GEGEN ALTERSARMUT – MIT DER GARANTIERENTE

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GEGEN ALTERSARMUT – MIT DER GARANTIERENTE
gegen altersarmut –
mit der garantierente
Öffentliches Fachgespräch am 25. März 2013 in Berlin
IMPRESSUM
Herausgeberin
Bündnis 90/Die Grünen
Bundestagsfraktion
Platz der Republik 1
11011 Berlin
www.gruene-bundestag.de
Verantwortlich
Wolfgang Strengmann-Kuhn MdB
Sprecher für Rentenpolitik
Bündnis 90/Die Grünen
Bundestagsfraktion
Platz der Republik 1
11011 Berlin
E-Mail: [email protected]
Redaktion
Dr. Eva-Maria Mädje
Bezug
Bündnis 90/Die Grünen
Bundestagsfraktion
Info-Dienst
Platz der Republik 1
11011 Berlin
Fax: 030 / 227 56566
E-Mail: [email protected]
Schutzgebühr
€ 1,00
Redaktionsschluss
August 2013
| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 08/2013
INHALT |
GEGEN ALTERSARMUT - MIT DER GARANTIERENTE
Grußwort……………………................................................................ 4
Katrin Göring-Eckhardt
Der Weg zur Grünen Garantierente……………………………………………………. 5
Kerstin Andreae / Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
Reformstrategien für die Alterssicherung – Einführung in das rentenpolitische Konzept der Grünen zur Bekämpfung von Altersarmut …..………… 7
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
Armutsbekämpfung als Teil der Rentenversicherung ……….……………………. 10
Prof. Dr. Frank Nullmeier
Debatte, Teil I ……………………..……………………………………………………… 12
Bekämpfung der Altersarmut von Frauen im Konzept der Grünen
Garantierente …………………………………………………………………………….. 14
Dr. Claudia Vogel
Debatte, Teil II …………………………………….……………………………………… 16
Parlamentarische Initiativen und Beschlüsse ………………………………………. 19
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GRUSSWORT
KATRIN GÖRING-ECKHARDT
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir leben in einem der reichsten Länder der Erde –
doch die Früchte dieses Wohlstands erreichen immer weniger Menschen. Unsere Gesellschaft driftet
auseinander. Es droht die dauerhafte Spaltung
unserer Gesellschaft in Gewinner und Verlierer.
Armut ist ein vielschichtiges Problem. Politik gegen
Armut muss deshalb an vielen Punkten ansetzen.
Wir wollen Deutschland sozial durchlässiger machen, damit es gerecht zugeht und jede/r eine
Chance auf Teilhabe hat. Nur so können wir Wirtschaft und Gesellschaft stabil halten. Doch der
öffentliche Schuldenberg wächst und für Kindergärten, Schulen, Bibliotheken und Schwimmbäder
fehlt das Geld. Deshalb müssen wir in mehr soziale
Gerechtigkeit investieren. Das wollen wir solide
finanzieren mit Einsparungen, Subventionsabbau
und einer angemessenen Besteuerung hoher Einkommen und Vermögen. Soziale Gerechtigkeit
bedeutet für mich aber auch eine verbesserte materielle Absicherung durch eine armutsfeste
Grundsicherung sowie eine Garantierente gegen
Altersarmut.
Altersarmut ist bereits heute ein Problem, doch
wenn wir nicht gegensteuern, wird sich dieses
Problem in den kommenden Jahren noch deutlich
verschärfen. Denn immer mehr Menschen verfügen
nur über geringe Einkommen, sind selbstständig
oder sind immer wieder mit Zeiten von Arbeitslosigkeit konfrontiert. Damit haben sie weder die
Möglichkeit, ausreichend Ansprüche in der Gesetzlichen Rentenversicherung zu erwerben noch gut
privat vorzusorgen.
Vor diesem Hintergrund haben wir unsere Vorschläge zur Bekämpfung von Armut im Alter entwickelt und vor einem Forum von Sachverständigen sowie Bürgerinnen und Bürgern zur Diskussion
gestellt. Über die Ergebnisse dieser Veranstaltung
möchten wir Sie mit dieser Broschüre informieren.
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„Geld ist nicht alles, aber ohne Geld ist alles nichts.“
DER WEG ZUR GRÜNEN GARANTIERENTE
KERSTIN ANDREAE / DR. WOLFGANG STRENGMANN-KUHN
Ein wichtiger Pfeiler grüner Sozialpolitik sind Maßnahmen zur Vermeidung von Armut. Noch immer
haben nicht alle Menschen die gleichen Chancen
und Voraussetzungen für ein erfolgreiches Erwerbsleben. Eine solidarische und gerechte Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sie die Bürgerinnen und Bürger stützt und vor Armut schützt.
Dabei wäre es falsch, dies als eine Politik nur für
eine kleine Minderheit zu verstehen. Solidarität
drückt sich dadurch aus, dass sie im Falle des Eintretens von Risiken und sozialen Härten greift und
von diesen können alle Menschen betroffen sein.
Zudem ist unser Sozialsystem nur so gut und verlässlich, wie das unterste soziale Sicherungsnetz.
Immer mehr Rentnerinnen und Rentner sind von
Altersarmut betroffen. Mehr als zwei Millionen
Ältere in Deutschland haben ein Einkommen unterhalb der EU-Armutsrisikogrenze. Angesichts
unsteter Erwerbsbiografien, weit verbreiteter
Niedriglöhne und eines sinkenden Rentenniveaus
droht immer mehr Menschen die Altersarmut. Es
ist für uns eine Frage der Gerechtigkeit und der
Würde, dass Menschen im Alter ein gutes und
selbstbestimmtes Leben führen können.
Zum Anfang dieser Legislaturperiode hat die Grüne
Bundestagsfraktion eine große Anfrage zur Altersarmut an die Bundesregierung gestellt (Drucksache
17/6317). Die Antwort der Bundesregierung zeigt,
dass auch langjährig Versicherte von Altersarmut
bedroht sind. Weiter zeigt sie, dass vor allem
(westdeutsche) Frauen von Altersarmut betroffen
sind. Zudem wird auch in der Antwort der Bundesregierung deutlich, dass der großen Zahl von alten
Menschen, die unter der Armutsrisikogrenze leben,
eine deutlich kleinere Zahl von Menschen gegenübersteht, die Grundsicherung im Alter beziehen.
Trotz der rot-grünen Reform der Grundsicherung
im Alter und bei Erwerbsminderung gibt es also
immer noch einen großen Anteil an Personen, die
einen Rechtsanspruch auf Grundsicherung im Alter
hätten, die Leistung jedoch nicht in Anspruch
nehmen. Eine Studie von Irene Becker hat diese
Vermutung erneut bestätigt. Demnach kommen
auf eine Person, die Grundsicherung im Alter bezieht, zwei Personen, die zwar einen Anspruch
hätten, diesen aber nicht realisieren (Becker, Irene: Finanzielle Mindestsicherung und Bedürftigkeit
im Alter, in: Zeitschrift für Sozialreform 2/2012).
Die Antwort auf unsere Große Anfrage zeigt uns,
dass wir bei der Bekämpfung von Altersarmut neu
denken müssen. Sozialpolitik muss stärker gegen
verdeckte Armut vorgehen und Frauen besser absichern.
Die Grüne Garantierente ist für uns eine Maßnahme, um die Einführung der Rente mit 67 sozial zu
flankieren. Zudem ist sie ein wichtiger Bestandteil
unseres Konzepts zur Angleichung des Rentenrechts in Ost und West. Darüber hinaus wird zusätzliche Vorsorge durch Betriebs- und private
Renten insbesondere für Menschen mit geringen
Einkommen attraktiver, wenn sie auf ein stabiles
Fundament aufsetzt. Viele gute Gründe für die
Einführung der Grünen Garantierente.
