Schmetterling

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Schmetterling
Schmetterling
Monochrom und nackt. Schneeweiße Gänsehaut spannte sich straff über meinen
knochigen Frauenkörper. Ich schlang die Arme um mich, wollte verhindern auszukühlen,
doch was vermochten diese dürren Äste schon zu wärmen? Rotz und Tränen vermischten
sich an meiner Nasenspitze zu einem salzigen Tropfen, einer Dachlawine die nur darauf
wartete von den Schwingungen meines bibbernden Körpers losgetreten zu werden und
durch den Rost jenes kalten Gitterbodens zu fallen, der sich bereits als schachbrettartiges
Muster in das zartrosa Fleisch meiner Fußsohlen gefressen hatte. Eine unsichtbare Quelle
aus dem Off schmetterte einen grellen Lichtkegel auf mich herab. Ich versuchte zu
schreien, doch kein Ton kam über meine ausgedorrten Lippen. Angst überkam mich,
schnürte mir die Kehle zu und ließ mich panisch in die schwarze Kälte keuchen. Mein
Atem materialisierte sich im Neonlicht wie der bierige Zigarettenrauch in einem voll
gestopften Pub. Ich starrte in die Finsternis und fürchtete mich vor meinen eigenen
Kopfgeburten und all den anderen unaussprechlichen Dingen die jenseits des mich
umgebenden Lichtovals auf mich hätten lauern können.
Hinter dem kalten Schweiß auf meiner Stirn klackte ein gigantisches Uhrwerk schwerfällig
vor sich hin, ließ wehmütig seine Stundenzeiger hängen und weigerte sich hartnäckig die
Zeit vergehen zu lassen. Ich konnte nicht sagen wie lange ich nun schon dastand und
meine zitternden Hände anglotzte. Ich hatte Angst zu verschwinden sobald ich meine
Blicke von meinem Körper löste. Sich auf etwas Bekanntes und Reales wie den eigenen
Körper zu konzentrieren, war in dieser surrealen Leere die einzige Möglichkeit nicht
verrückt zu werden. „Solange ich mich sehen kann, bin ich existent.“ Der menschliche
Verstand stellt in Extremsituationen die seltsamsten Regelwerke auf um nicht verrückt zu
werden. Stärker als jedes Gitter es vermocht hätte, hielt mich diese Mauer aus Licht
gefangen. Ich fühlte mich wie ein eingesperrtes Tier und tapste mit kleinen schnellen
Schritten im Kreis. Schweiß drang aus meinen rasierten Achselhöhlen. „Genug jetzt!“,
hämmerte ich mir Disziplin ein. Der Staudamm in mir begann zu bersten.
Ich atmete tief durch, hielt kurz inne; und lief. Zuerst dachte ich die Dunkelheit würde
vor mir flüchten, doch dann bemerkte ich, dass es der Lichtkegel war, der mir auf Schritt
und Tritt folgte. Stets umhüllt von Neonweiß pumpte ich meinen Atem druckvoll aus dem
Mund. Ich lief und lief, getrieben von der Hoffnung auf irgendetwas zu stoßen. Ein Ding,
einen Geruch oder nur ein verdammtes Geräusch. Mein Muskelapparat fing Feuer.
Überanstrengung. Ich zwang mich weiter. Selbst als sich meine Fußballen an dem harten
Gitterboden blutig geschürft hatten konnte mich nichts davon abhalten noch einige Meter
© Michael Köpf 2006
weiter zu rennen. Dann blieb ich stehen. Keuchend, meinen Körper gegen die Knie
pressend, musste ich mir eingestehen, dass ich wohl noch Tage oder Wochen hätte
laufen können ohne auf eine Grenze dieses Raumes zu stoßen. Kein Anfang und kein
Ende. Wie leer die Unendlichkeit doch ist.
In der Hoffnung irgendetwas zu treffen, warf ich wahllos hektische Blicke um mich. Da!
Zwei glatzköpfige alte Herren traten zu mir in den Lichtkreis. Unbeholfen tänzelte ich
nach hinten und versuchte mit den Händen meinen Schambereich zu verdecken. Ihre
schmalen abgemagerten Gesichter wuchsen wie Unkraut aus den weißen Arztkitteln die
sie trugen. Eine dieser seltsamen Gestalten bewegte nun langsam seine Lippen und
starrte mich dabei fragend an. Ich sagte ihm, dass ich seine Worte nicht hören könne,
doch er lächelte nur mitleidig und kritzelte irgendwelche Notizen auf seine faltige
Handfläche. Ich sah es an seinem Gesichtsausdruck, dass er versuchte mir Fragen zu
stellen und enttäuscht darüber war mich nun schlecht beurteilen zu müssen. Wie sehr ich
mich auch zu konzentrieren versuchte, es gelang mir einfach nicht die Stimme des alten
Mannes zu hören. Ich fühlte mich wie ein Geistwesen dem es nicht möglich war mit der
Welt um sich herum zu kommunizieren. Die Männer gaben es schließlich auf, zuckten mit
den Schultern und warfen sich gegenseitig ein wissendes Grinsen zu. Dummes kleines
Mädchen!
Dann, ähnlich dem Geräusch beim Druckausgleich in großen Höhen, ploppte es in
meinem Ohr. Der Vorhang hatte sich geöffnete und offenbarte mir nun die gesamte
Geräuschkulisse. Ich hörte den Nachhall entfernter Stimmen, lauter werdende Schritte
und ein seltsam ruhiges Motorengeräusch. „Bleiben Sie jetzt ruhig stehen.“, drang eine
blecherne Roboterstimme aus dem Off. Aus dem schwarzen Nichts jenseits des
Lichtkegels schnellte plötzlich ein mechanischer Greifarm hervor und näherte sich mir mit
schnellen, abrupten Bewegungen. Er schwenkte einige Male um mich herum als würde er
mich mit seinen mechanischen Fingern näher betrachten wollen. Ich versuchte
auszuweichen und schrie um Hilfe, doch die einzige Reaktion die ich von einem der
Wissenschafter erhielt war ein gelangweiltes Polieren seiner Brille.
„Bleiben Sie jetzt ruhig stehen.“, wiederholte sich die Maschinenstimme im gleichen
monotonen Klang wie vorhin. Ich spürte plötzlich etwas Warmes meine Schenkel
hinunterlaufen. Ich schämte mich, musste weinen und konnte dennoch den Blick von
meinem Urin nicht lösen, so als wäre es meine Pflicht gewesen dabei zuzusehen wie er
durch den Gitterrost prasselte. Dreckiges kleines Mädchen! Wie ein Blitz durchfuhr mich
plötzlich ein stechender Schmerz. Es spielte sich alles im Bruchteil einer Sekunde ab, fast
so als hätte mich eine Klapperschlange gebissen. Schnell, brutal, präzise. Es dauerte eine
Weile bis ich realisierte, dass mir dieser mechanische Greifarm gerade eben eine
© Michael Köpf 2006
Injektion in die Halsschlagader gewuchtet hatte. Es klingt pervers, doch ich freute mich
über den Schmerz, ließ er mich doch wissen dass ich noch am Leben war.
Ich verlor einen Moment lang die Besinnung. Dann spürte ich die harten Griffe rauer
Lederhandschuhe an meinen Hüften kratzten. Zwei kräftige Männer in pechschwarzen
Uniformen trugen mich in die Dunkelheit. Ich bettelte und flehte sie mögen mich doch
loslassen, doch hinter den verspiegelten Visieren ihrer schwarzen Kevlarhelme konnte ich
keine mitfühlenden Blicke finden. Ich versuchte sie zu kratzen und zu beißen, trat wie
eine Verrückte wild um mich, doch letztendlich schafften sie es meinen zappelnden
Weißfischkörper auf ein kaltes, ölverschmiertes Fließband zu wuchten.
Mit der klinischen Sterilität war es nun jedenfalls vorbei. Was folgte waren Blut, Öl und
Schmerzen. Mit einem lauten metallischem ‚Kling’ schlossen sich rostige Eisenriemen
rund um meine Hand- und Fußgelenke. Kälte fraß sich unsanft in meinen ölverschmierten
Rücken. Ich versuchte mich herauszuwinden, doch alles was ich damit erreichte war,
dass
sich
mein
Diätmargarine
zartrosa
abzuschälen
Fleisch
entlang
begann.
Meine
meiner
dürren
Bewegungen
Knöchel
wurden
wie
fettarme
plötzlich
immer
schwächer, Trägheit übermannte mich. Ein geseufztes Stöhnen entkam meinen Lippen,
dann ergab sich mein Körper der Wirkung der Injektion. Mehr als ein Zittern konnte ich
meinen paralysierten Gelenken nicht mehr entlocken, lediglich meinen Kopf konnte ich
mit Mühe noch ein wenig zur Seite neigen. Gelassen klinkten die schweren Metallfesseln
auf und entließen mich aus ihrem schmerzhaften Griff. Ich würde nirgends mehr
hingehen.
Der alte Mann im weißen Kittel stand plötzlich neben mir. Er klatschte wortlos zwei Mal in
die Hände. Als der Widerhall als dumpfes Echo seine Antwort gab setzte eine unsichtbare
Maschinerie im Hintergrund lautstark zischend das Fließband in Bewegung. „Aber da war
doch
nichts
in
diesem
Raum.
Nichts,
Nirgends!“,
schluchzte
ich.
„Aber Kindchen, es war doch alles die ganze Zeit direkt neben dir.“, bemitleidete mich ein
im Halbschatten stehende Frauengestalt. Ich kannte diese wohlig warme Stimme nur zu
gut, doch sie konnte es nicht sein, das war schlicht unmöglich! Auch wenn ich es nicht
wahrhaben wollte, da stand sie nun, in ihrem besten Sonntagskleid, gleich neben dem
alten glatzköpfigen Wissenschafter; meine Mutter. „Mach uns ka Schand!“, rief sie mir
noch mit angespannter Stimme nach.
Ich schaffte es unter Anstrengungen meinen Kopf leicht anzuheben um zu sehen was nun
auf mich zukam. Vor mir öffnete sich eine mit Grünspan überzogene Schleusentür. „Sie
werden mit dem Ergebnis sehr zufrieden sein, gute Frau!“, versicherte der Mann im
weißen Kittel meiner Mutter. Auch wenn ich sie nicht mehr sehen konnte wusste ich, dass
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sie sich jetzt zu einem gequälten Lächeln zwang. Wären wir jetzt zu Hause, sie hätte den
schwarz uniformierten Einheiten sicherlich schon Tee und Gebäck angeboten. „Gehn’s
werter Herr, legen’s doch Ihr Sturmgewehr zur Seite und kosten’s ein paar meiner
Kekse.“ So war meine Mutter eben wenn sie mit Fremden sprach. Ich schluchzte. Dann
fraß mich die Dunkelheit.
