Schmetterling
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Schmetterling
Schmetterling Monochrom und nackt. Schneeweiße Gänsehaut spannte sich straff über meinen knochigen Frauenkörper. Ich schlang die Arme um mich, wollte verhindern auszukühlen, doch was vermochten diese dürren Äste schon zu wärmen? Rotz und Tränen vermischten sich an meiner Nasenspitze zu einem salzigen Tropfen, einer Dachlawine die nur darauf wartete von den Schwingungen meines bibbernden Körpers losgetreten zu werden und durch den Rost jenes kalten Gitterbodens zu fallen, der sich bereits als schachbrettartiges Muster in das zartrosa Fleisch meiner Fußsohlen gefressen hatte. Eine unsichtbare Quelle aus dem Off schmetterte einen grellen Lichtkegel auf mich herab. Ich versuchte zu schreien, doch kein Ton kam über meine ausgedorrten Lippen. Angst überkam mich, schnürte mir die Kehle zu und ließ mich panisch in die schwarze Kälte keuchen. Mein Atem materialisierte sich im Neonlicht wie der bierige Zigarettenrauch in einem voll gestopften Pub. Ich starrte in die Finsternis und fürchtete mich vor meinen eigenen Kopfgeburten und all den anderen unaussprechlichen Dingen die jenseits des mich umgebenden Lichtovals auf mich hätten lauern können. Hinter dem kalten Schweiß auf meiner Stirn klackte ein gigantisches Uhrwerk schwerfällig vor sich hin, ließ wehmütig seine Stundenzeiger hängen und weigerte sich hartnäckig die Zeit vergehen zu lassen. Ich konnte nicht sagen wie lange ich nun schon dastand und meine zitternden Hände anglotzte. Ich hatte Angst zu verschwinden sobald ich meine Blicke von meinem Körper löste. Sich auf etwas Bekanntes und Reales wie den eigenen Körper zu konzentrieren, war in dieser surrealen Leere die einzige Möglichkeit nicht verrückt zu werden. „Solange ich mich sehen kann, bin ich existent.“ Der menschliche Verstand stellt in Extremsituationen die seltsamsten Regelwerke auf um nicht verrückt zu werden. Stärker als jedes Gitter es vermocht hätte, hielt mich diese Mauer aus Licht gefangen. Ich fühlte mich wie ein eingesperrtes Tier und tapste mit kleinen schnellen Schritten im Kreis. Schweiß drang aus meinen rasierten Achselhöhlen. „Genug jetzt!“, hämmerte ich mir Disziplin ein. Der Staudamm in mir begann zu bersten. Ich atmete tief durch, hielt kurz inne; und lief. Zuerst dachte ich die Dunkelheit würde vor mir flüchten, doch dann bemerkte ich, dass es der Lichtkegel war, der mir auf Schritt und Tritt folgte. Stets umhüllt von Neonweiß pumpte ich meinen Atem druckvoll aus dem Mund. Ich lief und lief, getrieben von der Hoffnung auf irgendetwas zu stoßen. Ein Ding, einen Geruch oder nur ein verdammtes Geräusch. Mein Muskelapparat fing Feuer. Überanstrengung. Ich zwang mich weiter. Selbst als sich meine Fußballen an dem harten Gitterboden blutig geschürft hatten konnte mich nichts davon abhalten noch einige Meter © Michael Köpf 2006 weiter zu rennen. Dann blieb ich stehen. Keuchend, meinen Körper gegen die Knie pressend, musste ich mir eingestehen, dass ich wohl noch Tage oder Wochen hätte laufen können ohne auf eine Grenze dieses Raumes zu stoßen. Kein Anfang und kein Ende. Wie leer die Unendlichkeit doch ist. In der Hoffnung irgendetwas zu treffen, warf ich wahllos hektische Blicke um mich. Da! Zwei glatzköpfige alte Herren traten zu mir in den Lichtkreis. Unbeholfen tänzelte ich nach hinten und versuchte mit den Händen meinen Schambereich zu verdecken. Ihre schmalen abgemagerten Gesichter wuchsen wie Unkraut aus den weißen Arztkitteln die sie trugen. Eine dieser seltsamen Gestalten bewegte nun langsam seine Lippen und starrte mich dabei fragend an. Ich sagte ihm, dass ich seine Worte nicht hören könne, doch er lächelte nur mitleidig und kritzelte irgendwelche Notizen auf seine faltige Handfläche. Ich sah es an seinem Gesichtsausdruck, dass er versuchte mir Fragen zu stellen und enttäuscht darüber war mich nun schlecht beurteilen zu müssen. Wie sehr ich mich auch zu konzentrieren versuchte, es gelang mir einfach nicht die Stimme des alten Mannes zu hören. Ich fühlte mich wie ein Geistwesen dem es nicht möglich war mit der Welt um sich herum zu kommunizieren. Die Männer gaben es schließlich auf, zuckten mit den Schultern und warfen sich gegenseitig ein wissendes Grinsen zu. Dummes kleines Mädchen! Dann, ähnlich dem Geräusch beim Druckausgleich in großen Höhen, ploppte es in meinem Ohr. Der Vorhang hatte sich geöffnete und offenbarte mir nun die gesamte Geräuschkulisse. Ich hörte den Nachhall entfernter Stimmen, lauter werdende Schritte und ein seltsam ruhiges Motorengeräusch. „Bleiben Sie jetzt ruhig stehen.“, drang eine blecherne Roboterstimme aus dem Off. Aus dem schwarzen Nichts jenseits des Lichtkegels schnellte plötzlich ein mechanischer Greifarm hervor und näherte sich mir mit schnellen, abrupten Bewegungen. Er schwenkte einige Male um mich herum als würde er mich mit seinen mechanischen Fingern näher betrachten wollen. Ich versuchte auszuweichen und schrie um Hilfe, doch die einzige Reaktion die ich von einem der Wissenschafter erhielt war ein gelangweiltes Polieren seiner Brille. „Bleiben Sie jetzt ruhig stehen.“, wiederholte sich die Maschinenstimme im gleichen monotonen Klang wie vorhin. Ich spürte plötzlich etwas Warmes meine Schenkel hinunterlaufen. Ich schämte mich, musste weinen und konnte dennoch den Blick von meinem Urin nicht lösen, so als wäre es meine Pflicht gewesen dabei zuzusehen wie er durch den Gitterrost prasselte. Dreckiges kleines Mädchen! Wie ein Blitz durchfuhr mich plötzlich ein stechender Schmerz. Es spielte sich alles im Bruchteil einer Sekunde ab, fast so als hätte mich eine Klapperschlange gebissen. Schnell, brutal, präzise. Es dauerte eine Weile bis ich realisierte, dass mir dieser mechanische Greifarm gerade eben eine © Michael Köpf 2006 Injektion in die Halsschlagader gewuchtet hatte. Es klingt pervers, doch ich freute mich über den Schmerz, ließ er mich doch wissen dass ich noch am Leben war. Ich verlor einen Moment lang die Besinnung. Dann spürte ich die harten Griffe rauer Lederhandschuhe an meinen Hüften kratzten. Zwei kräftige Männer in pechschwarzen Uniformen trugen mich in die Dunkelheit. Ich bettelte und flehte sie mögen mich doch loslassen, doch hinter den verspiegelten Visieren ihrer schwarzen Kevlarhelme konnte ich keine mitfühlenden Blicke finden. Ich versuchte sie zu kratzen und zu beißen, trat wie eine Verrückte wild um mich, doch letztendlich schafften sie es meinen zappelnden Weißfischkörper auf ein kaltes, ölverschmiertes Fließband zu wuchten. Mit der klinischen Sterilität war es nun jedenfalls vorbei. Was folgte waren Blut, Öl und Schmerzen. Mit einem lauten metallischem ‚Kling’ schlossen sich rostige Eisenriemen rund um meine Hand- und Fußgelenke. Kälte fraß sich unsanft in meinen ölverschmierten Rücken. Ich versuchte mich herauszuwinden, doch alles was ich damit erreichte war, dass sich mein Diätmargarine zartrosa abzuschälen Fleisch entlang begann. Meine meiner dürren Bewegungen Knöchel wurden wie fettarme plötzlich immer schwächer, Trägheit übermannte mich. Ein geseufztes Stöhnen entkam meinen Lippen, dann ergab sich mein Körper der Wirkung der Injektion. Mehr als ein Zittern konnte ich meinen paralysierten Gelenken nicht mehr entlocken, lediglich meinen Kopf konnte ich mit Mühe noch ein wenig zur Seite neigen. Gelassen klinkten die schweren Metallfesseln auf und entließen mich aus ihrem schmerzhaften Griff. Ich würde nirgends mehr hingehen. Der alte Mann im weißen Kittel stand plötzlich neben mir. Er klatschte wortlos zwei Mal in die Hände. Als der Widerhall als dumpfes Echo seine Antwort gab setzte eine unsichtbare Maschinerie im Hintergrund lautstark zischend das Fließband in Bewegung. „Aber da war doch nichts in diesem Raum. Nichts, Nirgends!“, schluchzte ich. „Aber Kindchen, es war doch alles die ganze Zeit direkt neben dir.“, bemitleidete mich ein im Halbschatten stehende Frauengestalt. Ich kannte diese wohlig warme Stimme nur zu gut, doch sie konnte es nicht sein, das war schlicht unmöglich! Auch wenn ich es nicht wahrhaben wollte, da stand sie nun, in ihrem besten Sonntagskleid, gleich neben dem alten glatzköpfigen Wissenschafter; meine Mutter. „Mach uns ka Schand!“, rief sie mir noch mit angespannter Stimme nach. Ich schaffte es unter Anstrengungen meinen Kopf leicht anzuheben um zu sehen was nun auf mich zukam. Vor mir öffnete sich eine mit Grünspan überzogene Schleusentür. „Sie werden mit dem Ergebnis sehr zufrieden sein, gute Frau!“, versicherte der Mann im weißen Kittel meiner Mutter. Auch wenn ich sie nicht mehr sehen konnte wusste ich, dass © Michael Köpf 2006 sie sich jetzt zu einem gequälten Lächeln zwang. Wären wir jetzt zu Hause, sie hätte den schwarz uniformierten Einheiten sicherlich schon Tee und Gebäck angeboten. „Gehn’s werter Herr, legen’s doch Ihr Sturmgewehr zur Seite und kosten’s ein paar meiner Kekse.