Rudolph Giuliani versichert. Giuliani war von 1994 bis Ende 2001 Bürgermeister von New York, senkte die Kriminalitäts- und Mordrate der US-Metropole mit einer Null-Toleranz-Politik um mehr als die Hälfte. Mit einem ähnlichen Ansatz soll Giulianis Beraterfirma jetzt auch die Sicherheit in Rio verbessern. Mit Blick auf die Kriminalität sprach Giuliani von einer "Logik des kaputten Fensters". "Ich muss das erste reparieren, bevor sie das zweite einwerfen. So verringert man den Anreiz für weitere Straftaten und zeigt, dass Unordnung kein nachahmenswertes Beispiel ist." Auch friedliche Favelas werden abgerissen Doch gibt es auch Favelas, die sich gegen die Olympia-Pläne der Regierung wehren wollen. So wie beispielsweise die Vila Autódromo, eine aus einem Fischerdorf gewachsene Favela nahe der ehememaligen Rennstrecke Autódromo de Jacarepagua im Südwesten Rios. Angaben der gemeinnützigen Organisation Catcomm (Catalytic Communities) zufolge zählt die 40 Jahre alte Siedlung, in der rund 1200 Familien leben, zu den besonders ruhigen, friedlichen Favelas in Rio. Weder Drogenhandel noch kriminelle Banden machen den Einwohnern zu schaffen. Trotzdem soll ausgerechnet diese Favela komplett abgerissen werden, da sie offenbar den Bauplänen für das Olympische Dorf im Wege steht. Ebenso soll es demnach der Favela Asa Branca ergehen, die von Catcomm als Vorzeigeprojekt für Gemeinschaftsaktivitäten beschrieben wird. So sollen die Einwohner dieses Slums ihre Lebensbedingungen eigenhändig verbessert haben, indem sie eine Kanalisation gebaut und die Wohnhäuser zum Flutschutz erhöht haben. Laut Catcomm soll diese Siedlung einer Autobahn weichen. Der Alternativvorschlag der Organisation: Statt solche Siedlungen zu planieren, solle die Stadtverwaltung die Mittel, die ihr für die Vorbereitung der Olympischen Spiele bereitstehen lieber nutzen, um vorbildliche Favelas wie Asa Branca und Vila Autódromo zu urbanisieren. Viel Zeit für solche Vorhaben bleibt der Millionenstadt nicht. Bereits 2014 soll in Brasilien die Fußball-WM stattfinden, nur zwei Jahre später sind die Olympischen Spiele angesetzt. Spiegel online, 6.12.2009 Quelle: http://www.spiegel.de/reise/aktuell/0,1518,665453,00.html 14 4.3 Kinderprostitution 4.3.1 Kinderprostitution weltweit Kinderhandel, Kinderprostitution und Kinderpornografie haben sich in den vergangenen Jahren zu riesigen Märkten mit enormen Gewinnspannen entwickelt. UNICEF schätzt, dass allein in Asien jährlich eine Million Mädchen und Buben für das Geschäft mit Sex ausgebeutet werden. Der UN-Studie über Gewalt gegen Kinder (2006) zufolge werden weltweit 1,8 Millionen Kinder pro Jahr zur Prostitution und Pornografie gezwungen und 1,2 Millionen Kinder wie Ware verkauft – viele von ihnen für sexuelle Zwecke. Darüber hinaus werden etwa 150 Millionen Mädchen und 73 Millionen Buben unter 18 Jahren Opfer sexueller Gewalt – in der Familie, in der Schule, in ihren Wohnquartieren, in Gefängnissen, an ihrem Arbeitsplatz. Kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern ist eine der schlimmsten Menschenrechtsverletzungen weltweit. Das ganze Ausmaß der kommerziellen sexuellen Ausbeutung von Kindern ist unbekannt, weil die Täter im Verborgenen handeln und kriminelle Netzwerke nutzen. Doch die vorliegenden Daten und Beispiele lassen erkennen, dass das Recht der Kinder auf Schutz vor diesen schlimmsten Formen der Kinderarbeit millionenfach verletzt wird. […] Zahlen und Fakten Die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern ist ein kriminelles Geschäft, das nur zu einem Bruchteil aufgedeckt wird. Die folgenden Zahlen und Beispiele beruhen auf Schätzungen und sollen als Anhaltspunkte dienen. - ECPAT, die Arbeitsgemeinschaft zum Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung, schätzt den Umsatz mit Kinderprostitution und Kinderpornografie auf zwölf Milliarden US-Dollar im Jahr. Neben Waffen- und Drogenhandel ist der Menschenhandel das lukrativste kriminelle Geschäft. - In der Grenzregion zwischen Tschechien, Österreich und Deutschland wurde nach einer Untersuchung für UNICEF aus dem Jahr 2005 jedem siebten Kind schon einmal Geld für Sex angeboten. - In Nepal werden nach Schätzungen von UNICEF jährlich 12.000 Kinder, vor allem Mädchen, innerhalb des Landes oder nach Indien und andere Nachbarländer in Bordelle verkauft. - In Südafrika prostituieren sich laut UNICEF rund 30.000 Kinder unter 18 Jahre, die Hälfte von ihnen ist unter 14 Jahre alt. Ursachen und Hintergründe Kinder, die zu Opfern von Menschenhändlern und kommerziell sexuell ausgebeutet werden, sind häufig schon vorher gefährdet, weil sie in Heimen aufwachsen, aus zerrütteten Familien stammen oder in extremer Armut leben. Meist wirken viele Faktoren zusammen: Armut und extreme soziale Gegensätze machen die sexuelle Ausbeutung von Kindern oft erst möglich. So sehen sich in ländlichen Gegenden Thailands und Kambodschas Eltern gezwungen, ihre Kinder