GEGEN ALTERSARMUT – MIT DER GARANTIERENTE
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GEGEN ALTERSARMUT – MIT DER GARANTIERENTE
gegen altersarmut – mit der garantierente Öffentliches Fachgespräch am 25. März 2013 in Berlin IMPRESSUM Herausgeberin Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion Platz der Republik 1 11011 Berlin www.gruene-bundestag.de Verantwortlich Wolfgang Strengmann-Kuhn MdB Sprecher für Rentenpolitik Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion Platz der Republik 1 11011 Berlin E-Mail: [email protected] Redaktion Dr. Eva-Maria Mädje Bezug Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion Info-Dienst Platz der Republik 1 11011 Berlin Fax: 030 / 227 56566 E-Mail: [email protected] Schutzgebühr € 1,00 Redaktionsschluss August 2013 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 08/2013 INHALT | GEGEN ALTERSARMUT - MIT DER GARANTIERENTE Grußwort……………………................................................................ 4 Katrin Göring-Eckhardt Der Weg zur Grünen Garantierente……………………………………………………. 5 Kerstin Andreae / Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Reformstrategien für die Alterssicherung – Einführung in das rentenpolitische Konzept der Grünen zur Bekämpfung von Altersarmut …..………… 7 Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Armutsbekämpfung als Teil der Rentenversicherung ……….……………………. 10 Prof. Dr. Frank Nullmeier Debatte, Teil I ……………………..……………………………………………………… 12 Bekämpfung der Altersarmut von Frauen im Konzept der Grünen Garantierente …………………………………………………………………………….. 14 Dr. Claudia Vogel Debatte, Teil II …………………………………….……………………………………… 16 Parlamentarische Initiativen und Beschlüsse ………………………………………. 19 08/2013 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | | 3 GRUSSWORT KATRIN GÖRING-ECKHARDT Sehr geehrte Damen und Herren, wir leben in einem der reichsten Länder der Erde – doch die Früchte dieses Wohlstands erreichen immer weniger Menschen. Unsere Gesellschaft driftet auseinander. Es droht die dauerhafte Spaltung unserer Gesellschaft in Gewinner und Verlierer. Armut ist ein vielschichtiges Problem. Politik gegen Armut muss deshalb an vielen Punkten ansetzen. Wir wollen Deutschland sozial durchlässiger machen, damit es gerecht zugeht und jede/r eine Chance auf Teilhabe hat. Nur so können wir Wirtschaft und Gesellschaft stabil halten. Doch der öffentliche Schuldenberg wächst und für Kindergärten, Schulen, Bibliotheken und Schwimmbäder fehlt das Geld. Deshalb müssen wir in mehr soziale Gerechtigkeit investieren. Das wollen wir solide finanzieren mit Einsparungen, Subventionsabbau und einer angemessenen Besteuerung hoher Einkommen und Vermögen. Soziale Gerechtigkeit bedeutet für mich aber auch eine verbesserte materielle Absicherung durch eine armutsfeste Grundsicherung sowie eine Garantierente gegen Altersarmut. Altersarmut ist bereits heute ein Problem, doch wenn wir nicht gegensteuern, wird sich dieses Problem in den kommenden Jahren noch deutlich verschärfen. Denn immer mehr Menschen verfügen nur über geringe Einkommen, sind selbstständig oder sind immer wieder mit Zeiten von Arbeitslosigkeit konfrontiert. Damit haben sie weder die Möglichkeit, ausreichend Ansprüche in der Gesetzlichen Rentenversicherung zu erwerben noch gut privat vorzusorgen. Vor diesem Hintergrund haben wir unsere Vorschläge zur Bekämpfung von Armut im Alter entwickelt und vor einem Forum von Sachverständigen sowie Bürgerinnen und Bürgern zur Diskussion gestellt. Über die Ergebnisse dieser Veranstaltung möchten wir Sie mit dieser Broschüre informieren. 4 | GEGEN ALTERSARMUT - MIT DER GARANTIERENTE | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 08/2013 2 | GEGEN ALTERSARMUT - MIT DER GARANTIERENTE | Bündnis 90/Die Grünen „Geld ist nicht alles, aber ohne Geld ist alles nichts.“ DER WEG ZUR GRÜNEN GARANTIERENTE KERSTIN ANDREAE / DR. WOLFGANG STRENGMANN-KUHN Ein wichtiger Pfeiler grüner Sozialpolitik sind Maßnahmen zur Vermeidung von Armut. Noch immer haben nicht alle Menschen die gleichen Chancen und Voraussetzungen für ein erfolgreiches Erwerbsleben. Eine solidarische und gerechte Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sie die Bürgerinnen und Bürger stützt und vor Armut schützt. Dabei wäre es falsch, dies als eine Politik nur für eine kleine Minderheit zu verstehen. Solidarität drückt sich dadurch aus, dass sie im Falle des Eintretens von Risiken und sozialen Härten greift und von diesen können alle Menschen betroffen sein. Zudem ist unser Sozialsystem nur so gut und verlässlich, wie das unterste soziale Sicherungsnetz. Immer mehr Rentnerinnen und Rentner sind von Altersarmut betroffen. Mehr als zwei Millionen Ältere in Deutschland haben ein Einkommen unterhalb der EU-Armutsrisikogrenze. Angesichts unsteter Erwerbsbiografien, weit verbreiteter Niedriglöhne und eines sinkenden Rentenniveaus droht immer mehr Menschen die Altersarmut. Es ist für uns eine Frage der Gerechtigkeit und der Würde, dass Menschen im Alter ein gutes und selbstbestimmtes Leben führen können. Zum Anfang dieser Legislaturperiode hat die Grüne Bundestagsfraktion eine große Anfrage zur Altersarmut an die Bundesregierung gestellt (Drucksache 17/6317). Die Antwort der Bundesregierung zeigt, dass auch langjährig Versicherte von Altersarmut bedroht sind. Weiter zeigt sie, dass vor allem (westdeutsche) Frauen von Altersarmut betroffen sind. Zudem wird auch in der Antwort der Bundesregierung deutlich, dass der großen Zahl von alten Menschen, die unter der Armutsrisikogrenze leben, eine deutlich kleinere Zahl von Menschen gegenübersteht, die Grundsicherung im Alter beziehen. Trotz der rot-grünen Reform der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gibt es also immer noch einen großen Anteil an Personen, die einen Rechtsanspruch auf Grundsicherung im Alter hätten, die Leistung jedoch nicht in Anspruch nehmen. Eine Studie von Irene Becker hat diese Vermutung erneut bestätigt. Demnach kommen auf eine Person, die Grundsicherung im Alter bezieht, zwei Personen, die zwar einen Anspruch hätten, diesen aber nicht realisieren (Becker, Irene: Finanzielle Mindestsicherung und Bedürftigkeit im Alter, in: Zeitschrift für Sozialreform 2/2012). Die Antwort auf unsere Große Anfrage zeigt uns, dass wir bei der Bekämpfung von Altersarmut neu denken müssen. Sozialpolitik muss stärker gegen verdeckte Armut vorgehen und Frauen besser absichern. Die Grüne Garantierente ist für uns eine Maßnahme, um die Einführung der Rente mit 67 sozial zu flankieren. Zudem ist sie ein wichtiger Bestandteil unseres Konzepts zur Angleichung des Rentenrechts in Ost und West. Darüber hinaus wird zusätzliche Vorsorge durch Betriebs- und private Renten insbesondere für Menschen mit geringen Einkommen attraktiver, wenn sie auf ein stabiles Fundament aufsetzt. Viele gute Gründe für die Einführung der Grünen Garantierente. Bei der Entwicklung der Grünen Garantierente haben wir uns inspirieren lassen von der schwedischen Garantierente und vom 30-30 Modell des Wirtschaftswissenschaftlers Richard Hauser. Zur empirischen Untermauerung unserer Rentenpläne haben wir ein Gutachten in Auftrag gegeben (Christof Schatz, 2012, Gutachten Garantierente 2012, Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen). Wir wollten einen Vorschlag in die Debatte einbringen, der gleichermaßen wirksam wie bezahlbar ist. Die Ergebnisse dieses Gutachtens dienten als Grundlage für die Entwicklung unseres Konzeptes gegen Altersarmut, die Grüne Garantierente. 