“ So war meine Mutter eben wenn sie mit Fremden sprach. Ich schluchzte. Dann fraß mich die Dunkelheit. * Ein kurzer Ruck ging durch meinen Körper. Das Fließband war stehen geblieben. Ich wollte erleichtert durchatmen, doch der bleierne Geruch von Schmieröl und Maschinenfett legte sich als stickiger feiner Film auf die Atemwege und ließ meine knabenhaften Brüste panisch nach Luft japsen. Mit einem dumpfen Klack wurde irgendwo im Off ein Schalter umgelegt. Zwei riesige Neonröhren blinzelten verschlafen und fluteten die Kammer mit grellem Licht. An den Wänden werkten abertausende riesige Zahnräder emsig vor sich hin, griffen ineinander und dienten, jedes einzelne für sich, dem übergeordneten, großen Ganzen. Quer durch die Luft spannten sich dicke Lederriemen, ächzten unter großem Druck und beneideten die geölten Kugellager, die mit spielerischer Leichtigkeit in einigen hundert Metern Höhe gigantische Plattformen positionierten. Überall dampfte es aus bronzefarbenen Rohrventilen, die mich an manch öligen Stellen in allen Regenbogenfarben anglänzten. Die Kammer schien nichts anderes als eine riesige rostbraune Maschinerie zu sein. Ich dachte zuerst ich hätte mich versehen, doch aus den nebligen Dampfschwaden tauchte plötzlich ein eiförmiges Flugobjekt auf und machte in einem surrenden Schwebezustand vor meinem Gesicht halt. Die metallene Außenhülle schimmerte in poliertem Edelstahl und reflektierte die vergleichsweise anachronistisch anmutende Umgebung aus Rost und Öl. „Nicht bewegen.“, wurde mir mit blecherner Stimme mitgeteilt. Fast so als blickte ich in einen ruhigen See, dessen zittrige Oberflächliche gerade von einem eben hineingeworfenen Stein verzerrt wurde, spiegelte sich mein Gesicht nun an der abgeflachten Vorderseite des surrenden Metall-Eies als verschwommene Fratze wider. Gerade als ich mich näher in diesem schwebenden Zerrspiegel betrachten wollte, teilte sich die Außenhülle entlang eines dünnen Spaltes in zwei Teile und glitt elegant nach hinten weg. In eine Art Nest aus Kabeln, Festplatten und blinkenden Statuslämpchen gebettet, glupschte mir ein blutunterlaufenes, riesiges Auge aus dem Kern der Drohne entgegen. Um nicht aus seiner metallenen Fassung zu fallen, waren die Lider mit dutzenden kleinen Häkchen an der stählernen Augenhöhle fixiert. Die riesige blaugraue Iris tastete mich mit jener Art von naiv-interessierten Blicken ab, die normalerweise © Michael Köpf 2006 wissbegierigen Babys vorbehalten ist. Auf eine schwer zu beschreibende Weise strahlte dieser biomechanische Alptraum trotz seiner Bedrohlichkeit eine gewisse kindliche Unschuld aus, die eine irritierende erotische Anziehungskraft zu diesem Monstrum in mir auslöste. „Nicht bewegen. Scanvorgang wird initiiert.“, tönte es aus den seitlich an der Drohne eingefrästen Lautsprecherlöchern. Das Auge schwirrte langsam vom Kopf beginnend abwärts und musterte dabei mit hektisch zuckenden Blicken meinen schneeweißen Zitterkörper. Ich spürte die warme Feuchte in meinem Schenkeleck und zwirbelte in Gedanken schamvoll meine Beine zusammen. „Scanvorgang abgeschlossen. Aktuelles Objekt als Nummer 301082 erkannt. Passende Metamorphsequenz kann nun initiiert werden.“, diagnostizierte die Sonde, schloss die Schutzhülle um das organische Auge und verschwand wieder im dichten Maschinenwald. Der gesamte Raum begann nun zu beben, ächzte Dampf und spuckte Öl. Das Fließband lief wieder. Ich, Objekt 301082 würde nun weitertransportiert werden, durch die Schleusentür hindurch, hinein in den nächsten Raum. Ich lag einfach nur da, bewegte mich keinen Millimeter und war bereit alles über mich ergehen zu lassen. Die Injektion tat ihre Wirkung; ich würde ein braves Mädchen sein. * Das ölige Fließband durchlief nun eine Abfolge verschiedenster Kammern und Hallen. Unter leichten Schmerzen schaffte ich es meinen Kopf zu drehen und mich ein wenig umzusehen. Ich kam mir vor wie in einer Geisterbahn, einer grotesken Kaffeefahrt auf Schienen. Ich hätte sie links und rechts fotografieren sollen, all diese grauenvollen Sehenswürdigkeiten die Raum für Raum im Schritttempo an mir vorbeizogen. Die menschlichen Herzen die an Kabeln befestigt mitten im Raum hingen und pochend diverse Apparate mit Energie versorgten. Ganze Wände geformt aus Organen, Zungen und Augen, pulsierend, lebend. Auch wenn ich es vielleicht nicht verstehen konnte, schienen selbst die in ihrer Abartigkeit unbeschreibbarsten Installationen einen produktiven Zweck zu erfüllen. In der nächsten Kammer angekommen blieb das Fließband abermals stehen. Ich befand mich nun in einer ziemlich engen Schleuse die lediglich von einem dämmrigen blauweißen Neonlicht beschimmert wurde. Ich fühlte mich wie ein Torpedo der nur darauf wartete aus der feuchten, engen Dunkelheit nach draußen geschossen zu werden. Ich neigte meinen Kopf zur Seite und fand die Quelle des schummrigen Neonlichts hinter einer entspiegelten Glaswand. Ich blinzelte und konnte mit Mühe eine handvoll © Michael Köpf 2006 schemenhafter Gestalten erkennen, die wie antike Statuen einfach nur dastanden und mich anglotzten. Hinter ihnen spuckten turmhohe Rechner nicht enden wollenden Papierschlangen ausgewerteter Daten in die feucht-klebrigen Schweißhände von aschenbecherbebrillten Forscherfritzen. Als ich inne hielt und mich konzentrierte, konnte ich einige Wortfetzen aufschnappen. Durch die Glasfront drangen abgedumpfte Stimmen, die sich über ein „äußerst flexibles Modulsystem“ unterhielten und sich fasziniert darüber zeigten „mit welch unglaublicher Präzision und Detailverliebtheit das Menschenmaterial ganz nach dem alten Vorbild maschineller Fertigung weiterverarbeitet werden würde“. Ich schauderte beim Gedanken in welchem Zustand ich am Ende dieses Fließbandes ankommen würde. „Objekt Nummer 301082, Herr Doktor.“, hielt ein sichtlich überforderter Jungassistent zittrig einen Zettel in der Hand und deutete durch die Glasfront auf meinen sedierten Körper. „Fein, dann können wir ja beginnen.“, stand ein glatzköpfiger Mann mit weißem Kittel auf. Ich konnte ihn nicht richtig erkennen, aber es schien der gleiche Wissenschafter zu sein, mit dem sich meine Mutter unterhalten hatte. „Na was ist denn? Raus hier!“, hörte ich nun seine Stimme deutlich lauter. Ein Schatten nach dem anderen verschwand aus dem Raum, bis ich nur noch den buckligen Umriss des hochgewachsenen alten Mannes sehen konnte. „Wenn ich mich vorstellen dürfte, mein Name ist Doktor Eisenstaad.“, krächzte er über die Lautsprecheranlage. „Nur nicht so scheu, kleines Reh. Die Wirkung der Injektion dürfte nun bereits soweit nachgelassen haben, dass Sie ihre Stimmbänder wieder benutzen können.“ Das Schlucken tat weh, ich räusperte mich und hätte dabei fast meine Lunge rausgekotzt. Ich wollte mich reflexartig Aufsetzen, doch mein Körper reagierte nicht auf die Befehle meines Nervenzentrums. „Was wollen Sie?“, röchelte ich, immer noch nackt am Rücken liegend. „Was ich will? Non, non, mon amour, Sie stellen die falschen Fragen. Sie sollten sich viel mehr darüber Gedanken machen was Ihr Verlobter will.“ Ich verstand nicht was Peter mit dem Ganzen zu tun haben sollte. Zwischen uns war doch alles in Ordnung. Wir liebten uns und wollten dieses Jahr noch heiraten. „Wieso sollte er mir denn um Gottes Willen so etwas antun wollen?“, dachte und sagte ich zugleich. „Wir sind doch nicht zum Plaudern hier, Kindchen.“, grinste der Doktor mit einem großkotzig wohlwollendem Gesichtsausdruck. Er drückte ein paar Tasten auf einer PCTastatur, murmelte unverständliches Zeug klickte mit der Maus hektisch umher. Als schließlich ein orangenes Lämpchen an der Wand neben ihm zu leuchten begann, konnte er sich zu einem zufriedenen Lächeln durchringen. Direkt über mir an der Decke öffnete © Michael Köpf 2006 sich nun ein mittelgroßer Spalt, aus dem sich ein flacher Monitor zu mir herabsenkte und gut einen Meter vor meinen Augen zum Stehen kam. „Jetzt nicht bewegen.“, imitierte er süffisant die blecherne Roboterstimme. Als sich hinter mir die Schleusentüre öffnete und eine Drohne hereinsurrte, wusste ich auch warum. Sie klackte und ratterte ein wenig unwissend vor sich hin, positionierte sich jedoch letztendlich selbstsicher neben meinem Kopf. „Werde ich nun wieder von einem ekligen Glupschauge angestarrt?“, röchelte ich. Der glatzköpfige alte Mann schüttelte nur seinen Kopf. Die Vorderseite der Drohne öffnete sich wieder, doch anstatt eines Auges, kam mir nur ein verdrahteter Bohrkopf entgegen. „Das wird jetzt ein klein wenig pieksen.“, vermischte sich Eisenstaads sadistisches Kichern mit den lauten Bohrgeräuschen der immer näher kommenden Sonde. Ich versuchte den Kopf wegzudrehen, doch ein weiterer Greifarm fixierte mich unsanft entlang der Schläfengegend. Das Geräusch wurde dumpfer als der Bohrkopf begann sich in präzisester Nanometerarbeit in meine Schädeldecke zu fräsen. Wärme durchspülte mein Gehirn. Ich schloss die Augen. Erst als das Bohrgeräusch verstummt war und sich die unsanfte Fixierung an meinen Schläfen gelockert hatte wagte ich es einen ersten Blick um mich herum zu werfen. Die Sonde war nun zwar weg, hatte mir jedoch ein ‚Geschenk’ hinterlassen. In der fahlen Spiegelung der Glasfront sah ich ein dünnes Bündel aus roten, gelben und schwarzen Kabeln aus meiner Schläfe hängen. Sie waren direkt an den Monitor über mir angeschlossen und lieferten Bilder von komplexen, dreidimensionalen Gitterobjekten, die sich langsam aufbauten, nur um Momente später gleich wieder in sich zusammenzufallen. „Sind das meine Gedanken?“, fragte ich vorsichtig. „Obwohl das bei einer Frau wie Ihnen gut möglich wäre, muss ich diese Frage verneinen.“, lachte der Doktor, „Das ist bloß der Bildschirmschoner.“ „Da Sie sich ja offensichtlich bereits bestens auf die bevorstehende Prozedur eingestimmt haben, würde ich vorschlagen wir beginnen mit dem Reizsättigungsprogramm.