wegzugeben, um das Überleben der Familie zu sichern. Bei einer Befragung auf den Philippinen sagten die meisten Eltern von Kinderprostituierten, sie würden ihre Kinder ja von der Straße holen, „wenn sie die Wahl hätten“. Sie bräuchten aber deren Verdienst. Viele Familien glauben auch den Versprechungen der Kinderhändler, ihre Tochter oder ihr Sohn werde in der Stadt eine gut bezahlte Arbeit bekommen oder könne eine Ausbildung machen. Oder die verarmten Eltern bekommen direkt bares Geld und die Kinder müssen diese Schuld abarbeiten. Gewalt und sexueller Missbrauch in der Familie fördern das Abrutschen von Kindern ins SexGeschäft. Viele missbrauchte Kinder flüchten aus ihren Familien und müssen sich dann allein durchschlagen. Durch den Missbrauch werden sie oft „sexualisiert“. Das heißt, ihre Persönlichkeit wird so zerstört, dass sie leichter sexuelle Beziehungen zu Erwachsenen aufnehmen. Auch wenn Familien auseinander brechen oder extrem belastet sind, etwa durch Alkoholsucht, Krankheit oder den Tod eines Elternteils, werden Kinder leichter Opfer von Ausbeutern. Wo Frauen und Mädchen diskriminiert werden und wenig gelten, ist der Schritt zu Gewalt und zu ihrer sexuellen Ausbeutung nicht weit. In China und anderen Ländern Asiens sind Töchter den Eltern häufig weniger wert als Söhne. Die Ansicht, dass ein Mädchen etwas zum Unterhalt der Familie 15 beitragen sollte – egal wie –, ist weit verbreitet. Wer Frauen als Menschen zweiter Klasse betrachtet, hat weniger Skrupel, sie auszubeuten. Kriege und bewaffnete Konflikte haben meist eine Zunahme der kommerziellen sexuellen Ausbeutung von Frauen und Kindern zur Folge. Flüchtlinge werden leichter zu Opfern, wenn sie auf den Schutz einer Kriegspartei angewiesen sind. Milizen entführen Mädchen und halten sie als Sklavinnen. Viele Frauen und Kinder müssen sich prostituieren, um ihr Überleben zu sichern. Schätzungen gehen davon aus, dass 250.000 Kinder als Kindersoldaten missbraucht werden. Die Ausbreitung von AIDS trägt dazu bei, dass Männer häufig auf der Suche nach jüngeren Geschlechtspartnern sind, weil sie fälschlicherweise glauben, dadurch vor Ansteckung mit dem HIVirus sicher zu sein. Dabei sind Kinder aufgrund ihres Entwicklungsstadiums viel leichter verletzlich. Sie sind daher stärker in Gefahr, sich mit HIV zu infizieren und das Virus weiterzugeben als die Erwachsenen. Waisen aus von AIDS betroffenen Haushalten sind besonders in Gefahr: Sie haben oft keine andere Chance, als durch Prostitution ihr Überleben und das ihrer Geschwister zu sichern. Die fehlende Registrierung von Geburten in vielen Ländern macht es schwer, Kinderschutzgesetze anzuwenden, da das Alter der Betroffenen nicht bekannt ist. Diese Kinder bekommen keine Geburtsurkunde, werden oft nicht eingeschult und haben später keine Ausweise. In Bangladesch beispielsweise werden heute weniger als drei Prozent der Kinder bei ihrer Geburt offiziell eingetragen. […] Die Situation in Österreich Verlässliche Daten zur kommerziellen sexuellen Ausbeutung von Kindern in Österreich sind nicht vorhanden. Schätzungen gehen davon aus, dass es in Wien 200 minderjährige Prostituierte gibt. (1) Die Meldestelle Stopline ist 2007 2.800 Hinweisen zu kinderpornographischen Inhalten im Internet nachgegangen. Zahlen zum Ausmaß des Kinderhandels gibt es nur in Wien – in den letzten Jahren hat es ca. 1.300 Aufgriffe von Kindern, die zu Opfern des Kinderhandels geworden sind, gegeben. Eine von UNICEF in Auftrag gegebene und im Jahr 2005 veröffentlichte Untersuchung hat gezeigt, dass in der Grenzregion zwischen Tschechien, Österreich und Deutschland jedem siebten Kind schon einmal Geld für Sex angeboten wurde. Um die tatsächliche Zahl der Verbrechen einschätzen zu können, ist eine Grundlagenstudie zum Ausmaß des Kinderhandels in Österreich notwendig. Österreich hat im Jahr 2004 das Zusatzprotokoll zur Kinderrechtskonvention betreffend Kinderhandel, Kinderprostitution und Kinderpornografie ratifiziert und sich somit verpflichtet, die darin enthaltenen Standards auch umzusetzen. Außerdem war Österreich eines der ersten Länder, die die Europarat-Konvention gegen Menschenhandel ratifiziert haben. Die Bundesregierung hat im Jahr 1998 einen „Aktionsplan gegen Kindesmissbrauch und gegen Kinderpornografie im Internet“ und im Jahr 2004 einen Nationalen Aktionsplan für die Rechte von Kindern und Jugendlichen verabschiedet. Allerdings zeigen sich in beiden Aktionsplänen Defizite und die Verantwortlichkeit für die Implementierung ist jeweils unklar. […] (1) Siehe Tener, Carolin / Ring, Tina, Auf dem Strich-Mädchenprostitution in Wien, Milena, 2006 UNICEF Österreich 2008 Quelle: http://www.unicef.at/fileadmin/medien/pdf/zerstortekindheit.pdf 4.3.2 Kinderprostitution in Brasilien […] weiterhin zeigen Studien und zahlreiche Presseberichte, dass vielerorts im Lande schon zehnund elfjährige Mädchen ihren Körper für umgerechnet achtzig Cents feilbieten, und dass