08/2013 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | GEGEN ALTERSARMUT - MIT DER GARANTIERENTE | 5 Für uns hat die Einführung einer steuerfinanzierten Garantierente Priorität. Sie ist leicht zu verwirklichen und zielgenau. Insbesondere Frauen würden profitieren: Wer 30 Jahre Mitglied in der Rentenversicherung war, erhält nach heutigem Stand mindestens 850 Euro – und zwar innerhalb der gesetzlichen Rente. Mit der Garantierente setzen wir auch ein Zeichen an die junge Generation. Wir sagen der jungen Generation, dass sich Vorsorge auch lohnt: Mit der Garantierente lohnt es sich in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert zu sein und im Unterschied zur Grundsicherung werden betriebliche und private Renten bei der Garantierente nicht voll angerechnet. Die Garantierente steht damit der Eigenvorsorge nicht im Weg, sondern belohnt diese. Um die Grüne Garantierente auch langfristig finanzierbar zu halten, sind weitere Reformen notwendig: Zum Beispiel die schrittweise Einführung der Bürgerversicherung auch in der Rente. Wir wollen, dass langfristig alle ihren Beitrag zur Finanzierung der Rentenversicherung leisten und alle in den Schutz der Rentenversicherung einbezogen sind. Ein verlässlicher Schutz vor Altersarmut und umfassende Vorsorge für das Alter sind kein Widerspruch, sondern bedingen und bestärken einander und zwar im Interesse aller. 6 | GEGEN ALTERSARMUT - MIT DER GARANTIERENTE | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 08/2013 REFORMSTRATEGIEN FÜR DIE ALTERSSICHERUNG – EINFÜHRUNG IN DAS RENTENPOLITISCHE KONZEPT DER GRÜNEN ZUR BEKÄMPFUNG VON ALTERSARMUT DR. WOLFGANG STRENGMANN-KUHN, MDB Eine Bemerkung möchte ich meiner Darstellung voranstellen. Wir werden heute vor allen Dingen über die Grüne Garantierente diskutieren. Sie ist uns wichtig und doch ist sie – das sei deutlich betont – nur ein Element in einer umfassenden Strategie gegen Armut im Alter. Es ist wichtig, dafür zu sorgen, dass Armut gar nicht erst entsteht – insbesondere durch Bildung und auf dem Arbeitsmarkt. Auch in der Rentenversicherung muss man dafür sorgen, dass genügend Rentenansprüche aufgebaut werden. Die Einbeziehung aller Bürgerinnen und Bürger in die Rentenversicherung würde dafür sorgen, dass keine großen Lücken in der Versorgung entstehen. Auch die hälftige Teilung der Rentenansprüche bei Ehepaaren („Rentensplitting“) würde dafür sorgen, dass Frauen mehr eigene Rentenansprüche aufbauen und es nicht mehr einseitig zu Lasten von Frauen ginge, wenn nur der Mann (Vollzeit) arbeitet. Aber: Alle diese präventiven Maßnahmen können erst nach und nach wirksam werden. Sie brauchen Zeit, manche der Maßnahmen brauchen sehr viel Zeit. Armut im Alter existiert aber schon heute und wird in den kommenden Jahren stark zunehmen. Wir brauchen einen Schutzwall gegen die Welle, die auf uns zurollt. Diese Aufgabe soll die Grüne Garantierente übernehmen. Mit der Grünen Garantierente soll ein Mindestniveau in der Rentenversicherung eingeführt werden. Mit der Grünen Garantierente soll nicht nur Armut im Alter vermieden werden. Das ließe sich auch über eine bessere Ausgestaltung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung erreichen – wie es von manchen Verbänden auch vorgeschlagen wird. Mit der Grünen Garantierente soll vielmehr erreicht werden, dass so wenig Menschen wie möglich überhaupt auf Grundsicherung angewiesen sein werden. Damit soll zugleich erreicht werden, dass weniger Menschen in verdeckter Armut leben als heute, denn immer noch scheuen viele Menschen den Weg zum Grundsicherungsamt – wie eine jüngst erschienene Studie von Irene Becker zeigt. Hinzu kommt, dass wir das Ansehen der Rentenversicherung wieder stärker wollen. Viele Menschen gehen inzwischen davon aus, dass sich Beiträge an die Rentenversicherung nicht lohnen, dass sie im Alter ohnehin ein Fall für das Grundsicherungsamt werden. Das ist ein Problem. Für Einzahlungen in eine betriebliche oder private Rentenkasse fehlt dann erst recht jede Motivation. Auch das ist ein Problem. Die Rentenversicherung ist und bleibt der Kern der Vorsorge für das Alter. Eine angemessene Vorsorge für das Alter kann sich heute aber nicht mehr allein auf die Gesetzliche Rentenversicherung stützen. Die Grüne Garantierente soll so wenig Bürokratie verursachen wie möglich, so viele Leute vor dem Bezug von Grundsicherung bewahren wie möglich und doch bezahlbar sein. Wer 30 Jahre Mitglied in der Rentenversicherung war, soll 30 Entgeltpunkte erhalten. Das sind nach derzeitigem Stand rund 850 € im Monat. Alle Alterseinkommen aus der 1. Säule (Gesetzliche Rentenversicherung, Versorgungswerke, Beamtenversorgung …) sollen zusammen gerechnet werden. Sind alle Ansprüche zusammen zu gering, dann soll auf 850 € aufgestockt werden. Wer eine Betriebsrente oder eine private Rente hat, soll davon 20% behalten dürfen, soll also mehr haben als nur mit der Garantierente. 08/2013 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | GEGEN ALTERSARMUT - MIT DER GARANTIERENTE | 7 Für die Garantierente soll ein einfacher Antrag genügen. Aus unserer Sicht wäre es sehr zu begrüßen, wenn für jede Bürgerin und jeden Bürger alle Informationen zur Alterssicherung zusammengeführt würden. Wenn wir ein derartiges Informationssystem hätten, dann ließe sich ein Anspruch auf Garantierente von Amts wegen ermitteln. Dann bräuchte es nicht mal mehr einen Antrag. In einem ersten Schritt soll die Garantierente nur für Neurentnerinnen und Neurentner eingeführt werden. Wir wollen nicht mehr versprechen als wir halten können und eine Garantierente für alle Rentnerinnen und Rentnerinnen wäre unter den gegebenen Bedingungen nicht bezahlbar. Damit in Zukunft so wenig Menschen wie möglich auf Grundsicherung angewiesen sein werden, sollen alle rentenrechtlichen Zeiten für den Zugang zur Garantierente anerkannt werden. Wenn man – und das zeigt unser Gutachten sehr deutlich – nur Zeiten aus Erwerb einbezieht, dann kann so gut wie niemand Garantierente beanspruchen. Dann können vor allen Dingen die Menschen keine Garantierente beanspruchen, die von Armut besonders bedroht sein werden, vor allem Frauen. Darum sollen als Bedingung zum Bezug der Grünen Garantierente auch Zeiten der Arbeitslosigkeit, der Kindererziehung oder der Erwerbsminderung mit berücksichtigt werden. Dann haben auch Frauen eine realistische Chance auf eine Garantierente, auch die Frauen, deren