“ Kurz wurde es ganz hell in der engen Schleuse. Es buzzerte und brutzelte und fühlte sich an als hätten sie mir eine spitze Nadel direkt in mein Gehirn gestochen. „Starkstrom. Eine kleine Starterhilfe für unser Vorhaben. Leider notwendig um die Kettenreaktion in Ihrer Hirnrinde starten zu können. In diesem Moment werden tausende Momentaufnahmen, Schlagwörter und Metaphern in Ihr Unterbewusstsein übertragen. Die Assoziationen die Sie damit verbinden werden digital aufgezeichnet und darüber hinaus in Echtzeit auf dem Monitor über Ihrem Kopf angezeigt. ‚Mindrape’ wie Kritiker es nennen. Uns hier dient es lediglich als Entscheidungshilfe für Phase Zwei.“, erklärte der Doktor mit einer © Michael Köpf 2006 leidenschaftlichen Faszination, die es ihm unmöglich machte auch nur das geringste Mitleid mit mir zu empfinden. Für ihn war ich kein Mensch, ich war Objekt 301082. Eine eiskalte Welle erfasste mich, eine Bilderflut in der ich fürchtete ertrinken zu müssen. Ich klammerte mich an einen Strohhalm, etwas, das mir bisher immer noch geholfen hatte. In Gedanken war ich nun wieder in Sicherheit, zu Hause bei meinen Eltern. Geborgenheit umspülte mich, ich ließ mich fallen. Der Monitor über mir begann zu flackern. * Ich war gerade 8 Jahre alt und ärgerte Mama mit dem Diktiergerät meines Vaters. Ich hielt es ihr unter die Nase, tat so als wäre sie eine weltberühmte Filmschönheit von der ich unbedingt ein Interview haben müsste. Insgeheim beneidete ich meine Mutter immer schon um ihren Körper und die Wirkung die sie auf Männer jeglichen Alters hatte. Ich war noch ein Kind, dennoch merkte ich vielleicht unterbewusst schon, dass sie etwas hatte, das mir später einmal als Frau versagt bleiben würde. Die Wohnzimmereinrichtung die wir damals hatten, das Grübchen am Kinn meiner Mutter, die Szene stimmte einfach bis aufs kleinste Detail. Ich hatte sogar mein weißes Lieblingskleidchen an, das mit den bunten Blumen, die Gesichter anstatt Blüten hatten und unentwegt lachten. Alles war wie früher, nein, besser noch, es war wie in meinen Gedanken. Meine intimsten Momente spielten sich in gestochen scharfer High-DefinitionQualität am Monitor über meinem Kopf ab. In meinen Augenwinkeln sah ich nun zwei weitere Personen neben Doktor Eisenstaad stehen. Immer wieder unterhielten sie sich, kommentierten meine im hochauflösenden Breitbildformat aufbereiteten Gedanken. Ich versuchte mitzulauschen, konnte mich jedoch nicht konzentrieren. Mein Unterbewusstsein war wie ein geborstener Staudamm, der nun unkontrolliert meine Gedanken über den Monitor ergoss. „Bemerken sie die fast schon zwanghafte Fokussierung auf ihre faltenlose Haut, ihren Pound Brustbereich?“, drehte Doktor Eisenstaad seinen knochigen Emu-Schädl zur Seite. „Ich würde daher vorschlagen, wir modellieren das Objekt nach Ihrem Vorbild in jüngeren Jahren nach.“ Ich musste einfach wissen mit wem er da sprach und neigte meinen Kopf zur Seite. „Ach, Sie schmeicheln mir Herr Doktor. So schön war ich nun auch wieder nicht.“, kicherte die Frau neben Eisenstaad. Ich kannte diese Stimme. „Nein, nein!“, sagte sie, „über das Aussehen soll schon ihr Verlobter entscheiden.“ Tausende Fingernägel kratzten an einer Schiefertafel in meinem Kopf. Mutter! © Michael Köpf 2006 „Ach, ich habe sicher nichts dagegen wenn sie einen Hauch Ihres jugendlichen Charmes bekommen würde.“ Es war die Stimme des Mannes den ich über alles liebte. Da stand er neben Doktor Eisenstaad und meiner Mutter und grinste triumphierend. Ich wurde von den zwei Personen die ich in meinem Leben am meisten geliebt hatte hintergangen. Wäre diese Schleuse doch nur mit Giftgas befüllt worden, diese beschämende Farce hätte endlich ein Ende gehabt. „Oh, sehen Sie nur Peter. Sie hat Sie bemerkt!“, schmunzelte der Doktor. Am Monitor wechselten nun meine Kindheitserinnerungen mit langweiligen Schwarz-Weiß-Bildern aus meiner alten Studentenwohnung. „Ist sie nicht süß? Sie versucht krampfhaft an irgendetwas anderes zu denken.“, ergötzte sich Eisenstaad an den vergeblichen Versuchen meine Scham zu verbergen. „Schatz, es hat keinen Sinn sich gegen sein Unterbewusstsein zu wehren. Lass es doch einfach raus. Es ist für uns beide das Beste!“ Peters ansonst so beruhigende Stimme strahlte nun eine beunruhigende Mischung aus schlangenhafter Tücke und bedrohlicher Kälte aus. Ein gleißender Blitz, stechend und heiß, ein Hirnbrand. Ein Perpetuum Mobile dreht sich langsam über der Wiege. Urinflecken auf einer bunten Kinderbettdecke. Tränen. Ein Salzstreuer. Eine geöffnete Pizzaschachtel mit dunklen Fettovalen darin. Ein Sofa auf dem mich mein Ex-Freund mit einer Frau betrügt, die mein exaktes körperliches Gegenstück ist. Ein Türspalt durch den sich ein immer größer werdender Lichtkegel drängt. Alte Männerhände greifen durch dunkles Kinderhaar. Ein riesiger, wackelnder Turm aus meinen Lieblings-CDs, der schließlich in sich zusammenstürzt und mich unter sich begräbt. Ein purpurnes Schachbrettmuster als Firmament. Ich füttere ein Reh. ‚Nicht Genügend.’ Der Teststreifen wird blau, ich weine neben der Klomuschel. Oma schlägt mir mit dem Kochlöffel aufs Bein bis dieser bricht. Ein Sarg wird in die Erde gelassen, ich stehe daneben und versuche zu weinen, schaffe es aber nicht. Ein karger Baum im Winter. Kleine Mädchen mit Schwimmflügel. Dreckskrümel im Bauchnabel. Eine Speichelpfütze auf dem Kopfpolster. Peter dringt zärtlich in mich ein. Ein Vogel erstickt an einem ölverseuchten Strand, im Hintergrund geht die Sonne unter. ‚Ich liebe dich.’ Ein Häferl zerbricht an der Wand. Ich schlucke Sperma. Die Wiener Sängerknaben singen im Fernsehen ‚Stille Nacht, Heilige Nacht’. Dunkler Schnee liegt am Gehsteigrand. Autos fahren im Schritttempo an mir vorüber. Geldbörsen aus Schweinsleder. Am Nachttisch liegt ein Geldschein mit meinem lachenden Gesicht darauf. Strichcode. Nächster. Rot. Beep. „Mindmapping abgeschlossen.“ © Michael Köpf 2006 Ich fühlte mich erschöpft aber auch irgendwie erleichtert. Am Monitor drehte sich nun das 3D-Gittermodell eines weiblichen Körper um die eigene Achse. Auf der linken Seite ließ sich eine dreispaltige Tabelle finden. Zugehörig zu den darin ersichtlichen Werten änderte das rotierende 3D-Modell den Brust-, Taillen- und Po-Umfang bis schließlich bei der Zahlenreihe 90-60-90 in grüner Farbe der Schriftzug „Metamorph-Simulation abgeschlossen“ aufblinkte. „Darum ging es also die ganze Zeit? Um meinen Arsch und meine Titten?“ Ich konnte es nicht fassen und lachte eine Träne. „Nein mein Engelchen, es geht um viel mehr als nur um deinen Körper. Wenn du am anderen Ende dieses Fließbandes herauskommst, dann wird einfach alles perfekt sein. All deine Makel und charakterlichen Unzulänglichkeiten werden dahin sein. Du wirst mir eine gute Ehefrau sein und deine Mutter wird endlich eine Tochter haben, die es schafft ihren Ansprüchen gerecht zu werden.“ „Peter, das bist doch nicht du! Wieso sagst du so was? Ich versteh das nicht!“ Ich liebte ihn. Ich hasste ihn. „Wozu all die Mühe? Lass mich doch einfach fallen und such dir die hirnlose Baywatchnixe die du dir anscheinend alle die Jahre so sehnlichst erträumt hast.“ „Ach Kindchen, er liebt dich doch.“, fuhr Mutti dazwischen. „Wie viel Geld er für dich ausgibt, alles nur damit die Ehe auch bestand haben wird, und was machst du? Du liegst da und hast nichts weiter zu tun als alles schlecht zu machen. Du warst von Kindheit an ein undankbares kleines Monster, doch auch das wird sich bald ändern, das schwör ich dir so wahr ich hier stehe!“ Als wären sie überreife Früchte fielen die Kabel aus meiner linken Schläfe und klackten leise zu Boden. „Wollen Sie Ihrer Mutter oder Ihrem geliebten Freund vielleicht noch etwas sagen bevor wir die Schlussphase des Metamorph-Prozesses einleiten?“, lächelte der glatzköpfige Doktor. Meine gerotzte Antwort glitt in Form einer schleimigen Speichelspur an der Scheibe hinab. „Nicht gerade sehr damenhaft von Ihnen, aber diese charakterlichen Defizite werden in wenigen Minuten ja Gott sei Dank der Vergangenheit angehören.“ Vor mir öffnete sich ächzend die metallische Schleusentür. „Nein!“, kreischte ich, doch das Fließband hatte sich bereits wieder in Bewegung gesetzt. „Tun Sie meiner Tochter eh nicht weh?“, heuchelte meine Mutter in ihrer schrecklichsten Altweiberstimme Interesse für mein Schicksal. „Keine Sorge werte Dame. Ihre Tochter bleibt zwar weiterhin bei vollem Bewusstsein, wird aber durch das Anästhetikum keinerlei Schmerzen verspüren.“ © Michael Köpf 2006 „Umformungsdrohne Omega-Vier ist nun im Abschnitt 9 eingetroffen.“, tönte es durch das Lautsprechersystem. „Das neueste Modell, extra für Ihre Verlobte!“ Peter nickte zufrieden. „Die Umwandlung ist vielleicht nicht schön anzusehen, aber glauben Sie mir, das Resultat wird Sie völlig zufrieden stellen.