*
Ein kurzer Ruck ging durch meinen Körper. Das Fließband war stehen geblieben. Ich
wollte erleichtert durchatmen, doch der bleierne Geruch von Schmieröl und Maschinenfett
legte sich als stickiger feiner Film auf die Atemwege und ließ meine knabenhaften Brüste
panisch nach Luft japsen. Mit einem dumpfen Klack wurde irgendwo im Off ein Schalter
umgelegt. Zwei riesige Neonröhren blinzelten verschlafen und fluteten die Kammer mit
grellem Licht. An den Wänden werkten abertausende riesige Zahnräder emsig vor sich
hin, griffen ineinander und dienten, jedes einzelne für sich, dem übergeordneten, großen
Ganzen. Quer durch die Luft spannten sich dicke Lederriemen, ächzten unter großem
Druck und beneideten die geölten Kugellager, die mit spielerischer Leichtigkeit in einigen
hundert Metern Höhe gigantische Plattformen positionierten. Überall dampfte es aus
bronzefarbenen
Rohrventilen,
die
mich
an
manch
öligen
Stellen
in
allen
Regenbogenfarben anglänzten. Die Kammer schien nichts anderes als eine riesige
rostbraune Maschinerie zu sein.
Ich dachte zuerst ich hätte mich versehen, doch aus den nebligen Dampfschwaden
tauchte plötzlich ein eiförmiges Flugobjekt auf und machte in einem surrenden
Schwebezustand vor meinem Gesicht halt. Die metallene Außenhülle schimmerte in
poliertem Edelstahl und reflektierte die vergleichsweise anachronistisch anmutende
Umgebung aus Rost und Öl. „Nicht bewegen.“, wurde mir mit blecherner Stimme
mitgeteilt. Fast so als blickte ich in einen ruhigen See, dessen zittrige Oberflächliche
gerade von einem eben hineingeworfenen Stein verzerrt wurde, spiegelte sich mein
Gesicht
nun
an
der
abgeflachten
Vorderseite
des
surrenden
Metall-Eies
als
verschwommene Fratze wider.
Gerade als ich mich näher in diesem schwebenden Zerrspiegel betrachten wollte, teilte
sich die Außenhülle entlang eines dünnen Spaltes in zwei Teile und glitt elegant nach
hinten weg. In eine Art Nest aus Kabeln, Festplatten und blinkenden Statuslämpchen
gebettet, glupschte mir ein blutunterlaufenes, riesiges Auge aus dem Kern der Drohne
entgegen. Um nicht aus seiner metallenen Fassung zu fallen, waren die Lider mit
dutzenden kleinen Häkchen an der stählernen Augenhöhle fixiert. Die riesige blaugraue
Iris tastete mich mit jener Art von naiv-interessierten Blicken ab, die normalerweise
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wissbegierigen Babys vorbehalten ist. Auf eine schwer zu beschreibende Weise strahlte
dieser biomechanische Alptraum trotz seiner Bedrohlichkeit eine gewisse kindliche
Unschuld aus, die eine irritierende erotische Anziehungskraft zu diesem Monstrum in mir
auslöste.
„Nicht bewegen. Scanvorgang wird initiiert.“, tönte es aus den seitlich an der Drohne
eingefrästen Lautsprecherlöchern. Das Auge schwirrte langsam vom Kopf beginnend
abwärts und musterte dabei mit hektisch zuckenden Blicken meinen schneeweißen
Zitterkörper. Ich spürte die warme Feuchte in meinem Schenkeleck und zwirbelte in
Gedanken schamvoll meine Beine zusammen. „Scanvorgang abgeschlossen. Aktuelles
Objekt als Nummer 301082 erkannt. Passende Metamorphsequenz kann nun initiiert
werden.“, diagnostizierte die Sonde, schloss die Schutzhülle um das organische Auge und
verschwand wieder im dichten Maschinenwald. Der gesamte Raum begann nun zu beben,
ächzte Dampf und spuckte Öl. Das Fließband lief wieder. Ich, Objekt 301082 würde nun
weitertransportiert werden, durch die Schleusentür hindurch, hinein in den nächsten
Raum. Ich lag einfach nur da, bewegte mich keinen Millimeter und war bereit alles über
mich ergehen zu lassen. Die Injektion tat ihre Wirkung; ich würde ein braves Mädchen
sein.
*
Das ölige Fließband durchlief nun eine Abfolge verschiedenster Kammern und Hallen.
Unter leichten Schmerzen schaffte ich es meinen Kopf zu drehen und mich ein wenig
umzusehen. Ich kam mir vor wie in einer Geisterbahn, einer grotesken Kaffeefahrt auf
Schienen. Ich hätte sie links und rechts fotografieren sollen, all diese grauenvollen
Sehenswürdigkeiten die Raum für Raum im Schritttempo an mir vorbeizogen. Die
menschlichen Herzen die an Kabeln befestigt mitten im Raum hingen und pochend
diverse Apparate mit Energie versorgten. Ganze Wände geformt aus Organen, Zungen
und Augen, pulsierend, lebend. Auch wenn ich es vielleicht nicht verstehen konnte,
schienen
selbst
die
in
ihrer
Abartigkeit
unbeschreibbarsten
Installationen
einen
produktiven Zweck zu erfüllen.
In der nächsten Kammer angekommen blieb das Fließband abermals stehen. Ich befand
mich nun in einer ziemlich engen Schleuse die lediglich von einem dämmrigen
blauweißen Neonlicht beschimmert wurde. Ich fühlte mich wie ein Torpedo der nur darauf
wartete aus der feuchten, engen Dunkelheit nach draußen geschossen zu werden.
Ich neigte meinen Kopf zur Seite und fand die Quelle des schummrigen Neonlichts hinter
einer entspiegelten Glaswand. Ich blinzelte und konnte mit Mühe eine handvoll
© Michael Köpf 2006
schemenhafter Gestalten erkennen, die wie antike Statuen einfach nur dastanden und
mich anglotzten. Hinter ihnen spuckten turmhohe Rechner nicht enden wollenden
Papierschlangen
ausgewerteter
Daten
in
die
feucht-klebrigen
Schweißhände
von
aschenbecherbebrillten Forscherfritzen. Als ich inne hielt und mich konzentrierte, konnte
ich einige Wortfetzen aufschnappen. Durch die Glasfront drangen abgedumpfte Stimmen,
die sich über ein „äußerst flexibles Modulsystem“ unterhielten und sich fasziniert darüber
zeigten „mit welch unglaublicher Präzision und Detailverliebtheit das Menschenmaterial
ganz nach dem alten Vorbild maschineller Fertigung weiterverarbeitet werden würde“.
Ich schauderte beim Gedanken in welchem Zustand ich am Ende dieses Fließbandes
ankommen würde.
„Objekt Nummer 301082, Herr Doktor.“, hielt ein sichtlich überforderter Jungassistent
zittrig einen Zettel in der Hand und deutete durch die Glasfront auf meinen sedierten
Körper. „Fein, dann können wir ja beginnen.“, stand ein glatzköpfiger Mann mit weißem
Kittel auf. Ich konnte ihn nicht richtig erkennen, aber es schien der gleiche
Wissenschafter zu sein, mit dem sich meine Mutter unterhalten hatte. „Na was ist denn?
Raus hier!“, hörte ich nun seine Stimme deutlich lauter. Ein Schatten nach dem anderen
verschwand aus dem Raum, bis ich nur noch den buckligen Umriss des hochgewachsenen
alten Mannes sehen konnte.
„Wenn ich mich vorstellen dürfte, mein Name ist Doktor Eisenstaad.“, krächzte er über
die Lautsprecheranlage. „Nur nicht so scheu, kleines Reh. Die Wirkung der Injektion
dürfte nun bereits soweit nachgelassen haben, dass Sie ihre Stimmbänder wieder
benutzen können.“ Das Schlucken tat weh, ich räusperte mich und hätte dabei fast meine
Lunge rausgekotzt. Ich wollte mich reflexartig Aufsetzen, doch mein Körper reagierte
nicht auf die Befehle meines Nervenzentrums. „Was wollen Sie?“, röchelte ich, immer
noch nackt am Rücken liegend.
„Was ich will? Non, non, mon amour, Sie stellen die falschen Fragen. Sie sollten sich viel
mehr darüber Gedanken machen was Ihr Verlobter will.“ Ich verstand nicht was Peter mit
dem Ganzen zu tun haben sollte. Zwischen uns war doch alles in Ordnung. Wir liebten
uns und wollten dieses Jahr noch heiraten. „Wieso sollte er mir denn um Gottes Willen so
etwas antun wollen?“, dachte und sagte ich zugleich.
„Wir sind doch nicht zum Plaudern hier, Kindchen.“, grinste der Doktor mit einem
großkotzig wohlwollendem Gesichtsausdruck. Er drückte ein paar Tasten auf einer PCTastatur, murmelte unverständliches Zeug klickte mit der Maus hektisch umher. Als
schließlich ein orangenes Lämpchen an der Wand neben ihm zu leuchten begann, konnte
er sich zu einem zufriedenen Lächeln durchringen. Direkt über mir an der Decke öffnete
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sich nun ein mittelgroßer Spalt, aus dem sich ein flacher Monitor zu mir herabsenkte und
gut einen Meter vor meinen Augen zum Stehen kam.
„Jetzt nicht bewegen.“, imitierte er süffisant die blecherne Roboterstimme. Als sich
hinter mir die Schleusentüre öffnete und eine Drohne hereinsurrte, wusste ich auch
warum. Sie klackte und ratterte ein wenig unwissend vor sich hin, positionierte sich
jedoch letztendlich selbstsicher neben meinem Kopf. „Werde ich nun wieder von einem
ekligen Glupschauge angestarrt?“, röchelte ich. Der glatzköpfige alte Mann schüttelte nur
seinen Kopf. Die Vorderseite der Drohne öffnete sich wieder, doch anstatt eines Auges,
kam mir nur ein verdrahteter Bohrkopf entgegen.
„Das wird jetzt ein klein wenig pieksen.“, vermischte sich Eisenstaads sadistisches
Kichern mit den lauten Bohrgeräuschen der immer näher kommenden Sonde. Ich
versuchte den Kopf wegzudrehen, doch ein weiterer Greifarm fixierte mich unsanft
entlang der Schläfengegend. Das Geräusch wurde dumpfer als der Bohrkopf begann sich
in präzisester Nanometerarbeit in meine Schädeldecke zu fräsen. Wärme durchspülte
mein Gehirn. Ich schloss die Augen.
Erst als das Bohrgeräusch verstummt war und sich die unsanfte Fixierung an meinen
Schläfen gelockert hatte wagte ich es einen ersten Blick um mich herum zu werfen. Die
Sonde war nun zwar weg, hatte mir jedoch ein ‚Geschenk’ hinterlassen. In der fahlen
Spiegelung der Glasfront sah ich ein dünnes Bündel aus roten, gelben und schwarzen
Kabeln aus meiner Schläfe hängen. Sie waren direkt an den Monitor über mir
angeschlossen und lieferten Bilder von komplexen, dreidimensionalen Gitterobjekten, die
sich
langsam
aufbauten,
nur
um
Momente
später
gleich
wieder
in
sich
zusammenzufallen. „Sind das meine Gedanken?“, fragte ich vorsichtig. „Obwohl das bei
einer Frau wie Ihnen gut möglich wäre, muss ich diese Frage verneinen.“, lachte der
Doktor, „Das ist bloß der Bildschirmschoner.“
„Da Sie sich ja offensichtlich bereits bestens auf die bevorstehende Prozedur eingestimmt
haben, würde ich vorschlagen wir beginnen mit dem Reizsättigungsprogramm.“ Kurz
wurde es ganz hell in der engen Schleuse. Es buzzerte und brutzelte und fühlte sich an
als hätten sie mir eine spitze Nadel direkt in mein Gehirn gestochen. „Starkstrom. Eine
kleine Starterhilfe für unser Vorhaben. Leider notwendig um die Kettenreaktion in Ihrer
Hirnrinde starten zu können. In diesem Moment werden tausende Momentaufnahmen,
Schlagwörter und Metaphern in Ihr Unterbewusstsein übertragen. Die Assoziationen die
Sie damit verbinden werden digital aufgezeichnet und darüber hinaus in Echtzeit auf dem
Monitor über Ihrem Kopf angezeigt. ‚Mindrape’ wie Kritiker es nennen. Uns hier dient es
lediglich als Entscheidungshilfe für Phase Zwei.“, erklärte der Doktor mit einer
© Michael Köpf 2006
leidenschaftlichen Faszination, die es ihm unmöglich machte auch nur das geringste
Mitleid mit mir zu empfinden. Für ihn war ich kein Mensch, ich war Objekt 301082.
