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REPORTAGE
Marlin
Cup
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boote 2/09
Hochseetaugliche
Sportanglerboote
fristen hierzulande
eher ein Schattendasein. Auf den Kanaren
ist das anders. Dort
gehen zwischen Mai
und September teils
bis hundert meist perfekt ausgerüstete
dicke Pötte auf die
Jagd nach einer kapitalen Raubfischart
namens Marlin.
N
Auch bei „schwerer
See“: Hoffen auf einen
Biss. Die kleinen Bilder
oben zeigen, dass eine
Beute wie ein Marlin die
ganze Kraft des Anglers
erfordert, unten die
engagierte Angelgemeinschaft.
ach fast fünf Stunden
auf See passiert es endlich.„Maschine stopp!“,
schreit Vincente Guerra seinem
Bruder Antonio vom Achterdeck aus zu. Blitzschnell bringt
der 43-Jährige die Kupplung
seiner überdimensionalen Angelrolle auf die Position „manuell“. Der Grund: Ein kapitaler
Biss hatte kurz zuvor mit lautem Surren den automatischen
Abspulmodus ausgelöst. Ein
Blauer Marlin,schätzungsweise
fast 250 Kilo schwer, hängt am
anderen Ende der Leine und
kämpft mit aller Kraft um sein
Leben.Jetzt kommt alles darauf
an,nur keine Fehler zu machen.
Weder beim Drill, dem intervallartigen Einholen der Angelsehne,noch beim Manövrieren
mit dem Boot. Mit bis zu 40 Kilo zerrt der schwertfischartige
Meeresbewohner an der geflochtenen gelben HightechSehne.
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REPORTAGE
Skipper Antonio hat seine
10,80 Meter lange Bénéteau Antares in langsame Rückwärtsfahrt gebracht, immer bemüht,
die Schiffsbewegungen dem
Bewegungsdrang der Beute anzupassen.Vincente,durchstählter, braun gebrannter Sportlertyp, hat die nur 1,70 Meter
lange, dafür aber aus achtzehn
Lagen Karbon gebackene Rute
jetzt im Fußhalter des „Fighting
Chair“ verankert und reißt mit
Ganz oben: Eilig geht’s
hinaus. Mitte links: Pascual
Duran aus Barcelona ist
stets dabei. Links: typische
Convertibles mit Tower.
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seinem muskulösen linken
Oberarm am Rohr, sobald er
spürt, dass der Zug darauf etwas nachlässt.Den rechten Arm
braucht er für die Rolle, denn
trotz eines für Hobbyangler
gigantisch anmutenden Hebels
ist jede Aufholumdrehung bei
diesem dicken Brocken hier
Schwerstarbeit.Deshalb springt
ihm sicherheitshalber auch Miguel, unser dritter Sportangler
an Bord, bei, indem er den Spezialsitz von hinten mit seinem
ganzen Körpergewicht niederhält. Miguel hat aber noch einen anderen Job. Schließlich
sind wir hier draußen vor der
Ostküste Fuerteventuras nicht
auf einem Privatangeltrip, son-
So fängt man große Fische: An Bord der „Gran Valle“ befinden sich amerikanische Edelruten im Wert von mehreren Tausend Euro.
dern beim „Marlin Cup Marina
Rubicon“, einem offiziellen
Sportangelwettkampf, der für
die nationale spanische Meisterschaft zählt und der deshalb
ganz bestimmten Wettkampfregeln unterliegt.Diese besagen
zuallererst: „Möglichst kein toter Fang!“ Früher wurden die
gefangenen und getöteten Fische wie bei einer Großwildjagd nach Ende des Wettkampfs
im Hafen ausgestellt und ihr
Fleisch entweder verschenkt
oder für wohltätige Zwecke versteigert.Mittlerweile ist die Spezies der Segel- oder Speerfische,
zu der Marline gehören, immer
seltener. Deshalb befolgt der
spanische Ableger der interna-
tionalen „Billfish Foundation“
seit 2008 neue Regelungen.Diese schreiben vor, die Beute so
nahe ans Boot zu pullen, dass
ein Foto gemacht werden kann.
Anhand der Fotos identifiziert
dann später ein Wettkampfgericht,um welche Marlinart es
sich beim Fang handelt.