siebzehn berüchtigte und bestens bekannte Zuhälterringe weiterhin straflos landesweit Minderjährige sexuell ausbeuten. Und bei der Kinderpornographie im Internet, die die Pädophilie fördert, liegt Brasilien gemäß einer neuen Untersuchung inzwischen weltweit auf Platz eins. Auch nach Angaben des UNOKinderhilfswerks UNICEF ist die Lage im reichsten, wirtschaftlich hochentwickeltsten Teilstaat Sao Paulo besonders akut und nicht etwa in den Miseregebieten des Nordostens oder in den Touristenzentren. In der Erzdiözese von Sao Paulo koordiniert Maria do Rosario die Kinderpastoral. […] „Wir von der Kirche meinen, alles hat letztlich mit fehlender Bildung zu tun - ohne bessere Ausbildung, ohne bessere Schulen gibt es keine Lösung.” Jene Kinder, die sich prostituieren, entstammen zumeist dem Heer der funktionellen Analphabeten, dem Heer völlig zerrütteter, 16 verwahrloster Familien der Unterschicht. Ob auf dem Lande selbst in kleinen Dörfern, oder in den Slums der großen Städte. Die Familie, die Schule und die Kirche, so betont Maria do Rosario, hätten früher gemeinsam für die Bildung, die Erziehung dieser Kinder gesorgt. Doch dies sei leider nicht mehr möglich, zumal sich die öffentlichen Schulen sehr verschlechtert hätten. ”Heute ist die Lage gravierend. Denn wer kommandiert, wer steuert denn heute dieses Land? Das organisierte Verbrechen - und wir sind dessen Willkür ausgeliefert. Ich weiß, dass das eine schwerwiegende Feststellung ist. Destrukturierte Familien sind unfähig, den Mädchen eine Orientierung zu geben, schlimmer noch, stimulieren sie nur zu oft zur Prostitution, um daraus Gewinn zu ziehen, schicken sie gar an die Verkehrsampeln. Wollen diese Mädchen aus der Prostitution aussteigen, gibt es niemanden, der ihnen hilft, gibt es keine Struktur, die sie auffängt. Wir als Kirche können nur einer beschränkten Zahl von Familien und solchen betroffenen Mädchen helfen. Wir leisten ohnehin Sozialarbeit, die eigentlich Sache des Staates ist. Auf welche Familien treffen wir denn häufig? Die Mutter mit niedrigstem Selbstwertgefühl, der Vater Alkoholiker, die Großeltern von allen aufgegeben, verlassen, die Kinder ohne Halt. Wir restrukturieren, begleiten in Sao Paulo rund 14000 solcher Familien, sorgen dafür, dass dort kein Kind in die Prostitution abrutscht. Aber es gibt natürlich weit mehr bedürftige Familien in der Stadt.” Sueli Camargo, Leiterin der Jugendlichen-Pastoral von Sao Paulo, hat diese Angaben bestätigt und ebenfalls die Untätigkeit der Lula-Regierung und aller anderen Autoritäten angeprangert. Auch in der nordöstlichen Küstenstadt Fortaleza, einem beliebten Ferienziel, floriert die Kinderprostitution, stellen ausländische Touristen indessen nur einen Bruchteil der Freier, bieten sich am Industrieviertel indessen sogar neunjährige Mädchen an. […] Dass Mädchen ihren Körper für 1.99 Real anbieten, liegt nach Ansicht der Kongresssenatorin der Sozialistischen Partei, Patricia Saboya, daran, dass viele Kinder keinerlei Unterscheidungsvermögen haben und solchen Billig-Sex als eine gängige Praxis empfinden. “Alles beginnt zuhause, vergleichbar der Tatsache, dass Slumkinder davon träumen, einmal Bandit zu werden - dies scheint ihnen die natürliche Ordnung der Dinge.” Auch angesichts infantilen Fußball-Kommerz-WM-Nationalismus legt der PT-Politiker Carlos Minc aus Rio de Janeiro den Finger auf die Wunde, kritisiert in einer Kolumne die “Indifferenz der Gesellschaft” gegenüber der Kinderprostitution. Mädchen zwischen neun und zwölf Jahren alterten als Huren frühzeitig, würden auf den Straßen für 1.99 Real konsumiert, abgenutzt - alles mit Zustimmung, Duldung ihrer Familien, der Autoritäten, in einem Klima sozialer Scheinheiligkeit, “Hier zeigt sich auf groteske Weise der krankhafte Machismus”, so Carlos Minc. Anders als in Ländern wie Frankreich sei der Übergang zu einem System freier Arbeit nicht mit einer kulturellen Revolution verbunden gewesen, Laster und Fehler, Regeln der Sklavenhalter seien mit neuen ökonomisch-sozialen Werten verschmolzen, hätten sich so im brasilianischen Kapitalismus assimiliert. Was ist das für ein Land, fragt der PT-Politiker, das zwar einen ständigen Sitz im UNOSicherheitsrat wolle, einen Astronauten ins All schicke, aber nicht in der Lage sei, den Aderlass der Jugend Brasiliens zu stoppen. Quelle: http://www.hart-brasilientexte.de/2008/02/29/kinderprostitution-in-brasilien-madchenbieten-sich-fur-achtzig-cents-an/ 4.3.3 Kinderprostitution im Grenzgebiet in Tschechien Prag - Ein Jahr nach der EU-Osterweiterung werden in der Grenzregion Kinder weiter zur Prostitution gezwungen. Für viele Kinder dort gehört Kinderprostitution zum normalen Alltag. Dies zeigt eine Studie, die UNICEF gestern in Prag veröffentlicht hat. Bei einer Befragung von mehr als 1.500 Kindern und Jugendlichen berichtet fast jedes siebte Kind in der tschechischen Stadt Cheb nahe der deutschen Grenze davon, dass ihm einmal ein