Eine eiskalte Welle erfasste mich, eine Bilderflut in der ich fürchtete ertrinken zu müssen.
Ich klammerte mich an einen Strohhalm, etwas, das mir bisher immer noch geholfen
hatte. In Gedanken war ich nun wieder in Sicherheit, zu Hause bei meinen Eltern.
Geborgenheit umspülte mich, ich ließ mich fallen. Der Monitor über mir begann zu
flackern.
*
Ich war gerade 8 Jahre alt und ärgerte Mama mit dem Diktiergerät meines Vaters. Ich
hielt es ihr unter die Nase, tat so als wäre sie eine weltberühmte Filmschönheit von der
ich unbedingt ein Interview haben müsste. Insgeheim beneidete ich meine Mutter immer
schon um ihren Körper und die Wirkung die sie auf Männer jeglichen Alters hatte. Ich war
noch ein Kind, dennoch merkte ich vielleicht unterbewusst schon, dass sie etwas hatte,
das mir später einmal als Frau versagt bleiben würde.
Die Wohnzimmereinrichtung die wir damals hatten, das Grübchen am Kinn meiner
Mutter, die Szene stimmte einfach bis aufs kleinste Detail. Ich hatte sogar mein weißes
Lieblingskleidchen an, das mit den bunten Blumen, die Gesichter anstatt Blüten hatten
und unentwegt lachten. Alles war wie früher, nein, besser noch, es war wie in meinen
Gedanken. Meine intimsten Momente spielten sich in gestochen scharfer High-DefinitionQualität am Monitor über meinem Kopf ab.
In meinen Augenwinkeln sah ich nun zwei weitere Personen neben Doktor Eisenstaad
stehen. Immer wieder unterhielten sie sich, kommentierten meine im hochauflösenden
Breitbildformat aufbereiteten Gedanken. Ich versuchte mitzulauschen, konnte mich
jedoch nicht konzentrieren. Mein Unterbewusstsein war wie ein geborstener Staudamm,
der nun unkontrolliert meine Gedanken über den Monitor ergoss.
„Bemerken sie die fast schon zwanghafte Fokussierung auf ihre faltenlose Haut, ihren Pound Brustbereich?“, drehte Doktor Eisenstaad seinen knochigen Emu-Schädl zur Seite.
„Ich würde daher vorschlagen, wir modellieren das Objekt nach Ihrem Vorbild in
jüngeren Jahren nach.“ Ich musste einfach wissen mit wem er da sprach und neigte
meinen Kopf zur Seite. „Ach, Sie schmeicheln mir Herr Doktor. So schön war ich nun
auch wieder nicht.“, kicherte die Frau neben Eisenstaad. Ich kannte diese Stimme. „Nein,
nein!“, sagte sie, „über das Aussehen soll schon ihr Verlobter entscheiden.“ Tausende
Fingernägel kratzten an einer Schiefertafel in meinem Kopf. Mutter!
© Michael Köpf 2006
„Ach, ich habe sicher nichts dagegen wenn sie einen Hauch Ihres jugendlichen Charmes
bekommen würde.“ Es war die Stimme des Mannes den ich über alles liebte. Da stand er
neben Doktor Eisenstaad und meiner Mutter und grinste triumphierend. Ich wurde von
den zwei Personen die ich in meinem Leben am meisten geliebt hatte hintergangen. Wäre
diese Schleuse doch nur mit Giftgas befüllt worden, diese beschämende Farce hätte
endlich ein Ende gehabt.
„Oh, sehen Sie nur Peter. Sie hat Sie bemerkt!“, schmunzelte der Doktor. Am Monitor
wechselten nun meine Kindheitserinnerungen mit langweiligen Schwarz-Weiß-Bildern aus
meiner alten Studentenwohnung. „Ist sie nicht süß? Sie versucht krampfhaft an
irgendetwas anderes zu denken.“, ergötzte sich Eisenstaad an den vergeblichen
Versuchen meine Scham zu verbergen. „Schatz, es hat keinen Sinn sich gegen sein
Unterbewusstsein zu wehren. Lass es doch einfach raus. Es ist für uns beide das Beste!“
Peters ansonst so beruhigende Stimme strahlte nun eine beunruhigende Mischung aus
schlangenhafter Tücke und bedrohlicher Kälte aus. Ein gleißender Blitz, stechend und
heiß, ein Hirnbrand.
Ein Perpetuum Mobile dreht sich langsam über der Wiege. Urinflecken auf einer bunten
Kinderbettdecke. Tränen. Ein Salzstreuer. Eine geöffnete Pizzaschachtel mit dunklen
Fettovalen darin. Ein Sofa auf dem mich mein Ex-Freund mit einer Frau betrügt, die mein
exaktes körperliches Gegenstück ist. Ein Türspalt durch den sich ein immer größer
werdender Lichtkegel drängt. Alte Männerhände greifen durch dunkles Kinderhaar. Ein
riesiger,
wackelnder
Turm
aus
meinen
Lieblings-CDs,
der
schließlich
in
sich
zusammenstürzt und mich unter sich begräbt. Ein purpurnes Schachbrettmuster als
Firmament. Ich füttere ein Reh. ‚Nicht Genügend.’ Der Teststreifen wird blau, ich weine
neben der Klomuschel. Oma schlägt mir mit dem Kochlöffel aufs Bein bis dieser bricht.
Ein Sarg wird in die Erde gelassen, ich stehe daneben und versuche zu weinen, schaffe es
aber
nicht.
Ein
karger
Baum
im
Winter.
Kleine
Mädchen
mit
Schwimmflügel.
Dreckskrümel im Bauchnabel. Eine Speichelpfütze auf dem Kopfpolster. Peter dringt
zärtlich in mich ein. Ein Vogel erstickt an einem ölverseuchten Strand, im Hintergrund
geht die Sonne unter. ‚Ich liebe dich.’ Ein Häferl zerbricht an der Wand. Ich schlucke
Sperma. Die Wiener Sängerknaben singen im Fernsehen ‚Stille Nacht, Heilige Nacht’.
Dunkler Schnee liegt am Gehsteigrand. Autos fahren im Schritttempo an mir vorüber.
Geldbörsen aus Schweinsleder. Am Nachttisch liegt ein Geldschein mit meinem lachenden
Gesicht darauf. Strichcode. Nächster. Rot. Beep.
„Mindmapping abgeschlossen.“
© Michael Köpf 2006
Ich fühlte mich erschöpft aber auch irgendwie erleichtert. Am Monitor drehte sich nun
das 3D-Gittermodell eines weiblichen Körper um die eigene Achse. Auf der linken Seite
ließ sich eine dreispaltige Tabelle finden. Zugehörig zu den darin ersichtlichen Werten
änderte das rotierende 3D-Modell den Brust-, Taillen- und Po-Umfang bis schließlich bei
der Zahlenreihe 90-60-90 in grüner Farbe der Schriftzug „Metamorph-Simulation
abgeschlossen“ aufblinkte.
„Darum ging es also die ganze Zeit? Um meinen Arsch und meine Titten?“ Ich konnte es
nicht fassen und lachte eine Träne. „Nein mein Engelchen, es geht um viel mehr als nur
um deinen Körper. Wenn du am anderen Ende dieses Fließbandes herauskommst, dann
wird einfach alles perfekt sein. All deine Makel und charakterlichen Unzulänglichkeiten
werden dahin sein. Du wirst mir eine gute Ehefrau sein und deine Mutter wird endlich
eine Tochter haben, die es schafft ihren Ansprüchen gerecht zu werden.“
„Peter, das bist doch nicht du! Wieso sagst du so was? Ich versteh das nicht!“ Ich liebte
ihn. Ich hasste ihn. „Wozu all die Mühe? Lass mich doch einfach fallen und such dir die
hirnlose Baywatchnixe die du dir anscheinend alle die Jahre so sehnlichst erträumt hast.“
„Ach Kindchen, er liebt dich doch.“, fuhr Mutti dazwischen. „Wie viel Geld er für dich
ausgibt, alles nur damit die Ehe auch bestand haben wird, und was machst du? Du liegst
da und hast nichts weiter zu tun als alles schlecht zu machen. Du warst von Kindheit an
ein undankbares kleines Monster, doch auch das wird sich bald ändern, das schwör ich
dir so wahr ich hier stehe!“
Als wären sie überreife Früchte fielen die Kabel aus meiner linken Schläfe und klackten
leise zu Boden. „Wollen Sie Ihrer Mutter oder Ihrem geliebten Freund vielleicht noch
etwas sagen bevor wir die Schlussphase des Metamorph-Prozesses einleiten?“, lächelte
der glatzköpfige Doktor. Meine gerotzte Antwort glitt in Form einer schleimigen
Speichelspur an der Scheibe hinab. „Nicht gerade sehr damenhaft von Ihnen, aber diese
charakterlichen Defizite werden in wenigen Minuten ja Gott sei Dank der Vergangenheit
angehören.“
Vor mir öffnete sich ächzend die metallische Schleusentür. „Nein!“, kreischte ich, doch
das Fließband hatte sich bereits wieder in Bewegung gesetzt. „Tun Sie meiner Tochter eh
nicht weh?“, heuchelte meine Mutter in ihrer schrecklichsten Altweiberstimme Interesse
für mein Schicksal. „Keine Sorge werte Dame. Ihre Tochter bleibt zwar weiterhin bei
vollem Bewusstsein, wird aber durch das Anästhetikum keinerlei Schmerzen verspüren.“
© Michael Köpf 2006
„Umformungsdrohne Omega-Vier ist nun im Abschnitt 9 eingetroffen.“, tönte es durch
das Lautsprechersystem. „Das neueste Modell, extra für Ihre Verlobte!“ Peter nickte
zufrieden. „Die Umwandlung ist vielleicht nicht schön anzusehen, aber glauben Sie mir,
das Resultat wird Sie völlig zufrieden stellen.“
*
Der so genannte ‚Abschnitt 9’ schien der Knotenpunkt dieser riesigen Anlage zu sein. Hier
liefen dutzende Fließbandschienen zusammen und reihten die darauf befindlichen
Menschen nacheinander zur schrittweisen Weiterverarbeitung. Ich konnte die nackten
Körper mehrerer Frauen und Männer jeglichen Alters erkennen. So wie ich lagen sie mit
angstverzerrtem Gesicht bewegungslos da und erwarteten ihr per Katalog gewähltes
Schicksal. Alles zukünftige Musterkinder, Traumpartner oder Spitzenkräfte für die
Wirtschaft. Von den Menschen die ihnen am nächsten waren zur Perfektion verurteilt.
