Der Dost Der Holunder Der alte Wacholder
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Der Dost Der Holunder Der alte Wacholder
Der Dost Der Dost ist ein wärmeliebendes Gewächs, in der Wahl seines Standorts aber nicht sehr anspruchsvoll. Ein trockenes, steiniges Terrain sagt ihm durchaus zu, er bereitet für andere Pflanzen den Boden. Allerdings hat er eine Vorliebe für kalkigen Untergrund. Oft wird der Dost auch Wilder Majoran genannt, und zweifellos hat er einen ähnlichen Würzeffekt. Aber während die Verwendung des Majorans sich eben darin erschöpft, ist der Dost auch eine wichtige Heilpflanze. Schon Hildegard von Bingen empfiehlt den Dost als Fiebermittel gegen Hautgeschwüre; Albert Magnus gegen Zahnschmerzen und Spulwürmer, bei Leber- und Magenbeschwerden. Die alten Kräuterbücher kennen noch mehr Anwendungsmöglichkeiten des gewöhnlichen Dosts: Er lindere Ohrenleiden, fördere die Menstruation und Verdauung. Sogar als grosse Zauberpflanze wurde das Kraut eingesetzt. Seine Sache war vorallem die Dämonenabwehr. Besonders den Wöchnerinnen wurde angeraten, immer ein paar Pflanzen bei sich zu tragen. Dass der Dost eine besondere Art Mutterschutz gewährt, dafür spricht auch einer seiner Volksnamen: Liebfrauenbettstroh. Zwar tragen den auch andere aromatische Pflanzen. Aber das gibt doch eine Antwort auf die Frage, warum unsere Vorfahren so grosses Vertrauen gerade in den Dost setzten: Die einheimische Flora hat kaum einen würzigeren Geruch zu bieten. Und wer an einem heissen Augusttag seine Nase in den Dost steckt, der wird vielleicht am eigenen Leibe erfahren, warum die Pflanze auch Wohlgemut heisst. Wacholder «Reckholder Räukholder» Juniperus communis, Zypressengewächse Dost «Badchrut, Orantkraut, wilder Majoran» Origanum vulgare, Lippenblütengewächse 2. Der alte Wacholder irgendwelche Leute hatten ihn weg haben gewollt aus ihrem Garten, weil er alt war, krumm und knorrig – hier hat er Jahre gebraucht, um wieder Fuss zu fassen im Boden jetzt treibt er neu, duftet wieder – zwischen seinen Ästen, die junge Esche von zwischen seinen Wurzeln her hochgeschossen, verdorrt sie schon umarmt, umklammert erwürgt, vom alten Wacholder 2. Der Holunder denn falsch dosiert, zur falschen Zeit angewendet, wirken seine Kräfte schädlich verstärken, statt zu heilen das Übel und gegen dieses Gift ist dann kein Holunder mehr gewachsen wie er wächst, ist er ein Bild des Widerstandes wuchert, wüchsig, wie unausrottbar wie Unkraut (das nur weils wild ist unausrottbar, Un/Kraut heisst), passt sich an, zähe wild und gestrüpp, wie Kletterpflanzen, die nichts haben daran zu klettern, als sich selber so war zu Zeiten der Holunder ein Gegenstand der Verehrung unter den Menschen, sein Leben dem eines Menschen gleich geachtet und so war auch, wer einen Holunderbaum fällte der Frevler, war er selber des Todes ist dennoch empfindlich, besonders gegen Berührung durch Menschenhand kümmert leicht: Holunder will in Ruh gelassen werden, am liebsten in einer entlegenen Ecke die niemand aufsucht, da gedeiht er, allein für sich, duldet als Gesellschaft höchstens Brennessel und Giersch ist aber jederzeit da zu heilen die Allgegenwärtigkeit des Holunders ist zeitlich, ich meine er ist immer da, wenns not tut, zu jeder Zeit des Jahres mit Spross oder Blatt, mit Blüte Frucht oder Rinde, Mark und Wurzel lässt sich als Kompresse anlegen Holunder «Elderbaum, Husholder, Schwarzholder, Schwitztee» Sambucus nigra, Geissblattgewächse 2. und als Wickel, lässt sich quetschen trocknen, sieden, aufbrühen, lässt sich kalt mit Wasser ausziehen oder mit Alkohol als Tinktur Holunder heilt durch Reinigung, macht schwitzen treibt aus, führt ab, dient aber auch zu Nahrung und Genuss, gibt Tee die Blätter lassen sich als Gemüse oder als Salat essen, die Beeren gekocht (niemals roh) als Kompott es lässt sich Wein aus ihnen machen zuletzt sogar Likör, doch auch der einfache Saft ist bekömmlich in Tropfen genommen oder als Trank, vermischt mit Wasser, zur Erfrischung an heissen Sommertagen Holunder ist die Summe aller Medizin verspricht das Heil gegen alles Unheil, das Menschen aus den geheimen Winkeln der Welt befällt, stammt aber aus denselben Winkeln, ist nimmt mans genau sogar dieselbe Kraft 2. Das Herzgespann Jedem, der sich damit beschäftigt, wird zum Bewusstsein kommen, wie eng Pflanzen, jede auf ihre Weise, mit dem Leben der Menschen zusammenhängen – mit Kult und Nahrung, mit Kunst und Medizin, mit Aberglauben, Liebeszauber und Geschichte. Das heisst: Mit jeder Pflanze, die unserer Unmässigkeit und Brutalität zum Opfer fällt, verschwindet nicht nur ein Stück Natur, sondern auch ein Stück Kultur, eine Verknüpfung zwischen unserer Gegenwart und unserer Herkunft. Das Herzgespann, eng verwandt mit dem Wolfstrapp, wurde bei uns früher als Heilpflanze in den Bauerngärten kultiviert. Jetzt ist es nur noch vereinzelt auf Schuttplätzen, an Hecken und auf trockenen Wiesen anzutreffen. Die Pflanze mit den weichbehaarten, etwas herabhängenden Blättern und den hellrosa Blüten in den oberen Blattachsen wird bei Angstzuständen, nervöser Erregung, Schlaflosigkeit und Wechseljahresbeschwerden angewendet. Auch die Homöopathie empfiehlt Herzgespann bei Herzbeschwerden. Der Beruhigungstee riecht aromatisch und schmeckt herb, bitter und zusammenziehend. Eberesche «Wilde Vogelbeere» Sorbus aucuparia, Rosengewächse Herzgespann «Löwenschwanz» Leonurus cardiaca, Lippenblütengewächse 2. 2 3 2. Die Binse Zu allen Zeiten haben die Menschen nach einem Wunderheilmittel gesucht, nach einem Elixier für langes Leben. Der Glaube, dass die Natur eine Substanz bereithalte, die alle Krankheiten zu heilen vermöge, ist so alt wie die Menscheit selber. Auch heute ist diese Vorstellung nicht ganz erloschen. Vielen Pflanzen werden in dieser Beziehung unerhörte Kräfte nachgesagt: Ginsengwurzeln, Knoblauch, Alraune usw. Eine Pflanze, die aber selten erwähnt wird und ein schon fast vergessenes Dasein führt, ist der Wolfstrapp. Welche Wirkung die Binse in Sung Shans Medical Tea hat, weiss ich nicht. In Europa hat man sie nie medizinisch verwendet, sondern nur für Lampendochte. Ich mag die kräftigen, starren Büschel, die sich Jahr für Jahr vergrössern. Die Starrheit steht in auffallendem Kontrast zu fast allen anderen Pflanzengestalten. Manche Binsen sind geradezu die Abstraktion einer Pflanze: Triebe und Blätter ununterscheidbar stielrund, und darüber hinaus nur ein unscheinbares Blütenknäuel. Ein Minimum an Gestalt, dabei kraftvoll und standfest. Sumpfiger, nasser Boden ist gut für die Binsen, aber sie wachsen auch an anderen Stellen, wenn sie nicht anhaltender Trockenheit ausgesetzt sind. Es gibt allerdings auch zarte Binsen und insgesamt mehr als zwei Dutzend verschiedene Arten. Einige sind selten, andere sind häufiger anzutreffen, wenn auch nicht mehr so oft, wie man das früher tat. Man hat Matten und Körbchen daraus geflochten oder den Fussboden damit bestreut. Und was Shung Shans Medical Tea angeht, so wollen wir einmal versuchen, wie der schmeckt – denn: mit dem Gwunder kommt es an kein Ende. 4 1 Platthalm-Binse Juncus compessus / 3 Zarte Binse Juncus tenuis 4 Flatter-Binse Juncus effusus, Binsengewächse 2 See-Flechtbinse Schoenoplectus, Riedgrasgewächse Vor dem Nachbarhaus steht eine Eberesche. Der Baum hat zwar nichts von der Grösse einer Esche mitbekommen, doch für mich ist er ein eindrückliches Erlebnis das ganze Jahr hindurch: im Frühling mit seinen hellgrünen, feingliedrigen Blättern; im Sommer mit dem Schleier weisser Doldenblüten und im Herbst mit den roten Früchten. Die einzelnen Beeren sind so knallig, als hätte sie jemand mit Zinnober angestrichen. Ein Drosselschwarm pickt in der bleichen Oktobersonne an den Früchten. Für die Flugschar ist die Vogelbeere ein beliebtes Winterfutter. Bereits bei Hieronymus Bock in seinem im 16. Jahrhundert erschienen Kräuterbuch wird die Wirkung der Vogelbeere aufgeführt «... sie sind eines seltsamen unlustigen geschmacks / so man deren zuvil isst / mache sie unwillen». Der Tee aus den getrockneten und zerquetschten Beeren soll bei Magenverstimmung und Lymphknotenschwellung wirksam sein. Bekannt ist auch die Verwendung der Früchte als Konfitüre oder Gelee. Der Wolfstrapp Der Wolfstrapp wächst als Unkraut in feuchten Wiesen, an Flussund Bachufern, in Gräben, lichten Wäldern und Sümpfen. Die Pflanze hat vierkantige Stengel und kreuzgegenständliche, breitlanzettliche Blätter, die am Rand tief und grob eingesägt sind. Die kleinen weissen Blüten sind in dichten Quirlen in den oberen Blattachsen. Der Wolfstrapp-Tee hat eine beruhigende, entspannende und stärkende Wirkung. Er wird bei Nervösität, Herzbeschwerden, Unruhe, Angst, Schlaflosigkeit, Wechseljahresbeschwerden und Kreislaufstörungen verwendet. 