Erwachsener Geld für Sex angeboten habe. […] Mit Unterstützung von UNICEF wurden von der Prager Karls-Universität 1.585 Schulkinder im Alter von sieben bis 15 Jahren interviewt - 844 davon in der tschechischen Stadt Cheb nahe der deutschen Grenze und 741 in Prag. - 43 Prozent der befragten Mädchen in Cheb halten demnach Prostitution für eine gute Möglichkeit 17 Geld zu verdienen, wenn man keine Ausbildung hat (in Prag äußerten nur fünf Prozent der Kinder diese Ansicht). - Fast zehn Prozent der in Cheb befragten Kinder können sich vorstellen, sich selbst zu prostituieren, in Prag sind dies sechs Prozent. - Die Mehrheit der Kinder weiß, dass es in ihrer Stadt Kinderprostitution gibt (75 Prozent in Cheb, 65 Prozent in Prag). - Viele Kinder gaben an, selbst Kinderprostituierte gesehen zu haben (29 Prozent in Cheb, 12 Prozent in Prag). - Fast 14 Prozent der Kinder in Cheb und zehn Prozent der Kinder in Prag berichteten, dass ihnen schon einmal ein Erwachsener Geld für Sex angeboten habe. […] UNICEF-Pressemitteilung, 2.6.2005. Quelle: http://www.tschechien-online.org/news/854-unicef-kinderprostitution-gehort-grenzgebiettschechien-alltag/ 4.3.4 Kinderprostitution in Österreich In Österreich prostituieren sich Schätzungen zufolge etwa 1.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Allein in Wien gingen 200 Minderjährige auf den Strich, sagt Astrid Winkler von der Kinderschutzorganisation ECPAT. Kinderhandel und -prostitution haben in den vergangenen Jahren international zugenommen, hieß es anlässlich der Veröffentlichung eines Monitoring-Berichts zur kommerziellen sexuellen Ausbeutung Minderjähriger. Laut Bundeskriminalamt (BK) wurden von Jänner bis November 2006 sechs Fälle von Kinderprostitution bekannt. Im selben Zeitraum des Vorjahres waren es vier. […] 2.500 bis 4.500 Männer aus Österreich haben laut Schätzungen der Organisation im Ausland Sex mit Minderjährigen. Drei Fälle werden derzeit polizeilich und gerichtlich verfolgt. Laut Polizeiexperten liegt die Dunkelziffer weit höher: Auf ein bekannt gewordenes Delikt dürften 1.000 kommen, die unentdeckt bleiben. Österreichische Sextouristen seien zunehmend in grenznahen Ländern unterwegs. "Tschechien ist ein Problemgebiet", so Winkler. Aber auch die Schwarzmeerküste werde zu diesem Zweck immer häufiger von Österreichern frequentiert. Oft werde Kinderprostitution dort hinter BegleitserviceAngeboten versteckt. International ist ein Anstieg bei der Prostitution von Buben zu bemerken, sagte Alessia Altamura von ECPAT International. Vor allem in Bangladesch, Pakistan und Indien sind sie immer häufiger SexOpfer. Die traditionellen Destinationen Thailand und die Philippinen werden von europäischen Kindersextouristen zunehmend gemieden - sie weichen dafür nach Indonesien und Kambodscha aus. In westlichen Ländern wird laut ECPAT immer öfter das Phänomen der "freiwilligen Prostitution" beobachtet: Jugendliche verkaufen ihren Körper wegen des gestiegenen Konsum- und Kaufdrucks. Häufiger werde auch die "Peer-to-Peer"-Ausbeutung, bei der Jugendliche pornografische Handyvideos und -bilder von Gleichaltrigen machen und diese verbreiten. "Der Handel von Kindern zur kommerziellen sexuellen Ausbeutung ist ein wachsendes Phänomen in Europa", sagt Altamura. In Wien nahm die Magistratsstelle für unbegleitete Minderjährige von 2003 bis 2005 weit über 500 Kinder auf. Jüngere Mädchen waren zuvor meist zu sexuellen Dienstleistungen, Jugendliche zum Betteln und Stehlen gezwungen worden, so ECPAT. In puncto Kinderprostitution, -pornografie und -handel liegt Österreich "im europäischen Trend. In der Gesetzgebung gibt es Verbesserungen aber die Umsetzung hinkt diesen Standards hinterher", 18 kritisiert Sax. Eine bessere Durchsetzung scheitere unter anderem am Fehlen statistischer Daten und an der länder- und ressortübergreifenden Koordination. Von einer neuen Bundesregierung forderte die Kinderschutzorganisation, den Nationalen Aktionsplan Kinderrechte 2004 "mit Leben zu erfüllen", so Winkler. Außerdem müsse die Datenlage zu Missbrauchsfällen ausgebaut werden, ein Betreuungskonzept für Opfer erarbeitet sowie mehr finanzielle Mittel für Kampagnen bereitgestellt werden. Quelle: http://oesterreich.orf.at/stories/158972 19.12.2006 4.3.5 Kinderprostitution in Wien Im Stuwerviertel und auf der Äußeren Mariahilfer Straße greift die Polizei regelmäßig minderjährige Prostituierte auf. Für Minderjährige, die auf den Strich gehen, gibt es in Wien keine niederschwelligen Beratungsstellen, was laut Hilfsorganisationen dazu führt, dass das Problem nicht in vollem Umfang erfasst werden kann. Im Stuwerviertel ist die Polizei derzeit drei Mal pro Woche unterwegs. „Und wir landen leider immer wieder Treffer", sagt Michael Lepuschitz, stellvertretender Leiter der sicherheitspolizeilichen Abteilung bei der Wiener Polizei. Die Beamten greifen auf dem Strich in Praternähe regelmäßig Minderjährige auf, der Großteil stammt aus