In
regelmäßigen
Abständen
von
fünf
bis
zehn
Metern
bildeten
die
surrenden
Roboterdrohnen Checkpoints, die das Menschenmaterial nacheinander zu durchlaufen
hatte. Das Fließband kam immer wieder ruckartig zum Stehen und bewegte sich erst
dann wieder fort, wenn alle Drohnen mit ihren Eingriffen an den jeweiligen Stationen
fertig waren. Vereinzelt durchschnitten Schreie das stoische Surren, Ticken und Rattern
der Maschinen. Die Wirkung des Anästhetikums schien in einigen Fällen wohl um ein paar
Minuten zu früh nachgelassen zu haben. Für Doktor Eisenstaad waren das wohl nur
Einzelfälle, unbedeutende Ausreißer im System. Das Fließband rollte ungehindert weiter.
Ich konnte nur hoffen, dass diese armen Seelen durch eine schnelle Ohnmacht erlöst
würden.
Vor mir auf dem Fließband lag ein Mann mit Halbglatze, um die vierzig Jahre alt und
stark übergewichtig. An ihm konnte ich sehen was als nächstes auf mich zukommen
würde. Diese alternde Kalorienbombe war meine fleischgewordene Zukunft, des
Schicksals fetter Vorkoster. Als er an der ersten Station ankam surrte flux eine Drohne
über seinen fröstelnden Schwabbelkörper hinweg und verteilte eine halbdurchsichtige,
geleeartige Masse über seinen spärlich behaarten Kopf. Das schwebende Metall-Ei surrte
und klackerte, schien einen Moment lang zu zögern und öffnete schließlich dann doch
seine Unterseite um einen seltsam anmutenden Schwenkarm zu offenbaren. Wie ein
wissbegieriges Jungtier neigte die Vorrichtung ihren Kopf zur Seite und ‚blickte’ den Mann
für einen kleinen Moment ins Gesicht. Mit einem kurzen Klick flackerte eine bläuliche
Gasflamme ungeduldig aus der Mündung. Stille. Fauchen.
© Michael Köpf 2006
sWooosh! Ein Feuerschwall balsamierte den Schädel mit 200 Grad heißer Gründlichkeit.
Es folgten noch drei weitere Feuerstöße ehe die bläuliche Gasflamme am Rande der
Mündung erlosch. Es war gespenstisch mitanzusehen wie dieser Mann mit einem
friedlichen Gesichtsausdruck dalag während seine Schädeldecke immer noch dampfte
und den bestialischen Gestank verbrannter Haare im Raum verteilte. Zunächst konnte ich
es gar nicht glauben, doch wo eigentlich schlimme Verbrennungen hätten sein sollen
glänzte eine narbenfreie Glatze in der man sich problemlos hätte spiegeln können. Keine
Brandblasen, keine Wunden, nichts! Vielleicht war dieses eigenartige Gelee eine Art
feuersicherer Membran? Was auch immer, es schien jedenfalls funktioniert zu haben.
Der Eingriff war jedoch noch lange nicht vorüber. Der Schwenkarm zog sich samt dem
Mini-Flammenwerfer kurz in den metallischen Mutterwanst zurück und kehrte wenige
Augenblicke später mit einem neuen Nadel-Aufsatz wieder. Wie eine Nähmaschine
hämmerte die Drohne mit unglaublicher Geschwindigkeit und Brutalität auf die weiche
Kopfhaut ein und implantierte so ein pechschwarzes Haar nach dem anderen. Um die
Transplantation zu beschleunigen surrten zur Verstärkung noch drei weitere Drohnen
heran und hackten mit ihren spitzen Nadelaufsätzen wie verrückt gewordene Krähen auf
den Kopf des längst besinnungslosen Mannes ein.
Die Menschenkolonne konnte natürlich erst dann weiter verfrachtet werden wenn alle
Probanten an ihren jeweiligen Stationen fertig modifiziert waren, also musste ich mich
zunächst einmal gedulden. Wenn etwas schlimmer ist als bei vollem Bewusstsein seine
Haare durch einen Mini-Flammenwerfer verbrennen lassen zu müssen, dann ist es auch
noch darauf warten zu müssen.
Als das Fließband schließlich weiterlief und ich an meinem Checkpoint angelangt war
musste ich lächeln. Ich konnte es selbst fast kaum glauben, doch ich musste tatsächlich
grinsen als die Drohne ihren fast schon niedlichen Miniflammenwerfer auswarf um meine
schrecklich zerzausten Haare abzufackeln. Ich hatte das Gefühl keine Angst haben zu
müssen vor diesem kalten, gefühllosen Ding über mir. Es tat nur wofür es geschaffen
wurde. Es konnte nichts dafür. Ich vergab dem seelenlosen Metall-Ei. Ich war ihm auch
dann nicht böse als es meine Kopfhaut durchstach um lange wasserstoffblonde Haare in
mich zu pflanzen. Es war sogar ok als meine Haut mittels intensiver UV-Bestrahlung in
wenigen Minuten zum gewünschten Braunton gegerbt wurde. Es war in Ordnung, dass all
das geschah, nicht etwa weil ich den Prozess akzeptierte, sondern weil ich wusste, dass
meine Enttäuschung und meine Wut auf Peter und meine Mutter vielleicht groß genug
waren um mich an all das auch nach der mir zweifelsohne noch bevorstehenden
Gehirnwäsche erinnern zu können.
© Michael Köpf 2006
Als die Maschine mit mir fertig war, wagte ich einen kurzen Blick nach vorne. Der
ehemals fette Mann war nun schlank, ja sogar ein wenig muskulös geworden. Über ihm
schwebten zwei Drohnen, wobei die eine mit Skalpellen, Grafitstiften und rotierenden
Sägeblättern ausgestattet war, während an der anderen Ansaugrohren hingen, die
schleimige
gelbe
Brocken
in
einen
transparenten
Beutel
beförderten.
Mehrere
hunderttausend Kilojoule an menschlichem Körperfett glänzten mich da an, stapelten sich
Kloß für Kloß und rutschten glitschig aneinander hinunter. Wäre ich nicht sediert
gewesen, ich hätte mir sofort auf den Bauch gekotzt. Die kleinen Hautöffnungen von der
Fettabsaugung
an
der
Bauchdecke,
den
Armen
und
Oberschenkeln,
wurden
in
Nullkommanichts zugelasert. Keine Narben. Keine Fragen. Lediglich ein kurzes Rucken;
und die Fleischkolonne zog weiter.
*
Ich spürte zwar nichts als der Greifarm mit dem schwarzen Grafitstift einen Halbkreis
unter meine Brüste zog und dennoch wurden meine Nippel hart. Das Skalpell senkte sich
langsam zu mir herab. Ich starrte auf den Beutel mit dem Körperfett des alten Mannes
und hoffte der Ekel würde mich gut genug ablenken können. Aus meinen Augenwinkeln
heraus sah ich für einen Moment wie sich die feine Klinge in meine weiße Haut senkte.
Keine
Schmerzen.
„Kompatibilitätsgrad
des
organisches
Materials
ausreichend.
Abstoßung des Fremdgewebes unwahrscheinlich. Übertragung wird eingeleitet.“ Die
Fettklumpen wurden plötzlich aus dem Beutel herausgesaugt und wursteten sich nun
durch einen transparenten Schlauch nach unten. Verwirrt senkte ich meinen Blick und
erkannte wohin das gelbe Fett nun gepumpt wurde. Es war kein Silikon, das in meine
Schenkel, Brüste und Pobacken gepresst wurde, sondern 100% natürlich recyceltes
Körperfett. Ich würde eine glücklich aufgespritzte Freilandtussi mit Bio-Gütesiegel sein.
Weg mit meiner knochigen Figur. Mehr Rundungen braucht das Volk! Ob mir in Zukunft
beim Joggen im Park junge Kerle lüsterne Blicke zuwerfen würden, wenn sie wüssten,
dass es bloß das sich in einem erotischen Rhythmus auf und abbewegende Bauchfett
eines alten Mannes ist, dem sie so gierig nachlechzen?
Wenige Meter vor mir dehnte und streckte ein Greifarm den kleinen Penis des immer
noch ohnmächtigen Mannes, sodass die Skalpelldrohne leichter das Glied von der Wurzel
an abtrennen konnte. Eine Blutfontäne schoss in die Luft und spritzte dabei auf die
glänzende Edelstahlhülle der emsig arbeitenden Roboterdrohne. Kurz war mir so als ob
ein warmer Sommerregen auf ein Wellblechdach prasseln würde. Ein neuer, größerer
Penis, wurde ihm nun, Nerv für Nerv und Faser für Faser mit unfassbarer Präzision und
Geschwindigkeit angenäht. Das alte, kleine Schrumpelding landete wiederum in einem
Säckchen. Diesmal würde ich hoffentlich nicht der Abnehmer dafür sein.
© Michael Köpf 2006
Als ich bei der nächsten Station ankam war das Säckchen mit dem mickrigen Lustknorpel
des Mannes Gott sei Dank bereits verschwunden. Man hatte mir doch schon alle
körperlichen Merkmale die mich als Person ausmachten genommen, also fragte ich mich,
was denn jetzt noch auf mich zukommen könnte. Kaum hatte ich meinen Gedanken zu
Ende gebracht positionierten sich zwei Drohnen knapp über meinem Gesicht. Ein
Greifarm schnellte hervor und fixierte meinen Kopf brutal zwischen seinen beiden
Metallzangen. „Wir sind dazu verpflichtet Sie darauf hinzuweisen, dass es trotz des
Einsatzes eines starken Anästhetikums bei dem folgenden Eingriff zu intensiven
Schmerzempfindungen kommen kann. Wir danken für Ihr Verständnis.“, starrte mich die
Drohne mundlos an. Wie die dürren Spinnenbeine eines Weberknechts krochen nun zwei
Metallröhrchen zwischen meine Augenlider und spreizten sie weit auseinander. Meine
ausgetrockneten Augen starrten geradeaus, direkt auf den sich nun öffnenden Schlitz des
surrenden Blecheimers. Dann, plötzlich schoss irgendetwas rasend schnell auf mich zu.
Schwarz. Schmerz. Schreie. Brennende Leere. Ein dunkles Feuer verzehrte sich in
meinen leeren Augenhöhlen. Ich spürte eine warme Flüssigkeit an meinen Wangen
herunterrinnen. Bluttränen. Was für eine wundervolle Madonna ich doch war. Ich tobte
vor Schmerz, doch jedes Mal wenn ich versuchte meinen Kopf hin und her zu reißen,
verstärkte
die
Zange
ihren
eisernen
Griff
um
meine
bereits
knirschenden
Wangenknochen. Keine Ahnung was es war das mich davon abhielt in Ohnmacht zu fallen
als eine Welle nach der anderen auf mich zurauschte, an meiner Stirn zerbrach und in
einer
feurigen
Gischt
aus
Krämpfen
und
pulsierenden
Stichschmerzen
qualvoll
explodierte. Ich spürte wie die hauchdünnen Metallspinnenbeine in meine Augenhöhle
hineinkrochen um die Sehnerven und Augenmuskeln wieder miteinander zu verbinden.