Bei der Entwicklung der Grünen Garantierente
haben wir uns inspirieren lassen von der schwedischen Garantierente und vom 30-30 Modell des
Wirtschaftswissenschaftlers Richard Hauser. Zur
empirischen Untermauerung unserer Rentenpläne
haben wir ein Gutachten in Auftrag gegeben
(Christof Schatz, 2012, Gutachten Garantierente
2012, Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen).
Wir wollten einen Vorschlag in die Debatte einbringen, der gleichermaßen wirksam wie bezahlbar ist. Die Ergebnisse dieses Gutachtens dienten
als Grundlage für die Entwicklung unseres Konzeptes gegen Altersarmut, die Grüne Garantierente.
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Für uns hat die Einführung einer steuerfinanzierten Garantierente Priorität. Sie ist leicht zu verwirklichen und zielgenau. Insbesondere Frauen
würden profitieren: Wer 30 Jahre Mitglied in der
Rentenversicherung war, erhält nach heutigem
Stand mindestens 850 Euro – und zwar innerhalb
der gesetzlichen Rente. Mit der Garantierente setzen wir auch ein Zeichen an die junge Generation.
Wir sagen der jungen Generation, dass sich Vorsorge auch lohnt: Mit der Garantierente lohnt es sich
in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert
zu sein und im Unterschied zur Grundsicherung
werden betriebliche und private Renten bei der
Garantierente nicht voll angerechnet. Die Garantierente steht damit der Eigenvorsorge nicht im
Weg, sondern belohnt diese.
Um die Grüne Garantierente auch langfristig finanzierbar zu halten, sind weitere Reformen notwendig: Zum Beispiel die schrittweise Einführung
der Bürgerversicherung auch in der Rente. Wir
wollen, dass langfristig alle ihren Beitrag zur Finanzierung der Rentenversicherung leisten und
alle in den Schutz der Rentenversicherung einbezogen sind. Ein verlässlicher Schutz vor Altersarmut
und umfassende Vorsorge für das Alter sind kein
Widerspruch, sondern bedingen und bestärken
einander und zwar im Interesse aller.
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REFORMSTRATEGIEN FÜR DIE ALTERSSICHERUNG –
EINFÜHRUNG IN DAS RENTENPOLITISCHE KONZEPT
DER GRÜNEN ZUR BEKÄMPFUNG VON ALTERSARMUT
DR. WOLFGANG STRENGMANN-KUHN, MDB
Eine Bemerkung möchte ich meiner Darstellung
voranstellen. Wir werden heute vor allen Dingen
über die Grüne Garantierente diskutieren. Sie ist
uns wichtig und doch ist sie – das sei deutlich
betont – nur ein Element in einer umfassenden
Strategie gegen Armut im Alter. Es ist wichtig, dafür zu sorgen, dass Armut gar nicht erst entsteht –
insbesondere durch Bildung und auf dem Arbeitsmarkt.
Auch in der Rentenversicherung muss man dafür
sorgen, dass genügend Rentenansprüche aufgebaut werden. Die Einbeziehung aller Bürgerinnen
und Bürger in die Rentenversicherung würde dafür
sorgen, dass keine großen Lücken in der Versorgung entstehen. Auch die hälftige Teilung der
Rentenansprüche bei Ehepaaren („Rentensplitting“) würde dafür sorgen, dass Frauen mehr eigene Rentenansprüche aufbauen und es nicht
mehr einseitig zu Lasten von Frauen ginge, wenn
nur der Mann (Vollzeit) arbeitet.
Aber: Alle diese präventiven Maßnahmen können
erst nach und nach wirksam werden. Sie brauchen
Zeit, manche der Maßnahmen brauchen sehr viel
Zeit. Armut im Alter existiert aber schon heute und
wird in den kommenden Jahren stark zunehmen.
Wir brauchen einen Schutzwall gegen die Welle,
die auf uns zurollt. Diese Aufgabe soll die Grüne
Garantierente übernehmen. Mit der Grünen Garantierente soll ein Mindestniveau in der Rentenversicherung eingeführt werden.
Mit der Grünen Garantierente soll nicht nur Armut
im Alter vermieden werden. Das ließe sich auch
über eine bessere Ausgestaltung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung erreichen
– wie es von manchen Verbänden auch vorgeschlagen wird. Mit der Grünen Garantierente soll
vielmehr erreicht werden, dass so wenig Menschen
wie möglich überhaupt auf Grundsicherung angewiesen sein werden. Damit soll zugleich erreicht
werden, dass weniger Menschen in verdeckter
Armut leben als heute, denn immer noch scheuen
viele Menschen den Weg zum Grundsicherungsamt
– wie eine jüngst erschienene Studie von Irene
Becker zeigt.
Hinzu kommt, dass wir das Ansehen der Rentenversicherung wieder stärker wollen. Viele Menschen gehen inzwischen davon aus, dass sich Beiträge an die Rentenversicherung nicht lohnen,
dass sie im Alter ohnehin ein Fall für das Grundsicherungsamt werden. Das ist ein Problem.
Für Einzahlungen in eine betriebliche oder private
Rentenkasse fehlt dann erst recht jede Motivation.
Auch das ist ein Problem. Die Rentenversicherung
ist und bleibt der Kern der Vorsorge für das Alter.
Eine angemessene Vorsorge für das Alter kann sich
heute aber nicht mehr allein auf die Gesetzliche
Rentenversicherung stützen.
Die Grüne Garantierente soll so wenig Bürokratie
verursachen wie möglich, so viele Leute vor dem
Bezug von Grundsicherung bewahren wie möglich
und doch bezahlbar sein.

Wer 30 Jahre Mitglied in der Rentenversicherung war, soll 30 Entgeltpunkte erhalten. Das sind nach derzeitigem Stand rund
850 € im Monat.

Alle Alterseinkommen aus der 1. Säule
(Gesetzliche Rentenversicherung, Versorgungswerke, Beamtenversorgung …) sollen
zusammen gerechnet werden. Sind alle
Ansprüche zusammen zu gering, dann soll
auf 850 € aufgestockt werden.

Wer eine Betriebsrente oder eine private
Rente hat, soll davon 20% behalten dürfen, soll also mehr haben als nur mit der
Garantierente.
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Für die Garantierente soll ein einfacher Antrag
genügen.
Aus unserer Sicht wäre es sehr zu begrüßen, wenn
für jede Bürgerin und jeden Bürger alle Informationen zur Alterssicherung zusammengeführt würden. Wenn wir ein derartiges Informationssystem
hätten, dann ließe sich ein Anspruch auf Garantierente von Amts wegen ermitteln. Dann bräuchte es
nicht mal mehr einen Antrag.
In einem ersten Schritt soll die Garantierente nur
für Neurentnerinnen und Neurentner eingeführt
werden. Wir wollen nicht mehr versprechen als wir
halten können und eine Garantierente für alle
Rentnerinnen und Rentnerinnen wäre unter den
gegebenen Bedingungen nicht bezahlbar.
Damit in Zukunft so wenig Menschen wie möglich
auf Grundsicherung angewiesen sein werden, sollen alle rentenrechtlichen Zeiten für den Zugang
zur Garantierente anerkannt werden.
Wenn man – und das zeigt unser Gutachten sehr
deutlich – nur Zeiten aus Erwerb einbezieht, dann
kann so gut wie niemand Garantierente beanspruchen. Dann können vor allen Dingen die Menschen
keine Garantierente beanspruchen, die von Armut
besonders bedroht sein werden, vor allem Frauen.
Darum sollen als Bedingung zum Bezug der Grünen
Garantierente auch Zeiten der Arbeitslosigkeit, der
Kindererziehung oder der Erwerbsminderung mit
berücksichtigt werden. Dann haben auch Frauen
eine realistische Chance auf eine Garantierente,
auch die Frauen, deren Biographien bereits geschrieben sind und die ihren Lebenslauf nicht
mehr ändern können.