1 Die Eberesche, die Vogelbeere Wolfsfuss «Wolfstrapp» Lycopus europaeus, Lippenblütengewächse 2. 2. Die Sumpf-Schafgarbe Der Seidelbast In den heutigen Kräuterbüchern kommt die Sumpf-Schafgarbe nicht mehr vor. Es gibt aber einen ziemlich alten, zuverlässigen Ratgeber, in dem nahezu alle Pflanzen aufgeführt sind, die sich irgendwie verwenden lassen. Das Buch stammt aus dem Jahr 1918 und trägt den Titel: «Ersatzstoffe aus dem Pflanzenreich». Da hatte sich in den Not- und Hungerjahren des ersten Weltkriegs der angesehene Professor Ludwig Diels, später Direktor des königlichen Botanischen Gartens und Museums in Berlin, der vaterländischen Aufgabe unterzogen, alle Kentnisse über die heimischen Pflanzen und ihre Brauchbarkeit «für Zwecke der Ernährung und Industrie in Kriegs- und Friedenszeiten» zusammenzutragen: Spargelsamen als Kaffee-Ersatz, Rohrkolbenwurzeln zur Mehlbereitung, Torfmoos als Baumwollersatz bei Wundverbänden... Ich nehme an, dass in der Natur nichts ohne (funktionellen) Grund geschieht. Den Widerstand, den gewisse Pflanzen den Händen, die sie zu pflücken versuchen, entgegensetzen, wird einen Grund haben. Zerstochene Fingerspitzen, leicht entzündet und gerötet und tagelang wund, bezeugen das Überhören der Warnung, die von diesen Pflanzen ausgesprochen wird: Lass die Finger von mir! In dem grossen Kapitel über die Salate und Gemüse ist alles aufgeführt, was hungrige Menschen oder neugierige Botaniker jemals als essbar erkannt haben. Von der Sumpf-Schafgarbe heisst es, man könne die jungen Triebspitzen, solange sie noch weich sind, als Würzkraut oder Gemisch mit anderem Gemüsen verwenden. Wer das mag, kann vom Juli bis zum September im Naturschutzgebiet Meienried ausserhalb von Büren an der Aare spaziergehen: Die SumpfSchafgarbe wuchert da unverwüstlich, wuchert auch dann untentwegt weiter, wenn man die Stengel immer wieder abschneidet. Seidelbast «Giftbäumli, Giftbeeri, Kellerhals, Warzenbast, Zyst» Daphne mezereum, Seidelbastgewächse Sumpf-Schafgarbe «Bertram-Schafgarbe Achillea ptarmica, Korbblütengewächse 2. Die Sonnenblume Krieger, Reisige in der abendlichen Dämmerung gerüstet, die dem Wind durch Nicken Antwort geben die hochaufgeschossenen Blütenstände, Stengel und Blätter wie als Schilde vorgehalten die sich im Dunkel als Wächter zu erkennen geben ein Trupp Krieger, drohen biegen sich im schweren Tanz Thymian «Wilder-, Berg-, oder Feldthymian, Wilder Zimt» Thymus serpyllum, Lippenblütengewächse Sonnenblume «tournesol, girasole» Helianthus annuus, Korbblütengewächse 2. Das gilt auch für den Seidelbast, der stark hautreizend wirkt. Bei längerer Einwirkung entstehen Blasen. Deshalb wurde Seidelbastrinde bei Gelenkschmerzen empfohlen. Am gebräuchlichsten war die Verwendung als Salbe. Wird die Droge innerlich genommen, so treten schwere Vergiftungerscheinungen auf. Wenn der Seidelbast einen kalkhaltigen, tiefgründigen Boden findet, kann er sich zu einem ansehnlichen, bis zu zwei Meter hohen Strauch entwickeln. Der unangenehme Blütengeruch erinnert an ein ungelüftetes Krankenzimmer. Wahrscheinlich ihrer Giftigkeit wegen, wird die Pflanze heute kaum noch zu medizinischen Zwecken benutzt. 2. Der Thymian Sonne ist alles, was der Thymian braucht; Feuchtigkeit ist ihm zuwider, ein nährstoffreicher Boden verdirbt sein Aroma, auf kargem, trockenem Boden fühlt er sich wohl. Es gibt mehrere Sorten von Thymian, die sich in Duft und Wuchs unterscheiden und manchmal wirklich schwer auseinanderzuhalten sind: Eine alte Kulturpflanze, also nicht eigentlich einheimisch, ist der aus dem Mittelmeergebiet stammende Echte Thymian, holzig und aufrecht wachsend, mit lederigen und schmalen, am Rande eingerollten Blättern und besonders intensivem Geruch. Zu den einheimischen Thymian-Arten gehört der Wilde Thymian (auch Quendel genannt), krautig niederliegend, und mit zartlila Blüten, sowie der angenehm duftende Zitronen-Thymian, ein Bastard aus dem Echten und dem Wilden Thymian. 2. Der Lein Der Lavendel Die meisten Verdauungsstörungen können durch richtige Ernährung behoben werden. Schlackenreiche Kost wie Vollkornbrot, faserreiches Gemüse und Obst füllen den Darm und fördern die Entleerung. Weissbrot, Milch- und Süsspeisen, Fleisch- und Wurstwaren lösen den Entleerungsreflex nicht aus, weil sie den Darm kaum füllen. Verschiedene Nahrungsmittel haben noch zusätzlich eine abführende Wirkung. So verwendet man unzerkleinerte oder frisch geschrotete Leinsamen – da sie ein enormes Quellvermögen aufweisen – als ein sehr mildes, unschädliches und wirksames Abführmittel. Leinsamen wirken im Magen-Darm-Bereich bei Entzündungen ausserdem reizmildernd. Sie haben bis zu 35 % Öl mit den gesundheitlich so wichtigen ungesättigten Fettsäuren, die an der Luft trocknen bzw. verharzen und daher in Anstrichmitteln (Ölfarben) verwendet werden. Wenn man den Lavendel für Heilzwecke nutzen will, zum Beispiel als Bestandteil eines milden Schlaftees, dann muss man ihn im Juli, noch vor dem Aufblühen, schneiden. Soll er in Duftsäckli gefüllt oder ins Badewasser gegeben werden, dann kann man bis nach der Blüte warten, wenn man die Triebe ohnehin einkürzen muss, um das Verkahlen zu verhindern. In den Büchern steht, man soll vom Lavendel nur die Blüten benutzen, nicht die Blätter; da aber auch sie eindringlich nach Lavendel duften, sehe ich nicht ein, warum man sie wegwerfen soll; sie können feindosiert in der Küche verwendet werden, zum Würzen von Fisch, Lamm, Geflügel, Suppen und Saucen. Vom Geschmack her erinnert der Lavendel am ehesten an Rosmarin. Der Lein wird als Saat angebaut. Meist sieht man ihn nur auf Feldern, denn er verwildert nur sehr selten und dann meist aus verstreutem Vogelfutter. Lein ist auch eine Faserpflanze. Beim Faserlein (Flachs) sind die Bastfasern bis zu 6 Zentimeter lang und damit fast tausendmal länger als eine normale Pflanzenzelle. Lavendel «Speik, Zöpfli» Lavendula angustifolia, Lippenblütengewächse Lein «Flachs, Flachsleisi» Linum usitatissimum, Leingewächse 2. Das Zitronenkraut Die Küchenschelle Es ist ein warmer Oktobertag. Wir sitzen auf der Balkonterrasse und lassen uns von der Sonne durchwärmen. Auf der Altenbergstrasse kommt eine Familie mit Fahrrad vorüber, ein junges Paar mit Kinderwagen der Aare entlang. Wichtiger als die letzten Zeichen des Vergehens sind die ersten des Gedeihens: die Alpwiesen zum Beispiel, sind noch Ende März mit dem falben bis aschfahlen Filz der vorjährigen Grasnarbe bedeckt. An trüben Tagen fällt einem allenfalls ein verlorenes Veilchen ins Auge, das im Schutz eines Haselstrauchs blüht. Aber bei Sonnenschein bekennen diese Wiesen Farbe. Und sie heben sich von den stumpfen Grau- und Brauntönen des Vorfrühlings nur um so leuchtender ab. «Riech mal», sagt Beatrix und zeigt auf einen kleinen Strauch in einem Topf, mit langen und feinen Zweigen, die langgezogene, spitze Blätter tragen. Als ich daran rieche, steigt mir ein höchst apartes Aroma in die Nase, das mit dem Wort «zitronig» nur ganz unzureichend umschrieben ist. Der Zitronenstrauch kommt aus Südamerika. Die Blätter werden einerseits zu Parfüm verarbeitet, anderseits als Mittel gegen Blähungen, und drittens, bei den Franzosen, als erfrischenden Verveine-Tee getrunken. Der kleine Strauch, der in sanfterem Klima über zehn Meter hoch werden kann, kommt hier nur kurz zur Blüte, was aber dem süssen Zitronenaroma seiner Blätter kaum Abbruch tut. Frühlings-Anemone «Tagesschläferli, Frühlings Küchenschelle» Pulsatilla vernalis, Hahnenfussgewächse Zitronenverbene «Zitronenkraut, Zitronenstrauch» Lippia citriodora, Eisenkrautgewächse 2. 