Kapitel 5 Kontextuelle Kooperation in virtuellen Lernumgebungen
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Kapitel 5 Kontextuelle Kooperation in virtuellen Lernumgebungen
ΚΥΜ 8 ϑΟΣΕΦ ΕΥΛ ςΕΡΛΑΓ Σχηριφτεν ζυ Κοοπερατιονσ− υνδ Μεδιενσψστεµεν ! Βανδ 8 Ηεραυσγεγεβεν ϖον ςολκερ Ωυλφ, ϑργ Ηαακε, Τηοµασ Ηερρµανν, Ηελµυτ Κρχµαρ, ϑοηανν Σχηλιχητερ, Γερηαρδ Σχηωαβε υνδ ϑργεν Ζιεγλερ Εφφεκτιϖεσ Λερνεν ερφορδερτ ινδιϖιδυελλε υνδ κοοπερατιϖε Λερνπηασεν. Ωηρενδ β− λιχηε Λερνπλαττφορµεν ηαυπτσχηλιχη ινδιϖιδυελλεσ Λερνεν υντερσττζεν, ζιελεν κο− οπερατιϖε Υµγεβυνγεν ϖορωιεγενδ αυφ δασ Λερνεν ιν Γρυππεν. ∆ιεσε Αρβειτ στελλτ εινε Κονζεπτιον φρ ϖιρτυελλε Λερνυµγεβυνγεν ϖορ, διε ινδιϖιδυελλεσ υνδ κοοπερατι− ϖεσ Λερνεν ιντεγριερτ υνδ φλεξιβλε ⇐βεργνγε ερµγλιχητ. ∆ιε ζεντραλε Ιδεε ιστ εσ, δεν Κοντεξτ δεσ κοοπερατιϖεν Λερνενσ ζυρ Υντερσττζυνγ δεσ Λερνπροζεσσεσ ηερανζυζιεηεν. Κοντεξτυελλεσ κοοπερατιϖεσ Λερνεν, δ. η. αυφ Βασισ δεσ Κοντεξτεσ υντερσττζτεσ κοοπερατιϖεσ Λερνεν, ερφορδερτ εινε γεειγνετε Ρεπρσεντατιον υνδ Νυτζυνγ δεσ Κοντεξτεσ. ∆ιε Αρβειτ αναλψσιερτ διε Ανφορδερυνγεν αν σολχηε Λερνυµγεβυνγεν ανηανδ δερ ρελεϖαντεν τηεορετισχηεν Γρυνδλαγεν, εινεσ Σζεναριοσ αυσ δερ Ωειτερβιλδυνγσ− πραξισ σοωιε εξιστιερενδερ Ανστζε υνδ Σψστεµε. Εινε διδακτισχηε Αναλψσε λιεφερτ διε Παραµετερ δεσ Κοντεξτεσ. Εσ ωιρδ γεζειγτ, ωιε εινε Λερνυµγεβυνγ δεν Κον− τεξτ φρ διε Ιντεγρατιον ινδιϖιδυελλεν υνδ κοοπερατιϖεν Λερνενσ νυτζεν κανν (ζ. Β. δυρχη διε Ζυσαµµενστελλυνγ σιννϖολλερ Λερνγρυππεν). ∆ερ Ανσατζ ωυρδε ιµ ΒΜΒΦ−Προϕεκτ Λ≥ υµγεσετζτ υνδ εϖαλυιερτ. ∆ιε Λ≥−Υµγεβυνγ ερλαυβτ ινδιϖιδυελλεσ Λερνεν µιτ ωεβ−βασιερτεν Κυρσεν, σποντανε Κοοπερατιον ζωι− σχηεν Λερνενδεν υνδ Λεηρενδεν σοωιε διε Βεαρβειτυνγ ιµ Κυρσ ιντεγριερτερ κο− οπερατιϖερ Αυφγαβεν ιν Λερνγρυππεν. ∆ιε Ερφαηρυνγεν αυσ δερ Υµσετζυνγ δεσ Αν− σατζεσ υνδ αυσ δεµ πρακτισχηεν Εινσατζ δερ Υµγεβυνγ ζειγεν διε Μαχηβαρκειτ υνδ Ακζεπτανζ κοντεξτυελλερ Κοοπερατιον ιν ϖιρτυελλεν Λερνυµγεβυνγεν. Μαρτιν Ωεσσνερ, γεβορεν 1966 ιν Αλζεναυ−Ωασσερ− λοσ, στυδιερτε 19861992 Ινφορµατικ (∆ιπλ.−Ινφορµ.) υνδ 19911997 Βερυφσπδαγογικ (Μ. Α.) αν δερ ΤΗ ∆αρµσταδτ. 19921997 ωαρ ερ ωισσενσχηαφτλιχηερ Μιταρβειτερ αµ Λεηρστυηλ φρ Βερυφσ− υνδ Ωιρτσχηαφτσ− πδαγογικ δερ ΡΩΤΗ Ααχηεν. Σειτ 1997 ιστ ερ ωισ− σενσχηαφτλιχηερ Μιταρβειτερ αµ Φραυνηοφερ ΙΠΣΙ (βισ 2000: ΓΜ∆−ΙΠΣΙ) ιν ∆αρµσταδτ. Σειτ 2001 λειτετ ερ αµ ΙΠΣΙ δεν Φορσχηυνγσβερειχη ΧΟΝΧΕΡΤ Κο− οπερατιϖε Υµγεβυνγεν υνδ Ε−Λεαρνινγ σοωιε δασ ΧΣΧΛ−Κοµπετενζζεντρυµ. Μιτ εινεµ ιντερδισ− ζιπλινρεν Τεαµ κονζιπιερτ, ρεαλισιερτ υνδ εϖαλυιερτ ερ δορτ Λσυνγεν φρ χοµπυτεργεσττζτεσ κοοπερα− τιϖεσ Αρβειτεν υνδ Λερνεν. Ιµ ∆εζεµβερ 2004 ωυρ− δε ερ ϖοµ Φαχηβερειχη Ινφορµατικ δερ ΤΥ ∆αρµ− σταδτ ζυµ ∆ρ.−Ινγ. προµοϖιερτ. ωωω.ευλ−ϖερλαγ.δε ΙΣΒΝ 3−89936−416−3 ! 44,− (∆) Ωεσσνερ ! Κοντεξτυελλε Κοοπερατιον ιν ϖιρτυελλεν Λερνυµγεβυνγεν Σχηριφτεν ζυ Κοοπερατιονσ− υνδ Μεδιενσψστεµεν Μαρτιν Ωεσσνερ Κοντεξτυελλε Κοοπερατιον ιν ϖιρτυελλεν Λερνυµγεβυνγεν Σχηριφτεν ζυ Κοοπερατιονσ− υνδ Μεδιενσψστεµεν ! Βανδ 8 Ηεραυσγεγεβεν ϖον Προφ. ∆ρ. ςολκερ Ωυλφ, Σιεγεν, Προφ. ∆ρ. ϑργ Ηαακε, Ηαγεν, Προφ. ∆ρ. Τηοµασ Ηερρµανν, ∆ορτµυνδ, Προφ. ∆ρ. Ηελµυτ Κρχµαρ, Μνχηεν, Προφ. ∆ρ. ϑοηανν Σχηλιχητερ, Μνχηεν, Προφ. ∆ρ. Γερηαρδ Σχηωαβε, Ζριχη, υνδ Προφ. ∆ρ.−Ινγ. ϑργεν Ζιεγλερ, ∆υισβυργ Μαρτιν Ωεσσνερ Κοντεξτυελλε Κοοπερατιον ιν ϖιρτυελλεν Λερνυµγεβυνγεν Μιτ εινεµ Γελειτωορτ ϖον Προφ. ∆ρ.−Ινγ. Ραλφ Στεινµετζ, ΤΥ ∆αρµσταδτ, υνδ Προφ. ∆ρ.−Ινγ. ϑργ Μ. Ηαακε, ΦερνΥνιϖερσιττ Ηαγεν Geleitwort E-Learning, das Lernen mit Hilfe des Computers, hat inzwischen eine lange Tradition, die vom Programmierten Unterricht auf Großrechnern über das computerbasierte Training (CBT) auf Personal Computern bis hin zum webbasierten Training (WBT) und anderen Internet-gestützten Lernkonzeptionen reicht. Virtuelle Lernumgebungen präsentieren individuell auf den Lernenden zugeschnittenes, interaktives und multimediales Lernmaterial, strukturieren den Lernprozess und stellen Werkzeuge für das Erarbeiten und Überprüfen von Wissen zur Verfügung. Die zunehmende weltweite Vernetzung der Computer ermöglicht aber auch Formen des computerunterstützten kooperativen Lernens (computer-supported collaborative learning; CSCL), sei es das Lernen in Gruppen oder die Betreuung der Lernenden durch einen Tutor. In kooperativen Lernumgebungen wird Wissen ausgetauscht bzw. gemeinsam aufgebaut. Dazu werden verschiedene Kommunikations- und Kooperationswerkzeuge genutzt. Chat, Audio- und Videokonferenzen unterstützen die synchrone Kommunikation, E-Mail und Foren unterstützen die asynchrone Kommunikation. Shared Whiteboards und Dokumentablagen erlauben das gemeinsame Erstellen, Bearbeiten und Verwalten von Skizzen, Texten und sonstigen Artefakten. Dieses Buch stellt einen sehr innovativen Ansatz vor, das individuelle und das kooperative Lernen in einer virtuellen Lernumgebung eng zu verzahnen und damit die Vorteile beider Lernformen zu kombinieren. Die Lernenden eignen sich vorhandenes Lernmaterial individuell an, bearbeiten kooperative Übungen in Gruppen und können bei Problemen jederzeit andere Lernende oder Tutoren zu Rate ziehen. Kern dieses Ansatzes ist es, den Kontext einer Kooperation, d.h. die relevanten Informationen und Rahmenbedingungen zu modellieren und zur Unterstützung der Kooperation sowie der Übergänge zwischen individuellem und kooperativem Lernen heranzuziehen. Aufbauend auf einer Analyse der wesentlichen Grundlagen aus der Informatik sowie aus dem Gebiet des kooperativen Lernens wird der Begriff der kontextuellen Kooperation in virtuellen Lernumgebungen erarbeitet. Die Betrachtung eines praxisorientierten Nutzungsszenarios aus der Weiterbildung liefert die wesentlichen Anforderungen an eine Lernumgebung, die kontextuelle Kooperation unterstützen soll. Eine solche Lernumgebung ermöglicht nicht nur (passiv) kooperatives Lernen, sondern unterstützt die Kooperation (aktiv) durch die Berücksichtigung ihres Kontextes. Es wird gezeigt, dass bisherige Ansätze des computerunterstützten kooperativen Lernens diesen Anforderungen nicht gerecht werden. v vi Geleitwort Der Kontext einer Kooperation wird auf den Ebenen von kooperativen Kursen und von kooperativen Episoden, modelliert. Der so modellierte Kontext wird dann zur aktiven Unterstützung des Lernens genutzt. Der Ansatz wird durch die Umsetzung der Modellierung und der Nutzungskonzepte in einer virtuellen Lernumgebung validiert. Die Umsetzung und die mit der Lernumgebung gesammelten Erfahrungen in dem BMBF-geförderten Leitprojekt L³ zeigen, dass der Ansatz erfolgreich die bisher getrennten Sichtweisen des individuellen und kooperativen Lernens integriert. Die erfolgreiche Entwicklung und Umsetzung des Konzepts der kontextuellen Kooperation ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass der Autor Kompetenzen aus der Informatik und der Pädagogik in diesem Buch zu einer hervorragenden interdisziplinären Sichtweise kombiniert. Es wird ein gelungener Bogen von den technischen und pädagogisch-didaktischen Grundlagen des computerunterstützten kooperativen Lernens, einer Analyse existierender Gestaltungsansätze und technischer Systeme, über die Modellierung kooperativen Lernens und darauf basierender neuartiger Unterstützungskonzepte, bis hin zur Umsetzung und Erprobung dieser Konzepte im praktischen Einsatz gespannt. Dieses Buch liefert damit einen wichtigen Beitrag zur Gestaltung von virtuellen Lernumgebungen, die individuelles und kooperatives Lernen integrieren. Der Leser erhält neben einer gründlichen theoretischen Aufarbeitung der relevanten Ansätze und der Entwicklung innovativer Konzepte des computerunterstützten Lernens auch viele Hinweise für die Praxis der Gestaltung und des Einsatzes virtueller Lernumgebungen. Die Arbeit ist daher für Wissenschaftler in den Bereichen E-Learning und CSCL von ebenso großem Interesse wie für Entwickler von virtuellen Lernumgebungen. Das hier vorgestellte Konzept der kontextuellen Kooperation sollte sich darüber hinaus auch für viele andere Anwendungsbereiche, in denen kooperiert wird, gewinnbringend einsetzen lassen. Darmstadt und Hagen, im Dezember 2005 Ralf Steinmetz und Jörg Haake Danksagung Das Anfertigen einer Dissertation ist eine Kombination individueller und kooperativer Arbeits- und Lernphasen. Viele Personen kooperierten in den letzten Jahren mit mir und trugen so zur Entstehung dieser Arbeit bei. Ihnen gebührt mein herzlicher Dank! Zuallererst danke ich Prof. Dr.-Ing. Ralf Steinmetz und Prof. Dr.-Ing. Jörg M. Haake für die engagierte Betreuung meiner Arbeit und zahlreiche konstruktive Anregungen. Als meine (ehemaligen) Instituts- und Bereichsleiter am GMD- bzw. FraunhoferInstitut für Integrierte Publikations- und Informationssysteme (IPSI) haben sie einen förderlichen Kontext für meine Dissertation geschaffen. Zu diesem Kontext gehörte insbesondere auch das BMBF-geförderte Projekt „L³: Lebenslanges Lernen als Grundbedürfnis“ (1999 – 2002), in dessen Rahmen ich zentrale Ideen dieser Arbeit entwickeln und evaluieren konnte. Meinen Kolleginnen und Kollegen sowie den Studierenden am IPSI danke ich für viele hilfreiche Diskussionen und Ratschläge zur Entwicklung der Lösungskonzepte und die tatkräftige Unterstützung bei deren Umsetzung: Prof. Dr. Hans-Rüdiger Pfister sicherte die Konzepte aus lernpsychologischer Sicht ab, Dr. Daniel Tietze unterstützte mich in Fragen der technischen Umsetzung und Torsten Holmer war steter Dialogpartner für das Jonglieren mit Ideen zur Unterstützung des kooperativen Lernens. Auf den Konzepten dieser Arbeit aufbauend entwarfen und implementierten (in alphabetischer Reihenfolge) Peter Dawabi, Jutta-Maria Fleschutz, Badie Garzaldeen, Axel Guicking, Torsten Holmer, Friederike Jödick, Dirk Köhlhoff, Martin Mühlpfordt, Prof. Dr. Hans-Rüdiger Pfister, Dr. Shirley Roth, Dr. Jessica Rubart, Jan Schümmer, Till Schümmer, Jan Spohr, Dr. Daniel Tietze, Dr. Bo Xiao und Peter Zentel viele Werkzeuge zur kontextuellen Kooperation und ermöglichten dadurch erst die Evaluation der entwickelten Konzepte. Für die ausdauernde und sehr konstruktive Begleitung der Arbeit bedanke ich mich bei Dr. Andrea Kienle, für die handwerkliche Unterstützung in der Endphase der Ausarbeitung besonders bei Axel Guicking. Schließlich bin ich meiner Familie zu ganz besonderem Dank verpflichtet. Meine Frau Rita Eberle-Wessner, Arabella und Laetitia ermöglichten diese Arbeit durch ihren beständigen Rückhalt und Ansporn sowie das Übernehmen vieler zusätzlicher Aufgaben. Mörlenbach, im Dezember 2005 Martin Wessner vii Inhalt Kapitel 1: Einleitung .................................................................................................1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 Problemfeld .........................................................................................................1 Interdisziplinärer Charakter der Arbeit.................................................................5 Zielsetzung..........................................................................................................7 Lösungsidee........................................................................................................8 Vorgehen und Aufbau .........................................................................................9 Kapitel 2: Problemanalyse .....................................................................................11 2.1 Lernen, Kontext und Kooperation......................................................................12 2.1.1 Lernen ....................................................................................................12 2.1.2 Kontext ...................................................................................................16 2.1.3 Kooperation............................................................................................17 2.2 Virtuelle Lernumgebungen ................................................................................19 2.2.1 Lernumgebung und virtuelle Umgebung ................................................19 2.2.2 Virtuelle Lernumgebungen .....................................................................20 2.2.3 Elemente virtueller Lernumgebungen ....................................................21 2.2.4 Kontext des Lernens in virtuellen Lernumgebungen ..............................21 2.3 Kooperatives Lernen .........................................................................................22 2.3.1 Kooperatives und kollaboratives Lernen ................................................22 2.3.2 Kooperative Episoden ............................................................................25 2.3.3 Bildung von Lerngruppen .......................................................................27 2.3.4 Kooperatives Lernen Erwachsener ........................................................30 2.3.5 Problembereiche des kooperativen Lernens ..........................................31 2.3.6 Unterstützung für kooperatives Lernen ..................................................31 2.3.7 Beispiele kooperativer Lernmethoden....................................................34 2.3.8 Kontext des kooperativen Lernens.........................................................35 2.4 Kooperation in virtuellen Lernumgebungen.......................................................36 2.4.1 Computerunterstütztes kooperatives Lernen..........................................36 2.4.2 Computerunterstützte Gruppenarbeit und Group Awareness ................38 2.4.3 Ermöglichen vs. Unterstützen des kooperativen Lernens ......................39 2.5 Zusammenfassung: Kontextuelle Kooperation in virtuellen Lernumgebungen..40 2.5.1 Zusammenfassung.................................................................................40 2.5.2 Präzisierung des Zieles dieser Arbeit.....................................................41 ix x Inhalt Kapitel 3: Anforderungen.......................................................................................45 3.1 Ein Nutzungsszenario aus der Weiterbildung ...................................................46 3.1.1 Hintergrund des Szenarios.....................................................................46 3.1.2 Szenario: Spanisch Lernen mit der SuperLearn GmbH .........................48 3.2 Anforderungen zur Realisierung kontextueller Kooperation ..............................51 3.2.1 Diskussion des Szenarios ......................................................................51 3.2.2 Detaillierte Darstellung der Anforderungen ............................................52 3.3 Zusammenfassung............................................................................................57 Kapitel 4: Vergleich mit verwandten Arbeiten......................................................59 4.1 Ermittlung verwandter Arbeiten .........................................................................59 4.1.1 Relevante Forschungsgebiete................................................................59 4.1.2 Klassifikation der Forschungsansätze....................................................60 4.2 Analyse und Vergleich verwandter Arbeiten .....................................................62 4.2.1 Auswahl .................................................................................................62 4.2.2 Dokumentbasierte Ansätze ....................................................................64 4.2.3 Konferenzbasierte Ansätze ....................................................................66 4.2.4 Raumbasierte Ansätze...........................................................................69 4.2.5 Kontextbasierte Ansätze ........................................................................72 4.2.6 Domänenmodellbasierte Ansätze ..........................................................74 4.2.7 Prozessbasierte Ansätze .......................................................................75 4.2.8 Standardisierungsansätze......................................................................77 4.3 Erfüllung der Anforderungen .............................................................................78 4.3.1 Individuelles kursbasiertes Lernen .........................................................78 4.3.2 Spontane Kooperation ...........................................................................78 4.3.3 Flexible Übergänge zwischen verschiedenen Lernmodi ........................79 4.3.4 Intendierte Kooperation..........................................................................79 4.3.5 Unterstützung für die Bildung von Lerngruppen .....................................79 4.3.6 Methodische Unterstützung der Lerngruppe ..........................................80 4.3.7 Offenheit des Systems ...........................................................................80 4.4 Zusammenfassung............................................................................................81 Kapitel 5: Kontextuelle Kooperation in virtuellen Lernumgebungen.................83 5.1 Systemunterstützung ........................................................................................84 5.2 Modellierung einer kooperativen Episode .........................................................85 5.2.1 Entscheidungsraum des Lehrenden.......................................................85 5.2.2 Göttinger Katalog didaktischer Modelle..................................................86 Inhalt 5.3 5.4 5.5 5.6 xi 5.2.3 Modellierung einer kooperativen Episode ..............................................91 5.2.4 Beispiele: Instantiierungen der Modellierung kooperativer Episoden .....94 5.2.5 Lebenszyklus einer kooperativen Episode .............................................98 Modellierung kooperativer Kurse.....................................................................100 5.3.1 Points of Cooperation (PoC) ................................................................100 5.3.2 Kombination von individuellen und kooperativen Episoden .................103 5.3.3 Kombination kooperativer Episoden.....................................................103 5.3.4 Zeitliche Entkopplung von Qualifizierung und Durchführung................105 5.3.5 Generische und spontane Kooperation................................................105 Werkzeuge für die kontextuelle Kooperation...................................................105 5.4.1 Phasen des kooperativen Lernens.......................................................105 5.4.2 Werkzeuge für die Vorbereitung...........................................................106 5.4.3 Werkzeuge für die Durchführung .........................................................107 5.4.4 Werkzeuge für die Nachbereitung........................................................108 Unterstützung für das Zusammenstellen von Lerngruppen.............................109 5.5.1 Varianten und Methoden der Gruppenbildung .....................................109 5.5.2 Phasen der Lerngruppenbildung ..........................................................110 5.5.3 Lernermodell ........................................................................................112 5.5.4 Gruppenbildungsalgorithmen ...............................................................112 5.5.5 Verwandte Ansätze zur Gruppenbildung..............................................115 Zusammenfassung..........................................................................................116 Kapitel 6: Realisierung .........................................................................................119 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 6.8 Implementierung im Rahmen des Projektes L³ ...............................................119 Programmiersprachen, Plattformen, Standards ..............................................121 System-/Softwarearchitektur ...........................................................................121 Umsetzung der Modellierung ..........................................................................124 Erstellen kooperativer Kurse ...........................................................................126 Durchführen kooperativer Kurse und Bilden von Lerngruppen .......................127 Durchführen kooperativer Episoden................................................................132 Generische und spontane Kooperation...........................................................134 Kapitel 7: Erfahrungen und Gestaltungsempfehlungen....................................137 7.1 Zur Evaluation kooperativer Lernumgebungen ...............................................138 7.2 Einsatz im Projekt L³ .......................................................................................140 7.2.1 Workshops mit Kursautoren .................................................................140 7.2.2 Erfahrungen im Rahmen der Erprobung in L³-Lernzentren ..................142 7.3 Expertenworkshop ..........................................................................................143 xii Inhalt 7.4 Tests am Fraunhofer IPSI ...............................................................................146 7.5 Weitere Studien...............................................................................................148 7.6 Gestaltungsempfehlungen ..............................................................................148 7.6.1 Standards für kooperatives Lernen ......................................................148 7.6.2 Kursebene............................................................................................149 7.6.3 Kooperationsebene ..............................................................................150 Kapitel 8: Zusammenfassung und Ausblick ......................................................151 8.1 8.2 8.3 8.4 Zusammenfassung der Arbeit .........................................................................151 Vergleich mit den Anforderungen....................................................................152 Wesentliche Beiträge zum Stand der Technik ................................................154 Zukünftige Forschungsarbeiten und Verallgemeinerung der Ergebnisse........156 Anhang ...................................................................................................................159 A.1 Pro-Kontra-Gespräch als Beispiel einer kooperativen Episode.......................159 A.2 Die manuelle Gruppenbildung.........................................................................162 Literaturverzeichnis ..............................................................................................165 Kapitel 1 Einleitung 1.1 Problemfeld In einer durch Globalisierung geprägten Welt werden neue Anforderungen an die Qualifikation jedes Einzelnen gestellt (Senge 1990). Die technischen, wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen führen dazu, dass Lernen nicht mehr als eine abgeschlossene Lebensphase der schulischen Bildung und der beruflichen (Erst-)Ausbildung angesehen werden kann. Vielmehr bestimmt das Bild des Lebenslangen Lernens die politische Bildungsdiskussion. Angesichts der Geschwindigkeit, in der neues Wissen entsteht und die Nutzbarkeit vorher vorhandenen Wissens abnimmt, sowie angesichts der weltweiten Verteilung von Wissensträgern und Lernenden werden neue Anforderungen an das Lehren und Lernen gestellt. Aus diesen Veränderungen erwächst insbesondere im Bereich der Erwachsenenbildung und der Weiterbildung die Notwendigkeit, Wissen stetig zu erweitern und zu aktualisieren (Arnold et al. 2000, S. 6). Lernmaterialien müssen effizient zu erstellen und zu warten sein, um auf inhaltliche Veränderungen schnell reagieren zu können. Sie müssen an heterogene Zielgruppen anpassbar sein, z.B. in Sprache, Niveau oder implizierter Lehr-/Lernmethode. Um der örtlichen Verteilung von Wissensträgern und Lernenden gerecht zu werden, müssen neue Lehr-/Lernmethoden wie Tele-Lernen und Unterstützung ortsübergreifender Lerngruppen zum Einsatz kommen. Auch hier spielen neue Informations- und Kommunikationstechnologien eine Rolle, es lässt sich eine stetige Verbreitung von Informations- und Kommunikationstechnologien in die verschiedenen Bereiche des Bildungswesens (Schule, Berufsausbildung, Hochschule, Weiterbildung) beobachten (vgl. Kerres 2001, Schulmeister 2001). Multi-, hyper- und telemediale Technologien ermöglichen die Kommunikation und Kooperation auch in geographisch verteilten (Lern-)Gruppen (Steinmetz 2000). Auf Basis dieser Technologien können traditionelle Lehr- und Lernformen weiterentwickelt werden (Schulmeister 1997, Rützel 2000, Sesink 2003). Es lassen sich Lern1 2 1. Einleitung prozesse realisieren, bei denen Lehrende und Lernende weder am gleichen Ort noch gleichzeitig mit dem Lernen beschäftigt sein müssen. Diese Technologien ermöglichen neue Lernformen (z.B. örtlich verteiltes synchrones Gruppenlernen, asynchrones Gruppenlernen mittels Diskussionsforen), neue Formen und Qualitäten des Lernmaterials (z.B. Simulationen, hypermediale Repräsentationen von Zusammenhängen) oder neue Lernorte (z.B. beim Lernen mit mobilen Endgeräten). Der Einsatz von Computersystemen zur Verbesserung von Lehr-/Lernprozessen hat bereits eine lange Tradition (Schulmeister 1997). Im Mittelpunkt steht in der Regel die Individualisierung, das Eingehen auf den individuellen Lernenden hinsichtlich seiner Präferenzen und Kompetenzen, z.B. in Bezug auf Lernzeit und Lernort, Lerngeschwindigkeit, Lernweg oder Anzahl der Wiederholungen. Je nach Systemtyp übernimmt der Lernende oder das Computersystem die Steuerung des Lernprozesses. Die Erfahrungen mit computerunterstütztem Lernen haben eine Reihe von Grenzen und Schwächen offenbart (Oberle & Wessner 1998, Schulmeister 1997), z.B.: ‚ Lernsoftware bietet nur eine begrenzte Interaktivität, häufig erschöpft sich die Interaktion im Umblättern von Bildschirmseiten. ‚ Die Individualisierung des Lernweges ist meist auf wenige, vom Autor der Lernsoftware vorgedachte Navigationspfade beschränkt. ‚ Lernsoftware kann nur für relativ einfach strukturierte Wissensbereiche inhaltliches Feedback geben. ‚ Lernsoftware tritt als monolithisches, in sich geschlossenes System auf, Wartbarkeit und Wiederverwendbarkeit sind gering. Das letztgenannte Problem von Lernsoftware, die geringe Wartbarkeit und Wiederverwendbarkeit, wird zunehmend durch die Modularisierung von Lernmaterialien (Seeberg 2002), die Verwendung von Metadaten zur Beschreibung von Lernmodulen (Steinacker 2002) und weitere Anstrengungen zur Standardisierung im Bereich des computerunterstützten Lernens (z.B. IEEE LTSC 2004) adressiert. Um die Interaktivität zu erhöhen, besser auf den einzelnen Lernenden einzugehen und dadurch die Motivation und den Lernfortschritt zu verbessern, werden in traditionellen (nicht computerunterstützten) Lehr-/Lernszenarien häufig Formen des Lernens in Gruppen, so genannte kooperative Lernformen, eingesetzt (Slavin 1995). Dem liegt die Grundannahme moderner Pädagogik zugrunde, dass erfolgreiches Lernen durch die Konstruktion neuen eigenen Wissens in der aktiven Auseinandersetzung mit eigenem und fremdem Wissen erfolgt. Ein tiefergehendes Verständnis entsteht erst im Diskurs, also durch soziale Kommunikations- und Kooperationsprozesse. 1.1 Problemfeld 3 Dass das Lernen in Gruppen in vielen Fällen dem individuellen Lernen überlegen ist, konnte empirisch nachgewiesen werden (Dillenbourg et al. 1996, Johnson & Johnson 1990, Slavin 1995). Auch Forderungen nach Teamfähigkeit und der Fähigkeit zu selbstorganisiertem Lernen sprechen für die Einführung kooperativer Lernmethoden. Die Unterstützung kooperativer Lernformen durch Computer ist Gegenstand des Forschungsgebietes Computer-Supported Collaborative Learning (CSCL) (O’Malley 1994, Koschmann 1996, Haake et al. 2004a). CSCL kann als eine Lernform definiert werden, in der mehrere Personen (mindestens zwei) unter Nutzung von Computern ein Lernziel verfolgen, indem sie über den Lerninhalt kommunizieren und neues Wissen kooperativ aufbauen. Protagonisten des computerunterstützten kooperativen Lernens gehen davon aus, dass sich die Vorteile des kooperativen Lernens auch in der computerunterstützten Form zeigen, dass Kommunikation und Kooperation mit anderen Lernern im Team die oben angesprochenen Schwächen des computerunterstützten Lernens abmildern kann. Vor allem beschäftigt sich CSCL mit örtlich verteiltem kooperativem Lernen, also Szenarien, in denen die Lernenden nur computervermittelt kommunizieren, und der Lösung der dadurch bedingten Probleme (Döring 1999, S. 127ff.; Hesse et al. 1997). Aus Sicht der Informatik kann CSCL zum einen auf Erfahrungen mit computerunterstütztem (individuellem) Lernen in virtuellen Lernumgebungen aufbauen. In Bezug auf die Unterstützung der Kooperation in Lerngruppen bildet das Forschungsgebiet computerunterstützte Gruppenarbeit (Computer-Supported Cooperative Work; CSCW) eine wichtige Grundlage (Borghoff & Schlichter 1998, Schwabe et al. 2001a). Zur Koordination komplexer Prozesse können Ergebnisse aus dem Forschungsgebiet Workflow-Technologie (WfMC 2004) beitragen. Viele der heute verfügbaren und für Lehr-/Lernzwecke eingesetzten Kommunikations- und Kooperationssysteme sind nicht speziell für einen Einsatz zu Lernzwecken entwickelt worden. Sie ermöglichen z.B. die textbasierte Kommunikation, eine Audio/ Video-Konferenz oder das gemeinsame Bedienen von Anwendungsprogrammen. Aufgrund ihrer Allgemeinheit werden sie spezifischen pädagogischen Anforderungen meist nicht gerecht. Auch speziell für das kooperative Lernen entwickelte Systeme ermöglichen zwar Lernprozesse, aber unterstützen diese häufig nicht aktiv. Wie kooperative Aktivitäten auf „intelligente“ Weise unterstützt werden können, ist bislang nur wenig untersucht worden (vgl. Harrer 2000). Insgesamt ist deutlich geworden, dass Lernende die angebotenen Kooperationsmöglichkeiten häufig nicht oder nicht effektiv nutzen (können). Mehr noch als in traditionellen Face-to-Face Situationen müssen sie meist durch ein kooperatives Szenario geführt werden, damit sie effektiv gemeinsam lernen (Guzdial et al. 1997). 