Biographien bereits geschrieben sind und die ihren Lebenslauf nicht mehr ändern können. Wir sind aber auch der Meinung, dass Frauen gut beraten sind, wenn sie mehr für sich selbst sorgen und wegen Kindererziehung nicht für Jahrzehnte aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Wir sind der Meinung, dass die Rahmenbedingungen dafür immer besser geworden sind und mit dem Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz noch besser werden. Aus diesem Grund sollen für die Zukunft nur drei Jahre Kindererziehung pro Kind auf die 30 Jahre für die Garantierente angerechnet werden. Die Garantierente soll an Frauen und Männer individuell ausgezahlt werden. Bei Ehepaaren und eingetragenen Lebenspartnerschaften sollen die eigenen Ansprüche zusammen gezählt und anschließend halbiert werden. Die Auszahlung soll dann individuell erfolgen, wobei vorrangig bei der Person mit den geringeren Ansprüchen aufgestockt werden soll. Die Garantierente soll damit schon heute dem Prinzip folgen, dass wir generell für die Altersvorsorge von Paaren verwirklichen wollen („Rentensplitting“). Im Jahr der Einführung rechnen wir mit Kosten von 270 Mio. €. Wenn keine anderen präventiven Maßnahmen ergriffen werden, darf man – so die Schätzung unseres Gutachters - im Jahr 2030 mit rund 5 Mrd. € an Kosten rechnen. Die Garantierente soll aus Steuermitteln finanziert werden. Der Schutz von alten Menschen vor Armut ist Aufgabe der gesamten Gesellschaft, nicht allein Aufgabe der Gesetzlichen Rentenversicherung. Wer würde von der Grünen Garantierente begünstigt? Die Antwort des Gutachters ist eindeutig: Frauen. 85% aller Versicherten, welche im Jahre 2030 die Grüne Garantierente beanspruchen könnten, wären Frauen, die meisten davon aus dem Westen. Das zeigt aus unserer Sicht im Umkehrschluss klar: Männer im Westen sind immer noch sehr gut abgesichert und müssen sich um ihr Auskommen im Alter keine so großen Sorgen machen, nur eine sehr kleine Gruppe (3%) der Männer in Westdeutschland würde im Jahr 2030 eine Garantierente beziehen. Die Versicherten im Osten müssen sich etwas größere Sorgen machen. Im Osten sind die Unterschiede zwischen Frauen und Männer allerdings nicht so groß. Altersarmut ist im Osten – noch – geringer als im Westen. Das wird sich aber in den nächsten Jahren ändern. Nach unseren Schätzungen würden 2030 in Ostdeutschland etwa 10% der Männer und 15% der Frauen eine Garantierente beziehen. Die Mindestversicherungszeit von 30 Jahren scheint uns gut gewählt. Im Osten können 99% der Männer und immerhin 92% aller Frauen diese Hürde nehmen. Im Westen erreichen deutlich weniger Menschen diese 30 Jahre. Das liegt aber auch daran, dass 8 | GEGEN ALTERSARMUT - MIT DER GARANTIERENTE | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 08/2013 dort der Anteil der Versicherten, der nicht über die Gesetzliche Rentenversicherung abgesichert ist, deutlich höher ist. Für die weitere politische Debatte lässt sich folgendes festhalten. Über die Höhe der Versorgung ließe sich vermutlich relativ schnell ein Einvernehmen herstellen. Abgesehen von der LINKEN, die 1.050 € fordert, bewegen sich viele Vorschläge auf einem Niveau von rund 850 €. Die wirklich strittige Frage ist dagegen, ob eine neue Leistung eher der Grundsicherung oder eher der Rentenversicherung ähneln soll. Für uns ist klar: Soweit sich das im bestehenden Rahmen verwirklichen lässt, soll die Garantierente eine Versicherungsleistung sein, also ohne Prüfung der Bedürftigkeit und mit einem schlanken Antragsverfahren bewilligt werden können. Die FDP will dagegen die Grundsicherung reformieren. Die SPD nennt ihre Solidar-Rente eine „Grundsicherung zweiter Ordnung im Sozialrecht“. Die Lebensleistungsrente der Union soll zwar eine Rentenleistung sein, aber der Bedarf soll so umfassend geprüft werden, dass sie von einer Fürsorge-Leistung kaum mehr zu unterscheiden sein wird. Einen wirklichen Unterschied macht es auch, wie viele Jahre man Mitglied in der Versicherung gewesen sein muss, um einen Anspruch auf eine Rente zu erwerben. Wie immer darf es bei der LINKEN etwas mehr sein: Es soll gar keine Mindestversicherungszeit geben. Dafür soll und muss dann auch die Prüfung der Bedürftigkeit sehr umfassend sein. Letztlich ist die Mindestrente der LINKEN dann auch nichts anderes als eine Grundsicherung mit einem höheren Zahlbetrag. SPD und Union wollen die Hürden für die SolidarRente so hoch setzen, dass kaum jemand sie wird überwinden können. Faktisch werden die meisten armen Alten dann auch in Zukunft auf Grundsicherung angewiesen sein. 08/2013 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | GEGEN ALTERSARMUT - MIT DER GARANTIERENTE | 9 ARMUTSBEKÄMPFUNG ALS TEIL DER RENTENVERSICHERUNG PROF. DR. FRANK NULLMEIER Zwei Bemerkungen möchte ich meiner Analyse der „Grünen Garantierente“ voranstellen: Die Vermeidung von Armut ist kein leitendes Prinzip der Gesetzlichen Rentenversicherung. Armutsvermeidung ist Aufgabe der Grundsicherung. Sie gewährleistet ein menschenwürdiges soziokulturelles Existenzminimum und stellt sicher, dass jeder Mensch seinen Bedarf decken kann. Darauf besteht ein von der Verfassung garantierter Anspruch. Dieser Anspruch muss erfüllt werden, vollkommen unabhängig von Vorleistungen. Dem steht gegenüber, dass umfassend geprüft wird, ob tatsächlich ein Anspruch auf Grundsicherung besteht. Leistungen der Grundsicherung werden nur dann gezahlt, wenn Hilfebedürftigkeit besteht, wenn also die anzurechnenden Einkommen und das verwertbare Vermögen nicht ausreichen, um das Existenzminimum zu decken. Die Gesetzliche Rentenversicherung beruht dagegen auf dem Prinzip der Äquivalenz: Die Höhe der Leistungen richtet sich grundsätzlich nach dem Einkommen, für das in der Erwerbsphase Beiträge gezahlt wurden. Wer im Monat auf ein Einkommen von 2.ooo € Beiträge zahlt, der bekommt für diesen Monat einen doppelt so hohen Rentenanspruch gutgeschrieben wie jemand, der in diesem Monat auf ein Einkommen von 1.ooo € Beiträge zahlt. Zwar kennt die Rentenversicherung einen sozialen Ausgleich. In der Rentenversicherung zahlen aber nicht die Reichen für die Armen, sondern die Jungen für die Alten. Bedürftigkeit prüft die die Rentenversicherung nicht und sie sieht ihre Aufgabe entsprechend auch nicht in der Vermeidung von Armut: Es werden auch Renten gezahlt, die unter dem Niveau der Grundsicherung liegen. Das Thema Armut findet aktuell in der politischen und wissenschaftlichen Diskussion eine sehr große Aufmerksamkeit. Auch die Rentenversicherung hat sich der Diskussion geöffnet und es als Problem für die Akzeptanz der GRV erkannt, dass es immer mehr Menschen gibt, die sehr lange in die Rentenkassen einzahlen und die trotzdem zusätzlich Leistungen der Grundsicherung benötigen. Wenn dieses Schicksal auch Teilen der unteren Mittelschicht drohen sollte, hat die Rentenversicherung ein ernsthaftes Legitimations- und Akzeptanzproblem. Bei allen Vorschlägen, die gegenwärtig zur Überwindung der