Miguel muss deshalb einen
Moment lang Vincente allein
lassen und in den Salon sprinten, um eine kleine Einmalknipse vom Kartentisch zu holen. Außerdem muss er mitten
im Getümmel auch noch per
Seefunk Kontakt zur Wettkampfleitung an Land aufnehmen,um zu klären,welchen der
fünf vornummerierten Brief-
Neue Regeln:
fangen und
fotografieren,
aber nicht töten
umschläge er beim Foto-Shooting vor den Fisch halten soll.
Die hübsch mit Sponsorlogos
verzierten Umschläge dienen
als zusätzliche Sicherheit, um
Manipulationen beim Kampf
um die hohen Geld- und Sachpreise auszuschließen. Immerhin geht es um einen Hauptpreis von 30 000 Euro. Den
gewinnt diejenige maximal
sechs Personen starke Crew,die
es an zwei Tagen schafft, mindestens fünf Blaue Marline
zu fangen. Ein sinnigerweise
weißes Saab-Cabrio winkt hingegen als zweithöchster Preis
für den Fang von fünf Weißen
Marlinen, einer sehr viel kleineren Unterart. Sollte keines
der insgesamt 51 gestarteten
Boote das schaffen, winkt als
Sonderpreis noch eine Reise ins
Marlin-Paradies Mexiko, wo
alljährlich Ende Mai in Cabo de
San Lucas die Weltmeisterschaften stattfinden. Das, was
die „Alde Baran“-Crew aus Las
Palmas gerade am Haken hat,
ist deshalb der Traum aller, die
seit neun Uhr morgens vor den
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REPORTAGE
Laut Greenpeace sind
von den großen Fischen,
zu denen auch der Marlin
gehört, seit Beginn der
industriellen Fischerei in
den 1950er-Jahren 90 %
der Bestände vernichtet.
„Cup“-Marline hingegen
werden nah ans Boot
gepullt und fotografiert.
Das war’s dann auch.
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Von links nach rechts:Titos Angelkumpel Juan Montenegro. – Shimano baut nicht nur Fahrradzubehör. – Tito Mesa auf seiner 50er-Bertram.
FOTO: ISTOCKPHOTO/CHRIS PENDLETON
Samt Haken und
Plastikköder
entkommt die
Beute im Ozean
gentümlichen Flossenkamm
auf dem Rücken aus dem Meer
steigen und sofort wieder dorthin zurückklatschen. Das alles
hat nur Sekunden gedauert,
aber gereicht,um auch mich ins
Fangfieber zu versetzen. Ich
male mir schon aus, wie das
Ungetüm sich wohl in Bootsnähe benehmen würde,als Vincente plötzlich am Heck steht
und einen langen spanischen
Fluch ausstößt. Die Rute hat er
jetzt wie einen Speer gereckt, er
sieht in dieser Pose aus wie ein
altertümlicher Krieger. Plastikköder,Haken und Beute sind
in den Tiefen des Atlantiks östlich Fuerteventuras verschwunden, die 80-pounds-Leine gerissen. Warum, wieso? Das
werden wir wohl nie erfahren!
„Ich hätte auch diese Sehne vor
dem Turnier austauschen müssen“, sagt Antonio, bringt die
Convertible wieder auf Kurs
und informiert die Wettkampfleitung lapidar mit „Fang
um 13.38 Uhr verloren“.
Dann machen wir mit der
Bénéteau wieder das, was wir
nach der kurzen,schnellen Ausfahrt aus „Marina Rubicon“ bereits seit den Morgenstunden
getan haben: Wir ziehen mit
fünf bis sechs Meilen Speed vier
Schnüre hinter uns her, die teilweise an „Outriggers“ genannten Teleskopauslegern befestigt
sind. Einige der bunten Plastikköder sieht man vom für
Fishermans oder Convertibles
charakteristischen hohen Steuerstand aus übers Wasser rutschen. Die grellbunten stets
ausgefransten Kunstköder hängen in Abständen zwischen 20
und 40 Metern hinter dem
Boot. Zwei der bis zu 40 Euro
teuren Stücke hat Antonio so
eingestellt, dass sie in einigen
Metern Tiefe laufen.