4 1. Einleitung Hinzu kommt, dass sich Lernen normalerweise nicht ausschließlich in kooperativen Lernprozessen vollzieht. Meist wechseln individuelle Phasen, in denen Wissen vom Einzelnen erarbeitet und angewandt wird, und kooperative Phasen, in denen Wissen in einer Gruppe vertieft und angewandt wird, einander ab. Folgende wichtigen Aspekte des kooperativen Lernens (vgl. Abschnitt 2.3.1) werden von existierenden Systemen häufig nicht berücksichtigt: 1. Zusammensetzung und Bildung der Lerngruppe: Wer lernt mit wem zusammen? Wie finden sich die Lernenden zu einer Lerngruppe? Wie groß soll die Lerngruppe sein? 2. Aufgabe und Ziel des kooperativen Lernprozesses: Welche Aufgabenstellung soll die Lerngruppe bearbeiten? Zu welchem Ziel? 3. Kooperative Lernmethode: Welche Methode wendet die Gruppe an? Wie kann der kooperative Lernprozess strukturiert werden? Wie wird die Gruppe in den einzelnen Phasen der Lernmethode angeleitet? Welche Werkzeuge werden in den einzelnen Phasen benötigt? 4. Einordnung in den gesamten Lernprozess: Auf welchem Vorwissen, auf welchen vorherigen Ergebnissen baut der kooperative Lernprozess auf? Wie werden die Ergebnisse des Lernprozesses für das weitere Lernen verwendet? Wie hängen individuelle und kooperative Lernphasen zusammen? Diese Aspekte des kooperativen Lernens werden in dieser Arbeit als Kontext des kooperativen Lernens zusammengefasst. 1 Die Wahrnehmung des Kontextes durch die Beteiligten ist aufgrund der Beschränkungen computervermittelter Kommunikation nicht oder nur schwer möglich. Dadurch können die Beteiligten ihre Lernprozesse nur unzureichend koordinieren, worunter letztendlich die Kooperation in der Lerngruppe leidet. Existierende Systeme berücksichtigen den Kontext des kooperativen Lernens nicht in ausreichendem Maße. Da das kooperative Lernen dem System gegenüber nicht durch Gruppenbeschreibung, Aufgabe, Methode und die Einordnung in den Lernprozess näher bestimmt ist, kann das System lediglich als passives, ermöglichendes Medium dieser Kooperation fungieren. Eine aktive Unterstützung, eine kontextspezifische Funktionalität, ist nicht möglich. Beispielsweise kann das System aufgrund des fehlenden Wissens über den Kontext die folgenden Fragen nicht beantworten: Was für eine Lerngruppe liegt vor bzw. soll gebildet werden? Welche Aufgabe soll mit 1 Der Kontextbegriff wird in den Kapiteln 2 und 5 dieser Arbeit genauer definiert. 1.2 Interdisziplinärer Charakter der Arbeit 5 welchem Ziel bearbeitet werden und wie ist der Stand der Aufgabenbearbeitung? Welche Methode soll dabei angewendet werden? In welcher Phase der Methode ist die Gruppe und in welcher Rolle agieren die einzelnen Beteiligten? Auf welchen Materialien baut der Lernprozess auf und wie werden die Ergebnisse weiterverwendet? Zur Lösung der genannten Probleme scheint eine Kombination des individuellen und des kooperativen computerunterstützten Lernen sinnvoll: Wie oben skizziert kann kooperatives Lernen viele Nachteile des individuellen Lernens ausgleichen. Sinnvolle Interaktivität, Individualisierung und Feedback kann durch die Kooperation mit anderen Lernenden realisiert werden. Mit der Computerunterstützung für individuelles Lernen wurden viele Erfahrungen mit der Strukturierung und der aktiven Unterstützung von Lernprozessen auf Basis des Wissens über den Kontext, z.B. in Abhängigkeit vom bisherigen Lernweg oder den Präferenzen eines Lernenden, gesammelt. Gelingt es, diese Strukturierung und aktive Unterstützung des Lernprozesses auf das computerunterstützte kooperative Lernen zu übertragen, ist ein Fortschritt in der Lösung der oben genannten Probleme des CSCL zu erwarten. Kooperatives Lernen, das in einem System auf Basis des Wissens über den Kontext der Kooperation unterstützt wird, bezeichnen wir als kontextuelles kooperatives Lernen oder kurz: kontextuelle Kooperation. Die Kombination von Ansätzen des individuellen und des kooperativen computerunterstützten Lernens in virtuellen Lernumgebungen könnte die kontextuelle Kooperation ermöglichen, also dazu beitragen, Lernende unter Berücksichtigung des Kontextes aktiv in ihrem (kooperativen) Lernprozess zu fördern. 1.2 Interdisziplinärer Charakter der Arbeit CSCL ist ein interdisziplinäres Forschungsgebiet, das von den Beiträgen und der Zusammenarbeit vor allem von Informatikern, Pädagogen und Psychologen bestimmt wird. Die interdisziplinäre Natur des CSCL macht ausführliche Begriffsklärungen notwendig. Relevante Begriffe werden in den beteiligten Disziplinen in unterschiedlichen Bedeutungen verwendet. So kennzeichnet z.B. der Begriff „Interaktion“ in der Pädagogik traditionell die Handlung einer Person in Bezug auf andere Personen, in der Informatik wird er im Zusammenhang mit der Bedienung eines Computersystems durch einen Menschen verwendet. Die Pädagogik beschäftigt sich als Wissenschaft mit der Theorie der Erziehung und Bildung. Im Kontext der vorliegenden Arbeit sind vor allem die folgenden, sich überlappenden Teilgebiete der Pädagogik relevant (Schelten 1994): 6 1. Einleitung ‚ Die Didaktik als Theorie des Lehrens und Lernens ist mit der Methodik (wie?), den Medien (womit?), den Sozialformen (in welcher sozialen Konstellation?) und der Artikulation (wie strukturiert?) des Lehrens und Lernens befasst. ‚ Die Berufspädagogik adressiert Fragestellungen der Erziehung und Bildung in der Berufs- und Arbeitswelt. ‚ Die Erwachsenenbildung untersucht Anlässe und Bedingungen, Strukturen und Prozesse, Wirkungen und Ergebnisse des Lernens Erwachsener. Die Psychologie, und hier vor allem das Teilgebiet Pädagogische Psychologie, beschäftigt sich mit dem Verhalten und den mentalen Prozessen beim Lehren und Lernen (Gage & Berliner 1996, S. 27). Weitere Grundlagen entstammen der Lernpsychologie sowie der Arbeits- und Organisationspsychologie. Die Informatik ist vor allem mit der Gestaltung und Realisierung von Informationssystemen befasst. Dies reicht von der Theoriebildung über die Analyse, den Entwurf, die Implementierung bis hin zur Anwendung und zu den Auswirkungen informationsverarbeitender Prozesse (Schneider 1997). Computerunterstütztes kooperatives Lernen Psychologie: Wie wird (kooperativ) gelernt? Pädagogik: Wie wird kooperatives Lernen unterstützt? Informatik: Wie werden Informationssysteme gestaltet und realisiert, die kooperatives Lernen unterstützen? Abbildung 1.1: An CSCL beteiligte Disziplinen Abbildung 1 zeigt, welche Komponenten des Begriffes CSCL im Mittelpunkt der Disziplinen Pädagogik, Psychologie und Informatik stehen, und nennt für jede Disziplin eine zentrale Fragestellung. 1.3 Zielsetzung 7 Die vorliegende Arbeit hat aufgrund ihres Themas einen interdisziplinären Charakter und greift auf Grundlagen aus der Pädagogik und der Psychologie zurück. Ihr Schwerpunkt liegt jedoch in der Informatik: Im Mittelpunkt steht ein innovativer Ansatz zur (softwaretechnischen) Gestaltung von virtuellen Umgebungen für kooperatives Lernen. 1.3 Zielsetzung Das Ziel dieser Arbeit ist die Entwicklung eines Konzepts zur Gestaltung von virtuellen Lernumgebungen, die kontextuelle Kooperation ermöglichen: In bisherigen virtuellen Lernumgebungen wird der Kontext des kooperativen Lernens nicht ausreichend repräsentiert. Sie können deshalb das kooperative Lernen nicht aktiv unterstützen. In dieser Arbeit soll die Hypothese geprüft werden, dass virtuelle Lernumgebungen, die über eine explizite Repräsentation des Kontextes verfügen, kontextuelle Kooperation ermöglichen können, also eine über den Stand der Technik hinausgehende Unterstützung für kooperatives Lernen bieten können. Diese Unterstützung umfasst die Bildung von Lerngruppen, das Vermitteln der Aufgabenstellung, die Strukturierung des kooperativen Lernprozesses und die Integration der Kooperation in den gesamten Lernprozess. Dazu werden die Defizite existierender Systeme analysiert, eine Methode zur Repräsentation des Kontextes entwickelt und gezeigt, wie eine virtuelle Lernumgebung diesen Kontext zur Unterstützung des kooperativen Lernens nutzen kann. Um existierende Lernmaterialien weiternutzen zu können und dadurch eine möglichst breite Verwendbarkeit der angestrebten Lösung zu erreichen, werden in dieser Arbeit kursbasierte Lernumgebungen betrachtet, d.h. Lernumgebungen, in denen Kurse mit festgelegten und in Form von Lernmaterialien vorliegenden Lerninhalten angeboten werden. Aus Gründen der vielfältigen Einsetzbarkeit und Übertragbarkeit der angestrebten Lösung fokussiert diese Arbeit auf webbasierte Lernumgebungen, also Lernumgebungen, die von den Benutzern über einen Web-Browser bedient werden. Ziel ist es ferner, die verschiedenen am kooperativen Lernen direkt beteiligten Rollen zu unterstützen: die Lernenden, die Autoren von Lernmaterialien und die Lehrenden bzw. Tutoren, die beratende, anleitende und bewertende Funktionen übernehmen können. Auf die Unterstützung weiterer Beteiligter (beispielsweise für die Systemadministration oder die Koordination und Bewertung von Kursangeboten und Tutoren etc.) wird dagegen nicht weiter eingegangen. Im Hinblick auf die Zielgruppe der Lernumgebung orientiert sich die Arbeit an der beruflichen Weiterbildung, d.h. Nutzer der Lernumgebung sind Erwachsene. 8 1. Einleitung Angestrebte Ergebnisse dieser Arbeit sind eine Modellierung des Kontextes kooperativen Lernens sowie Werkzeuge, die auf Basis dieser Modellierung die am Lernprozess Beteiligten unterstützen. Hierzu zählen Werkzeuge für Kursautoren zur Definition kooperativer Kurse, Werkzeuge für Lernende zur Bearbeitung kooperativer Kurse und Werkzeuge für Tutoren zur Betreuung kooperativer Lernprozesse. Diese Ergebnisse sollen in einer virtuellen Lernumgebung integriert sein. Schließlich stellen auch die mit der Modellierung und den Werkzeugen gesammelten Erfahrungen und die daraus abgeleiteten Gestaltungsempfehlungen eine wichtige Ausgangsbasis für zukünftige Forschungs- und Entwicklungsarbeiten dar. Es existiert eine Reihe weiterer Aspekte kontextueller Kooperation in virtuellen Lernumgebungen, die in dieser Arbeit aber nicht weiter behandelt werden sollen: ‚ Der physikalische Kontext, beispielsweise die geographische Position eines Benutzers oder die aktuelle Temperatur, kann durch Sensortechnologie ebenfalls für die Realisierung der kontextuellen Kooperation herangezogen werden (Nelson 1998, Reinema 2002, Tandler 2004). ‚ Computerunterstütztes Lernen stellt, beispielsweise bei Prüfungssituationen oder in der kommerziellen Weiterbildung, hohe Anforderung an die Sicherheit des Zugriffs und der Übertragung von Daten. Eckert (2003) beschreibt für computerunterstütztes Lernen relevante Schutzziele, aktuelle Bedrohungen und Lösungsansätze. Moschgath (2002) stellt ein Konzept zur kontextabhängigen Zugriffskontrolle vor. 1.4 Lösungsidee Zentrale Idee dieser Arbeit ist es, eine Beschreibungsmöglichkeit für den Kontext einer kooperativen Lernsituation zu entwickeln, die von einer virtuellen Lernumgebung zur kontextuellen Kooperation 2, also zur kontextbezogenen aktiven Unterstützung der Kooperation genutzt werden kann. Auf Basis dieser Kontextbeschreibung soll die virtuelle Lernumgebung die Kooperation in vielfältiger Weise aktiv unterstützen. Dazu werden folgende Schritte unternommen: ‚ Analyse des Kontextes einer Kooperation in kooperativen Lernprozessen. ‚ Ermittlung der Parameter zur Beschreibung eines solchen Kontextes und Beurteilung der Relevanz der Parameter. ‚ Entwicklung von Verfahren, die das Wissen über den Kontext nutzen, um kooperatives Lernen zu unterstützen. 1.5 Vorgehen und Aufbau 9 Ein wichtiges Element des Kontextes ist die vorgesehene kooperative Lernmethode. Unter kooperativer Lernmethode soll an dieser Stelle die Methode, nach der kooperiert wird, z.B. als Menge von Rollen, Regeln und Aktivitätsfolgen in einer Kooperation, verstanden werden. 3 Dazu sollen bereits jetzt in traditionellen Szenarien oder existierenden CSCL-Systemen ablaufende Kooperationen analysiert und relevante Beschreibungsparameter identifiziert werden. Ein Ansatz hierzu stellen Kooperationsskripte nach O’Donnell & Dansereau (1992) dar. Auf Basis der identifizierten Beschreibungsparameter kann eine Repräsentation der Kooperation konstruiert werden. Mit Hilfe dieser systemlesbaren Beschreibung können nun die die Kooperation festlegenden Elemente wie Rollen, Regeln und Aktivitätenfolgen vom System moderiert bzw. überwacht und zur Generierung der Unterstützung genutzt werden. Der Gesamtprozess des (kooperativen) Lernens kann in einzelne Teilprozesse oder Episoden zerlegt werden. Diese Episoden sehen entweder individuelles oder kooperatives Lernen vor. Durch das Wissen über vergangene, laufende und vorgesehene Episoden ist das System in der Lage, Übergänge zwischen verschiedenen Episoden zu unterstützen. Diese Übergänge betreffen z.B. die Zusammenstellung von Lerngruppen für eine kooperative Episode und die „Bestückung“ von kooperativen Episoden mit den für diese Episode vorgesehenen Ressourcen (z.B. Kommunikationskanäle oder Dokumente). 1.5 Vorgehen und Aufbau Um das Ziel dieser Arbeit zu erreichen, wird folgendes Vorgehen gewählt, das sich im Aufbau der Arbeit widerspiegelt: Im Anschluss an diese Einleitung werden in Kapitel 2 die Problemstellung der kontextuellen Kooperation und relevante Grundlagen erarbeitet. Dies umfasst die Begriffe Lernen, Kontext und Kooperation, das Lernen in virtuellen Lernumgebungen und das kooperative Lernen. Anhand eines Anwendungsszenarios aus der Weiterbildungspraxis wird in Kapitel 3 die notwendige Funktionalität zur Realisierung der kontextuellen Kooperation skizziert. Aus diesem Szenario werden die spezifischen Anforderungen an eine virtuelle Lernumgebung zur Realisierung der kontextuellen Kooperation abgeleitet. 2 Der Begriff der kontextuellen Kooperation wird in den Kapiteln 2 und 5 genauer definiert. 3 Auch der Begriff der kooperativen Lernmethode wird in den Kapiteln 2 und 5 genauer definiert. 10 1. Einleitung Kapitel 4 erörtert den aktuellen Stand der Technik im Bereich virtueller Lernumgebungen im Hinblick auf die kontextuelle Kooperation. Ausgehend von den in Kapitel 3 dargestellten Anforderungen werden Ansätze und Systeme ausgewählt, vorgestellt und dahingehend überprüft, inwieweit sie die Anforderungen erfüllen. Dabei wird deutlich, welche der Anforderungen bisher nicht oder nicht ausreichend erfüllt werden (können). In Kapitel 5 werden Lösungskonzepte zur Realisierung kontextueller Kooperation für Lernende, Autoren und Tutoren entwickelt. Diese Konzepte ermöglichen die Entwicklung von virtuellen Lernumgebungen, die auf Basis des Kontexts das kooperative Lernen aktiv unterstützen. Dabei wird auf die Repräsentation kooperativer Episoden und kooperativer Kurse sowie auf den Aufbau kooperativer Lernumgebungen eingegangen. Diese Repräsentation des Kontextes wird für die aktive Unterstützung des kooperativen Lernens in virtuellen Lernumgebungen genutzt. Dies umfasst die aktive Unterstützung bei der Erstellung, Durchführung und Nachbereitung kooperativer Episoden und Kurse. Für die Lerngruppenbildung, den Übergang vom individuellen zum kooperativen Lernen wird exemplarisch gezeigt, wie der Kontext zur aktiven Unterstützung genutzt werden kann. Kapitel 6 beschreibt die exemplarische Umsetzung der Lösungskonzepte in einer virtuellen Lernumgebung. Diese Lernumgebung zeigt als „proof-of-concept“ die prinzipielle Realisierbarkeit des Ansatzes. Kapitel 7 thematisiert die mit dem Konzept und der Realisierung gesammelten Erfahrungen in ausgewählten Einsatzbereichen. Hieraus werden Empfehlungen zur Erstellung von virtuellen Lernumgebungen auf Basis der Lösungskonzepte abgeleitet. Im abschließenden Kapitel 8 werden die Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst. Potenziale zur Übertragung der Ergebnisse auf andere Anwendungsgebiete sowie weiterführende Forschungsfragen werden identifiziert und diskutiert. Kapitel 2 Problemanalyse In diesem Kapitel wird die Problemstellung dieser Arbeit, die Realisierung der kontextuellen Kooperation in virtuellen Lernumgebungen analysiert. Dies beinhaltet auch die Klärung der grundlegenden Begriffe und Verweise auf die theoretischen Grundlagen. Eine Behandlung der Begriffe und Grundlagen ist insbesondere aufgrund der Interdisziplinarität des Forschungsgebiets Computerunterstütztes kooperatives Lernen (CSCL), zu dem diese Arbeit gehört, notwendig (vgl. Abschnitt 1.2). In den verschiedenen beteiligten Disziplinen werden häufig gleiche Bezeichnungen für verschiedene Sachverhalte verwendet. Als Grundlage der Problemanalyse werden zunächst die Begriffe Lernen, Kontext und Kooperation allgemein definiert (Abschnitt 2.1). Diese Definitionen werden im Laufe der weiteren Analyse schrittweise verfeinert. Den nächsten Schritt bildet die Betrachtung virtueller Lernumgebungen als softwaretechnische Plattformen zur Unterstützung von Lernprozessen (Abschnitt 2.2). Es folgt die Klärung des Begriffs kooperatives Lernen (Abschnitt 2.3). Danach wird analysiert, inwieweit Kooperation bzw. kooperatives Lernen in (bisherigen) virtuellen Lernumgebungen unterstützt wird (Abschnitt 2.4). Schließlich werden die wichtigsten Ergebnisse der Problemanalyse zusammengefasst. Darauf aufbauend wird das Ziel dieser Arbeit, die Realisierung kontextueller Kooperation in virtuellen Lernumgebungen, präzisiert (Abschnitt 2.5). Im darauf folgenden Kapitel 3 werden diese Ergebnisse anhand eines Szenarios aus der Weiterbildung aufgegriffen und in Form von Anforderungen an eine virtuelle Lernumgebung zur Realisierung der kontextuellen Kooperation konkretisiert. 11 12 2. Problemanalyse 2.1 Lernen, Kontext und Kooperation In diesem Abschnitt werden die Begriffe Lernen, Kontext und Kooperation allgemein definiert. Diese Definitionen werden in den folgenden Abschnitten 2.2 bis 2.5 schrittweise auf die Zielstellung dieser Arbeit bezogen verfeinert. 2.1.1 Lernen Gage und Berliner definieren Lernen als „Prozeß, durch den ein Organismus sein Verhalten als Resultat von Erfahrung ändert“ (Gage & Berliner 1996, S. 230). Je nach zugrunde liegender Sichtweise des Lernens, d.h. je nach Lerntheorie kann diese allgemeine Definition präzisiert werden (vgl. bspw. Baumgartner & Payr 1994, Schulmeister 1997). Im behavioristischen Sinn wird Lernen als (von außen) beobachtbare Änderung des Verhaltens definiert. Kognitivistische Lerntheorien stellen die Änderung kognitiver Strukturen in den Mittelpunkt. Unter dem Blickwinkel des Konstruktivismus bezeichnet Lernen die aktive Konstruktion von Wissen auf der Basis von Wahrnehmungen und Erfahrungen. Die Unterstützung des Lernens durch eine Person wird als Lehren bezeichnet. Lernen steht für eine Vielzahl unterschiedlicher Arten von Verhaltensänderungen. Beispielsweise wird zwischen formalem, nicht-formalem und informellem Lernen folgendermaßen differenziert (vgl. Expertenkommission Finanzierung Lebenslangen Lernens o.J.): Findet das Lernen in Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen statt und führt zu anerkannten Abschlüssen oder Qualifikationen, spricht man von formalem Lernen. Nicht-formales Lernen findet außerhalb von Bildungseinrichtungen z.B. am Arbeitsplatz statt und führt nicht unbedingt zu einem anerkannten Abschluss. Informelles Lernen schließlich bezeichnet das permanent, teilweise sogar unbewusst, als Begleiterscheinung des täglichen Lebens stattfindende Lernen. Unter der Bezeichnung Lebenslanges Lernen werden all drei genannten Arten des Lernens zusammengefasst: „Lebenslanges Lernen umfasst für die Expertenkommission die Gesamtheit allen formalen, nicht-formalen und informellen Lernens über den gesamten Verlauf des Lebens eines Menschen hinweg.“ (Expertenkommission Finanzierung Lebenslangen Lernens o.J.). Im Folgenden wird formales und nicht-formales Lernen, das sich auf vorgegebene Lernmaterialien (Kurse) stützt, als kursbasiertes Lernen bezeichnet und betrachtet. Informelles Lernen vollzieht sich zwar auch häufig als Begleiterscheinung formalen bzw. nicht-formalen Lernens (beispielsweise angestoßen durch ein Ergebnis einer Literaturrecherche oder durch ein Gespräch mit anderen Lernenden), soll aber hier auch aufgrund seiner definitionsgemäß weitgehenden Unbestimmtheit nicht weiter behandelt werden. 2.1 Lernen, Kontext und Kooperation 13 In dieser Arbeit wird ein Ausschnitt des Lebenslangen Lernens, das Lernen Erwachsener, betrachtet. Die Wissenschaft der Erwachsenenbildung zielt auf „die Erforschung von Anlässen und Bedingungen, von Strukturen und Prozessen, von Wirkungen und Ergebnissen des Lernens [Erwachsener] in unterschiedlichen lebensweltlichen und institutionellen Kontexten“ (Arnold et al. 2000, S. 6). Die Fokussierung erlaubt es, Entscheidungen bezüglich grundlegender Konzepte bis hin zur Gestaltung der Benutzungsoberfläche an den Charakteristika der Zielgruppe „Erwachsene“ auszurichten. Für weitere Analysen des Lernens soll das in der Pädagogik bewährte Berliner Modell des Unterrichts (Heimann et al. 1965) herangezogen werden. Dieses Modell wurde als Hilfsmittel sowohl für die Planung als auch für die Analyse von Unterricht entwickelt. Nach diesem Modell kann Unterricht in sechs Strukturelemente aufgeteilt werden: ‚ Die anthropogenen, d.h. menschbezogenen, und die sozio-kulturellen Voraussetzungen werden als Bedingungsfelder des Unterrichts bezeichnet. Ein Unterricht muss an diesen Voraussetzungen ausgerichtet werden. ‚ Die Strukturelemente Ziel, Inhalt, Methode und Medium bilden die vier Entscheidungsfelder des Unterrichts. In diesen Feldern kann der Lehrende (unter Berücksichtigung der äußeren Vorgaben wie z.B. Lehrpläne) Entscheidungen für seinen Unterricht treffen. Abbildung 2.1 zeigt das Berliner Modell mit den Bedingungs- und Entscheidungsfeldern. Die Pfeile zwischen den Bedingungs- und Entscheidungsfeldern weisen darauf hin, dass der Entscheidungsspielraum bezüglich Ziel, Inhalt, Methode und Medium durch die beiden Bedingungsfelder begrenzt wird. Die Pfeile zwischen den einzelnen Entscheidungsfeldern deuten die wechselseitige Abhängigkeit der Entscheidungen an, da beispielsweise die gewählte Methode zu den gewählten Zielen passen muss. Die Pfeile vom Unterricht zurück zu den Bedingungsfeldern verdeutlichen, dass Unterricht Auswirkungen auf die Lernenden und ihr sozio-kulturelles Umfeld hat (und haben soll!). Das Berliner Modell wurde für schulische Unterrichtssituationen entwickelt und in der Zwischenzeit in der Pädagogik weiter verfeinert (vgl. Schulz 1980). Für die Zwecke dieser Arbeit kann es jedoch – gerade aufgrund seiner geringen Komplexität – als geeignetes Instrument zur Identifikation der zu betrachtenden Aspekte des Lernens herangezogen werden. Im Weiteren sollen die einzelnen Felder des Berliner Modells bezogen auf die Problemstellung dieser Arbeit weiter betrachtet werden. 14 2. Problemanalyse Entscheidungsfelder Ziel Inhalt Methode Medium Anthropogene Voraussetzung Sozio-kulturelle Voraussetzunge Bedingungsfelder Abbildung 2.1: Das Berliner Modell des Unterrichts Anthropogene Voraussetzungen: Die anthropogenen Voraussetzungen lassen sich durch Parameter wie Geschlecht, Alter, Herkunft, Motivation, Lernkapazität, Leistung erfassen. Die Zielgruppe in dieser Arbeit sind erwachsene Lerner. Eine ausführliche Charakterisierung erwachsener Lerner würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, es soll jedoch kurz auf einige Unterschiede zwischen Erwachsenen und Kindern bzw. Jugendlichen hingewiesen werden: Erwachsene unterscheiden sich in mehrfacher Hinsicht von Kindern und Jugendlichen in Bezug auf Lernen (vgl. Michelsen 1991). Aus physiologischer Sicht nehmen die Wahrnehmungsfähigkeit und die Wahrnehmungsgeschwindigkeit mit zunehmendem Alter teilweise deutlich ab. Aus motivationspsychologischer Sicht ist die Motivation in ihrer Auswirkung auf den Lernprozess vergleichbar wichtig. Allerdings verändert sich im Laufe des Lebens das Motivationsgefüge, d.h. einzelne Bestimmungsgrößen der Lernmotivation nehmen an Bedeutung zu oder ab. Beispielsweise sind Erwachsene weniger an Noten, Belohnungen oder Leistungsver- 2.1 Lernen, Kontext und Kooperation 15 gleichen innerhalb einer Gruppe interessiert als vielmehr am Erreichen des selbst gesteckten Lernziels. Das Lernen Erwachsener ist häufig zielorientierter, anwendungsbezogener und soll schneller in die Praxis transferiert werden können. Aus lernpsychologischer Sicht wird deutlich, dass u.a. bedingt durch verlängerte Lernund Reaktionszeiten die sog. „fluid intelligence“, die Fähigkeit schnell neue Inhalte zu lernen, abnimmt, die sog. „cristallized intelligence“, die Fähigkeit bereits Gelerntes zu nutzen, aber im Allgemeinen höher ist als bei Jugendlichen. (Für eine ausführliche Darstellung dieser Aspekte siehe Michelsen 1991.) Sozio-kulturelle Voraussetzungen: Die sozio-kulturellen Voraussetzungen lassen sich u.a. durch Parameter wie Klassengröße, Ausstattung des Lernraums, Schülerauswahl, Lehrerkollegium beschreiben. Für das in den folgenden Abschnitten weiter charakterisierte Lernen in virtuellen Lernumgebungen beeinflusst vor allem die örtliche Verteilung der am Lernprozess Beteiligten die Entscheidungen über den Unterricht, speziell die Entscheidungen hinsichtlich der Methodik und der Medienwahl. Weitere Aspekte der sozio-kulturellen Voraussetzungen, die sich auf die umgebende Gesellschaft oder Kultur beziehen, lassen sich dagegen schlechter erfassen und sollen im Folgenden nicht weiter betrachtet werden. Ziel und Inhalt: Die Entscheidungsfelder Ziel und Inhalt sind Gegenstand pädagogischer bzw. didaktischer Überlegungen und werden im Rahmen dieser Arbeit nicht weiterbehandelt. Methode und Medien: Im Bereich der Methodik sind Entscheidungen u.a. bezüglich der Artikulation des Unterrichts (Gliederung in einzelne Phasen), der Vorgehensweise (z.B. analytisch, synthetisch, projektierend), der Sozialformen (Einzelarbeit, Partner-/Gruppenarbeit, Plenum) und Aktionsformen (z.B. Vortrag, Demonstration, Diskussion, Stillarbeit) zu treffen. Die Entscheidungen über einzusetzende Medien basieren auf den jeweiligen Eigenschaften verfügbarer Medien. Die Medien können in rezeptive (Präsentations-) Medien, interaktive Medien und Kooperationsmedien unterteilt werden. Methode und Medium stehen in einem engen Bezug zueinander, beispielsweise erfordert die Entscheidung für eine kooperative Lernmethode bei der örtlichen Verteilung der Akteure auch geeignete Kooperationsmedien. Die Festlegungen in den Entscheidungsfeldern Methode und Medien bestimmen die Art der Unterstützung von Lernprozessen. Pädagogen betonen, dass es wichtig ist, die Methodik, und hier insbesondere die Vorgehensweise, die Sozial- und die Aktionsform im Laufe des Unterrichts immer 16 2. Problemanalyse wieder einmal zu wechseln. Dies trägt dazu bei, die jeweiligen Stärken der einzelnen Methoden zu nutzen und durch Abwechslung sinkender Motivation der Lernenden vorzubeugen (vgl. bspw. Flechsig & Haller 1975). Zusammenfassend wird in dieser Arbeit Lernen als kursbasiertes Lernen von Erwachsenen betrachtet. Bei der Unterstützung des Lernens müssen die anthropogenen und sozio-kulturellen Voraussetzungen beachtet werden. Entscheidungen sind (neben den im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter betrachteten Festlegungen von Zielen und Inhalten) im Bereich der Methoden und Medien des Lernens zu treffen. Dieser Lernbegriff bildet die Grundlage für das in Abschnitt 2.3 betrachtete kooperative Lernen. 2.1.2 Kontext Im Duden wird Kontext definiert als „umgebender Text, Zusammenhang, Inhalt (eines Schriftstückes)“ (Duden 1991). Das zugehörige Adjektiv nach Duden (1991) heißt kontextuell und wird erklärt als „den Kontext betreffend“ (Duden 1991). Um den Bezug zu einem Kontext aufzuzeigen, werden in der Fachliteratur gleichbedeutend auch die Bezeichnungen kontextbezogen, kontextsensitiv und kontextbewusst (engl. context-related, context-sensitive, context-aware) verwendet (z.B. Dey & Abowd 1999, Dey 2001, Dix et al. 2000). Kontext und Kontextabhängigkeit des Handelns sind Gegenstand vieler Wissenschaftsdisziplinen. Sprachwissenschaft (Linguistik) und Kommunikationswissenschaft nutzen den Kontext zur Analyse und Interpretation menschlicher Äußerungen (Bünting 1987). Die Psychologie beschäftigt sich mit dem Einfluss des Kontextes auf das (individuelle) menschliche Denken und Handeln (Zimbardo & Gerrig 2003), die Soziologie sieht dieses unter dem Blickwinkel der Interaktion zwischen Individuen bzw. in Gruppen (Abels 2001). Die Pädagogik thematisiert die Gestaltung von Lernkontexten (Mandl et al. 1997), die Arbeitswissenschaft betrachtet die Gestaltung von Arbeitskontexten (Luczak & Volpert 1997). Auch in der Informatik spielt der Kontext in verschiedenen Forschungsgebieten eine wichtige Rolle. Das Forschungsgebiet „Künstliche Intelligenz“ beschäftigt sich mit schlussfolgerndem Denken, der dazu benötigte Kontext wird als Domänenmodell repräsentiert (Brézillon 1999). In den letzten Jahren wird der Kontext vor allem unter der Blickrichtung der Allgegenwärtigkeit von Computern (Forschungsgebiet „Ubiquitous Computing“) und der Nutzung mobiler Computer erforscht (Dey & Abowd 1999). Kontext bezieht sich hier meist auf (physikalische) Umgebungsbedingungen wie den aktuellen Ort und dort verfügbare Ressourcen. Die Gestaltung der MenschMaschine-Interaktion (Forschungsgebiet „Human-Computer-Interaction“) beruht wesentlich auf der Betrachtung des Kontextes, innerhalb dessen diese Interaktion 2.1 Lernen, Kontext und Kooperation 17 stattfinden soll (Shneiderman 1998, Wixon et al. 1990). Der Kontext der computerunterstützten Kooperation wird im Forschungsgebiet „Computerunterstütztes kooperatives Arbeiten (CSCW)“ vor allem unter dem Aspekt der Wahrnehmung des Gruppenprozesses (Awareness; siehe Abschnitt 2.4.2) betrachtet (Borghoff & Schlichter 1998). Definition: Kontext Kontext kann als die Menge von Informationen und Rahmenbedingungen, die eine Situation umgeben, definiert werden. Da dies eine potentiell sehr große Menge ist, muss der Kontextbegriff im Sinne der Handhabbarkeit weiter eingegrenzt werden. Kontext soll nur die relevanten Informationen und Rahmenbedingungen zur Charakterisierung einer Situation beinhalten. Um die Relevanz einer Information oder Rahmenbedingung beurteilen zu können, muss ein Ziel betrachtet werden. Weiterhin ist ein Ziel an eine Entität gebunden: Jemand oder etwas hat ein Ziel. Zur Erreichung dieses Ziels ist eine Menge von Informationen und Rahmenbedingungen relevant. Definition: Kontextuell Ein Computersystem ist kontextuell, wenn es den Kontext benutzt, um dem Benutzer relevante Informationen oder Dienste zur Verfügung zu stellen, wobei die Relevanz von der Aufgabe des Benutzers abhängt (vergl. Dey & Abowd 1999). In den weiteren Abschnitten dieses Kapitels wird der Kontextbegriff im Hinblick auf diese Arbeit weiter verfeinert. 