Osteuropa und kam mittels Schleppern illegal ins Land. Seit die Exekutive dort verstärkt Präsenz zeigt, ist die Zahl der Teenager, die nachts am Straßenrand stehen, zwar gesunken. Problemlösung sei das allerdings keine, sagt Lepuschitz: „Es verlagert sich dadurch nur in die Häuser." Weshalb man sich nun auch diverse Rotlichtlokale im Grätzel vornehmen will. „Im Stuwerviertel sind in den letzten Wochen bereits einige Betriebe geschlossen worden, weil man nicht zwischen Erwachsenen und Jugendlichen unterschieden hat." Das Hauptproblem sei allerdings, dass es dafür einen Markt gibt. „Und daran sind nicht nur die bösen Ausländer schuld, die die Kinder ins Land bringen, sondern auch die Freier." Neben Minderjährigen, die aus Osteuropa nach Wien verschleppt werden, sind viele drogensüchtige Teenager aus Problemfamilien betroffen. „Sie haben oft keine Möglichkeit, legal an Geld zu kommen", sagt Martin Haiderer, Leiter der Notschlafstelle away zur Austria Presse Agentur. Rund ein Drittel der Jugendlichen, die in der Caritas-Einrichtung hinter dem Wiener Westbahnhof kurzzeitig Unterschlupf findet, prostituiert sich. Im vergangenen Jahr waren das um die 120 Kids. Das Phänomen der Kinderprostitution sei sicher in Wien fokussiert, sagt Haiderer. Es kämen auch viele Kinder und Jugendliche aus den Bundesländern in die Hauptstadt, um auf den Strich zu gehen. Sprechen wolle kaum jemand darüber. Vor allem Burschen würden ihre Situation verleugnen, obwohl sie gleichermaßen betroffen seien wie Mädchen. Konkrete, österreichweite Zahlen zu Kinderprostitution gibt es nicht. „Da es kaum niederschwellige Anlaufstellen gibt, kommen auch wenig Betroffene - weshalb es auch keine Zahlen gibt", sagt Astrid Winkler, Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft zum Schutz von Kindern gegen sexuelle Ausbeutung. Sie fordert „umfassende wissenschaftliche Grundlagenstudien". Nur so könne man die Opfer gezielt unterstützen. In Wien ist eine Ausweitung des Beratungsangebots freilich nicht geplant. „Es gibt bereits einige Anlaufstellen für diese Zielgruppe, egal welchen Alters", sagt Monika Sperber, Sprecherin von Jugendstadtrat Christian Oxonitsch (SP). Innerhalb des Jugendamts unterscheide man außerdem nicht zwischen einzelnen Gewaltformen. „Das ist die geeignete Einrichtung für jede Form des Missbrauchs." (Martina Stemmer/DER STANDARD-Printausgabe, 7.4.2009) 19 4.3.6 „Morgens Mathe, mittags Hure“ Von Dialika Krahe Sie sind noch Kinder, 12, 13 Jahre alt. Sie verlieben sich zum ersten Mal - und geraten an einen Zuhälter, auf dem Schulhof oder bei Facebook. Eltern und Polizei kämpfen gegen die Macht sogenannter Loverboys. Oft ist es schon zu spät. […] "Ich hab eben nie was anderes gelernt", sagt Angelique. Sie war 15 Jahre alt, als sie sich in ihren ersten Zuhälter verliebte. Wenn sie aus der Schule kam, wartete er in seinem Auto. Er hatte kurze Röcke gekauft, hohe Schuhe, große Ohrringe, sie sollte das alles tragen. Sie stieg ein, weil sie ihn liebte. Dann fuhr er sie auf Parkplätze, brachte sie in Wohnungen und vermietete ihren Körper, ein 15-jähriges Mädchen. Angelique wurde zum Sex erzogen. […] Loverboys, so nennt man in den Niederlanden diese Typen, die Schulmädchen durch ihre Liebe an sich binden und sie anschaffen schicken. Junge Männer, die 13-, 14-, 15-jährige Mädchen vor der Schule abfangen oder sie über das Internet ansprechen, soziale Netzwerke wie Facebook; die sie abhängig machen von ihrer Aufmerksamkeit, ihrer Zuneigung, von Drogen, bis es zu spät ist und die Mädchen ihnen gehören. So war es bei Angelique, sie ging damals in die achte Klasse; so war es bei Maria, 12, er achtete darauf, dass sie weiterhin zur Schule ging; so war es auch bei Mowitha, einem 13-jährigen Mädchen, das gern Fußball spielte und Gitarre, bevor es diesen Jungen traf. Morgens Mathe, mittags Hure, manchmal Sex in den Freistunden dazwischen, diese Geschichten erschüttern die holländische Gesellschaft. Weil es nicht Mädchen aus zerrütteten Familien, aus sozial schwachen Milieus sind, die hier in die Unterwelt rutschen und verschwinden, sondern Mädchen aus der Mitte der Gesellschaft, Töchter von Lehrerinnen, Cafébesitzerinnen, manchmal läuft es über Jahre, ohne dass es jemand merkt. Emotionale Abhängigkeit zwischen Prostituierten und Zuhältern hat es immer schon gegeben. Frauen werden durch Drogen, Gewalt, auch durch Zuneigung hörig gemacht, damit sie funktionieren. Dass aber junge Männer systematisch nach Schulmädchen suchen, um sie zu Huren heranzuziehen, ist ein bisher unbekanntes Phänomen, das Eltern, Lehrer und Polizei überfordert. Niederländische Schulen veranstalten deshalb Aufklärungsseminare, Sozialeinrichtungen richten Häuser für die Opfer ein, Kriminologen beschäftigen sich mit dem Thema. Und auch in Deutschland werden die ersten Eltern wach, wenden sich an Hilfsorganisationen, weil sie nicht wissen, wie sie ihre Töchter vor deren Zuhältern retten