“ * Der so genannte ‚Abschnitt 9’ schien der Knotenpunkt dieser riesigen Anlage zu sein. Hier liefen dutzende Fließbandschienen zusammen und reihten die darauf befindlichen Menschen nacheinander zur schrittweisen Weiterverarbeitung. Ich konnte die nackten Körper mehrerer Frauen und Männer jeglichen Alters erkennen. So wie ich lagen sie mit angstverzerrtem Gesicht bewegungslos da und erwarteten ihr per Katalog gewähltes Schicksal. Alles zukünftige Musterkinder, Traumpartner oder Spitzenkräfte für die Wirtschaft. Von den Menschen die ihnen am nächsten waren zur Perfektion verurteilt. In regelmäßigen Abständen von fünf bis zehn Metern bildeten die surrenden Roboterdrohnen Checkpoints, die das Menschenmaterial nacheinander zu durchlaufen hatte. Das Fließband kam immer wieder ruckartig zum Stehen und bewegte sich erst dann wieder fort, wenn alle Drohnen mit ihren Eingriffen an den jeweiligen Stationen fertig waren. Vereinzelt durchschnitten Schreie das stoische Surren, Ticken und Rattern der Maschinen. Die Wirkung des Anästhetikums schien in einigen Fällen wohl um ein paar Minuten zu früh nachgelassen zu haben. Für Doktor Eisenstaad waren das wohl nur Einzelfälle, unbedeutende Ausreißer im System. Das Fließband rollte ungehindert weiter. Ich konnte nur hoffen, dass diese armen Seelen durch eine schnelle Ohnmacht erlöst würden. Vor mir auf dem Fließband lag ein Mann mit Halbglatze, um die vierzig Jahre alt und stark übergewichtig. An ihm konnte ich sehen was als nächstes auf mich zukommen würde. Diese alternde Kalorienbombe war meine fleischgewordene Zukunft, des Schicksals fetter Vorkoster. Als er an der ersten Station ankam surrte flux eine Drohne über seinen fröstelnden Schwabbelkörper hinweg und verteilte eine halbdurchsichtige, geleeartige Masse über seinen spärlich behaarten Kopf. Das schwebende Metall-Ei surrte und klackerte, schien einen Moment lang zu zögern und öffnete schließlich dann doch seine Unterseite um einen seltsam anmutenden Schwenkarm zu offenbaren. Wie ein wissbegieriges Jungtier neigte die Vorrichtung ihren Kopf zur Seite und ‚blickte’ den Mann für einen kleinen Moment ins Gesicht. Mit einem kurzen Klick flackerte eine bläuliche Gasflamme ungeduldig aus der Mündung. Stille. Fauchen. © Michael Köpf 2006 sWooosh! Ein Feuerschwall balsamierte den Schädel mit 200 Grad heißer Gründlichkeit. Es folgten noch drei weitere Feuerstöße ehe die bläuliche Gasflamme am Rande der Mündung erlosch. Es war gespenstisch mitanzusehen wie dieser Mann mit einem friedlichen Gesichtsausdruck dalag während seine Schädeldecke immer noch dampfte und den bestialischen Gestank verbrannter Haare im Raum verteilte. Zunächst konnte ich es gar nicht glauben, doch wo eigentlich schlimme Verbrennungen hätten sein sollen glänzte eine narbenfreie Glatze in der man sich problemlos hätte spiegeln können. Keine Brandblasen, keine Wunden, nichts! Vielleicht war dieses eigenartige Gelee eine Art feuersicherer Membran? Was auch immer, es schien jedenfalls funktioniert zu haben. Der Eingriff war jedoch noch lange nicht vorüber. Der Schwenkarm zog sich samt dem Mini-Flammenwerfer kurz in den metallischen Mutterwanst zurück und kehrte wenige Augenblicke später mit einem neuen Nadel-Aufsatz wieder. Wie eine Nähmaschine hämmerte die Drohne mit unglaublicher Geschwindigkeit und Brutalität auf die weiche Kopfhaut ein und implantierte so ein pechschwarzes Haar nach dem anderen. Um die Transplantation zu beschleunigen surrten zur Verstärkung noch drei weitere Drohnen heran und hackten mit ihren spitzen Nadelaufsätzen wie verrückt gewordene Krähen auf den Kopf des längst besinnungslosen Mannes ein. Die Menschenkolonne konnte natürlich erst dann weiter verfrachtet werden wenn alle Probanten an ihren jeweiligen Stationen fertig modifiziert waren, also musste ich mich zunächst einmal gedulden. Wenn etwas schlimmer ist als bei vollem Bewusstsein seine Haare durch einen Mini-Flammenwerfer verbrennen lassen zu müssen, dann ist es auch noch darauf warten zu müssen. Als das Fließband schließlich weiterlief und ich an meinem Checkpoint angelangt war musste ich lächeln. Ich konnte es selbst fast kaum glauben, doch ich musste tatsächlich grinsen als die Drohne ihren fast schon niedlichen Miniflammenwerfer auswarf um meine schrecklich zerzausten Haare abzufackeln. Ich hatte das Gefühl keine Angst haben zu müssen vor diesem kalten, gefühllosen Ding über mir. Es tat nur wofür es geschaffen wurde. Es konnte nichts dafür. Ich vergab dem seelenlosen Metall-Ei. Ich war ihm auch dann nicht böse als es meine Kopfhaut durchstach um lange wasserstoffblonde Haare in mich zu pflanzen. Es war sogar ok als meine Haut mittels intensiver UV-Bestrahlung in wenigen Minuten zum gewünschten Braunton gegerbt wurde. Es war in Ordnung, dass all das geschah, nicht etwa weil ich den Prozess akzeptierte, sondern weil ich wusste, dass meine Enttäuschung und meine Wut auf Peter und meine Mutter vielleicht groß genug waren um mich an all das auch nach der mir zweifelsohne noch bevorstehenden Gehirnwäsche erinnern zu können. © Michael Köpf 2006 Als die Maschine mit mir fertig war, wagte ich einen kurzen Blick nach vorne. Der ehemals fette Mann war nun schlank, ja sogar ein wenig muskulös geworden. Über ihm schwebten zwei Drohnen, wobei die eine mit Skalpellen, Grafitstiften und rotierenden Sägeblättern ausgestattet war, während an der anderen Ansaugrohren hingen, die schleimige gelbe Brocken in einen transparenten Beutel beförderten. Mehrere hunderttausend Kilojoule an menschlichem Körperfett glänzten mich da an, stapelten sich Kloß für Kloß und rutschten glitschig aneinander hinunter. Wäre ich nicht sediert gewesen, ich hätte mir sofort auf den Bauch gekotzt. Die kleinen Hautöffnungen von der Fettabsaugung an der Bauchdecke, den Armen und Oberschenkeln, wurden in Nullkommanichts zugelasert. Keine Narben. Keine Fragen. Lediglich ein kurzes Rucken; und die Fleischkolonne zog weiter. * Ich spürte zwar nichts als der Greifarm mit dem schwarzen Grafitstift einen Halbkreis unter meine Brüste zog und dennoch wurden meine Nippel hart. Das Skalpell senkte sich langsam zu mir herab. Ich starrte auf den Beutel mit dem Körperfett des alten Mannes und hoffte der Ekel würde mich gut genug ablenken können. Aus meinen Augenwinkeln heraus sah ich für einen Moment wie sich die feine Klinge in meine weiße Haut senkte. Keine Schmerzen. „Kompatibilitätsgrad des organisches Materials ausreichend. Abstoßung des Fremdgewebes unwahrscheinlich. Übertragung wird eingeleitet.“ Die Fettklumpen wurden plötzlich aus dem Beutel herausgesaugt und wursteten sich nun durch einen transparenten Schlauch nach unten. Verwirrt senkte ich meinen Blick und erkannte wohin das gelbe Fett nun gepumpt wurde. Es war kein Silikon, das in meine Schenkel, Brüste und Pobacken gepresst wurde, sondern 100% natürlich recyceltes Körperfett. Ich würde eine glücklich aufgespritzte Freilandtussi mit Bio-Gütesiegel sein. Weg mit meiner knochigen Figur. Mehr Rundungen braucht das Volk! Ob mir in Zukunft beim Joggen im Park junge Kerle lüsterne Blicke zuwerfen würden, wenn sie wüssten, dass es bloß das sich in einem erotischen Rhythmus auf und abbewegende Bauchfett eines alten Mannes ist, dem sie so gierig nachlechzen? Wenige Meter vor mir dehnte und streckte ein Greifarm den kleinen Penis des immer noch ohnmächtigen Mannes, sodass die Skalpelldrohne leichter das Glied von der Wurzel an abtrennen konnte. Eine Blutfontäne schoss in die Luft und spritzte dabei auf die glänzende Edelstahlhülle der emsig arbeitenden Roboterdrohne. Kurz war mir so als ob ein warmer Sommerregen auf ein Wellblechdach prasseln würde. Ein neuer, größerer Penis, wurde ihm nun, Nerv für Nerv und Faser für Faser mit unfassbarer Präzision und Geschwindigkeit angenäht. Das alte, kleine Schrumpelding landete wiederum in einem Säckchen. Diesmal würde ich hoffentlich nicht der Abnehmer dafür sein. © Michael Köpf 2006 Als ich bei der nächsten Station ankam war das Säckchen mit dem mickrigen Lustknorpel des Mannes Gott sei Dank bereits verschwunden. Man hatte mir doch schon alle körperlichen Merkmale die mich als Person ausmachten genommen, also fragte ich mich, was denn jetzt noch auf mich zukommen könnte. Kaum hatte ich meinen Gedanken zu Ende gebracht positionierten sich zwei Drohnen knapp über meinem Gesicht. Ein Greifarm schnellte hervor und fixierte meinen Kopf brutal zwischen seinen beiden Metallzangen. „Wir sind dazu verpflichtet Sie darauf hinzuweisen, dass es trotz des Einsatzes eines starken Anästhetikums bei dem folgenden Eingriff zu intensiven Schmerzempfindungen kommen kann. Wir danken für Ihr Verständnis.“, starrte mich die Drohne mundlos an. Wie die dürren Spinnenbeine eines Weberknechts krochen nun zwei Metallröhrchen zwischen meine Augenlider und spreizten sie weit auseinander. Meine ausgetrockneten Augen starrten geradeaus, direkt auf den sich nun öffnenden Schlitz des surrenden Blecheimers. Dann, plötzlich schoss irgendetwas rasend schnell auf mich zu. Schwarz. Schmerz. Schreie. Brennende Leere. Ein dunkles Feuer verzehrte sich in meinen leeren Augenhöhlen. Ich spürte eine warme Flüssigkeit an meinen Wangen herunterrinnen. Bluttränen. Was für eine wundervolle Madonna ich doch war. Ich tobte vor Schmerz, doch jedes Mal wenn ich versuchte meinen Kopf hin und her zu reißen, verstärkte die Zange ihren eisernen Griff um meine bereits knirschenden Wangenknochen. Keine Ahnung was es war das mich davon abhielt in Ohnmacht zu fallen als eine Welle nach der anderen auf mich zurauschte, an meiner Stirn zerbrach und in einer feurigen Gischt aus Krämpfen und pulsierenden Stichschmerzen qualvoll explodierte. Ich spürte wie die hauchdünnen Metallspinnenbeine in meine Augenhöhle hineinkrochen um die Sehnerven und Augenmuskeln wieder miteinander zu verbinden. Gottverdammte Nanotechnologie. „Ocularmodifkation erfolgreich abgeschlossen.“, erlöste mich eine monotone Roboterstimme. Als die winzigen Beinchen wieder aus meinen Augenlidern krochen musste ich instinktiv blinzeln. „Sehen Sie in das Licht.