Wir sind aber auch der Meinung, dass Frauen gut
beraten sind, wenn sie mehr für sich selbst sorgen
und wegen Kindererziehung nicht für Jahrzehnte
aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Wir sind der
Meinung, dass die Rahmenbedingungen dafür
immer besser geworden sind und mit dem Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz noch
besser werden. Aus diesem Grund sollen für die
Zukunft nur drei Jahre Kindererziehung pro Kind
auf die 30 Jahre für die Garantierente angerechnet
werden.
Die Garantierente soll an Frauen und Männer individuell ausgezahlt werden. Bei Ehepaaren und
eingetragenen Lebenspartnerschaften sollen die
eigenen Ansprüche zusammen gezählt und anschließend halbiert werden. Die Auszahlung soll
dann individuell erfolgen, wobei vorrangig bei der
Person mit den geringeren Ansprüchen aufgestockt
werden soll. Die Garantierente soll damit schon
heute dem Prinzip folgen, dass wir generell für die
Altersvorsorge von Paaren verwirklichen wollen
(„Rentensplitting“).
Im Jahr der Einführung rechnen wir mit Kosten von
270 Mio. €. Wenn keine anderen präventiven
Maßnahmen ergriffen werden, darf man – so die
Schätzung unseres Gutachters - im Jahr 2030 mit
rund 5 Mrd. € an Kosten rechnen. Die Garantierente soll aus Steuermitteln finanziert werden. Der
Schutz von alten Menschen vor Armut ist Aufgabe
der gesamten Gesellschaft, nicht allein Aufgabe
der Gesetzlichen Rentenversicherung.
Wer würde von der Grünen Garantierente
begünstigt?
Die Antwort des Gutachters ist eindeutig: Frauen.
85% aller Versicherten, welche im Jahre 2030 die
Grüne Garantierente beanspruchen könnten, wären Frauen, die meisten davon aus dem Westen.
Das zeigt aus unserer Sicht im Umkehrschluss klar:
Männer im Westen sind immer noch sehr gut abgesichert und müssen sich um ihr Auskommen im
Alter keine so großen Sorgen machen, nur eine
sehr kleine Gruppe (3%) der Männer in Westdeutschland würde im Jahr 2030 eine Garantierente beziehen. Die Versicherten im Osten müssen
sich etwas größere Sorgen machen. Im Osten sind
die Unterschiede zwischen Frauen und Männer
allerdings nicht so groß. Altersarmut ist im Osten –
noch – geringer als im Westen. Das wird sich aber
in den nächsten Jahren ändern. Nach unseren
Schätzungen würden 2030 in Ostdeutschland etwa
10% der Männer und 15% der Frauen eine Garantierente beziehen.
Die Mindestversicherungszeit von 30 Jahren
scheint uns gut gewählt. Im Osten können 99%
der Männer und immerhin 92% aller Frauen diese
Hürde nehmen.
Im Westen erreichen deutlich weniger Menschen
diese 30 Jahre. Das liegt aber auch daran, dass
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dort der Anteil der Versicherten, der nicht über die
Gesetzliche Rentenversicherung abgesichert ist,
deutlich höher ist.
Für die weitere politische Debatte lässt sich folgendes festhalten. Über die Höhe der Versorgung
ließe sich vermutlich relativ schnell ein Einvernehmen herstellen. Abgesehen von der LINKEN, die
1.050 € fordert, bewegen sich viele Vorschläge auf
einem Niveau von rund 850 €.
Die wirklich strittige Frage ist dagegen, ob eine
neue Leistung eher der Grundsicherung oder eher
der Rentenversicherung ähneln soll. Für uns ist
klar: Soweit sich das im bestehenden Rahmen
verwirklichen lässt, soll die Garantierente eine
Versicherungsleistung sein, also ohne Prüfung der
Bedürftigkeit und mit einem schlanken Antragsverfahren bewilligt werden können.
Die FDP will dagegen die Grundsicherung reformieren. Die SPD nennt ihre Solidar-Rente eine
„Grundsicherung zweiter Ordnung im Sozialrecht“.
Die Lebensleistungsrente der Union soll zwar eine
Rentenleistung sein, aber der Bedarf soll so umfassend geprüft werden, dass sie von einer Fürsorge-Leistung kaum mehr zu unterscheiden sein
wird.
Einen wirklichen Unterschied macht es auch, wie
viele Jahre man Mitglied in der Versicherung gewesen sein muss, um einen Anspruch auf eine
Rente zu erwerben.
Wie immer darf es bei der LINKEN etwas mehr sein:
Es soll gar keine Mindestversicherungszeit geben.
Dafür soll und muss dann auch die Prüfung der
Bedürftigkeit sehr umfassend sein. Letztlich ist die
Mindestrente der LINKEN dann auch nichts anderes
als eine Grundsicherung mit einem höheren Zahlbetrag.
SPD und Union wollen die Hürden für die SolidarRente so hoch setzen, dass kaum jemand sie wird
überwinden können. Faktisch werden die meisten
armen Alten dann auch in Zukunft auf Grundsicherung angewiesen sein.
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ARMUTSBEKÄMPFUNG ALS TEIL DER RENTENVERSICHERUNG
PROF. DR. FRANK NULLMEIER
Zwei Bemerkungen möchte ich meiner Analyse der
„Grünen Garantierente“ voranstellen:
Die Vermeidung von Armut ist kein leitendes Prinzip der Gesetzlichen Rentenversicherung. Armutsvermeidung ist Aufgabe der Grundsicherung. Sie
gewährleistet ein menschenwürdiges soziokulturelles Existenzminimum und stellt sicher, dass
jeder Mensch seinen Bedarf decken kann. Darauf
besteht ein von der Verfassung garantierter Anspruch. Dieser Anspruch muss erfüllt werden, vollkommen unabhängig von Vorleistungen. Dem
steht gegenüber, dass umfassend geprüft wird, ob
tatsächlich ein Anspruch auf Grundsicherung besteht. Leistungen der Grundsicherung werden nur
dann gezahlt, wenn Hilfebedürftigkeit besteht,
wenn also die anzurechnenden Einkommen und
das verwertbare Vermögen nicht ausreichen, um
das Existenzminimum zu decken.
Die Gesetzliche Rentenversicherung beruht dagegen auf dem Prinzip der Äquivalenz: Die Höhe der
Leistungen richtet sich grundsätzlich nach dem
Einkommen, für das in der Erwerbsphase Beiträge
gezahlt wurden. Wer im Monat auf ein Einkommen
von 2.ooo € Beiträge zahlt, der bekommt für diesen Monat einen doppelt so hohen Rentenanspruch gutgeschrieben wie jemand, der in diesem
Monat auf ein Einkommen von 1.ooo € Beiträge
zahlt. Zwar kennt die Rentenversicherung einen
sozialen Ausgleich. In der Rentenversicherung zahlen aber nicht die Reichen für die Armen, sondern
die Jungen für die Alten. Bedürftigkeit prüft die
die Rentenversicherung nicht und sie sieht ihre
Aufgabe entsprechend auch nicht in der Vermeidung von Armut: Es werden auch Renten gezahlt,
die unter dem Niveau der Grundsicherung liegen.
Das Thema Armut findet aktuell in der politischen
und wissenschaftlichen Diskussion eine sehr große
Aufmerksamkeit. Auch die Rentenversicherung hat
sich der Diskussion geöffnet und es als Problem für
die Akzeptanz der GRV erkannt, dass es immer
mehr Menschen gibt, die sehr lange in die Rentenkassen einzahlen und die trotzdem zusätzlich Leistungen der Grundsicherung benötigen. Wenn dieses Schicksal auch Teilen der unteren Mittelschicht
drohen sollte, hat die Rentenversicherung ein
ernsthaftes Legitimations- und Akzeptanzproblem.