2. Das grandiose Blauviolett gehört den Blüten der Küchenschelle, die überdies durch ihre erstaunliche Grösse auffallen. Die behaarten Kronenblätter übernehmen anfangs noch den Schutz der Blüte, so dass die Küchenschelle im abgestorbenen Gras fast unsichtbar bleibt. Wohl deshalb nennt man die Pflanze im Volksmund auch Tagesschläferli. Ganz anders ist es an den hellen Tagen: da entfaltet sich die Blüte der Küchenschelle und zeigt sich in diesem unvergleichen, in der Tiefe strahlenden Blau. Damit nicht genug, leuchtet inmitten des Blütenkelchs ein gleissend gelber Staubkolben. Es lässt sich wohl kaum ein schöneres Frühlingserwachen denken, als das Zusammenspiel dieser Farben vor der Kulisse der winterlichen Berge. 2. Die Nieswurz Die Tollkirsche Auf einer Wanderung dem Jurasüdfuss entlang von Biel nach La Neuville haben wir die Nieswurz entdeckt. Sie schmückt im Vorfrühling die Kalkhügel mit dem weithin leuchtenden Gelbgrün ihrer glockenförmigen Blüten, wenn sonst noch nichts zu sehen ist. Um viele der einheimischen Giftpflanzen (besonders aber um die Nachtschatten unter ihnen) ist eine bedrohliche Aura, von düsterer Schönheit (wie die der gelblich blass violetten Blütenkelche der Tollkirsche, die, wer nicht geradezu nach ihnen Ausschau hält, leicht übersieht; die Belladonna oder Tollkirsche ist ein niederiger, sich jedes Jahr neu aus dem Boden entwickelnder weitverzweigter Busch, aus dessen unscheinbaren Blüten im Spätsommer saftigschwarze, fast kirschgrosse und sehr verlockend aussehende Beeren von grosser Giftigkeit entstehen), die sich jedermann unmittelbar mitteilt, der sich ihnen nähert, eine seltsame Faszination, die ganz sicher nicht allein aus dem Wissen um ihre Besonderheit kommt. (Beim Wermut, der eigentlich nicht zu den Giftpflanzen, sondern zu den Würzpflanzen gehört, obwohl er, überdosiert, durchaus toxisch wirkt, wenn auch nicht gleich tödlich, ist es ähnlich: seine Bitterkeit umgibt ihn geradezu atmosphärisch.) Die Tollkirsche funktioniert wie das Knurren und Zähnezeigen eines Hundes, womit er droht bevor er beisst. Doch es erscheint sehr kühn, von dem Gift einer Pflanze, das für Menschen und manche Tiere unbekömmlich ist, zu behaupten, es sei als Verteidigung gegen ebendiese entstanden – zumal man stets Tiere findet, die gerade dieses Gift eher schmackhaft finden: Drosseln sind wild auf Tollkirschen, ihr Geschmack «dient» daher der Verbreitung der Samen. Nicht nur die Blüten selbst haben dieses helle Grün, sondern der ganze verzweigte Blütenstand mit seinen Hochblättern, der sich über einen dichten, immergrünen Busch aus feingeschlitzten Laubblättern erhebt. Da gibt es, fast noch im Winter, ein Leuchtzeichen dafür, dass das Leben schon wieder anfängt; die allerersten, viel zu früh aus dem Winterschlaf erwachten Hummeln wissen es zu schätzen, nehmen natürlich auch keinen Anstoss an dem absonderlichen Duft der Blüten, der nicht eben angenehm ist, aber auch nicht so unangenehm, dass die Pflanze den Namen Stinkende Nieswurz verdient hätte. Leuchtende Nieswurz würde es besser treffen. Tollkirsche «Tollkraut, Tüfelsbeeri, Wolfskirsche» Atropa-belladonna, Nachtschattengewächse Stinkende Nieswurz Helleborusfoetidus, Hahnenfussgewächse 2. Die Wallwurz, der Beinwell Der Ysop Selbst wenn sich eine nasse Wiese im allgemeinen für die Viehhaltung nicht als besonders förderlich erweist, so zeigt sich doch die nasse Wiese als besonders geeignet, solche Pflanzen und Pflanzenarten in üppigen Mengen hervorzubringen, für die der Landwirt normalerweise keine Verwendung hat, namentlich auch der Beinwell. Er wächst gern im Schatten und blüht im Frühsommer cremefarben. Es gibt auch eine blaublühende Sorte davon. Im Winter welkt er einfach dahin und hinterlässt dabei nur eine dichte schwarze Decke schnell verrottender Blätter, durch die sich die neuen Triebe im Frühjahr ohne Schwierigkeiten ihren Weg bahnen können. Giovina und Beatrix haben gemeinsam einen Teil des Rasens auf der Terrasse vor dem Haus an der Altenbergstrasse in eine Kräuterspirale umgestaltet. Durch Gliederung haben sie so der freien Fläche die Illusion von Raum abgewonnen, in dem sich während der warmen Jahreszeit das angesiedelte Leben entfalten kann. Boden, Gräser, Kräuter, Sträucher. Der Lavendel und die Rosen ergänzen einander nicht nur optisch, sondern auch im Wachstum. Schicht für Schicht dehnt sich der Raum weiter aus, neue Lebensräume öffnen sich. Die Nachtkerze lockt Bienen und Hummeln an. An dem Spalierzaun zur Strasse hin ranken sich Weinstöcke hinauf. In und um die Kräuterspirale sind viele Gewürz- und Heilpflanzen zu erkennen: Rosmarin, Mayoran, Thymian, Estragon, Zitronenmelisse, Frauen- und Silbermäntelchen, sowie Gartensalbei, durchmischt mit blassgelber Schafgarbe und den blauvioletten Blüten des Ysop. Zu Heilzwecken wird die schleimige, schwarzrindige Wurzel im Spätherbst ausgegraben. Wallwurz-Salbe ist legendär (zum Beispiel 250 gr. kleingeschnittene Wurzeln, ein Viertel Liter Olivenöl und 70 gr. Bienenwachs); sie hat seit alters her einen guten Ruf zur Heilung von Wunden und Knochenverletzungen aller Art. Sie fördert, wie der Name schon sagt, das Überwallen, d.h. das Zusammenwachsen der Gewebe. Auch bei rheumatischen Gelenkentzündungen soll die Pflanze sehr wirksam sein. Leider hat es sich erwiesen, dass der Beinwell leberschädigende Alkaloide enthält. Man sollte ihn also nur gelegentlich einmal innerlich einnehmen. Ysop «Chirchesürpfli, Chilchsuppe» Hyssopus officinalis, Lippenblütengewächse Beinwell «Wallwurz, Bienenkraut, Beinwurz» Symphytum officinale, Boretschgewächse 2. 2. Der Ysop, eine ausdauernde Pflanze aus Südeuropa, gehört zwar in jeden Kräutergarten und ist ein so ehrwürdig altes wie eigenartiges Fleischgewürz – aber zu den Stinkpflanzen gehört er auch, denn es gibt viele Menschen, die den strengen Blattgeruch als «Raubtiergeruch» einordnen und denen die Vorstellung, davon etwas ins Essen zu tun höchst unangenehm ist. 2. Das Schneeglöckchen Die Maroni Vor hundert Jahren kam das Schneeglöckchen nur in wenigen Gebieten der Schweiz vor – im Mittelland vor allem und in der Ostschweiz; ansonsten war es «selten»; weit häufiger in Gärten und aus denselben oft verwildert. Im Laufe der Jahrzehnte verwilderte es immer mehr und alle Naturfreunde waren zufrieden und sind es noch, soweit nicht inzwischen die Bau- und die Landwirtschaft dem Schneeglöckchen wieder den Garaus gemacht haben: In der «roten Liste» des BUWAL wird es als «potentiell gefährdet» eingestuft. Es ist immer dasselbe: Man mag nicht wahrhaben, dass der Winter vor der Tür steht. Über den letzten Herbstastern taumelt ein Schmetterling, die Rosen blühen zum vierten Mal, man hofft auf einen Aufschub, und verbringt noch ein paar warme Tage im Süden. Im Atlas der Schweizer Flora sind auf einer Verbreitungskarte für jede Pflanzenart alle Fundstellen notiert, und die Schneeglöckchen-Karte zeigt nur die Gebiete, in denen die Pflanze früher einmal anzutreffen war, als «natürliches Areal». Wenn also inzwischen das Schneeglöckchen sich einerseits aus diesem Areal, anderseits aus Gärten neue Gebiete dazu erobert hat, so ist dies sinngemäss ein «unnatürliches Areal», in dem es rechtens gar nicht leben dürfte. Das bedeutet umgekehrt: Lieber wird eine Art aus den Listen gestrichen wenn sie der allgemeinen Verwüstung zum Opfer gefallen ist, als dass man bereit wäre, die Verbreitung einer Art über ihr «natürliches» (und das heisst ja nur: über ihr bisheriges) Areal hinaus zu konzessionieren. Edel-Kastanie «Maroni, Äss-Chegele, Cheschtene» Castanea sativa Schneeglöckchen «Schneeglöggli,Lausblümli, Schneekater» Galanthus nivalis, Narzissengewächse Das Schneeglöckchen ist eigentlich in Süd- und Osteuropa heimisch, und es ist sehr wohl möglich dass das, was im Verbreitungsatlas als «natürliche Vorkommen» bezeichnet wird, gleichfalls Verwilderungen aus Gärten sind, die sich von den neueren nur durch ihr ehrwürdiges Alter unterscheiden. Nicht dass eine Pflanze irgendwo wächst, ist für diese Art von Naturbuchführung das Entscheidende, sondern dass sie genau dort wächst, wo es sie immer schon gegeben hat. Vegetationskunde als Geschichtsforschung und Naturschutz als Konservierungsprozess: da macht die Wissenschaft den ersten Schritt von der Beschreibung der Natur zu angemasster Oberherrschaft. 