Gottverdammte Nanotechnologie.
„Ocularmodifkation
erfolgreich
abgeschlossen.“,
erlöste
mich
eine
monotone
Roboterstimme. Als die winzigen Beinchen wieder aus meinen Augenlidern krochen
musste ich instinktiv blinzeln. „Sehen Sie in das Licht.“ Die schwarze Leere wurde
plötzlich mit gleißender Weiße gefüllt aus der sich langsam verschwommene Farbflächen
formten, die sich schlussendlich zu detaillierten Formen und Objekten verwandelte.
Anfangs war alles viel zu hell und jede Bewegung des Augapfels schmerzte höllisch, doch
als die Adaption schließlich erfolgreich einsetzte, bemerkte ich, dass auch meine frühere
Kurzsichtigkeit verschwunden war. Ich erkannte dann auch recht schnell die zwei
blutverschmierten
eiskellenartigen
Schöpfer,
mit
denen
sie
meine
Augengrube
ausgehöhlt hatten. Nicht unweit davon hatten sie sie hingehängt, sorgfältig eingetütet
und luftdicht verpackt. Die abgerissenen Sehnerven hingen immer noch dran an ihnen,
an meinen eigenen Augen, die mich nun mit leerem Blicke vom Säckchen aus anstarrten.
© Michael Köpf 2006
Eine überdurchschnittlich große Drohne surrte plötzlich aus dem emsigen Gewirr der
kleineren Metall-Eier hervor und fuhr ohne lange Umschweife einen Greifarm aus. Ich
schrie laut auf als ich an meinen Lenden den kalten Stahl der brutal zupackenden Klaue
spürte. Schnurstracks erhob sich die Drohne mit meinem neuen Körper im Schlepptau in
die Luft und schwirrte davon. Ich hatte keine Ahnung wohin ich nun gebracht werden
würde, doch die Tatsache, dass die Wirkung des Anästhetikums nachgelassen hatte, war
für mich Grund genug um in einen panischen Zustand zu verfallen.
Erst jetzt, als ich mir von der Vogelperspektive aus einen Überblick verschaffen konnte,
wurde mir das wahre Ausmaß dieser Fleischfabrik bewusst. Tausende Körper lagen an
diesem scheinbar endlosen Fließband aufgereiht und wurden zeitgleich verschiedenster
Modifikationen zugeführt. Da wurden Brüste vergrößert und verkleinert, Fett ab- oder
angesaugt und ganze Körperteile nach Bedarf einfach ausgetauscht.
Unter ohrenbetäubendem Brummen zog mit gemächlichem Tempo plötzlich eine Art
gigantischer Transportplattform an uns vorbei, an dessen Rumpf ein riesiger Container
voll mit vormals ausgetauschten Körperteilen befestigt war. Augen, Zungen, Zähne,
Schamlippen und innere Organe lagen da auf einem riesigen, bunten Biomüllhaufen
zusammen. Ich spürte die Magensäure wie sich langsam entlang meiner Speiseröhre
nach oben brannte. Die Übelkeit quoll über, explodierte aus meinem Mund und landete
schließlich in kleinen Brocken auf einer vorbeisurrenden Maschine.
Nach einigen Minuten steilen Senkrechtfluges trafen wir mit dutzenden anderen Drohnen
zusammen, die allesamt bereits fertig modifizierte Körper wie den Meinigen im
Schlepptau hatten. Ob blond oder brünett, athletisch oder mollig, Mann oder Frau, alle
waren wir nun endlich so geworden wie man es sich von uns immer schon gewunschen
hatte. Ich war am Ziel angekommen. Dies war die Endstation meiner Metamorphose. Aus
dem unüberblickbaren Nebel aus Maschinendampf und heißem Dunst tat sich nun ein
riesiges Gewölbe aus braunrotem Rost und pulsierenden organischen Teilen vor mir auf.
*
„Die Jungs aus der Forschungsabteilung nennen ihn liebevoll den Läuterungsberg. Dieses
Konstrukt ist die perfekte Symbiose aus modernster Technologie und organischer
Flexibilität. Wissen Sie meine Liebe, würden Sie sich nach dem Eingriff noch an
irgendetwas erinnern können, würden Sie ohne zu übertreiben mit Stolz behaupten
können die fortschrittlichste Charaktermodifikationsplattform der Welt benutzt zu haben.“
Es war die Stimme Doktor Eisenstaad’s die mich in ihrer Omnipräsenz über die
eingebauten Lautsprecher der Drohne heimsuchte.
© Michael Köpf 2006
„In Kürze werden Sie über einen unserer organischen Eingänge in Ihre zugeteilte
Modifikationszelle gelangen. Da Sie während Ihrer physischen Anpassung wegen unseres
fast schon antiken Transportsystems mit einigen unsterilen Maschinen in Kontakt kamen,
stehen Sie unter akuter Gefahr eine starke Sepsis zu erleiden. Sie werden daher im
Anschluss mit einem starken Antiseptikum überzogen, das ihr Körper völlig schmerz- und
nebenwirkungsfrei über die Haut aufnehmen wird. Danken Sie mir später, wir hören uns
sobald Sie in ihrer Modifikationszelle angekommen sind.“
An der Wand vor mir öffnete sich nun ein, mit rostigen Schrauben fixierter,
biomechanischer Muttermund, in den mich die Transportdrohne wie ein Zäpfchen unsanft
hineinzwängte. Es war eng, heiß und schleimig. Ich bekam keine Luft, dachte ich müsste
nun ersticken und trat wie wild gegen die pulsierenden rosa Fleischgewölbe. Gerade als
ich
dachte
von
den
Kontraktionen
zermalmt
zu
werden
wurde
ich
aus
dem
überdimensionalen Geburtskanal in einen runden, mit Metallplatten versehenen Raum
ausgeschieden.
Ich war von oben bis unten mit Blut und anderen schleimigen Sekreten bedeckt, weshalb
ich beim Versuch aufzustehen mehrmals ausrutschte und mir dabei die Kniescheiben
aufschlug. „Sie sollten sich mal sehen. Sie stellen sich ja wie ein neugeborenes Kalb an.“,
hallte Eisenstaads Lachen durch den Raum. Überall an meinem Körper klebten winzige
Bröckchen blutiger Fleischkruste, die ich mir unter größtem Ekel wegzuzupfen begann.
Ich fühlte mich wie ein benutzter Tampon, der kurz davor war in der Toilette
runtergespült zu werden. „Wie Sie offensichtlich schon festgestellt haben hat die Wirkung
des Anästhetikums nachgelassen. Sie sollten sich nun also wieder problemlos bewegen
können.“
„Sie verdammtes Arschloch.“, trommelte ich gegen die Wand und erschrak, als ich die
verschwommene Reflektion meines neuen Körpers bemerkte. War das wirklich ich?
Vorsichtig fasste ich mir ins Gesicht, durchwuschelte mein neues Haar und knetete meine
üppigen 75C-Brüste. Keine Unregelmäßigkeiten, keine Narben, keine Makel. Es fühlte
sich alles so echt und gut und schön an, sodass ich mich für einen kurzen Moment dabei
ertappte froh und stolz auf meinen neuen Körper zu sein. „Na, zufrieden?“, süßelte
Eisenstaad über die Lautsprecheranlage.
Ich spürte wie vor lauter Zorn das Blut in meinen Kopf schoss. In Wirklichkeit war es
nicht der Doktor den ich in diesem Moment so hasste, vielmehr war ich von mir selbst
enttäuscht und wütend, dass ich einen kurzen Augenblick lang Dankbarkeit für meinen
neuen Körper verspürte. „Ich schwöre Ihnen, sobald ich hier raus bin schlitz’ ich Sie
© Michael Köpf 2006
auf!“, schrie ich. „Ich bitte Sie, sehen Sie sich doch mal um. Sie gehen nirgends mehr
hin.“ Bis auf den immer noch an der Wand pulsierenden Geburtskanal war tatsächlich
kein Aus- oder Eingang zu finden. Der gesamte Raum war nicht größer als 10m² und mit
quadratischen Metallplatten ausgelegt. Die Übergänge zwischen dem Boden und den
Wänden waren allesamt nahtlos und perfekt abgerundet; Ecken und Kanten suchte man
hier vergeblich. Ein echtes Vorbild für meinen zukünftig angepassten Charakter.
„Was stimmt eigentlich nicht mit Ihnen? Ich habe Sie bisher nur schreien und heulen
gesehen. Wissen Sie eigentlich wie viel dieser Eingriff kostet? Wie Sie sicherlich bereits
an den etwas in die Jahre gekommenen Maschinen bemerkt haben, ist unsere Klinik auf
dem Fundament der alten Umformungsanlagen aus dem späten 21. Jahrhundert errichtet
worden, doch sowohl unsere Drohnen als auch die von unserem Forscherteam eigens
entwickelte Charaktermodifikationsplattform in der Sie sich gerade befinden sind alles
State of the Art Technologien. Damit Ihr Körper die neuen Implantate nicht einfach
abstößt wurden vorher jedes einzelne Haar und jedes Gramm Fett, dass Sie von uns
erhielten mit aufwändigsten Verfahren auf passende Kompatibilität überprüft, von der
Schwierigkeit auf legale Art passende Augen, innere Organe und Geschlechtsteile aus den
staatlichen Klondatenbänken zu beschaffen möchte ich gar nicht erst reden. Es ist noch
nicht mal zehn Jahre her, da mussten unsere Patienten ihr Leben lang Immunsupressiva
schlucken um die Abstoßung der Implantate zu verhindern. Sie werden mit einem
perfekten Körper und einem konfliktresistenten Charakter ihr ganzes Leben lang glücklich
sein können. Zeigen Sie ihrer Mutter und ihrem Verlobten gegenüber lieber ein wenig
Dankbarkeit. Diese Menschen lassen Ihnen aus Verständnis für Ihre vielen körperlichen
und charakterlichen Makel das Geschenk der Perfektion zukommen und Sie haben nichts
anderes zu tun als sich als ach so armes Opfer darzustellen.“
„Ich soll also auch noch froh darüber sein, dass sie alle Dinge die mich als Menschen
ausmachen
abtöten?
Fein,
worauf
wartet
Ihr
dann
noch?
Nehmt
mir
meine
Persönlichkeit. Erstickt meine Wünsche und Bedürfnisse im Keim, ehe ihr vielleicht noch
auf mich eingehen müsst. Ihr habt mich doch nie geliebt, mich nie so akzeptiert wie ich
war. Ich bin bereit für mein neues Leben als devote Hausfrau und Mustertochter. Ja, ich
spüre es bereits. Die Wirkung setzt ein. Ich liebe es zu kochen und meinen Körper im
Fitnessstudio zu stählen. Ich will pausenlos Sex, wobei es nicht wichtig ist, dass ich
komme, nein, die Hauptsache ist mein Ehemann kommt auf seine Kosten. Ich bin Mutter,
Hausfrau und einen Teilzeitjob nehme ich auch noch an wenn’s denn sein muss. Hier,
deine Hauspantoffel und das gekühlte Bier mein Schatz!“ Ich schrie und fauchte,
taumelte wie verrückt durch den Raum stürzte mich in einen Strudel aus Hass und
Selbstekel.