Armut im Alter entwickelt werden, ist eine genaue Betrachtung der normativen Grundprinzipien, jener der Grundsicherung und jener der Rentenversicherung, erforderlich, um ein stimmiges Gesamtsystem der sozialen Sicherung im Alter zu erreichen. Frau von der Leyen hat das Problem der Armut im Alter aktiv aufgegriffen. In ihren Lösungsvorschlägen hat sie aber Prinzipien der Grundsicherung mit Prinzipien der Rentenversicherung vermischt. Für die „Lebensleistungsrente“ soll man nach ihren Vorstellungen seine Bedürftigkeit nachweisen. Dieser Gedanke entstammt dem System der Grundsicherung. Die „Lebensleistungsrente“ soll aber zugleich eine Versicherungsleistung sein und von Vorleistungen abhängen, nämlich langen Beitrags- und Versicherungsjahren in der Rentenversicherung. Sie soll zudem von Vorleistungen abhängig sein, die mit der Rentenversicherung nichts zu tun haben. Die „Lebensleistungsrente“ – eine Leistung der gesetzlichen Rentenversicherung – soll nur erhalten, wer zusätzlich einen privatrechtlichen Vertrag eingeht, z.B. eine RiesterRente abschließt. Noch mehr irritiert die politische Semantik, in der die „Lebensleistungsrente“ präsentiert wird: Es ist auffällig oft von „Belohnung“ für einen bestimmten Lebenslauf die Rede. Belobigungen und Treuepunkte kennt die Sozialversicherung bisher jedoch nicht. 10 | GEGEN ALTERSARMUT - MIT DER GARANTIERENTE | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 08/2013 Diese Vorschläge werfen die Frage auf, ob die bisherigen Prinzipien der Rentenversicherung aufgegeben oder zumindest nur noch mit Einschränkungen gelten sollen. Meines Erachtens muss es ein Prinzip der Rentenversicherung bleiben, dass mit der Mitgliedschaft in der Versichertengemeinschaft Rechte erworben werden, die jedem Mitglied zustehen – unabhängig von seinem Bedarf und unabhängig von seiner Bedürftigkeit. In der Rentenversicherung sollten wir dieses Recht, das jedem Versicherten zusteht, als Recht auf ökonomische Teilhabe im Alter, bei Tod und bei Erwerbsminderung verstehen. Die Berechnung der Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung erfolgt nach dem Prinzip der „Teilhabeäquivalenz“, auch „Beitragsäquivalenz" genannt. Wie eingangs ausgeführt, ist damit, ohne alle erforderlichen Spezifizierungen aufzuführen, gemeint, dass die Rentenansprüche in Relation zu den Beitragszahlungen berechnet werden. Wenn man der Rentenversicherung zusätzlich Aufgaben der Armutsvermeidung zuweisen will, muss man dieses Prinzip der ökonomischen Teilhabe qua Teilhabeäquivalenz – und das wäre das historisch Neue - ergänzen um ein weiteres Prinzip: das Prinzip der Mindestteilhabe. Mindestteilhabe würde bedeuten, dass langjährige Mitglieder der Rentenversicherung über Leistungen der Rentenversicherung ausreichend für das Alter geschützt und nicht auf ein anderes System, die Grundsicherung, verwiesen werden. Die Mindestteilhabe muss und kann nicht jedem Mitglied der Rentenversicherung zukommen, z.B. Personen, die nur 3 oder 8 Jahre in der Rentenversicherung versichert waren und ansonsten etwa privat vorgesorgt haben. Prüft man vor diesem Hintergrund die „Grüne Garantierente“, überzeugt die Idee, eine Mindestteilhabe für Personen einzuführen, die in ihrem Leben weit überwiegend in der Rentenversicherung für ihr Alter vorgesorgt haben. Wenn die Fraktion der Grünen die Garantierente in Höhe von derzeit 850 € an Versicherte auszahlen will, die mindestens 30 Jahre Mitglied in der Rentenversicherung waren, dann steht das mit dem Prinzip der ökonomischen Teilhabe und dessen Ergänzung, der Mindestteilhabe, in Einklang: Ein langer Zeitraum der Zugehörigkeit zur Solidargemeinschaft muss nach der Idee der Mindestteilhabe vor Armut schützen. Nach einem derart langen Zeitraum der Zugehörigkeit zur Solidargemeinschaft darf man nicht mehr auf Grundsicherung angewiesen sein. Aber: Die Mindestteilhabe sollte nicht von Vorleistungen in anderen Systemen, z.B. von einem Riester-Vertrag, abhängen und auch nicht von der Bedürftigkeit. Das entspräche nicht den Prinzipien der Versicherung, sondern wäre Ausdruck der Prinzipien der Fürsorge und Grundsicherung. Eine reine Versicherungsleistung soll die „Grüne Garantierente“ nach den bisherigen Überlegungen nicht werden. Einkommen aus anderen Systemen der Alterssicherung, aber auch Partnereinkommen, sollen auf die Garantierente angerechnet werden. Die Grünen schlagen vor, dass jede Bürgerin und jeder Bürger, der 30 Jahre Mitglied der Rentenversicherung war, 30 Entgeltpunkte erhalten soll. Das sind derzeit rund 850 €. Alle Versicherungszeiten sollen anerkannt werden. Das ist schlüssig und ein erster wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Mindestteilhabe in der Rentenversicherung. Heute kann eine Rente, die ein Mindestmaß an Teilhabe garantieren soll, aber nicht allein auf den bisherigen Beitragszeiten fußen. Viele Versicherte, insbesondere Frauen, erreichen auch mit den Kindererziehungszeiten nicht die Summe von 30 Beitragsjahren. Aus meiner Sicht entspricht es aber der Logik der Versicherung, dass die Mindestteilhabe durch Beitragszahlungen erreicht wird. Das bedeutet für mich, dass Zeiten, die bisher keine Beitragszeiten sind, z.B. bei Arbeitslosigkeit, in Beitragszeiten umgewandelt werden müssten. Die Kindererziehungszeiten könnten hier als Vorbild für eine Reihe anderer Zeiten ohne Erwerbseinkommen dienen. Die Grüne Garantierente ist ein sehr spannender und politisch weiterführender Vorschlag. Den Prinzipien der Rentenversicherung würde es aber noch besser entsprechen, wenn das Mindestniveau nach 30 Jahren tatsächlich für alle langjährigen Mitglieder der Rentenversicherung garantiert wäre – ohne Prüfung der Bedürftigkeit 08/2013 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | GEGEN ALTERSARMUT - MIT DER GARANTIERENTE | 11 DEBATTE, TEIL I Die Akzeptanz einer Reform wird davon abhängen, ob die Bürgerinnen und Bürger das Anliegen der Politik verstehen. Sie wird zudem davon abhängen, ob die Bürgerinnen und Bürger die neuen Regeln, also ihre Rechte und Pflichten im Sozialstaat, verstehen. So viel lässt sich aus der Debatte in die weitere sozialpolitische Diskussion mitnehmen. Für eine Reform der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung wird vor diesem Hintergrund ins Feld geführt, dass damit die sozialstaatliche Leistung, die originär für die Bekämpfung von Armut im Alter zuständig ist, fortentwickelt würde. Das sei einfach, klar und verständlich, eine sehr pragmatische Vorgehensweise. Darin wird der Vorzug des Vorschlags der Gewerkschaft ver.di und vom Sozialverband Deutschland gesehen1. Jede neue Leistung gegen Armut mache den Sozialstaat schwerer verständlich – zumal dann, wenn jede Leistung von anderen Vorleistungen abhänge. Die Grüne Garantierente soll so wenig Bürokratie wie nötig verursachen, so viele Menschen wie möglich vor Altersarmut schützen und bezahlbar sein. Das ist die Absicht der Grünen. Solange das gegliederte System der Altersvorsorge fortbesteht und nicht alle Bürgerinnen und Bürger Mitglied der gesetzlichen Rentenversicherung sind, sollen deshalb Einkommen aus der 1. Säule (Beamtenversorgung, Versorgungswerke der Freien Berufe …), aber auch Betriebsrenten und Renten aus privater Vorsorge auf die Garantierente angerechnet werden, andere Einkünfte hingegen nicht. Vor diesem Hintergrund wurde zu bedenken gegeben, dass gerade diese Einkünfte wachsen. Auch das spreche für eine Reform der Grundsicherung. Ver.di und Sozialverband Deutschland wollen in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung Freibeträge einführen. Menschen, die vorgesorgt haben, sollen gegenüber Menschen, die nicht vorgesorgt haben, privilegiert werden. Ihre Grundsicherung soll mindestens 850 € betragen. 