2. Wir haben auch diesen Spätherbst Maroni gesammelt in den Wäldern des Malcantone. Und was für Maroni. Die teuflisch bestachelten Fruchthüllen sind fast so gross wie Tennisbälle. Und wenn sie kreuzweise aufspringen, kommen zwei oder drei entsprechend grosse Früchte zum Vorschein. Abends wird im Kamin das Feuer entfacht und die Pfanne mit den Kastanien auf die Glut gesetzt. Manchmal werden sie nicht ganz gar, manchmal verkohlen sie, aber es ist ein Fest. Und was das Trinken angeht, so verdanken wir den Wein, den man zu Kastanien trinken kann, ebenso den Römern wie die Früchte selbst. Beides haben sie uns mitgebracht. Es stimmt aber nicht, dass die Esskastanie nur im Weinbauklima gedeiht. Es gibt mächtige Exemplare weit darüber hinaus. Die Kastanie ist vielseitig nutzbar: In Südeuropa waren die Maroni ein Teil der alltäglichen Ernährung, in anderen Ländern wurden sie zur Delikatesse, man kann Suppe daraus machen und natürlich gehört sie zum Rotkohl, man stopft sie dem Geflügel in den Bauch, bevor es in den Backofen geschoben wird, man benutzte Kastanienmehl zum Stärken von Leinen, und in Frankreich erfand man die «marrons glacés», kandierte Maroni, und eine Maronicreme fürs Dessert. Das Holz war für viele Zwecke sehr begehrt, und die Blätter, im Spätsommer geerntet, galten als wirksames Mittel gegen Keuchhusten. Für uns gehören die Maroni zu den besonderen Herbstfreuden: wir geniessen es am Kaminfeuer zu sitzen und Wein zu trinken bei der Glut. 2. Das Wiesen-Schaumkraut Der Stechapfel Sehr früh im Jahr haben sich die wintergrünen Horste des WiesenSchaumkrauts aufgepulstert. Langsam schieben sich die Blütenstengel nach oben, und im Mai schweben die lockeren, weissen oder blasslila Blütenstände über dem frischen Grün wie eine Haube aus Eisschnee. Die Botaniker sind sich nicht einig darüber, ob der Name Schaumkraut von diesem duftigen Blütenbild herrührt oder von dem Schaum, der oft an den Stengeln haftet und die Larven der Schaumzikade schützend umgibt. Wahrscheinlich ihres schlechten Rufes wegen, der zu ihrer systematischen Verfolgung und Ausrottung geführt hat, findet man solche klassische Giftpflanzen wie Stechapfel oder Bilsenkraut so gut wie nie in der freien Landschaft, und da es auch kaum noch Schuttplätze oder wilde Müllkippen gibt, findet man sie auch dort, wo sie nach Angaben der Kräuterbücher natürlicherweise vorkommen, inzwischen nicht mehr. Wo der Boden feucht ist, vermehrt sich das Wiesen-Schaumkraut leicht, so dass der Bestand sich von Jahr zu Jahr vergrössert. Wem es gelingt, diese schöne Pflanze an einem geeigneten Standort zu ernten, der kann ihre Blätter zu Salat verarbeiten. Der Geschmack ist nur so bitter wie bei anderen kresseähnlichen Pflanzen, nämlich kaum. Im Gegenteil, inzwischen hat sich das Blatt so sehr gewendet, dass heutzutage grössere Vorkommen der erwähnten Giftpflanzen sich in Gärten entwickelt haben. Man sieht in Gemüsegärten aufkommende Stechäpfel und Bilsen von zu beeindruckender Grösse und Gestalt, die sich offenbar mit Fleiss den Anschein geben, selber Gemüse und Salate zu sein. Es hat seinen eigenen Reiz, solche Gewächse anzuschauen und darüber nachzusinnen, was sich mit ihnen alles anstellen liesse. Es muss ja nicht Mord sein: Die Stechapfelblätter zum Beispiel wurden früher hauptsächlich zu Asthmazigaretten verarbeitet. Man stellte daraus auch ein Räucherpulver her, dessen Dämpfe dem Asthmatiker Linderung brachte. Vom giftigen Stechapfel (Datura) gibt es sehr dekorative Arten, und auch die Engelstrompete ist ein Nachtschattengewächs – eine, wie man so sagt «dankbare», also ziemlich anspruchslose Topfpflanze, die ich vielleicht mehr schätzen könnte, wenn ich sie seltener sähe: Manche Pflanzen werden durch übermässigen Gebrauch abgenutzt, zur Mode degradiert. Stechapfel «Tobkraut, Dornapfel, Kratzkraut, Stachelnuss» Datura stramonium, Nachtschattengewächse Wiesen-Schaumkraut «Wilde Kresse, Schyssgelte» Cardamine pratensis, Kreuzblütengewächse 2. 2. Haselstrauch «Haselnussstrauch, Hasle» Corylus avellana, Haselnussgewächse Wiesen-Sauerampfer «Sauer-Ampfer» Rumex acetosa, Knöterichgewächse Der Sauerampfer Der Haselstrauch Der Sauerampfer ist eines von den Unkräutern, die man heutzutage noch mit gutem Gewissen «Unkraut» nennen darf. Erstens verdrängt oder erstickt der Sauerampfer jedes andere Pflanzenleben, und zweitens lässt er sich durch keinerlei biologische Massnahmen vertreiben; er liebt den Stickstoff, kann aber auch ohne ihn auskommen; er weiss Feuchtigkeit und Schatten zu schätzen, aber Sonne und Dürre bringen ihn nicht um. Er wächst massenhaft auf den heimischen Wiesen, und man kann ihn vom Frühling bis zum Herbst ernten und aufessen, denn die Blätter enthalten viel Vitamin C und Eisen. Dennoch sollte man Sauerampfer nicht in grossen Mengen zu sich nehmen, wegen der Oxalsäure, die in den frischen Blättern enthalten ist. Auch sollte man beim Pflücken von wilden Wiesenkräuter darauf achten, dass sie von ungedüngten Wiesen kommen. Fahl grüngelb blüht im März der Haselstrauch, eines jener alten Feldgehölze, die zu Unrecht vernachlässigt werden. Dabei sind die frischen Nüsse etwas Köstliches, und die Blüte bildet einen wohltuenden Kontrast zu den Ostereierfarben der Krokusse. 2. Der Sommerwurz Der Sommerwurz ist eine Schmarotzerpflanze, die manches mit Pilzen gemeinsam hat: Sie besitzt kein Blattgrün, ihre nur andeutungsweise als Schuppen ausgebildeten Blätter ähneln den fransigen Stielschuppen mancher Pilze, und ihre Farben sind matt und etwas schmutzig. Der grauweisse Stengel trägt violette Rachenblüten in ähriger Anordnung und stirbt gleich nach der Samenreife ab; unten ist er zu einer festen Knolle verdickt, die der Wurzel des Wirts fest aufsitzt. Wenn es der Sommerwurz an einem Standort gefällt, dann bildet sie auch unterirdische Stengel aus, die suchend weiterwachsen wie Pilzmyzel und, sobald sie wieder auf eine Wirtswurzel treffen, einen neuen oberirdischen Spross entstehen lassen. Es ist sehr merkwürdig, wie hier alle Prinzipien des Pilzlichen von einer schmarotzenden Blütenpflanze verwirklicht werden, ohne dass es einen direkten entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhang gäbe; es ist als ob der Sommerwurz ein uraltes Lebensmuster eingefallen wäre, die sie nun mit ihren ganz anderen Mitteln nachzuahmen versucht. Rosmarin «Anthoskraut, Hochzeitsmaien, Röselimarie» Rosmarinus officinalis, Lippenblütengewächse Sommerwurz Orobanche, Sommerwurzgewächse Die langen, locker baumelnden Kätzchen sind die männlichen Blüten. Der Wind schüttelt aus ihnen den Pollen heraus, doch meist sowenig, dass man es nicht sieht; wenn man aber den ganzen Strauch kräftig rüttelt, steht man in einer Wolke von Blütenstaub, die eine Ahnung vermittelt von den ungeheuren Staubmengen, die vom Wind verfrachtet werden, um die Befruchtung zu versorgen. Während die männlichen Kätzchen sich strecken und lockern und ihren Pollen abgeben, sind die weiblichen Blüten noch fast unsichtbar; sie sind von Knospenschuppen eingehüllt, aus denen nur die pinkroten Narben als kleine Fadenbüschel herausragen. Man muss schon eine Lupe zu Hilfe nehmen, um diese Farbenschönheit richtig wahrzunehmen. 2. Der Rosmarin Zwei bis drei Handvoll Rosmarinblätter in 3/4 Liter Schnaps zwei Wochen lang ansetzen, filtrieren und täglich ein Likörglas bei Nervosität, Herzbeschwerden und Gliederschmerzen. Zugegeben, Rosmarinschnaps ist eine ziemlich bittere Angelegenheit, die den Kopf mit einer herb-aromatischen Würze füllt, wenn sie nicht im Übermass genommen, widrig wirkt, zum Erbrechen. Natürlich kann man den Rosmarin auch als Küchenpflanze verwenden, zum Beispiel als Gewürz für Bratkartoffeln. Wer das einmal probiert hat, wird fortan nicht nur den Rosmarin für die Bratkartoffeln verwenden, sondern er wird die Bratkartoffeln wegen des Rosmarins auf den Tisch bringen. Die Pflanze kommt aus den küstennahen Gebieten des Mittelmeeres und ist nicht zuverlässig winterfest. Man kann den Rosmarin in einem Topf gezogen auch auf dem Fensterbrett überwintern. Die fast tannadelschmalen lederartigen Blätter sind oben grün, auf der Unterseite dicht behaart. Die kleinen Blüten sind blassblau, weiss oder auch rosa. Sie blühen bis im Winter. Es gibt (oder gab) in der Schweiz einundzwanzig Arten der Gattung Orobanche, jede Art auf eine kleine Gruppe bestimmter Wirtspflanzen spezialisiert. Die meisten sind so gut wie verschwunden oder schwer gefährdet, meist wohl durch «Kulturmassnahmen» in der Landwirtschaft. Einundzwanzig aussergewöhnliche Pflanzenwesen, für immer dahin, man wird sie nicht wieder erwecken können, wenn dereinst, vielleicht der Versuch unternommen wird, die Verwüstung der letzten Jahrzehnte rückgängig zu machen. 