“ Die schwarze Leere wurde plötzlich mit gleißender Weiße gefüllt aus der sich langsam verschwommene Farbflächen formten, die sich schlussendlich zu detaillierten Formen und Objekten verwandelte. Anfangs war alles viel zu hell und jede Bewegung des Augapfels schmerzte höllisch, doch als die Adaption schließlich erfolgreich einsetzte, bemerkte ich, dass auch meine frühere Kurzsichtigkeit verschwunden war. Ich erkannte dann auch recht schnell die zwei blutverschmierten eiskellenartigen Schöpfer, mit denen sie meine Augengrube ausgehöhlt hatten. Nicht unweit davon hatten sie sie hingehängt, sorgfältig eingetütet und luftdicht verpackt. Die abgerissenen Sehnerven hingen immer noch dran an ihnen, an meinen eigenen Augen, die mich nun mit leerem Blicke vom Säckchen aus anstarrten. © Michael Köpf 2006 Eine überdurchschnittlich große Drohne surrte plötzlich aus dem emsigen Gewirr der kleineren Metall-Eier hervor und fuhr ohne lange Umschweife einen Greifarm aus. Ich schrie laut auf als ich an meinen Lenden den kalten Stahl der brutal zupackenden Klaue spürte. Schnurstracks erhob sich die Drohne mit meinem neuen Körper im Schlepptau in die Luft und schwirrte davon. Ich hatte keine Ahnung wohin ich nun gebracht werden würde, doch die Tatsache, dass die Wirkung des Anästhetikums nachgelassen hatte, war für mich Grund genug um in einen panischen Zustand zu verfallen. Erst jetzt, als ich mir von der Vogelperspektive aus einen Überblick verschaffen konnte, wurde mir das wahre Ausmaß dieser Fleischfabrik bewusst. Tausende Körper lagen an diesem scheinbar endlosen Fließband aufgereiht und wurden zeitgleich verschiedenster Modifikationen zugeführt. Da wurden Brüste vergrößert und verkleinert, Fett ab- oder angesaugt und ganze Körperteile nach Bedarf einfach ausgetauscht. Unter ohrenbetäubendem Brummen zog mit gemächlichem Tempo plötzlich eine Art gigantischer Transportplattform an uns vorbei, an dessen Rumpf ein riesiger Container voll mit vormals ausgetauschten Körperteilen befestigt war. Augen, Zungen, Zähne, Schamlippen und innere Organe lagen da auf einem riesigen, bunten Biomüllhaufen zusammen. Ich spürte die Magensäure wie sich langsam entlang meiner Speiseröhre nach oben brannte. Die Übelkeit quoll über, explodierte aus meinem Mund und landete schließlich in kleinen Brocken auf einer vorbeisurrenden Maschine. Nach einigen Minuten steilen Senkrechtfluges trafen wir mit dutzenden anderen Drohnen zusammen, die allesamt bereits fertig modifizierte Körper wie den Meinigen im Schlepptau hatten. Ob blond oder brünett, athletisch oder mollig, Mann oder Frau, alle waren wir nun endlich so geworden wie man es sich von uns immer schon gewunschen hatte. Ich war am Ziel angekommen. Dies war die Endstation meiner Metamorphose. Aus dem unüberblickbaren Nebel aus Maschinendampf und heißem Dunst tat sich nun ein riesiges Gewölbe aus braunrotem Rost und pulsierenden organischen Teilen vor mir auf. * „Die Jungs aus der Forschungsabteilung nennen ihn liebevoll den Läuterungsberg. Dieses Konstrukt ist die perfekte Symbiose aus modernster Technologie und organischer Flexibilität. Wissen Sie meine Liebe, würden Sie sich nach dem Eingriff noch an irgendetwas erinnern können, würden Sie ohne zu übertreiben mit Stolz behaupten können die fortschrittlichste Charaktermodifikationsplattform der Welt benutzt zu haben.“ Es war die Stimme Doktor Eisenstaad’s die mich in ihrer Omnipräsenz über die eingebauten Lautsprecher der Drohne heimsuchte. © Michael Köpf 2006 „In Kürze werden Sie über einen unserer organischen Eingänge in Ihre zugeteilte Modifikationszelle gelangen. Da Sie während Ihrer physischen Anpassung wegen unseres fast schon antiken Transportsystems mit einigen unsterilen Maschinen in Kontakt kamen, stehen Sie unter akuter Gefahr eine starke Sepsis zu erleiden. Sie werden daher im Anschluss mit einem starken Antiseptikum überzogen, das ihr Körper völlig schmerz- und nebenwirkungsfrei über die Haut aufnehmen wird. Danken Sie mir später, wir hören uns sobald Sie in ihrer Modifikationszelle angekommen sind.“ An der Wand vor mir öffnete sich nun ein, mit rostigen Schrauben fixierter, biomechanischer Muttermund, in den mich die Transportdrohne wie ein Zäpfchen unsanft hineinzwängte. Es war eng, heiß und schleimig. Ich bekam keine Luft, dachte ich müsste nun ersticken und trat wie wild gegen die pulsierenden rosa Fleischgewölbe. Gerade als ich dachte von den Kontraktionen zermalmt zu werden wurde ich aus dem überdimensionalen Geburtskanal in einen runden, mit Metallplatten versehenen Raum ausgeschieden. Ich war von oben bis unten mit Blut und anderen schleimigen Sekreten bedeckt, weshalb ich beim Versuch aufzustehen mehrmals ausrutschte und mir dabei die Kniescheiben aufschlug. „Sie sollten sich mal sehen. Sie stellen sich ja wie ein neugeborenes Kalb an.“, hallte Eisenstaads Lachen durch den Raum. Überall an meinem Körper klebten winzige Bröckchen blutiger Fleischkruste, die ich mir unter größtem Ekel wegzuzupfen begann. Ich fühlte mich wie ein benutzter Tampon, der kurz davor war in der Toilette runtergespült zu werden. „Wie Sie offensichtlich schon festgestellt haben hat die Wirkung des Anästhetikums nachgelassen. Sie sollten sich nun also wieder problemlos bewegen können.“ „Sie verdammtes Arschloch.“, trommelte ich gegen die Wand und erschrak, als ich die verschwommene Reflektion meines neuen Körpers bemerkte. War das wirklich ich? Vorsichtig fasste ich mir ins Gesicht, durchwuschelte mein neues Haar und knetete meine üppigen 75C-Brüste. Keine Unregelmäßigkeiten, keine Narben, keine Makel. Es fühlte sich alles so echt und gut und schön an, sodass ich mich für einen kurzen Moment dabei ertappte froh und stolz auf meinen neuen Körper zu sein. „Na, zufrieden?“, süßelte Eisenstaad über die Lautsprecheranlage. Ich spürte wie vor lauter Zorn das Blut in meinen Kopf schoss. In Wirklichkeit war es nicht der Doktor den ich in diesem Moment so hasste, vielmehr war ich von mir selbst enttäuscht und wütend, dass ich einen kurzen Augenblick lang Dankbarkeit für meinen neuen Körper verspürte. „Ich schwöre Ihnen, sobald ich hier raus bin schlitz’ ich Sie © Michael Köpf 2006 auf!“, schrie ich. „Ich bitte Sie, sehen Sie sich doch mal um. Sie gehen nirgends mehr hin.“ Bis auf den immer noch an der Wand pulsierenden Geburtskanal war tatsächlich kein Aus- oder Eingang zu finden. Der gesamte Raum war nicht größer als 10m² und mit quadratischen Metallplatten ausgelegt. Die Übergänge zwischen dem Boden und den Wänden waren allesamt nahtlos und perfekt abgerundet; Ecken und Kanten suchte man hier vergeblich. Ein echtes Vorbild für meinen zukünftig angepassten Charakter. „Was stimmt eigentlich nicht mit Ihnen? Ich habe Sie bisher nur schreien und heulen gesehen. Wissen Sie eigentlich wie viel dieser Eingriff kostet? Wie Sie sicherlich bereits an den etwas in die Jahre gekommenen Maschinen bemerkt haben, ist unsere Klinik auf dem Fundament der alten Umformungsanlagen aus dem späten 21. Jahrhundert errichtet worden, doch sowohl unsere Drohnen als auch die von unserem Forscherteam eigens entwickelte Charaktermodifikationsplattform in der Sie sich gerade befinden sind alles State of the Art Technologien. Damit Ihr Körper die neuen Implantate nicht einfach abstößt wurden vorher jedes einzelne Haar und jedes Gramm Fett, dass Sie von uns erhielten mit aufwändigsten Verfahren auf passende Kompatibilität überprüft, von der Schwierigkeit auf legale Art passende Augen, innere Organe und Geschlechtsteile aus den staatlichen Klondatenbänken zu beschaffen möchte ich gar nicht erst reden. Es ist noch nicht mal zehn Jahre her, da mussten unsere Patienten ihr Leben lang Immunsupressiva schlucken um die Abstoßung der Implantate zu verhindern. Sie werden mit einem perfekten Körper und einem konfliktresistenten Charakter ihr ganzes Leben lang glücklich sein können. Zeigen Sie ihrer Mutter und ihrem Verlobten gegenüber lieber ein wenig Dankbarkeit. Diese Menschen lassen Ihnen aus Verständnis für Ihre vielen körperlichen und charakterlichen Makel das Geschenk der Perfektion zukommen und Sie haben nichts anderes zu tun als sich als ach so armes Opfer darzustellen.“ „Ich soll also auch noch froh darüber sein, dass sie alle Dinge die mich als Menschen ausmachen abtöten? Fein, worauf wartet Ihr dann noch? Nehmt mir meine Persönlichkeit. Erstickt meine Wünsche und Bedürfnisse im Keim, ehe ihr vielleicht noch auf mich eingehen müsst. Ihr habt mich doch nie geliebt, mich nie so akzeptiert wie ich war. Ich bin bereit für mein neues Leben als devote Hausfrau und Mustertochter. Ja, ich spüre es bereits. Die Wirkung setzt ein. Ich liebe es zu kochen und meinen Körper im Fitnessstudio zu stählen. Ich will pausenlos Sex, wobei es nicht wichtig ist, dass ich komme, nein, die Hauptsache ist mein Ehemann kommt auf seine Kosten. Ich bin Mutter, Hausfrau und einen Teilzeitjob nehme ich auch noch an wenn’s denn sein muss. Hier, deine Hauspantoffel und das gekühlte Bier mein Schatz!“ Ich schrie und fauchte, taumelte wie verrückt durch den Raum stürzte mich in einen Strudel aus Hass und Selbstekel. © Michael Köpf 2006 Die Metallplatten begannen plötzlich unter einem immer lauter werdenden Summen zu glühen. Der gesamte Raum schien sich unter einem unglaublichem Energieaufwand aufzuladen. „Charaktermodifikation eingeleitet.“, platschte die blecherne Statusmeldung unabänderlich aus den Lautsprechern. „Sie werden in wenigen Augenblicken von einem Gefühl der Trägheit übermannt werden, den inneren Drang verspüren einfach schlafen zu gehen, sich fallen zu lassen und schließlich zu dem Schluss kommen, dass es sinnlos ist sich gegen die Charaktermodifikation zu wehren.