„Die Marline jagen hauptsächlich zwischen null und 30
Metern Wassertiefe“, weiß der
studierte Apotheker. Bei der
Jagd an der Wasseroberfläche
würden sie ähnlich Forellen ihre Beute im Sprung erhaschen
und dabei zugleich verschlingen. Um ihre bis zu 750 Kilo-
gramm schweren Körper überhaupt aus dem Wasser zu bekommen, müssen die Tiere
vorher ungeheuer stark beschleunigen. Mit einer Geschwindigkeit bis zu 100 km/h
gehören die Marline zu den
schnellsten Schwimmern überhaupt, werde ich später vom
amerikanischen Fischereibiologen William Boyce erfahren,
der als Turnierrichter auf die
Kanaren gekommen ist.
„Es ist das schönste Angeln,
was du dir überhaupt vorstel-
len kannst“, sagt Vincente,
nachdem er durch erfolgreiches
Adrenalinmanagement wieder
zur Ruhe gekommen ist, und
fügt dann hinzu „aber ohne
Fisch ist es stinklangweilig!“
Immerhin kann sich die dreiköpfige Crew auf der vergleichsweise kleinen „Alde Baran“ damit trösten, dass es
außer ihnen nur neun Booten
überhaupt am ersten Wettkampftag gelungen ist,etwas an
den Haken zu bekommen. Davon hat über die Hälfte den
FISCH UND CUP-REVIER
Der Marlin ist ein kräftiger Raubfisch und gehört zu den Fächer- und Speeroder Segelfischen. Er besitzt einen torpedoförmigen Körper mit einer hohen, segelartigen ersten Rückenflosse, langen, schmalen Brustflossen und
einer sichelförmigen Schwanzflosse. Bei der Verfolgung seiner Beute erreicht ein Blauer Marlin Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 100 km/h und
ist damit einer der schnellsten Fische der Welt. Marline (weibliche Tiere)
können bis zu 750 kg schwer werden. Sie sind in den warmen, gemäßigten,
subtropischen und tropischen Zonen der Weltmeere heimisch.
LANZAROTE
Arrecife
El Golfo
Puerto Calero
Marina Rubicón
Punta Papagayo
Straße von La Bocaina
Playa Blanca
I S L A D E LO S LO B O S
FUERTEVENTURA
0
15 sm
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KARTE: HEINZ HUCHTMANN
Küsten Lanzarotes und Fuerteventuras auf Fang hoffen.
Genau tausend Punkte
brächte der kapitale Bursche,
der sich jetzt schon fast zehn
Minuten lang mehr oder weniger erfolgreich zur Wehr setzt
und dabei den athletischen
Vincente ganz schön ins
Schwitzen bringt. „Sieh mal,
dort springt er“, schreit mir
Vincente zu,nickt dabei nur mit
dem Kopf in die ungefähre
Richtung. Tatsächlich sehe ich,
etwa dreißig Meter über die
Backbordheckkante gepeilt,ein
blaugraues Etwas mit einem ei-
REPORTAGE
Jede Crew muss
die Koordinaten
ihrer Fangstelle
per Funk melden
Convertibles sind seetüchtig und bei Bedarf richtig schnell. Manche der 12 bis 26 Meter langen Boote
ragen mit drei Etagen in den Himmel.
Fang nach kurzem Kampf wieder verloren.„Beim Marlin Cup
gibt es nie viel Fisch“, weiß Antonio. Er hatte diesmal Glück,
seinen Freunden von der „Pura
Vida“ gefolgt zu sein. Deren
Entscheidung, Richtung „Las
Tetas“ („Die Brüste“) zu fahren,
brachte schon nach gut zwei
Stunden den ersten Fang des
Turniers.Antonio,der zunächst
auf Südkurs parallel zur Küste
Fuerteventuras war, schwenkte
kurz entschlossen um,als er per
Handy vom Fangglück der
Freunde erfuhr. Nach unse-
rem missglückten Fangversuch
kreuzen jetzt sieben weitere
Boote an der Stelle mit dem
charakteristischen Namen. Sie
liegt ungefähr acht Meilen vor
der Ostküste Fuerteventuras.