1 Der Vorschlag von ver.di und Sozialverband Deutschland führe zu einer vollständigen Gleichbehandlung aller Arten von Einkommen im Alter. Gegen eine Reform der Grundsicherung wurde hingegen ins Feld geführt, dass die Grundsicherung der „Fürsorge“ zuzuordnen ist, also jenen sozialstaatlichen Leistungen, die Bedürftige erhalten, mehr Geld ändere daran nichts. Man dürfe auch nicht übersehen, dass eine deutliche Verbesserung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung die Akzeptanz der Rentenversicherung noch verringern könnte. Je höher die Grundsicherung sei, umso schwerer sei es, eine Rente aufzubauen, die oberhalb der Grundsicherung angesiedelt sei. Das gelte besonders für Leute mit kleinen und mittleren Verdiensten. Dem Mindestlohn auf dem Arbeitsmarkt entspreche in diesem Sinne ein Mindestniveau in der Sozialversicherung. Ein Vollzeitjob müsse reichen, um nicht auf Grundsicherung angewiesen zu sein. Wer aber heute ein Leben Vollzeit zu einem Mindestlohn von 8,50 € arbeite, sei im Alter auf Grundsicherung angewiesen. Auch das müsse vermieden werden, wenn die einzelnen Elemente sozialstaatlicher Reformen zusammen passen sollen. Wenn die Grüne Garantierente eine echte Versicherungsleistung sein wolle, sei die Anrechnung anderer Alterseinkommen wie auch die Anrechnung von Partnereinkommen nicht wirklich konsequent. Die Fortentwicklung der Rentenversicherung zu einer universellen Versicherung, in der alle Bürgerinnen und Bürger wie auch alle Einkommensarten versichert wären, bleibe so ein sehr wichtiges langfristiges Ziel, denn sie mache den Verzicht auf die Anrechnung von anderen Einkommen möglich. Das eröffne dann auch die Chance, die Grüne Garantierente konsequenter als Versicherungsleistung auszugestalten. Aus Sicht der Sachverständigen steht nicht zu befürchten, dass Leute aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden, weil Arbeit (und die Zahlung von Beiträ- 12 | GEGEN ALTERSARMUT - MIT DER GARANTIERENTE | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 08/2013 gen an die Rentenversicherung) sich für sie nicht mehr lohne, wenn eine Garantierente eingeführt würde. Ein Gerechtigkeitsproblem werfe die Grüne Garantierente dennoch auf. Leute, welche die Vorgaben knapp verfehlten, etwa 29 Versicherungsjahre vorzuweisen hätten, dürften sich benachteiligt fühlen. Auch Vollzeitbeschäftigte könnten sich gegenüber Teilzeitbeschäftigten benachteiligt fühlen, wenn unterschiedlich hohe Beitragszahlungen im Ergebnis zu einer Rente in identischer Höhe, nämlich 850 €, führten. Solche Probleme könnten gemildert werden, wenn lange Gleitphasen eingeführt würden, eigenes Einkommen auch aus der gesetzlichen Rentenversicherung von der Einkommensanrechnung freigestellt würde. Das würde die Kosten aber deutlich erhöhen. Perspektive – die Grüne Garantierente – zur langfristigen Perspektive passe. Und die heiße Bürgerversicherung, mit einer Mindestteilhabe in der Rentenversicherung. Man dürfe aber auch nicht übersehen, dass auch dann noch nicht alle Bürgerinnen und Bürger ausreichenden Schutz durch die Rentenversicherung erlangen könnten. Viele Zuwanderer z.B. würden auch dann an den Vorgaben scheitern – wie es sich auch in Ländern mit einer universellen Alterssicherung zeige, wie z.B. Schweden. Das Mindestniveau in der Rentenversicherung könnten auch dort nur jene Bürgerinnen und Bürger erreichen, die eine Mindestzeit im Land verbracht hätten. Für diese Menschen müsse man ggf. in einem zweiten Schritt über eine Verbesserung der Grundsicherung nachdenken. Solche Probleme könnten zudem gemildert werden, wenn bestimmte Zeiten im Lebensverlauf, etwa Zeiten der Arbeitslosigkeit, bewertet würden, für diese Zeiten also Beiträge an die Rentenversicherung gezahlt würden. In der sozialpolitischen Diskussion müsse dann –wie bei den Kindererziehungszeiten – eine Verständigung herbeigeführt werden, welche dieser Zeiten wie Erwerbsarbeit anerkannt werden sollten; für welche dieser Zeiten der Staat Beiträge an die Rentenversicherung zahlen sollte. Aber auch das sei natürlich nicht umsonst zu haben, zumal ein solches Vorgehen neue Gerechtigkeitsfragen nach sich ziehen könnte. Im Grunde müsste man solche Mindestbeiträge dann auch für Erwerbstätige zahlen, wenn diese nicht gegenüber Arbeitslosen benachteiligt werden sollten oder man müsste die Rentenformel dahingehend ändern, dass für Zeiten des Erwerbs Mindestentgeltpunkte erworben würden. Die Garantierente habe gegenüber einem solchen Vorgehen den Vorzug, dass sie kurzfristig eingeführt werden könnte, während sich Mindestniveaus über Beitragszahlungen nur Schritt für Schritt aufbauen ließen. Das gegliederte System der sozialen Sicherung spricht aus Sicht vieler Teilnehmerinnen und Teilnehmer durchaus für Vorversicherungszeiten – zumindest bei Einführung der Garantierente. Politik habe darauf zu achten, dass die kurzfristige 08/2013 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | GEGEN ALTERSARMUT - MIT DER GARANTIERENTE | 13 BEKÄMPFUNG DER ALTERSARMUT VON FRAUEN IM KONZEPT DER GRÜNEN GARANTIERENTE DR. CLAUDIA VOGEL Armut im Alter war lange kein Problem in Deutschland. Die Rentenversicherung hat die meisten gut geschützt. Das hat sich geändert und das ist ein gesellschaftliches Problem. Warum? Alte Menschen können ihre Armut oft nicht mehr überwinden. Im Alter braucht man zudem oft nicht weniger Geld, sondern mehr, wenn man beispielweise pflegebedürftig wird. Auch Einsamkeit und soziale Ausgrenzung sind im Alter stärker spürbar, wenn etwa die sozialen Netze durch Erwerbsarbeit wegfallen. Sozialpolitisch geht es derzeit um Weichenstellungen für die Zukunft. Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass Armut im Alter zunehmen wird. Die Zahl der Personen, die Grundsicherung im Alter erhalten, steigt kontinuierlich. Die Renten der Versicherten, die heute in Rente gehen, sind niedriger als die bisherigen Renten. Frauen sind von Armut stärker betroffen als Männer. Mehr Frauen als Männer sind im Alter arm. Im Alter von 65 und mehr Jahren erhalten mehr Frauen (3%) als Männer (2%) Grundsicherung. Zudem lässt sich z.B. mit Daten des Deutschen Alterssurveys zeigen, dass es häufig Mütter sind, die eine finanzielle Unterstützung von erwachsenen Kinder benötigen und erhalten und selten Väter. Die Renten von Frauen sind niedriger als die Renten von Männern, besonders im Westen. Das hat sich kaum geändert, obwohl immer mehr Frauen berufstätig sind. Zwar haben sich die Renten von Frauen und Männern durchschnittlich angenähert. Das liegt aber nicht nur daran, dass Frauen aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit heute im Alter besser für sich selbst sorgen können. Das liegt auch daran, dass die durchschnittlichen Renten von Männern sinken. Die Rente von Männern, die heute neu in Rente gehen, liegt bereits um rund 1oo € unter der durchschnittlichen Rente von Männern, die bereits in Rente sind. Es gibt noch einen Anhaltspunkt dafür, dass die Probleme zunehmen werden. Die Daten aus dem Sozio-ökonomischen Panel zeigen, dass die Men- schen, die 61 Jahre und älter sind, noch vergleichsweise gut vor Altersarmut geschützt sind. Bei den Erwerbstätigen zwischen 41 und 60 Jahren lässt sich demgegenüber schon heute ein drastischer Anstieg der Einkommensarmut feststellen. Ausreichende Rentenansprüche können diese Menschen nicht mehr aufbauen. Frauen sind häufiger von Armut im Alter betroffen, weil sie häufiger und länger Teilzeit arbeiten als Männer und häufiger phasenweise auch ganz aus dem Erwerb ausscheiden, etwa wegen der Kinder. Genauso entscheidend ist aber, dass die Erwerbseinkommen der Frauen nicht in dem Maße steigen, wie ihr Bildungsgrad steigt und ihre Teilhabe an Erwerbsarbeit zunimmt. Wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung jüngst in einem Wochenbericht gezeigt hat, tragen Frauen mit ihrem Verdienst immer noch nur etwa 30% des Haushaltseinkommens bei. In der sozialpolitischen Diskussion wurde Kinderarmut viele Jahre stärker thematisiert als Armut im Alter. Man darf aber nicht übersehen, dass Kinder häufig dann arm sind, wenn ihre Eltern arbeitslos oder alleinerziehend sind. Die Kinder sind arm, weil ihre Eltern arm sind und viele dieser Eltern dürften auch im Alter noch arm sein. Auch die Rentenpolitik selbst hat ihren Anteil daran, dass Armut im Alter zunehmen wird. Das Niveau der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung wird sinken. Den Bürgerinnen und Bürger bleibt es aber selbst überlassen, ob sie die Lücken durch private Vorsorge schließen. In Familien überlagern sich diese Entwicklungen zudem. Im Durchschnitt haben Frauen nach wie vor geringe eigene Renten. Wenn sie sich darauf verlassen haben, dass sie über die Rente ihrer Männer ausreichend versorgt sind, müssen sie gleichbleibend kleine eigene Renten in Zukunft mit sinkenden Renten von ihren Partnern kombinieren. 14 | GEGEN ALTERSARMUT - MIT DER GARANTIERENTE | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 08/2013 ZUR GRÜNEN GARANTIERENTE Die gesetzliche Rentenversicherung ist das zentrale System, das gestärkt werden muss, wenn Armut im Alter bekämpft werden soll. Eine Stärkung der Rentenversicherung hilft Frauen an sich, weil Frauen häufiger allein in der gesetzlichen Rentenversicherung gesichert sind, und seltener über Betriebsrenten noch über zusätzliche private Vorsorge verfügen. Wenn Altersarmut zielgenau bekämpft werden soll, müssen die Rahmenbedingungen für die Garantierente so gesetzt werden, dass Frauen nicht von Vornherein von der Garantierente ausgeschlossen sind. Der Großteil der Menschen, die von Armut betroffen sein werden, wird nämlich auch künftig weiblich sein. Frauen haben aber nur dann eine realistische Chance auf eine Garantierente, wenn die Bedingungen so gestaltet sind, dass auch typische Lebensverläufe von Frauen abgesichert werden. Konkret heißt das: Zeiten der Ausbildung, Zeiten der Erwerbsunterbrechung wegen Arbeitslosigkeit, Kindererziehung und Pflege müssen anerkannt werden. Man darf aber nicht aus dem Blick verlieren, dass Armut im Alter nicht nur über eine Garantierente bekämpft werden kann. Equal Pay für Frauen wird auch die Alterseinkommen von Frauen verbessern. Derzeit verdienen Frauen für vergleichbare Tätigkeiten immer noch rund ein Fünftel weniger als Männer. Entsprechend fallen ihre gesetzlichen Renten kleiner aus. Viel spricht auch dafür, die Rentenversicherung so umzugestalten, dass Frauen mehr eigene Rentenansprüche erwerben und weniger stark auf ihre Männer angewiesen sind. Man muss aber gut überlegen, wie man den Übergang gestaltet und wie man damit umgeht, dass viele Frauen sich auf die Witwenrente verlassen (haben). Es ist wenig bekannt, dass Frauen mit Migrationshintergrund die höchsten Armutsquoten im Alter haben, weil ihre Beitragszeiten zur Rentenversicherung oft sehr kurz sind. Diesen Frauen kann mit der Grünen Garantierente derzeit nicht geholfen werden. Es stellt sich die Frage, welche Maßnah- men man ergreifen könnte, um auch diesen Frauen zu helfen. Viel spricht in diesem Zusammenhang auch für einen etwas anderen Blick auf die Rente mit 67. Wenn Frauen 2 Jahre länger in die Rentenversicherung einzahlen können, führt das an sich zu höheren Rentenanwartschaften. Damit steigen gleichzeitig die Chancen, dass sie auf 30 Jahre kommen und damit einen Anspruch auf Garantierente erlangen können. Erwerbsgeminderte sind viel häufiger arm als Menschen ohne Erwerbsminderung. Eine Ursache dafür sind die hohen Abschläge. Auch diesen Aspekt muss man in die Debatte einbeziehen. Zwei Punkte möchte ich noch zu bedenken geben, welche die allgemeine rentenpolitische Debatte betreffen. Der Ruhestand zieht sich heute über 20 bis 25 Jahre hin. Uwe Fachinger und Harald Künemund von der Universität Vechta beschäftigen sich in einem aktuellen Forschungsprojekt mit der Frage, wie sich die Alterseinkommen aus der privaten Altersvorsorge entwickeln werden. Im Unterschied zur gesetzlichen Rente ist die private Vorsorge nicht immer dynamisch ausgestaltet, d.h., die Alterseinkommen steigen nicht unbedingt mit der allgemeinen Einkommensentwicklung. Wer bei Renteneintritt eine zusätzliche monatliche Altersrente von 2oo € aus einer privaten Altersvorsorge erhält, weiß nicht, wie viel diese Rente 2o Jahre später noch wert sein wird. Unterschiedliche Anpassungsregeln erschweren die Vorsorge für die lange Lebensphase Alter. Über die gesamte Rentenphase gerechnet kann dies zu deutlichen Einbußen beim Lebensstandard führen, besonders in Phasen mit hoher Inflation. Ganz grundsätzlich stellt sich die Frage, ob es wirklich nötig ist, dass Rentenniveau so stark wie geplant zu senken oder ob man die Leistungsfähigkeit der Rentenversicherung auch erhalten könnte, in dem man mehr Menschen in Beschäftigung bringt, insbesondere mehr Frauen dazu ermutigt, Vollzeit zu arbeiten. Auch auf diese Weise könnte man die demographischen Probleme der Rentenversicherung mildern und die Beitragssätze stabil halten. 