2.1.3 Kooperation Kooperation als die Zusammenarbeit von Personen wird vor allem im interdisziplinären Fachgebiet Computerunterstütztes kooperatives Arbeiten (CSCW) erforscht. Kooperation basiert auf der Interaktion zwischen Personen. In der Soziologie wird mit Interaktion die wechselseitige Beeinflussung des Verhaltens von Individuen und Gruppen bezeichnet (Brockhaus 1970, Fuchs-Heinritz et al. 1994). In der Informatik wird Interaktion häufig im Sinne der Mensch-ComputerInteraktion, also der wechselseitigen Beeinflussung des Verhaltens des Benutzers durch den Computer bzw. des Computers durch den Benutzer, gebraucht. Eine Form der Interaktion ist die Kommunikation. Sie dient der Verständigung und dem Austausch von Informationen. Während im allgemeinen Sprachgebrauch damit die Interaktion zwischen Personen gemeint ist, wird der Begriff Kommunikation in der Informatik auch für die Interaktion zwischen technischen Systemen (unter Nutzung 18 2. Problemanalyse von Kommunikationsprotokollen) verwendet. In dieser Arbeit wird Kommunikation jeweils auf Personen bezogen betrachtet, also die Kommunikation zwischen Personen unter Nutzung vernetzter Computer. Kommunikation erfolgt sowohl in Situationen, die durch unterschiedliche oder sich widersprechende Zielsetzungen gekennzeichnet sind (Konflikt, Konkurrenz), als auch in Situationen, die durch gemeinsame Ziele und Zusammenarbeit (Koordination, Kooperation, Kollaboration) gekennzeichnet sind. Die Koordination bezeichnet allgemein die Abstimmung von Personen bei der Bearbeitung von Aufgaben. Diese Koordination wird durch Kommunikation realisiert (Herrmann 2001, S. 23). Ziel der Koordination ist das Beherrschen der Abhängigkeiten zwischen Zielen, Aktivitäten und Akteuren bei der Bearbeitung einer Aufgabe (Malone & Crowstone 1994). Dazu zählt beispielsweise die Zerlegung einer komplexen Aufgabe in Teilschritte oder die Zuordnung von Mitarbeitern zu Teilaufgaben (vgl. Herrmann 2001, S. 25). Mit Kooperation oder Kollaboration wird die Zusammenarbeit der Gruppenmitglieder bei der Erledigung einer (gemeinsamen) Aufgabe bezeichnet. Voraussetzung für diese Zusammenarbeit ist die Kommunikation (z.B. von Teilergebnissen) sowie die Koordination der gemeinsamen Arbeit (z.B. von Teilaufgaben). Während manche Autoren die Begriffe Kooperation und Kollaboration weitgehend synonym verwenden (z.B. Harasim et al. 1995), differenzieren andere Autoren zwischen ihnen nach dem Grad der inhaltlichen oder methodischen Strukturierung der Gruppenarbeit (z.B. Matthews et al. 1995). Danach bezeichnet Kooperation eine eher strukturierte Zusammenarbeit, Kollaboration eine eher unstrukturierte Zusammenarbeit. Eine besondere Schwierigkeit bei der Verwendung des Begriffs Kollaboration im deutschsprachigen Raum liegt darin begründet, dass Kollaboration im allgemeinen Sprachgebrauch in der Bedeutung einer verräterischen oder eigennützigen Zusammenarbeit mit dem Feind verwendet wird (siehe Duden 1991, Brockhaus 1970). Im Forschungsbereich CSCW hat sich der Begriff Kooperation als Oberbegriff für alle Formen der Zusammenarbeit bei der Erledigung einer Aufgabe durchgesetzt (vgl. FG CSCW o.J.). Definition: Kooperation Eine Kooperation wird in dieser Arbeit durch eine Gruppe von Personen und eine von dieser Gruppe bearbeitete Aufgabe definiert. Die Gruppe ist durch ihre Mitglieder und die Gruppenstruktur definiert. Die Aufgabe umfasst die Aufgabenstellung, dazu benötigte Ressourcen, das Ziel der Aufgabenbearbeitung und die Methode der Zusammenarbeit bei der Aufgabenbearbeitung. 2.2 Virtuelle Lernumgebungen 19 Definition: Kontext einer Kooperation Der Kontext einer Kooperation bezeichnet die Menge der aus Sicht einer Entität zur Erreichung des Kooperations(teil)zieles relevanten Informationen und Rahmenbedingungen. 2.2 Virtuelle Lernumgebungen In diesem Abschnitt werden der Begriff virtuelle Lernumgebung und weitere damit zusammenhängende Begriffe geklärt. 2.2.1 Lernumgebung und virtuelle Umgebung In der Pädagogik wird mit Lernumgebung das gesamte Umfeld eines Lernprozesses bezeichnet. Im Sinne des im Abschnitt 2.1.1 vorgestellten Berliner Modells umfasst die Lernumgebung die anthropogenen und sozio-kulturellen Voraussetzungen des Lernens. Der Begriff virtuell wird inflationär für computergestützte Werkzeuge, Prozesse und Datensammlungen verwendet (vgl. Schulmeister 2001, S. 222). Seufert und Mayr (2002) differenzieren drei Bedeutungen: ‚ Nicht real vorhanden, aber scheinbar existierend ‚ Nicht gleich, aber sehr ähnlich ‚ Digital, computer- oder internetbasiert In dieser Arbeit bezeichnet ein virtueller Raum die Kombination aus ‚ einem im Computer repräsentierten logischen Ort (z.B. eine Webseite, eine Sitzung), ‚ einer Menge von Personen, ‚ einer Menge von Objekten, auf denen die Personen im virtuellen Raum operieren können, und ‚ einer Menge von Handlungsmöglichkeiten, mit denen die Personen die Objekte manipulieren können sowie miteinander kommunizieren, sich koordinieren und zusammenarbeiten können. Eine virtuelle Welt ist eine Menge von virtuellen Räumen, zwischen denen Personen navigieren können. Eine virtuelle Umgebung ist eine Software, die eine virtuelle Welt für Benutzer zugänglich macht. 20 2. Problemanalyse 2.2.2 Virtuelle Lernumgebungen Virtuelle Lernumgebungen sind virtuelle Umgebungen, die Lernprozesse von Personen in einer virtuellen Welt weitgehend unabhängig von Ort und Zeit ermöglichen bzw. fördern. Im einfachsten Fall wird eine solche virtuelle Lernumgebung nur von einem einzigen Benutzer verwendet (d.h. die Menge der Benutzer umfasst genau diese Person; Einbenutzer-Lernumgebung). Teilen mehrere Benutzer dieselbe virtuelle Welt, liegt eine Mehrbenutzer-Lernumgebung vor. In diesem Fall interagiert nicht nur jeder Benutzer mit der virtuellen Welt, sondern die Benutzer können miteinander (über das Medium der virtuellen kooperativen Welt) in der Lernumgebung kooperieren. (Vgl. Haake & Wessner 2001) Virtuelle Lernumgebungen sind eine Ausprägung von Lernsoftware. Lernsoftware soll hier als Oberbegriff für alle Arten von Software zur Unterstützung von Lehr- und Lernprozessen stehen. Dabei herrscht eine große begriffliche Vielfalt in Bezug auf verschiedene Arten von Lernsoftware (vgl. Schulmeister 1997, Oberle & Wessner 1998). Virtuelle Umgebungen können beispielsweise von Computer-based Training (CBT), multimediale Lernsoftware und intelligenten tutoriellen Systemen abgegrenzt werden (vgl. Schulmeister 1997). Der neuere Begriff E-Learning wird in der Regel synonym zu Lernsoftware gebraucht, betont oft aber auch das Internet als technisches Medium. Im engeren Sinne findet E-Learning statt, „wenn Lernprozesse in Szenarien ablaufen, in denen gezielt multimediale und (tele-)kommunikative Technologien integriert sind“ (Seufert & Mayr 2002). Die Bezeichnungen Virtuelle Lernumgebung, (webbasierte) Lernplattform und Learning Management System (LMS) werden synonym gebraucht (vgl. Schulmeister 2003, S. 10, Baumgartner et al. 2002, S. 30). Engere Definitionen dieser Begriffe, die beispielsweise auf die rein serverseitige Installation der Software abheben oder die Nutzung des Internets voraussetzen (Baumgartner 2001), haben sich bisher nicht durchgesetzt. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit wird die Bezeichnung virtuelle Lernumgebung, kurz: Lernumgebung verwendet. Zur Beschreibung von in Lernumgebungen genutzten Entitäten (beispielsweise von Lernobjekten, Kursen, Benutzerprofilen) existieren eine Reihe von Standardisierungsvorschlägen (vgl. IEEE LTSC 2004). Baumgartner und Payr vertreten die These, dass Lernsoftware nicht „didaktisch neutral“ sein kann (Baumgartner & Payr 1994). Eine Lernsoftware zeigt vielmehr immer auch die vom Entwickler bzw. Designer der Software implizit oder explizit zugrunde gelegte Lerntheorie (vgl. Baumgartner & Payr 1994). Virtuelle Lernumgebungen bieten die technischen Voraussetzungen für die Umsetzung verschiedener 2.2 Virtuelle Lernumgebungen 21 Lerntheorien. Beispielsweise können konstruktivistische Ansätze durch die Funktionen zur Kommunikation und zur Konstruktion von Objekten unterstützt werden. 2.2.3 Elemente virtueller Lernumgebungen Lernumgebungen dienen der Organisation und Betreuung von Lernprozessen. Dazu verfügen sie typischerweise über folgende Funktionsbereiche (vgl. Schulmeister 2003): ‚ Benutzerverwaltung ‚ Kursverwaltung ‚ Rollen- und Rechtevergabe ‚ Kommunikations- und Lernwerkzeuge ‚ Darstellung der Inhalte in einem netzwerkfähigen Browser Weiter werden noch Funktionalitäten zur Erstellung von Lerninhalten (Piendl & Brugger 2001) sowie zur Evaluation und Bewertung (Baumgartner et al. 2002) gefordert. Ein Werkzeug zum Vergleich von Lernumgebungen hinsichtlich ihrer Funktionalitäten findet man auf der Webseite der „Western Cooperative for Educational Telecommunications“ (EduTools 2004). 2.2.4 Kontext des Lernens in virtuellen Lernumgebungen Lernen in virtuellen Lernumgebungen hat Vorteile gegenüber dem Lernen mit anderen (früheren) Arten von Lernsoftware, es bestehen jedoch weiterhin Defizite (vgl. bspw. Schulmeister 2001). Dies umfasst zum einen Probleme bei der Gestaltung von Lernprozessen, zum anderen fehlende Funktionalitäten. Hinsichtlich der Gestaltung wird festgestellt, dass in der Regel traditionelle Wege der Wissensvermittlung unreflektiert in das neue technologische Medium übertragen werden. Virtuelles Lernen wird als Stoffvermittlung konzipiert und die Interaktionsmöglichkeiten des neuen Mediums werden selten richtig genutzt (Schulmeister 2001, S. 226). In funktionaler Hinsicht berücksichtigen virtuelle Lernumgebungen den Kontext des Lerners nicht ausreichend (Schmidt & Winterhalter 2004). Dies betrifft nach Schmidt und Winterhalter (2004) die Anpassung an die Charakteristika des Lernenden und die Unterstützung von Prozessen und Aufgaben (organisatorischer Kontext). 22 2. Problemanalyse Definition: Kontext des Lernens in einer virtuellen Lernumgebung Der Kontext des Lernens in einer virtuellen Lernumgebung bezeichnet die Menge der aus Sicht einer Person (vor allem: eines Lernenden oder eines Tutors) zur Erreichung des Lernzieles relevanten Informationen und Rahmenbedingungen. Dies beinhaltet u.a. das Lernmaterial, die Werkzeuge, das Lernerprofil sowie Informationen über andere Personen in der virtuellen Lernumgebung. 2.3 Kooperatives Lernen In diesem Abschnitt wird kooperatives Lernen als eine Form des Lernens dargestellt. Dabei wird deutlich, dass kooperatives Lernen nicht mit jeglichem Lernen in Gruppen gleichzusetzen ist. Vielmehr werden beim kooperativen Lernen bestimmte Anforderungen an die Lerngruppe und ihre Mitglieder sowie an die zu bearbeitenden Aufgaben gestellt. 2.3.1 Kooperatives und kollaboratives Lernen Auch für das gemeinsame Lernen werden die beiden Begriffe Kooperation und Kollaboration (vgl. Abschnitt 2.1.3) verwendet. In der Fachliteratur werden die Bezeichnungen kooperatives Lernen und kollaboratives Lernen teilweise synonym verwendet, teilweise wird zwischen ihnen – in unterschiedlicher Weise – differenziert. Häufig wird kooperatives Lernen als durch einen Lehrenden oder eine Aufgabenstellung vorstrukturiertes gemeinsames Lernen definiert, während kollaboratives Lernen keine oder nur eine geringe (externe) Strukturierung aufweist. Wichtigstes Kriterium für kollaboratives Lernen ist das Bekenntnis aller Gruppenmitglieder zum gemeinsamen (Lern-)Ziel (vgl. z.B. Mayrberger 2004). Kienle (2003) differenziert zwischen kooperativ und kollaborativ nicht nach dem Vorhandensein einer Strukturierung, sondern im Hinblick auf das Ziel der Zusammenarbeit. Danach steht kooperatives Lernen für die Zusammenarbeit mit dem Ziel des individuellen Wissenszuwachses, während kollaboratives Lernen die Bedeutung des gemeinsamen Verständnisses (Konsens) innerhalb der Lerngruppe betont. Neben kooperativ und kollaborativ werden zuweilen auch die Bezeichnungen kollektiv oder konversational (Koschmann 1996; Koschmann et al. 2002) für gemeinsames Lernen gebraucht. Für diese Arbeit soll kooperatives Lernen als Oberbegriff verwendet werden. Dabei wird der Lernprozess als potentiell strukturiert betrachtet. Kollaboratives Lernen kann als Spezialfall des kooperativen Lernens betrachtet werden, indem die Strukturierung die einfachste Form annimmt, d.h. keine Vorgaben zur Struktur existieren. 2.3 Kooperatives Lernen 23 Definition: Kooperatives Lernen Kooperatives Lernen ist ein Prozess, in dem mehrere Personen in einer Lernumgebung kommunizieren und kooperieren, um gemeinsam Wissen aufzubauen bzw. zu erwerben. (vgl. Slavin 1995). Zur Gestaltung und Erklärung des kooperativen Lernens werden verschiedene Theorien herangezogen (Slavin 1995, Koschmann 1996a). Wichtige theoretische Grundlagen liefern der Konstruktivismus, die sozio-kulturelle Theorie und die Theorie der verteilten Kognition. Eine Gemeinsamkeit aller Theorien besteht darin, dass Lernen jeweils als aktiven Prozess des Lernenden in einer authentischen, multiperspektivischen Situation betrachtet wird (Slavin 1995, Koschmann 1996a). Nach dem Konstruktivismus (vgl. z.B. Sherman 1995) kann Wissen nicht zum Lernenden transferiert werden, sondern dieser muss sich das Wissen aktiv durch Erfahrung aufbauen. Die sozio-kulturelle Theorie (Vygotsky 1978) betont, dass ein individueller Wissenszuwachs zunächst durch Interaktion mit der sozialen Umgebung entsteht und erst danach internalisiert wird. Ein wichtiges Konzept ist die Zone der nächsten Entwicklung. Sie bezeichnet denjenigen Wissensbereich, den ein Lernender zwar in Interaktion mit z.B. fortgeschritteneren Lernenden, aber noch nicht alleine beherrscht. Die Theorie der verteilten Kognition (Hutchins 1991) rückt das Zusammenspiel der Individuen, der sozialen Umgebung und der kulturellen Artefakte in den Mittelpunkt der Betrachtung. Lernen vollzieht und zeigt sich von individuellen Anstößen ausgehend in der Interaktion mit anderen und in Werkzeugen und Gegenständen. An weiteren Theorien werden häufig die Cognitive Flexibility Theorie (Spiro et al. 1988), Problembasiertes Lernen (Cognition and Technology Group at Vanderbilt 1993), Cognitive Apprenticeship (Collins et al. 1989) und Situiertes Lernen (Lave & Wenger 1990) zur Begründung des kooperativen Lernens herangezogen. Mit diesen Theorien lassen sich die Vorteile des kooperativen Lernens gegenüber individuellem und kompetitivem Lernen begründen. Diese Vorteile wurden in zahlreichen Studien nachgewiesen (vgl. die Metaevaluation in Slavin (1995)). Panitz (1997) führt insgesamt 66 Vorteile des kooperativen Lernens auf und teilt sie nach dem inhaltsbezogenen, dem sozialen und dem psychologischen Nutzen sowie den erweiterten Beurteilungsmöglichkeiten in vier Gruppen ein: ‚ Inhaltsbezogener Nutzen: Kooperatives Lernen fördert die Fähigkeit zu kritischem Denken, erreicht die aktive Beteiligung der Lernenden, verbessert die Lernerfolge im Klassenzimmer, vermittelt Problemlösetechniken, erlaubt die Personalisierung von Vorlesungen und bietet weitere, fachspezifische Vorteile. 24 2. Problemanalyse ‚ Sozialer Nutzen: Kooperatives Lernen realisiert ein soziales Unterstützungssystem für die Lernenden, fördert die Toleranz, bewirkt eine positive Einstellung zu Modelllernen, Kooperation und dem Lernen in Gemeinschaften. ‚ Psychologischer Nutzen: Kooperatives Lernen steigert das Selbstwertgefühl der Lernenden, reduziert die Ängstlichkeit, fördert eine positive Einstellung gegenüber den Lehrenden. ‚ Alternative Beurteilungsmöglichkeiten: Kooperatives Lernen erweitert das Spektrum der Beurteilungsmöglichkeiten. Die Beobachtung der Lernenden und die Selbstbeurteilung der Gruppe liefern zusätzliche Anhaltspunkte für die Beurteilung der Lernenden. Außerdem erhält der Lehrende durch die Beobachtung eine schnelle Rückmeldung über die Lernprozesse und kann entsprechend reagieren. In Gruppen sind im Vergleich zu individuellem Lernen neue Lernformen möglich, beispielsweise reziprokes Lernen, Lernen durch Diagnose, Lernen durch Beobachten und Lernen durch Diskussion. Daneben eignet sich kooperatives Lernen auch, um soziale Fähigkeiten und kooperative Verhaltensweisen zu erlernen bzw. zu vertiefen. In einem engeren Sinne wird für kooperatives Lernen gefordert, dass alle Gruppenmitglieder den gleichen Status haben und jeweils (auch) individuell verwertbares Wissen erwerben (Dansereau & Johnson 1994). In diesem Sinne kann kooperatives Lernen von Tutoring und Team-Training abgegrenzt werden: Kooperatives Lernen kann von einem Tutor geleitete Phasen (Tutoring) beinhalten. Überwiegt aber der Anteil solcher Phasen, verhindert das Statusgefälle zwischen Tutor und Lernenden kooperatives Lernen. Das Team-Training zielt auf die Förderung des Teams (der Gruppe) und weniger auf die Förderung der einzelnen Mitglieder. Nimmt man kooperatives Lernen als Form des Lernens können die Elemente des Berliner Modells des Unterrichts (vgl. Abschnitt 2.1.1) weiter spezifiziert werden: ‚ Bedingungsfeld Anthropogene Voraussetzungen: Für die Unterstützung des kooperativen Lernens sind neben den allgemeinen Parametern zur Beschreibung der beteiligten Personen insbesondere auch solche von Interesse, die die Einstellungen, Erfahrungen und die Eignung in Bezug auf kooperatives Lernen erfassen. Diese Parameter wirken sich auf die Zusammensetzung und Bildung von Lerngruppen aus (vgl. die Abschnitte 2.3.3 und 2.3.4). ‚ Bedingungsfeld Sozio-kulturelle Voraussetzungen: Die Unterstützung des kooperativen Lernens muss insbesondere die Eignung der Lernumgebung (im pädagogischen Sinne) für das kooperative Lernen berücksichtigen und auf die 2.3 Kooperatives Lernen 25 Förderung einer geeigneten Lern- und Kooperationskultur zielen (vgl. die Abschnitte 2.3.2 und 2.3.5). ‚ Entscheidungsfelder Ziel und Inhalt: Entscheidungen hinsichtlich dieser Felder gehören in den Kompetenzbereich der Pädagogik bzw. Didaktik und werden hier nicht weiter behandelt. ‚ Entscheidungsfelder Methode und Medium: Die Wahl der Lernform kooperatives Lernen beschränkt die Auswahl der Sozial- und Aktionsformen und erfordert die Bereitstellung geeigneter Kooperationsmedien. Kooperatives Lernen kann durch verschiedene Methoden praktisch umgesetzt werden (vgl. die Abschnitte 2.3.6 und 2.3.7). 2.3.2 Kooperative Episoden Wie in Abschnitt 2.1.1 allgemein für Lernen gefordert, soll auch im kursbasierten Lernen Erwachsener möglichst zwischen verschiedenen Methoden und Sozialformen abgewechselt werden. Ähnlich wie kooperative Arbeitsprozesse in der Regel aus individuellen und kooperativen Phasen bestehen (vgl. Schwabe 2002), wird auch kooperatives Lernen als eine Kombination individueller und kooperativer Lernphasen betrachtet (Linder & Rochon 2003). In kooperativen Lernphasen werden Aufgaben je nach Zeitdauer in informellen oder formalen kooperativen Lerngruppen bearbeitet (vgl. Abschnitt 2.3.4). Eine solche kooperative Phase innerhalb eines individuellen Lernprozesses wird als kooperative Episode bezeichnet (Linder & Rochon 2003). Lernepisode wird im Folgenden als Überbegriff für individuelle und kooperative Phasen verwendet. Damit die oben genannten Potentiale des kooperativen Lernens wirksam werden können, muss eine kooperative Episode bestimmte Bedingungen erfüllen (vgl. Kienle 2003, S. 49; Slavin 1995). Die Gestaltung der kooperativen Episode muss so erfolgen, dass effektives kooperatives Lernen stattfindet. Effektives kooperatives Lernen zeigt sich in folgenden Aspekten der Gruppenarbeit (Johnson & Johnson 1990, Johnson et al. 1991; in Klammern ist jeweils die von Johnson & Johnson gewählte Bezeichnung angegeben). Positive Abhängigkeit (positive interdependence): Die Gruppenmitglieder nehmen wahr, dass eine Abhängigkeit zwischen ihnen derart besteht, dass keiner erfolgreich sein kann, ohne dass auch die anderen erfolgreich sind bzw. dass das gewünschte Ergebnis nur erreicht werden kann, wenn alle ihre Aktivitäten koordinieren. Es gibt zwei Arten der Abhängigkeit, die Ergebnis- und die Mittelabhängigkeit. Erstere umfasst das Ziel, den Endzustand und die Belohnung, letztere die Abhängigkeit in Bezug auf Ressourcen, Rollen und (Teil-)Aufgaben. Die positive Abhängigkeit führt 26 2. Problemanalyse zu höherer Motivation, da jeder die Notwendigkeit und den Effekt eigener Anstrengungen wahrnehmen kann. Dabei ist das gemeinsame Ziel die wichtigste Abhängigkeit, die Kombination mehrerer Abhängigkeiten kann die Wirkung verstärken. Individuelle Zurechenbarkeit/Persönliche Verantwortlichkeit (individual accountability/personal responsibility): Jedes Gruppenmitglied trägt die Verantwortung für die Erledigung der von ihm übernommenen Aufgaben und für das Unterstützen der Aktivitäten der anderen Gruppenmitglieder. Dies wird gefördert durch die individuelle Zurechenbarkeit der Leistung, d.h. die von einem Gruppenmitglied erbrachten Leistungen gehen nicht im gemeinsamen Ergebnis unter, sondern sind im Ergebnis sichtbar. Diese Eigenschaft hängt mit der positiven Abhängigkeit zusammen und verstärkt deren Wirkung. Fördernde Interaktion (promoting interaction): Die Gruppenmitglieder ermutigen und fördern sich bei der Erledigung ihrer Aufgaben zur Erreichung des gemeinsamen Ziels. Dies umfasst u.a., dass die Gruppenmitglieder einander helfen, benötigte Informationen und Hilfsmittel austauschen, sich konstruktives Feedback geben, die Argumente und Teilergebnisse der anderen mit dem Ziel hinterfragen, zu besserem Verständnis und besser begründeten Entscheidungen zu kommen. Soziale Kompetenz (social skills): Die Gruppenmitglieder lernen sich gegenseitig kennen und bauen ein Vertrauensverhältnis auf, kommunizieren klar und verbindlich, akzeptieren und unterstützen sich gegenseitig und wenden konstruktive Konfliktlösestrategien an. Ein bestimmtes Maß an sozialer Kompetenz ist Voraussetzung für kooperatives Lernen. Gleichzeitig kann kooperatives Lernen durch entsprechendes Feedback durch den Lehrenden oder die Gruppe die soziale Kompetenz der Gruppenmitglieder fördern. Reflexion der Gruppenarbeit (group processing): Die Gruppenmitglieder thematisieren regelmäßig ihre Zusammenarbeit und mögliche Änderungen. Dadurch wird die Zusammenarbeit verbessert. Gleichzeitig erhalten die einzelnen Gruppenmitglieder Feedback zu ihrem Beitrag am Gruppenprozess. Zahlreiche Studien (vgl. Johnson et al. 1991) zeigen, dass diese fünf Gruppeneigenschaften den Rahmen für erfolgreiche Gruppenarbeit im Sinne des kooperativen Lernens schaffen. Bei der Gestaltung kooperativer Episoden sind diese Anforderungen an die Arbeit einer Lerngruppe zu berücksichtigen. Cohen (1994) unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen „echten“ und „unechten“ kooperativen Aufgaben. Während echte kooperative Aufgaben von keinem Gruppenmitglied alleine mit vertretbarem Aufwand zu bewältigen sind, sind unechte kooperative Aufgaben solche, die auch alleine erfolgreich bearbeitet werden 2.3 Kooperatives Lernen 27 können. Nur echte kooperative Aufgaben ermöglichen die oben beschriebende Art von Gruppenarbeit. 2.3.3 Bildung von Lerngruppen Im Hinblick auf die Dauer der Zusammenarbeit kann zwischen drei Arten von Lerngruppen differenziert werden (vgl. Johnson & Johnson 1996): ‚ Informelle kooperative Lerngruppen werden ad hoc gebildet und haben für wenige Minuten bis zu einer kompletten Lernsitzung Bestand. Ihr Einsatz erfolgt gezielt, um die Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Thema zu lenken, die Erwartungen der Lernenden zu klären, sicherzustellen, dass ein bestimmtes Lehrmaterial bearbeitet wird, oder eine Unterrichtseinheit abzuschließen. ‚ Formale kooperative Lerngruppen bearbeiten für eine oder mehrere Lernsitzungen eine bestimmte Unterrichtseinheit gemeinsam. Der Lehrende führt in die Aufgabe ein und gibt den organisatorischen Rahmen der Gruppenarbeit vor. Er beobachtet die Lernenden während der Gruppenarbeit und liefert bei Bedarf weitere Hilfestellung. Zum Abschluss der Gruppenarbeit erfolgt eine Bewertung der Gruppenarbeit durch den Lehrenden und/oder die Gruppe selbst. ‚ Kooperative Basisgruppen existieren über einen längeren Zeitraum (mindestens ein Semester). Ihre Mitglieder unterstützen sich gegenseitig bei ihren Lernfortschritten fachlicher, sozialer und methodischer Art. Informelle und formale kooperative Lerngruppen unterscheiden sich vor allem hinsichtlich ihrer Lebensdauer und der Art bzw. Komplexität der zu bearbeitenden Aufgabe. Sie sind eingebettet in einen (nicht-kooperativen) Lernprozess, sei es der Unterricht in traditionellen Szenarien oder das kursbasierte (individuelle) Lernen, das in dieser Arbeit betrachtet wird. Kooperative Basisgruppen existieren parallel zum traditionellen Unterricht bzw. kursbasierten Lernen. Der Erfolg des kooperativen Lernens hängt stark vom Gruppenklima, von der geeigneten Gestaltung der Aufgabe und von der Passung von Gruppe und Aufgabe ab (Kagan 1994, S. 4:2). Das Gruppenklima wird durch die Gruppenidentität (WirGefühl) und das Verhältnis zwischen den Gruppenmitgliedern (freundschaftliche Gefühle, Respekt und Vertrauen) bestimmt (Kagan 1994, S. 4:2). Die Aufgabe ist so zu gestalten, dass die Anforderungen an eine Lerngruppe (siehe Abschnitt 2.3.2) erfüllt werden können. Die Passung zwischen Gruppe und Aufgabe umfasst die für diese Aufgabe passende Größe und Zusammensetzung der Lerngruppe sowie weitere Aspekte (z.B. Verständlichkeit und Lösbarkeit der Aufgabe für die Lernen- 28 2. Problemanalyse den). Im weiteren werden die Fragen nach der Größe und Zusammensetzung von Lerngruppen diskutiert. Die Kriterien für die Bestimmung der Größe einer Lerngruppe richten sich nach der Dauer und dem Ziel des kooperativen Lernens. Je größer eine Gruppe ist, desto weniger Anteil hat jedes Gruppenmitglied am gemeinsamen Ergebnis, desto weniger Redezeit bzw. Aufmerksamkeit der Gruppe steht ihm zur Verfügung, desto größer ist die Gefahr, dass einzelne Gruppenmitglieder sich nicht angemessen an der Gruppenarbeit beteiligen. Andererseits ist die Meinungs- und Erfahrungsvielfalt in der Gruppe umso geringer, je kleiner die Gruppe ist. Verschiedene Studien und Praxisberichte legen Gruppengrößen zwischen zwei und vier nahe (Cohen 1994; Felder & Brent 1994; Johnson & Johnson 1996, Kagan 1994, Slavin 1995). Gruppen mit drei oder vier Mitgliedern sind groß genug, um genügend viele verschiedene Meinungen, Lernstile und Erfahrungen in der Gruppe zu haben. Andererseits ist eine solche Gruppe klein genug, um unerwünschte Gruppeneffekte (Cohen 1994; siehe Abschnitt 2.3.8 zu den Problembereichen kooperativen Lernens) zu verhindern. Die Heterogenität der Gruppe z.B. in Bezug auf den Leistungsstand, den bevorzugten Lernstil, das Alter, das Geschlecht und die ethnische Zugehörigkeit wirkt sich für kooperatives Lernen positiv aus, da dadurch verschiedene Zugänge zum Lerngegenstand in der Gruppe existieren und in der Gruppenarbeit thematisiert werden (Johnson & Johnson 1996). Heterogene Gruppen begünstigen das Auftreten des wechselseitigen Lehrens zwischen den Gruppenmitgliedern. Aufgrund der unterschiedlichen Interessen und Leistungsstände ist es wahrscheinlicher, dass sich die Lernenden untereinander Wissen vermitteln, was sowohl für den „Lehrenden“ als auch den „Lernenden“ positive Effekte hat. Ein weiterer Vorteil heterogener Gruppen ist vor allem für Jugendliche und junge Erwachsene von Bedeutung: Heterogene Gruppen sind besser als homogene Gruppen geeignet, Lernende auf die (heterogene) Gesellschaft vorzubereiten, da die Lernenden in der Gruppe mit Partnern aus unterschiedlichen Kulturen, mit unterschiedlichen Einstellungen und Perspektiven arbeiten (Johnson & Johnson 1996). Um die Funktionsfähigkeit der Gruppe zu gewährleisten, ist jedoch ein Mindestmaß an Homogenität notwendig. Insbesondere sollte die Heterogenität in Bezug auf das kognitive Niveau nicht allzu groß sein (Slavin 1990). Im Einklang mit soziokonstruk- 2.3 Kooperatives Lernen 29 tivistischen Theorien (vgl. Abschnitt 2.2) wirken sich kleine Unterschiede positiver auf den Lernprozess und auf den Wissenszuwachs aus als große Unterschiede. 