© Michael Köpf 2006
Die Metallplatten begannen plötzlich unter einem immer lauter werdenden Summen zu
glühen. Der gesamte Raum schien sich unter einem unglaublichem Energieaufwand
aufzuladen. „Charaktermodifikation eingeleitet.“, platschte die blecherne Statusmeldung
unabänderlich aus den Lautsprechern.
„Sie werden in wenigen Augenblicken von einem Gefühl der Trägheit übermannt werden,
den inneren Drang verspüren einfach schlafen zu gehen, sich fallen zu lassen und
schließlich
zu
dem
Schluss
kommen,
dass
es
sinnlos
ist
sich
gegen
die
Charaktermodifikation zu wehren.“ Trotz des Versuches möglichst professionell und
neutral zu klingen, konnte man aus der kratzigen Stimme Doktor Eisenstaads deutlich ein
gewisses Maß an triumphierender Vorfreude heraushören. „Bis jetzt hat noch Jeder
versucht dagegen anzukämpfen, doch ich kann Ihnen versichern, dass in den 15 Jahren
in denen ich hier wissenschaftlicher Leiter bin, es keinen einzigen dokumentierten Fall
einer missglückten Charaktermodifikation gab. Machen Sie es sich doch nicht unnötig
schwer. Entspannen Sie sich und genießen Sie die Show.“
Hier würde es also enden. Die glühenden Metallplatten hüllten meinen Körper in ein
gleißendes Licht und das Summen hatte mittlerweile eine unerträglich hohe Frequenz und
Lautstärke erreicht. Ich fiel kreischend auf die Knie und hielt mir die Ohren zu. Es schien
übermächtig, doch ich wehrte mich mit all meinen geistigen Kräften. Ich war nicht soweit
gekommen um mich jetzt in ein braves Schoßhündchen verwandeln zu lassen. Peter und
meine Mutter, sie würden dafür bezahlen. Tausende Stimmen drangen nun gleichzeitig in
meinen Verstand ein. Ich schloss meine Augen; und kämpfte.
*
„Das ist einfach unglaublich. Kaum zu fassen dass sie das wirklich ist.“, hörte ich Peters
Stimme aus dem Off hallen. Mühvoll öffnete ich meine Augen und fand mich in einer
riesigen
Wartehalle
wieder.
Zwischen
den
Sitzecken
standen
hochgewachsene
Topfpflanzen, im Hintergrund dudelte beruhigende Fahrstuhlmusik. Mit ungeduldigem
Blick warteten tuschelnde Menschentrauben darauf endlich die neuen Versionen ihrer
Verwandten und Freunde abholen zu können. „Ah, sie scheint jetzt wach zu sein. Nein,
nein, keine Sorge, sie bekommt nichts mit. Die Charaktermodifikation hat sie sozusagen
auf Stand-By geschaltet.“ Gleich einem unwirklichen Alptraum klang die Stimme Doktor
Eisenstaads in die Realität nach. „Sobald Sie zu Hause sind injizieren sie ihr einfach das
Mittel das ich Ihnen mitgegeben habe, sie sollte dann innerhalb von 30 Minuten mit
ihrem neuen Charakterprofil wieder zu vollem Bewusstsein gelangen. Sollten Sie
Probleme mit der Durchführung der Injektion haben, rufen Sie einfach bei uns an und wir
schicken Ihnen kostenlos einen Mitarbeiter vorbei der das für Sie erledigen wird. Wichtig
© Michael Köpf 2006
dabei ist nur, dass Sie die Injektion innerhalb der nächste 48 Stunden verabreichen, da
sonst durch den momentanen Zustand zerebraler Paralyse dauerhafte Hirnschäden
auftreten könnten.“
„Herr Doktor, ich würde Sie gerne noch etwas fragen.“, dämpfte Peter plötzlich seine
Stimme, sodass ich den Rest nicht verstehen konnte. „Das wäre eine große Ehre für
mich!“, schüttelte Eisenstaad begeistert Peters Hand.
„Nein, es war mir eine Ehre, dass sie den Metamorph-Prozess meiner Verlobten
höchstpersönlich eingeleitet und überwacht haben.“ Mit einem stolzen Funkeln in den
Augen winkte der Doktor lachend ab. „Ihr Vater ist ein einflussreicher Mann und ich war
ihm einen Gefallen schuldig. Danken Sie also ihm, nicht mir. Ich wünsche Ihnen auf
jeden Fall noch viel Spaß mit ihrer zukünftigen Frau. Wenn ich mir die Liste der
eingespeisten Charakterzüge so ansehe, werden Sie schon auf ihre Kosten kommen.“,
klopfte er Peter mit einem dreckigen Lachen auf die Schultern. „Wenn Sie mich nun
entschuldigen würden, ich muss nun wirklich los. Die Welt wartet darauf verbessert zu
werden. Mensch für Mensch.“
„So mein Schatz, wir zwei Hübschen werden jetzt nach Hause fahren.“, zog mich Peter zu
sich hoch und stützte mich mit seinen Händen. „Geht’s eh?“, heuchelte Mutter Interesse
mir zu helfen. Im Schritttempo wackelten wir Richtung Ausgang. An den Wänden hingen
zahllose
Vorher/Nachher
Werbeständen
lagen
abertausenden
Körper-
Fotos
von
‚zufriedenen
telefonbuchdicke
und
Kunden’
Bestellkataloge
Charaktervariationen
den
in
und
denen
an
dutzenden
man
gewünschten
sich
aus
Traumpartner
zusammenbasteln konnte. Eine halbdurchsichtige Hologrammfrau erklärte in der Mitte
der
Wartehalle
den
genauen
Ablauf
des
Metamorphprozesses
mittels
Videoeinblendungen. Selbstverständlich lief auf den zu sehenden Bildern alles völlig steril
und
unblutig
ab.
Keine
Spur
von
irgendwelchen
Roboterdrohnen
oder
rostigen
Fließbändern. Es war ein derartig plumpes Werbeformat, ich wartete nur noch darauf
einen Mann zu sehen, der mit einem perlweißen 360-Grad-Grinser in die Kamera
zwinkert während ihm eine hübsche Krankenschwester in Strapsen mit einer Kreissäge
den Kopf amputiert.
Genervt lenkte ich meinen Blick wieder auf das Menschengewirr um mich herum. Zuerst
war ich mir nicht ganz sicher, doch dann erkannte ich sein geliftetes Gesicht. Es war der
ehemals dickliche, ältere Herr, der während der Eingriffe in ‚Abschnitt 9’ vor mir auf dem
Fließband lag. Seine Frau durchwuschelte gerade sein wallendes, pechschwarzes Haar
und ließ voller Stolz eine offenbar befreundete Dame den durchtrainierten Oberkörper
ihres
neugeformten
Göttergatten
betouchen.
Körperlich
sah
er
aus
wie
ein
© Michael Köpf 2006
dreiundzwanzigjähriger Sportler, doch sein Blick war völlig leer. Zuhause würde er dann
die von Doktor Eisenstaad angeordneten Mittel gespritzt bekommen, aus der geistigen
Absenz aufwachen und sich sofort daran machen Staubzusaugen oder Geschirr
abzuwaschen.
Ein
omnipotenter
Frauenversteher
mit
Prachtkörper.
So
wie
alle
zombifizierten Supermodells in diesem Raum wartete er nur darauf aus dem künstlich
induzierten Halbschlaf geholt zu werden um dann endlich die Erwartungen der ihm nahe
stehenden Leute bis ans Ende seines Lebens zu erfüllen. Ja, wir alle hier hatten es
geschafft. Wir waren fix fertige Metamorphprodukte. Jeder von uns war nun so wie man
sich uns immer schon gewünscht hatte. Bald schon würden wir unsere Freunde und
Familienmitglieder glücklich machen und da unsere Erinnerungen an die recht unsanfte
körperliche und geistige Umwandlung gelöscht wurden, würden auch wir zufrieden mit
uns und unserem neuen Leben sein. Eigentlich war es die perfekte Lüge, bei der es,
solang man jegliche Moral außer Acht ließ, nur Gewinner zu geben schien. Das einzige
Problem bei der ganzen Sache war nur, ich konnte mich auch jetzt noch, etliche Stunden
nach der Charaktermodifikation, an alles erinnern.
Irgendwie hatte ich es geschafft stärker als diese gottverdammte Maschine zu sein. Ich
hatte gewonnen, das Spiel war aus. Um aus diesem Etappensieg jedoch einen Triumph
zu machen, erforderte es die Situation, dass ich noch ein wenig weiterspielte. Ich setzte
also meinen belämmertsten Blick auf, ließ ein wenig Sabber über meine Lippen laufen
und spielte die physisch paralysierte Koma-Tussi. Selbst als meine Mutter sich
verabschiedete und mich mit diesem triumphierenden Grinsen auf die Wange küsste blieb
mein Gesicht erstarrt. Ich würde mich von meinem Verlobten nach Hause bringen lassen
und den richtigen Moment abwarten. Dann, so dachte ich, wäre endlich die Zeit für meine
Rache gekommen. Ich sollte mich irren.
*
„Also damit hätte ich wirklich nicht gerechnet.“, steckte Mutter verwundert ihren Kopf
zwischen die Wohnzimmervorhänge. Nicht einmal bei der Feier zu Großmutters
achtzigstem Geburtstag schwebten so viele Hovercars vor der Einfahrt unseres Hauses.
Die gesamte Verwandtschaft war geladen und selbst die entferntesten Tanten und Neffen
ließen es sich an diesem Abend nicht nehmen in ihrer besten Festtagskleidung zu
erscheinen. Beim Eintreten des Vorzimmers wurden die Gäste dann auch gleich von
Projektionskuben begrüßt die allesamt schrecklich peinliche 3D-Hologrammaufnahmen
aus meiner Kindheit zeigten. Ich, als ich noch ein kleines tollpatschiges Mädchen war, das
mit seinem rosa Kleidchen in eine Schlammpfütze purzelt und viele andere Klassiker die
auf der Peinlichkeitsskala eine 10 von 10 erreichen flackerten in halbtransparentem Blau
vor mäßig interessierten Gesichtern der vorbeischlendernden Tanten und Onkeln.
© Michael Köpf 2006
Bewegte Bilder auf die man mit dem Finger zeigen und lachen konnte. Meine und Peters
Eltern hatten sich diesmal wirklich selbst übertroffen und engagierten sogar einen
eigenen Partyservice, der dafür sorgte, dass das gesamte Wohnzimmer leergeräumt und
zum Speisesaal umfunktioniert wurde. Der alte Esstisch wurde im Keller versteckt und
durch ein opulent gedecktes Buffet ersetzt.
Wie ein Königspaar saßen Peter und ich an der Spitze des Banketts. Trotz meines
Bemühens stets einen leicht belämmerten Blick beizubehalten, sah ich einfach großartig
aus. Peter höchstpersönlich hatte mich zuvor geduscht und in ein wunderschönes
schwarzes Kleid gezwängt. Da saß ich also nun neben meinem zukünftigen Göttergatten
und musste mir den ganzen Abend lang das sinnentleerte Geschwafel der Tanten und
Onkel anhören. Nach einigen endlos scheinenden Minuten, um Punkt 18.00 Uhr, war es
schließlich soweit.