Zwei Unterwasserberge steigen
hier aus tausend Metern Tiefe
fast bis zur Oberfläche empor.
Auf Turnieren sei das immer
so, weiß Vincente. Wenn es irgendwo einen Biss gibt,eilen alle Boote,die sich in der näheren
Umgebung befinden, meist in
kürzester Zeit zur Fangstelle.
Dafür gibt es zwei Gründe. Ers-
„Schweres Wetter“ am ersten Turniertag: Eine Riviera stampft im
kanarischen Starkregen voran.
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tens: Laut Reglement müssen
die Crews ihre Position im Moment des Fangs per Funk der
Wettfahrtleitung bekannt geben. Zweitens: Marline kommen häufig in Kleingruppen
vor. Die vom Körperumfang
her größeren Marlinweibchen
werden dann von mehreren
Männchen eskortiert. So besteht immer die Hoffnung, dass
weiterer Fang in der Nähe ist,
wenn es zu einem ersten Anhaken kommt. Bis zum späten
Nachmittag ist das auf der
„Alde Baran“ leider nicht mehr
der Fall. Außer einem Delfin,
der neugierig das Boot umkreist, haben wir keinen weiteren Kontakt mit den Meeresbewohnern.
Langweilig ist es deswegen
keineswegs. Schon unmittelbar
nach dem Start hatte ein heftiges Unwetter mit Starkregen für
Kurzweil gesorgt. Intensive Gespräche über Boote und Revier
mit den liebenswürdigen Jungs
aus Las Palmas lassen jetzt auch
den Nachmittag nicht lang werden. Bei Bier und Bocadillos –
belegten Broten,die auf keinem
spanischen Ausflug fehlen dürfen – erfahre ich, dass Antonio
während der Saison fast jedes
zweite Wochenende mit seiner
Bénéteau im gesamten kanarischen Archipel für einen Kurzurlaub unterwegs ist,um an den
verschiedenen Turnieren der
„Marlin-Liga“ teilzunehmen.
Jetzt im September ist Hauptkampfzeit. Er selbst, sein Bruder und Miguel haben ihren
Resturlaub dazu benutzt, fast
Die Ruhe nach dem Sturm: friedliche Abendstimmung im Hafen der
„Marina Rubicon“.
REPORTAGE
Viel Fisch, viel Ehr’: Der „Bordmacho“ und unverbesserliche Optimist René beim Einstellen der Fangleinen auf der „Gran Valle“.
Aufgeben gilt nicht bei der Raubfischjagd.
14 Tage auf ihrem 10,80 m langen schwimmenden Zuhause
zu verbringen. Mit „angeln, essen und Spaß haben“, wie es
Vincente mit einem breiten
Lächeln ausdrückt.
Im Winter hingegen verbringt Antonio, der beruflich
viel unterwegs ist, ebenfalls so
manche Stunde an Bord. „Wer
das Bootfahren liebt,sollte auch
den Schraubenzieher mögen“,
lautet dabei sein Motto. Besonders stolz ist der 45-Jährige auf
seinen selbst ausgebauten oberen Steuerstand. Über die erhöhten Steuerstände der Convertibles hat er sich so seine
Gedanken gemacht: Eigentlich
sei es doch merkwürdig. „In
den USA gilt der untere Steuerstand als Extra, in Europa ist es
das Entfernen desselben. Meinen habe ich eigenhändig entfernt und den Platz als zusätzliches Staufach genutzt“, sagt er.
Richtig viel Arbeit sei aber
der Einbau einer wetterfesten
Dachkonstruktion gewesen.Serienmäßig habe da die Bénéteau mit ihrem halb offenen
Stoffverdeck nicht so viel zu
bieten.„Nach der zweiten Überfahrt von Gran Canaria nach
Lanzarote bei Sturm habe ich
mir geschworen: So nass wirst
du nie wieder!“, lacht Antonio
rückblickend. Mithilfe eines
Schlossers hat er sich eine praktisch vollständig dichte Kuchenbude aufs Dach gezaubert.
„GFK habe ich aus Gewichtsgründen nur für die Instrumentenkonsole benutzt“,so der
Das Logbuch des Marlin Cup: Hier wird von der Wettkampfleitung
jedes Detail protokolliert.