2. 2. Der Kerbel Die meisten Blüten der Doldenblütler sind weiss, seltener grünlich oder gelblich, meist sind sie würzig, manchmal auch giftig. Wichtige Würz- und Heilpflanzen gehören zu dieser Familie, mit ganz unterschiedlichen Düften: Kümmel, Anis, Fenchel und Dill, Petersilie, Liebstöckel – und nicht zuletzt der leider zu Unrecht als Gewürzpflanze in Vergessenheit geratene Kerbel. Dabei ist ja der Kerbel eines der ersten Kräuter, mit denen man, noch im Winter, seinen Hunger auf Frisches stillen kann. Seine feingegliederten Blätter, die ähnlich wie Dill schmecken, regen den Fluss der Magensäfte an und tragen auf diese Weise zur Bekömmlichkeit einer Mahlzeit bei. Zur Zeit der Heuernte ist die Pflanze bereits verholzt und wird vom Vieh nicht mehr gefressen; sie gilt deshalb als Wiesenunkraut. Als Zugabe bietet der Kerbel jedoch ein merkwürdiges Farbenspiel: Während die eng in Döldchen zusammensitzenden Samen immer schwärzer werden, verändert sich die Farbe der vergehenden Stengel und Blätter in eine ganze Skala von zartvioletten und weisslichen Tönen. In bleichsüchtiger Schönheit stirbt der Kerbel dahin. Eine andere verbreitete und gefährliche Pflanze aus der Familie der Doldenblütler, die grosse Ähnlichkeit mit dem Kerbel hat, ist die Hundspetersilie. Vorsicht ist geboten. Es gibt jedoch ein untrügliches Unterscheidungsmerkmal: Kerbel duftet angenehm und charakteristisch, die Hundspetersilie aber riecht eher widerlich. Ruchgras, Anthoxanthum odoratum, Süssgräser Steinklee «Honigklee» Melilotus officinalis, Hülsenfrüchtler Kerbel «Chörblichrut, Wiesen-Kerbel, Chirbele» Anthriscus sylvestris, Doldengewächse Wer Wildpflanzen zum Kochen und Heilen sammelt, sollte nur das essen, was man wirklich ganz genau beim Namen kennt – und das gilt nicht nur für Doldenblütler: Vor Jahren starb eine Frau an einer Portion Maiglöckchen-Salat. Sie hatte die Blätter mit den (knoblauchduftenden!) des Bärlauchs verwechselt. 2. Heuduft zum Einschlafen Der Stoff, dem wir den Duft nach Heu verdanken, ist genau derselbe, der auch dem Waldmeister sein charkteristisches Aroma verleiht: das Kumarin. Leider hat sich erwiesen, dass Kumarin empfindlichen Menschen Kopfschmerzen verursacht und in grösseren Mengen und über längere Zeit auch Herz und Leber schädigen kann. Das sollte jedoch niemanden daran hindern, sich am Heuduft zu freuen, den manche Gräser nach dem Trocknen verströmen. Zwei Arten sind das vorallem – das Ruchgras und der Steinklee. Beide sind ausdauernde Pflanzen, die in vielen Wiesen vorkommen. Das Ruchgras blüht schon im April. Man kann seine ährig zusammengezogene, eiförmige Rispe gut entdecken. Während die meisten Wiesengräser im Juni zu blühen beginnen, fällt das reife Ruchgras bereits durch seine hellgelbbräunlichen Blüten auf. Die schönste Kumarinpflanze in der Wiese ist der Steinklee. Davon lassen sich Büsche ernten und drinnen trocknen. Mehrere Wochen ist das Zimmer dann von einem Heuduft erfüllt. Man kann auch ein Säckli Steinklee unters Kopfkissen legen: über Monate hat man die Illusion, man liege an einem warmen Sommerabend auf einer duftenden Wiese. Dem Einschlafen kann das förderlich sein, und gewiss ist es gefahrlos, während man auf die alten medizinischen Anwendungen des Steinklees (gegen Husten und Venenleiden) in Hinblick auf die Risiken des Kumarins besser verzichtet. 2. Der Traum von der Wiese Die Schlehe, der Schwarzdorn Die Spinnerinnen, so liest man, hätten früher auf getrockneten Schlehen gekaut, um den Speichelfluss zu fördern und die Finger, die den Faden führten, besser anfeuchten zu können. Dass sie dafür gerade Schlehen nahmen, mag ihnen auch in anderer Hinsicht von Nutzen gewesen sein: Die Inhaltsstoffe der Schlehen sollen die Abwehrkräfte des Körpers stärken und gegen Halsentzündungen und rheumatische Beschwerden wirksam sein. Der Schwarzdornstrauch im Garten steht jetzt in Blüte, das heisst er ist beladen mit einer Schaumwolke aus kleinen weissen, dicht beieinanderstehenden Blüten an den schwarzen, noch unbelaubten Zweigen. Bald treiben die zierlichen Blätter aus, und später reifen in dem dornigen, undurchdringlichen Gestrüpp die kirschenähnlichen Früchte heran; sie sind blau, hell bereift, schmecken im Herbst noch ziemlich sauer und ziehen die Mundschleimhäute zusammen, aber die ersten Fröste (oder ein Aufenthalt im Tiefkühlfach) lassen genug Zucker enstehen, um die Schlehen geniessbar und für viele Zwecke brauchbar zu machen – für Konfitüre, Schnäpse und Säfte. Die getrockneten Schwarzdornblüten ergeben übrigens einen sanft abführenden Tee, und die dicht verhakelten Zweige mit ihren langen Dornen sind ein sicherer Schutz- und Nistplatz für Vögel. 1 2 3 4 1 Knäuelgras Dactylis glomerata / 2 Kammgras Cynosurus cristatus 3 Fuchsschwanzgras Alopecurus aequalis 4 Englisches Raygras Lolium perenne Schwarzdorn «Schlehdorn, Heckendorn, Akazie» Prunus spinosa, Rosengewächse 2. Die Gräser: Kein leichtes Kapitel für das Bestimmen der Pflanzen. Das Knäuelgras ist noch leicht zu erkennen, weil es keine ähnlichen Verwandten hat, mit denen man es verwechseln könnte. Fuchsschwanzgras, Englisches Raygras, Kammgras – so weit kann ich mit dem Bestimmungsbuch noch kommen. Dann aber wird es schwierig, die Lupe muss her – und viel Geduld, um den Feinbau der Ährchen mit Hüllpelzen und Deckpelzen und Grannen zu erkunden und danach die Arten zu unterscheiden. Auf der Wiese im Garten würden sich die Gräser, selbst wenn ich sie gar nicht aussäe, bald einfinden, denn Grassamen trägt der Wind immer herbei. Ansonsten bleibt es doch ein begrenztes Leben auf dem Wiesenstück hier am Altenberg: Die Wiese, so wie ich sie träume, lebt auch von ihrer Weite, und dies nicht nur, weil sich anders das sanfte Wogen der Halmflächen (das an Wasser erinnert) gar nicht einstellen kann, sondern vor allem, weil das Leben der Wiese Spielraum braucht für Ausbreitung und Rückzug, auch für den Austausch mit benachbarten Lebensräumen, mit Hecken und Waldrändern und Ufern. Engt man das ein auf ein paar Quadratmeter, dann bleibt davon nur ein kümmerlicher Rest, bestenfalls ein Modell im verkleinerten Masstab. Also bleibe ich darauf angewiesen, dass ich vielleicht in den Bergen und in Naturschutzgebieten Wiesen finde, die noch nach alter Art «extensiv», also schonend beweidet oder regelmässig gemäht werden. Da kann sich dann, zwischen Margeriten und Schafgarben und Gundermann, wenigstens für Stunden der Traum von der Wiese erfüllen; der Traum zwischen Erde und Himmel zu liegen, die Wolken ziehen zu sehen, den Duft der Gräser zu atmen, während die Hummeln summen und die Insekten unerbittlich stechen. Es ist Ruhe in diesem Traum, Geborgenheit – aber ich kann mich auch ausgesetzt und verloren fühlen, wenn ich in der Wiese liege, und dann bleiben die segelnden Wolken plötzlich stehen und mich reisst es fort, und ich weiss nicht mehr, wo ich Halt finden kann. 2. Der gute Heinrich Der Ehrenpreis Es gibt Bücher, in denen sind alle Pflanzen aufgeführt, die hungrige Menschen oder neugierige Botaniker jemals als essbar erkannt haben. Da wird einem erst klar, einen wie grossen Teil der einheimischen Flora man essen kann: Hopfentriebe, Vogelmiere, Klatschmohnrosetten, Wegerich, Franzosenkraut, Klettensprossen – Dutzende und Aberdutzende von Arten, an deren Verzehr man vorher nicht im Traum gedacht hatte. Ich mach das Herbarium mit Beatrix zusammen, das heisst in Wirklichkeit macht sie es, und ich mache es bloss mit, jedenfalls hat es sich ergeben, dass wir bei den gemeinschaftlichen Streifzügen durch Wald und Flur meist mit mehr oder weniger dicken Bündeln Heilkräutern zurückkehrten. Das Pressen und Einkleben der Pflanzen ist eine Arbeit, die mir ziemlich fern liegt, aber ich habe begonnen, den Blick auf die Dinge zu richten, den Wesen beim Verändern zuzuschauen. So gibt es beispielsweise Pflanzen, die verändern beim Trocknen ihre Grundfarbe wenig oder gar nicht, andere scheinen sich wegen dieser Behandlung geradezu