„Entschuldigt bitte! Darf ich einen kurzen Moment um Ruhe bitten?!“, ließ Peter den
Messerrücken gegen sein Weinglas klingen. Die Verwandtschaft tuschelte jetzt unter
vorgehaltener Hand und zeigte sich sichtlich gelangweilt. Die Meisten waren ja doch nur
wegen dem groß angekündigten Buffet gekommen. „Werte Familie.“, ergriff Peter nun
das Wort. „Wie ihr alle wisst feiern wir heute den Schmetterlingstag meiner zukünftigen
Braut. Ich möchte die Gelegenheit nutzen und meinem Vater für die großzügige
Unterstützung danken, die er mir und meiner Verlobten in diesen Dingen angedeihen
ließ.“ Der steinreiche alte Knacker stand mit einem süffisanten Lächeln auf und verbeugte
sich unter Beifall vor der Verwandtschaft. Gleich war es soweit. Die Injektion. Vor lauter
Nervosität ruderte ich unter dem Tisch mit den Beinen hin und her. Irgendetwas musste
ich tun, nur was? Lange würde ich diese Charade jedenfalls nicht mehr aufrechterhalten
können.
„Lasst uns also nun ohne weitere Umschweife zur Tat schreiten.“, verkündete Peter.
„Zu diesem Zwecke möchte ich einen ganz besonderen Mann begrüßen. Trotz eines
unglaublich dichten Terminkalenders hat er sich die Zeit genommen um heute Abend bei
uns zu sein. Er ist ein alter Freund der Familie und quasi der geistigen Vater meiner alten
und dennoch bald ‚neuen’ Verlobten ... bitte begrüßt mit mir recht herzlich ... Herrn
Doktor Eisenstaad!“
Meine versteinerte Miene bröckelte ab und verwandelte sich in eine durch Entsetzen und
Panik
schmelzende
Wachsfratze.
Irgendwie
hatte
ich
ihn
wohl
unter
all
den
fischgesichtigen Verwandten dritten Grades übersehen, doch es bestand kein Zweifel, er
war es tatsächlich. Dieses Gesicht würde ich nie vergessen können. Mit einem
triumphierenden Lächeln auf den Lippen und einer Injektionsnadel in der Hand kam er
© Michael Köpf 2006
direkt auf mich zu stolziert. Ich hätte wohl aufspringen und weglaufen sollen, doch das
tat ich nicht. Ich saß einfach da und versuchte nicht zu weinen. „Danke, vielen Dank.“,
lächelte er im Kreis. „Es ist schon wahr, dass ich ein viel beschäftigter Mann bin. Jeden
Tag kommen hunderte Menschen zu mir und bitten mich ihre Geliebten oder gar sich
selbst der Perfektion ein Stückchen näher zu bringen. Ich erfülle den Leuten diesen
Wunsch und lasse ihnen jene körperlichen und charakterlichen Züge zukommen, die
ihnen aus den unterschiedlichsten Gründen bisher verwehrt geblieben sind.
Wissen Sie, ich wehre mich gegen diese dümmliche Romantisierung von Fehlern. Der
Drang nach Perfektion ist meiner Meinung nach menschlicher als die Makel die ich
beseitige. Das Ziel des Eisenstaad Centers ist es seinen Kunden nicht einfach nur eine
komplexe Schönheitsoperation mit ein paar psychischen Anpassungen anzubieten. Wir
verändern ihr gesamtes Leben. Als Freund der Familie ist es mir gerade deshalb ein
besondere Freude bei diesem einschneidenden Erlebnis dabei sein zu dürfen und es
erfüllt mich mit Stolz diesen Abend mit ihnen allen hier verbringen zu dürfen.“ Tosender
Applaus füllte den Raum und drohte selbst den kitschigen Kristallleuchter in Beifall zu
ertränken.
„Sie undankbare, missratene Göre.“, flüsterte mir der Doktor ins Ohr und lächelte dabei,
als hätte er mir gerade einen Witz erzählt. Onkel Olaf und seine Frau saßen uns zwar
direkt gegenüber, konnten seine Worte allerdings nicht hören, weshalb sie lediglich
grinsend zu uns retour nickten. „Keine Sekunde lang wussten Sie das Geschenk, dass ich
und ihre Geliebten Ihnen gemacht haben zu schätzen. Sie haben sich doch während des
gesamten Modifikationsprozesses als Opfer dargestellt. Ihnen wird das Geschenk der
Perfektion zu teil und Sie haben nichts Besseres zu tun als herumzuheulen. Ihre
impertinente Arroganz und Engstirnigkeit waren es, die mich dazu brachten Ihr
Gedächtnis sowie Ihre Körperfunktionen intakt zu lassen. Sie sollen spüren wie Ihre
Persönlichkeit langsam ausgelöscht und durch neue, bessere Charakterzüge ersetzt wird.
Eigentlich ist es ja unter meinem Niveau und sie könnten mir prinzipiell ja völlig egal
sein, doch ich gebe zu, es wird mir eine besondere Freude sein Ihren nervigen Charakter
nun höchstpersönlich auslöschen zu dürfen.“
Der Plan Peter und meine Mutter vor versammelter Verwandtschaft bloßzustellen war
Geschichte. Die Situation hatte sich drastisch zu meinem Nachteil gewandelt. Wenn ich
mich nicht in eine devote Zombiefrau verwandeln lassen wollte musste ich nun handeln.
Jetzt oder nie. Jetzt! Wutentbrannt trat ich aus Leibeskräften gegen das Schienbein des
Doktors. Mit weit aufgerissenen Augen schluckte er stumm den Schmerz hinunter und
packte mich wutentbrannt am Arm. „Sie wollen also eine Szene machen? Hm? Sie wollen
mich bloßstellen? Das ist es doch was Sie wollen, ha?!“ Eisenstaad schien sich zu
© Michael Köpf 2006
vergessen, mäßigte allerdings sofort seine Stimme als er bemerkte wie Peter und sein
Vater irritiert zu uns hinüberblickten.
„Charaktermodifikationen
ohne
die
ausdrückliche
Einwilligung
des
Klienten
sind
momentan bestenfalls in der gesetzlichen Grauzone angesiedelt.“, fuhr der Doktor im
Flüsterton fort. „Wenn sich vor versammelter Verwandtschaft herausstellen sollte, dass
dies gegen ihren Willen geschehen ist...nun ich schätze Sie können sich das Presseecho
vorstellen. Ich schuldete dem Vater ihres Verlobten einen Gefallen, dem bin ich gerne
nachgekommen, ich werde aber mit Sicherheit nicht wegen einer kleinen Nutte wie Ihnen
die Zukunft der gesamten Stiftung aufs Spiel setzen.“
„Also...“, atmete er durch, „...hören Sie mir jetzt ganz genau zu. Sehen Sie diesen
kleinen Knopf am Kragen meines Sakkos? Das ist ein Mikro. Zwei Straßenblocks von hier
entfernt sitzen meine Sicherheitsleute in ihren Hovercars und warten nur darauf das ich
den Befehl gebe das Haus zu stürmen. Zeugenaussagen sind käuflich und die Medien
berichten ohnehin nur über vom Senat freigegebene Themen. Sein Sie doch vernünftig.
Es ist doch nur ein kleiner Pieks. Peter bekommt seine Hausfrau, Ihre Mutter kann
endlich stolz auf Sie sein und Ihre Verwandtschaft geht glücklich und nichts ahnend nach
Hause. Sie werden Peter lieben, mit ihm glücklich sein und Erfüllung in Ihrem Dasein
empfinden. Alles schon fertig implantiert. Wir müssen es nur noch durch diesen kleinen
Katalysator aktivieren. Was ist denn so schlimm am Glücklichsein?“
Ich konnte es einfach nicht fassen. Dieser Mistkerl versuchte mir doch tatsächlich die
völlige Auslöschung meines Charakters als Erfüllung all meiner Träume zu verkaufen.
„Und wenn ich mich weigere?“ Lächelnd schüttelte der Doktor seinen kargen Krautkopf.
„Versuchen Sie Ihre Mutter, Peter oder gar meine Stiftung auffliegen zu lassen wird
dieser Abend für alle Anwesenden unschön enden, das kann ich Ihnen versprechen.“
Seine Augen brannten vor Entschlossenheit. Ich wusste er würde keine Sekunde zögern
brutal einzuschreiten. Im besten Fall würde er den anwesenden Leuten das Gedächtnis
nehmen, im Schlimmsten, ihr Leben.
Es wäre wohl besser gewesen Ruhe zu bewahren und all meine Handlungsmöglichkeiten
ruhig und besonnen abzuwiegen. Drauf geschissen! Ich nahm all meine Kräfte zusammen
und packte den guten Doktor so fest ich konnte im Schritt. Ich spürte wie seine Hoden
zwischen meinen Finger herausquollen und drückte daraufhin nur noch fester zu. Unter
tobendem Gejaule ging er langsam in die Knie. „Hey!“, rief Peter gleichermaßen
schockiert wie erstaunt. Instinktiv drehte ich mich zu ihm um. Ich war nur einen
Sekundenbruchteil unaufmerksam, doch es genügte dem Doktor um mir eine schallende
Ohrfeige zu verpassen. Seine Handfläche traf mich mitten im Gesicht.
© Michael Köpf 2006
Ich verlor die Orientierung, torkelte nach hinten und riss im Fallen das halbe Buffet mit
zu Boden. Immer noch auf dem harten Holzparkett liegend, packte mich der Doktor am
Arm. Er grinste noch, dann stach er zu. „Was verdammt noch mal sollte das gerade
eben?“, baute sich Onkel Olaf plötzlich zwischen mir und Eisenstaad auf. „Alles in bester
Ordnung. Es handelt sich um eine ganz natürliche Abwehrreaktion gegen die Injektion.“
„Onkel, du darfst ihm kein Wort glauben.“, säuselte ich angestrengt nach oben. Der
Wirkstoff floss bereits wie Lava durch meine Venen und verteilte sich in meinem ganzen
Körper. Es hatte begonnen. „Wie können Sie es wagen meine Nichte zu schlagen und
wieso zum Teufel ist sie überhaupt bei Bewusstsein? Ich dachte sie wäre in einem
komaähnlichen Zustand?“, ergriff Onkel Olaf den Arm des Doktors und stellte ihn erzürnt
zur Rede.
Die Partygäste scharten sich mit ihren schaulustigen Blähgesichtern um mich und
durchlöcherten meinen mit Nudeln und Fleischstücken bedeckten Körper mit fragenden
Blicken. „Es gibt keinen Grund handgreiflich zu werden guter Mann. Ich kann Ihnen alles
erklären.“, wich Eisenstaad einige Schritte zurück und suchte mit fragendem Blick
Zuflucht bei Peter und seinem Vater.
Die vom Alkohol errötenden Gesichter meiner Verwandten entfremdeten sich indes
immer mehr zu dämonischen Fratzen. Blutrote Teufelszungen schlugen aus ihren Mäulern
während sie mich lispelnd verhöhnten. „Ssseht sssie euch an die kleine Hure. Sssie issst
nichtsss weiter alsss totesss Fleisssch.“ Unter all diesen Kreaturen war Peter der Einzige
der seine menschliche Gestalt behalten hatte. Trotz allem was er mir indirekt angetan
hatte spürte ich, dass er mich auf eine seltsame Art und Weise immer noch liebte. Ich
empfand die Aufrichtigkeit seiner Gefühle und war bereit ihm alles zu vergeben. Die
Spritze begann zu wirken. Liebe floss durch meine Venen.