08/2013 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | GEGEN ALTERSARMUT - MIT DER GARANTIERENTE | 15 DEBATTE, TEIL II Von manchen Teilnehmerinnen der Debatte wird die grüne Rentenpolitik für Frauen als widersprüchlich empfunden. Der Anspruch sei, dass Frauen mehr eigene Ansprüche aufbauen. Dazu gehöre, dass man Frauen ermutige Vollzeit zu arbeiten und auch die Rahmenbedingungen dafür schaffe. Andererseits wolle man eine Garantierente einführen, die auch Frauen mit kleinen Jobs und langen Zeiten der Kindererziehung oder Arbeitslosigkeit erhalten können sollen. Zugleich wolle man ein „Splitting“ in der Rente einführen, dass dem bestehenden Versorgungsausgleich nachempfunden sei. Auch auf diesem Weg würden Frauen dann Rentenansprüche aufbauen, die keine eigene Erwerbsarbeit voraussetzen. Eigentlich seien derzeit aus Sicht der Sachverständigen die Voraussetzungen für eine gute oder zumindest durchschnittlich bezahlte Erwerbsarbeit von Frauen sehr gut, da Frauen sehr viel besser ausgebildet seien als noch vor 20 Jahren. Diese Bildungsabschlüsse führten aber nicht zu entsprechend gut bezahlten Jobs und könnten damit auch nicht zu entsprechend hohen Anwartschaften auf Rente führen. Noch sei Altersarmut eher ein Problem der Frauen in Westdeutschland. Es sei aber zu beobachten, dass sich die Erwerbsmuster in Ost und West angleichen würden. Bedauerlicherweise wirke sich diese Entwicklung für die Alterseinkommen von Frauen nachteilig aus. Auch im Osten gebe es immer weniger Frauen, die Vollzeit erwerbstätig seien. Auch im Osten nehme die Zahl der Frauen zu, die Lücken im Erwerbsverlauf hätten. Vor diesem Hintergrund spreche viel dafür, dass in Zukunft mehr Frauen auch im Osten auf eine Garantierente angewiesen sein könnten – wenn es nicht gelinge, diese Erwerbsmuster zu überwinden. Von manchen Teilnehmerinnen wurde die Sorge geäußert, dass es mit einer Grünen Garantierente schwieriger werden könnte, diese Erwerbsmuster zu überwinden. Schließlich sende man an Frauen die Botschaft, dass man auch mit kleinen Jobs eine auskömmliche Rente aufbauen und auch in Zu- kunft an den Rentenanwartschaften der Männer teilhaben könne. Es frage sich, ob in dieser Hinsicht die Grüne Garantierente Frauen dann womöglich sogar von existenzsichernder Erwerbsarbeit fernhalte, weil auch mit minimaler Erwerbsbeteiligung eine Rente in Höhe von 850 € garantiert sei. Das gelte besonders für Frauen mit Migrationshintergrund. Dagegen wurde eingewandt, dass es gerade für solche Frauen attraktiv sein könnte, sich in Zukunft um sozialversicherte Jobs zu bemühen, gerade für Beschäftigte mit kleinen und schlecht bezahlten Jobs. Nach geltendem Recht müsste solche Beschäftigten im Alter häufig Grundsicherung beantragen. Das bleibe ihnen mit einer Garantierente erspart. Dagegen wurde zudem angeführt, dass die Entscheidung für oder gegen (vollzeitige) Erwerbsarbeit nicht nur vom Rentenrecht abhänge, sondern auch vom Arbeitsmarkt, der Arbeitsmarktpolitik, dem Bedarf des Haushalts und der Frage, wie sich der Job mit einer Familie vereinbaren lasse. Aus Sicht der Fraktion werde aber auch das „Splitting“ als ein Schritt auf dem Weg zu mehr eigenen Ansprüchen von Frauen gesehen. Konkret müsse sich das Splitting wie folgt vorstellen: Wenn der Mann einen Verdienst von 2000 € erziele und die Frau einen Verdienst von 500 €, dann sollen an die Deutsche Rentenversicherung Beiträge für jeweils 1250 € gezahlt werden. Genau so solle auch für andere Formen der Vorsorge verfahren werden. Konkret würden dann also Rentenansprüche auf zwei Konten aufgebaut. Darum sei dieses Verfahren auch deutlich weniger bürokratisch als beim Versorgungsausgleich: Beim Versorgungsausgleich müssten Ansprüche aus den verschiedensten Quellen zum Ausgleich gebracht werden – oft Jahrzehnte nach der Beitragszahlung. Der Wert einer privaten Geldanlage für das Alter sei aber nicht ohne Weiteres mit dem Wert einer Anlage in der Gesetzlichen Rentenversicherung zu vergleichen, wie zu Recht in der Debatte angemerkt worden sei. 16 | GEGEN ALTERSARMUT - MIT DER GARANTIERENTE | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 08/2013 Vom „Splitting“ erhoffe man sich zudem, dass Erwerbsarbeit von Frauen auch für Männer attraktiver werde, weil mit jedem Euro, den die Frau verdiene, auch die Rente des Mannes steigen würde. Auch in dieser Debatte wurde kritisch angemerkt, dass die Grüne Garantierente viele arme Frauen nicht erreichen kann, weil sie nur für Neurentnerinnen und Neurentner gezahlt werden soll. Auch wurde zur Diskussion gestellt, ob es wiederum Männer bevorzuge, wenn Einkommen aus der 1. Säule der Alterssicherung vollständig auf die Garantierente angerechnet werden sollen und Betriebsrenten oder die private Vorsorge lediglich zu 80%. Wie man wisse, hätten Männer sehr viel häufiger Ansprüche auf Betriebsrenten als Frauen. Das trifft aus Sicht der Sachverständigen zu. Es sei allerdings zu bedenken, dass Männer mit Ansprüchen aus verschiedenen Systemen so hohe Renten haben dürften, dass eine Garantierente für sie gar nicht in Frage käme. Von der grünen Fraktion wurde daran erinnert, dass die Fraktion auch Menschen, die bereits in Rente sind, in die Reform einbeziehen würde, wenn dies bezahlbar wäre. Würde man im Jahre 2014 alle Rentnerinnen und Rentner in die Garantierente einbeziehen, dann wären bereits im Jahr der Einführung 5 Mrd. € an Kosten fällig. Andere wichtige Maßnahmen, auch Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut, seien dann nicht mehr zu finanzieren – wie etwa eine bessere Grundsicherung oder bessere Bildungseinrichtungen. Die Garantierente sei ein Schritt in die richtige Richtung. Auch Freibeträge für Renten aus der 1. Säule würden hohe zusätzliche Kosten verursachen. Konkret würden sich die Kosten verdoppeln, wenn nur 80% der Renten aus der 1. Säule auf die Garantierente angerechnet würden. Auch damit würden die finanziellen Spielräume für andere sozialpolitische Maßnahmen stark eingeengt, die in einer älter werdenden Gesellschaft dringend nötig seien. Hinzu komme, dass die Garantierente dann bis in mittlere Einkommensgruppen hinein gezahlt werden müsste. Für Alleinstehende müssten Renten bis zu einer Höhe von rund 1.ooo € aufgestockt werden. Betriebliche und private Vorsorge wird von der grünen Fraktion unverändert für sehr wichtig gehalten, weil die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sinken werden. Darum soll es sich für Bürgerinnen und Bürger auch bei knapper Kasse lohnen, zusätzlich zu den Beiträgen in die gesetzliche Rentenversicherung noch Beiträge in einen privaten oder betrieblichen Sparvertrag zu leisten. Offen bleiben musste, wie die Garantierente langfristig finanziert werden soll. Der bestehende Finanzplan sieht eine Finanzierung für die 18. Wahlperiode vor. Zur Diskussion stand, ob die Maßnahmen, die derzeit ins Auge gefasst werden, als realistisch anzusehen sind. Konkret wurde darauf hingewiesen, dass eine Einbeziehung der Solo-Selbstständigen in die Rentenversicherung zwar kurz- und mittelfristig zu neuen Einnahmen führen könnte, langfristig aber auch zu neuen Rentenausgaben führen müsste. Das