sollen. […] "Ab einem gewissen Punkt sind die Mädchen nicht mehr in der Lage, die Realität zu sehen", sagt Bärbel Kannemann, der Loverboy sei dann ihre einzige Wirklichkeit. Kannemann ist eine kleine, runde Frau, pensionierte Kommissarin, 35 Jahre lang hat sie in Deutschland bei der Polizei gearbeitet, nun lebt sie abwechselnd in Deutschland und den Niederlanden. Sie wurde durch eine Vermisstensendung auf das Thema Loverboys aufmerksam. Seit zwei Jahren ist sie in der Stiftung "stoploverboys" tätig. Jedes Jahr werden in den Niederlanden rund 1500 junge Mädchen Opfer dieser Form von Prostitution, das schätzen Hilfsorganisationen. Die Opfer trauen sich nur selten, zur Polizei zu gehen, weil sie bedroht werden, weil sie sich schämen, sich selbst schuldig fühlen oder keine Beweise haben. 180 Anzeigen gegen Loverboys gab es vor zwei Jahren, die Dunkelziffer, das vermutet die Polizei, liegt höher. […] Spiegel online, 05. Juli 2010 Quelle: http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,704727,00.html 20 5. AUSZUG AUS DEM STÜCK KIWI: Ich komme zurück. Von weitem sehe ich einen Jungen aus unserem Unterschlupf kommen. Er macht einen wohlhabenden Eindruck. Ich bemerke auch bewaffnete Männer auf dem Grundstück. Das sieht nicht gut aus. Ich nehme Haselnuss auf den Arm. Ich verstecke mich. Von weitem höre ich Tangerines Stimme: Kiwi! Kiwi! Wir sind es! Wir sind zurück. Die Männer verstecken sich im Wald. Ich spüre, wie mir das Blut in den Armen und Beinen gefriert. Der Junge ruft uns zu: Ich bin es, Traube, ich bin zurückgekommen. Ich habe Freunde gefunden. Sie haben mir versprochen, dass wir alle von reichen Familien adoptiert werden. Los kommt! Das Elend hat ein Ende! Papaya und die anderen tauchen auf: Wer hat dir was versprochen? Wo ist Kiwi? Traube antwortet: Kommt her, meine Freunde, die ich mehr liebe als alles andere auf der Welt, wir wollen reden! Wir müssen gar nicht mehr das Haus aus Stein kaufen, ab heute werden wir glücklich sein. Und da möchte ich mit einem Mal schreien. Mein Mund steht offen, aber meine blaue Zunge bleibt stumm. Die Männer kommen aus ihrem Versteck und beginnen mit ihren Gewehren auf meine Freunde zu schießen. Traube läuft auf die Männer zu und brüllt: Nein, nicht auf meine Freunde! Nein! Ein Mann mäht ihn mit dem Maschinengewehr um. Tangerine und Zitrone versuchen sich durch den Bach in Sicherheit zu bringen. Sie werden von den Gewehrkugeln eingeholt. Die Männer verfolgen jene, die den anderen Hang hinauflaufen. Ich sehe sie alle im Kugelhagel zusammenbrechen. Die Männer rennen zu ihrem Lastwagen. Ich höre sie abfahren. Ich richte mich wieder auf. Ich laufe zu meinen Freunden. Ich berühre sie. Blut! Überall Blut! Kein Seufzer. Nichts. Wacht auf! Ich irre kopflos hin und her. Wacht auf! Mango, wach auf, Mango, du hast ein Baby. Lass mich nicht ganz allein! Mango! Wacht auf, meine Freunde, meine Freunde, lasst mich nicht ganz allein. 21 6. VOR- UND NACHBEREITUNG Zur Einstimmung: Straßenkinder (zur Vorbereitung) Wählen Sie eine der beiden Methoden aus, um Ihre SchülerInnen auf das Stück einzustimmen: Kreidestaffel: Schreiben Sie das Wort „Straßenkinder“ in die Mitte der Tafel. Geben Sie einem Schüler/einer Schülerin die Kreide, um Assoziationen oder Fragen aufzuschreiben. Er/sie gibt die Kreide weiter an die nächste Person, die wieder eine Assoziation oder Frage aufschreibt. An der Tafel entsteht ein Cluster aus Begriffen, Vermutungen, Fragen. Brainstorming / Unterrichtsgespräch: Schreiben Sie das Wort „Straßenkinder“ an die Tafel und sammeln Sie die Assoziationen oder Fragen der SchülerInnen in einem Tafelbild. Zur Einstimmung: eigene Schlüsse erfinden (zur Vorbereitung) Lesen Sie den SchülerInnen die Inhaltsangabe nur bis zur Hälfte vor (z.B. bis „dass das Töten nicht erlaubt ist“) und lassen Sie sie dann überlegen, wie das Stück ausgeht. Anschließend können die SchülerInnen mögliche Schlüsse spielen - sie übernehmen dabei die Rollen der obdachlosen Jugendlichen. Durch diese Übung entwickeln die SchülerInnen eine eigene Vorstellung von dem Stück und setzten sich spielerisch mit der Stücksituation und den Inhalten/Themen auseinander. Das Stück weiter schreiben (zur Nachbereitung) Lassen Sie die SchülerInnen einzeln oder in Kleingruppen die Geschichte von Kiwi und Litschi weiter schreiben. Haben sie das Haus auf dem Lande bekommen oder haben sie sich das Ende so ausgemalt? Was passiert in dem einen oder anderen Fall? Anschließend präsentieren die SchülerInnen einander ihre Fortsetzung. Standbild (zur Nachbereitung) Räumen Sie Stühle und Tische beiseite und lassen Sie die SchülerInnen quer durch den Raum gehen. Währenddessen beschreibt ein Freiwilliger eine Situation aus dem Stück. Auf ein Klatschen sollen sich die SchülerInnen dann in 2er-6er Gruppen zusammenfinden und ein Standbild zu dieser Situation bauen. Nach einem kurzen Freeze lösen sie das Bild wieder auf, gehen weiter durch den Raum und ein