Bei allen Vorschlägen, die gegenwärtig zur Überwindung der Armut im Alter entwickelt werden, ist
eine genaue Betrachtung der normativen Grundprinzipien, jener der Grundsicherung und jener
der Rentenversicherung, erforderlich, um ein
stimmiges Gesamtsystem der sozialen Sicherung im
Alter zu erreichen.
Frau von der Leyen hat das Problem der Armut im
Alter aktiv aufgegriffen. In ihren Lösungsvorschlägen hat sie aber Prinzipien der Grundsicherung mit
Prinzipien der Rentenversicherung vermischt. Für
die „Lebensleistungsrente“ soll man nach ihren
Vorstellungen seine Bedürftigkeit nachweisen.
Dieser Gedanke entstammt dem System der
Grundsicherung. Die „Lebensleistungsrente“ soll
aber zugleich eine Versicherungsleistung sein und
von Vorleistungen abhängen, nämlich langen Beitrags- und Versicherungsjahren in der Rentenversicherung. Sie soll zudem von Vorleistungen abhängig sein, die mit der Rentenversicherung nichts
zu tun haben. Die „Lebensleistungsrente“ – eine
Leistung der gesetzlichen Rentenversicherung –
soll nur erhalten, wer zusätzlich einen privatrechtlichen Vertrag eingeht, z.B. eine RiesterRente abschließt. Noch mehr irritiert die politische
Semantik, in der die „Lebensleistungsrente“ präsentiert wird: Es ist auffällig oft von „Belohnung“
für einen bestimmten Lebenslauf die Rede. Belobigungen und Treuepunkte kennt die Sozialversicherung bisher jedoch nicht.
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Diese Vorschläge werfen die Frage auf, ob die bisherigen Prinzipien der Rentenversicherung aufgegeben oder zumindest nur noch mit Einschränkungen gelten sollen. Meines Erachtens muss es ein
Prinzip der Rentenversicherung bleiben, dass mit
der Mitgliedschaft in der Versichertengemeinschaft
Rechte erworben werden, die jedem Mitglied zustehen – unabhängig von seinem Bedarf und unabhängig von seiner Bedürftigkeit. In der Rentenversicherung sollten wir dieses Recht, das jedem
Versicherten zusteht, als Recht auf ökonomische
Teilhabe im Alter, bei Tod und bei Erwerbsminderung verstehen.
Die Berechnung der Leistungen der gesetzlichen
Rentenversicherung erfolgt nach dem Prinzip der
„Teilhabeäquivalenz“, auch „Beitragsäquivalenz"
genannt. Wie eingangs ausgeführt, ist damit, ohne
alle erforderlichen Spezifizierungen aufzuführen,
gemeint, dass die Rentenansprüche in Relation zu
den Beitragszahlungen berechnet werden.
Wenn man der Rentenversicherung zusätzlich Aufgaben der Armutsvermeidung zuweisen will, muss
man dieses Prinzip der ökonomischen Teilhabe
qua Teilhabeäquivalenz – und das wäre das historisch Neue - ergänzen um ein weiteres Prinzip: das
Prinzip der Mindestteilhabe. Mindestteilhabe würde bedeuten, dass langjährige Mitglieder der Rentenversicherung über Leistungen der Rentenversicherung ausreichend für das Alter geschützt und
nicht auf ein anderes System, die Grundsicherung,
verwiesen werden. Die Mindestteilhabe muss und
kann nicht jedem Mitglied der Rentenversicherung
zukommen, z.B. Personen, die nur 3 oder 8 Jahre
in der Rentenversicherung versichert waren und
ansonsten etwa privat vorgesorgt haben.
Prüft man vor diesem Hintergrund die „Grüne Garantierente“, überzeugt die Idee, eine Mindestteilhabe für Personen einzuführen, die in ihrem Leben weit überwiegend in der Rentenversicherung
für ihr Alter vorgesorgt haben. Wenn die Fraktion
der Grünen die Garantierente in Höhe von derzeit
850 € an Versicherte auszahlen will, die mindestens 30 Jahre Mitglied in der Rentenversicherung
waren, dann steht das mit dem Prinzip der ökonomischen Teilhabe und dessen Ergänzung, der
Mindestteilhabe, in Einklang: Ein langer Zeitraum
der Zugehörigkeit zur Solidargemeinschaft muss
nach der Idee der Mindestteilhabe vor Armut
schützen. Nach einem derart langen Zeitraum der
Zugehörigkeit zur Solidargemeinschaft darf man
nicht mehr auf Grundsicherung angewiesen sein.
Aber: Die Mindestteilhabe sollte nicht von Vorleistungen in anderen Systemen, z.B. von einem Riester-Vertrag, abhängen und auch nicht von der
Bedürftigkeit. Das entspräche nicht den Prinzipien
der Versicherung, sondern wäre Ausdruck der Prinzipien der Fürsorge und Grundsicherung. Eine reine Versicherungsleistung soll die „Grüne Garantierente“ nach den bisherigen Überlegungen nicht
werden. Einkommen aus anderen Systemen der
Alterssicherung, aber auch Partnereinkommen,
sollen auf die Garantierente angerechnet werden.
Die Grünen schlagen vor, dass jede Bürgerin und
jeder Bürger, der 30 Jahre Mitglied der Rentenversicherung war, 30 Entgeltpunkte erhalten soll. Das
sind derzeit rund 850 €. Alle Versicherungszeiten
sollen anerkannt werden. Das ist schlüssig und ein
erster wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Mindestteilhabe in der Rentenversicherung. Heute
kann eine Rente, die ein Mindestmaß an Teilhabe
garantieren soll, aber nicht allein auf den bisherigen Beitragszeiten fußen. Viele Versicherte, insbesondere Frauen, erreichen auch mit den Kindererziehungszeiten nicht die Summe von 30 Beitragsjahren.
Aus meiner Sicht entspricht es aber der Logik der
Versicherung, dass die Mindestteilhabe durch Beitragszahlungen erreicht wird. Das bedeutet für
mich, dass Zeiten, die bisher keine Beitragszeiten
sind, z.B. bei Arbeitslosigkeit, in Beitragszeiten
umgewandelt werden müssten. Die Kindererziehungszeiten könnten hier als Vorbild für eine Reihe anderer Zeiten ohne Erwerbseinkommen dienen.
Die Grüne Garantierente ist ein sehr spannender
und politisch weiterführender Vorschlag. Den Prinzipien der Rentenversicherung würde es aber noch
besser entsprechen, wenn das Mindestniveau nach
30 Jahren tatsächlich für alle langjährigen Mitglieder der Rentenversicherung garantiert wäre – ohne Prüfung der Bedürftigkeit
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DEBATTE, TEIL I
Die Akzeptanz einer Reform wird davon abhängen,
ob die Bürgerinnen und Bürger das Anliegen der
Politik verstehen. Sie wird zudem davon abhängen, ob die Bürgerinnen und Bürger die neuen
Regeln, also ihre Rechte und Pflichten im Sozialstaat, verstehen. So viel lässt sich aus der Debatte
in die weitere sozialpolitische Diskussion mitnehmen.
Für eine Reform der Grundsicherung im Alter und
bei Erwerbsminderung wird vor diesem Hintergrund ins Feld geführt, dass damit die sozialstaatliche Leistung, die originär für die Bekämpfung
von Armut im Alter zuständig ist, fortentwickelt
würde. Das sei einfach, klar und verständlich, eine
sehr pragmatische Vorgehensweise. Darin wird der
Vorzug des Vorschlags der Gewerkschaft ver.di und
vom Sozialverband Deutschland gesehen1. Jede
neue Leistung gegen Armut mache den Sozialstaat
schwerer verständlich – zumal dann, wenn jede
Leistung von anderen Vorleistungen abhänge.