4 Heterogenität ist nicht in allen Fällen besser als Homogenität (vgl. Gage & Berliner 1996, S. 465). Wenn beispielsweise Textverstehen und sprachliche Fähigkeiten eine große Rolle bei der Bearbeitung einer Aufgabe spielen, soll die Gruppe in Bezug auf die sprachliche Kompetenz der Mitglieder möglichst homogen sein. In Bezug auf andere Eigenschaften der Lernenden soll aber auch bei solchen Aufgaben Heterogenität herrschen (Kagan 1994, S. 6:12). Johnson und Johnson (1996) kommen nach der Diskussion zahlreicher, z.T. widersprüchlicher Ergebnisse von Studien zum Schluss, dass kooperatives Lernen sowohl bei homogenen als auch bei heterogenen Gruppen Vorteile gegenüber individuellem Lernen haben kann. Während schwache Lernende in heterogenen Gruppen sich deutlich verbessern konnten, lernen gute Lernende entweder auch dazu oder erreichten zumindest dieselben Ergebnisse wie gute Lernende in homogenen Gruppen. Gruppen können auf verschiedene Arten zusammengestellt werden. Die Entscheidung über die Zuordnung der Lernenden zu Gruppen kann von den Lernenden selbst, vom Lehrenden oder unter Nutzung bestimmter Gruppenbildungsverfahren getroffen werden. Diese Arten sind mit unterschiedlichem Aufwand verbunden. Ihre Eignung hängt von der Art der Aufgabe ab. Eine zufällige Zuordnung der Lernenden zu Gruppen erfordert geringen Aufwand. Sie eignet sich für kurze kooperative Episoden. Zufällig zusammengestellte Gruppen in kurzen Episoden führen zu großer Abwechslung und guter Weitergabe von Wissen in den wechselnden Gruppen (Kagan 1994, S. 6:11). Die sorgfältige Zusammenstellung einer Gruppe durch den Lehrenden unter Berücksichtigung der jeweils angemessenen Heterogenität bzw. Homogenität erfordert zwar höheren Aufwand als die zufällige Zusammenstellung, führt aber zu größeren Lernerfolgen (Kagan 1994, S. 6:11). Die Zusammenstellung durch den Lehrenden kann weiterhin als Vorbereitung auf das Berufsleben gesehen werden, in dem Gruppen in der Regel nicht frei gewählt, sondern durch Vorgesetzte zusammengestellt. Kagan (1994, S. 6:1ff.) beschreibt eine Reihe von praxisnahen Methoden und Hilfsmitteln zur Gruppenbildung durch den Lehrenden. Wird die Gruppenzusammensetzung von den Lernenden selbst vorgenommen, entstehen meist eher homogene Gruppen mit hoher gegenseitiger Akzeptanz. Hetero4 Zur kognitiven Entwicklung und der Problematik der Bestimmung kognitiver Niveaus vgl. Zimbardo & Gerrig 2003, S. 65ff. 30 2. Problemanalyse genität kann in diesem Fall dadurch erreicht werden, dass der Lehrende bestimmte Kriterien zur Zusammenstellung der Gruppe oder zur Fluktuation der Mitglieder vorgibt (Felder & Brent 1994). Da jede Art der Gruppenzusammenstellung jeweils spezifische Stärken und Schwächen aufweist, empfiehlt es sich, verschiedene Arten zu berücksichtigen und im Lernprozess abwechselnd zu verwenden (Kagan 1994, S. 6:11). Zusammenfassend ergeben sich als Anforderungen für diese Arbeit, dass Gruppen verschiedener Größe zu berücksichtigen sind, dass Fragen der Homogenität bzw. Heterogenität bei der Zusammensetzung von Gruppen beachtet werden müssen und dass verschiedene Arten der Gruppenbildung in Betracht zu ziehen sind. 2.3.4 Kooperatives Lernen Erwachsener Bisher wurde kooperatives Lernen meist in Schulen und Hochschulen eingesetzt und erforscht, für den Einsatz mit Erwachsenen außerhalb der Hochschule liegen nur wenige Erfahrungen vor (vgl. Dansereau & Johnson 1994, Johnson et al. 1991, Slavin 1995). Da erwachsene Lerner meist bereits über persönliche Strategien und gefestigte Einstellungen verfügen, fällt ihnen das Umlernen schwerer als Kindern und Jugendlichen. Dies betrifft mit ihrem Wissen, ihrer Erfahrung oder ihrem Weltbild in Widerspruch stehende Inhalte ebenso wie ihnen aus der eigenen Schulzeit unbekannte offenere Lernformen. Huber (1997) unterscheidet bei Erwachsenen ungewissheitsorientierte und gewissheitsorientierte Lerner. Ungewissheitsorientierte Lerner werden durch Widersprüche und Ungewissheiten motiviert, gewissheitsorientierte Lerner möchten Ungewissheiten im Lernprozess möglichst vermeiden. Daraus lässt sich schließen, dass kooperatives Lernen aufgrund der multiplen Perspektiven und der Notwendigkeit zur aktiven Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand eher für ungewissheitsorientierte Lerner geeignet ist, während gewissheitsorientierte lieber in traditionellem Unterricht lernen und zu offeneren Lernformen erst behutsam hingeführt werden müssen. Das Lernen Erwachsener stellt auch im Vergleich zur schulischen Situation andere Anforderungen an die Lernepisoden (Dansereau & Johnson 1994): Lernepisoden sind hier im Vergleich zur Schule kürzer und thematisieren mehr Lernstoff. Die einzelnen Episoden sind demzufolge sehr fokussiert und verdichtet. Erwachsene bearbeiten komplexere Aufgaben, die eine andere Art von Kooperation erfordern als typische kooperative Aufgaben in der Schule. Eine Aufteilung des Materials oder der Aufgabe in Teilaufgaben ist bei komplexen Aufgaben nur begrenzt möglich. Stattdessen sind meist Phasen der gemeinsamen Bearbeitung einer Aufgabe und das Hinzuziehen zusätzlicher Ressourcen notwendig. 2.3 Kooperatives Lernen 31 Schließlich resultieren Unterschiede aus den Lernereigenschaften (vgl. Abschnitt 2.1.1). Erwachsene befinden sich häufig auf einem höheren kognitiven Entwicklungsstand und besitzen mehr Sozialkompetenz. Auch verfügen sie meist über bestimmte Strategien zur Lösung komplexer Probleme. Die Kooperationsmethode muss diesen Lernereigenschaften Rechnung tragen. Beispielsweise gilt die Belohnung der Gruppe im Bereich des schulischen Lernens als sinnvoll, während Erwachsene dies nicht benötigen bzw. ablehnen (Dansereau & Johnson 1994). 2.3.5 Problembereiche des kooperativen Lernens Trotz der oben aufgeführten Vorteile des kooperativen Lernens hat sich kooperatives Lernen bisher noch nicht auf breiter Basis im Bildungswesen durchgesetzt. Panitz und Panitz (1998) analysieren die Probleme und liefern u.a. folgende Begründungen: Die gegenwärtige Schul-, Hochschul- und Weiterbildungskultur zielt stark auf wettbewerbliches Verhalten zwischen den Lernenden, beispielsweise wenn die Verteilung der Benotungen möglichst einer Gaußschen Glockenkurve nahe kommen soll. Auch die Lehrenden wurden in der Regel selbst vorlesungsartig und in einer kompetitiven Kultur ausgebildet. Sie fürchten zudem den Kontrollverlust im Klassenzimmer und verfügen nicht über ausreichendes Selbstvertrauen, geeignetes Lehrmaterial und passende methodische Instrumente, um den Lernenden eine aktivere Rolle zuzugestehen. Ähnliche Begründungen bzw. Befürchtungen existieren auch für Schulleiter oder Eltern. Zur Adressierung dieser Problembereiche müssen geeignete Maßnahmen bei der Entwicklung von Methoden und Werkzeugen für kooperatives Lernen und bei deren Einführung in eine Organisation getroffen werden. Entsprechende Maßnahmen, z.B. die frühzeitige Partizipation der Lehrenden und Lernenden, und Erfahrungen werden in Kapitel 7 dieser Arbeit angesprochen. Ein weiterer Grund liegt in den individuell gesammelten, teilweise schlechten Erfahrungen mit Gruppenarbeiten. Renkl und Kollegen (1995) beschreiben typische Phänomene in Lerngruppen, die das Gruppenklima und die Gruppeneffektivität beeinträchtigen. Als Beispiel sei der Free-Rider-Effekt genannt, der sich derart zeigt, dass Arbeiten in der Gruppe vor allem von denjenigen Gruppenmitgliedern erledigt werden, denen dies wichtig ist, während andere sich zurückhalten (Social Loafing). Kooperatives Lernen adressiert diese Effekte durch die oben aufgeführten Anforderungen an Lerngruppen (Abschnitt 2.3.3) bzw. an die kooperative Episode (Abschnitt 2.3.4). 2.3.6 Unterstützung für kooperatives Lernen Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, die Rahmenbedingungen für kooperatives Lernen zu verbessern, um die Erfolgswahrscheinlichkeit kooperativen Lernens zu 32 2. Problemanalyse erhöhen. Dies umfasst die Unterstützung für den Autor kooperativer Aufgaben, für den Lehrenden und für die Lernenden. Es liegen zahlreiche Handbücher und Leitfäden zum Einsatz des kooperativen Lernens vor (z.B. Davidson 1990, Johnson et al. 1991, Kagan 1994, Slavin 1995). Diese enthalten Arbeitsblätter, Beschreibungen von kooperativen Methoden und heuristische Empfehlungen. Durch Verwendung dieser Hilfestellungen können viele der oben genannten Probleme kooperativen Lernens gemildert werden. Beispielsweise trägt eine Klärung der Beurteilungskriterien für eine Leistung dazu bei, die Ängste vor ungerechter Benotung abzubauen. Eine wichtige Rolle für die Unterstützung kooperativen Lernens spielt die Gestaltung der Aufgabe. Diese Gestaltung beinhaltet neben der Angabe des Ziels der Kooperation vor allem Angaben zur Strukturierung des kooperativen Lernprozesses und evtl. das Bereitstellen weiterer aufgabenbezogener Ressourcen. Ineffektives kooperatives Lernen wird häufig darauf zurückgeführt, dass der kooperative Lernprozess spontan und unkoordiniert stattfindet (Renkl & Mandl 1995). Verschiedene Ansätze zielen daher auf die Strukturierung des kooperativen Lernprozesses. Diese Strukturierungen versuchen die individuellen Denkprozesse, die Art der Gespräche und die Koordination des wechselseitigen Austausches so zu beeinflussen, dass der kooperative Lernprozess möglichst gut von den individuellen Perspektiven der Gruppenmitglieder profitiert und eine möglichst gute Verarbeitung des Lerngegenstandes in der Gruppe erfolgt. Nachteilige Effekte einer derartigen externen Strukturierung bestehen darin, dass mit der Regelung der Interaktionen gleichzeitig auch der freie Austausch von Ideen und die Freiheit von Problem- und Lösungsdefinitionen eingeschränkt wird (Renkl & Mandl, 1995). Dies wirkt sich vor allem bei unstrukturierten Aufgaben, wo es gerade auf eine relativ freie und kreative Erschließung des Problems ankommt, negativ aus (Cohen 1994). Für diese Arbeit folgt daraus, dass die Art der Strukturierung von der Art der Aufgabe abhängig sein muss. Schank und Abelson (1977) haben das Konzept Skript als handlungsleitende kognitive Struktur eingeführt. Ein solches Skript wird von einer Person in der Regel unbewusst in einer Situation aktiviert und befolgt. Schank und Abelson nennen als Beispiel das Restaurantskript, das die Verhaltensweisen des Gastes und der Bedienung während der einzelnen Phasen eines Restaurantbesuchs (aus Sicht des Gastes: Warten auf die Zuteilung eines Tisches, Bestellen, Bestellung erhalten, Verzehren, Bezahlen) beschreibt. Eine Anwendung von Skripts für kooperatives Lernen sind Kooperationsskripte (Scripted Cooperation; Dansereau et al.1979, Dansereau 1988, O’Donnel & 2.3 Kooperatives Lernen 33 Dansereau 1992). Ein Kooperationsskript spezifiziert die von den Lernenden auszuführenden Aktivitäten, bringt sie in eine Reihenfolge und weist sie den einzelnen Lernern zu. Mit Dansereau und Johnson (1994) lassen sich direkte und indirekte Skripts unterscheiden. Ein indirektes Skript gibt die Aufteilung des Materials oder der Aufgabe unter den Gruppenmitgliedern sowie ein vorheriges Erwerben der nötigen Sozialkompetenzen vor. Ein direktes Skript besteht aus einer expliziten Beschreibung der Rollen und Aktivitäten. Bei einer zu starken Strukturierung des Lernprozesses durch Skripts werden die Vorteile des kooperativen Lernens dadurch egalisiert, dass den Lernenden zu wenig Spielraum zur lebendigen Interaktion zur Verfügung steht (Dillenbourg 2002). Skripte können auf zwei verschiedene Arten den kooperativen Lernprozess unterstützen (O’Donnell 1999): Zum einen stoßen sie kognitive Prozesse der Lernenden an, die ohne Skript eventuell nicht aktiviert werden würden. Beispielsweise kann das Skript explizit die Reflektion des bisher Gelernten enthalten. Zum anderen können sie dem Auftreten negativer Effekte der Gruppenarbeit (siehe Abschnitt 2.3.7) entgegenwirken. Beispielsweise kann durch die Zuweisung von Rollen und Teilaufgaben der Free-Rider-Effekt vermieden werden. Wie oben dargestellt (siehe Abschnitt 2.3.7) weisen kooperative Aufgaben für Erwachsene häufig eine hohe Komplexität auf. Aufgrund dieser Komplexität kann ein direktes Skript notwendig sein, um die gewünschten positiven Effekte eintreten zu lassen (Dansereau & Johnson 1994). Dies gilt zumindest für solche Erwachsene, die über wenig Erfahrung mit kooperativem Lernen verfügen. Ein Kooperationsskript als vorgegebene Strukturierung der Zusammenarbeit und auch die tatsächliche stattfindende Zusammenarbeit in einer Gruppe kann mit Hilfe von Rollen und Prozessen beschrieben werden: Die Bearbeitung der gemeinsamen Aufgabe kann durch das Einnehmen bestimmter Rollen durch die Gruppenmitglieder erleichtert werden. Beispiele sind der Moderator und der Protokollant einer Gruppendiskussion oder die verschiedenen Stakeholder in einem Unternehmensplanspiel. Rollen sind durch spezifische Sichtweisen, Erwartungen, Handlungsmuster, Ressourcen, Ziele oder Teilaufgaben gekennzeichnet. Die Zusammenarbeit der Beteiligten kann als Prozess aufgefasst werden. Dieser Prozess besteht aus einer Menge von Phasen. Jede Phase besteht aus einer Menge logisch miteinander verbundenen Tätigkeiten, die für das Erreichen eines bestimmten Ergebnisses durchgeführt werden. Für den Prozess als Ganzes sowie für jede Phase des Prozesses können bestimmte Regeln existieren, die die Zusammenarbeit 34 2. Problemanalyse näher bestimmen. Weiterhin können für jede Phase und Rolle bestimmte Ressourcen (z.B. Informationen und Werkzeuge) zur Verfügung gestellt werden. Neben dem Prozess, der die Tätigkeiten der Gruppe im Hinblick auf das gemeinsame Ziel, das Arbeitsergebnis umfasst, durchläuft auch die Gruppe selbst einen Prozess der Gruppenentwicklung (Gruppenprozess). Bekannte Modelle des Gruppenprozesses sind das Stufenmodell (mit den Stufen Forming, Storming, Norming und Performing) nach Tuckman (1965) und die TIP-Theorie (Time-Interaction-Performance) nach McGrath (1991), die vier Arbeitsmodi vorsieht, zwischen denen eine Gruppe wechselt. Definition: Kooperationsmethode Die Unterstützungsmöglichkeiten Rollen und Prozess – bestehend aus Phasen, Tätigkeiten, Regeln und Ressourcen – werden unter der Bezeichnung Kooperationsmethode zusammengefasst. Definition: Kooperative Lernmethode Eine kooperative Lernmethode ist eine Kooperationsmethode, die zum Lernen im Sinne des kooperativen Lernens geeignet ist. Als theoretische Basis dieser Unterstützungsmöglichkeiten können neben der Skripttheorie die Sprechakttheorie nach Austin, die Argumentationstheorie nach Toulmin sowie die Konversationstheorie nach Winograd und Flores herangezogen werden (vgl. Herrmann 2001). 2.3.7 Beispiele kooperativer Lernmethoden Kooperative Lernmethoden setzen die in den Abschnitten 2.3.3 und 2.3.4 geforderten Eigenschaften einer Lerngruppe bzw. kooperativen Episode um, um einen Rahmen für effektives kooperatives Lernen zu schaffen. In den vergangenen vier Jahrzehnten wurde eine Reihe von kooperativen Lernmethoden entwickelt und erprobt (vgl. Slavin 1995, Johnson et al. 2000). Eine Metaevaluation von 164 Studien zur Effektivität von Methoden kooperativen Lernens zeigte für alle acht dort untersuchten Methoden positive Effekte auf den Lernerfolg (Johnson et al. 2000). An drei Beispielen kooperativer Lernmethoden soll die Umsetzung der genannten Anforderungen skizziert werden: Beim Gruppenpuzzle (Jig Saw; Aronson 1978) werden die Lernenden in Gruppen eingeteilt, jeder Lernende übernimmt innerhalb seiner Gruppe ein bestimmtes Thema. Zusätzlich zu diesen (Basis-)Gruppen existieren Expertengruppen, die von 2.3 Kooperatives Lernen 35 jeweils allen Lernenden mit demselben Thema gebildet werden. Durch die Arbeit in den Expertengruppen werden die Lernenden zu Experten für ihr jeweiliges Thema. Sie vermitteln dieses Expertenwissen anschließend an die anderen Mitglieder in ihrer jeweiligen Basisgruppe. Bei der STAD-Methode (Student Teams-Achievement-Divisions; Slavin 1978) bearbeiten die Lernenden nach einer Lehreinheit in Vierer- oder Fünfergruppen Arbeitsblätter zum Thema der Lehreinheit. Danach bearbeitet jeder Lernende einen Test. Die Gruppe wird danach beurteilt, wie sehr sich jedes Gruppenmitglied im Vergleich zu seiner durchschnittlichen bisherigen Leistung verbessert hat. Das beste Team erhält eine Belohnung. Besonders deutlich werden bei diesen beiden Methoden die Anforderungen nach positiver Abhängigkeit und individueller Zurechenbarkeit umgesetzt. Beim Gruppenpuzzle erfolgt dies durch die Verteilung der Informationen bzw. Zuständigkeiten, bei der STAD-Methode durch die Art, wie die Belohnung in Abhängigkeit von der individuellen Verbesserung erfolgt. Group Investigation (Sharan & Sharan 1992) ist eine projektorientierte Methode. Zunächst wird ein Rahmenthema für die Gruppenarbeit vorgegeben und die Lernenden werden in Gruppen aufgeteilt. In der Planungsphase entscheidet jede Gruppe, welches Unterthema sie nach welcher Methode und mit welcher Zielsetzung untersuchen will. Danach sammeln, analysieren und bewerten die Gruppenmitglieder Informationen zum gewählten Thema und erarbeiten Schlussfolgerungen. Jede Gruppe erstellt nun einen Gruppenbericht und präsentiert ihn dem Plenum. Dabei werden nach Möglichkeit alternative Präsentationselemente wie Rollenspiele oder Streitgespräche eingebaut. Abschließend erfolgt die Bewertung der Gruppenarbeiten, deren Zielsetzung und Methoden zwischen den Lernenden und dem Lehrenden ausgehandelt werden. Bei Group Investigation wird besonderer Wert auf die Förderung der Interaktion, die soziale Kompetenz und die Reflexion der Gruppenarbeit gelegt. Dies erfolgt durch das Aushandeln des Themas, der Untersuchungsmethode, die Vorbereitung und Durchführung der (möglichst interaktiven) Präsentation sowie durch das gemeinsame Aushandlung der Bewertungskriterien. 2.3.8 Kontext des kooperativen Lernens In ihrer Analyse des Standes der Forschung zum kooperativen Lernen weisen Dansereau und Johnson (1994) darauf hin, dass zwar einige wenige kooperative Lernmethoden für bestimmte Fächer entwickelt wurden, die meisten bekannten Methoden aber als unabhängig vom Lerngegenstand und dem sonstigen Kontext 36 2. Problemanalyse einsetzbar beschrieben werden. Als Folge werden kooperative Lernmethoden in der Praxis in verschiedensten Lernszenarien eingesetzt, ohne dass eine ausreichende Anpassung an die jeweiligen Rahmenbedingungen vorgenommen wird. Angesichts der spezifischen Charakteristika des Lernens Erwachsener (vgl. die Abschnitte 2.1.1 und 2.3.4) ist aber davon auszugehen, dass die weit überwiegend mit Kindern und Jugendlichen erprobten Methoden ohne Anpassung nicht sinnvoll für das kooperative Lernen Erwachsener eingesetzt werden können. Definition: Kontext des kooperativen Lernens Der Kontext des kooperativen Lernens bezeichnet die Menge der aus Sicht einer Person (vor allem: eines Lernenden, eines Lehrenden bzw. Tutors) zur Erreichung des individuellen oder gemeinsamen Lernzieles relevanten Informationen und Rahmenbedingungen. Dies umfasst u.a. Informationen über die Lernenden und Lehrenden/Tutoren, die Lerngruppe, die gemeinsame Aufgabe, den Lernprozess und vorhandene Ressourcen. 2.4 Kooperation in virtuellen Lernumgebungen Das Forschungsgebiet Computerunterstütztes kooperatives Lernen (ComputerSupported Collaborative Learning 5; CSCL) beschäftigt sich mit kooperativem Lernen unter Nutzung vernetzter Computer (O’Malley 1994, Koschmann 1996, Haake et al. 2004a). Wichtige Grundlagen liefern Forschungen zum kooperativen Lernen und zur Computerunterstützten Gruppenarbeit (CSCW). 2.4.1 Computerunterstütztes kooperatives Lernen CSCL kann auf für (nicht-computerunterstütztes) kooperatives Lernen bewährte Aufgabenarten und Lernmethoden aufbauen. Andererseits erweitert die Nutzung vernetzter Computer das Spektrum an Einsatzszenarien für kooperatives Lernen. Ein aus Informatik-Sicht trivialer Fall ist die Nutzung einer Einbenutzeranwendung durch mehrere Benutzer, ohne dass dem System Informationen über diese kooperative Nutzung vorliegen. Dieser Fall wird hier nicht weiter betrachtet, es wird davon ausgegangen, dass das System Aktivitäten dem jeweiligen Akteur zuordnen kann. Zur Charakterisierung kooperativer Lernsituationen können folgende Dimensionen betrachtet werden (Wessner 2001, Flor 2004): ‚ 5 Ort: Findet das Lerngeschehen an einem Ort (Schulungsraum, elektronisches Klassenzimmer) oder örtlich verteilt statt? Zu den Begriffen kooperativ und kollaborativ siehe auch die Ausführungen in Abschnitt 2.3.1. 2.4 Kooperation in virtuellen Lernumgebungen 37 ‚ Zeit: Beteiligen sich die Teilnehmer gleichzeitig (synchron) oder zu verschiedenen Zeiten (asynchron) am Lernprozess? ‚ Lernziel: Ist das Lernziel vorgegeben oder von den Teilnehmern frei wählbar? Soll am Ende jeder Teilnehmer einzeln oder die Gruppe als Ganzes über das Wissen verfügen? ‚ Lerninhalt: Ist Lernmaterial vorgegeben oder von den Teilnehmern zu erstellen bzw. zu suchen? ‚ Gruppenzusammensetzung: Ist der Kreis der Teilnehmer vorgegeben oder können beliebige Personen teilnehmen? Wie groß ist die Lerngruppe (Lerndyade, kleine, mittlere, große Gruppe)? Wie ist die Gruppe zusammengesetzt? Welche Unterschiede herrschen bezüglich des Vorwissens/des Status? ‚ Kontrolle: Wird das Lerngeschehen durch einen Moderator oder ein Programm explizit angeleitet oder steuert sich die Gruppe selbst? ‚ Dauer: Handelt es sich um eine kurzfristige Kooperation oder ist sie auf Dauer angelegt (vgl. 2.3.3)? Die in virtuellen Lernumgebungen gegebenen Möglichkeiten der örtlichen und zeitlichen Verteilung der Lernenden, zur Bereitstellung und Verarbeitung von (Lern-)Materialien sowie zur Anleitung und Kontrolle des Kooperationsprozesses erschließen neue Einsatzszenarien und Unterstützungspotentiale. Die Gestaltung einer geeigneten virtuellen Lernumgebung muss die Ausprägungen dieser Dimensionen berücksichtigen. Beispielsweise benötigt eine örtlich verteilte Lerngruppe andere Kommunikationsfunktionalitäten als eine Präsenzgruppe. Die Aufgabenarten und Lernmethoden aus dem (nicht durch Computer unterstützten) kooperativen Lernen können allerdings nicht ohne weiteres in das CSCL übertragen werden (Lipponen 2001). Es ist vielmehr jeweils zu evaluieren, ob diese auch unter den Bedingungen der computerunterstützten Kooperation positive Effekte zeigen. Darüber hinaus können neue Aufgabenarten und Lernmethoden entworfen und implementiert werden, welche die zusätzlichen Potentiale des CSCL gegenüber dem kooperativen Lernen ausnutzen und den Bedingungen der computerunterstützten Kooperation gerecht werden. Eine virtuelle Lernumgebung für kooperatives Lernen ist dann in vielen Anwendungsbereichen einsetzbar, wenn sie verschiedene Kooperationsformen unterstützt und um neue Formen erweitert werden kann. 38 2. Problemanalyse 2.4.2 Computerunterstützte Gruppenarbeit und Group Awareness CSCL kann auf den Ergebnissen des Forschungsgebiets Computerunterstützte Gruppenarbeit (Computer-Supported Cooperative Work; CSCW) aufbauen (Schwabe et al. 2001a). Computerunterstützte Kommunikation und Kooperation ist vor allem dann schwierig, wenn die Teilnehmer örtlich oder zeitlich verteilt sind (Sproull & Kiesler 1986, Hesse et al. 1997). Durch die fehlende (direkte) Wahrnehmung der Teilnehmer untereinander (soziale Präsenz) sowie der Aspekte der Umwelt der Teilnehmer wird die Verständigung, die Koordination und die Schaffung eines gemeinsamen Wissenshintergrundes erschwert. Es fehlt die direkte Wahrnehmung des Kontexts der Kooperation. Zur Unterstützung des Kontexts der Kooperation in CSCW-Systemen ist es wichtig, diesen Kontext (computervermittelt) wahrzunehmen. Mit Group Awareness wird “an understanding of the activities of others which provides a context for your own activity” (Dourish & Belotti 1992) bezeichnet. Gutwin und Kollegen (1995) differenzieren vier Arten von Group Awareness: ‚ Die Social Awareness bezieht sich auf die Gruppe selbst. Was kann und soll ich von den anderen Gruppenmitgliedern erwarten? Wie kann ich mit den anderen Mitgliedern interagieren? Welche Rolle habe ich in der Gruppe? ‚ Die Task Awareness bezieht sich auf die gemeinsame Aufgabe. Was weiß ich über die Aufgabe und ihre Struktur? Welche Schritte muss die Gruppe absolvieren, um die Aufgabe zu erledigen? Wie wird das Gruppenergebnis bewertet? Welche Ressourcen (Werkzeuge, Materialien, Zeit) werden benötigt? Welche Ressourcen stehen zur Verfügung? ‚ Die Concept Awareness bezieht sich auf gemeinsame Informationen und gemeinsames Wissen. Wie passen die gemeinsamen Informationen zu meinem bisherigen Wissen? Welches Wissen fehlt mir noch? Muss ich angesichts dieser Informationen Teile meines Wissens verändern? Welche Hypothesen kann ich in Bezug auf das Ergebnis der Aufgabe aufstellen? ‚ Die Workspace Awareness bezieht sich auf den gemeinsamen virtuellen Arbeitsraum. Was tun die anderen Gruppenmitglieder im Hinblick auf die Erledigung der gemeinsamen Aufgabe? An welchen Teilbereichen arbeiten sie gerade? Was haben sie bereits erledigt? Was planen sie als nächstes zu tun? Je nach Art der Kooperation sind diese Awareness-Arten unterschiedlich wichtig für das Gelingen der Kooperation. Je nachdem, welches Kooperationsszenario (vgl. 2.4 Kooperation in virtuellen Lernumgebungen 39 Abschnitt 2.4.1) unterstützt werden soll, müssen die relevanten Awareness-Arten ausgewählt und in der virtuellen Umgebung umgesetzt werden. Zur Unterstützung kooperativer Prozesse können Konzepte und Erfahrungen aus den Gebieten Workflow-Management (Jablonski 2001, WfMC 2004) und kooperatives Hypermedia (Wang & Haake 1999b) herangezogen werden. 2.4.3 Ermöglichen vs. Unterstützen des kooperativen Lernens Die Begriffe „computervermittelt“ und „computerunterstützt“ werden in der Fachliteratur meist synonym verwendet. Hier sollen sie als verschiedene Ausprägungen des Unterstützungsaspektes betrachtet werden. Computervermittelt steht dabei für das Ermöglichen, das Bereitstellen der zur Kooperation benötigten Medien, beispielsweise in Form einen Audiokanals oder eines Shared Whiteboards. Computerunterstützt soll zusätzlich die aktive Unterstützung durch das System kennzeichnen, indem die Gruppe in ihrer Kommunikation angeleitet wird oder Feedback zu ihrer Kooperation durch das System erhält. Das Spektrum der Unterstützung soll an einem Beispiel zur textbasierten Kommunikation verdeutlicht werden. Ein Standard-Chatwerkzeug ermöglicht die Kommunikation der Teilnehmer untereinander. Es erfolgt keine weitergehende Unterstützung durch das System. Eine größere Unterstützung bietet das Werkzeug C-CHENE (Baker & Lund 1997). C-CHENE realisiert ein Chattool, das den Benutzern eine Menge möglicher Satzanfänge vorgibt, aus denen der Mitteilende einen passenden auswählt und ergänzt. Beispielsweise wählt er den Satzanfang „Ich denke, dass ...“ und ergänzt „wir das Experiment noch einmal durchführen sollten.“ Evaluationsergebnisse deuten auf eine stärkere Aufgaben- und Problemlösungsorientierung sowie einen größeren Anteil an reflektiver Metakommunikation hin (Baker & Lund 1997). Eine noch stärkere Unterstützung ist durch die Implementierung der Scripted Cooperation (vgl. Abschnitt 2.3.6) etwa in Form von so genannten Lernprotokollen möglich (Wessner et al. 1999, Pfister et al. 2003). Die Grenzen zwischen Ermöglichen der Kooperation und ihrer (aktiven) Unterstützung sind dabei fließend. So ermöglicht z.B. eine Awareness-Funktionalität zur Anzeige der aktuell in einem virtuellen Raum Anwesenden in Form einer einfachen Liste von Benutzernamen die Kooperation. Wird ein Benutzer etwa durch ein akustisches Signal davon unterrichtet, dass ein anderer Benutzer aus seiner Lerngruppe gerade in den virtuellen Raum gekommen ist, liegt eine aktivere Form der Unterstützung vor. Neben der anderen Gestaltung (Anzeige vs. zusätzliches akustisches Signal) unterscheiden sich die beiden Realisierungsformen auch im Grad der Nutzung dem System bekannter Kontextinformation. Im zweiten Beispiel nutzt das 40 2. Problemanalyse System das Wissen über Gruppenzugehörigkeit, um Mitglieder der gleichen Gruppe auf besondere Weise anzukündigen. 2.5 Zusammenfassung: Kontextuelle Kooperation in virtuellen Lernumgebungen In diesem Abschnitt werden die wichtigsten Ergebnisse der Problemanalyse zusammengefasst und darauf aufbauend das Ziel dieser Arbeit, die Realisierung der kontextuellen Kooperation in virtuellen Lernumgebungen, präzisiert. 2.5.1 Zusammenfassung Bei der Betrachtung des Lernbegriffes wurde die Fokussierung der Arbeit auf formales und informelles Lernen, auf kursbasiertes Lernen und auf das Lernen Erwachsener herausgearbeitet. Das vorgestellte Berliner Modell lieferte wichtige Hinweise zur Analyse der Bedingungen und zur Festlegung der Entscheidungen in Bezug auf die Medien und Methoden des Lernens (Abschnitt 2.1.1). Der allgemeine Kontextbegriff wurde auf das Ziel des Wissenserwerbs und die Perspektive einer Person präzisiert (Abschnitt 2.1.2). Die Betrachtung des Begriffsfeldes Kooperation lieferte Differenzierungen zwischen den Begriffen Kommunikation, Koordination, Kooperation und Kollaboration. Dabei wird die Kooperation durch eine Gruppe und ihre Aufgabe, inklusive des Ziels und der Methode der Zusammenarbeit bestimmt. Der Kontext der Kooperation umfasst alle zur Erreichung des Kooperations(teil)ziels relevanten Informationen und Rahmenbedingungen aus Sicht einer Person (Abschnitt 2.1.3). In Abschnitt 2.2 wurden die grundlegenden Begriffe im Begriffsfeld virtuelle Lernumgebung geklärt. Insbesondere zeigte sich, dass die Bezeichnungen virtuelle Lernumgebung, Lernplattform und Learning Management System (LMS) synonym verwendet werden können. Der Kontext des Lernens in einer virtuellen Lernumgebung bezeichnet dann eine Menge von Informationen über die Personen und Ressourcen (Lernmaterialien, Werkzeuge) in der virtuellen Lernumgebung. Im Abschnitt 2.3 wurde kooperatives Lernen als eine Spezialisierung des Lernbegriffes betrachtet. Es wurden die Anforderungen an die Arbeitsweise von Lerngruppen sowie an die Gestaltung kooperativer Aufgaben herausgearbeitet, damit aus gemeinsamem Lernen kooperatives Lernen wird. Die Differenzierung zwischen verschiedenen Arten kooperativer Lerngruppen und die Aufarbeitung der Anforderungen, wichtiger Parameter und Erfahrungen in Bezug auf die Zusammenstellung von Lerngruppen lieferten Hinweise für eine mögliche Unterstützung der Zusammenstellung von Lerngruppen durch die virtuelle Lernumgebung. Dabei wurde deutlich, 2.5 Zusammenfassung: Kontextuelle Kooperation in virtuellen Lernumgebungen 41 dass die Methode zur Zusammenstellung von Lerngruppen u.a. mit der Art der kooperativen Aufgabe korreliert. Für virtuelle Lernumgebungen wurde begründet, dass Gruppen verschiedener Größe zu berücksichtigen sind, dass Fragen der Homogenität bzw. Heterogenität bei der Zusammensetzung von Gruppen beachtet werden müssen und, dass verschiedene Arten der Gruppenbildung in Betracht zu ziehen sind. Weiterhin wurde die Strukturierung des kooperativen Lernprozesses als Möglichkeit der Unterstützung für kooperatives Lernen vorgestellt. Da die Strukturierung auf die Art der Aufgabe ausgerichtet sein muss, wurde für virtuelle Lernumgebungen gefordert, dass verschiedene Strukturierungsmöglichkeiten berücksichtigt und passend zur Aufgabenart festgelegt werden sollen. Die Analyse kooperativer Prozesse und deren Beschreibung durch Rollen, Phasen, Tätigkeiten, Regeln und Ressourcen führten zum Begriff der Kooperationsmethode bzw. bei Eignung der Kooperationsmethode für das kooperative Lernen zum Begriff der kooperativen Lernmethode. Der Kontextbegriff wurde weiter präzisiert, indem er auf das Ziel der Person (Lernen) und die dazu angewandte Methode (kooperative Lernmethode) ausgerichtet wurde. Die Betrachtung des computerunterstützten kooperativen Lernens bzw. der Kooperation in virtuellen Lernumgebungen in Abschnitt 2.4 zeigte anhand der Dimensionen zur Beschreibung von Nutzungsszenarien das weite Einsatzspektrum kooperativen Lernens in virtuellen Lernumgebungen. Deutlich wurde auch, dass die Möglichkeiten zur Unterstützung kooperativen Lernens stark vom jeweiligen Nutzungsszenario abhängen. Für die breite Einsetzbarkeit wurde von einer virtuellen Lernumgebung die Umsetzung verschiedener Kooperationsformen und die Erweiterbarkeit der Umgebung um neue Kooperationsformen gefordert. Schließlich zeigte die Differenzierung verschiedener Grade der Unterstützung vom Ermöglichen zum aktiven Unterstützen am Beispiel einer Awareness-Information, dass der konkreten Gestaltung der Unterstützung eine entscheidende Bedeutung zukommt. 