schwarz zu ärgern. Solche markante Wechsel sind ein Hinweis auf besondere Inhaltsstoffe, beim Ehrenpreis sind es u.a. die Bitter- und Gerbstoffe, die die Farbe der Pflanze beim Trocknen verändern. Von Walter Josi habe ich mir vor einigen Jahren die Anregung geholt, ein im Oberland verbreitetes (und dann meist in Massen auftretendes) «Unkraut» als Spinat zu essen. Seit ich den guten Heinrich zum ersten Mal probiert habe, ziehe ich ihn dem richtigen Spinat vor, und zwar deshalb, weil ihm der beim Spinat manchmal etwas störende «spitze» Beigeschmack gänzlich fehlt. Natürlich dreht man den guten Heinrich nicht durch den Wolf, sondern bereitet ihn als gedünstetes Blattgemüse zu; alle zarten Triebe und Blütenstände können mitgeerntet und mitgegessen werden. Wahrscheinlich gibt es kein schmackhafteres «Unkraut» als den guten Heinrich. Ehrenpreis «Europäischer Tee, Frauenlist, Katzenäuglein» Veronica officinalis, Rachenblütengewächse Guter Heinrich «Dorf-GänsefussWilder Spinat, Mischtchrut» Chenopodium bonus-henricus, Gänsefussgewächse 2. Der Ehrenpreis ist in lichten Laub- und Nadelwäldern sowie in Magerwiesen nicht selten. Seine hellvioletten Blüten tragen ein feines, für unsere Augen kaum sichtbares Strichmuster. Als Heilkraut wird der Ehrenpreis allerdings selten alleine verwendet, sondern ist meist Bestandteil von Teemischungen und Fertigarzneien gegen Husten und Bronchitis, aber auch gegen Magenverstimmungen, Leberbeschwerden und Hautjucken. Die Volksheilkunde verwendet die Pflanze als Universalheilmittel. 2. Die Eiche Da muss gleich gesagt werden, dass es die Eiche eigentlich nicht gibt, sondern über fünfhundert verschiedene Arten von Eichen, die einander in Wuchsform, Blättern, Holz und Früchten oft ganz unähnlich sind. Sie verschmelzen alle zu dem Bild in jenem Sinne, in dem das Sprichwort davon redet: dass sie stark und fest und unerschütterlich sei, mit einem Holz, von dem man im Altertum glaubte, es sei unverweslich. Unverweslich, ewig – das war der Baum auch für die alten Germanen. Die berühmteste Eiche in der deutschen Geschichte ist die Donar-Eiche bei dem hessischen Dorf Geismar, die kultische Verehrung genoss und im Jahre 725 gefällt wurde – eigenhändig, wie es heisst, von jenem heiligen Bonifazius, der die Kunde von der Gnade Gottes mit so viel gnadenloser Verwüstung von Heiligtümern unter die Leute zu bringen suchte. Das Volk soll damals in atemloser Spannung dabeigestanden haben, in der Erwartung dass Thor zurückschlagen und den Frevler vernichten werde. Zwischen der heiligen und der unheiligen Eiche dann, weithergebracht aus dem grauen Altertum, Eichenkranz und Eichenblatt als Preis für Tapferkeit und Tod in merkwürdig unterschiedsloser Verwendung: für den Handstand auf dem Barren und den Tod im Schützengraben. Dabei verdankt die Eiche ihre Verwendung als Ehrenschmuck wohl eher dem Verschliessen von Bouteillen. Für die Flaschenkorken bedarf es einer besonderen Eiche, der Kork-Eiche, die vorallem in Spanien und Portugal in grossen Wäldern kultiviert wird. Lampionblume «Blasenkirsche, Judenkirsche» Physalis franchetii, Nachtschattengewächse Stiel-Eiche «Sommereiche, Deutsche Eiche» Quercus robur, Buchengewächse Die Lampionblume Die Lampionblume ist ein Mitglied der Nachtschattenfamilie. Zuerst wurde sie nur in Gärten gehegt, später dann machte sie sich selbstständig, tauchte unvermutet irgendwo auf, ein «Gartenflüchtling», wie die Botaniker in solchen Fällen sagen, unstet und wanderfreudig. Sie versteckt sich gern im Gebüsch, turnt mit halb liegenden Zweigen zwischen anderen Stauden herum und zeigt erst im Herbst, wenn alles welkt, ihre leuchtend orangeroten Laternen. Die Lampionblume birgt keine essbaren Teile, bietet sich aber um so festlicher dar, und man kann sie ernten als Tischdekoration oder für Trockenblumensträusse: eine Sonnenfarbe, die den grauen Winter in sattem Ton übersteht. Wegen ihres Gerbstoffgehalts benutzt man die Eiche auch als Heilpflanze bei Magen- und Darmerkrankungen. Gewöhnlich weiss man nur, dass Eichelkaffee und Eichelkakao (die beide aus gerösteten Eichelfrüchten hergestellt werden) bei Durchfällen verstopfend wirken. Die Abkochung der Eichenrinde soll (wie die verschiedensten Baumrinden) auf die entzündeten Schleimhäute im Magen/Darm-Bereich wirken. Rinden sind ja nichts anderes als die Häute der Bäume, schon deshalb wirken sie auch auf die menschlichen Häute, und zwar zusammendziehend, die Säfte vermindernd. 2. 2. Liguster Gräser aller Art Der Liguster, von dem es in den Baumschulen eine einheimische und mehrere ostasiatische Arten gibt, hat unbestreitbare Vorteile: Noch im tiefsten Schatten grünt er schnell und dicht, und in milden Wintern behält er einen Teil seiner Blätter. Bei tiefen Temperaturen wächst allerdings die Gefahr, dass er teilweise wegfriert. Mit Gräser meine ich nicht etwa «Ziergräser» sondern die Fülle der Wildgräser, von denen man wenigstens ein paar Beispiele kennen sollte. Viele von ihnen sind noch allenthalben auf Wegen und Wiesen anzutreffen, viele andere gehen ihrer Ausrottung entgegen – die Ursachen ihres Sterbens braucht man nicht mehr aufzuzählen. Manche Gräser bilden Ausläufer, andere wachsen zu Horsten heran. Aus Stecklingen lässt der Liguster sich leicht vermehren und ist entsprechend billig – das ideale Gehölz für eine schnellwachsende Hecke. Ich habe mir vorgenommen, in diesem Jahr einmal nicht dauernd daran herumzuschneiden, damit sie «in Form» bleibt, sondern zu blühen beginnt. Und wer weiss? – vielleicht kommt dann der Ligusterschwärmer, saugt mit langem Rüssel Nektar aus den duftenden Blüten, legt seine Eier ab – und im August und September stehen wir dann staunend vor den riesigen grünen, weiss-violett gestreiften Raupen. 1 2 3 4 1 Nickendes Perlgras Melica nutans, Einblütiges Perlgras Melica uniflora / 2 Stachel-Segge Carex muricata / 3 Trespe Bromus / 4 Hainsimse Luzula Liguster Ligustrum vulgare, Ölbaumgewächse 2. Drei Wiesenpflanzen Wer in Büchern fahndet: nach anderer Leute Gedanken und Erfahrungen, die er noch nicht kennt, der findet Neuigkeiten, die sich zwischen Gewohntem und Gewöhnlichem verstecken. Da lese ich, zum Beispiel, in einem Gartenbuch von Michael Lohmann wie es zu dem von manchen Gartenliebhabern immer noch verbreiteten Gerücht gekommen ist, dass die kreuzblätterige Wolfsmilch gegen Wühlmäuse helfen soll. Das kam so: Von den frühen Zeiten der ersten Wiesen bis auf den heutigen Tag haben sich Dramen abgespielt, Untergänge und Siege, Eroberungen und Vertreibungen. Pflanzen, die es zuvor in Mitteleuropa nicht gegeben hatte, sind, vorallem aus dem Süden, in die offenen Wiesenlandschaften eingewandert – mit ihnen übrigens viele unserer Schmetterlinge, die erst auf den Wiesen Lebensraum und Raupenfutter fanden. Jetzt zieht sich dieses Leben wieder zurück, vertrieben und ausgerottet von einer immer härter zupackenden Agrartechnik. Düngung und Beweidung lassen kaum etwas von den bunt blühenden Wiesenpflanzen übrig, deren Bedeutung als Medizin fürs Vieh so gut wie vergessen ist. Aus den nassen Wiesen im Mittelland sind charakteristische Pflanzen wie der Schlangen-Knöterich, der Wiesen-Salbei und die Kuckucks-Lichtnelke durch Trockenlegung verschwunden. Der gute Mann hatte nämlich übersehen, dass mole auch Muttermal heisst und dass mole plant von alters her gegen Warzen und Hautflecken galt. Ob wenigstens dies zutrifft, ist eine andere Frage. Die Sage von der Wirkung gegen Wühlmäuse beruht jedenfalls auf einem banalen Übersetzungsfehler, auf den die Wühlmäuse nicht hereingefallen sind. 2 3 1 Kuckucks-Lichtnelke «Kranzrade» Lychnis flos-cuculi, Nelkengewächse 2 Schlangen-Knöterich Polygonumamphibium, Knöterichgewächse 3 Wiesen-Salbei Salvia pratensis, Lippenblütengewächse Kreuzblättrige Wolfsmilch Euphorbia lathyris, Wolfsmilchgewächse 2. Die kreuzblätterige Wolfsmilch Irgendwann fiel einem Gartenbuchschreiber auf, dass die kreuzblätterige Wolfsmilch bei den Engländern mole plant heisst: Er erinnerte sich, dass mole auf deutsch der Maulwurf ist, schloss messerscharf, dass die Pflanze Maulwürfe vertreibt, und setze noch einen drauf, indem er sie auch gegen Wühlmäuse empfahl. Damit trug er zur Steigerung der Anpflanzung von Wolfsmilch in den Gärten bei wie zur Erheiterung vieler Generationen von Wühlmäusen. 