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begeisterte Freizeitbastler. Solches „Customizing“ sieht man
auch auf anderen Gefährten.
Meist stammen die selbst veredelten Boote aus europäischer
Produktion, neben Bénéteau
Antares sieht man spanische
Astinors und Rodmans, daneben noch ein paar australische
Rivieras.
Auf amerikanischen Yachten
muss meist nicht mehr viel zusätzlich an- oder umgeschraubt
werden, wie mir am zweiten Wettkampftag mein neuer
Skipper Tito Mesa erzählt. Der
Autohändler aus Lanzarote
fährt für einen Sportangler puren Luxus, nämlich eine Bertram 50.Von Rutenhalterbatterien, die an einen mittleren
russischen Raketenwerfer erinnern,bis zu eigenen Kühlboxen
oder Spülbecken im riesigen
Heckcockpit ist hier an alles
gedacht, was zum gehobenen
Sportfischen dazugehört. „Auf
meiner ,Gran Valle‘ habe ich
nur ein paar zusätzliche Instrumente eingebaut“, sagt der
53-Jährige.
Ob es mit dem neuen Riesendampfer mehr Fang gibt als
gestern, wird sich heute aber
erst noch zeigen müssen.
Zunächst geht es mit zweimal
850 PS starken MAN-Dieseln
mit Karacho und 28 Knoten aus
dem Hafen. Am Turniertag
zwei macht das bei strahlendem
Sonnenschein richtig Spaß.Die
fast 20 Boote, die mit uns
zusammen die Route an die
Westküste Lanzarotes nehmen,
scheinen das genauso zu sehen.
Immer wieder zeigen sich die
Machoskipper gegenseitig das
Heck beziehungsweise die
Heckwelle. Nach fast fünf Meilen schneller Marschfahrt, die
Tito mit dem Spruch „Sonst
würden meine 20 Liter Motoröl nie warm“ kommentiert,
nähern wir uns dem Zielgebiet
etwa drei Meilen westlich des
Dorfes El Golfo. Es liegt am
Rande einer langen Lava-
schleppe zu Füßen des Vulkangebirges Timanfaya, einer
weltberühmten Touristenattraktion.
Doch die sechsköpfige „Gran
Valle“-Crew hat keine Augen
für die wunderbare Vulkanlandschaft. Schließlich geht es
hier um Fisch und für den
Bordmacho René um noch viel
mehr: nämlich um die Ehre.
„Heute machen wir sie alle nass
und ziehen ein paar richtig
dicke Brocken raus,das wirst du
noch sehen“, schreit er mir im
Fahrtwind zu.Auch Tito ist zuversichtlich. Gestern habe er
hier ein paar Thunfische gesehen. Mit einer bestechenden
Logik erklärt er mir,warum das
ein gutes Zeichen sei. „Die
Thunfische fressen kleinere Fische,genau wie die Marline.Also werden auch die hier irgend-
Schluss mit nass:
eine völlig dichte
Kuchenbude aufs
Dach gezaubert
wann auftauchen“, so der
gemütliche Schnurrbartträger.
Zunächst taucht aber erstmal
ein ganz anderes Kaliber auf:
ein Grindwal, der von einem
rotweißen Fischerboot verfolgt
wird. Auch auf fast 150 Metern
Entfernung ist sein Blas bei dem
exzellenten Licht gut zu erkennen. Die Fischer seien allerdings nicht hinter dem Wal her,
sondern wie er hinter dem
Kleinfisch,erklärt man mir.Wir
scheinen an einer fischreichen
Stelle angelangt. Vielleicht ein
sogenannter „warm spot“. Das
sind Stellen, an denen das
Oberflächenwasser bis zu vier
Grad wärmer als das des umgebenden Meeres ist. Die Temperaturfühler der „Gran Valle“
REPORTAGE
Im „Rutenwald“: Bei über 50 teilnehmenden Yachten fällt es nicht leicht, den Überblick zu behalten. Am
Steg ziehen die voll ausgerüsteten „Freizeit-Fangschiffe“ neugierige Blicke auf sich.
zeigen 22,9 °C Wassertemperatur an.