2.5.2 Präzisierung des Zieles dieser Arbeit Aufbauend auf den Definitionen des Kontextes des Lernens in virtuellen Lernumgebungen und des Kontextes des kooperativen Lernens kann nun der Kontext des kooperativen Lernens in virtuellen Lernumgebungen definiert werden: Definition: Kontext des kooperativen Lernens in virtuellen Lernumgebungen Der Kontext des kooperativen Lernens in virtuellen Lernumgebungen bezeichnet die Menge der aus Sicht einer Person (vor allem: eines Lernenden, eines Lehrenden bzw. Tutors) zur Erreichung des individuellen oder gemeinsamen Lernzieles relevanten Informationen und Rahmenbedingungen. Dies umfasst u.a. Informationen 42 2. Problemanalyse über die Lernenden und Lehrenden/Tutoren, die Lerngruppe, die gemeinsame Aufgabe, den Lernprozess und vorhandene Ressourcen in der virtuellen Lernumgebung. Für kursbasiertes kooperatives Lernen gehören zu diesen Informationen beispielsweise folgende Angaben: ‚ Aktuelle Lernsituation: In welchem Kurs bin ich? Wo bin ich im Kurs? ‚ Person: Welche Rolle habe ich? Welche Präferenzen habe ich? Wer ist noch da? Mit wem kann oder soll eine Kooperation stattfinden? ‚ Ressourcen: Welche Kommunikationskanäle und Materialien habe ich zur Verfügung? Welche Materialien sind eine Grundlage meiner Kooperation? ‚ Historie: Welche Kooperation habe ich schon durchgeführt? Welche Ergebnisse sind dabei entstanden? Was steht noch auf meiner To-Do-Liste? ‚ Aufgabe: Was soll/kann ich tun? Wie soll/kann ich es tun? Wann soll/kann ich es tun? Wie lange wird es voraussichtlich dauern? Nun kann auch der Begriff im Titel dieser Arbeit, die kontextuelle Kooperation in virtuellen Lernumgebungen definiert werden: Definition: Kontextuelle Kooperation in virtuellen Lernumgebungen Eine kontextuelle Kooperation in einer virtuellen Lernumgebung bezeichnet eine Kooperation in einer virtuellen Lernumgebung, die vom System auf der Basis des Wissens über ihren Kontext unterstützt wird. Auf dieser Basis kann das Ziel dieser Arbeit prägnanter formuliert werden: Ziel dieser Arbeit ist die Entwicklung einer Gesamtkonzeption zur Gestaltung von virtuellen Lernumgebungen, die die Kooperation auf der Basis des Wissens über den Kontext der Kooperation unterstützen, d.h. die kontextuelle Kooperation realisieren. Dies setzt voraus, dass die Lernumgebung über Wissen über den Kontext der Kooperation verfügt. Dazu sind die relevanten Parameter des Kontextes zu identifizieren. Unter Nutzung einer Modellierung des Kontextes kann die Lernumgebung verschiedene Aspekte und Phasen der Kooperation unterstützen. Die Kenntnis des Kontextes der Kooperation erlaubt beispielsweise folgendermaßen Unterstützung für die Kooperation: 2.5 Zusammenfassung: Kontextuelle Kooperation in virtuellen Lernumgebungen 43 ‚ Verfügt die Lernumgebung über die Kontaktinformationen einer Person, kann sie einem Benutzer die Kommunikation mit dieser Person ermöglichen, ohne dass die Kontaktdaten des Kommunikationspartners (erneut) einzugeben sind. ‚ Kennt die Lernumgebung die vom Autor einer kooperativen Aufgabe empfohlene Mindest- und Maximaldauer, kann die Lernumgebung das Einhalten der Zeiten kontrollieren oder Abweichungen der Gruppe mitteilen. ‚ Ist der Lernumgebung bekannt, wie groß eine Lerngruppe für die Bearbeitung einer kooperativen Aufgabe sein soll und welche Eigenschaften die Gruppe in Bezug auf ihre Zusammensetzung aufweisen soll (Homogenität bzw. Heterogenität bezüglich bestimmter Eigenschaften der Gruppenmitglieder), kann die Lernumgebung den Prozess der Gruppenbildung z.B. durch Vorschlagen geeigneter Kooperationspartner unterstützen. ‚ Weiß die Lernumgebung, welche Ressourcen zu einer Kooperation gehören, kann sie die Bereitstellung oder Reservierung von Ressourcen zur Durchführung der Kooperation sowie die Verwaltung der Kooperationsergebnisse vornehmen. ‚ Auf Basis der Kenntnis über den vorgesehenen oder tatsächlichen kooperativen Lernprozess kann die Lernumgebung die Gruppe bei der Durchführung des Prozesses anleiten. Im nächsten Kapitel wird zunächst ein Szenario für kooperatives Lernen in virtuellen Lernumgebungen vorgestellt. Aus diesem Szenario werden dann detailliertere Anforderungen an die Realisierung der kontextuellen Kooperation in virtuellen Lernumgebungen abgeleitet. Kapitel 3 Anforderungen In diesem Kapitel werden die Anforderungen an eine virtuelle Lernumgebung zur Realisierung der kontextuellen Kooperation, wie sie teilweise im vorangehenden Kapitel bereits identifiziert wurden, weiter detailliert. Dazu wird zunächst ein Szenario des (kooperativen) Lernens in einer virtuellen Lernumgebung vorgestellt. Dabei wird deutlich, wie das kooperative Lernen vom jeweiligen Kontext beeinflusst wird und wie die Realisierung der kontextuellen Kooperation durch die virtuelle Lernumgebung dazu beitragen kann, den Erfolg des kooperativen Lernprozesses zu fördern. Anhand dieses Szenarios werden die Anforderungen an die Realisierung der kontextuellen Kooperation in virtuellen Lernumgebungen ermittelt und diskutiert. In Abschnitt 3.1 wird zunächst der Hintergrund des Szenarios skizziert. Danach wird das im Kontext eines größeren Projektes unter Mitwirkung von Wissenschaftlern und Weiterbildungspraktikern erarbeitete Szenario des (kooperativen) Lernens in einer virtuellen Lernumgebung vorgestellt. Innerhalb der Beschreibung des Szenarios wird jeweils an geeigneter Stelle auf Anforderungen an eine virtuelle Lernumgebung zur Realisierung der kontextuellen Kooperation hingewiesen. In Abschnitt 3.2 werden die Besonderheiten der im Szenario beschriebenen Lehr-/Lernsituationen diskutiert und die einzelnen bereits in der Beschreibung des Szenarios identifizierten Anforderungen detaillierter dargestellt und begründet. In Abschnitt 3.3 schließlich werden die Anforderungen zusammengefasst und in Form einer Übersichtstabelle präsentiert. 45 46 3. Anforderungen 3.1 Ein Nutzungsszenario aus der Weiterbildung 3.1.1 Hintergrund des Szenarios Die Beschreibung von Szenarien der Benutzung eines zu entwickelnden Systems ist sinnvoll, um die Anforderungen der einzelnen Nutzergruppen des Systems zu erheben. Ein Nutzungsszenario beschreibt das Verhalten eines Systems in Interaktion mit den Personen aus den verschiedenen Benutzergruppen des Systems (Caroll 1995, Cockburn 2001, S. 1ff.). Aus Nutzungsszenarien können jedoch nicht alle Anforderungen an ein System abgeleitet werden. Beispielsweise ergeben sich Anforderungen zur Reaktionszeit, zur Gestaltung der Benutzungsschnittstelle oder zur Datenmodellierung meist nicht aus Nutzungsszenarien und sind zusätzlich zu behandeln (Cockburn 2001, S. 161). Entsprechend der in Abschnitt 1.3 dargestellten Zielsetzung der Arbeit beschreibt das im nächsten Abschnitt dargestellte Szenario Lernen mit webbasierten Kursen. Es setzt auf Szenarien auf, die unter maßgeblicher Beteiligung des Autors im Rahmen des vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projektes „L³: Lebenslanges Lernen – Weiterbildung als Grundbedürfnis“ (1999-2002) entwickelt wurden. Diese Szenarien wurden gemeinsam mit Weiterbildungsanbietern, Kursentwicklern und Technologieentwicklern aus Unternehmen und Organisationen sowie Wissenschaftlern aus der Pädagogik, Psychologie und Informatik iterativ erarbeitet. 6 Für die vorliegende Arbeit wurden vom Autor die verschiedenen (Teil-)Szenarien integriert und verdichtet sowie im Sinne der kontextuellen Kooperation weiterentwickelt. Aufgrund der aktiven Beteiligung mehrerer Experten aus der Weiterbildungspraxis und der Wissenschaft kann dieses Szenario als repräsentativ für kooperatives Lernen in virtuellen Lernumgebungen in weiten Bereichen der Weiterbildung angesehen werden. Aufgrund der heterogenen didaktischen und organisatorischen Konzepte und Fokussierungen der an der Ausarbeitung der Szenarien Beteiligten wurde ein Zwei-Ebenen-Modell der Unterstützung kooperativen Lernens entwickelt. Eine Ebene (Makroebene) betrachtet den Lernprozess als aus individuellen und kooperativen Lernepisoden zusammengesetzt und betrifft die Kombination der Lernepisoden. Eine zweite Ebene (Mikroebene) ist mit der Ausgestaltung konkreter kooperativer Episoden, den dabei verwendeten kooperativen Lernmethoden und den dazu eingesetzten Werkzeugen befasst. 6 Das Projekt L³: Lebenslanges Lernen wird in Abschnitt 6.1 kurz vorgestellt (siehe auch Ehlers et al. 2003). Zu den ursprünglichen Szenarien siehe (L³ 2000a, L³ 2000b). 3.1 Ein Nutzungsszenario aus der Weiterbildung 47 Die Erwartungen und Wünsche hinsichtlich der Einbindung der Kooperation (Makroebene) konvergierten bei den an diesem Projekt beteiligten Experten im Laufe der Entwicklung. Hinsichtlich der einzelnen kooperativen Episoden, Lernmethoden und Lernwerkzeuge (Mikroebene) zeigte sich eine große Varianz der Vorstellungen und Bedürfnisse der Beteiligten je nach dem Lerninhalt, dem Lernziel, der Zielgruppe, dem pädagogischem Selbstverständnis des Experten bzw. seiner Organisation sowie der vorhandenen technischen Ausstattung (siehe zu ähnlichen Erfahrungen auch Derycke 2002). Daher sind nicht alle Teile des im nächsten Abschnitt dargestellten Szenarios für alle potentiellen Anwender gleichermaßen relevant. Im Weiteren stehen solche Anforderungen im Mittelpunkt, die (a) die Einbindung der Kooperation in den Lernprozess betreffen oder (b) die Unterstützung von Kooperationen adressieren. Diese Anforderungen gelten für die kontextuelle Kooperation in virtuellen Lernumgebungen generell. Die konkrete Ausgestaltung eines Systems nach den Vorstellungen und Bedürfnissen konkreter Nutzergruppen bleibt der Implementierung bzw. Anpassung der virtuellen Lernumgebung vorbehalten. Beispielsweise betrifft dies die Kooperationsmethoden, die Bezeichnung von Rollen oder die graphische Gestaltung der Benutzungsschnittstelle. Das Szenario beschreibt eine konkrete Ausprägung des kooperativen Lernens in virtuellen Lernumgebungen. Es dient dazu, die Charakteristika der kontextuellen Kooperation in virtuellen Lernumgebungen zu analysieren und daraus die Anforderungen zur Einbindung und Unterstützung der Kooperation abzuleiten. Angesichts der Vielzahl pädagogischer Konzepte, Zielgruppen und Bildungsinhalte ist klar, dass auch andere Arten des kooperativen Lernens und seiner Unterstützung in virtuellen Lernumgebungen existieren. Dem sollte das System durch Offenheit in Bezug auf die Anpassbarkeit und Erweiterbarkeit Rechnung tragen, um eine möglichst große Zahl an Nutzungsszenarien abdecken zu können. Das Szenario wird als eine Folge von Situationen im Umfeld des computerunterstützten Lernens präsentiert. Aus den zur Beschreibung des Szenarios möglichen Sichten wird die Sicht der direkt am Lernprozess Beteiligten ausgewählt. Weitere, hier nicht dargestellte Sichten betreffen die Organisation bzw. die technische Infrastruktur. Berücksichtigt werden drei Arten von Benutzern der virtuellen Lernumgebung: Lernende, Tutoren und Kursautoren. Im Anschluss an jede beschriebene Situation werden die dabei deutlich werdenden Anforderungen an das System explizit benannt. Die detaillierte Darstellung und Diskussion der einzelnen Anforderungen erfolgt in einem separaten Abschnitt nach der Darstellung des Szenarios. Diese Anordnung erlaubt die über die im Szenario beschriebenen konkreten Situationen und Prozesse hinausgehende Diskussion der einzelnen Anforderungen, ohne den Lesefluss in der Szenariobeschreibung zu beinträchtigen. 48 3. Anforderungen 3.1.2 Szenario: Spanisch Lernen mit der SuperLearn GmbH Das Weiterbildungsunternehmen SuperLearn GmbH bietet seinen Kunden webbasierte Kurse über das Internet an. Kunden der SuperLearn GmbH nutzen das Kursangebot mittels eines mit dem Internet verbundenen Rechners von ihrem Arbeitsplatz aus, von zu Hause oder an sonstigen Orten, beispielsweise im Hotel oder im Internet-Cafe. Die Darstellung des Szenarios verfolgt das Handeln von vier Personen: Anna und Bernd nutzen die Lernumgebung als Lernende, Carlos betreut Kursangebote als Tutor und Diego ist ein Autor für webbasierte Kurse. Anna meldet sich von ihrem Arbeitsplatz aus in der virtuellen Lernumgebung der SuperLearn GmbH an und startet den von ihr gebuchten Spanischkurs. Der Kurs besteht aus einzelnen Webseiten mit Texten, Bildern und Übungsaufgaben. Anna wählt die Lektion „Vacaciones“ (Urlaub) aus und beginnt, das Kursmaterial zu bearbeiten. ö Anforderung A1: Unterstützung für individuelles kursbasiertes Lernen Auf der dritten Seite des Kursmaterials kann sie den Satz „llovía a mares“ nicht übersetzen. Das im Kurs vorhandene Wörterbuch enthält „llover“ = „regnen“ und „el mar“ = „das Meer“, aber Anna bezweifelt, dass ihre Übersetzung „es regnete ins Meer“ korrekt ist. Sie überlegt zunächst, ob sie einen anderen Teilnehmer des Spanischkurses kontaktieren soll, um ihren Zweifel zu klären. Da sie jedoch diesen Kurs in der Variante mit Tutorunterstützung gebucht hat, entscheidet sie sich, den Tutor nach der Bedeutung dieses Satzes befragen. ö Anforderung A2: Spontane Kooperation Sie aktiviert die Schaltfläche „Kontakt zum Tutor“. Zu diesem Zeitpunkt ist kein Tutor für diesen Kurs in der Lernumgebung online und verfügbar. Deshalb schlägt die Lernumgebung Anna vor, eine Nachricht an die für diesen Spanischkurs zuständigen Tutoren zu verfassen. Anna schickt die Nachricht „Hallo, was heißt ‚llovía a mares’? Es regnete ins Meer??? Gruß, Anna“. Sie versucht, – auch ohne zu wissen, was dieser Satz wohl wirklich bedeutet – im Kurs fortzufahren. Nun meldet sich Carlos, einer der für den Spanisch-Kurs zuständigen Tutoren, in der Lernumgebung an. Er sieht die Nachricht von Anna und antwortet ihr mit der Nachricht „Hi Anna, das heißt, dass es stark regnete. Gruß, Carlos“. Anna versteht nicht, warum „mares“ hier „stark“ bedeuten soll. Sie aktiviert erneut die Schaltfläche „Kontakt zum Tutor“. Da Carlos 3.1 Ein Nutzungsszenario aus der Weiterbildung 49 als Tutor nun online verfügbar ist, stellt die Lernumgebung eine (synchrone) ChatVerbindung zwischen Anna und Carlos her. Carlos erläutert ihr die Verwendung von „mares“ in diesem Satz. Anna bedankt sich, schließt das Chat-Fenster und fährt im Spanischkurs fort. ö Anforderung A3: Flexible Übergänge zwischen verschiedenen Lernmodi (individuelles Lernen, synchrones kooperatives Lernen und asynchrones kooperatives Lernen) Anna lernt nun im Kurs einige Wörter aus dem Wortfeld „dirección y distancia“ (Richtung und Entfernung) kennen. Nachdem sie sich die Wörter angeschaut und eingeprägt hat, navigiert sie zum nächsten Kursabschnitt. Der Kursautor Diego hat an dieser Stelle eine kleine Gruppenübung vorgesehen: Die Lernenden sollen sich anhand eines Stadtplans von Madrid nun in Zweiergruppen gegenseitig den Weg vom Bahnhof zum Rathaus beschreiben („Beschreiben Sie einander den Weg ...“). Damit will Diego erreichen, dass das im Kurs zuvor Gelernte von den Lernenden aktiv angewandt wird und die Wörter besser im Gedächtnis verankert werden. ö Anforderung A4: Intendierte Kooperation Die virtuelle Lernumgebung meldet Anna, dass an dieser Stelle eine solche kooperative Aufgabe vorgesehen ist, und legt einen entsprechenden Eintrag in Annas persönlicher Aufgabenliste in der Lernumgebung an. Anna will diese Übung auch gleich durchführen und startet die Suche nach einem Lernpartner. Da ihr die Lernumgebung meldet, dass momentan kein geeigneter Lernpartner verfügbar ist, fährt Anna mit der Kursbearbeitung fort. Kurze Zeit später meldet sich Bernd, der ebenfalls den Spanisch-Kurs gebucht hat, in der virtuellen Lernumgebung an. Er hat von seinem letzten Besuch in der Lernumgebung noch ein paar Aufgaben in seiner Aufgabenliste, darunter die vor kurzem von Anna erreichte Aufgabe („Beschreiben Sie einander den Weg ...“). Er versucht nun, einen Lernpartner für diese Aufgabe zu finden. Die Lernumgebung findet Anna als mögliche Partnerin, da sie diese Aufgabe ebenfalls noch unbearbeitet in ihrer Aufgabenliste hat. Die Lernumgebung schlägt Anna und Bernd durch eine Meldung vor, diese Aufgabe jetzt gemeinsam zu bearbeiten. ö Anforderung A5: Unterstützung für die Bildung von Lerngruppen 50 3. Anforderungen Nachdem beide der gemeinsamen Aufgabenbearbeitung zugestimmt haben, öffnet sich für beide ein Chat-Werkzeug. Anna und Bernd erklären sich gemäß der Aufgabenstellung gegenseitig den Weg. Danach beenden sie das Kommunikationswerkzeug und fahren individuell mit der Kursbearbeitung fort. Anna und Bernd haben jeweils noch weitere kooperative Aufgaben in ihrer Aufgabenliste, die sie noch nicht bearbeitet haben. Bernd will die Aufgabe „Rollenspiel zur Gesprächskultur“ bearbeiten und startet die Gruppenbildung. Für diese Übung hat der Kursautor Zweiergruppen mit den beiden Rollen „Deutscher“ und „Spanier“ vorgesehen. Für die beiden Rollen gibt er rollenspezifisches Material vor. Weiterhin soll die Übung durch einen Tutor begleitet werden. Als Lernmethode hat er einen Prozess mit vier Phasen vorgegeben: Zunächst sollen die Lernenden individuell das rollenspezifische Material lesen (1). Danach führen sie das Rollenspiel unter Beobachtung eines Tutors durch (2), sie reflektieren ihr Rollenspiel unter Mitarbeit eines Tutors (3) und fassen die wichtigsten Erkenntnisse gemeinsam zusammen. Bernd und Anna (die von der Lernumgebung aufgrund der vorangegangenen Kooperation erneut ausgewählt wurden) beginnen mit dem Rollenspiel. Weiterhin hat die Lernumgebung den beiden Carlos als Tutor zugeordnet. Das von der Lernumgebung gestartete Kooperationswerkzeug führt die Lerngruppe durch die vier Phasen der vorgegebenen Kooperationsmethode und stellt für jede Phase entsprechende Werkzeuge und Informationen bereit. ö Anforderung A6: Methodische Unterstützung der Lerngruppe Diego hat in einem Autorentraining die Blitzlichtmethode kennen gelernt, bei der jedes Gruppenmitglied in der Reihenfolge der Sitzordnung jeweils ein kurzes Statement zu einer vorgegebenen Frage oder Thematik abgibt. Diego ist davon überzeugt, dass er eine solche Methode in angepasster Form auch in der nächsten Version des Spanisch-Kurses an mehreren Stellen gewinnbringend einsetzen kann. Er schickt deshalb eine Anfrage an seinen Ansprechpartner bei der SuperLearn GmbH und schlägt vor, die Lernumgebung um ein Werkzeug zur Durchführung der Blitzlichtmethode zu erweitern. ö Anforderung A7: Offenheit des Systems 3.2 Anforderungen zur Realisierung kontextueller Kooperation 51 3.2 Anforderungen zur Realisierung kontextueller Kooperation 3.2.1 Diskussion des Szenarios Das vorgestellte Szenario (im Folgenden: SuperLearn-Szenario) beschreibt kursbasiertes Lernen. Die Lernenden arbeiten zum einen individuell mit dem Lernmaterial. Zum anderen können sie bei Bedarf von individuellem Lernen zu kooperativen Situationen wechseln. Beispielsweise fordern sie Hilfe vom Tutor bzw. anderen Lernenden an oder sie führen eine Gruppenübung durch. Das SuperLearn-Szenario beschreibt exemplarische Nutzungsfälle, eine Auflistung aller Nutzungsfälle ist hier weder sinnvoll, noch möglich. Letztendlich lassen sich jedoch alle Nutzungsfälle als Kombination individueller und kooperativer Situationen darstellen, sind also im Wesentlichen Varianten des Dargestellten. Das SuperLearn-Szenario unterscheidet sich von traditionellen Lehr-/Lernszenarien (Klassenzimmersituation) und vom traditionellen webbasierten Lernen in virtuellen Lernumgebungen: In der Klassenzimmersituation, wie sie beispielsweise in Schulen oder Lehrveranstaltungen an Hochschulen gegeben ist, können viele der dargestellten Lernarten ebenfalls vorkommen. Es werden ab und zu Gruppenübungen durchgeführt, das Anfordern von Hilfe und individuelles Arbeiten mit dem Lernmaterial ist möglich. Unterschiede zum SuperLearn-Szenario bestehen zum einen in der im Klassenzimmer vorhandenen zeitlichen Kopplung der Lernaktivitäten, zum anderen in der Vertrautheit der beteiligten Personen. Im SuperLearn-Szenario arbeiten die Lernenden zeitlich entkoppelt und treffen sich nur phasenweise zu Kooperationen. Sowohl die Lernenden untereinander als auch Lernende und Tutoren kennen sich im SuperLearn-Szenario in der Regel nicht. Da sich Lernende einen Kurs beliebig buchen und beenden oder abbrechen können, ist eine hohe Dynamik bezüglich der beteiligten Personen vorhanden. Durch den phasenweisen Charakter der Kooperation, die geringe Vertrautheit der Beteiligten untereinander und durch die Verteilung der Akteure auf verschiedene Standorte ergibt sich eine Reihe von Problemen, die die Kooperation (inklusive Kommunikation und Koordination) erschweren. Die Erfahrung mit dieser Art des zeitlich entkoppelten, phasenweisen kooperativen Lernens zeigen, dass bei der Umsetzung auf eine ausreichend hohe Nutzerzahl oder wirkungsvolle zeitliche Koordination der kooperativen Phasen geachtet werden muss (siehe Kapitel 7). Dies gilt insbesondere für synchrone Kooperationsphasen. Während traditionelles webbasiertes Lernen häufig nur individuelles Lernen vorsieht, kann bei webbasiertem Lernen mit virtuellen Lernumgebungen wie beispielsweise Blackboard (Blackboard 2004) oder CLIX (CLIX 2004) auch mit anderen Lernenden und Tutoren kommuniziert werden. Viele virtuelle Lernumgebungen stellen außer 52 3. Anforderungen Kommunikationswerkzeugen wie E-Mail, Foren oder Chat auch Werkzeuge für die Koordination und Kooperation zur Verfügung und unterstützen die Arbeit in Gruppen durch gruppenspezifische Mailverteiler, gemeinsame Dokumentablagen oder virtuelle Klassenzimmer. Mehrere Anforderungen des SuperLearn-Szenarios können von bisherigen virtuellen Lernumgebungen jedoch nicht erfüllt werden. Sie bieten keine aktive Unterstützung für das Finden von Lernpartnern, für die Anwendung spezifischer Kooperationsmethoden sowie für den gezielten Einbau von kooperativen Aufgaben durch den Kursautor und deren Durchführung. Die Koordination, das Aufteilen in Gruppen und die Überwachung der Kooperationsmethode müssen vom Tutor oder den Lernenden unter Nutzung generischer Kommunikationswerkzeuge selbst geleistet werden. Aus dem SuperLearn-Szenario wird deutlich, dass eine virtuelle Lernumgebung das Wissen über den Kontext der Kooperation auf vielfältige Weise zur aktiven Unterstützung des Lernens nutzen kann. 3.2.2 Detaillierte Darstellung der Anforderungen In diesem Abschnitt werden die in Abschnitt 3.2 bei der Beschreibung des SuperLearn-Szenarios identifizierten Anforderungen detaillierter dargestellt. Dabei wird deutlich, dass diese Anforderungen jeweils kontinuierlich sind in dem Sinne, dass die Unterstützung für kontextuelle Kooperation umso weitreichender ist, je mehr die einzelnen Anforderungen durch eine bestimmte virtuelle Lernumgebung erfüllt werden. Der Vergleich existierender Ansätze und Systeme im Hinblick auf die Erfüllung bzw. den Grad der Erfüllung dieser Anforderungen erfolgt in Kapitel 4. A1: Unterstützung für individuelles kursbasiertes Lernen Beim individuellen Bearbeiten von Lernmaterial sollte der Lernende je nach zugrunde liegendem pädagogischem Konzept entweder den Zeitpunkt, die Geschwindigkeit, die Reihenfolge der Bearbeitung der Materialien und weitere Aspekte seines Lernens in Abhängigkeit von seinen Bedürfnissen selbst bestimmen (können) oder aber weitgehend durch das System angeleitet werden. Die pädagogischen Konzepte zum kooperativen Lernen (vgl. Abschnitt 2.3) betonen, dass individuelles und kooperatives Lernen sich ergänzen und auch kooperatives Lernen in der Regel Phasen der individuellen Arbeit mit Lernmaterial beinhaltet. Daher wird gefordert, dass eine virtuelle Lernumgebung für die kontextuelle Kooperation auch Phasen des individuellen Lernens unterstützt. Aus dem individuellen Lernen eines Lernenden können Informationen gewonnen werden, die das kooperative Lernen unterstützen. Dies beinhaltet beispielsweise den aktuell oder in der Vergangenheit vom Lernenden bearbeiteten Lernstoff (Kurs, Posi- 3.2 Anforderungen zur Realisierung kontextueller Kooperation 53 tion im Kurs, gewonnene Kompetenzen). Dieses Wissen kann z.B. die sinnvolle Zusammenstellung von Lerngruppen erleichtern. Welche weitere Informationen über den Benutzer, beispielsweise die Geschwindigkeit und die Häufigkeit der individuellen Bearbeitung des Lernmaterials oder auch sein aktuelles kognitives oder körperliches Belastungsniveau Rückschlüsse zulassen, die zur Unterstützung des kooperativen Lernens herangezogen werden können, ist nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung noch weitgehend ungeklärt. A2: Spontane Kooperation Beim individuellen Lernen können verschiedene Probleme auftreten, die den Erfolg des Lernprozesses gefährden. Beispielsweise kann das Material Fehler enthalten, es können technische Schwierigkeiten mit dem Materialabruf bestehen oder der Lernende ist aufgrund seines Vorwissens nicht in der Lage, das Lernmaterial zu verstehen. Für solche Fälle wird die Möglichkeit gefordert, dass der Lernende spontan mit einem Tutor oder anderen Lernenden kommunizieren und kooperieren kann, um derartige Probleme zu lösen. Die Kommunikation bzw. Kooperation sollte in Abhängigkeit von den technischen Rahmenbedingungen, der Anwesenheit geeigneter Kooperationspartner und persönlicher Präferenzen der Beteiligten sowohl synchron als auch asynchron mittels jeweils geeigneter Werkzeuge erfolgen können. Individuelles Lernen, synchrones kooperatives Lernen und asynchrones kooperatives Lernen stellen verschiedene Lernmodi dar. Dies erfordert die technischen Kommunikations- und Kooperationsmöglichkeiten (inkl. einer Verbindung zum Internet) sowie die Möglichkeit, für das jeweilige Problem geeignete Partner (den Tutor oder andere Lernende) zu identifizieren (Awareness) bzw. vom System eine Empfehlung für (einen) geeignete(n) Partner zu erhalten (Recommendation). Die Unterstützung der Kommunikation, Koordination und Kooperation soll so konzipiert sein, dass sie die in Kapitel 2 skizzierten Probleme in der örtlich verteilten Situation minimiert. Informationen aus dem individuellen Lernen, hier beispielsweise die aktuelle Position im Kurs (vgl. Anforderung A1) können Teil des Kontextes der spontanen Kooperation sein. Durch ihre Berücksichtigung kann die Kooperation erleichtert werden, beispielsweise dadurch, dass ein Tutor bei einer Frage eines Lernenden die Information erhält, in welchem Kurs und an welcher Stelle die Frage gestellt wurde. A3: Flexible Übergänge zwischen verschiedenen Lernmodi (individuelles, synchrones und asynchrones kooperatives Lernen) Individuelles Lernen, synchrones kooperatives Lernen und asynchrones kooperatives Lernen sollen in der Lernumgebung so unterstützt werden, dass die Benutzer einfach zwischen diesen Lernmodi wechseln können. Dies erlaubt ihnen z.B. über verschie- 54 3. Anforderungen dene Lernmodi (und die dafür benutzten Werkzeuge der Lernumgebung) hinweg ihre Identität zu behalten oder Ergebnisse und Materialien aus einem Lernmodus in einem anderen Lernmodus weiterzuverwenden. Diese flexiblen Übergänge zwischen verschiedenen Lernmodi halten Guzdial und Kollegen (1997) für eine wichtige Voraussetzung, damit kooperative Werkzeuge auch wirklich genutzt werden, so dass kooperatives Lernen erfolgen kann. Die Integration der Werkzeuge für die verschiedenen Lernmodi muss sowohl technisch als auch konzeptuell erfolgen. Die technische Integration beinhaltet den einfachen Wechsel zwischen verschiedenen Werkzeugen der Lernumgebung, z.B. den Wechsel von synchroner zu asynchroner Kooperation, wenn ein Kooperationspartner die Lernumgebung verlässt. Dazu können technische Informationen wie verfügbare Hardware (z.B. ob am benutzten Rechner eine Videokamera vorhanden ist) oder die Parameter zum Aufbau der Kommunikation (z.B. IP-Adresse des benutzten Rechners, Email-Adresse des Partners) genutzt werden. Die konzeptuelle Integration zielt darauf, dass die verschiedenen Lernmodi und die dabei benutzten Ressourcen und Vorgehensweisen zueinander passen. Beispielsweise soll für die Lernenden klar sein, welche Werkzeuge für welche Episoden benutzt werden sollen (Guzdial et al. 1997). A4: Intendierte Kooperation In traditionellen Lehr-/Lernszenarien hat es sich bewährt, kooperative Aufgaben an einer bestimmten Stelle innerhalb des Unterrichts zu verankern. So erfasst beispielsweise ein Lehrender in der Schule zunächst den Wissensstand der Klasse zum neuen Thema, stellt dann den Lerninhalt (angepasst an den erhobenen Wissensstand) vor und lässt danach eine Gruppenübung zur tieferen Verarbeitung oder Anwendung und Sicherung des Gelernten durchführen. Analog dem Lehrenden in der Klasse soll für die kontextuelle Kooperation in virtuellen Lernumgebungen der Kursautor in der Lage sein, kooperative Aufgaben als Bestandteil des Kurses zu beschreiben und an einer bestimmten Stelle im Kurs zu verankern. Dabei ist besonders auf eine einfache Benutzbarkeit der dazu eingesetzten Konzepte und Werkzeuge zu achten. Ansätze aus der Künstlichen Intelligenz zur Integration kooperativer Aufgaben in das Lernmaterial sind mit enormem Aufwand verbunden und deshalb in der Praxis nicht einsetzbar (vgl. Harrer 2000). A5: Unterstützung für die Bildung von Lerngruppen Wie in Abschnitt 2.3 dargestellt, beeinflussen Eigenschaften der Gruppe wie die Größe und die Homogenität bzw. Heterogenität in Bezug auf bestimmte Eigenschaften den Erfolg einer Kooperation. Weiterhin hängt der Erfolg von der Passung 3.2 Anforderungen zur Realisierung kontextueller Kooperation 55 zwischen den Eigenschaften der Gruppe und der Art der kooperativen Aufgabe ab. Die Zusammenstellung einer Lerngruppe durch die Lernenden, durch einen Tutor oder automatisch durch die Lernumgebung soll unterstützt werden. Um eine sinnvolle, d.h. eine im Sinne der Forderungen in Abschnitt 2.3.3 potentiell erfolgreiche Gruppe zu bilden, sollen Kontextinformationen z.B. über Vorwissen und Präferenzen der Benutzer und die Art der geplanten Kooperation berücksichtigt werden. Insbesondere für Szenarien, in denen sich die Beteiligten nicht kennen und ein Tutor (zu) wenig Informationen bzw. Zeit zur sinnvollen Bildung von Lerngruppen hat, wird eine Systemunterstützung für die automatische Bildung von Lerngruppen unter Berücksichtigung des Kontextes gefordert, um erfolgreiche Kooperationen zu begünstigen. Aufgrund der Kontextabhängigkeit der Verfahren zur Bildung von Lerngruppen (vgl. z.B. Haake et al. 2004) sollen verschiedene Verfahren und deren kontextabhängige Auswahl bzw. Anpassung in der Lernumgebung möglich sein. Sind kooperative Aufgabe als notwendige Bestandteile des Lernprozesses vorgesehen (z.B. weil folgende Lerneinheiten das darin zu erwerbende Wissen voraussetzen), müssen die Verfahren zur Bildung von Lerngruppen auch Ausnahmesituationen berücksichtigen (z.B. wenn es keine geeigneten Lernpartner in diesem Kurs gibt). Die Gruppenzusammensetzung beeinflusst neben dem Gruppenergebnis und dem Gruppenprozess auch die Akzeptanz der Gruppenarbeit bei den Beteiligten, die Akzeptanz des Lerngegenstandes und damit schließlich insgesamt den Erfolg der Kooperation (Song 2004). Die ideale Größe einer Gruppe richtet sich nach der festgelegten Kooperationsmethode, das Spektrum sinnvoller Gruppengrößen reicht von Zweiergruppen bis zu großen Gruppen. Infolgedessen sollen insbesondere auch Lerngruppen mit mehr als zwei Mitgliedern unterstützt werden. A6: Methodische Unterstützung der Lerngruppe Die bisherigen Erfahrungen mit CSCL-Umgebungen zeigen, dass Kooperation dort häufig nicht oder nicht im gewünschten Ausmaß stattfindet oder nicht zu effektiven kooperativen Lernprozessen führt (Guzdial et al. 1997; Sadiq et al. 2002; Santoro et al. 2000, Stahl 1999, Straub 2000, Wessner et al. 1999). Guzdial und Kollegen (1997) stellen in ihrer Analyse fest, dass Lernende eine Anleitung für ihren Lernprozess benötigen, z.B. dadurch, dass die Umgebung ein Gerüst für den Kooperationsprozess bereitstellt und die Reflektion des Lernprozesses durch die Lernenden unterstützt. Für kontextuelle Kooperation in virtuellen Lernumgebungen ist daher zu fordern, dass Lernprozesse aktiv unterstützt werden, beispielsweise durch die Strukturierung der Kooperation in einzelne Phasen und Rollen sowie durch rollenspezifische Ressourcen. 