“ Trotz des Versuches möglichst professionell und neutral zu klingen, konnte man aus der kratzigen Stimme Doktor Eisenstaads deutlich ein gewisses Maß an triumphierender Vorfreude heraushören. „Bis jetzt hat noch Jeder versucht dagegen anzukämpfen, doch ich kann Ihnen versichern, dass in den 15 Jahren in denen ich hier wissenschaftlicher Leiter bin, es keinen einzigen dokumentierten Fall einer missglückten Charaktermodifikation gab. Machen Sie es sich doch nicht unnötig schwer. Entspannen Sie sich und genießen Sie die Show.“ Hier würde es also enden. Die glühenden Metallplatten hüllten meinen Körper in ein gleißendes Licht und das Summen hatte mittlerweile eine unerträglich hohe Frequenz und Lautstärke erreicht. Ich fiel kreischend auf die Knie und hielt mir die Ohren zu. Es schien übermächtig, doch ich wehrte mich mit all meinen geistigen Kräften. Ich war nicht soweit gekommen um mich jetzt in ein braves Schoßhündchen verwandeln zu lassen. Peter und meine Mutter, sie würden dafür bezahlen. Tausende Stimmen drangen nun gleichzeitig in meinen Verstand ein. Ich schloss meine Augen; und kämpfte. * „Das ist einfach unglaublich. Kaum zu fassen dass sie das wirklich ist.“, hörte ich Peters Stimme aus dem Off hallen. Mühvoll öffnete ich meine Augen und fand mich in einer riesigen Wartehalle wieder. Zwischen den Sitzecken standen hochgewachsene Topfpflanzen, im Hintergrund dudelte beruhigende Fahrstuhlmusik. Mit ungeduldigem Blick warteten tuschelnde Menschentrauben darauf endlich die neuen Versionen ihrer Verwandten und Freunde abholen zu können. „Ah, sie scheint jetzt wach zu sein. Nein, nein, keine Sorge, sie bekommt nichts mit. Die Charaktermodifikation hat sie sozusagen auf Stand-By geschaltet.“ Gleich einem unwirklichen Alptraum klang die Stimme Doktor Eisenstaads in die Realität nach. „Sobald Sie zu Hause sind injizieren sie ihr einfach das Mittel das ich Ihnen mitgegeben habe, sie sollte dann innerhalb von 30 Minuten mit ihrem neuen Charakterprofil wieder zu vollem Bewusstsein gelangen. Sollten Sie Probleme mit der Durchführung der Injektion haben, rufen Sie einfach bei uns an und wir schicken Ihnen kostenlos einen Mitarbeiter vorbei der das für Sie erledigen wird. Wichtig © Michael Köpf 2006 dabei ist nur, dass Sie die Injektion innerhalb der nächste 48 Stunden verabreichen, da sonst durch den momentanen Zustand zerebraler Paralyse dauerhafte Hirnschäden auftreten könnten.“ „Herr Doktor, ich würde Sie gerne noch etwas fragen.“, dämpfte Peter plötzlich seine Stimme, sodass ich den Rest nicht verstehen konnte. „Das wäre eine große Ehre für mich!“, schüttelte Eisenstaad begeistert Peters Hand. „Nein, es war mir eine Ehre, dass sie den Metamorph-Prozess meiner Verlobten höchstpersönlich eingeleitet und überwacht haben.“ Mit einem stolzen Funkeln in den Augen winkte der Doktor lachend ab. „Ihr Vater ist ein einflussreicher Mann und ich war ihm einen Gefallen schuldig. Danken Sie also ihm, nicht mir. Ich wünsche Ihnen auf jeden Fall noch viel Spaß mit ihrer zukünftigen Frau. Wenn ich mir die Liste der eingespeisten Charakterzüge so ansehe, werden Sie schon auf ihre Kosten kommen.“, klopfte er Peter mit einem dreckigen Lachen auf die Schultern. „Wenn Sie mich nun entschuldigen würden, ich muss nun wirklich los. Die Welt wartet darauf verbessert zu werden. Mensch für Mensch.“ „So mein Schatz, wir zwei Hübschen werden jetzt nach Hause fahren.“, zog mich Peter zu sich hoch und stützte mich mit seinen Händen. „Geht’s eh?“, heuchelte Mutter Interesse mir zu helfen. Im Schritttempo wackelten wir Richtung Ausgang. An den Wänden hingen zahllose Vorher/Nachher Werbeständen lagen abertausenden Körper- Fotos von ‚zufriedenen telefonbuchdicke und Kunden’ Bestellkataloge Charaktervariationen den in und denen an dutzenden man gewünschten sich aus Traumpartner zusammenbasteln konnte. Eine halbdurchsichtige Hologrammfrau erklärte in der Mitte der Wartehalle den genauen Ablauf des Metamorphprozesses mittels Videoeinblendungen. Selbstverständlich lief auf den zu sehenden Bildern alles völlig steril und unblutig ab. Keine Spur von irgendwelchen Roboterdrohnen oder rostigen Fließbändern. Es war ein derartig plumpes Werbeformat, ich wartete nur noch darauf einen Mann zu sehen, der mit einem perlweißen 360-Grad-Grinser in die Kamera zwinkert während ihm eine hübsche Krankenschwester in Strapsen mit einer Kreissäge den Kopf amputiert. Genervt lenkte ich meinen Blick wieder auf das Menschengewirr um mich herum. Zuerst war ich mir nicht ganz sicher, doch dann erkannte ich sein geliftetes Gesicht. Es war der ehemals dickliche, ältere Herr, der während der Eingriffe in ‚Abschnitt 9’ vor mir auf dem Fließband lag. Seine Frau durchwuschelte gerade sein wallendes, pechschwarzes Haar und ließ voller Stolz eine offenbar befreundete Dame den durchtrainierten Oberkörper ihres neugeformten Göttergatten betouchen. Körperlich sah er aus wie ein © Michael Köpf 2006 dreiundzwanzigjähriger Sportler, doch sein Blick war völlig leer. Zuhause würde er dann die von Doktor Eisenstaad angeordneten Mittel gespritzt bekommen, aus der geistigen Absenz aufwachen und sich sofort daran machen Staubzusaugen oder Geschirr abzuwaschen. Ein omnipotenter Frauenversteher mit Prachtkörper. So wie alle zombifizierten Supermodells in diesem Raum wartete er nur darauf aus dem künstlich induzierten Halbschlaf geholt zu werden um dann endlich die Erwartungen der ihm nahe stehenden Leute bis ans Ende seines Lebens zu erfüllen. Ja, wir alle hier hatten es geschafft. Wir waren fix fertige Metamorphprodukte. Jeder von uns war nun so wie man sich uns immer schon gewünscht hatte. Bald schon würden wir unsere Freunde und Familienmitglieder glücklich machen und da unsere Erinnerungen an die recht unsanfte körperliche und geistige Umwandlung gelöscht wurden, würden auch wir zufrieden mit uns und unserem neuen Leben sein. Eigentlich war es die perfekte Lüge, bei der es, solang man jegliche Moral außer Acht ließ, nur Gewinner zu geben schien. Das einzige Problem bei der ganzen Sache war nur, ich konnte mich auch jetzt noch, etliche Stunden nach der Charaktermodifikation, an alles erinnern. Irgendwie hatte ich es geschafft stärker als diese gottverdammte Maschine zu sein. Ich hatte gewonnen, das Spiel war aus. Um aus diesem Etappensieg jedoch einen Triumph zu machen, erforderte es die Situation, dass ich noch ein wenig weiterspielte. Ich setzte also meinen belämmertsten Blick auf, ließ ein wenig Sabber über meine Lippen laufen und spielte die physisch paralysierte Koma-Tussi. Selbst als meine Mutter sich verabschiedete und mich mit diesem triumphierenden Grinsen auf die Wange küsste blieb mein Gesicht erstarrt. Ich würde mich von meinem Verlobten nach Hause bringen lassen und den richtigen Moment abwarten. Dann, so dachte ich, wäre endlich die Zeit für meine Rache gekommen. Ich sollte mich irren. * „Also damit hätte ich wirklich nicht gerechnet.“, steckte Mutter verwundert ihren Kopf zwischen die Wohnzimmervorhänge. Nicht einmal bei der Feier zu Großmutters achtzigstem Geburtstag schwebten so viele Hovercars vor der Einfahrt unseres Hauses. Die gesamte Verwandtschaft war geladen und selbst die entferntesten Tanten und Neffen ließen es sich an diesem Abend nicht nehmen in ihrer besten Festtagskleidung zu erscheinen. Beim Eintreten des Vorzimmers wurden die Gäste dann auch gleich von Projektionskuben begrüßt die allesamt schrecklich peinliche 3D-Hologrammaufnahmen aus meiner Kindheit zeigten. Ich, als ich noch ein kleines tollpatschiges Mädchen war, das mit seinem rosa Kleidchen in eine Schlammpfütze purzelt und viele andere Klassiker die auf der Peinlichkeitsskala eine 10 von 10 erreichen flackerten in halbtransparentem Blau vor mäßig interessierten Gesichtern der vorbeischlendernden Tanten und Onkeln. © Michael Köpf 2006 Bewegte Bilder auf die man mit dem Finger zeigen und lachen konnte. Meine und Peters Eltern hatten sich diesmal wirklich selbst übertroffen und engagierten sogar einen eigenen Partyservice, der dafür sorgte, dass das gesamte Wohnzimmer leergeräumt und zum Speisesaal umfunktioniert wurde. Der alte Esstisch wurde im Keller versteckt und durch ein opulent gedecktes Buffet ersetzt. Wie ein Königspaar saßen Peter und ich an der Spitze des Banketts. Trotz meines Bemühens stets einen leicht belämmerten Blick beizubehalten, sah ich einfach großartig aus. Peter höchstpersönlich hatte mich zuvor geduscht und in ein wunderschönes schwarzes Kleid gezwängt. Da saß ich also nun neben meinem zukünftigen Göttergatten und musste mir den ganzen Abend lang das sinnentleerte Geschwafel der Tanten und Onkel anhören. Nach einigen endlos scheinenden Minuten, um Punkt 18.00 Uhr, war es schließlich soweit. „Entschuldigt bitte! Darf ich einen kurzen Moment um Ruhe bitten?!“, ließ Peter den Messerrücken gegen sein Weinglas klingen. Die Verwandtschaft tuschelte jetzt unter vorgehaltener Hand und zeigte sich sichtlich gelangweilt. Die Meisten waren ja doch nur wegen dem groß angekündigten Buffet gekommen. „Werte Familie.“, ergriff Peter nun das Wort. „Wie ihr alle wisst feiern wir heute den Schmetterlingstag meiner zukünftigen Braut. Ich möchte die Gelegenheit nutzen und meinem Vater für die großzügige Unterstützung danken, die er mir und meiner Verlobten in diesen Dingen angedeihen ließ.“ Der steinreiche alte Knacker stand mit einem süffisanten Lächeln auf und verbeugte sich unter Beifall vor der Verwandtschaft. Gleich war es soweit. Die Injektion. Vor lauter Nervosität ruderte ich unter dem Tisch mit den Beinen hin und her. Irgendetwas musste ich tun, nur was? Lange würde ich diese Charade jedenfalls nicht mehr aufrechterhalten können. „Lasst uns also nun ohne weitere Umschweife zur Tat schreiten.