Auf Fotos fand ich mich zu fett

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Auf Fotos fand ich mich zu fett
22.02.2010
Schauspieler Frank Giering
"Auf Fotos fand ich mich zu fett"
Frank Giering gehört nicht zu den Lautsprechern im deutschen Filmgeschäft - ein
begehrter Darsteller ist er dennoch. Im SPIEGEL-ONLINE-Interview gibt er
ungewöhnliche Einblicke in sein Privatleben, spricht über Liebeskummer und sagt,
warum er erst mit 29 bei Mama ausgezogen ist.
ZUR PERSON
DDP
Frank Giering, geboren 1971 in Magdeburg als Sohn eines Poliers, hat nach dem
Besuch der Schauspielschulen in Bochum und in Potsdam am Staatstheater Cottbus
gespielt, wo er für das Fernsehen entdeckt wurde. Bekannt wurde er durch seine
Hauptrolle in dem Film "Funny Games", den Durchbruch schaffte er 1999 als rebellischer Ausreißer in
"Absolute Giganten". Seit 2006 gehört er an der Seite von Christian Berkel zum Team der ZDF -Krimiserie
"Der Kriminalist". Giering lebt in Berlin.
FOTOSTRECKE
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9 Bilder
Frank Giering: Menschenscheu und schüchtern
SPIEGEL ONLINE: Herr Giering, Sie sehen zerbrechlicher aus, als man es erwartet.
Frank Giering: Ich habe 20 Kilo abgenommen - zum Glück. Ich hatte schon immer Komplexe
wegen meines Gewichts. Bei einer Größe von 1,70 Meter wog ich 78 Kilo. Im Spiegel fand ich mich
okay, aber auf Fotos fand ich mich zu fett. Der Anblick hat mich schwer deprimiert. Hinzu kam,
dass ich mich verliebt habe.
SPIEGEL ONLINE: Nimmt man denn ab, wenn man glücklich verliebt ist?
Giering: Als die Beziehung zu Ende war, hatte ich Liebeskummer. Das hat das Abnehmen
beschleunigt.
SPIEGEL ONLINE: Immerhin haben Sie sich das Fitnessstudio gespart.
Giering: Der einzige Sport, den ich mache, ist Schachspielen. Das liegt hauptsächlich an
traumatischen Erlebnissen in der Schule. Wenn ich mich an der Turns tange hochziehen sollte, hing
ich traurige zehn Zentimeter über dem Boden, und das auch nur, weil ich höher nicht springen
konnte.
SPIEGEL ONLINE: Gab es keine Erfolgserlebnisse?
Giering: Im Gegenteil. Im 100-Meter-Sprint musste ich gegen Andreas Becker antreten, der im
Klassenbuch vor mir stand. Ich bin mit geschlossenen Augen gerannt, wenn ich sie aufmachte, kam
er mir schon wieder entgegen. Ich hatte konsequent die Note vier im Sport und deswegen
Komplexe.
SPIEGEL ONLINE: Trotzdem haben Sie einen extrovertierten Beruf gewählt.
Giering: Ich dachte immer, wenn ich berühmt bin, dann kann ich alle Frauen haben. Ich habe mir
den Song der "Ärzte" zum Lebensmotto gemacht: Eines Tages werd' ich mich rächen, ich werd' die
Herzen aller Mädchen brechen.
SPIEGEL ONLINE: Hat es funktioniert?
Giering: Null. Ich dachte, ich steige mal aus einem Privatjet, und alle Frauen, die ich jemals haben
wollte, stehen Spalier. Die Realität sah komplett anders aus.
SPIEGEL ONLINE: Also müssen Sie Liebe suchen und finden wie alle Normalsterblichen. Auch in
Partnerbörsen im Internet?
Giering: Das scheitert daran, dass ich keinen Computer besitze und noch nie in meinem Leben im
Internet war.
SPIEGEL ONLINE: Wie bitte?
Giering: Ich würde einen Laptop gerade einmal aufklappen können. Und das auch nur, weil ich das
im Fernsehen gesehen habe. Twitter, Blackberry, iPhone - das ist mir alles fremd. Ich habe auch
keinen Führerschein, ich bin ein Fossil oder ein hartnäckiges DDR-Überbleibsel. Oder ich wurde
1956 eingefroren und erst 1971 wieder aufgetaut. Vielleicht bin ich deshalb so altmodisch und
zurückgezogen.
SPIEGEL ONLINE: Es klingt so, als seien Sie etwas … lebensscheu?
Giering: Wahrscheinlich lerne ich deswegen auch keine Frau kennen. Aber ich muss zugeben, ich
bin zu schüchtern, um eine anzusprechen.
SPIEGEL ONLINE: Werden Sie denn oft angesprochen?
Giering: Von Frauen nie. Zweimal wurde ich in meinem Leben von Frauen angesprochen, daraus
wurden jeweils Beziehungen. Ich kann eben einfach nicht Nein sagen (lacht). Nein, im Ernst: Ich
warte noch auf die Richtige. Ich hoffe, sie war noch nicht dabei.
SPIEGEL ONLINE: Woher rührt Ihre Unsicherheit?