56 3. Anforderungen Auf der Basis des Wissens über den Lernprozess und die zu bearbeitende Aufgabe kann die Lernumgebung den Benutzern geeignete Funktionalität zur Strukturierung des Kooperationsprozesses anbieten. Hierbei sollen möglichst viele verschiedene Lernformen unterstützt werden können, d.h. es soll keine Festlegung auf einen bestimmten, z.B. den lehrerzentrierten Ansatz erfolgen. A7: Offenheit des Systems Aufgrund der Dynamik der technischen Entwicklung, aber auch der mit zunehmender Medien- und Lernkompetenz zu erwartenden neuen Anforderungen an virtuelle Lernumgebungen zur kontextuellen Kooperation wird eine Offenheit der Lernumgebung in mehrfacher Hinsicht gefordert. (1) Kursautoren sollen existierende Materialien (webbasierte Kurse) und die zu ihrer Bearbeitung eingesetzten Werkzeuge weiterverwenden können. (2) Softwareentwickler sollen neue Kooperationswerkzeuge einfach realisieren bzw. existierende Kooperationswerkzeuge einfach in das System integrieren können. (3) Softwareentwickler bzw. Systemadministratoren sollen möglichst leicht vorhandene Systeme, die Teilfunktionalitäten der kontextuellen Kooperation realisieren (z.B. Learning- oder Benutzermanagementsysteme), in die Systemarchitektur integrieren können. (4) Aufgrund der heterogenen Anforderungen in Bezug auf Kooperationsmethoden und Werkzeuge wird zudem gefordert, dass das zu entwickelnde System eine möglichst große Offenheit besitzen muss, um von den Benutzern gemäß der jeweiligen Anforderungen konfiguriert werden zu können. Um möglichst viele Lernende zu erreichen wird Plattformunabhängigkeit gefordert. Zur Wiederverwendung bzw. Integration von Materialien und Werkzeugen müssen existierende Standards berücksichtigt bzw. Schnittstellen geschaffen werden (vgl. Hoppe & Gaßner 2002, Roschelle et al. 1999). Derartige Offenheit des Systems wird nicht nur für CSCL-Anwendungen (vgl. z.B. Derycke 2002), sondern generell für kooperative Systeme gefordert (vgl. z.B. Stiemerling & Cremers 1998, Tietze 2001, ter Hofte 1998, Wang & Haake 1999). 3.3 Zusammenfassung 57 3.3 Zusammenfassung In diesem Kapitel wurden anhand eine konkreten Szenarios Anforderungen an virtuelle Lernumgebungen zur Realisierung der kontextuellen Kooperation erarbeitet. Die Tabelle 3.1 fasst die Anforderungen und mögliche Ausprägungen bzw. Teilaspekte zusammen. Anforderungsnummer A1 A2 A3 A4 A5 A6 A7 Anforderung und Ausprägungen bzw. Teilaspekte Unterstützung für individuelles kursbasiertes Lernen: - Möglichkeit, in der Lernumgebung individuell zu lernen - Möglichkeit, Informationen über das individuelle Lernen zu erfassen, insbesondere aktuelle Kompetenzen des Lernenden Spontane Kooperation: - Kooperation mit dem Tutor - Kooperation mit anderen Lernenden - Synchrone und asynchrone Kooperation - Identifikation von Partnern (Awareness) - Empfehlung von Partnern (Recommendation) - Berücksichtigung von Informationen aus dem individuellen Lernen Flexible Übergänge zwischen verschiedenen Lernmodi: - Wechsel zwischen den Lernmodi individuelles, synchrones kooperatives und asynchrones kooperatives Lernen - Technische Integration der Lernmodi - Konzeptuelle Integration der Lernmodi Intendierte Kooperation: - Verankerung von kooperativen Aufgaben im Kurs - Beschreiben von kooperativen Aufgaben Unterstützung für die Bildung von Lerngruppen: - Gruppenbildung durch Lernende - Gruppenbildung durch den Tutor - Gruppenbildung durch die Lernumgebung - Flexible Gruppenbildungsverfahren Methodische Unterstützung der Lerngruppe: - Strukturierung des Kooperationsprozesses - Rollenspezifische Ressourcen - Unterstützung für verschiedene Lernformen Offenheit des Systems: - Wiederverwendung von Materialien - Wiederverwendung von Werkzeugen - Entwicklung neuer Werkzeuge - Integration mit existierenden Infrastrukturen Tabelle 3.1: Übersicht über die ermittelten Anforderungen Im folgenden Kapitel werden existierende Ansätze und Systeme dahingehend diskutiert, inwieweit sie diese Anforderungen erfüllen und welche Anforderungen bisher noch nicht abgedeckt werden. Kapitel 4 Vergleich mit verwandten Arbeiten In diesem Kapitel werden verwandte Forschungsansätze und daraus resultierende Systeme dargestellt und in Bezug auf die in Kapitel 3 dargestellten Anforderungen an die Realisierung kontextueller Kooperation in virtuellen Lernumgebungen hin analysiert. Zunächst wird das Vorgehen zur Auswahl der zu betrachtenden Ansätze und Systeme beschrieben sowie eine Klassifikation der Ansätze vorgestellt (Abschnitt 4.1). Es folgen eine Beschreibung der ausgewählten Ansätze anhand von Beispielsystemen und ein Vergleich mit den Anforderungen (Abschnitt 4.2). Für jede der in Kapitel 3 dargestellten Anforderungen wird analysiert, inwieweit diese Anforderung durch existierende Forschungsansätze adressiert wird (Abschnitt 4.3). Die Betrachtung dieser Ansätze und Systeme liefert einerseits Hinweise darauf, welche Ansätze für diese Arbeit aufgegriffen werden können, andererseits weist sie auf bislang noch ungelöste Probleme hin. In der Zusammenfassung des Standes der Technik wird deutlich, welche Anforderungen an die Realisierung kontextueller Kooperation in virtuellen Lernumgebungen derzeit noch nicht hinreichend erfüllt werden (können) (Abschnitt 4.4). 4.1 Ermittlung verwandter Arbeiten 4.1.1 Relevante Forschungsgebiete Wie in Kapitel 2 dargestellt, kann diese Arbeit auf Ergebnissen in den Forschungsgebieten computerunterstütztes (individuelles) Lernen in virtuellen Lernumgebungen, computerunterstütztes kooperatives Arbeiten sowie computerunterstütztes kooperatives Lernen aufbauen. Es liegen mehrere Generationen von Ansätzen und Systemen für computerunterstütztes individuelles Lernen vor, u.a. unter den Bezeichnungen Computerunterstützter Unterricht (CUU), Computerbasiertes Training (CBT), Intelligente Tutorielle Systeme (ITS) oder Webbasiertes Training (WBT) (vgl. Schulmeister 1997). Da dort 59 60 4. Vergleich mit verwandten Arbeiten keine Unterstützung für kooperatives Lernen vorgesehen ist, sollen derartige Ansätze an dieser Stelle nicht weiter betrachtet werden. Ansätze und Systeme im Bereich des computerunterstützten kooperativen Arbeitens (CSCW) adressieren die gemeinsame Durchführung von Arbeitsprozessen. Zwar können CSCW-Systeme durchaus auch zur Unterstützung von kooperativen Lernprozessen genutzt werden, aber angesichts der wesentlichen Unterschiede zwischen Arbeits- und Lernunterstützung (Schwabe et al. 2001) werden reine CSCW-Systeme hier nicht weiter betrachtet. Wie in Abschnitt 2.4.2 dargestellt, basieren Systeme für das kooperative Lernen (CSCL-Systeme; s.u.) meist auf CSCW-Technologien und Konzepten und können von den Erfahrungen des CSCW profitieren. Die für die Realisierung der kontextuellen Kooperation in virtuellen Lernumgebungen relevanten Ansätze und Systeme können im Bereich des Forschungsgebietes computerunterstütztes kooperatives Lernen (CSCL) gefunden werden, da hier explizit auf die Kooperation zu Lernzwecken fokussiert wird. Zur Auswahl der zu betrachtenden Forschungsansätze wird im nächsten Abschnitt zunächst eine Klassifizierung anhand der jeweils verwendeten Metapher zur Realisierung der Werkzeuge bzw. Umgebungen vorgestellt. Danach werden typische Vertreter der einzelnen Klassen beschrieben und mit den Anforderungen an die Realisierung der kontextuellen Kooperation in virtuellen Lernumgebungen verglichen. 4.1.2 Klassifikation der Forschungsansätze Klassifikationen für CSCL-Forschungsansätze nutzen oft Eigenschaften der resultierenden Systeme oder der durch sie unterstützten Szenarien als Klassifikationskriterium (vgl. Wessner 2001b). So kann beispielsweise nach den Dimensionen Ort (face-to-face oder örtlich verteilte Lerngruppe), Zeit (synchron oder asynchron) oder nach den für ein bestimmtes System möglichen Gruppengrößen klassifiziert werden. Miao (2000) schlägt eine Unterteilung von CSCL-Systemen gemäß der darin vorrangig genutzten Metapher vor und differenziert zwischen dokumentbasierten, konferenzbasierten und raumbasierten Ansätzen und schlägt als zusätzliche Kategorie den kontextbasierten Ansatz vor: Dokumentbasierte Systeme dienen als gemeinsam genutzte Ablagen für Dokumente (Lernmaterialien und Kommunikationsbeiträge) und regeln den (in der Regel: asynchronen) Zugriff auf die Dokumente durch die einzelnen Benutzer bzw. Benutzergruppen. Kooperation erfolgt durch das Lesen, Hinzufügen oder Verändern von Dokumenten in dem für die Kooperationspartner zugreifbaren gemeinsamen Bereich. Zwar können Benutzer verschiedene Dokumente gleichzeitig bearbeiten, eine synchrone Kooperation auf dem gleichen Dokument ist jedoch nicht möglich. 4.1 Ermittlung verwandter Arbeiten 61 Konferenzbasierte Systeme nutzen Werkzeuge zur synchronen Kommunikation bzw. Kooperation (z.B. Chat, Audio/Video-Konferenz oder Application Sharing). Dieser Ansatz zielt meist auf traditionelle Vorlesungs- oder Seminarszenarien. In der Regel werden die Materialien und Kommunikationsbeiträge nicht persistent gespeichert. Asynchrone Kooperation ist nicht möglich. Raumbasierte Systeme kombinieren den dokumentbasierten und den konferenzbasierten Ansatz. Sie überwinden die Probleme der dokumentbasierten und konferenzbasierten Systeme, indem sie persistente virtuelle Räume für die Kooperation zur Verfügung stellen und den Zugriff auf die Räume regeln. In einem virtuellen Raum können Benutzer – bei gleichzeitiger Anwesenheit – synchron kooperieren. Die Persistenz der Materialien und Kommunikationsbeiträge ermöglicht auch asynchrone Kooperation. Zur Kooperation stehen im Raum bestimmte Werkzeuge und Dokumente zur Verfügung. Die oft geringe Flexibilität in Bezug auf das Anlegen und Löschen virtueller Räume sowie die meist starre Zuordnung von Personen, Werkzeugen und Dokumenten zu bestimmten virtuellen Räumen beeinträchtigen die Flexibilität des kooperativen Lernens. Auch eine aktive Unterstützung von kooperativen Lernprozessen z.B. in Form einer Lernprozessunterstützung ist hier in der Regel nicht vorgesehen. Als eine Erweiterung des raumbasierten Ansatzes führt Miao (2000) die Klasse der kontextbasierten Systeme ein. Unter Lernkontext wird dabei eine Menge von Personen, Werkzeugen und Dokumenten an einem virtuellen Ort verstanden. Eine kontextbasierte Lernumgebung stellt ein System von miteinander verbundenen Räumen bereit. Personen, Dokumente und Werkzeuge sind nicht notwendigerweise an einen bestimmten Raum gebunden, wodurch eine flexible Kooperation bzw. ein leichter Wechsel des Lernkontextes möglich ist. Die in dieser Arbeit erarbeiteten Begriffe Kontext und Kontextuelle Kooperation gehen über den Begriff des Lernkontextes bei kontextbasierten Systemen hinaus, beispielsweise durch die Berücksichtigung von Informationen über das individuelle Lernen oder durch die Verankerung und Beschreibung kooperativer Aufgaben als Bestandteil von Lernmaterialien. In Ergänzung der von Miao (2000) vorgeschlagenen Klassifikation werden hier noch der domänenmodellbasierte und der prozessbasierte Ansatz berücksichtigt. Domänenmodellbasierte Systeme bieten Unterstützung für kooperatives Lernen auf Basis einer expliziten Modellierung des Lernmaterials, der Lernziele sowie des Kooperationsprozesses. Dazu werden Techniken aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz eingesetzt. Sie stellen eine Erweiterung des auf die Unterstützung individuellen Lernens zielenden Forschungsgebietes Intelligente Tutorielle Systeme (ITS) 62 4. Vergleich mit verwandten Arbeiten dar. Aufgrund der expliziten Modellierung können domänenmodellbasierte Systeme weitreichende Unterstützung für kooperatives Lernen bieten. Prozessbasierte Systeme stellen den Lernprozess (in Analogie zum Workflow zuweilen auch Learnflow genannt) in den Mittelpunkt. Sie kombinieren die Funktionalität von Lernumgebungen und Workflow-Systemen. Wesentliche Elemente sind demzufolge die Benutzerverwaltung, Kursverwaltung, die Modellierung und Steuerung von Lernprozessen inklusive der benötigten organisatorischen Prozesse wie Registrierung für Kurse oder Anmeldung zu Prüfungen. Ähnlich wie Workflowmanagementsysteme wird in der Regel nur die asynchrone Kooperation durch die Aufteilung eines kooperativen Prozesses in einzelne, nicht-kooperative Prozessschritte und das Weiterleiten von (Zwischen-) Ergebnissen zwischen diesen Schritten unterstützt. Im Weiteren wird die Klassifikation in dokumentbasierte, konferenzbasierte, raumbasierte, kontextbasierte, domänenmodellbasierte und prozessbasierte Ansätze für die Analyse existierender Forschungsarbeiten herangezogen. 4.2 Analyse und Vergleich verwandter Arbeiten 4.2.1 Auswahl Für E-Learning-Werkzeuge und -Plattformen wird häufig die fehlende (Markt-)Transparenz in Bezug auf ihre Funktionalität beklagt (vgl. z.B. Baumgartner 2001). Auch die E-Learning-Forschung ist unübersichtlich, da Forschungsergebnisse nur teilweise auf speziell dem E-Learning gewidmeten Tagungen bzw. in entsprechenden Zeitschriften veröffentlicht werden. Viele Forschungsergebnisse werden im Kontext der Anwendung (beispielsweise ein E-Learning-System zum Software-Engineering (SE) auf einer SE-Tagung) oder im Kontext der verwendeten Basistechnologie (beispielsweise eine mit Methoden der künstlichen Intelligenz (KI) realisierte Lernumgebung auf einer KI-Tagung) präsentiert. Seit ihrem Start im Jahr 1995 werden Forschungsarbeiten zum CSCL im Rahmen der internationalen CSCL-Konferenzreihe präsentiert. Die Unterstützung des kooperativen Lernens nach dem dokumentbasierten Ansatz erfolgt häufig mit nicht speziell für das Lernen entwickelten Werkzeugen wie beispielsweise der BSCW-Plattform (Bentley et al. 1995). Deren Weiterentwicklung für das Anwendungsgebiet des kooperativen Lernens, BSCL (Stahl 2004), ersetzt z.B. die in BSCW allgemeingehaltenen Bezeichnungen für Rollen und Ablagestrukturen durch lernspezifische Bezeichnungen. Die weiter unten beschriebene Lernumgebung KOLUMBUS stellt eine innovative Erweiterung dokumentbasierter Ansätze dar, da 4.2 Analyse und Vergleich verwandter Arbeiten 63 sie die Aufteilung von Dokumenten in einzelne Einheiten und die Diskussion dieser Einheiten durch Annotationen erlaubt. Systeme nach dem konferenzbasierten Ansatz werden häufig für die Kopplung verschiedener Standorte, beispielsweise in Form von Televorlesungen oder –seminaren eingesetzt. Weiter unten werden zwei Erweiterungen dieses Ansatzes vorgestellt: Im Projekt CASTLE werden synchrone Konferenzen mit persistenten Lernmaterialien kombiniert. Das Werkzeug CLARE integriert die Unterstützung der Kooperation im Hinblick auf eine bestimmte Kooperationsmethode. Ein weiterer, hier wegen anderer Zielsetzung nicht weiter zu behandelnder Ansatz zur kooperativen Benutzung ursprünglich für die individuelle Benutzung entwickelter (Lern-)Werkzeuge wird von El Saddik (2001) vorgestellt. In der Praxis werden häufig Systeme auf der Basis des raumbasierten Ansatzes eingesetzt, da diese synchrone, asynchrone und gemischte kooperative Lernszenarien unterstützen. Als Beispiele für raumbasierte Systeme werden unten die Systeme CommSy und sTeam beschrieben. CommSy ist speziell auf die Unterstützung sogenannter Wissensprojekte ausgerichtet. sTeam kombiniert die Eigenschaften dokumentbasierter und raumbasierter Systeme. Räume werden zur Verwaltung von Dokumenten benutzt und stellen Messageboards, Email und Chat zur Kommunikation zur Verfügung. Als System, das auf dem kontextbasierten Ansatz beruht, wird unten die kooperative Lernumgebung CROCODILE vorgestellt. Diese kombiniert den raumbasierten Ansatz mit der Prozessunterstützung für kooperatives Lernen. Der domänenmodellbasierte Ansatz erfordert umfangreiche Arbeiten zur Modellierung u.a. des Lernmaterials, weshalb dieser Ansatz keine weite Verbreitung erlangt hat. Ein im Hinblick auf die angebotene Unterstützung des kooperativen Lernens sehr weitreichender Ansatz wird im Projekt FITS/CL verfolgt. Weitere Arbeiten, die auf diesem Ansatz basieren, werden von Hoppe (1995) und Harrer (2000) vorgestellt. Für den prozessbasierten Ansatz wird das System Flex-eL ausgewählt, das an verschiedenen Einrichtungen bereits in der Praxis erprobt wurde. Flex-eL kombiniert ELearning- und Workflow-Funktionalität und stellt auch eine gewisse Unterstützung für kooperatives Lernen bereit. Abschließend wird außerhalb der gewählten Klassifikation noch auf Standardisierungsbemühungen zur Beschreibung kooperativen Lernens eingegangen, die als Basis auch für virtuelle Lernumgebungen für die kontextuelle Kooperation dienen können. 64 4. Vergleich mit verwandten Arbeiten Die Darstellung der Ansätze und Systeme folgt jeweils folgenden Aufbau: Zunächst wird das Projekt bzw. System hinsichtlich seiner Zielsetzung und Funktionalität kurz charakterisiert. Danach wird jeweils analysiert, welche der in dieser Arbeit gestellten Anforderungen durch diesen Ansatz bzw. dieses System in welchem Maße erfüllt werden (können). Dazu wird im Text jeweils die Nummer der relevanten Anforderung aus Kapitel 3 in Klammern () angegeben. 4.2.2 Dokumentbasierte Ansätze Als Beispiel für eine auf dem dokumentbasierten Ansatz aufbauende Lernumgebung wird das System KOLUMBUS betrachtet. KOLUMBUS KOLUMBUS (Kienle & Herrmann 2002, Kienle 2003) wurde am Fachgebiet Informatik und Gesellschaft der Universität Dortmund entwickelt. Inhalte werden von Lehrenden und Studierenden in KOLUMBUS abgelegt. Die Rezipienten eines Inhalts werden explizit angeben, wodurch individuelles Arbeiten am Material, das Arbeiten in Gruppen und das Arbeiten mit allen KOLUMBUS-Benutzern ermöglicht wird. Hauptziel der Entwicklung von KOLUMBUS war die Integration von Materialablage und Kommunikationsunterstützung basierend auf einem Annotationskonzept. Das Material liegt in kleine Einheiten zerlegt vor. Zu jeder Einheit (Text, Bild, Binärdateien, Link) können textuelle Annotationen vorgenommen werden. Annotationen können ebenfalls annotiert werden, wodurch eine Diskussion möglich ist. Annotationen sind also jeweils an eine Position im Material gebunden. So berücksichtigt die Kooperation (in Form der Diskussion mittels Annotationen) jeweils den inhaltlichen Kontext. Für die synchrone Kooperation ist zudem ein Chat in KOLUMBUS integriert. Ziel der Kooperation in KOLUMBUS ist es, einen Konsens innerhalb einer Lerngruppe zu erlangen. Dazu kann der Urheber einer Inhaltseinheit anderen Personen die Miturheberschaft vorschlagen. Die Zustimmung, Ablehnung, Enthaltung bezüglich dieser Einladung oder die Forderung nach weiterer Diskussion wird durch einen im System realisierten Aushandlungsprozess unterstützt. Stimmt ein bestimmter Prozentsatz der Urheber dem Vorschlag zu, wird die Gruppe der Urheber entsprechend erweitert. KOLUMBUS ermöglicht das individuelle Lernen, Informationen darüber werden nicht erhoben (A1). Spontane Kooperation wird durch Chat, Annotationen und den Aushandlungsprozess zur Konsensfindung unterstützt. Durch die Verankerung der Annotation und der Aushandlung im Material wird der Kontext der Kooperation deutlich (A2). 4.2 Analyse und Vergleich verwandter Arbeiten 65 Abbildung 4.1: Screenshot des KOLUMBUS-Systems Der Wechsel von individuellem Lernen zu kooperativem Lernen erfolgt kontextabhängig z.B. durch Veröffentlichen von Inhalten (Erweiterung des Empfängerkreises, Einladen zur Miturheberschaft). Ein Wechsel zur synchronen, vom aktuellen Kontext unabhängigen Kooperation ist per Aktivierung des Chats möglich (A3). Inhalte und Annotationen können an beliebigen Stellen im Material verankert werden. Kooperative Aufgaben können ebenso textuell beschrieben und verankert werden. Eine vom System interpretierbare Beschreibung einer kooperativen Aufgabe ist nicht vorgesehen (A4). Lerngruppen werden in KOLUMBUS als Gruppe der Rezipienten bzw. Gruppe der Urheber einer Information repräsentiert, eine spezielle Unterstützung durch das System zur Identifikation geeigneter Partner wird nicht angeboten (A5). Der Kooperationsprozess einer Gruppe wird mit Ausnahme der Aushandlungsunterstützung nicht methodisch unterstützt (A6). Als webbasiertes System erlaubt KOLUMBUS die Wiederverwendung von Materialien, die Integration neuer Werkzeuge und die Kopplung mit anderen Systemen (A7). 66 4. Vergleich mit verwandten Arbeiten 4.2.3 Konferenzbasierte Ansätze Als Beispiele für auf dem konferenzbasierten Ansatz aufbauende Systeme werden die im Projekt CASTLE entwickelte Lernumgebung und das Werkzeug CLARE betrachtet. CASTLE Im Rahmen des von der Europäischen Union geförderten Projektes CASTLE (Computer Aided System for Tele-Interactive Learning in Environmental Monitoring; 19971999) wurde eine Lernumgebung entwickelt, die selbstgesteuertes individuelles Lernen mit synchronen Lernsitzungen kombiniert (Böhmann et al. 1999). Ziel der Entwicklung war die Bereitstellung eines virtuellen Arbeitsraumes für das gemeinsame Lernen mit Werkzeugen für die gemeinsame Arbeit am Material. Ein weiteres Ziel war es, Tutoren die Möglichkeit zur Steuerung des Arbeitsraumes bzw. der Werkzeuge während der Sitzung zu geben. Als Kooperationsplattform wird Microsoft NetMeeting ergänzt durch webbasiertes Lernmaterial sowie weitere Werkzeuge aus dem Bereich der Sitzungsunterstützung (Brainstorming, gemeinsames Erarbeiten von Gliederungshierarchien, Abstimmung) verwendet. Mit einem Tagesordnungswerkzeug kann der Tutor die einzelnen Phasen und für jede Phase die zur Verfügung stehenden Werkzeuge festlegen. Eine Besonderheit von CASTLE ist die Kombination des konferenzbasierten Ansatzes mit individuellem, webbasiertem Lernmaterial. Das Lernmaterial kann individuell bearbeitet werden, das System erhebt allerdings keine Informationen darüber (A1). Ohne eine Awareness-Information über andere angemeldete Benutzer ist eine spontane Kooperation mittels des integrierten synchronen Werkzeugs NetMeeting nicht einfach realisierbar, eine asynchrone Kooperation ist nicht vorgesehen (A2). Der Wechsel vom individuellen Lernen zum synchronen kooperativen Lernen muss außerhalb des Systems vorbereitet werden, erfordert also zusätzlichen Aufwand (A3). Kooperatives Lernen erfolgt in Form geplanter synchroner Sitzungen. Eine Beschreibung der Kooperation in vom System interpretierbarer Form und verankert im Lernmaterial ist nicht möglich (A4). Auch die Bildung von Lerngruppen, also die Zusammenstellung der Teilnehmer für eine synchrone Sitzung, muss außerhalb des Systems erfolgen (A5). Eine Sitzung kann durch die Verwendung in CASTLE integrierter kooperativer Werkzeuge methodisch unterstützt werden. Da keine vom System interpretierbare Beschreibung der Kooperation vorliegt, liegt die Auswahl und Aktivierung in der Hand eines Moderators (A6). CASTLE ist durch die Verwendung webbasierter Lernmaterialien offen für die Wiederverwendung von Lernmaterialien. Zusätzliche individuelle Werkzeuge können mit Hilfe des in NetMeeting enthaltenen Application Sharing genutzt werden, eine Integration kooperativer Werkzeuge und 4.2 Analyse und Vergleich verwandter Arbeiten 67 die Kopplung mit anderen Systemen ist aufwendig, aber durch die NetMeeting-Programmierschnittstelle möglich (A7). Abbildung 4.2: Screenshot des CASTLE-Systems CLARE Das Werkzeug CLARE wurde an der Universität von Hawaii für das gemeinsame Durcharbeiten und Diskutieren wissenschaftlicher Artikel entwickelt (Wan 1994, Wan & Johnson 1994). Die Lerner bauen mit diesem System eine Repräsentation einer wissenschaftlichen Arbeit als Menge miteinander verbundener kleinerer logischer Einheiten (Hypothese, Folgerung, Beobachtung, etc.) auf. Sie werden vom System durch den Prozess der Analyse und Diskussion in mehreren Stufen geführt: Zunächst entwickelt jeder Lerner individuell durch Zusammenfassen und Bewerten eine Repräsentation des Artikels. Danach vergleichen und diskutieren die Lerner ihre jeweiligen Repräsentationen und integrieren sie zu einer gemeinsamen Darstellung. Durch die gewählte explizite Modellierung des Lerninhalts und des Bearbeitungsprozesses kann CLARE die Lerner in jeder Phase beobachten und gezielt unterstützen. Zur Realisierung wird 68 4. Vergleich mit verwandten Arbeiten eine halbformale Repräsentationssprache (REpresentational Schema of Research Artifacts; RESRA) sowie ein explizites Prozessmodell (Summarization, Evaluation, Comparison, Argumentation, and Integration; SECAI) eingesetzt. Abbildung 4.3: Screenshot des CLARE-Systems Eine auf den Prinzipien von CLARE aufbauende, neuere Entwicklung ist CLE (Ueberall et al. 2003). CLE soll die Integration der individuellen Repräsentationen durch das Erkennen struktureller Ähnlichkeiten unterstützen. Die Besonderheit von CLARE ist die Kombination des konferenzbasierten Ansatzes mit einer methodischen Unterstützung in Form der Repräsentationssprache und des Prozessmodells. CLARE unterstützt das individuelle Lernen im Rahmen des fest vorgegebenen Lernprozesses. Die dabei entwickelte Repräsentation des zu bearbeitenden Textes steht dann für die kooperative Arbeit zur Verfügung (A1). Der Zeitpunkt und die methodische Unterstützung der Kooperation sind ebenfalls im Lernprozess fest vorgegeben (A6). Spontane Kooperation (A2) und flexible Übergänge zwischen individuellen und kooperativen Phasen (A3) sind nicht möglich. Es gibt außer dem zu bearbeitenden Text kein Lernmaterial, in dem eine Kooperation 4.2 Analyse und Vergleich verwandter Arbeiten 69 verankert werden kann (A4). Die Zusammenstellung der Lerngruppen erfolgt außerhalb des Systems, das System bietet dazu keine Unterstützung an (A5). 4.2.4 Raumbasierte Ansätze Als Beispiele für auf dem raumbasierten Ansatz aufbauende Lernumgebungen werden die Systeme CommSy und sTeam betrachtet. CommSy CommSy (für Community System) wurde an der Universität Hamburg im Rahmen des Projektes WissPro entwickelt (Jackewitz et al. 2002, Jackewitz et al. 2004). CommSy ist eine webbasierte Plattform zur Unterstützung sog. Wissensprojekte im Rahmen des Studiums. CommSy unterscheidet zwischen Gemeinschaftsräumen (beispielsweise für alle Studierenden und Lehrenden im Fach Informatik an einer Hochschule) und Projekträumen (beispielsweise für die Teilnehmer einer bestimmten Lehrveranstaltung). Die Sichtbarkeit von Informationseinheiten ist grundsätzlich auf einen Raum beschränkt. Zusätzlich können Informationen auch für die Weltöffentlichkeit zugänglich gemacht werden. CommSy ist ein raumbasiertes System, das gezielt im Hinblick auf die didaktische Perspektive eines Wissensprojektes (Jackewitz et al. 2004) gestaltet wurde. Damit einhergehend wurden die Designprinzipien „Einfachheit der Benutzung“, „verantwortungsvolle Benutzung“ und „Einsatz in Kombination mit anderen Medien“ umgesetzt. Dies wirkt sich u.a. darin aus, dass für raumbasierte Systeme nahe liegende Funktionalitäten wie Anzeige aktuell virtuell anwesender Benutzer und synchrone Kooperationsmöglichkeiten bewusst nicht realisiert wurden. CommSy erlaubt das individuelle Lernen mit Hilfe der im System vorhandenen Lernmaterialien, Informationen über den Lernprozess werden nicht erhoben (A1). Spontane Kooperation ist asynchron durch das Bearbeiten von Dokumenten, Nachrichten, Ankündigungen und Annotationen möglich (A2). Durch die Verwendung der Raummetapher ist der Wechsel von individuellem zu (asynchron) kooperativem Lernen leicht möglich. Synchrone Kooperation ist nicht vorgesehen, eine dafür sinnvolle Anzeige aktuell in diesem Raum virtuell anwesender Benutzer existiert nicht (A3). Eine vom System interpretierbare Beschreibung einer kooperativen Aufgabe und deren Verankerung im Lernmaterial sind nicht vorgesehen (A4). Zugang zu einem Raum erhält man nach Beantragung vom Moderator des Raumes. Innerhalb eines Projektraumes können die Benutzer Untergruppen bilden und Materialien als wichtig für eine Untergruppe kennzeichnen, was jedoch keine Auswirkung auf Zugriffsrechte in diesem Raum hat. Dadurch ist die Bildung von Lerngruppen möglich, eine aktive Unterstützung etwa unter Berücksichtigung von Informationen über die Lernenden ist 70 4. Vergleich mit verwandten Arbeiten nicht vorgesehen (A5). Innerhalb der Räume kooperieren die Benutzer nach Belieben, eine methodische Unterstützung der Lerngruppe wird nicht angeboten (A6). Als webbasiertes System ermöglicht CommSy die Wiederverwendung von Materialien, die Integration von Werkzeugen und die Kopplung mit anderen Systemen (A7). Abbildung 4.4: Screenshot des CommSy-Systems sTeam sTeam (Strukturieren von Informationen in Teams, zeitweise auch mit OpensTeam bezeichnet) wurde an der Universität Paderborn entwickelt (Hampel 2001, Hampel & Keil-Slawik 2001). sTeam ist eine Open Source Umgebung, die kooperative virtuelle Wissensräume bereitstellt. Die verwendete Raummetapher integriert synchrone und asynchrone Formen der Zusammenarbeit und die Verwaltung hypermedialer Dokumente. Lernende und Lehrende können in den Räumen Dokumente ablegen und bearbeiten. sTeam bietet gemeinsame Sichten, Funktionen zur logischen und visuellen Organisation von Dokumenten sowie zum Kommentieren. sTeam unterstützt Nutzergruppen und Zugriffsrechte. 