„Irgendetwas stimmt doch hier nicht.“, rief eine Frauenstimme von hinten. „Ich rufe jetzt
die Exekutive und Sie, werter Doktor Eisenstaad, rühren sich nicht vom Fleck.“, ergriff
Onkel Olaf die Initiative. „Olaf!“, ermahnte meine Mutter ihren Bruder streng, „In
meinem Haus entscheide immer noch ich was passiert!“ Die Frauen begannen sich
gegenseitig zu beschimpfen während sich ihre alkoholisierten Ehegatten mit dämlichem
Alphamännchengetue pseudobeschützend dazwischenstellten. Inmitten von all dem
Chaos bemerkte Niemand den guten Doktor Eisenstaad, der gerade wütende Worte in
seinen Sakkokragen schrie. Ich wusste dass er gerade das Schicksal aller im Raum
befindlichen Leute besiegelt hatte, doch es interessierte mich nicht im Geringsten. Ich
hatte nur mehr Augen für meinen geliebten Peter.
© Michael Köpf 2006
Nicht einmal fünf Minuten später durchbrach ein lauter Knall das Stimmengewirr. „Was
war das?“ Schock und Überraschung betäubten den Raum. Es rumpelte im Vorzimmer,
man hörte schnelle Schritte über den Vorzimmerboden trampeln. Die Fensterscheiben
zerbrachen, etwas Rundes, Schweres rollte durch die Stühle hindurch. Wie angewurzelt
standen alle da und starrten auf die olivgrüne Ananas. „Das geht gleich hoch. Alle in
Deckung!“, ergriff Onkel Olaf als Einziger die Initiative und kickte die Granate mit den
Füßen in die Ecke des Wohnzimmers. Mit zugepressten Augen hielten sich die Leute die
Ohren zu, doch anstatt eines lauten Knalls füllte sich der Raum zischend mit Nebel. Viele
Dinge wurden laut gesagt, das sah ich an den großen Mündern, doch verstehen konnte
ich nichts davon. Immer wieder versuchte man mich an der Hand zu packen und
mitzuzerren doch ich wollte bloß in Ruhe gelassen werden. Panisch strömten die Leute zu
den
von
außen
verbarrikadierten
Türen,
stürzten
dabei
übereinander,
weinten
verzweifelnd und fielen schließlich hustend auf ihre Knie.
Ich mochte den Nebel, schließlich war der Herbst schon als Kind meine liebste Jahreszeit.
Auch Peter legte sich zu mir auf den Boden. Er schien müde zu sein. Ich durchstreifte
lächelnd sein Haar und dachte an unsere zukünftigen Kinder. Bei so einem nebeligen
Wetter müssten unsere Kleinen auf alle Fälle dicke Wollmützen tragen, egal wie sehr sie
sich auch dagegen sträubten. Ich freute mich schon auf die mütterlichen Pflichten und
verstand nicht warum Peter so teilnahmslos dalag.
„Wir gehen rein!“ Türen wurden eingetreten und eine Schar schwarzer Raben
durchflutete das Zimmer. Sie hatten witzige Masken über ihre Schnäbel gezogen und
gaben sich mit ihren gefiederten Krallen gegenseitig merkwürdige Handzeichen. Egal ob
Mann, Frau oder Kind, wer noch auf den Beinen war wurde zu Boden gerissen und mit
einem Berührungsmittel niedergespritzt. „Ja aber Herr Doktor?!“, streckte Peter Hilfe
suchend seinen Arm nach Eisenstaad aus. Er rechnete nicht damit, dass der Freund
seines Vaters soweit gehen würde. Alles was er wollte war eine perfekte Hausfrau und
Mutter; ein Frankenstein’sches Monster zum Altwerden. Nun lag er besinnungslos da und
Speichel lief ihm aus dem Mundwinkel. „Dass mir ja Niemand verletzt wird.“, schritt
Eisenstaad wie ein Feldherr durch den Raum. „Krah!“, salutierten seine schwarz
uniformierten Rabenmenschen, zerrten die besinnungslosen Körper nach draußen und
zerstörten dabei mit ihrer ungestümen Art die gesamte Einrichtung. „Das macht nichts.“,
dachte ich mir. Ich würde nachher einfach alles aufräumen.
„Lassen Sie nur, die hat schon ihre Injektion.“, verscheuchte der Doktor einen seiner
Lakaien von meinen Körper. Zitternd streckte ich die Hand nach seiner Kehle aus. Der
letzte Rest meines alten Ichs wollte diesen Dreckskerl immer noch tot sehen. „Keine
© Michael Köpf 2006
Sorge, meine Leute kümmern sich um alles.“ Ich verstand nicht und doch nickte ich
zufrieden. Gleichgültigkeit fraß sich durch meine Seele bis sie völlig leer war. „Schlaf
jetzt. Morgen ist der erste Tag deines neuen Lebens.“ Er war wie ein Vater zu mir; ohne
zu hinterfragen glaubte ich ihm jedes Wort. Ich fühlte mich befreit von all dem
emotionalen Ballast den ich all die Jahre sinnlos mit mir herumgeschleppt hatte.
Reingewaschen von dem Schlamm alter Schwächen und Erinnerungen schloss ich meine
Augen.
Lächelnd ergab ich mich dem Schlaf.
~
© Michael Köpf 2006
Sehr geehrter Damen und Herren,
Perfektion muss nicht länger ein Traum für Sie bleiben!
Sie wünschen sich nichts mehr als ein strahlend weißes Lächeln, eine sportliche Figur und
reine faltenfrei Haut? Die moderne Chirurgie kann Ihnen diese Wünsche schon seit
Jahrhunderten erfüllen, wir hingegen können Ihnen noch viel mehr als einen simplen
Traumkörper bieten. Dank der weltweit ersten CharaktermodifikationsplattformTM können
wir Sie zu dem Menschen machen, der Sie immer schon sein wollten.
Die Eisenstaad Foundation for Advanced Human Modifications (E.F.A.H.M.) lädt Sie samt
ihrer Familie und Freunde herzlich für einen Nachmittag ihrer Wahl in eine unserer
zertifizierten Modifizierungsanstalten ein. Machen Sie sich vor Ort ein unverfälschtes Bild
von unseren zukunftsweisenden Technologien, lesen Sie sich bei einer Tasse Kaffee an
den vielen Informationsständen in aller Ruhe unsere Broschüren durch und lassen Sie
sich im Anschluss von unserem geschulten Personal über die vielen Finanzierung- und
steuerlichen Absetzmöglichkeiten unserer Produkte beraten.
Melden Sie sich und zwei ihrer Verwandte/Freunde noch am gleichen Tag zu einem
Anpassungstermin bei uns an, erhalten Sie eine zusätzliche Modifikation ihrer Wahl gratis
dazu! Profitieren Sie von unseren familienfreundlichen Sonderangeboten: Kinder unter 12
Jahren kosten nur die Hälfte, Babys und Kleinkinder in den ersten 3 Lebensjahren sogar
nur 25% des Normalpreises!
Mit über hunderttausend Filialen allein auf Terra IV ist die Eisenstaad Stiftung der größte
nicht-staatliche Anbieter von Charakteranpassungen in der gesamten Union. Millionen
zufriedener Kunden können nicht irren! Wir hoffen Sie schon bald in einer unserer
Modifizierungsanstalten begrüßen zu dürfen und verbleiben
mit freundlichen Grüßen,
Ihr Team des Eisenstaad Centers,
Kolonie Terra IV am 26.10.2177
Verbessern wir die Welt, verbessern wir uns selbst!
© Michael Köpf 2006
Aktuelle Sonderaktionen der Eisenstaad Stiftung
(gültig vom 1.10. bis 31.12.2182)
•
Das
Standardpaket
‚Körperanpassung
mit
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sind von diesem Preisnachlass nicht betroffen)
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Exklusivlizenz, so garantieren wir Ihnen für die gesamte Dauer des gewählten
Wochenendes landesweit die einzige Person mit dem gewünschten Bodysample zu
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•
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Ihres Lebensabschnittspartners nicht zufrieden, wollen aber die Beziehung durch
die forcierte Durchführung einer Modifikation nicht unnötig gefährden? Die
Eisenstaad Stiftung garantiert Ihnen hundertprozentige Verschwiegenheit und
bietet ab sofort Memory-Voiding für alle Neukunden gratis an. Innerhalb von
48 Stunden nach Beendigung der Modifikationen erfolgt die Verabreichung
einer kleinen Injektion mit der nicht nur die charakterlichen Anpassungen in
Kraft treten sondern auch sämtliche Erinnerungen an den Eingriff durch vom
auftraggebenden Kunden frei wählbare Alternativerlebnisse ersetzt werden.
(rechtliche Anmerkung: Die Eisenstaad Stiftung ist verpflichtet Sie darauf
hinweisen, dass der parlamentarische Ausschuss der Kolonie Terra IV zum
Zeitpunkt der Aussendung dieser Informationsbroschüre dem Gesetzesantrag zur
Legitimierung des Memory-Voidings ohne Einwilligung der jeweilig betroffenen
Person(en) noch nicht zugestimmt hat und damit die Durchführung dieses
Verfahrens in manchen Regionen eine strafbare Handlung darstellen könnte.)
© Michael Köpf 2006
White Collar Certificates
Ihre Eintrittskarte zu den Chefetagen dieser Welt
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bei jedem Bewerbungsgespräch eine bittere Absage? Wir bringen Sie auf die GewinnerSeite! Die Eisenstaad Stiftung arbeitet eng mit den größten Dienstleistungsunternehmen
der Union zusammen um Ihnen exakt jene Eigenschaften zukommen zu lassen, die dann
auch tatsächlich in der Praxis von Ihnen erwartet werden.
Steigern Sie mittels Charaktermodifikation Ihre Flexibilität, Teamfähigkeit sowie Ihren
Arbeitseifer
oder
lassen
Sie
sich
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Körperanpassung
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Wir vergeben als erstes Institut staatlich anerkannte White Collar Certificates und
können Ihnen damit einen klaren Wettbewerbungsvorteil am immer härter werdenden
internationalen
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liefern.
Die
Zertifikate
der
Eisenstaad
Foundation
bescheinigen Ihnen alle arbeitsmarktrelevanten Eigenschaften und verschaffen Ihnen
damit den entscheidenden Vorteil gegenüber Ihrer Konkurrenz.
Jüngste Statistiken der Wirtschaftskammer zeigen, dass aktuell mehr als 78% aller
Angestellten im mittleren und höheren Management über White Collar Certificates
verfügen. Durch unsere breit gefächerten Finanzierungsangebote gibt es nun wirklich
keinen Grund mehr ein trauriges Dasein ohne Job fristen zu müssen. Wollen Sie wegen
falscher pseudomoralischer Wertvorstellungen auf Modifikationen verzichteten und
sowohl Ihre, als auch die Zukunft Ihrer Familie fahrlässig aufs Spiel setzen? Zeigen Sie
persönliche Größe und seien Sie Ihres eigenen Glückes Schmied.
Ergreifen Sie die Chance und sichern Sie sich Ihre berufliche Zukunft noch heute!
Ihr Team des Eisenstaad Centers,
Kolonie Terra IV am 26.10.2177
Verbessern wir die Welt, verbessern wir uns selbst!
© Michael Köpf 2006