Die Grüne Garantierente soll so wenig Bürokratie
wie nötig verursachen, so viele Menschen wie
möglich vor Altersarmut schützen und bezahlbar
sein. Das ist die Absicht der Grünen. Solange das
gegliederte System der Altersvorsorge fortbesteht
und nicht alle Bürgerinnen und Bürger Mitglied
der gesetzlichen Rentenversicherung sind, sollen
deshalb Einkommen aus der 1. Säule (Beamtenversorgung, Versorgungswerke der Freien Berufe
…), aber auch Betriebsrenten und Renten aus privater Vorsorge auf die Garantierente angerechnet
werden, andere Einkünfte hingegen nicht.
Vor diesem Hintergrund wurde zu bedenken gegeben, dass gerade diese Einkünfte wachsen. Auch
das spreche für eine Reform der Grundsicherung.
Ver.di und Sozialverband Deutschland wollen in der
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
Freibeträge einführen. Menschen, die vorgesorgt haben,
sollen gegenüber Menschen, die nicht vorgesorgt haben,
privilegiert werden. Ihre Grundsicherung soll mindestens 850 € betragen.
1
Der Vorschlag von ver.di und Sozialverband
Deutschland führe zu einer vollständigen Gleichbehandlung aller Arten von Einkommen im Alter.
Gegen eine Reform der Grundsicherung wurde
hingegen ins Feld geführt, dass die Grundsicherung der „Fürsorge“ zuzuordnen ist, also jenen
sozialstaatlichen Leistungen, die Bedürftige erhalten, mehr Geld ändere daran nichts.
Man dürfe auch nicht übersehen, dass eine deutliche Verbesserung der Grundsicherung im Alter und
bei Erwerbsminderung die Akzeptanz der Rentenversicherung noch verringern könnte. Je höher die
Grundsicherung sei, umso schwerer sei es, eine
Rente aufzubauen, die oberhalb der Grundsicherung angesiedelt sei. Das gelte besonders für Leute
mit kleinen und mittleren Verdiensten.
Dem Mindestlohn auf dem Arbeitsmarkt entspreche in diesem Sinne ein Mindestniveau in der Sozialversicherung. Ein Vollzeitjob müsse reichen, um
nicht auf Grundsicherung angewiesen zu sein. Wer
aber heute ein Leben Vollzeit zu einem Mindestlohn von 8,50 € arbeite, sei im Alter auf Grundsicherung angewiesen. Auch das müsse vermieden
werden, wenn die einzelnen Elemente sozialstaatlicher Reformen zusammen passen sollen.
Wenn die Grüne Garantierente eine echte Versicherungsleistung sein wolle, sei die Anrechnung
anderer Alterseinkommen wie auch die Anrechnung von Partnereinkommen nicht wirklich konsequent. Die Fortentwicklung der Rentenversicherung zu einer universellen Versicherung, in der alle
Bürgerinnen und Bürger wie auch alle Einkommensarten versichert wären, bleibe so ein sehr
wichtiges langfristiges Ziel, denn sie mache den
Verzicht auf die Anrechnung von anderen Einkommen möglich. Das eröffne dann auch die
Chance, die Grüne Garantierente konsequenter als
Versicherungsleistung auszugestalten.
Aus Sicht der Sachverständigen steht nicht zu befürchten, dass Leute aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden, weil Arbeit (und die Zahlung von Beiträ-
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gen an die Rentenversicherung) sich für sie nicht
mehr lohne, wenn eine Garantierente eingeführt
würde. Ein Gerechtigkeitsproblem werfe die Grüne
Garantierente dennoch auf. Leute, welche die
Vorgaben knapp verfehlten, etwa 29 Versicherungsjahre vorzuweisen hätten, dürften sich benachteiligt fühlen. Auch Vollzeitbeschäftigte könnten sich gegenüber Teilzeitbeschäftigten benachteiligt fühlen, wenn unterschiedlich hohe Beitragszahlungen im Ergebnis zu einer Rente in
identischer Höhe, nämlich 850 €, führten.
Solche Probleme könnten gemildert werden, wenn
lange Gleitphasen eingeführt würden, eigenes
Einkommen auch aus der gesetzlichen Rentenversicherung von der Einkommensanrechnung freigestellt würde. Das würde die Kosten aber deutlich
erhöhen.
Perspektive – die Grüne Garantierente – zur langfristigen Perspektive passe. Und die heiße Bürgerversicherung, mit einer Mindestteilhabe in der
Rentenversicherung.
Man dürfe aber auch nicht übersehen, dass auch
dann noch nicht alle Bürgerinnen und Bürger ausreichenden Schutz durch die Rentenversicherung
erlangen könnten. Viele Zuwanderer z.B. würden
auch dann an den Vorgaben scheitern – wie es
sich auch in Ländern mit einer universellen Alterssicherung zeige, wie z.B. Schweden. Das Mindestniveau in der Rentenversicherung könnten auch
dort nur jene Bürgerinnen und Bürger erreichen,
die eine Mindestzeit im Land verbracht hätten. Für
diese Menschen müsse man ggf. in einem zweiten
Schritt über eine Verbesserung der Grundsicherung
nachdenken.
Solche Probleme könnten zudem gemildert werden, wenn bestimmte Zeiten im Lebensverlauf,
etwa Zeiten der Arbeitslosigkeit, bewertet würden,
für diese Zeiten also Beiträge an die Rentenversicherung gezahlt würden. In der sozialpolitischen
Diskussion müsse dann –wie bei den Kindererziehungszeiten – eine Verständigung herbeigeführt
werden, welche dieser Zeiten wie Erwerbsarbeit
anerkannt werden sollten; für welche dieser Zeiten
der Staat Beiträge an die Rentenversicherung zahlen sollte.
Aber auch das sei natürlich nicht umsonst zu haben, zumal ein solches Vorgehen neue Gerechtigkeitsfragen nach sich ziehen könnte. Im Grunde
müsste man solche Mindestbeiträge dann auch für
Erwerbstätige zahlen, wenn diese nicht gegenüber
Arbeitslosen benachteiligt werden sollten oder
man müsste die Rentenformel dahingehend ändern, dass für Zeiten des Erwerbs Mindestentgeltpunkte erworben würden.
Die Garantierente habe gegenüber einem solchen
Vorgehen den Vorzug, dass sie kurzfristig eingeführt werden könnte, während sich Mindestniveaus über Beitragszahlungen nur Schritt für
Schritt aufbauen ließen.
Das gegliederte System der sozialen Sicherung
spricht aus Sicht vieler Teilnehmerinnen und Teilnehmer durchaus für Vorversicherungszeiten –
zumindest bei Einführung der Garantierente. Politik habe darauf zu achten, dass die kurzfristige
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BEKÄMPFUNG DER ALTERSARMUT VON FRAUEN IM
KONZEPT DER GRÜNEN GARANTIERENTE
DR. CLAUDIA VOGEL
Armut im Alter war lange kein Problem in Deutschland. Die Rentenversicherung hat die meisten gut
geschützt. Das hat sich geändert und das ist ein
gesellschaftliches Problem. Warum? Alte Menschen
können ihre Armut oft nicht mehr überwinden. Im
Alter braucht man zudem oft nicht weniger Geld,
sondern mehr, wenn man beispielweise pflegebedürftig wird. Auch Einsamkeit und soziale Ausgrenzung sind im Alter stärker spürbar, wenn etwa
die sozialen Netze durch Erwerbsarbeit wegfallen.
Sozialpolitisch geht es derzeit um Weichenstellungen für die Zukunft. Es gibt gute Gründe für die
Annahme, dass Armut im Alter zunehmen wird. Die
Zahl der Personen, die Grundsicherung im Alter
erhalten, steigt kontinuierlich. Die Renten der
Versicherten, die heute in Rente gehen, sind niedriger als die bisherigen Renten.