4.2 Analyse und Vergleich verwandter Arbeiten 71 sTeam fokussiert auf die gemeinsame, örtlich verteilte Verwaltung von Wissen und bietet eine Plattform für verschiedene Kooperationsformen. Wissensstrukturen können individuell, in Gruppen oder Communities aufgebaut werden. Abbildung 4.5: Screenshot des sTeam-Systems sTeam realisiert im Vergleich zu CommSy nicht nur asynchrone, sondern auch synchrone Kooperationsmöglichkeiten. sTeam-Räume erlauben das individuelle Lernen, ohne jedoch Informationen darüber zu erheben (A1). Spontane Kooperation ist via Email, Nachrichten, Chat und Annotationen möglich. Je nachdem, welches dieser Medien gewählt wird, erfolgt die Kooperation entweder ohne Bezug auf einen Kontext oder der Kontext wird durch den aktuellen Raum bzw. das annotierte Inhaltselement gegeben (A2). Der Raummetapher folgend sind flexible Übergänge zwischen individuellem und kooperativem Lernen möglich (A3). Kooperative Aufgaben können in sTeam nicht in durch das System interpretierbarer Form beschrieben und im Lernmaterial verankert werden (A4). Auch eine Unterstützung für die Bildung von Lerngruppen (A5) oder eine methodische Unterstützung des kooperativen Lernens (A6) ist nicht realisiert. sTeam ist als webbasiertes System offen für die Wiederverwendung von Materialien. Die OpenSource-Umgebung verfügt über Standard- 72 4. Vergleich mit verwandten Arbeiten Schnittstellen für die Anbindung von Email- und Chat-Systemen sowie weiterer kooperativer Werkzeuge. Auch für die Kopplung mit anderen Systemen sind Standard-Schnittstellen vorhanden (A7). 4.2.5 Kontextbasierte Ansätze Als Beispiel für eine auf dem kontextbasierten Ansatz aufbauende Lernumgebung wird das System CROCODILE betrachtet. CROCODILE Die kooperative Lernumgebung CROCODILE (Creative Open Cooperative Distributed Learning Environment; Miao 2000, Pfister et al. 1998b, Wessner et al. 1999) wurde am GMD-IPSI in Darmstadt entwickelt. Sie baut auf der kooperativen, raumbasierten Lernumgebung VITAL (Pfister et al. 1998a) auf. In die Entwicklung von CROCODILE sind die Erfahrungen bei der Evaluation von VITAL in verschiedenen Lehrveranstaltungen eingeflossen (Pfister et al. 1999, Pfister & Wessner 2000). Die in VITAL realisierte Raummetapher in Form virtueller privater Räume, Gruppenräume und Auditorien wird bei CROCODILE zum virtuellen Campus erweitert. Zusätzlich werden in CROCODILE zwei weitere Konzepte zur Unterstützung des kooperativen Lernens umgesetzt: So genannte Lernprotokolle (Miao et al. 2000a, Wessner et al. 1999) dienen dazu, lernspezifische Kommunikations- und Kooperationsmethoden durch das System zu unterstützen und somit die Koordination der Aktivitäten in der Gruppe zu erleichtern. Lernspezifische Kommunikationen sind z.B. ein Erklärungsdialog (ein Experte erklärt einem Lernenden einen komplexen Begriff) oder ein Pro-/Kontra-Gespräch zwischen Befürwortern und Gegnern zu einem strittigen Thema. Mit Lernprotokollen können für jede Phase des Kooperationsprozesses für die Teilnehmer Rollen, Regeln und erlaubte Mitteilungstypen festgelegt werden. Zur inhaltlichen Strukturierung der hypermedialen Lernmaterialien stehen den Lerngruppen so genannte Lernnetze (Wessner et al. 2001c) zur Verfügung. Lernnetze sind Graphen aus Knoten und Relationen. Knoten und Relationen sind typisiert, d.h. es sind nur bestimmte Elementtypen und Verbindungen zwischen den Elementen je nach Anwendungsdomäne und Lernmethode möglich. CROCODILE unterstützt das individuelle Lernen, erhebt aber keine Informationen über den individuellen Lernprozess (A1). Spontane Kooperationen sind möglich, die Modellierung der Benutzer und der Organisationsstruktur unterstützt das gezielte Kontaktieren von Lehrenden (A2). 4.2 Analyse und Vergleich verwandter Arbeiten 73 Abbildung 4.6: Screenshot des CROCODILE-Systems Die Verwendung virtueller Räume ermöglicht flexible Übergänge zwischen individuellem und kooperativem Lernen (A3). Eine vom System interpretierbare Beschreibung einer kooperativen Aufgabe und deren Verankerung im Lernmaterial sind nicht vorgesehen (A4), allerdings können Lernmethoden in Form von Lernprotokollen beschrieben und durchgeführt werden (A6). Lerngruppenbildung erfolgt entweder selbstorganisiert oder durch die Modellierung der Organisationsstruktur. Eine Systemunterstützung für die Lerngruppenbildung, die Eigenschaften der Kooperation oder der Lernenden berücksichtigt, ist nicht gegeben (A5). CROCODILE wurde prototypisch implementiert und verwendet proprietäre Standards. Die Wiederverwendung von Materialien, die Integration von Werkzeugen und die Kopplung mit anderen Systemen ist nur mit hohem Aufwand möglich. Zur Unterstützung bestimmter kooperativer Lernmethoden können mit Hilfe eines graphischen Editors auch ohne Programmierkenntnisse Lernprotokolle aus vorgegebenen Bausteinen kombiniert werden (A7). 74 4. Vergleich mit verwandten Arbeiten 4.2.6 Domänenmodellbasierte Ansätze Als Beispiel für auf dem domänenmodellbasierten Ansatz beruhende Arbeiten wird das Projekt FITS/CL vorgestellt. FITS/CL Das Projekt FITS/CL an der Universität Osaka (Supnithi et al. 1999; Inaba et al. 2000) verfolgt den Ansatz, kooperative Lernaktivitäten auf der Basis einer Ontologie für kooperatives Lernen zu modellieren. Die Lernenden bearbeiten das Lernmaterial zunächst individuell. Auf drei verschiedene Arten kann eine Kooperation ausgelöst werden: Das System erkennt eine Sackgasse im Lernweg, das System erkennt nach Abschluss einer Lerneinheit die Notwendigkeit, diese in einer Gruppe zu reflektieren oder der Lernmaterialautor hat eine Kooperation an einer bestimmten Stelle vorgesehen. Eine Kooperation wird durch den Auslöser für diese Kooperation, das Lernmaterial, das Lernszenario (ein bestimmter Interaktionsfluss zwischen den Lernenden), die Lerngruppe (eine bestimmte Art von Gruppe) und das Lernziel (eine bestimmte Kombination aus persönlichen Zielen und Zielen der Lerngruppe als Ganzes) beschrieben. Abbildung 4.7: Screenshot des FITS/CL-Systems 4.2 Analyse und Vergleich verwandter Arbeiten 75 Der Schwerpunkt dieser Arbeiten liegt auf der Benutzung von Methoden der Künstlichen Intelligenz, insbesondere Agententechnologie, um Situationen zu erkennen, in denen eine Kooperation initiiert werden soll, sowie um effektive Lerngruppen zu bilden. Es ist außerdem geplant, die gewünschte Interaktion unter den Mitgliedern der Lerngruppe zu moderieren. FITS/CL unterstützt das individuelle Bearbeiten des Lernmaterials (A1). Der Lernprozess wird vom System überwacht, um bei vom System erkanntem Bedarf eine Kooperation auszulösen. Eine durch den Lernenden ausgelöste, spontane Kooperation wird nicht unterstützt (A2). Der Übergang zwischen individuellem und synchron kooperativem Lernen (und zurück) wird vom System ausgelöst (A3). (Dass diese Übergänge durch Agenten für den jeweiligen Lernenden ohne dessen Mitwirkung oder Einverständnis ausgelöst werden, könnte für Lernende in der westlichen Welt und insbesondere für erwachsene Lernende beträchtliche Akzeptanzprobleme verursachen.) Die intendierte Kooperation wird unterstützt, ein Lernmaterialautor kann Kooperationen für das System interpretierbar beschreiben und im Material verankern (A4). Das System bildet auf Basis der Eigenschaften der Lernenden und der geplanten Kooperation durch Aushandlungsprozesse zwischen den Agenten der Lernenden geeignete Lerngruppen (A5). Eine methodische Unterstützung der Lernenden während der Kooperation ist geplant (A6). Aufgrund der elaborierten Modellierung des Lernmaterials und der Lernenden als Basis der KI-basierten Unterstützung ist die Wiederwendung von Material, die Integration neuer Werkzeuge und die Kopplung mit anderen Systemen mit hohem Aufwand verbunden (A7). 4.2.7 Prozessbasierte Ansätze Als Beispiel für ein System, das den prozessbasierten Ansatz umsetzt, wird Flex-eL betrachtet. Flex-eL Flex-eL (Flexible e-Learning; Marjanovic & Orlowska 2000; Sadiq et al. 2002) wurde gemeinsam vom Department of Computer Science and Electrical Engineering und dem Distributed Technology Centre an der Universität Queensland (Australien) entwickelt. Flex-eL ist ein workflow-basiertes E-Learning-System. Ziel des Flex-eL-Systems ist die ganzheitliche Unterstützung von E-Learning, Lernen wird als integrierter Lernprozess bestehend aus einzelnen Lernaktivitäten betrachtet. Genereller Ansatz ist die Flexibilisierung des Lernprozesses, so dass jeder Lernende seine Lernaktivitäten möglichst früh und möglichst unabhängig von äußeren Gegebenheiten (z.B. Deadlines) durchführen kann. Neben Benutzerverwaltung, Kursverwaltung, Zeitmanagement, Überwachen des Lernfortschritts, Anmeldung zu 76 4. Vergleich mit verwandten Arbeiten Kursen, Prüfungen und Sprechstunden soll auch das Lernen in Gruppen unterstützt werden. Rückgrat des Flex-eL-Systems ist ein Workflow-System. Jede Lernaktivität ist als „bereit“, „aktiv“ oder „abgeschlossen“ gekennzeichnet (available, commence, completed). Für jeden Lernenden erzeugt das System eine Liste von Aktivitäten, die der Lernende bearbeiten soll. Die Systemüberwachung des Lernfortschritts kann auch die Zusammenarbeit fördern: Lernende können auf Basis der Systemüberwachung herausfinden, wer sonst noch mit derselben Lernaktivität beschäftigt ist bzw. wer an einer Kooperation in Bezug auf diese Lernaktivität interessiert ist. Lehrende können den Lernenden auf Basis der Systemüberwachung gezielte, kontextabhängige Hilfestellungen geben. Abbildung 4.8: Screenshot des Flex-eL-Systems 4.2 Analyse und Vergleich verwandter Arbeiten 77 Flex-eL unterstützt das individuelle Lernen (A1), es werden zahlreiche Informationen über den Lernprozess erhoben. Durch die Einbindung von Kommunikationstools (Chat und Email) ist die spontane Kooperation möglich (A2). Die Modellierung von Kursen und Rollen erlaubt es, Lernende im selben Kurs oder zugehörige Lehrende zu identifizieren und zu kontaktieren. Flex-eL erlaubt den Wechsel zwischen individuellem, synchron kooperativem und asynchron kooperativem Lernen (A3). Die Beschreibung der Lernaktivitäten ist auf individuelles Lernen ausgerichtet, eine Beschreibung kooperativer Aufgaben ist nicht möglich (A4). Ein Lernender kann sich für eine Lernaktivität eine Liste von Lernenden anzeigen lassen, die an einer Kooperation interessiert sind, dadurch wird die Bildung von Lerngruppen erleichtert (A5). Lernprozesse werden auf der Ebene der individuellen Bearbeitung der Aktivitäten unterstützt, nicht jedoch für das kooperative Bearbeiten einer Aktivität (A6). Flex-eL ist webbasiert und modular aufgebaut, wodurch die Wiederverwendung von Material, die Integration von Werkzeugen und die Kopplung des Systems mit anderen Systemen unterstützt werden (A7). 4.2.8 Standardisierungsansätze Abschließend soll hier noch auf Ansätze zur Standardisierung der Beschreibung kooperativen Lernens eingegangen werden. In der jüngsten Zeit wurden unabhängig voneinander zwei Ansätze entwickelt, zum einen die CML in Stanford sowie die EML an der Open University der Niederlande: Die ClassSync Modeling Language CML (Brecht et al. 2002) erlaubt die Modellierung von Akteuren, Datenobjekten und Interaktionsnetzwerken für Präsenzlehrsituationen. Ziel ist die Entwicklung von Systemen auf Basis der CML, die Lehrende und Lernende bei der Planung und Durchführung kooperativer Aktivitäten unterstützen. Die Definition der Sprache ist noch nicht abgeschlossen, ein lauffähiges System zur Interpretation von in CML beschriebenen Lernprozessen ist nicht verfügbar. Die Education Modeling Language EML (Koper 2001) zielt auf die Generierung von virtuellen Lernumgebungen für die Durchführung der in EML beschriebenen kooperativen Lernprozesse. Bei der Entwicklung der EML wurden andere internationale Standardisierungsbemühungen nicht berücksichtigt. Um von diesen Vorarbeiten profitieren zu können, ging EML in IMS Learning Design (IMS LD; Koper et al. 2004) auf. IMS LD beschreibt eine Lernumgebung als Kombination von Aktivitäten, die von Rollen(inhabern) im Kontext einer Umgebung bestehend aus Lernobjekten und Services durchgeführt werden sollen. Für IMS LD liegt inzwischen eine erste Bibliothek zur Integration in eigene Lernplattformen vor (CopperCore 2004), ein ausgereifter Player zur Interpretation von in IMS LD beschriebenen Lernprozesen ist noch nicht verfügbar. 78 4. Vergleich mit verwandten Arbeiten 4.3 Erfüllung der Anforderungen 4.3.1 Individuelles kursbasiertes Lernen Individuelles kursbasiertes Lernen ist bei dokumentbasierten Systemen durch die individuelle Bearbeitung der Dokumente möglich (KOLUMBUS). Konferenzbasierte Systeme sehen individuelle Lernphasen nicht vor. Die beiden vorgestellten Systeme CASTLE und CLARE sind Erweiterungen des konferenzbasierten Ansatzes. Sie zeigen, wie auch individuelles Lernen unterstützt werden kann, indem dieses als Teil des Kooperationsprozesses explizit modelliert wird (CLARE) oder kooperatives Lernen durch die zusätzliche Bereitstellung von Lernmaterialien (für das individuelle Lernen) ergänzt wird (CASTLE). Durch die Persistenz der Lernmaterialien und Kommunikationsbeiträge eignen sich raumbasierte Ansätze gut für das individuelle Lernen (sTeam, CommSy). In der Regel werden in diesen Systemen keine oder nur wenige Informationen über das individuelle Lernen erhoben, weshalb eine Nutzung derartiger Informationen zur Unterstützung der kontextuellen Kooperation nicht möglich ist. Durch die Modellierung des Lernprozesses (CLARE, FITS/CL und Flex-eL) und besonders durch die Überwachung des individuellen Lernens (FITS/CL) kann das Lernen aktiv unterstützt werden. 4.3.2 Spontane Kooperation Dokumentbasierte Systeme erlauben die spontane Kooperation mit anderen Benutzern. In KOLUMBUS vor allem über Annotationen an Dokumenten (oder anderen Annotationen). In raum- und kontextbasierten Systemen wird die spontane Kooperation durch die Anzeige der aktuell im virtuellen Raum anwesenden Benutzer unterstützt (Awareness; Ausnahme: Bei CommSy wird darauf bewusst verzichtet). Das kontextbasierte System CROCODILE erlaubt die spontane Kooperation. Neben der ausgeprägten Awareness über andere Benutzer wird durch die Organisationsmodellierung auch die gezielte Identifikation von Ansprechpartnern ermöglicht. Auch das vorgestellte prozessbasierte System Flex-eL unterstützt die spontane Kooperation durch die Awareness über andere Benutzer. Konferenzbasierte Systeme setzen die Anwesenheit eines Kooperationspartners voraus, da hier nur die synchrone Kooperation unterstützt wird (CASTLE, CLARE). Lernsitzungen in konferenzbasierten Systemen sind in der Regel nicht spontan, sondern werden außerhalb des Systems geplant. Der domänenmodellbasierte Ansatz FITS/CL unterstützt vom System spontan (in Abhängigkeit vom aktuellen Lernprozess) ausgelöste Kooperationen, nicht jedoch vom Benutzer initiierte Kooperationen. Nur in FITS/CL werden Informationen aus vorhergehenden individuellen Lernphasen zur Unterstützung der spontanen Kooperation genutzt. 4.3 Erfüllung der Anforderungen 79 4.3.3 Flexible Übergänge zwischen verschiedenen Lernmodi Sowohl dokument- als auch raumbasierte Systeme ermöglichen den Übergang zwischen individuellem, synchronem kooperativem und asynchronem kooperativen Lernen. Kooperatives Lernen kann erfolgen, wenn zu einer Zeit mehrere Benutzer im System aktiv sind (synchrones kooperatives Lernen) bzw. wenn Lernende auf die Ergebnisse vorher Anwesender Bezug nehmen (asynchrones kooperatives Lernen). Individuelles Lernen kann erfolgen, wenn die Benutzer unabhängig voneinander das System nutzen. Konferenzbasierte Systeme sehen nur die synchrone kooperative Nutzung vor, asynchrones kooperatives Lernen ist nicht möglich. Nur in Kombination mit zusätzlichen Funktionalitäten ist auch individuelles Lernen möglich (CASTLE), wobei von den Benutzern eine engere Integration des individuellen und des kooperativen Lernens gewünscht wird. Mit Hilfe von integrierten Kooperationswerkzeugen unterstützen prozessbasierte Systeme wie Flex-eL die technische Integration der verschiedenen Lernmodi. FITS/CL löst auf Basis der Domänen- und Prozessmodelle kooperative Situationen aus und wählt geeignete Kooperationspartner. Die verschiedenen Lernmodi sind hier sowohl technisch als auch konzeptuell integriert. Die Frage der Eignung des Konzeptes für bestimmte Zielgruppen soll hier nicht betrachtet werden (vgl. Abschnitt 4.2.6). 4.3.4 Intendierte Kooperation Eine für das System nutzbare Beschreibung kooperativer Aufgaben und deren Verankerung im Kurs ist nur im domänenmodellbasierten FITS/CL-Ansatz möglich. In allen Systemen kann eine kooperative Aufgabe z.B. als Textelement beschrieben werden. Mit Ausnahme reiner konferenzbasierter Systeme ist es auch jeweils möglich, diese textuelle Beschreibung an einer bestimmten Stelle im Lernmaterial zu verankern. Diese Beschreibung kann jedoch nicht vom System interpretiert und zur Unterstützung der Kooperation genutzt werden. Insbesondere erlaubt keines der vorgestellten System, verschiedene Aufgabenarten so im Lernmaterial zu verankern, dass ihnen auch jeweils eine spezifische Systemunterstützung (z.B. durch unterschiedliche Kooperationswerkzeuge) zur Bearbeitung der Aufgabe zugeordnet ist. 4.3.5 Unterstützung für die Bildung von Lerngruppen Durch die gemeinsame Sicht auf bestimmte Ressourcen unterstützt eine Reihe von Systemen die Bildung von Lerngruppen indirekt. Dies erfolgt etwa dadurch, dass mehrere Benutzer gemeinsam Zugriff auf bestimmte Dokumente oder Dokumentbereiche haben bzw. erhalten. In KOLUMBUS gibt es darüber hinaus die Möglichkeit, 80 4. Vergleich mit verwandten Arbeiten an Dokumenten bzw. Dokumentteilen gemeinsame Urheberschaft zu besitzen, zu deren Unterstützung ein Abstimmungsprozess innerhalb der Gruppe der Urheber vorgesehen ist. Analog dazu können raum- und kontextbasierte Systeme die Bildung von Lerngruppen durch den gemeinsamen Zugriff auf bestimmte Räume unterstützen. Für dokument-, raum- und kontextbasierte Systeme kann eine Gruppenbildung entweder durch den Lehrenden oder durch die Lernenden erfolgen. Die Bildung von Lerngruppen für konferenzbasierte Systeme erfolgt außerhalb der Konferenz. Hier müssen alle Teilnehmer vorher wissen, welcher Konferenz sie beitreten, oder sie geraten „zufällig“ in eine Konferenz. Flex-eL stellt auf Basis der Informationen über die Lernenden eine Liste von Kooperationsinteressierten für ein bestimmtes Kurselement bzw. für einen bestimmten Standort bereit. Dies kann von den Benutzern als Ausgangsbasis für die eigenverantwortliche Bildung von Lerngruppen benutzt werden. FITS/CL stellt eine wesentlich weitergehende Unterstützung für die Bildung von Lerngruppen zur Verfügung. In diesem Ansatz stellt das System in Abhängigkeit der auslösenden Situation, der Beteiligten etc. eine geeignete Lerngruppe mittels eines KI-basierten Aushandlungssystems zusammen. 4.3.6 Methodische Unterstützung der Lerngruppe Eine methodische Unterstützung für das kooperative Lernen bieten die Systeme CLARE (ein vorgegebener Prozess), CASTLE (mehrere vorgegebene Kooperationswerkzeuge), CROCODILE (vorgegebene und selbstdefinierte Lernprotokolle) sowie eingeschränkt KOLUMBUS (für den Teilprozess der Aushandlung). Durch die Einbindung kooperativer Werkzeuge für bestimmte Kooperationsprozesse kann der kooperative Lernprozess unterstützt werden. Dies gilt für alle erweiterbaren Systeme (siehe nächsten Abschnitt). Für die methodische Unterstützung können spezielle Werkzeuge, die eine Strukturierung des kooperativen Lernprozesses beispielsweise in Phasen und Rollen vorsehen, eingebunden werden. Die Unterstützung für verschiedene Lernformen muss durch den Benutzer dann explizit durch Wechsel der Werkzeuge realisiert werden. Eine weitergehende Unterstützung durch das System setzt voraus, dass eine vom System interpretierbare Beschreibung der kooperativen Aufgabe vorliegt (siehe Anforderung: Intendierte Kooperation). 4.3.7 Offenheit des Systems CLARE, FITS/CL und CROCODILE basieren nicht auf Standards des World Wide Web, sondern weisen proprietäre Schnittstellen auf. Die Wiederverwendung von Materialien kann hier nur durch Kopieren des unformatierten Textes in das jeweilige 4.4 Zusammenfassung 81 System erfolgen. Auch die Integration existierender Werkzeuge, die Entwicklung neuer Werkzeuge und die Kopplung der Lernumgebung mit anderen Systemen sind nur mit großem Aufwand realisierbar. In CROCODILE lassen sich bestimmte Arten kooperativer Lernmethoden durch einen graphischen Editor ohne Programmierkenntnisse als Lernprotokolle aus vorgegebenen Bausteinen kombinieren. Bei webbasierten Systemen ist die Wiederverwendung von Material in der Regel unproblematisch, solange dies im Webbrowser dargestellt werden kann. Bezüglich der Integration existierender bzw. Entwicklung und Integration neuer Werkzeuge sowie der Kopplung mit anderen Systemen kann eine Integration jeweils durch die Kopplung der Komponenten z.B. via HTTP-Schnittstelle realisiert werden. 4.4 Zusammenfassung In diesem Kapitel wurden exemplarische Ansätze aus dem Forschungsgebiet CSCL und daraus resultierende Systeme daraufhin analysiert, inwieweit sie die in Kapitel 3 ermittelten Anforderungen an die Realisierung kontextueller Kooperation in virtuellen Lernumgebungen erfüllen. Tabelle 4.1 fasst die Bewertung der vorgestellten Ansätze/Systeme bezüglich der Anforderungen zusammen. Eine Anforderung, die von einem Ansatz/System erfüllt wird, ist in der Tabelle je nach Grad der Erfüllung mit „(+)“ (=wird teilweise erfüllt), „+“ (=wird erfüllt) oder „++“ (=wird sehr gut erfüllt) gekennzeichnet. Eine Anforderung, die von einem Ansatz/System nicht erfüllt wird, ist mit „-“ gekennzeichnet. Die Tabelle zeigt, dass das individuelle Lernen (A1), die spontane Kooperation (A2) und der flexible Übergang zwischen verschiedenen Lernmodi (A3) durch mehrere Systeme unterstützt werden. Ebenso existieren Systeme, die methodische Unterstützung für die Kooperation bieten (A6) und offen für Erweiterungen sind (A7). Unterstützung für die intendierte Kooperation (A4) wird nur durch FITS/CL geleistet. Allerdings steht die nach dem domänenmodellbasierten Ansatz notwendige Realisierung im Konflikt zur geforderten Offenheit in Bezug auf Schnittstellen, Wiederverwendung von Materialien und Integrationsmöglichkeiten (A7). Das Bilden von Lerngruppen wird von FITS/CL sowie ansatzweise von Flex-eL unterstützt. FITS/CL beruht allerdings auf einem KI-basierten Ansatz mit einer elaborierten Modellierung des Lernmaterials und der Lernenden, weshalb ein damit realisiertes System nur mit hohem Aufwand offen für andere Lernmaterialien oder um neue Werkzeuge erweiterbar ist. Zudem ist bei der vollständig systemgesteuerten Gruppenbildung mit Akzeptanzproblemen zu rechnen. Flex-eL bietet durch Anzeigen einer Liste von Kooperationsinteressierten nur mäßige Unterstützung für das Bilden von Lerngruppen. 82 4. Vergleich mit verwandten Arbeiten Damit erfüllt keines der betrachteten Systeme die für die Realisierung der kontextuellen Kooperation in virtuellen Lernumgebungen ermittelten Anforderungen. Im folgenden Kapitel wird eine Lösung entwickelt, die insbesondere die Unterstützung der intendierten Kooperation und die Unterstützung der Bildung von Lerngruppen in einem offenen System erlaubt (Kapitel 5). Danach wird die exemplarische Umsetzung dieser Lösung in eine die kontextuelle Kooperation realisierende virtuelle Lernumgebung beschrieben (Kapitel 6). Ansatz Dokumentbasiert Konferenzbasiert Raumbasiert Kontextbasiert Domänenmodellbasiert Prozessbasiert System KOLUMBUS CASTLE CLARE Comm -Sy sTeam CROCODILE FITS/CL Flex-eL A1: Individuelles Lernen + + - + + + ++ ++ A2: Spontane Kooperation + - - (+) + + - + A3: Flexible Übergänge zwischen verschiedenen Lernmodi + - - + + + (+) + A4: Intendierte Kooperation - - - - - - ++ - A5: Unterstützung für die Bildung von Lerngruppen (+) - - - - - ++ (+) A6: Methodische Unterstützung der Lerngruppe (+) + + - - + - - A7: Offenheit des Systems + + - + + - - + Tabelle 4.1: Erfüllung der Anforderungen durch die vorgestellten Ansätze bzw. Systeme Kapitel 5 Kontextuelle Kooperation in virtuellen Lernumgebungen In diesem Kapitel werden Konzepte entwickelt, die die Erfüllung der im Kapitel 3 aufgestellten Anforderungen zur Realisierung der kontextuellen Kooperation in virtuellen Lernumgebungen ermöglichen. Dabei werden insbesondere auf die in Kapitel 4 identifizierten Defizite des Standes der Technik, die Erfüllung der beiden Anforderungen A4 (Unterstützung der intendierten Kooperation) und A5 (Unterstützung der Bildung von Lerngruppen) in Kombination mit der Anforderung A7 (Offenheit des Systems), adressiert. Kontextuelle Kooperation in virtuellen Lernumgebungen wurde in Abschnitt 2.5.2 folgendermaßen definiert: „Eine kontextuelle Kooperation in einer virtuellen Lernumgebung bezeichnet eine Kooperation in einer virtuellen Lernumgebung, die vom System auf der Basis des Wissens über ihren Kontext unterstützt wird. [...]“ Um diese angestrebte Unterstützung genauer zu charakterisieren, wird zunächst der Begriff (System-)Unterstützung betrachtet (Abschnitt 5.1). Da die Unterstützung auf der Basis des Wissens über den Kontext der Kooperation erfolgen soll, muss dieser Kontext in einer für die Unterstützung durch das System geeigneten Weise beschrieben werden. Dazu werden die relevanten Parameter zur Beschreibung des Kontextes mit Hilfe einer didaktischen Analyse identifiziert und daraus eine Modellierung kooperativer Episoden abgeleitet (Abschnitt 5.2). Abschnitt 5.3 beschreibt wie aus der Kombination individueller Lernepisoden mit kooperativen Episoden kooperative Kurse modelliert werden können. Aufbauend auf der Modellierung wird dann analysiert, wie die einzelnen Phasen des kooperativen Lernens durch das System unterstützt werden können (Abschnitt 5.4). Die einzelnen Phasen des kooperativen Lernens (Vorbereitung, Durchführung, Nachbereitung) werden vorgestellt und für jede Phase werden die Aufgaben der beteiligten Rollen (Kursautor, Tutor, Lernender) beschrieben. Für jede Phase werden die Erweiterung des Kontextes sowie die Möglichkeiten der Unterstützung der Kooperation 83 84 5. Kontextuelle Kooperation in virtuellen Lernumgebungen durch die virtuelle Lernumgebung auf Basis der vorgestellten Modellierungen kooperativer Episoden und kooperativer Kurse aufgezeigt. Am Beispiel des Übergangs vom individuellem zum kooperativem Lernen durch das Zusammenstellen von Lerngruppen wird die Nutzung der vorgestellten Modellierungen zur Realisierung der kontextuellen Kooperation durch das System detailliert betrachtet (Abschnitt 5.5). Die wichtigsten Ergebnisse des Kapitels werden in Abschnitt 5.6 zusammengefasst. 5.1 Systemunterstützung In Abschnitt 2.4.3 wurde das Spektrum der Systemunterstützung von passiver Unterstützung (im Sinne der Ermöglichung) bis hin zu aktiver Unterstützung skizziert. Während die passive Unterstützung der Kooperation z.B. durch Bereitstellen von Awareness-Informationen über andere Online-Teilnehmer besteht, bezeichnet die aktive Unterstützung das Anleiten und Strukturieren eines Kooperationsprozesses. Aktive Unterstützung basiert auf der Nutzung von dem System bekannten Kontextinformationen, etwa Informationen zur Gruppenzugehörigkeit oder zur intendierten Kooperationsmethode. Ziel dieser Arbeit ist die möglichst aktive Unterstützung der Kooperation. Jermann und Kollegen (2001) beschreiben das Spektrum der Unterstützung für das computerunterstützte kooperative Lernen (CSCL) mit den Begriffen Mirroring, Monitoring und Guiding. Sie stellen fest: „The concept of supporting (as opposed to enabling) peer-to-peer interaction in computer-supported collaborative learning systems is still in its infancy“ (Jermann et al. 2001; Hervorhebung im Original). Die zu entwickelnden Lösungskonzepte sollen innerhalb dieses Spektrums dem Guiding, der aktiven Unterstützung entsprechen. Die Basis für diese aktive Unterstützung ist die Kenntnis des Systems über den Kontext des kooperativen Lernens in der virtuellen Lernumgebung. In Bezug auf die Frage, welche Aspekte die Unterstützung abdecken kann, kann auf McGrath und Hollingshead (1994) zurückgegriffen werden. Sie unterscheiden für das computerunterstützte kooperative Arbeiten (CSCW) vier verschiedene Unterstützungsfunktionen eines CSCW-Systems: ‚ die Unterstützung der Kommunikation mit der Informationsbasis, ‚ die Unterstützung der Kommunikation mit Personen außerhalb der Gruppe, ‚ die Unterstützung der Kommunikation innerhalb der Gruppe sowie ‚ die Unterstützung der Gruppenarbeit. 5.2 Modellierung einer kooperativen Episode 85 Übertragen auf die Kooperation in virtuellen Lernumgebungen ergibt sich für den Lernenden (analog auch für den Tutor) ein Bedarf an Unterstützung für das Suchen von Lernmaterialien, für die Kommunikation mit beliebigen anderen Personen im System, für die Kommunikation innerhalb der Lerngruppe sowie für das gemeinsame Bearbeiten kooperativer Aufgaben. Die letztgenannte Funktion betrifft die Strukturierung der Form, in der Aufgaben der Gruppe präsentiert werden, sowie die Strukturierung der Aufgabenbearbeitung und der Gruppenergebnisse. Der Fokus dieser Arbeit liegt auf der Unterstützung der Gruppenarbeit. Auch auf die Kommunikation mit Personen innerhalb und außerhalb der Gruppe wird eingegangen. 5.2 Modellierung einer kooperativen Episode Wie kann nun eine kooperative Episode (vgl. Abschnitt 2.3.2) innerhalb eines Lernprozesses beschrieben werden? Zur Modellierung werden im Folgenden die relevanten Parameter bestimmt. Dazu werden zwei, sich ergänzende Ansätze zur Gewinnung der Parameter verfolgt: ‚ Über welchen Entscheidungsspielraum verfügt ein Lehrender beim kooperativen Lernen? (Abschnitt 5.2.1) ‚ Welche didaktischen Modelle werden für die kooperative Episode genutzt? (Abschnitt 5.2.2) In Abschnitt 5.2.3 werden die Ergebnisse der beiden Analysen zusammengefasst und ein Modell für kooperative Episoden vorgestellt. Schließlich werden einige Beispiele für Instantiierungen des Modells in Abschnitt 5.2.4 angegeben. 