anderer Freiwilliger beschreibt eine andere Situation. Die SchülerInnen können die Geschichte auch weiter erzählen und eigene Situationen erfinden. Indem die SchülerInnen Standbilder bauen, suchen sie sich die prägnantesten Situationen heraus und lernen zu fokussieren. Da sie dafür nur den kurzen Moment nach dem Klatschen haben, müssen sie kooperieren und sich schnell auf eine Situation einigen. Hochstatus, Tiefstatus (zur Vor- oder Nachbereitung) Hochstatus: Gerade Kopfhaltung, sicherer Gang, wenig blinzeln, wenig Sprache Tiefstatus: Hecktische Bewegungen, Hände im Gesicht, viel blinzeln, viel und verunsichert sprechen 22 1. Lassen Sie Ihre SchülerInnen nacheinander Hoch- und Tiefstatus einnehmen und entsprechend durch den Raum gehen. Zunächst ist jeder bei sich, dann werden die anderen wahrgenommen und schließlich kommt Blickkontakt hinzu (Hochstatus: starren, Tiefstatus: gleich wieder weggucken). 2. Teilen Sie dann die Gruppe und lassen Sie eine Hälfte im Hochstatus und eine Hälfte im Tiefstatus durch den Raum gehen. Begegnungen finden statt (erst nur Blickkontakt, dann Sprache). 3. Am Ende können Sie Jugendliche-(Geheim-)Polizei-Szenen improvisieren lassen, in denen mal die eine, mal die andere Seite Hoch- bzw. Tiefstatus hat. Themenmaschine „Armut“ (Zur Nachbereitung) 1. Räumen Sie Tische und Stühle an die Seite und bilden Sie mit den SchülerInnen einen Kreis. Zunächst soll reihum zum Thema „Armut“ assoziiert werden: Eine/r fängt an und sagt irgendein Wort, das ihm dazu einfällt. Dann ist sein/e Nachbar/in dran usw. Es kann mehrere Runden assoziiert werden. Wem nichts einfällt, kann Worte wiederholen (den Fluss nicht unterbrechen). Assoziationsübungen machen den Kopf frei und holen alles hervor, was einem spontan zu einem Thema einfällt. 2. Anschließend bekommen die SchülerInnen die Aufgabe, eine Themenmaschine zum Thema „Armut“ zu bauen. Die Mitte des Raumes kann als Bühne dienen. Eine/r fängt an, geht in die Mitte, nimmt eine Haltung ein und macht dazu eine kurze, sich wiederholende Bewegung und ein passendes Wort oder ein Geräusch (Bsp.: ein Bettler, der die Hand hoch hält und „Bitte“ sagt; ein Marktverkäufer, dem gerade ein Stück Obst gestohlen wurde und der „Halt“ ruft usw.). Der nächste Schüler kommt dazu, nimmt eine Haltung ein, die sich zum ersten in Beziehung setzt und ergänzt diese ebenfalls durch eine kurze Bewegung und ein Wort/Geräusch. Dann kommt der nächste usw., bis alle Schüler in einem Bild stehen. Die Bewegungen und Geräusche laufen die ganze Zeit weiter. Sind alle Schüler involviert, können Sie die Maschine erst immer langsamer und dann immer schneller werden lassen, bis sie schließlich explodiert. Auch beim Bau der Maschine arbeiten die SchülerInnen assoziativ. Als Teile der Maschine bilden sie am Ende ein gemeinsames großes Ganzes, was den Gemeinschaftssinn stärkt. Vertrauensübung (Zur Vor- oder Nachbereitung) Räumen Sie gemeinsam alle Stühle und Tische beiseite, sorgen Sie dafür, dass Sie während der Übung ungestört sind und nehmen auch Sie bei einer ungeraden Schüleranzahl an der Übung teil. Alle stellen sich in einen Kreis und fassen sich an den Händen. Reihum wird durchgezählt: 1,2,1,2... Wenn jeder einen festen Stand hat, lehnen sich auf ein Signal hin alle 1er ganz langsam nach hinten. Sie werden von den 2ern gehalten. Dann richten sie sich langsam wieder auf, die 2er lehnen sich zurück und die 1er halten sie fest. In der nächsten Phase lehnen sich gleichzeitig die 1er nach vorne und die 2er nach hinten. Sie stützen sich gegenseitig. Jeder wird von den anderen gehalten und der Kreis ist stabil. Fragen Sie die SchülerInnen, wie sie sich während der Übung gefühlt haben. Hatten sie Angst oder haben sie sich wohl gefühlt? Woran lag das? Statistisches Theater: „Bewege dich, wenn …“ (Zur Vor- oder Nachbereitung) Die SchülerInnen stehen im Kreis. Der Pädagoge / die Pädagogin stellt Fragen. Wenn man die Frage mit „Ja!“ beantworten kann, dann verlässt man seinen Platz und sucht einen neuen. Bei „Nein!“ bleibt man stehen. Bewege dich, wenn … - du dich schon einmal gegen eine Autorität gewehrt hast 23 - du dich schon einmal gern angepasst hast - du dich schon einmal zähneknirschend, widerwillig angepasst hast - du dich schon einmal angepasst hast, obwohl du dir gedacht hast, es ist nicht gut so, man müsste etwas sagen, aber ich trau mich nicht - du dich gewehrt und einen Nachteil daraus gezogen hast - du dich gewehrt und dafür Applaus bekommen hast - du dich gewehrt und Unterstützung gefunden hast - du dich angepasst und gedacht hast, im Verborgenen mache ich es doch anders Forumtheater-Übungen zu „Kiwi“ (je nach Übung zur Vor- oder Nachbereitung) Das Forumtheater ist die zentrale Methode im „Theater der Unterdrückten“, entwickelt von Augusto Boal, Rio de Janeiro. Es stellt dem Publikum eine Szene vor, die schlecht und unbefriedigend endet. Das Publikum wird ermutigt, diese Szenen zu einem besseren