Tito könnte jetzt herausfinden, ob das eine Meile weiter
immer noch so ist:Wie ein Bauer beim Pflügen eines Riesenfeldes fräst er immer wieder
lange Rechtecke ins Tiefblau des
Atlantiks.„Mein Sohn Antonio
wäre dafür jetzt der Richtige“,
seufzt Tito. Der Sohn ist angehender Meeresbiologe und
selbst begeisterter Sportfischer.
Und kennt sich bestens mit Lebensräumen und Verhalten von
Marlinen aus. Auf einem klei-
nen Vortrag am Eröffnungsabend hat er den anwesenden
Sportanglern die „warm spot“Hypothese vorgetragen.Die besagt, dass im Ostatlantik in den
bezeichneten Warmwasserfeldern fast immer ein höheres
Nahrungsangebot besteht und
Marline folglich dort am liebsten jagen.
Alles graue Theorie! Heute
scheinen weder eine millionenteure Yacht mit sechs an riesigen
Outriggern ausgelegten Langleinen noch exzellente Revierkenntnis auszureichen, um ei-
Der Imbiss fällt natürlich maritim aus: schnell gezaubertes
„Thunfisch-Sushi“ an Bord der „Gran Valle“.
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nen der Könige des Meeres an
den Haken zu bekommen.
Fisch gibt es aber dennoch. Um
Punkt 12 Uhr holt nämlich Tito ein großes Stück tiefgefrorenen Roten Thunfisch aus einer
der riesigen Kühlboxen und
legt es zum Auftauchen in die
pralle Mittagssonne. Gegen
14 Uhr sind aus dem Eisblock
Dutzende hauchzarter Sushihäppchen geworden, die
Tito in einer „Spezialsoße“ mit
starker Sojanote auffährt. Bei
Weißbrothäppchen, eiskaltem
Bier und dem Sushi lässt es sich
trotz fehlenden Fangerfolgs leben. Zumal mit selbst gesammelten Kaktusfeigen noch ein
wunderbarer Nachtisch folgt.
Der exzellente Imbiss hebt die
Kampfmoral. Nicht nur René
ist weiterhin felsenfest davon überzeugt, dass in den
knapp zweieinhalb verbleibenden Stunden des Turniers
„noch etwas geht“.
Wie die Hühner auf der Stange hängt die Mannschaft an der
Reling der Flybridge. Während
alle aufs Wasser starren, macht
man sich gegenseitig Mut.Erinnerungen an tolle Boote und
große Taten werden aus dem
Gedächtnis gekramt.„Wisst ihr
noch, wie wir in La Gomera an
zwei Tagen fast sechs Blaue
rausgeholt haben?“, fragt Tito
seinen Bootsmann Juan. „Ja
und Kumar mit seiner ,Viking
74‘ hatte fast nichts bekommen!“, bestätigt der mit leuchtenden Augen. Und überhaupt:
Beim Juliturnier in Gomera
gäbe es fast immer am meisten
zu holen.Davon und von einem
absoluten Megaturnier in Gran
Tarajal auf Fuerteventura mit
alljährlich bis zu 112 Booten
hatte mir schon Vincente berichtet.
Hier auf Lanzarote ist hingegen Schmalkost angesagt.Auch
dicht übers Wasser fliegende
Pardelas (Sturmtaucher), denen wir folgen, weil sie laut Tito „ein guter Indikator“ seien,
bringen uns keinen Fang. Immerhin erfahren wir gegen
16.40 Uhr über Funk, dass es
nur knapp eine halbe Meile von
uns entfernt einen Biss gegeben
hat. Ein vielstimmiger Radiochor auf VHF-Kanal 72 folgt
dem Ereignis auf der „Pasonales“, die jetzt nach offiziellen
Regeln noch bis 19.00 Uhr Zeit
hat, den Fang anzulanden.
Wir hingegen nähern uns
schon viel früher der schräg
versetzten Hafeneinfahrt von
Marina Rubicon, nämlich gegen 17.15 Uhr. Fuerteventura,
auf der anderen Seite der Meeresenge La Bocaina genau gegenüber gelegen,scheint im beginnenden Abendrot nur einen
Steinwurf entfernt. Doch an
Bord bleibt nicht viel Zeit für
Panoramablicke, im Zickzack
geht es um die Tankstelle herum an unseren Schwimmsteg.