Frauen sind von Armut stärker betroffen als Männer. Mehr Frauen als Männer sind im Alter arm. Im
Alter von 65 und mehr Jahren erhalten mehr Frauen (3%) als Männer (2%) Grundsicherung. Zudem
lässt sich z.B. mit Daten des Deutschen Alterssurveys zeigen, dass es häufig Mütter sind, die eine
finanzielle Unterstützung von erwachsenen Kinder
benötigen und erhalten und selten Väter.
Die Renten von Frauen sind niedriger als die Renten von Männern, besonders im Westen. Das hat
sich kaum geändert, obwohl immer mehr Frauen
berufstätig sind. Zwar haben sich die Renten von
Frauen und Männern durchschnittlich angenähert.
Das liegt aber nicht nur daran, dass Frauen aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit heute im Alter besser
für sich selbst sorgen können. Das liegt auch daran, dass die durchschnittlichen Renten von Männern sinken. Die Rente von Männern, die heute
neu in Rente gehen, liegt bereits um rund 1oo €
unter der durchschnittlichen Rente von Männern,
die bereits in Rente sind.
Es gibt noch einen Anhaltspunkt dafür, dass die
Probleme zunehmen werden. Die Daten aus dem
Sozio-ökonomischen Panel zeigen, dass die Men-
schen, die 61 Jahre und älter sind, noch vergleichsweise gut vor Altersarmut geschützt sind.
Bei den Erwerbstätigen zwischen 41 und 60 Jahren
lässt sich demgegenüber schon heute ein drastischer Anstieg der Einkommensarmut feststellen.
Ausreichende Rentenansprüche können diese
Menschen nicht mehr aufbauen.
Frauen sind häufiger von Armut im Alter betroffen,
weil sie häufiger und länger Teilzeit arbeiten als
Männer und häufiger phasenweise auch ganz aus
dem Erwerb ausscheiden, etwa wegen der Kinder.
Genauso entscheidend ist aber, dass die Erwerbseinkommen der Frauen nicht in dem Maße steigen, wie ihr Bildungsgrad steigt und ihre Teilhabe
an Erwerbsarbeit zunimmt. Wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung jüngst in einem
Wochenbericht gezeigt hat, tragen Frauen mit ihrem Verdienst immer noch nur etwa 30% des
Haushaltseinkommens bei.
In der sozialpolitischen Diskussion wurde Kinderarmut viele Jahre stärker thematisiert als Armut im
Alter. Man darf aber nicht übersehen, dass Kinder
häufig dann arm sind, wenn ihre Eltern arbeitslos
oder alleinerziehend sind. Die Kinder sind arm,
weil ihre Eltern arm sind und viele dieser Eltern
dürften auch im Alter noch arm sein.
Auch die Rentenpolitik selbst hat ihren Anteil daran, dass Armut im Alter zunehmen wird. Das Niveau der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung wird sinken. Den Bürgerinnen und Bürger
bleibt es aber selbst überlassen, ob sie die Lücken
durch private Vorsorge schließen.
In Familien überlagern sich diese Entwicklungen
zudem. Im Durchschnitt haben Frauen nach wie
vor geringe eigene Renten. Wenn sie sich darauf
verlassen haben, dass sie über die Rente ihrer
Männer ausreichend versorgt sind, müssen sie
gleichbleibend kleine eigene Renten in Zukunft
mit sinkenden Renten von ihren Partnern kombinieren.
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ZUR GRÜNEN GARANTIERENTE
Die gesetzliche Rentenversicherung ist das zentrale
System, das gestärkt werden muss, wenn Armut im
Alter bekämpft werden soll. Eine Stärkung der
Rentenversicherung hilft Frauen an sich, weil
Frauen häufiger allein in der gesetzlichen Rentenversicherung gesichert sind, und seltener über
Betriebsrenten noch über zusätzliche private Vorsorge verfügen.
Wenn Altersarmut zielgenau bekämpft werden soll,
müssen die Rahmenbedingungen für die Garantierente so gesetzt werden, dass Frauen nicht von
Vornherein von der Garantierente ausgeschlossen
sind. Der Großteil der Menschen, die von Armut
betroffen sein werden, wird nämlich auch künftig
weiblich sein.
Frauen haben aber nur dann eine realistische
Chance auf eine Garantierente, wenn die Bedingungen so gestaltet sind, dass auch typische Lebensverläufe von Frauen abgesichert werden.
Konkret heißt das: Zeiten der Ausbildung, Zeiten
der Erwerbsunterbrechung wegen Arbeitslosigkeit,
Kindererziehung und Pflege müssen anerkannt
werden.
Man darf aber nicht aus dem Blick verlieren, dass
Armut im Alter nicht nur über eine Garantierente
bekämpft werden kann.
Equal Pay für Frauen wird auch die Alterseinkommen von Frauen verbessern. Derzeit verdienen
Frauen für vergleichbare Tätigkeiten immer noch
rund ein Fünftel weniger als Männer. Entsprechend fallen ihre gesetzlichen Renten kleiner aus.
Viel spricht auch dafür, die Rentenversicherung so
umzugestalten, dass Frauen mehr eigene Rentenansprüche erwerben und weniger stark auf ihre
Männer angewiesen sind. Man muss aber gut
überlegen, wie man den Übergang gestaltet und
wie man damit umgeht, dass viele Frauen sich auf
die Witwenrente verlassen (haben).
Es ist wenig bekannt, dass Frauen mit Migrationshintergrund die höchsten Armutsquoten im Alter
haben, weil ihre Beitragszeiten zur Rentenversicherung oft sehr kurz sind. Diesen Frauen kann mit
der Grünen Garantierente derzeit nicht geholfen
werden. Es stellt sich die Frage, welche Maßnah-
men man ergreifen könnte, um auch diesen Frauen zu helfen.
Viel spricht in diesem Zusammenhang auch für
einen etwas anderen Blick auf die Rente mit 67.
Wenn Frauen 2 Jahre länger in die Rentenversicherung einzahlen können, führt das an sich zu
höheren Rentenanwartschaften. Damit steigen
gleichzeitig die Chancen, dass sie auf 30 Jahre
kommen und damit einen Anspruch auf Garantierente erlangen können.
Erwerbsgeminderte sind viel häufiger arm als
Menschen ohne Erwerbsminderung. Eine Ursache
dafür sind die hohen Abschläge. Auch diesen Aspekt muss man in die Debatte einbeziehen.
Zwei Punkte möchte ich noch zu bedenken geben,
welche die allgemeine rentenpolitische Debatte
betreffen.
Der Ruhestand zieht sich heute über 20 bis 25
Jahre hin. Uwe Fachinger und Harald Künemund
von der Universität Vechta beschäftigen sich in
einem aktuellen Forschungsprojekt mit der Frage,
wie sich die Alterseinkommen aus der privaten
Altersvorsorge entwickeln werden. Im Unterschied
zur gesetzlichen Rente ist die private Vorsorge
nicht immer dynamisch ausgestaltet, d.h., die
Alterseinkommen steigen nicht unbedingt mit der
allgemeinen Einkommensentwicklung. Wer bei
Renteneintritt eine zusätzliche monatliche Altersrente von 2oo € aus einer privaten Altersvorsorge
erhält, weiß nicht, wie viel diese Rente 2o Jahre
später noch wert sein wird. Unterschiedliche Anpassungsregeln erschweren die Vorsorge für die
lange Lebensphase Alter. Über die gesamte Rentenphase gerechnet kann dies zu deutlichen Einbußen beim Lebensstandard führen, besonders in
Phasen mit hoher Inflation.
Ganz grundsätzlich stellt sich die Frage, ob es
wirklich nötig ist, dass Rentenniveau so stark wie
geplant zu senken oder ob man die Leistungsfähigkeit der Rentenversicherung auch erhalten
könnte, in dem man mehr Menschen in Beschäftigung bringt, insbesondere mehr Frauen dazu ermutigt, Vollzeit zu arbeiten.