Ende zu bringen. Lassen sie SchülerInnen eine oder mehrere der angegeben Szenen nachspielen. Danach wird die Szene ein zweites Mal gespielt, die anderen SchülerInnen können jedoch an einer bestimmten Stelle eingreifen, den Platz mit einer der „SchauspielerInnen“ tauschen und so die Geschichte in eine andere – bessere – Richtung lenken. Lassen Sie die SchülerInnen selbst entscheiden, ob es „innere“ oder „äußere“ Einflüsse sind, die das Geschehen in eine neue Richtung lenken (am Beispiel der 1. Szene: ändern Onkel und Tante ihre Meinung? Lässt sich das Mädchen nicht so einfach aussetzen? Oder kommt überraschend ein Wohltäter, der ihnen zu einem besseren – gemeinsamen – Leben verhilft?), aber sprechen Sie im Anschluss mit ihnen darüber. Die Übungen sind so formuliert, dass sie auch ohne den Theaterbesuch ausgeführt werden können. Wenn Sie die Übung zur Nachbereitung verwenden möchten, können Sie natürlich Szenen aus dem Stück dafür nehmen. 1. Szene: Ein Mädchen lebt mit Onkel und Tante in einer Hütte in den Slums. Eines Nachts kommt ein Mann und sagt, dass sie innerhalb von 3 Tagen verschwinden müssen. Es werden Unterkünfte für die olympischen Spiele gebaut – der Abschaum muss weg. Onkel und Tante beschließen, das Mädchen auf dem Rummelplatz auszusetzen. Am nächsten Tag setzen sie ihren Plan in die Tat um. 2. Szene: Eine Gruppe obdachloser Jugendlicher wohnt zusammen. Um zu überleben, sind sie gezwungen zu betteln, Gelegenheitsjobs anzunehmen oder auch zu stehlen. Doch das wenige Geld reicht nicht, um genug Essen, Kleidung und Wärme für alle zu bekommen. In dieser aussichtslosen Situation beschließen die Jugendlichen, sich zu prostituieren. 3. Szene: In einem autoritären Staat haben es Regimegegner schwer. Sie müssen sich verstecken, können nicht legal arbeiten, kämpfen daher ums Überleben. Der Geheimdienst macht sich nun an ein Mitglied einer Widerstandsgruppe heran und verspricht Straffreiheit und Lebensmöglichkeiten, wenn er/sie dafür die anderen Mitglieder der Gruppe verrät. Schockiert wird das Angebot zurückgewiesen, doch später wird der Überlebensdruck so groß, dass er/sie die anderen an den Geheimdienst verrät. 4. Szene: Ein junges Paar geht im Wald spazieren. Das Mädchen hat eine Vergangenheit: es hat sich prostituiert. Ein ehemaliger Freier ist ihnen gefolgt und verlangt, dass ihm das Mädchen zu Willen ist. Das Paar widersetzt sich und es kommt zum Kampf. Der junge Mann möchte das Mädchen beschützen und erschlägt den Freier. Kinderrechte (zur Vor- oder Nachbereitung) Im Anhang finden Sie eine Übung zum Thema „Kinderrechte“ von humanrights.ch 24 7. FRAGENKATALOG ZUR STÜCKNACHBEREITUNG 1. „Kiwi“ ist eine Produktion, in der viel Handlung erzählt, aber nicht auf der Bühne dargestellt wird. Das Meiste spielt sich also im Kopf des Zuschauers ab. Was haltet ihr von dieser Theaterform? 2. Ihr habt das Mädchen Kiwi kennen gelernt. Was haltet ihr von ihr? Könnt ihr Kiwis Verhalten nachvollziehen? Wer ist schuld daran, dass ihr Leben so ist wie es ist? Worin seht ihr Kiwis Stärken/ihre Schwächen? 3. Welche Szene ist euch besonders in Erinnerung geblieben? Warum? 4. Innerhalb der Gruppe versuchen die Jugendlichen, einander Wärme und Geborgenheit zu schenken. Wie wichtig sind für euch eure FreundInnen? Was geben sie euch, was eure Familie euch nicht geben kann? 5. Obdachlose Jugendliche, die sich (auch) prostituieren: wart ihr schockiert? Habt ihr davon gewusst? Wo auf der Welt gibt es – eurer Meinung nach – solche Lebensumstände? 6. Welche Figuren aus dem Stück habt ihr gemocht / welche nicht? Was haltet ihr von Traube und seinem Verhalten? 7. Kiwi träumt sich wenn es ganz schlimm wird an einen anderen Ort. Wohin würdet ihr euch träumen? Wie würde es da aussehen? 8. Wie geht die Geschichte von Kiwi und Litchi weiter? 25 8. LITERATUREMPFEHLUNGEN ZUM THEMA Für Jugendliche Belletristik Morton Rhue: Asphalt Tribe. Kinder der Straße. Ravensburger 2004 Sabrina Tophofen: Mein Leben 04. So lange bin ich vogelfrei: Mein Leben als Straßenkind. Würzburg: ARENA, 2010 Fachbücher Reiner Engelmann, Urs M. Fiechtner (Hg.): Kinder ohne Kindheit. Ein Lesebuch über Kinderrechte. Düsseldorf: Sauerländer, 2006 Reiner Engelmann: Kinder: ausgegrenzt und ausgebeutet. Edition Menschenrechte. Herausgegeben von Marion Schweizer. Unkel: Horlemann, 2008 Für Erwachsene Birgitta Reddig-Korn (Hg): Morton Rhue: Asphalt Tribe. Materialien zur Unterrichtspraxis. Ravensburger 2009 Markus H. Seidel: Straßenkinder in Deutschland. Schicksale, die es nicht geben dürfte. Berlin: Ullstein, 2002 Cathrin Schauer: Kinder auf dem Strich. Bericht von der deutsch-tschechischen Grenze. Herausgegeben von ECPAT Deutschland und dem Deutschen Komitee für UNICEF. Unkel: Horlemann, 2003 9. WEBLINKS ZUM THEMA http://www.tdh.de/content/themen/schwerpunkte/strassenkinder/index.htm http://www.unicef.at/infomaterial_liste.html?kat=217 siehe auch die Angaben bei den jeweiligen Texten 26