1 Reizvoll sind die Hainsimsen mit ihren weiss bewimperten Blättern, die Seggen mit höchst eigenartigen Blütenständen, die Perlgräser oder die Aufrechte Trespe, die sich dank ihrer Anpassungsfähigkeit zunehmend an Eisenbahnböschungen und Wegrändern ausbreitet. Wer solche und andere «gemeine» Gräser im Garten hat, dem wird es auch leichter fallen sie zu bestimmen, denn dazu gehört Geduld, eine gute Lupe – und fundiertes Untersuchungsmaterial: Mit ein paar welken Halmen vom Spaziergang gelingt es einem kaum, ins Reich der Gräser einzudringen. 2. Während die Wiesen immer ärmer an Arten werden, wird zugleich der Traum von der Wiese immer verlockender. Der möchte sich mancher wohl auch im eigenen Garten erfüllen. Samentütchen mit bunten Bildern gaukeln ihm vor, das sei ganz einfach. Aber eine Wiese im Garten ist wie ein Vogel im Käfig, ein isoliertes Stück Land mit ein paar bunten Blumen – wenn es mit der Aussaat überhaupt geklappt hat und wenn der Wiesengärtner zuvor das Mähen mit der Sense gelernt hat, denn der Rasenmäher muss vor dem hohen Gras versagen. Ganz abgesehen davon, dass die Wiese keineswegs das Jahr hindurch so bunt sein kann, wie es die Bilder auf den Tüten verheissen; die Wiese hat Höhepunkte und sie hat Ruhezeiten. 2. Der Schnittlauch Eisenkraut «Taubenkraut, Katzenblutkraut, Sagenkraut» Verbena officinalis, Eisenkrautgewächse Krokus «Frühlingssafran» Crocus vernus, Schwertliliengewächse Gekielter Lauch, Schnittlauch «Graslauch» Allium carinatum, Allium schoenoprasum, Zwiebelgewächse Klappertopf Rhinantus alectorolophus, Sommerwurzgewächse Der botanischen Vollständigkeit halber wäre zu erwähnen, dass die Küchenzwiebel, der Knoblauch, der Schnittlauch, der Bärlauch und der Gemüselauch zur Gattung Allium gehören. Von der Eigenart der Pflanzen wird einem vieles klar, wenn man innerhalb solcher Gattungen auf- oder absteigende Reihen macht. Beim Allium könnte man mit dem gewöhnlichen Lauch beginnen, bei dem die Stauchung der Blätter am geringsten und alles Zwiebelhafte nach oben in die Blätter gestiegen ist, die schalig ineinandergelegt bleiben; darauf folgt der Schnittlauch mit seinen sehr kleinen Zwiebeln, bei dem die Blattregion bestimmend bleibt und die Wiederholung des Gleichen im engen Nebeneinander der Individuen zum Ausdruck kommt. In der Mitte der Reihe steht dann die Küchenzwiebel mit einem ungefähren Gleichgewicht zwischen dem oberen und dem unteren Bereich. Darauf folgt der Knoblauch, der in seinen festen «Zehen» soviel Schärfe und Kraft konzentriert, dass die wenigen flachen Blätter daneben ganz unbedeutend erscheinen, und die Reihe schliesst mit dem Bärlauch, der zwar dem Knoblauch im Geruch eng verwandt ist, mit seinen breiten und weichen Blättern aber schon aus der Gattung hinauszuweisen scheint. Noch eine Fussnote zum Schnittlauch: Wo die Pflanze noch wild vorkommt – wie zum Beispiel im Naturschutzgebiet Meienried – bleibt sie eher unauffällig zwischen vielen anderen Arten. Meist aber steht der Schnittlauch in Gärten oder Töpfen, damit man ihn schneiden und wieder nachwachsen lassen kann. Oft liest man, die Blütenknospen müssten abgezwickt werden, damit sie der Pflanze keine Kraft nehmen. Wenn man sie schon abnimmt, sollte man sie aber nicht wegwerfen, sondern mit unter den Salat mischen. Noch schöner ist es aber, die Schnittlauchblüten aufgehen zu lassen und dann dem Salat beizugeben; sie schmecken etwas milder als der Lauch und erfreuen das Auge durch den ungewohnten Farbkontrast. 2. Das Eisenkraut Das Eisenkraut ist keine seltene Pflanze; man begegnet ihr an Wegrändern, dort, wo auch schon mal die Hunde ein Bein heben. Fast jeder hat sie bereits gesehen, aber wenige nur haben sie wahrgenommen, denn die winzigen, blasslila Blüten fallen kaum auf; sie sitzen an hohen, sparrigen Ähren unter den trübgrünen, oft tiefgespaltenen Blättern und lassen sich ohne weiteres in das Bild des Mauerblümchens einfügen. Wer jedoch einmal versucht hat, dieses «Unkraut» ab- oder auszureissen, wird ihm einigen Charakter zugestehen müssen. Jedenfalls wird er den Namen Eisenkraut von der Zähigkeit der Pflanze ableiten. Als Verveine officinale ist das Kraut in Drogerien und Lebensmittelgeschäften zu haben, weil es als gutes Mittel gegen Verdauungsbeschwerden gilt. Anderswärts, in Südeuropa, verspricht man sich von dem getrockneten Kraut die Vertreibung von Epilepsie, Fieber und Hautkrankheiten. Da taucht natürlich – wie auch bei anderen Pflanzen und ihrer vermuteten Wirkung – die Frage auf, ob dem guten Rat wirklich eine praktische Erfahrung zugrunde liegt oder ob da nur die menschlichen Gefühle auf die Pflanze übertragen werden, so wie man eine Zeitlang glaubte, die Gelbsucht am wirkungsvollsten mit dem gelben Saft des Schöllkrauts bekämpfen zu können. 2. Der Klappertopf Der Krokus Der Klappertopf ist auf die Nachbarschaft kräftiger Kräuter und Gräser angwiesen und könnte ohne sie gar nicht leben, weil er seine Wurzeln in die Wurzeln anderer Pflanzen treibt und aus deren Saftstrom seinen Bedarf an Wasser und Mineralien deckt. Ein Schmarotzer also, botanisch genau: ein Halbschmarotzer, weil die geraubten Nährstoffe nur einen Teil des Bedarfs decken; den Rest erzeugt der Klappertopf wie jede andere Pflanze in seinen Blättern. Ausser dem Klappertopf gibt es noch andere schmarotzende Pflanzen, die selten geworden sind – der Augentrost, der Wachtelweizen, die Zahnwurz, lauter Pflanzen, die den Zumutungen der menschlichen Feld-, Wald- und Wiesenwirtschaft nicht zu widerstehen vermochten. Man muss sich schon die Mühe machen sich dem ausgesucht Absonderlichen, dem eher Schwierigen zu widmen, wenn man sich mit all den Schmarotzern einlassen will. Sie haben etwas Unheimliches, leben von fremden Säften wie die Vampire und sind eigentlich in ihrem Anzapfen ein bisschen unmoralisch. Lebt da jemand seine Neigung zu Parasitären aus? Oder versucht er umgekehrt, seine Schwäche fürs Anzapfen durch Substitution des Objekts sozialverträglich zu machen. Reizt ihn das Unmoralische? Vielleicht ist es besser, ich rede nicht weiter darüber. Ich will nichts gegen die Krokusse sagen, doch ist mir die vielgerühmte Farbenpracht der Vorfrühlingsgärten immer ein wenig zu grell, vor allem dann, wenn die immergleichen Arten und Sorten in Reihen gepflanzt werden. Nichts ist lächerlicher als diese Gänsemarschkolonnen aus Krokus, Iris oder Hyazinthen mit viel zu grossen Abständen. Aber die «Arrangements» sind meistens auch nicht viel besser – rundliche Inseli, gleichmässig über den Boden verteilt wie ein Stickmuster auf einer Tischdecke. Ich würde dazu raten, im Mai über eine Alpwiese zu wandern; dort wachsen die Krokusse eher flächig in grossen Teppichen. Wenn die Teppiche am Blühen sind, geben sie den Wiesen mit ihren weissen und violetten Tupfer mehr Farbenklang als alle bunte Kleckserei es vermöchte. 2. 2. Baldrian «Katzenkraut, Hexenkraut» Valeriana officinalis, Baldriangewächse Nachtkerze Oenothera, Nachtkerzengewächse Die Nachtkerze Der Baldrian Im Sommer zeigt die aufblühende Nachtkerze den Abend an. Man sieht schon am späten Nachmittag, welche der Knospen heute abend aufgehen werden. Es braucht jedoch Geduld, die Entfaltung der Blüte zu beobachten: Zu einer spitzen Tüte sind die schwefelgelben Kronblätter aufgewickelt, unten zusammengehalten von dem grünen Kelch. Das Aufblühen erfolgt, indem sich bestimmte Zellen der Kronblätter ganz langsam mit Wasser füllen und dadurch, wie mit sich reckenden Gelenken, die Blätter nötigen, sich zu entrollen. Das dauert etwa eine Stunde. Wenn man sich vor die Blüte setzt und genau hinsieht, kann man den Vorgang nach Bruchteilen von Millimetern verfolgen, man sieht, wie die zarten Blätter sich zuerst an der Spitze voneinander lösen und dann immer weiter nach aussen umlegen, bis schliesslich die grosse offene Nachtkerzenblüte dem Beobachter entgegenleuchtet. Morgen, in der Vormittagssonne, wird sie schon wieder wegwelken. Nicht nur Äpfel werden im September geerntet, sondern noch vieles andere, zum Beispiel: die Wurzeln des Baldrians, aus denen man einen Tee kochen kann, der gut bei nervösen Erregungszuständen, Schlafstörungen und nervösen Magen- und Darmbeschwerden wirkt. 