Auch auf diese Weise könnte man die demographischen Probleme der Rentenversicherung mildern und die Beitragssätze stabil halten.
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DEBATTE, TEIL II
Von manchen Teilnehmerinnen der Debatte wird
die grüne Rentenpolitik für Frauen als widersprüchlich empfunden. Der Anspruch sei, dass
Frauen mehr eigene Ansprüche aufbauen. Dazu
gehöre, dass man Frauen ermutige Vollzeit zu arbeiten und auch die Rahmenbedingungen dafür
schaffe.
Andererseits wolle man eine Garantierente einführen, die auch Frauen mit kleinen Jobs und langen
Zeiten der Kindererziehung oder Arbeitslosigkeit
erhalten können sollen. Zugleich wolle man ein
„Splitting“ in der Rente einführen, dass dem bestehenden Versorgungsausgleich nachempfunden
sei. Auch auf diesem Weg würden Frauen dann
Rentenansprüche aufbauen, die keine eigene Erwerbsarbeit voraussetzen.
Eigentlich seien derzeit aus Sicht der Sachverständigen die Voraussetzungen für eine gute oder zumindest durchschnittlich bezahlte Erwerbsarbeit
von Frauen sehr gut, da Frauen sehr viel besser
ausgebildet seien als noch vor 20 Jahren. Diese
Bildungsabschlüsse führten aber nicht zu entsprechend gut bezahlten Jobs und könnten damit auch
nicht zu entsprechend hohen Anwartschaften auf
Rente führen. Noch sei Altersarmut eher ein Problem der Frauen in Westdeutschland. Es sei aber zu
beobachten, dass sich die Erwerbsmuster in Ost
und West angleichen würden. Bedauerlicherweise
wirke sich diese Entwicklung für die Alterseinkommen von Frauen nachteilig aus. Auch im Osten
gebe es immer weniger Frauen, die Vollzeit erwerbstätig seien. Auch im Osten nehme die Zahl
der Frauen zu, die Lücken im Erwerbsverlauf hätten. Vor diesem Hintergrund spreche viel dafür,
dass in Zukunft mehr Frauen auch im Osten auf
eine Garantierente angewiesen sein könnten –
wenn es nicht gelinge, diese Erwerbsmuster zu
überwinden.
Von manchen Teilnehmerinnen wurde die Sorge
geäußert, dass es mit einer Grünen Garantierente
schwieriger werden könnte, diese Erwerbsmuster
zu überwinden. Schließlich sende man an Frauen
die Botschaft, dass man auch mit kleinen Jobs eine
auskömmliche Rente aufbauen und auch in Zu-
kunft an den Rentenanwartschaften der Männer
teilhaben könne.
Es frage sich, ob in dieser Hinsicht die Grüne Garantierente Frauen dann womöglich sogar von
existenzsichernder Erwerbsarbeit fernhalte, weil
auch mit minimaler Erwerbsbeteiligung eine Rente
in Höhe von 850 € garantiert sei. Das gelte besonders für Frauen mit Migrationshintergrund.
Dagegen wurde eingewandt, dass es gerade für
solche Frauen attraktiv sein könnte, sich in Zukunft um sozialversicherte Jobs zu bemühen, gerade für Beschäftigte mit kleinen und schlecht bezahlten Jobs. Nach geltendem Recht müsste solche
Beschäftigten im Alter häufig Grundsicherung beantragen. Das bleibe ihnen mit einer Garantierente erspart.
Dagegen wurde zudem angeführt, dass die Entscheidung für oder gegen (vollzeitige) Erwerbsarbeit nicht nur vom Rentenrecht abhänge, sondern
auch vom Arbeitsmarkt, der Arbeitsmarktpolitik,
dem Bedarf des Haushalts und der Frage, wie sich
der Job mit einer Familie vereinbaren lasse.
Aus Sicht der Fraktion werde aber auch das „Splitting“ als ein Schritt auf dem Weg zu mehr eigenen
Ansprüchen von Frauen gesehen. Konkret müsse
sich das Splitting wie folgt vorstellen: Wenn der
Mann einen Verdienst von 2000 € erziele und die
Frau einen Verdienst von 500 €, dann sollen an
die Deutsche Rentenversicherung Beiträge für jeweils 1250 € gezahlt werden. Genau so solle auch
für andere Formen der Vorsorge verfahren werden.
Konkret würden dann also Rentenansprüche auf
zwei Konten aufgebaut. Darum sei dieses Verfahren auch deutlich weniger bürokratisch als beim
Versorgungsausgleich: Beim Versorgungsausgleich
müssten Ansprüche aus den verschiedensten Quellen zum Ausgleich gebracht werden – oft Jahrzehnte nach der Beitragszahlung. Der Wert einer
privaten Geldanlage für das Alter sei aber nicht
ohne Weiteres mit dem Wert einer Anlage in der
Gesetzlichen Rentenversicherung zu vergleichen,
wie zu Recht in der Debatte angemerkt worden sei.
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Vom „Splitting“ erhoffe man sich zudem, dass
Erwerbsarbeit von Frauen auch für Männer attraktiver werde, weil mit jedem Euro, den die Frau
verdiene, auch die Rente des Mannes steigen würde.
Auch in dieser Debatte wurde kritisch angemerkt,
dass die Grüne Garantierente viele arme Frauen
nicht erreichen kann, weil sie nur für Neurentnerinnen und Neurentner gezahlt werden soll. Auch
wurde zur Diskussion gestellt, ob es wiederum
Männer bevorzuge, wenn Einkommen aus der 1.
Säule der Alterssicherung vollständig auf die Garantierente angerechnet werden sollen und Betriebsrenten oder die private Vorsorge lediglich zu
80%. Wie man wisse, hätten Männer sehr viel
häufiger Ansprüche auf Betriebsrenten als Frauen.
Das trifft aus Sicht der Sachverständigen zu. Es sei
allerdings zu bedenken, dass Männer mit Ansprüchen aus verschiedenen Systemen so hohe Renten
haben dürften, dass eine Garantierente für sie gar
nicht in Frage käme.
Von der grünen Fraktion wurde daran erinnert,
dass die Fraktion auch Menschen, die bereits in
Rente sind, in die Reform einbeziehen würde,
wenn dies bezahlbar wäre. Würde man im Jahre
2014 alle Rentnerinnen und Rentner in die Garantierente einbeziehen, dann wären bereits im Jahr
der Einführung 5 Mrd. € an Kosten fällig. Andere
wichtige Maßnahmen, auch Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut, seien dann nicht mehr zu
finanzieren – wie etwa eine bessere Grundsicherung oder bessere Bildungseinrichtungen. Die Garantierente sei ein Schritt in die richtige Richtung.
Auch Freibeträge für Renten aus der 1. Säule würden hohe zusätzliche Kosten verursachen. Konkret
würden sich die Kosten verdoppeln, wenn nur
80% der Renten aus der 1. Säule auf die Garantierente angerechnet würden. Auch damit würden
die finanziellen Spielräume für andere sozialpolitische Maßnahmen stark eingeengt, die in einer
älter werdenden Gesellschaft dringend nötig seien.
Hinzu komme, dass die Garantierente dann bis in
mittlere Einkommensgruppen hinein gezahlt werden müsste. Für Alleinstehende müssten Renten
bis zu einer Höhe von rund 1.ooo € aufgestockt
werden.
Betriebliche und private Vorsorge wird von der
grünen Fraktion unverändert für sehr wichtig gehalten, weil die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sinken werden. Darum soll es sich
für Bürgerinnen und Bürger auch bei knapper Kasse lohnen, zusätzlich zu den Beiträgen in die gesetzliche Rentenversicherung noch Beiträge in
einen privaten oder betrieblichen Sparvertrag zu
leisten.