“, verkündete Peter. „Zu diesem Zwecke möchte ich einen ganz besonderen Mann begrüßen. Trotz eines unglaublich dichten Terminkalenders hat er sich die Zeit genommen um heute Abend bei uns zu sein. Er ist ein alter Freund der Familie und quasi der geistigen Vater meiner alten und dennoch bald ‚neuen’ Verlobten ... bitte begrüßt mit mir recht herzlich ... Herrn Doktor Eisenstaad!“ Meine versteinerte Miene bröckelte ab und verwandelte sich in eine durch Entsetzen und Panik schmelzende Wachsfratze. Irgendwie hatte ich ihn wohl unter all den fischgesichtigen Verwandten dritten Grades übersehen, doch es bestand kein Zweifel, er war es tatsächlich. Dieses Gesicht würde ich nie vergessen können. Mit einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen und einer Injektionsnadel in der Hand kam er © Michael Köpf 2006 direkt auf mich zu stolziert. Ich hätte wohl aufspringen und weglaufen sollen, doch das tat ich nicht. Ich saß einfach da und versuchte nicht zu weinen. „Danke, vielen Dank.“, lächelte er im Kreis. „Es ist schon wahr, dass ich ein viel beschäftigter Mann bin. Jeden Tag kommen hunderte Menschen zu mir und bitten mich ihre Geliebten oder gar sich selbst der Perfektion ein Stückchen näher zu bringen. Ich erfülle den Leuten diesen Wunsch und lasse ihnen jene körperlichen und charakterlichen Züge zukommen, die ihnen aus den unterschiedlichsten Gründen bisher verwehrt geblieben sind. Wissen Sie, ich wehre mich gegen diese dümmliche Romantisierung von Fehlern. Der Drang nach Perfektion ist meiner Meinung nach menschlicher als die Makel die ich beseitige. Das Ziel des Eisenstaad Centers ist es seinen Kunden nicht einfach nur eine komplexe Schönheitsoperation mit ein paar psychischen Anpassungen anzubieten. Wir verändern ihr gesamtes Leben. Als Freund der Familie ist es mir gerade deshalb ein besondere Freude bei diesem einschneidenden Erlebnis dabei sein zu dürfen und es erfüllt mich mit Stolz diesen Abend mit ihnen allen hier verbringen zu dürfen.“ Tosender Applaus füllte den Raum und drohte selbst den kitschigen Kristallleuchter in Beifall zu ertränken. „Sie undankbare, missratene Göre.“, flüsterte mir der Doktor ins Ohr und lächelte dabei, als hätte er mir gerade einen Witz erzählt. Onkel Olaf und seine Frau saßen uns zwar direkt gegenüber, konnten seine Worte allerdings nicht hören, weshalb sie lediglich grinsend zu uns retour nickten. „Keine Sekunde lang wussten Sie das Geschenk, dass ich und ihre Geliebten Ihnen gemacht haben zu schätzen. Sie haben sich doch während des gesamten Modifikationsprozesses als Opfer dargestellt. Ihnen wird das Geschenk der Perfektion zu teil und Sie haben nichts Besseres zu tun als herumzuheulen. Ihre impertinente Arroganz und Engstirnigkeit waren es, die mich dazu brachten Ihr Gedächtnis sowie Ihre Körperfunktionen intakt zu lassen. Sie sollen spüren wie Ihre Persönlichkeit langsam ausgelöscht und durch neue, bessere Charakterzüge ersetzt wird. Eigentlich ist es ja unter meinem Niveau und sie könnten mir prinzipiell ja völlig egal sein, doch ich gebe zu, es wird mir eine besondere Freude sein Ihren nervigen Charakter nun höchstpersönlich auslöschen zu dürfen.“ Der Plan Peter und meine Mutter vor versammelter Verwandtschaft bloßzustellen war Geschichte. Die Situation hatte sich drastisch zu meinem Nachteil gewandelt. Wenn ich mich nicht in eine devote Zombiefrau verwandeln lassen wollte musste ich nun handeln. Jetzt oder nie. Jetzt! Wutentbrannt trat ich aus Leibeskräften gegen das Schienbein des Doktors. Mit weit aufgerissenen Augen schluckte er stumm den Schmerz hinunter und packte mich wutentbrannt am Arm. „Sie wollen also eine Szene machen? Hm? Sie wollen mich bloßstellen? Das ist es doch was Sie wollen, ha?!“ Eisenstaad schien sich zu © Michael Köpf 2006 vergessen, mäßigte allerdings sofort seine Stimme als er bemerkte wie Peter und sein Vater irritiert zu uns hinüberblickten. „Charaktermodifikationen ohne die ausdrückliche Einwilligung des Klienten sind momentan bestenfalls in der gesetzlichen Grauzone angesiedelt.“, fuhr der Doktor im Flüsterton fort. „Wenn sich vor versammelter Verwandtschaft herausstellen sollte, dass dies gegen ihren Willen geschehen ist...nun ich schätze Sie können sich das Presseecho vorstellen. Ich schuldete dem Vater ihres Verlobten einen Gefallen, dem bin ich gerne nachgekommen, ich werde aber mit Sicherheit nicht wegen einer kleinen Nutte wie Ihnen die Zukunft der gesamten Stiftung aufs Spiel setzen.“ „Also...“, atmete er durch, „...hören Sie mir jetzt ganz genau zu. Sehen Sie diesen kleinen Knopf am Kragen meines Sakkos? Das ist ein Mikro. Zwei Straßenblocks von hier entfernt sitzen meine Sicherheitsleute in ihren Hovercars und warten nur darauf das ich den Befehl gebe das Haus zu stürmen. Zeugenaussagen sind käuflich und die Medien berichten ohnehin nur über vom Senat freigegebene Themen. Sein Sie doch vernünftig. Es ist doch nur ein kleiner Pieks. Peter bekommt seine Hausfrau, Ihre Mutter kann endlich stolz auf Sie sein und Ihre Verwandtschaft geht glücklich und nichts ahnend nach Hause. Sie werden Peter lieben, mit ihm glücklich sein und Erfüllung in Ihrem Dasein empfinden. Alles schon fertig implantiert. Wir müssen es nur noch durch diesen kleinen Katalysator aktivieren. Was ist denn so schlimm am Glücklichsein?“ Ich konnte es einfach nicht fassen. Dieser Mistkerl versuchte mir doch tatsächlich die völlige Auslöschung meines Charakters als Erfüllung all meiner Träume zu verkaufen. „Und wenn ich mich weigere?“ Lächelnd schüttelte der Doktor seinen kargen Krautkopf. „Versuchen Sie Ihre Mutter, Peter oder gar meine Stiftung auffliegen zu lassen wird dieser Abend für alle Anwesenden unschön enden, das kann ich Ihnen versprechen.“ Seine Augen brannten vor Entschlossenheit. Ich wusste er würde keine Sekunde zögern brutal einzuschreiten. Im besten Fall würde er den anwesenden Leuten das Gedächtnis nehmen, im Schlimmsten, ihr Leben. Es wäre wohl besser gewesen Ruhe zu bewahren und all meine Handlungsmöglichkeiten ruhig und besonnen abzuwiegen. Drauf geschissen! Ich nahm all meine Kräfte zusammen und packte den guten Doktor so fest ich konnte im Schritt. Ich spürte wie seine Hoden zwischen meinen Finger herausquollen und drückte daraufhin nur noch fester zu. Unter tobendem Gejaule ging er langsam in die Knie. „Hey!“, rief Peter gleichermaßen schockiert wie erstaunt. Instinktiv drehte ich mich zu ihm um. Ich war nur einen Sekundenbruchteil unaufmerksam, doch es genügte dem Doktor um mir eine schallende Ohrfeige zu verpassen. Seine Handfläche traf mich mitten im Gesicht. © Michael Köpf 2006 Ich verlor die Orientierung, torkelte nach hinten und riss im Fallen das halbe Buffet mit zu Boden. Immer noch auf dem harten Holzparkett liegend, packte mich der Doktor am Arm. Er grinste noch, dann stach er zu. „Was verdammt noch mal sollte das gerade eben?“, baute sich Onkel Olaf plötzlich zwischen mir und Eisenstaad auf. „Alles in bester Ordnung. Es handelt sich um eine ganz natürliche Abwehrreaktion gegen die Injektion.“ „Onkel, du darfst ihm kein Wort glauben.“, säuselte ich angestrengt nach oben. Der Wirkstoff floss bereits wie Lava durch meine Venen und verteilte sich in meinem ganzen Körper. Es hatte begonnen. „Wie können Sie es wagen meine Nichte zu schlagen und wieso zum Teufel ist sie überhaupt bei Bewusstsein? Ich dachte sie wäre in einem komaähnlichen Zustand?“, ergriff Onkel Olaf den Arm des Doktors und stellte ihn erzürnt zur Rede. Die Partygäste scharten sich mit ihren schaulustigen Blähgesichtern um mich und durchlöcherten meinen mit Nudeln und Fleischstücken bedeckten Körper mit fragenden Blicken. „Es gibt keinen Grund handgreiflich zu werden guter Mann. Ich kann Ihnen alles erklären.“, wich Eisenstaad einige Schritte zurück und suchte mit fragendem Blick Zuflucht bei Peter und seinem Vater. Die vom Alkohol errötenden Gesichter meiner Verwandten entfremdeten sich indes immer mehr zu dämonischen Fratzen. Blutrote Teufelszungen schlugen aus ihren Mäulern während sie mich lispelnd verhöhnten. „Ssseht sssie euch an die kleine Hure. Sssie issst nichtsss weiter alsss totesss Fleisssch.“ Unter all diesen Kreaturen war Peter der Einzige der seine menschliche Gestalt behalten hatte. Trotz allem was er mir indirekt angetan hatte spürte ich, dass er mich auf eine seltsame Art und Weise immer noch liebte. Ich empfand die Aufrichtigkeit seiner Gefühle und war bereit ihm alles zu vergeben. Die Spritze begann zu wirken. Liebe floss durch meine Venen. „Irgendetwas stimmt doch hier nicht.“, rief eine Frauenstimme von hinten. „Ich rufe jetzt die Exekutive und Sie, werter Doktor Eisenstaad, rühren sich nicht vom Fleck.“, ergriff Onkel Olaf die Initiative. „Olaf!“, ermahnte meine Mutter ihren Bruder streng, „In meinem Haus entscheide immer noch ich was passiert!“ Die Frauen begannen sich gegenseitig zu beschimpfen während sich ihre alkoholisierten Ehegatten mit dämlichem Alphamännchengetue pseudobeschützend dazwischenstellten. Inmitten von all dem Chaos bemerkte Niemand den guten Doktor Eisenstaad, der gerade wütende Worte in seinen Sakkokragen schrie. Ich wusste dass er gerade das Schicksal aller im Raum befindlichen Leute besiegelt hatte, doch es interessierte mich nicht im Geringsten. Ich hatte nur mehr Augen für meinen geliebten Peter. © Michael Köpf 2006 Nicht einmal fünf Minuten später durchbrach ein lauter Knall das Stimmengewirr. „Was war das?