2. Die Winde Die Blätter der Rauke riechen eindeutig nach angebranntem Schweinefleisch mit kohlrabenschwarzer Kruste, ehrlich gesagt: Sie stinken. So etwas pflegen die Biologen als «Frasschutz» zu deuten. Ich stelle mir also vor, dass die Rauke etwas dagegen hatte, von den Menschen gegessen zu werden, und sich deshalb geruchsmässig tarnte. Ja, ja, die Zaunwinde. Sie ist eine Schönheit, eine wohlgelaunte Schönheit mit eleganten, scheinbar liebkosend umschlingenden Bewegungen, welche Goethe als Verkörperung des weiblichen Prinzips der Bedürftigkeit beschrieben hat. Die Rauke wächst überall; sie verbreitet sich als ordinäres Unkraut auch hier im Gras der städtischen Vorgartenwiese. Ich lasse immer ein paar Pflanzen irgendwo stehen. Buchtig gezähnt sind diese Blätter, trübgelb die Blüten, die erst von nahem ihre eigenartige Schönheit erkennen lassen: vier löffelartige Kronblätter, die von feinen violetten Adern durchzogen sind. Weg-Rauke «Rucola» Eruca sativa, Kreuzblütengewächse 2. Die Rauke Der Trick hat ihr aber nichts genützt: In den Mittelmeerländern, wo sie eigentlich zu Hause ist, ist man ihr schon vor dreitausend Jahren drauf gekommen, dass sie vorzüglich schmeckt, als Gemüse so gut wie als reichlich Zugabe zum Kopfsalat, der mit ihr verglichen geradezu fad schmeckt. Die Italiener schätzen die Rauke als Ruccola, die Österreicher kennen sie als Rickelsalat, und vor zweitausend Jahren hat der Ackerbauschriftsteller Columella von ihr geschrieben, dass sie die trägen Eheleute zur Liebe anstachelt. Ein Aphrodisiakum also, ein Liebessalat, ein Leidenschaftsgemüse! Aber das kann ja nicht der Grund sein, warum sie in den Heilpflanzenbüchern heute nicht mehr vorkommt. Zaunwinde Cajystegia sepium, Windengewächse Der Baldrian wächst häufig an schattigen Orten, allerdings braucht er etwas Feuchte, um seine Schönheit zu entfalten. Und dass Katzen auf Baldrian stehen kann jeder selber überprüfen: es funktioniert immer. Der Geruch wirkt auf Kätzinnen und Kater erregend und macht sie ausgesprochen geil. Daher nennt man den Baldrian auch Katzenkraut. Bei den Menschen hingegen gehen die Meinungen auseinander, ob der Baldrian nun angenehm duftet oder ganz abscheulich. Solche Zu- und Abneigungen können kaum sozial erlernt sein; sie hängen einerseits mit ganz tiefen Schichten unserer biologischen Natur zusammen, mit wortlosem Empfinden und gemeinschaftlichem Erleben, anderseits mit individuellen Erfahrungen und Erinnerungen, die sich mit Düften verbunden haben. 2. Bedürftigkeit. Ha! Und nochmals Ha! Die Stengel verdrehen sich zu zähen Seilen, kreuzen sich zu Netzen, ersticken alles Flache unter einer Blätterdecke, bezwingen das Höhere mit Leichtigkeit, indem sie es unerbittlich zu Boden biegen oder sich daran hochschrauben, Vorhänge weben, schwere Portieren, hinter denen ganze Sträucher stumm den Erstickungstod erleiden. Diesen schmählichen Untergang des männlichen Prinzips hat Goethe übersehen, als er die Vegetation der Winde geschlechtsspezifisch deutete. Wenig Trost liegt darin, dass ein Tee aus Windenkraut abführend wirkt: So viel kann ich gar nicht trinken, wie ich mit den Winden im Garten abführen könnte. Zupfen und Rupfen kann der Winde nichts anhaben. Sie antwortet darauf mit doppelt freudigem Wachstum. Darin ist sie dem Giersch ähnlich, auch dem Schöllkraut – und dem arglistigen Gundermann, der so zart und lieb tut aber so gnadenlos zäh ist. Ich will mich nicht beklagen. Es ist immer noch besser im Garten mit Gundermann und Windenfrau zu kämpfen, als eine Todeslandschaft mit Beton und Plastik zu kultivieren. 2. Der Vogel-Knöterich Der Attich Wenn eine Strasse verkehrsberuhigt oder den Fussgängern nur ein wenig breitere Ritzen zwischen den Pflastersteinen zugestanden werden, da treten auf jeden Fall verschiedene Pflanzen auf, und eine, die zuerst kommt, ist der Vogel-Knöterich. Flach kriechen seine gegliederten Stengel am Boden, weit greifen sie aus. Und sie sind ausserdem so zäh, dass man die Art bei uns auch Eisenkraut nennt. Es gibt Menschen, die reagieren auf den eigenartigen Geruch der Blüten und Beeren des Schwarzen Holunders mit Abscheu, gar mit spontanem Brechreiz. Ihnen schmeckt weder die köstliche Holundersuppe noch die Holderküchlein oder der Holderschnaps. Dabei hat der Vogel-Knöterich gar kein spektakuläres Erscheinungsbild. Die Blätter sind klein, die Blüten winzig. Sie riechen nicht, sie haben keinen Nektar. Und selbst ihre Krone zeigt das gleiche einfache Grün wie das Laub. Immerhin leistet sie sich die Laune eines zartrosa gesäumten Rands. Dafür blüht die Art bis in den November hinein. Und wenn sich dann mitten im Winter ein paar Stadttauben oder –spatzen um das spärliche Futter balgen, dann könnten ihre Streitobjekte sehr wohl die Früchte des Vogel-Knöterichs sein. Attich «Zwergholunder, Stinkholder» Sambucus ebulus, Mosachuskrautgewächse Vogel-Knöterich «Eisenkraut» Polygonum aviculare, Knöterichgewächse 2. Arnika «Berg-Wohlverleih» Arnica montana, Korbblütengewächse Ein volkstümlicher Name für den Attich lautet Stinkholder – und ist voll berechtigt, zumal der schmutzig-faulige Geruch die Eigenschaft hat, besonders lange haltbar zu sein. Viele andere Stinkpflanzen verfliegen schnell, aber die getrockneten Blätter des Attichs stinken im Herbarium noch nach Jahren fast wie am ersten Tag. Der Geruch soll Mäuse vertreiben; wenn das zutrifft, könnte es daran liegen, dass er dem Geruch von toten Mäusen täuschend ähnlich ist. 2. Die Arnika Der Buchs Ein Blick in ihre Geschichte zeigt, dass die Erde nie ein Garten Eden gewesen ist, wo vollkommene Gewächse auf immer blühen und gedeihen. Sie ist ein Ort des Wandels. Im Laufe der Jahrmillionen sind immer wieder Pflanzenarten ausgestorben und neue entstanden. Gegenwärtig aber erleidet das Leben auf unserem Planeten eine ungewöhnliche Phase des Verschwindens und der Zerstörung. Diese vernichtende Kraft steigert sich ständig. Zum Beispiel blühten bei uns noch Mitte des letzten Jahrhunderts die meisten Wiesen kunterbunt. Heute sind viele Pflanzen selten geworden; sie stehen unter Naturschutz und es besteht strenges Sammelverbot. Vom Buchs gibt es zwei Formen. Die eine bleibt immer zwergig und wird deshalb von alters her als Einfassungspflanze verwendet, die andere wächst, wenn auch langsam, zu dichten, kräftigen Büschen heran, die sehr alt und bizarr werden können. Der Buchs ist eine alte Pflanze der Bauerngärten und unter den Immergrünen der grösste Überlebenskünstler: Er verträgt Schatten und Trockenheit, gedeiht ebensogut in der prallen Sonne, lässt sich jederzeit umpflanzen und kann nach belieben gestutzt und geschnitten werden – zu glatten Hecken oder zu jenen dekorativen Kugeln und Figuren, von denen die Buchshecken der Parks und Bauerngärten früher oft gekrönt waren. Im März und April verströmen die unscheinbaren Blüten einen Duft, der mir honigartig vorkommt, während Frider Plenzat in seinem Buch «Duftende Pflanzen» ihn als «zart lilienhaft mit bitter-aromatischem Beigeruch» bezeichnet – jedenfalls lockt er unzählige Insekten an: Ehe man überhaupt sieht, dass der Buchs blüht, hört man es am Summen. So muss ich gestehen, während einigen Jahren immer wieder Bergarnikablüten gepflückt zu haben, in dem was ich damals für eine freie Naturlandschaft hielt oder richtiger: was ich dafür zu halten mir vorgab. In einem geschlossenen Glas liess ich die leuchtendgelben Blütenköpfe mit Alkohol zur Arnikatinktur extrahieren, womit ich mir regelmässig die müden Füsse einrieb. Wie zum Beweis, das Unrecht nicht gedeiht, bekam ich davon Hautausschläge, wobei allerdings um das moralisierende Sprichwort zu strafen, die Muskelschmerzen in den Beinen verschwanden. Inzwischen ziehe ich es vor, den Bedarf nach Arnikablüten durch das Kräuterhaus abzudecken. Die getrockneten, aus einer Züchtung stammenden, Wiesenarnikablüten sind ebenfalls als Heilpflanze anerkannt. Inhaltsstoffe und Wirkung sind der Bergarnika ähnlich, zudem haben sie ein niederigeres Allergiepotential. Buchsbaum «Buchs» Buxus sempervirens, gewächse Hier haben wir es wohl mit einer rein physischen, also durch eine unterschiedeliche Empfindlichkeit in der Riechschleimhaut bedingten Abneigung zu tun. Und genau diese Duftnote ist bei einer anderen Holunder-Art, dem Attich oder Zwerg-Holunder ins wirklich Stinkende gesteigert. 2. 2.