wurde nicht in Zweifel gezogen. Es wurde aber darauf aufmerksam gemacht, dass man für einen sehr langen Übergangszeitraum mit zusätzlichen Einnahmen rechnen könne. So geht etwa der Sachverständigenrat für die Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung davon aus, dass bis zum Jahre 2070 mit zusätzlichen Einnahmen zu rechnen sei, wenn man die Selbstständigen in die Rentenversicherung einbeziehen würde. In der Debatte wurde zudem angemahnt, dass man auch jene Beschäftigten nicht aus dem Blick verlieren dürfe, die ihr ganzes Leben lang durchgehend beschäftigt und die über Tarifverträge gut entlohnt seien. Für diese Beschäftigten seien die Beschlüsse zur Senkung des Rentenniveaus wie auch zur Rente mit 67 bedeutsamer als Vorschläge zur Bekämpfung von Altersarmut. Diese Beschäftigten betrachteten die Grüne Garantierente nicht als Antwort auf ihre besonderen Probleme. Darunter seien viele Frauen, besonders Erzieherinnen und Pflegekräfte. Diesen Beschäftigten brenne die Frage auf den Nägeln, ob sie es schaffen könnten, bis zur Regelaltersgrenze zu arbeiten und ob sie für ihre Arbeit eine Rente mit einem angemessenen Niveau erhalten könnten. Dem wurde entgegen gehalten, dass ein höheres Rentenniveau im geltenden Recht mit höheren 08/2013 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | GEGEN ALTERSARMUT - MIT DER GARANTIERENTE | 17 Beitragssätzen einhergehen müsste. Das widerspreche den berechtigten Interessen der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler. Mit Maßnahmen zur Bekämpfung von Lohnarmut, mit der Durchsetzung von Equal Pay wie auch und insbesondere der schrittweisen Entwicklung der Rentenversicherung zu einer Bürgerversicherung und der Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen lasse sich hingegen ein angemessenes Rentenniveau bei stabilen Beiträgen erreichen. Von einigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurde vor diesem Hintergrund in der politischen Debatte ein klareres Bekenntnis zur Bürgerversicherung angemahnt. Dazu gelte auch für die Rente mit 67: Sie führe zu einem höheren Rentenniveau, weil die Zahl der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler gegenüber der Zahl der Rentnerinnen und Rentner steige. Sie sei damit ein klarer Beitrag zur Vermeidung von Altersarmut. Es wurde zu bedenken gegeben, dass die Rente mit 67 aber eher den Beschäftigten mit höheren Verdiensten, mit besseren Arbeitsmarktchancen und in gesundheitlich weniger belastenden Berufen nütze. Das sei sozial nicht befriedigend. Aber auch in dieser Hinsicht könnte die Garantierente aus grüner Sicht zu mehr sozialem Ausgleich beitragen. Da auch Menschen mit Erwerbsminderung einen Anspruch auf Garantierente haben sollen, wären diese deutlich besser vor Armut geschützt als heute. Die Garantierente sei zudem in andere Maßnahmen eingebettet. Ein Beispiel: Für Menschen, die allein wegen gesundheitlicher Probleme in Rente gehen, sollten aus grüner Sicht die Abschläge abgeschafft werden. Auch wolle man den Zugang zu einer Teilrente erleichtern und eine Antragstellung ab dem 60. Lebensjahr möglich machen. Dagegen wurde eingewandt, dass nach geltendem Recht eine Teilrente für viele Beschäftigte wegen der Abschläge nicht besonders attraktiv sei. Viele Fragen müssen aus Sicht der Teilnehmerinnen und Teilnehmer noch geklärt werden. Diese Fragen seien aber vollkommen unabhängig von der Rente mit 67. Es gebe genügend Leute, die auch nicht bis zum 65. Lebensjahr arbeiten könnten. Es sei auch nicht allein Aufgabe der Politik, Lösungen für diese Probleme zu finden. Darum müssten sich auch die Tarifpartner in den besonders betroffenen Branchen stärker kümmern. Es wurde zudem angemahnt, dass Thema Altersarmut nicht auf den fiskalischen Aspekt zu reduzieren. Armut im Alter sei häufig auch mit mangelnder Beteiligung in anderen Bereichen und mit Vereinsamung verbunden. Daraus ergebe sich die Frage, wie die Politik vor Ort in den Kommunen gestaltet werden könnte und wie die Infrastruktur vor Ort ausgebaut werden könnte. Sicher seien mehr altersgerechte Wohnungen nötig. Auch dazu müsse ein Dialog initiiert werden, der über einen Rentendialog hinausgehe und der die Kommunen einbeziehen müsse, die Verbände und die bürgerschaftlich Engagierten. In diesem Sinne könne nicht oft genug wiederholt werden, dass der Kampf gegen Altersarmut nicht allein in der Rentenversicherung gewonnen werden könne. Damit möglichst viele Frauen vor Altersarmut geschützt würden, müsse bereits während des Erwerbslebens gewährleistet werden, dass genug Ansprüche für später aufgebaut werden. Die Bekämpfung von Altersarmut fange schon bei der Bildung an. Wichtig sei ferner eine Arbeitsmarktpolitik, die allen und damit besonders auch Frauen, reelle Chancen auf einen Arbeitsplatz ermögliche. Darüber hinaus sei eine Lohnpolitik erforderlich, die zu ausreichenden und angemessenen Löhnen führe. Die Einführung eines Mindestlohns sei deshalb zwingend notwendig. Und: Die Rentenversicherung müsse Schritt für Schritt zu einer Bürgerversicherung fortentwickelt werden. Das führe zu mehr Gerechtigkeit in der Finanzierung der Alterssicherung. Das führe zu mehr Stabilität bei Rentenniveau und Beitragssätzen und es bringe mehr Menschen in den Schutz der Sozialversicherungen. 18 | GEGEN ALTERSARMUT - MIT DER GARANTIERENTE | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 08/2013 PARLAMENTARISCHE INITIATIVEN UND BESCHLÜSSE Garantierente Fraktionsbeschluss vom 27.11.20121 ASKOS Garantierente Endbericht 6.12.20122 Altersarmut bekämpfen – Mit der Garantierente Drucksache 17/134933 Beitragssätze nachhaltig stabilisieren, Erwerbsminderungsrente verbessern, Reha-Budget angemessen ausgestalten Drucksache 17/110104 Verbraucherschutz bei der Riester-Rente Drucksache 17/108895 Altersarmut in Deutschland Drucksache 17/63176 Gleiches Rentenrecht in Ost und West Drucksache 17/52077 Voraussetzungen für die Rente mit 67 schaffen Drucksache 17/40468 Mindestbeiträge zur Rentenversicherung verbessern, statt sie zu streichen Drucksache 17/24369 http://www.gruenebundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/fraktion/beschluesse/Beschluss_Garantierente.pdf 1 https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/themen_az/rente/171172_ASKOS_Garantierente_Endbericht_6-12-2012.pdf 2 3 http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/134/1713493.pdf 4 http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/110/1711010.pdf 5 http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/108/1710889.pdf 6 http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/063/1706317.pdf 7 http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/052/1705207.pdf 8 http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/040/1704046.pdf 9 http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/024/1702436.pdf 08/2013 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | GEGEN ALTERSARMUT - MIT DER GARANTIERENTE | 19 17/140 Garantierente