“ Schock und Überraschung betäubten den Raum. Es rumpelte im Vorzimmer, man hörte schnelle Schritte über den Vorzimmerboden trampeln. Die Fensterscheiben zerbrachen, etwas Rundes, Schweres rollte durch die Stühle hindurch. Wie angewurzelt standen alle da und starrten auf die olivgrüne Ananas. „Das geht gleich hoch. Alle in Deckung!“, ergriff Onkel Olaf als Einziger die Initiative und kickte die Granate mit den Füßen in die Ecke des Wohnzimmers. Mit zugepressten Augen hielten sich die Leute die Ohren zu, doch anstatt eines lauten Knalls füllte sich der Raum zischend mit Nebel. Viele Dinge wurden laut gesagt, das sah ich an den großen Mündern, doch verstehen konnte ich nichts davon. Immer wieder versuchte man mich an der Hand zu packen und mitzuzerren doch ich wollte bloß in Ruhe gelassen werden. Panisch strömten die Leute zu den von außen verbarrikadierten Türen, stürzten dabei übereinander, weinten verzweifelnd und fielen schließlich hustend auf ihre Knie. Ich mochte den Nebel, schließlich war der Herbst schon als Kind meine liebste Jahreszeit. Auch Peter legte sich zu mir auf den Boden. Er schien müde zu sein. Ich durchstreifte lächelnd sein Haar und dachte an unsere zukünftigen Kinder. Bei so einem nebeligen Wetter müssten unsere Kleinen auf alle Fälle dicke Wollmützen tragen, egal wie sehr sie sich auch dagegen sträubten. Ich freute mich schon auf die mütterlichen Pflichten und verstand nicht warum Peter so teilnahmslos dalag. „Wir gehen rein!“ Türen wurden eingetreten und eine Schar schwarzer Raben durchflutete das Zimmer. Sie hatten witzige Masken über ihre Schnäbel gezogen und gaben sich mit ihren gefiederten Krallen gegenseitig merkwürdige Handzeichen. Egal ob Mann, Frau oder Kind, wer noch auf den Beinen war wurde zu Boden gerissen und mit einem Berührungsmittel niedergespritzt. „Ja aber Herr Doktor?!“, streckte Peter Hilfe suchend seinen Arm nach Eisenstaad aus. Er rechnete nicht damit, dass der Freund seines Vaters soweit gehen würde. Alles was er wollte war eine perfekte Hausfrau und Mutter; ein Frankenstein’sches Monster zum Altwerden. Nun lag er besinnungslos da und Speichel lief ihm aus dem Mundwinkel. „Dass mir ja Niemand verletzt wird.“, schritt Eisenstaad wie ein Feldherr durch den Raum. „Krah!“, salutierten seine schwarz uniformierten Rabenmenschen, zerrten die besinnungslosen Körper nach draußen und zerstörten dabei mit ihrer ungestümen Art die gesamte Einrichtung. „Das macht nichts.“, dachte ich mir. Ich würde nachher einfach alles aufräumen. „Lassen Sie nur, die hat schon ihre Injektion.“, verscheuchte der Doktor einen seiner Lakaien von meinen Körper. Zitternd streckte ich die Hand nach seiner Kehle aus. Der letzte Rest meines alten Ichs wollte diesen Dreckskerl immer noch tot sehen. „Keine © Michael Köpf 2006 Sorge, meine Leute kümmern sich um alles.“ Ich verstand nicht und doch nickte ich zufrieden. Gleichgültigkeit fraß sich durch meine Seele bis sie völlig leer war. „Schlaf jetzt. Morgen ist der erste Tag deines neuen Lebens.“ Er war wie ein Vater zu mir; ohne zu hinterfragen glaubte ich ihm jedes Wort. Ich fühlte mich befreit von all dem emotionalen Ballast den ich all die Jahre sinnlos mit mir herumgeschleppt hatte. Reingewaschen von dem Schlamm alter Schwächen und Erinnerungen schloss ich meine Augen. Lächelnd ergab ich mich dem Schlaf. ~ © Michael Köpf 2006 Sehr geehrter Damen und Herren, Perfektion muss nicht länger ein Traum für Sie bleiben! Sie wünschen sich nichts mehr als ein strahlend weißes Lächeln, eine sportliche Figur und reine faltenfrei Haut? Die moderne Chirurgie kann Ihnen diese Wünsche schon seit Jahrhunderten erfüllen, wir hingegen können Ihnen noch viel mehr als einen simplen Traumkörper bieten. Dank der weltweit ersten CharaktermodifikationsplattformTM können wir Sie zu dem Menschen machen, der Sie immer schon sein wollten. Die Eisenstaad Foundation for Advanced Human Modifications (E.F.A.H.M.) lädt Sie samt ihrer Familie und Freunde herzlich für einen Nachmittag ihrer Wahl in eine unserer zertifizierten Modifizierungsanstalten ein. Machen Sie sich vor Ort ein unverfälschtes Bild von unseren zukunftsweisenden Technologien, lesen Sie sich bei einer Tasse Kaffee an den vielen Informationsständen in aller Ruhe unsere Broschüren durch und lassen Sie sich im Anschluss von unserem geschulten Personal über die vielen Finanzierung- und steuerlichen Absetzmöglichkeiten unserer Produkte beraten. Melden Sie sich und zwei ihrer Verwandte/Freunde noch am gleichen Tag zu einem Anpassungstermin bei uns an, erhalten Sie eine zusätzliche Modifikation ihrer Wahl gratis dazu! Profitieren Sie von unseren familienfreundlichen Sonderangeboten: Kinder unter 12 Jahren kosten nur die Hälfte, Babys und Kleinkinder in den ersten 3 Lebensjahren sogar nur 25% des Normalpreises! Mit über hunderttausend Filialen allein auf Terra IV ist die Eisenstaad Stiftung der größte nicht-staatliche Anbieter von Charakteranpassungen in der gesamten Union. Millionen zufriedener Kunden können nicht irren! Wir hoffen Sie schon bald in einer unserer Modifizierungsanstalten begrüßen zu dürfen und verbleiben mit freundlichen Grüßen, Ihr Team des Eisenstaad Centers, Kolonie Terra IV am 26.10.2177 Verbessern wir die Welt, verbessern wir uns selbst! © Michael Köpf 2006 Aktuelle Sonderaktionen der Eisenstaad Stiftung (gültig vom 1.10. bis 31.12.2182) • Das Standardpaket ‚Körperanpassung mit 5 Modifikationen’ ist im angegebenen Zeitraum nun um 10% günstiger (Ocular- und Gendermodifications sind von diesem Preisnachlass nicht betroffen) • Unsere neue Reihe ‚celebrity weekend’ lässt Sie ab dem 1.11. für ein Wochenende in die Haut Ihres Lieblingsstars schlüpfen. Erkundigen Sie sich auf unserer Homepage ob die von Ihnen gewünschte Berühmtheit bereits auf unserer Liste der lizenzierten Bodysamples aufscheint und überraschen Sie Ihren Partner noch dieses Wochenende mit dem Körper seines bzw. ihres Lieblingsstars. Über 100.000 Schauspieler, Musiker und Sportler haben bereits ihr Einverständnis gegeben und würden sich freuen Ihnen durch ihre Popularität ein unvergessliches Wochenende bescheren zu dürfen. Erwerben Sie darüber hinaus auch noch eine Exklusivlizenz, so garantieren wir Ihnen für die gesamte Dauer des gewählten Wochenendes landesweit die einzige Person mit dem gewünschten Bodysample zu sein. Es kann nur einen Superstar geben, und der sind Sie! • Sie sind mit einigen körperlichen Merkmalen oder charakterlichen Eigenheiten Ihres Lebensabschnittspartners nicht zufrieden, wollen aber die Beziehung durch die forcierte Durchführung einer Modifikation nicht unnötig gefährden? Die Eisenstaad Stiftung garantiert Ihnen hundertprozentige Verschwiegenheit und bietet ab sofort Memory-Voiding für alle Neukunden gratis an. Innerhalb von 48 Stunden nach Beendigung der Modifikationen erfolgt die Verabreichung einer kleinen Injektion mit der nicht nur die charakterlichen Anpassungen in Kraft treten sondern auch sämtliche Erinnerungen an den Eingriff durch vom auftraggebenden Kunden frei wählbare Alternativerlebnisse ersetzt werden. (rechtliche Anmerkung: Die Eisenstaad Stiftung ist verpflichtet Sie darauf hinweisen, dass der parlamentarische Ausschuss der Kolonie Terra IV zum Zeitpunkt der Aussendung dieser Informationsbroschüre dem Gesetzesantrag zur Legitimierung des Memory-Voidings ohne Einwilligung der jeweilig betroffenen Person(en) noch nicht zugestimmt hat und damit die Durchführung dieses Verfahrens in manchen Regionen eine strafbare Handlung darstellen könnte.) © Michael Köpf 2006 White Collar Certificates Ihre Eintrittskarte zu den Chefetagen dieser Welt Sie suchen nun schon seit einer halben Ewigkeit eine fixe Anstellung, kassieren jedoch bei jedem Bewerbungsgespräch eine bittere Absage? Wir bringen Sie auf die GewinnerSeite! Die Eisenstaad Stiftung arbeitet eng mit den größten Dienstleistungsunternehmen der Union zusammen um Ihnen exakt jene Eigenschaften zukommen zu lassen, die dann auch tatsächlich in der Praxis von Ihnen erwartet werden. Steigern Sie mittels Charaktermodifikation Ihre Flexibilität, Teamfähigkeit sowie Ihren Arbeitseifer oder lassen Sie sich von uns durch eine simple Körperanpassung hundertprozentige Fitness und Krankheitsresistenz bescheinigen. Wir vergeben als erstes Institut staatlich anerkannte White Collar Certificates und können Ihnen damit einen klaren Wettbewerbungsvorteil am immer härter werdenden internationalen Arbeitsmarkt liefern. Die Zertifikate der Eisenstaad Foundation bescheinigen Ihnen alle arbeitsmarktrelevanten Eigenschaften und verschaffen Ihnen damit den entscheidenden Vorteil gegenüber Ihrer Konkurrenz. Jüngste Statistiken der Wirtschaftskammer zeigen, dass aktuell mehr als 78% aller Angestellten im mittleren und höheren Management über White Collar Certificates verfügen. Durch unsere breit gefächerten Finanzierungsangebote gibt es nun wirklich keinen Grund mehr ein trauriges Dasein ohne Job fristen zu müssen. Wollen Sie wegen falscher pseudomoralischer Wertvorstellungen auf Modifikationen verzichteten und sowohl Ihre, als auch die Zukunft Ihrer Familie fahrlässig aufs Spiel setzen? Zeigen Sie persönliche Größe und seien Sie Ihres eigenen Glückes Schmied. Ergreifen Sie die Chance und sichern Sie sich Ihre berufliche Zukunft noch heute! Ihr Team des Eisenstaad Centers, Kolonie Terra IV am 26.10.2177 Verbessern wir die Welt, verbessern wir uns selbst! © Michael Köpf 2006