Es ist der „Pantalan H“, hier
liegen die ganz dicken Pötte.
Eigentlich wäre „ganz hohen
Pötte“ passender,denn manche
der 12 bis 26 Meter langen Convertibles ragen mit drei Etagen
in den Abendhimmel. Ganz
oben, auf dem „Tuna-Tower“,
hat man Fallhöhen wie vom
NEU
New
Zehner im Freischwimmbad.
Bei den angelversessenen „Canarios“, wie sich die Bewohner
des Archipels nennen, kommt
derlei gut an. Ganze Großfamilien flankieren um die Boote,
die zumeist amerikanischer
Provenienz sind. Solche Luhrs,
Bertrams, Hatteras und die
schon zitierte Viking 74 eines
lokalen Pizza-Magnaten als
größtes Boot der Flottille sucht
man sonstwo in Europa meist
vergebens. Hier dagegen, wo
fast jeder einen Groß- oder Urgroßvater hat, der von Schiffsplanken aus seine Familie mit
Leinen oder Schleppnetz versorgte, gehören sie also hin,
die rauwassertauglichen Yachten mit steiler Aufkimmung im
tiefen V-Spant.
Selbst die kalifornische
Sportfischerlegende William
Boyce ist da beeindruckt.„Von
„Tuna-Tower“:
Fallhöhen wie
vom Zehner im
Schwimmbad
den Booten her könnte das
auch bei uns sein“, meint der
48-jährige Sunnyboy,der als Fischereibiologe bei seinen Forschungsvorhaben meist mehr
Zeit im als auf dem Wasser verbringt.In einem Punkt könnten
die Spanier laut Boyce aber
noch etwas lernen. „Ich habe
hier nur ein bis zwei Yachten
gesehen, auf denen ,CircleHooks‘ benutzt wurden“, sagt
der Fachmann. Sogenannte
Kreishaken seien aber in den
USA in der kommerziellen
Langleinenfischerei mittlerweile Pflicht, weil sie im Gegensatz
zu den traditionellen offeneren
„J-Haken“ sich nicht im Körperinneren der Fische verhaken
und dort auch nicht zu schwe-
ren Verletzungen führen.„Mittlerweile benutzen selbst 90 Prozent der amerikanischen Sportfischer ,Circle-Hooks‘, weil sie
sich so in den Mundwinkel der
Beute setzen, dass ein Abscheren des Fangs praktisch unmöglich wird“, sagt Boyce, der
gerade auf einem 80-MeilenTörn vor den Galapagosinseln
die Auswirkungen des Langleinenfangs auf Thunfisch untersucht hat.
Während Boyce erzählt,
kommt eine deutsche Touristin
an den kleinen Infostand, den
die Turnierleitung im Hafenvorfeld aufgebaut hat. In
brüchigem Englisch will die
Dame wissen, wo denn diesmal
die „großen Fische“ wären, die
sie noch letztes Jahr hier habe
hängen sehen. Bill antwortet
der Urlauberin auf Englisch
und zeigt erklärend auf eine
kleine Serie von Sofortbildern,
die an einer Schautafel befestigt
sind. Sofortbilder statt Fischtrophäen … Ich übersetze derweil Vincente ins Spanische.
Der blitzt mich eine Sekunde
lang aus den grünblauen Augen
an, baut sich dann in Machopose vor der blonden Frau auf,
zeigt auf seinen Bizeps und
sagt: „Hier hängt er immer
noch, der große Fisch!“
Später macht diese Szene
noch die Runde am Tisch
der „Alde Baran“-Crew beim
großen nächtlichen Festessen
unter offenem Himmel.Und alle,die sie hören,müssen lachen.
„So ist es nun mal auf einem
Turnier mit jeder Menge Anglern, vielen Riesenyachten und
wenigen kleinen Fotos“, meint
Antonio vergnügt. Die WM in
Mexiko bleibt für ihn auch diesmal ein Traum. Aber wie die
meisten der fast 300 Anwesenden hier wird er im nächsten
September wiederkommen.
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TEXT UND FOTOS:
VOLKER J. BÜRCK
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