Offen bleiben musste, wie die Garantierente langfristig finanziert werden soll. Der bestehende Finanzplan sieht eine Finanzierung für die 18.
Wahlperiode vor. Zur Diskussion stand, ob die
Maßnahmen, die derzeit ins Auge gefasst werden,
als realistisch anzusehen sind. Konkret wurde darauf hingewiesen, dass eine Einbeziehung der
Solo-Selbstständigen in die Rentenversicherung
zwar kurz- und mittelfristig zu neuen Einnahmen
führen könnte, langfristig aber auch zu neuen
Rentenausgaben führen müsste. Das wurde nicht
in Zweifel gezogen. Es wurde aber darauf aufmerksam gemacht, dass man für einen sehr langen Übergangszeitraum mit zusätzlichen Einnahmen rechnen könne. So geht etwa der Sachverständigenrat für die Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung davon aus, dass bis
zum Jahre 2070 mit zusätzlichen Einnahmen zu
rechnen sei, wenn man die Selbstständigen in die
Rentenversicherung einbeziehen würde.
In der Debatte wurde zudem angemahnt, dass
man auch jene Beschäftigten nicht aus dem Blick
verlieren dürfe, die ihr ganzes Leben lang durchgehend beschäftigt und die über Tarifverträge gut
entlohnt seien. Für diese Beschäftigten seien die
Beschlüsse zur Senkung des Rentenniveaus wie
auch zur Rente mit 67 bedeutsamer als Vorschläge
zur Bekämpfung von Altersarmut. Diese Beschäftigten betrachteten die Grüne Garantierente nicht
als Antwort auf ihre besonderen Probleme. Darunter seien viele Frauen, besonders Erzieherinnen
und Pflegekräfte. Diesen Beschäftigten brenne die
Frage auf den Nägeln, ob sie es schaffen könnten,
bis zur Regelaltersgrenze zu arbeiten und ob sie
für ihre Arbeit eine Rente mit einem angemessenen Niveau erhalten könnten.
Dem wurde entgegen gehalten, dass ein höheres
Rentenniveau im geltenden Recht mit höheren
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Beitragssätzen einhergehen müsste. Das widerspreche den berechtigten Interessen der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler.
Mit Maßnahmen zur Bekämpfung von Lohnarmut,
mit der Durchsetzung von Equal Pay wie auch und
insbesondere der schrittweisen Entwicklung der
Rentenversicherung zu einer Bürgerversicherung
und der Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von
Frauen lasse sich hingegen ein angemessenes
Rentenniveau bei stabilen Beiträgen erreichen.
Von einigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern
wurde vor diesem Hintergrund in der politischen
Debatte ein klareres Bekenntnis zur Bürgerversicherung angemahnt.
Dazu gelte auch für die Rente mit 67: Sie führe zu
einem höheren Rentenniveau, weil die Zahl der
Beitragszahlerinnen und Beitragszahler gegenüber
der Zahl der Rentnerinnen und Rentner steige. Sie
sei damit ein klarer Beitrag zur Vermeidung von
Altersarmut.
Es wurde zu bedenken gegeben, dass die Rente
mit 67 aber eher den Beschäftigten mit höheren
Verdiensten, mit besseren Arbeitsmarktchancen
und in gesundheitlich weniger belastenden Berufen nütze. Das sei sozial nicht befriedigend.
Aber auch in dieser Hinsicht könnte die Garantierente aus grüner Sicht zu mehr sozialem Ausgleich
beitragen. Da auch Menschen mit Erwerbsminderung einen Anspruch auf Garantierente haben
sollen, wären diese deutlich besser vor Armut geschützt als heute. Die Garantierente sei zudem in
andere Maßnahmen eingebettet. Ein Beispiel: Für
Menschen, die allein wegen gesundheitlicher
Probleme in Rente gehen, sollten aus grüner Sicht
die Abschläge abgeschafft werden. Auch wolle
man den Zugang zu einer Teilrente erleichtern und
eine Antragstellung ab dem 60. Lebensjahr möglich machen.
Dagegen wurde eingewandt, dass nach geltendem
Recht eine Teilrente für viele Beschäftigte wegen
der Abschläge nicht besonders attraktiv sei. Viele
Fragen müssen aus Sicht der Teilnehmerinnen und
Teilnehmer noch geklärt werden. Diese Fragen
seien aber vollkommen unabhängig von der Rente
mit 67. Es gebe genügend Leute, die auch nicht bis
zum 65. Lebensjahr arbeiten könnten. Es sei auch
nicht allein Aufgabe der Politik, Lösungen für diese
Probleme zu finden. Darum müssten sich auch die
Tarifpartner in den besonders betroffenen Branchen stärker kümmern.
Es wurde zudem angemahnt, dass Thema Altersarmut nicht auf den fiskalischen Aspekt zu reduzieren. Armut im Alter sei häufig auch mit mangelnder Beteiligung in anderen Bereichen und mit
Vereinsamung verbunden. Daraus ergebe sich die
Frage, wie die Politik vor Ort in den Kommunen
gestaltet werden könnte und wie die Infrastruktur
vor Ort ausgebaut werden könnte. Sicher seien
mehr altersgerechte Wohnungen nötig. Auch dazu
müsse ein Dialog initiiert werden, der über einen
Rentendialog hinausgehe und der die Kommunen
einbeziehen müsse, die Verbände und die bürgerschaftlich Engagierten.
In diesem Sinne könne nicht oft genug wiederholt
werden, dass der Kampf gegen Altersarmut nicht
allein in der Rentenversicherung gewonnen werden könne.
Damit möglichst viele Frauen vor Altersarmut geschützt würden, müsse bereits während des Erwerbslebens gewährleistet werden, dass genug
Ansprüche für später aufgebaut werden. Die Bekämpfung von Altersarmut fange schon bei der
Bildung an. Wichtig sei ferner eine Arbeitsmarktpolitik, die allen und damit besonders auch Frauen, reelle Chancen auf einen Arbeitsplatz ermögliche. Darüber hinaus sei eine Lohnpolitik erforderlich, die zu ausreichenden und angemessenen
Löhnen führe. Die Einführung eines Mindestlohns
sei deshalb zwingend notwendig.
Und: Die Rentenversicherung müsse Schritt für
Schritt zu einer Bürgerversicherung fortentwickelt
werden. Das führe zu mehr Gerechtigkeit in der
Finanzierung der Alterssicherung. Das führe zu
mehr Stabilität bei Rentenniveau und Beitragssätzen und es bringe mehr Menschen in den Schutz
der Sozialversicherungen.
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PARLAMENTARISCHE INITIATIVEN UND BESCHLÜSSE
Garantierente
Fraktionsbeschluss vom 27.11.20121
ASKOS Garantierente
Endbericht 6.12.20122
Altersarmut bekämpfen – Mit der Garantierente
Drucksache 17/134933
Beitragssätze nachhaltig stabilisieren, Erwerbsminderungsrente verbessern,
Reha-Budget angemessen ausgestalten
Drucksache 17/110104
Verbraucherschutz bei der Riester-Rente
Drucksache 17/108895
Altersarmut in Deutschland
Drucksache 17/63176
Gleiches Rentenrecht in Ost und West
Drucksache 17/52077
Voraussetzungen für die Rente mit 67 schaffen
Drucksache 17/40468
Mindestbeiträge zur Rentenversicherung verbessern, statt sie zu streichen
Drucksache 17/24369
http://www.gruenebundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/fraktion/beschluesse/Beschluss_Garantierente.pdf
1
https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/themen_az/rente/171172_ASKOS_Garantierente_Endbericht_6-12-2012.pdf
2
3
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/134/1713493.pdf
4
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/110/1711010.pdf
5
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/108/1710889.pdf
6
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/063/1706317.pdf
7
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/052/1705207.pdf
8
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/040/1704046.pdf
9
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/024/1702436.pdf
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Garantierente