Giering: Ich kann schwer damit umgehen, einen Korb zu bekommen. Ich lasse lieber eine
Möglichkeit verstreichen, bevor ich verliere. Beim Schachspielen im BSG Magdeburg hat mich
dieser Ehrgeiz weit gebracht. Aber auch damals habe ich schon den König geworfen, wenn ich
merkte, dass ich verliere.
SPIEGEL ONLINE: Wie ist es in Ihrem Beruf: Neiden Sie es Kollegen, wenn die von Quentin
Tarantino angeheuert werden oder mit Tom Cruise drehen können?
Giering: Natürlich kenne ich das Gefühl Neid, aber nicht in diesem Zusammenhang. Christian
Berkel hat mir vom Dreh mit Tom Cruise erzählt, das muss toll gewesen sein. Was internationa le
Projekte angeht, muss ich gestehen: Ich spreche so gut wie kein Englisch, ich könnte höchstens
eine stumme Rolle annehmen. Es klingt bequem, aber den Ehrgeiz, die Sprache zu lernen, habe ich
nicht.
SPIEGEL ONLINE: Bereuen Sie es, die Schauspielschule geschmissen zu haben?
Giering: Nein. Das war einfach nichts für mich. Da musste man nackt in Unterhosen die Geburt
nachspielen oder mit einem Stuhl in den Raum der Erinnerung gehen und dort "Hänschen Klein"
singen. Eine Schülerin bekam dabei einen Heulkrampf, ein andere zerdepperte den Stuhl und
schlug ihn kurz und klein. Irgendwann wusste ich nicht mehr, ob ich in die Psychiatrie eingeliefert
wurde oder freiwillig dort bin.
SPIEGEL ONLINE: Sie sind erst im Alter von 29 Jahren zu Hause ausgezogen, obwohl S ie als
Schauspieler längst erfolgreich waren. Was hat Sie in Magdeburg gehalten?
Giering: Mein Kinderzimmer war der starke Kontrast zu den Fünf-Sterne-Hotels, in denen ich
während Dreharbeiten untergebracht war. Wenn ich nach Wochen wieder in die Wohnung meiner
Eltern zurückkehrte, wurde mir erst bewusst, dass ich nun den Traum lebe, den ich in diesem
Zuhause immer hatte: Schauspieler zu werden. Aber das war nur ein Nebeneffekt. Ich war
schlichtweg zu faul, um auszuziehen.
SPIEGEL ONLINE: Reden Sie vom klassischen Kinderzimmer mit Fanpostern und Schulranzen?
Giering: Ein ganz kleines, schmales Zimmer in einer Neubauwohnung in Magdeburg - zu DDRZeiten etwas Besonderes. Mit einem Bett, einem Sessel und einer Schrankwand voller alter
Schulsachen. An der Wand hingen Poster von Shakin' Stevens, für den meine Schwester
schwärmte.
SPIEGEL ONLINE: Am liebsten würden Sie noch immer dort wohnen wollen, oder?
Giering: Wenn ich ehrlich bin: Ich bin nur ausgezogen, weil sich meine Mama ihren Traum erfüllt
hat - eine Wohnung mit Blick auf die Elbe. Nur ist die noch kleiner als die alte, es war einfach kein
Platz mehr für mich.
SPIEGEL ONLINE: Wer hat Ihnen bei der Wohnungssuche in Berlin geholfen? Mama?
Giering: Nein (lacht)! Meine Agentur hat mir die Besichtigung für eine Wohnung in Charlottenburg
organisiert, die erste in meinem Leben. Ich habe direkt zugesagt. Seither wohne ich da.
SPIEGEL ONLINE: Und wie wohnen Sie da?
Giering: Ich habe ein Zimmer mit einer Kochecke, ein kleines Bad und einen Balkon zum Hof. Die
Küche sieht aus wie aus einem Musterhaus, die habe ich vielleicht fünfmal benutzt. Aber ich fühle
mich sehr wohl da, ich habe alles, was ich brauche.
SPIEGEL ONLINE: Sehr spartanisch. Welchen Luxus gönnen Sie sich?
Giering: Bis vor zwei Jahren habe ich alles rausgehauen, was ich verdient habe. Ich habe mir
schöne Reisen gegönnt, bin nach Vietnam und Mexiko geflogen, habe in schönen Hotels gewohnt
und es mir gut gehen lassen. Seither spare ich, gebe nicht viel aus. Nur einen Fernseher mit
Flachbildschirm habe ich mir gerade geleistet.
SPIEGEL ONLINE: Sparen Sie, weil Sie Existenzängste plagen?
Giering: Auch. Am liebsten hätte ich die Sicherheit, die man als Kind hat. Bei mir kommt hinzu:
Ich kann nichts anderes außer Schauspielern. Ohne Führerschein und PC-Erfahrung - was sollte ich
da draußen tun? Wenngleich die Angst, irgendwann nicht mehr spielen zu dürfen, um ein Vielfaches
größer ist als die, eines Tages ohne einen Cent dazustehen.
"Der Kriminalist", freitags, jeweils 20.15 Uhr, ZDF
Das Interview führte Julia Jüttner