5.2.1 Entscheidungsraum des Lehrenden Eine kooperative Episode in formalen und informellen kooperativen Gruppen (vgl. Abschnitt 2.3.3) wird wesentlich durch Entscheidungen des Lehrenden geprägt. Diese Entscheidungen sind (vgl. Johnson et al. 1991): ‚ das Festlegen des Ziels der Kooperation, ‚ das Festlegen der Gruppengröße, ‚ die Zuordnung der Lernenden zu Gruppen, ‚ das Festlegen und Bereitstellen des benötigten Materials, ‚ das Festlegen der räumlichen Anordnung der Gruppen, ‚ das Erklären der Aufgabenstellung, 86 5. Kontextuelle Kooperation in virtuellen Lernumgebungen ‚ das Erklären der positiven wechselseitigen Abhängigkeit der Lernenden innerhalb ihrer Gruppe, ‚ das Beobachten der Interaktionen, ‚ das Intervenieren, um bei der Aufgabe, bei der Anwendung der Kooperationsmethode oder bei der Anwendung von Sozialkompetenzen zu helfen, ‚ die Evaluation der Lernprozesse sowie ‚ das Sicherstellen der Reflektion des Lernprozesses innerhalb der Gruppe. Diese Auflistung der Aufgaben bzw. Entscheidungen des Lehrenden liefert erste Parameter, die zur Beschreibung kooperativer Episoden relevant sind. Die räumliche Anordnung der Gruppen ist lediglich für das kooperative Lernen vor Ort in einem physikalischen Raum relevant, alle anderen durch die Aufgaben des Lehrenden implizierten Parameter sind für kooperatives Lernen sowohl ohne Computerunterstützung vor Ort, als auch für kooperatives Lernen in virtuellen Lernumgebungen relevant. Die Aufgabe des Lehrenden „Erklären der Aufgabenstellung“ ist mit mehreren Parametern zur Beschreibung der Aufgabe verbunden. Dies kann beispielsweise die zu verwendende Kooperationsmethode, Angaben zur Dauer der Bearbeitung der Aufgabe bzw. zur Dauer einzelner Phasen beinhalten. Im folgenden Abschnitt werden geeignete Aufgabenformen aus einem Katalog didaktischer Modelle identifiziert. 5.2.2 Göttinger Katalog didaktischer Modelle Im „Göttinger Katalog didaktischer Modelle (GKDM)“ (Flechsig 1996) werden alle bekannten Formen organisierten Lehrens und Lernens beschrieben und in 20 Modelle geordnet. Diese Modelle werden in diesem Abschnitt auf ihre Relevanz in Bezug auf ihre Eignung für kooperative Episoden überprüft. Ergebnis dieses Abschnittes ist eine Liste der relevanten Modelle, die in den folgenden Abschnitten weiter verarbeitet wird, um zu den relevanten Parametern für die Modellierung kooperativer Episoden zu gelangen. Es folgte eine kurze Beschreibung der 20 im GKDM enthaltenen Grundformen didaktischen Handelns (alphabetisch geordnet; vgl. Flechsig 1996): ‚ Beim Arbeitsunterricht bearbeiten die Lernenden individuell oder in kleinen Gruppen meist schriftlich formulierte Aufgaben. Angestrebt ist, handwerkliche, intellektuelle und soziale Aspekte zu integrieren, um Kenntnisse und Fertigkeiten zu üben und anzuwenden. 5.2 Modellierung einer kooperativen Episode 87 ‚ Bei der Disputation eignen sich Lerner in öffentlicher und geordneter Rede und Gegenrede vor allem Argumentations- und Urteilsfähigkeit an. ‚ Bei der Erkundung beobachten die Lernenden in natürlichen Umwelten oder Institutionen mit dem Ziel, Zusammenhänge zu erfassen und Standpunkte herauszubilden. ‚ Bei der Fallmethode bearbeiten Lerner einzeln oder in Gruppen in Akten rekonstruierte Praxisfälle, um sich Wissen über die betreffende Praxis anzueignen und ihre Urteils- und Entscheidungsfähigkeit auszubilden. ‚ Bei der Famulatur helfen jüngere Praktiker einem „Meister“ ihres Faches, um seltenes oder spezielles Wissen zu erwerben. ‚ Der Fernunterricht besteht darin, dass Lernende sich überwiegend theoretisches Wissen durch das Bearbeiten schriftlicher Lernmaterialien und schriftlicher Aufgaben aneignen. ‚ Beim Frontalunterricht soll durch das lehrergesteuerte Gespräch in Kombination mit Anschauungsmitteln fachspezifisches Orientierungswissen vermittelt werden. ‚ Beim Individualisierten Programmierten Unterricht bearbeiten die Lernenden in kleinen Schritten selbständig programmierte Lehrtexte und erwerben genau definierte Kenntnisse oder Fertigkeiten. ‚ Am Individuellen Lernplatz erarbeiten sich die Lernenden selbständig mit Hilfe von aufbereiteten Texten und audiovisuellen Medien Begriffs- und Faktenwissen im Kontext einer vorher erarbeiteten Fragestellung. ‚ Beim Kleingruppen-Lerngespräch eignen sich Lerner durch strukturierten Informations- und Meinungsaustausch vorwiegend Wissen über persönliche Erfahrungen, Bewertungen und Einstellung an. ‚ Bei der Lernausstellung wird durch das angeleitete Betrachten und Handhaben von Objekten an offenen Lernorten (z.B. Museum) Wissen angeeignet. ‚ Beim Lerndialog führen Lerner mit anderen Personen ausführliche und geordnete Zwiegespräche, um Erkenntnisse über sich selbst und ihre Beziehungen zur Umwelt zu erlangen. ‚ Im Lernkabinett erarbeiten sich die Lernenden in speziell aufbereiteten Lernumwelten durch reale Tätigkeit theoretisches und praktisches Wissen. 88 5. Kontextuelle Kooperation in virtuellen Lernumgebungen ‚ Bei der Lernkonferenz treffen sich die Lernenden für einen oder mehrere Tage, um sich gegenseitig Deutungs- oder Problemlösungswissen zu vermitteln. ‚ Beim Lernnetzwerk erzeugen Lerner neues Wissen, insbesondere über innovative Praxisbereiche, und vermitteln es sich wechselseitig mit Hilfe von zumeist schriftlichen Mitteilungen. ‚ Beim Lernprojekt wirken die Lernenden an innovativer Praxis mit, um die Anwendung von Wissen zu erlernen. ‚ Bei der Simulation übernehmen Lerner - oft spielerisch - Rollen und/oder betätigen sich in simulierten Umwelten, um vor allem Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit in lebensnahen, jedoch entlasteten Situationen zu entwickeln und zu trainieren. ‚ Beim Tutorium eignen sich Lernende Wissen an und vermitteln es anderen Lernenden, die sich im Wesentlichen auf dem gleichen Wissensniveau befinden. ‚ Bei der Vorlesung eignen sich die Lernenden als Zuhörer bei Vorträgen Wissen und Wertvorstellungen an. ‚ Das Werkstattseminar steht für eine meist mehrtägige Kompaktveranstaltung, in der sich Praktiker, Theoretiker oder Künstler Wissen erarbeiten oder vermitteln. Um die für diese Arbeit relevanten Modelle auszuwählen, werden folgende Kriterien angelegt: ‚ Kriterium 1: Ist es möglich, dieses Modell in einer virtuellen Lernumgebung zu realisieren? ‚ Kriterium 2: Beinhaltet dieses Modell kooperative Anteile? ‚ Kriterium 3: Ist dieses Modell nicht durch ein vorhandenes Werkzeug unmittelbar realisierbar? Relevant sind also nur diejenigen didaktischen Modelle, die kooperatives Lernen beinhalten, sich in einer virtuellen Lernumgebung realisieren lassen und über existierende Werkzeuge hinausgehende Anforderungen stellen. Die Modelle Famulatur, Lernkonferenz, Lernprojekt und Werkstattseminar sind an die Zusammenarbeit mit Experten oder anderen Lernenden vor Ort gebunden und erfolgen über einen längeren Zeitraum hinweg. Aufgrund ihres Bezugs zur Kooperation 5.2 Modellierung einer kooperativen Episode 89 vor Ort lassen sich diese Modelle nicht geeignet in einer virtuellen Lernumgebung realisieren. Sie verletzen Kriterium 1 und werden daher im Folgenden nicht weiter betrachtet. Die Modelle Arbeitsunterricht, Erkundung, Lernausstellung und Lernkabinett setzen die (gemeinsame) Nutzung realer Gegenstände voraus. Eine gemeinsame Nutzung realer Gegenstände lässt sich beim aktuellen Stand der Technik in virtuellen Lernumgebungen nicht mit vertretbarem Aufwand realisieren. Diese Modelle verletzen Kriterium 1 und werden daher im Folgenden nicht weiter betrachtet. Die Modelle Fernunterricht, Individueller Programmierter Unterricht, Individueller Lernplatz, Lernausstellung und Tutorium bezeichnen individuelles Lernen bzw. tutoriell betreutes individuelles Lernen. Sie verletzen Kriterium 2 und sind somit für die weitere Betrachtung nicht relevant. Die Modelle Frontalunterricht und Vorlesung realisieren zwar gemeinsames Lernen, sind aber keine kooperativen Lernformen, da hier im Wesentlichen die Vermittlung von Lerninhalten durch den Lehrenden erfolgt. Sie verletzen Kriterium 2 und werden daher nicht weiter betrachtet. Auch sollen an dieser Stelle die Modelle unberücksichtigt bleiben, die durch existierende Werkzeuge einfach realisiert werden können (Kriterium 3). Durch kooperative Navigation (beispielsweise kooperative Webbrowser) können die Modelle Erkundung und Lernausstellung umgesetzt werden. Damit bleiben als im Rahmen dieser Arbeit interessante didaktische Grundmodelle folgende Modelle übrig: Disputation, Fallmethode, Kleingruppen-Lerngespräch, Lerndialog, Lernnetzwerk und Simulation. Tabelle 5.2 fasst die Auswahl der didaktischen Modelle zusammen. Dabei bezeichnet ein „+“, dass ein Kriterium erfüllt wird, ein „-“ dass ein Kriterium nicht erfüllt wird. Erfüllt ein Modell ein Kriterium nicht, so erübrigt sich die Betrachtung der anderen Kriterien für dieses Modell, da alle drei Kriterien erfüllt sein müssen, um ein Modell als relevant zu bestimmen. Folgende didaktische Modelle wurden als relevant identifiziert: Disputation, Fallmethode, Kleingruppen-Lerngespräch, Lerndialog, Lernnetzwerk und Simulation. Im Folgenden werden Parameter zur Beschreibung dieser Formen ermittelt. Zu jedem Parameter stehen in Klammern Fragmente aus der Beschreibung, die auf diesen Parameter hinweisen. 90 5. Kontextuelle Kooperation in virtuellen Lernumgebungen Didaktisches Modell Kriterium 2: Kooperatives Lernen? Kriterium 3: Nicht durch Standardwerkzeuge unmittelbar realisierbar? Arbeitsunterricht Kriterium 1: In einer virtuellen Lernumgebung realisierbar? - Disputation + + + Erkundung - Fallmethode + Famulatur - + Fernunterricht - Frontalunterricht - Individualisierter Programmierter Unterricht Individueller Lernplatz - + - Kleingruppen-Lerngespräch Lernausstellung + + - - Lerndialog + + + Lernkabinett - Lernkonferenz - Lernnetzwerk + + + Lernprojekt - Simulation + + + Tutorium - Vorlesung - Werkstattseminar + Tabelle 5.2: Auswahl der didaktischen Modelle ‚ Disputation: Gruppe (öffentliche Rede), Strukturierung (Rede und Gegenrede, geordnete Rede), Ziel (Argumentations- und Urteilsfähigkeit). ‚ Fallmethode: Lernmaterialien (Praxisfälle), Gruppen (einzeln oder in Gruppen), Ziel (Wissen über die betreffende Praxis aneignen, Urteils- und Entscheidungsfähigkeit ausbilden). 5.2 Modellierung einer kooperativen Episode 91 ‚ Kleingruppen-Lerngespräch: Strukturierung (strukturierter Informations- und Meinungsaustausch), Lernmaterial (persönliche Erfahrungen, Bewertungen und Einstellung). ‚ Lerndialog: Gruppe (Zwiegespräche), Strukturierung (geordnetes Gespräch), Ziel (Erkenntnisse über sich selbst und die Beziehungen zur Umwelt). ‚ Lernnetzwerk: Ziel (neues Wissen), Strukturierung (gegenseitiges Vermitteln). ‚ Simulation: Strukturierung (Rollen), Ziel (Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit in lebensnahen, jedoch entlasteten Situationen zu entwickeln und zu trainieren). Damit sind folgende Parameter zur Beschreibung eines für virtuelle Lernumgebungen geeigneten kooperativen didaktischen Modells identifiziert: ‚ Kooperationstyp: Name des didaktischen Modells ‚ Gruppe: Größe der Gruppe (minimale und maximale Anzahl von Lernenden in einer Gruppe), Anforderungen an die Mitglieder (Praktiker), Anforderungen an die Gruppenzusammensetzung (Meister und jüngerer Praktiker) ‚ Kooperative Lernmethode (auch Strukturierung oder Rollenverteilung), die von der Gruppe benutzt wird. Dazu können so genannte Lernprotokolle (Wessner et al. 1999), die auf den Ansätzen der scripted cooperation (Dansereau 1988) basieren, eingesetzt werden. ‚ Ziel: Ziel der kooperativen Episode ‚ (Eingangs-)Materialien: Daten, Hintergrundmaterial ‚ Ergebnis: Protokoll (schriftliche Mitteilungen) 5.2.3 Modellierung einer kooperativen Episode Die in den vorangehenden Abschnitten identifizierten Parameter zur Beschreibung kooperativer Episoden sind: ‚ Kooperationsform/didaktisches Modell ‚ Ziel ‚ Angaben zur Gruppe ‚ Verfahren zur Zuordnung von Lernenden zu Gruppen ‚ Eingangsmaterial 92 5. Kontextuelle Kooperation in virtuellen Lernumgebungen ‚ Instruktionen/Anleitung ‚ Verfahren zur Evaluation ‚ Strukturierung der Kooperation Weitere Parameter werden nicht explizit erwähnt, können aber aus dem Bisherigen abgeleitet werden. Diese sind: ‚ Label: Bezeichnung für die Aufgabe. ‚ Zeit: empfohlene Mindest- und Maximaldauer für die Gruppenarbeit an dieser Aufgabe. ‚ Synchronizität: Angabe, ob die Ausführung synchron oder asynchron erfolgen soll. ‚ Werkzeug/Medium: Dies ist in den obigen Modellen entweder die direkte (u.a. über Sprache, Mimik, Gestik) oder die schriftliche Kommunikation. Angabe der Kommunikations-/Kooperationswerkzeuge, die von der Gruppe benutzt werden sollen. ‚ Tutor: Angabe, ob ein Lehrender/Tutor als Mitglied der Gruppe notwendig, erlaubt oder nicht erlaubt ist. ‚ Beobachter: Angabe, ob Beobachter als (passive) Mitglieder der Gruppe notwendig, erlaubt oder nicht erlaubt sind. ‚ Instruktionen: Anweisungen zur Durchführung der Aufgabe. Eine kooperative Episode kann nun folgendermaßen beschrieben werden: (Die Darstellung der Modellierung erfolgt in Pseudo-Notation, um die Lesbarkeit zu gewährleisten und die Implementierung nicht zu beeinträchtigen.) Allgemein/General Label: <text> Kooperationsziel: <text> Kooperationstyp: {BRAINSTORM, PROCONTRA, DISCUSSION, …} Bevorzugtes Werkzeug: <toolname> Bevorzugte Synchronizität: {SYNCHRONOUS, ASYNCHRONOUS} Lerngruppe/Group Beobachter: {NOT ALLOWED, ALLOWED, REQUIRED} Tutor: {NOT ALLOWED, ALLOWED, REQUIRED} 5.2 Modellierung einer kooperativen Episode 93 Gruppengröße: Minimal: <integer> Maximal: <integer> Gruppenbildung: <formation method> Ausführung/Execution Instruktionen: <text> Lernprotokoll: <script name> Dauer: Minimal : <time> Maximal : <time> Evaluation: {NONE, BY LEARNER, BY GROUP, INDIVIDUALLY BY TUTOR, GROUP BY TUTOR} Datenfluss/Dataflow Input-Material: Daten zur Aufgabe: <data> Hintergrundmaterial: <text> Die Beschreibung der Aufgabe gliedert sich in die vier Bereiche Allgemein, Lerngruppe, Ausführung und Datenfluss: ‚ Der Bereich Allgemein/General umfasst alle Attribute, die die kooperative Aktivität im Allgemeinen beschreiben und betreffen, wie die Bezeichnung, das Ziel, den Typ der kooperativen Aktivität (Diskussion, Brainstorming, etc.) und Angaben zu vorgesehenen Werkzeugen und der Synchronizität, also ob synchrone oder asynchrone Kooperation bevorzugt wird. Eine kooperative Aktivität kann mit Hilfe verschiedener Werkzeuge durchgeführt werden. Beispielsweise bezeichnet ein IPoC "Gruppendiskussion" eine Aktivität, die an einer bestimmten Stelle im Kurs von spezifischen Teilnehmern zu einem bestimmten Thema durchgeführt werden soll. Die tatsächliche Diskussion kann nun etwa als Chat oder Audiokonferenz realisiert werden. ‚ Die Attribute im Bereich Lerngruppe/Group beschreiben die Größe und Zusammensetzung der für die Durchführung dieser Aktivität vorgesehenen Lerngruppe. Es werden eine untere und eine obere Grenze für die Teilnehmerzahl angegeben und festgelegt, ob der Tutor und ob Beobachter bei dieser Aktivität zwingend, möglich oder nicht zulässig sind. Die Verfahren zur Gruppenbildung werden in Abschnitt 5.5 weiter detailliert. ‚ Im Bereich Ausführung/Execution sind alle Attribute enthalten, die die Ausführung der kooperativen Aktivität betreffen, wie z.B. Instruktionen, Empfehlungen für die 94 5. Kontextuelle Kooperation in virtuellen Lernumgebungen Dauer der Kooperation, Strukturierungen für den Kooperationsprozess in Form von Lernprotokollen sowie die Evaluationsmethode. ‚ Attribute, die in die Aktivität einfließende (Input) Daten beschreiben, sind im Bereich Datenfluss/Dataflow gruppiert. Die Input-Daten umfassen primäre Daten (z.B. Assoziationsanker für ein Brainstorming) und Hintergrundinformationen für diese Aktivität (z.B. ein Einführungstext). 5.2.4 Beispiele: Instantiierungen der Modellierung kooperativer Episoden Aufgrund der Ableitung der Modellierung kooperativer Episoden aus dem Katalog der didaktischen Modelle (vgl. vorhergehende Abschnitte 5.2.2 und 5.2.3) sind alle (bekannten) relevanten Aufgabenformen (vgl. zur Auswahl Abschnitt 5.2.2) durch die vorgeschlagene Modellierung erfassbar. Im Folgenden werden exemplarisch drei Typen kooperativer Aktivitäten vorgestellt und gemäß des oben vorgestellten Modells beschrieben. Es handelt sich um je ein Beispiel für Antwort an den Tutor, Brainstorming und Pro-Kontra-Gespräch. Für jede dieser kooperativen Aktivitätstypen werden die didaktische Zielstellung, die Beschreibung gemäß Modell sowie die Phasen der Durchführung skizziert. Antwort an den Tutor Bei dem Typ Antwort an den Tutor handelt es sich um eine Kooperation zwischen einem Lernenden und einem Tutor und damit um eine eher untypische Aktivität im engeren Sinne des kooperativen Lernens. An einer bestimmten Stelle im Kurs wird dem Lernenden eine bestimmte Frage gestellt oder er wird aufgefordert eine bestimmte Aufgabenstellung zu bearbeiten und danach die Antwort bzw. das Ergebnis der Aufgabenbearbeitung zu dem entsprechenden Tutor dieses Kurses zu senden. Das didaktische Ziel ist, das Wissen des Lernenden in Bezug auf diese Frage bzw. Aufgabe zu überprüfen. Aus Sicht des Lernenden wird nach dem Starten der kooperativen Episode ein Dialogfenster geöffnet, in dem die Frage bzw. Aufgabenstellung angezeigt wird. Der Lernende gibt seine Antwort ein und sendet sie zum Tutor. Basierend auf den Informationen in den Lerner- und Klassenmodellen identifiziert die CSCL Umgebung einen geeigneten Tutor und sendet diese Antwort mit weiteren Informationen zum Kurs, zur Klasse und einer Kurzbezeichnung der Frage angereichert an den Tutor. Eine beispielhafte kooperative Episode vom Typ Antwort an Tutor: Allgemein/General Label: Frage283 Kooperationsziel: „Kenntnis der Einflussfaktoren der Preisbildung“ Kooperationstyp: Answer-to-tutor 5.2 Modellierung einer kooperativen Episode 95 Bevorzugtes Werkzeug: AnswerToTutor-Werkzeug Bevorzugte Synchronizität: ASYNCHRONOUS Lerngruppe/Group Beobachter: NOT ALLOWED Tutor: REQUIRED Gruppengröße: Minimal: 2 Maximal: 2 Gruppenbildung: <formation method> (siehe Abschnitt 5.5) Ausführung/Execution Instruktionen: „Überlegen Sie zunächst ...“ Lernprotokoll: Dauer: Minimal : 10 min Maximal : 30 min Evaluation: INDIVIDUALLY BY TUTOR Datenfluss/Dataflow Input-Material: Daten zur Aufgabe: „Nennen Sie die Einflussfaktoren auf die Preisbildung“Hintergrundmaterial: „Entwicklung des Marktes für Klingeltöne in Europa“ Brainstorming Ziel des Brainstorming ist es, themenrelevantes Wissen der Lernenden in einer Gruppe zu sammeln, zu aktivieren und in der Gruppe zu teilen. Als ein Ergebnis haben die Lerner ihr relevantes Wissen aktiviert und haben einen Überblick über das relevante Wissen der Mitlerner. Das Brainstorming kann vom Kursautor z.B. eingesetzt werden, um Lernenden die Wissensaufnahme zu erleichtern, indem vorhandenes Vorwissen aktiviert und als individuelle Ankerpunkte bereitgestellt wird. Ein anderer Einsatzzweck ist das Erhöhen der Übertragbarkeit von Wissen, indem verschiedene Perspektiven in den Lernprozess einbezogen werden: Durch das Brainstorming in einer Gruppe lernt jeder einzelne Teilnehmer im Allgemeinen ein Problem oder einen Sachverhalt aus für ihn jeweils neuen Blickwinkeln zu betrachten. Zur Adressierung der bekannten Probleme des Brainstorming, die in der wechselseitigen kognitiven Behinderung und im festen sozialen Gefüge der Gruppe begründet sind (Diehl & Stroebe 1987), wurde ein drei-phasiges Brainstorming entwickelt: In der ersten Phase produziert jeder Lernende individuell Ideen angeregt durch eine Reihe von vom Kursautor vorgegebenen Schlüsselwörtern. In der zweiten Phase assoziieren alle Lernenden kooperativ, zusätzlich durch die Ergebnisse der ersten Phase sti- 96 5. Kontextuelle Kooperation in virtuellen Lernumgebungen muliert. In der letzten Phase werden alle bislang erzeugten Ideen gemeinsam geordnet und konsolidiert. In den kooperativen Phasen sind die Ideen nicht einzelnen Lernenden zugeordnet, sondern der Gruppe. In der dritten Phase stellt das System einen synchronen Kommunikationskanal zur Diskussion und Koordination der kooperativen Konsolidierung der erzeugten Ideen bereit. Für jede Phase ist ein Zeitlimit angegeben. Jeder Lernende kann die aktuelle Phase aber auch vorzeitig beenden. Das System synchronisiert alle Teilnehmer in der nächsten Phase entweder nach Erreichen der Zeitgrenze einer Phase oder nachdem alle Lernenden die aktuelle Phase beendet haben. Ein Beispiel für eine Episode vom Typ Brainstorming: Allgemein/General Label: BS_Lösungsansätze Kooperationsziel: „Sammeln von Lösungsansätzen für ...“ Kooperationstyp: BRAINSTORM Bevorzugtes Werkzeug: Brainstorming-Werkzeug Bevorzugte Synchronizität: SYNCHRONOUS Lerngruppe/Group Beobachter: ALLOWED Tutor: ALLOWED Gruppengröße: Minimal: 3 Maximal: 5 Gruppenbildung: <formation method> (siehe Abschnitt 5.5) Ausführung/Execution Instruktionen: „Denken Sie an die Regeln für Brainstorming“ Lernprotokoll: Guided-Brainstorming Dauer: Minimal : 15 min Maximal : 45 min Pro Phase: 15 min Evaluation: BY GROUP Datenfluss/Dataflow Input-Material: Daten zur Aufgabe: „Startidee: Regenerative Energie“ Hintergrundmaterial: - 5.2 Modellierung einer kooperativen Episode 97 Pro-Kontra-Gespräch Beim Pro-Kontra-Gespräch diskutieren zwei Teilnehmer ein strittiges Thema. Jeder Teilnehmer übernimmt entweder die Pro-Rolle und äußert Argumente, die eine bestimmte Position stützen, oder die Kontra-Rolle und äußert Argumente, die die erste Position schwächen. Zusätzlich können weitere Lernende als Zuschauer fungieren und den Disput kommentieren. Das didaktische Ziel des Pro-KontraGesprächs ist es, eine tiefere Verarbeitung durch das Betrachten eines Themas aus unterschiedlichen Perspektiven zu erreichen. Ein spezifisches Lernprotokoll kann zur Strukturierung des Pro-Kontra-Gesprächs eingesetzt werden, um z.B. die Rollen zuzuweisen (Pro, Kontra, Beobachter) und den Diskurs zu steuern (per floor control, durch Beschränkung der von den Teilnehmern zu äußernden Beitragstypen, etc.). Ein Beispiel für eine Pro/Kontra-Episode: Allgemein/General Label: Pro-Con-001 Kooperationsziel: „Positionen zu ... kennenlernen“ Kooperationstyp: PROCONTRA Bevorzugtes Werkzeug: Pro/Con-Werkzeug Bevorzugte Synchronizität: SYNCHRONOUS Lerngruppe/Group Beobachter: NOT ALLOWED Tutor: NOT ALLOWED Gruppengröße: Minimal: 2 Maximal: 2 Gruppenbildung: <formation method> (siehe Abschnitt 5.5) Ausführung/Execution Instruktionen: Lernprotokoll: Pro-Con-alternating Dauer: Minimal : 30 min Maximal : 40 min Evaluation: NONE Datenfluss/Dataflow Input-Material: Daten zur Aufgabe: „Material-Pro“, „Material-Contra“ Hintergrundmaterial: „Einführungstext“ 98 5. Kontextuelle Kooperation in virtuellen Lernumgebungen 5.2.5 Lebenszyklus einer kooperativen Episode Während bei der Formulierung einer kooperativen Episode durch den Kursautor erst wenige Parameter festliegen, werden im Zuge der Bearbeitung und des Beendens der Episode weitere Parameter bestimmt. Tabelle 5.3 stellt einen Lebenszyklus einer kooperativen Episode aus acht Stufen vor. Hier wächst die Menge der Informationen von Stufe zu Stufen: Auf Stufe 1 wird eine kooperative Episode losgelöst von einem Kontext definiert. In Stufe 2 ist die Episode in einen Kurs integriert. Auf Stufe 3 gehört die Episode zu einem bestimmten Kurs und einer bestimmten Klasse. Sobald der Lernende die Episode erreicht und in seine Aufgabenliste aufgenommen hat (Stufe 4), kommen weitere Informationen wie der Zeitpunkt des Erreichens der Episode hinzu. Wird die Episode einer Gruppe zugeordnet bzw. für die Durchführung der Episode eine konkrete Gruppe gebildet (Stufe 5), sind die Informationen über die Gruppenmitglieder bekannt. Auf Stufe 6, bei der Bearbeitung fallen weitere Informationen wie Zwischenergebnisse oder Kooperationszustände an. Nach Beenden der Episodenbearbeitung (Stufe 7) liegt ein Ergebnis vor. Optional kommt in Stufe 8 noch eine Rückmeldung des Tutors hinzu. Stufe 1 2 3 4 5 6 7 8 Informationen zur Charakterisierung der kooperativen Episode Aufgabenstellung Einordnung der Aufgabenstellung in einen Kurs 7 Aufgabenstellung zugehörig zu einer Klasse 8 Personalisierte Aufgabenstellung (z.B. Wann hat der Lernende die Aufgabe erhalten?) Instantiierte Aufgabenstellung (Es gibt eine definierte Menge von Lernenden und Tutoren) Kooperative Episode während der Durchführung (Die Aufgabe wird in der Gruppe bearbeitet) Abgeschlossene kooperative Episode (Die Aufgabenbearbeitung in der Gruppe ist beendet) Abgeschlossene Episode mit Rückmeldung des Tutors Tabelle 5.3: Zunehmende Information im Laufe des Lebens einer kooperativen Episode 7 Kurs bezeichnet hier zum Beispiel ein Lehrbuch, ein web-basiertes Training oder die Menge des in einem Fach in einer bestimmten Zeitdauer vermittelten Lernstoffes. 5.2 Modellierung einer kooperativen Episode 99 Das im Laufe des Lebens einer kooperativen Episode zunehmende Wissen über die Episode stellt den sich erweiternden Kontext der Kooperation dar. Diese Erweiterung geht mit einem zunehmenden Potenzial zur Unterstützung der Kooperation einher. Diese Informationen können in einem gegenüber dem oben vorgestellten Modell kooperativer Episoden um die entsprechenden Kontextinformationen erweiterten Modell erfasst werden (die neu hinzu gekommenen Elemente sind fett gedruckt): Allgemein/General Label: <text> Kooperationsziel: <text> Kooperationstyp: {BRAINSTORM, PROCONTRA, DISCUSSION, …} Bevorzugtes Werkzeug: <toolname> Bevorzugte Synchronizität: {SYNCHRONOUS, ASYNCHRONOUS} Klasse: <class id> Kurs: <course id> Erreicht: <time> Lerngruppe/Group Beobachter: {NOT ALLOWED, ALLOWED, REQUIRED} Tutor: {NOT ALLOWED, ALLOWED, REQUIRED} Gruppengröße: Minimal: <integer> Maximal: <integer> Gruppenbildung: <formation method> Gruppenmitglieder: <list of names> Ausführung/Execution Instruktionen: <text> Lernprotokoll: <script name> Dauer: Minimal : <time> Maximal : <time> Start: <time> Ende: <time> Evaluation: {NONE, BY LEARNER, BY GROUP, INDIVIDUALLY BY TUTOR, GROUP BY TUTOR} 8 Klasse steht für eine Menge von Lernenden und Tutoren, die in irgendeiner Art zusammen einen Kurs bearbeiten. Alternative Bezeichnungen: Lehrgang, Kurs. 100 5. Kontextuelle Kooperation in virtuellen Lernumgebungen Datenfluss/Dataflow Input-Material: Daten zur Aufgabe: <data> Hintergrundmaterial: <text> Output-Material: (Zwischen-)Ergebnis: <data> Feedback: <data> 5.3 Modellierung kooperativer Kurse 5.3.1 Points of Cooperation (PoC) In den vorhergehenden Abschnitten wurde die Modellierung einer kooperativen Episode entwickelt. Da in Abschnitt 2.1.1 die Kombination von Phasen individuellen und kooperativen Lernens eine Voraussetzung für effektive und motivierende Lernprozesse gefordert wurde, soll nun diese Kombination betrachtet werden. Um diese Kombination zu erreichen, gibt es prinzipiell zwei Möglichkeiten: ‚ Wird kooperatives Lernen als Ausgangspunkt eines Lernprozesses genommen, gilt es Phasen des individuellen Lernens in kooperatives Lernen einzubetten. ‚ Nimmt man individuelles Lernen als Ausgangspunkt des Lernprozesses, so müssen Phasen des kooperativen Lernens in das individuelle Lernen integriert werden. Wie in Kapitel 2 dargestellt, ist individuelles Lernen gegenwärtig die gängige Form des Lernens in virtuellen Lernumgebungen. Existierende webbasierte Kurse sind auf den einzelnen Lernenden ausgerichtet und sehen keine kooperativen Aufgaben vor. Um diese Kurse einfach wieder verwenden zu können und den Lernenden zunächst die ihnen vertraute Lernform zu bieten, soll hier die zweite Möglichkeit, die Integration kooperativer Phasen in individuelle Lernprozesse, weiterverfolgt werden. Die Art der Integration ist davon abhängig, wie stark eine kooperative Phase mit dem Rest des Kurses verbunden ist (siehe auch Wessner & Pfister 2000). Der Grad der Verankerung soll als Kontextualität einer kooperativen Episode bezeichnet werden. Eine niedrige Kontextualität bedeutet, dass eine kooperative Episode z.B. hinsichtlich der Durchführungszeit, der Teilnehmer, des Gegenstands und Ziels wenig festgelegt ist, dass eine Verankerung in einem Kurs nicht notwendig ist. Eine hohe Kontextualität bedeutet, dass eine kooperative Episode ein notwendiger und didaktisch begründeter Bestandteil des Lernprozesses ist und eng in einem Kurs verankert ist. 5.3 Modellierung kooperativer Kurse 101 Definition: Point of Cooperation (PoC) Ein Point of Cooperation (PoC) bezeichnet die Einbindung einer kooperativen Episode in einem bestimmten Lernkontext. Aus Sicht eines Kursautors bezeichnet ein PoC einen logischen Ort z.B. innerhalb der Struktur eines Kurses, der durch eine bestimmte kooperative Episode definiert ist. Wir unterscheiden qualitativ drei Typen kooperativer Episoden im Hinblick auf ihre Kontextualität. ‚ Generische Kooperation ‚ Spontane Kooperation ‚ Intendierte Kooperation Definition: Generische Kooperation, GPoC Eine kooperative Aktivität ist eine generische Kooperation, wenn sie nicht in dem Kurs, den der Lernende gerade bearbeitet, eingebunden ist. Eine virtuelle Lernumgebung kann ein weites Spektrum von Kooperationsmöglichkeiten anbieten, die zur Kooperation mit anderen Systemnutzern benutzt werden können. Beispielsweise bietet ein Mail- oder News-Werkzeug die Möglichkeit mit nahezu beliebigen Personen zu kommunizieren. Wir nennen ein Element der virtuellen Lernumgebung, das die Funktionalität zur Initiierung einer generischen Kooperation bietet Generic Point of Cooperation (GPoC). Je nach technischer Umsetzung kann dabei ein GPoC nach Auswahl eines Kooperationspartners angeboten werden ("starte Audiokonferenz mit", "schicke E-Mail an") oder der Benutzer wählt zunächst ein spezielles Kooperationswerkzeug aus ("Newsgroup", "Application Sharing") und wählt erst dann einen oder mehrere Kooperationspartner. Definition: Spontane Kooperation, SPoC Eine kooperative Aktivität ist eine spontane kursbezogene Kooperation (kurz: spontane Kooperation), wenn sie zwar an einen bestimmten Kurs, nicht jedoch an ein spezifisches Element dieses Kurses gebunden ist. Ein Element der Lernumgebung, das Funktionalität zur Initiierung spontaner Kooperation bietet, nennen wir Spontaneous Point of Cooperation (SPoC). SPoCs werden für kooperative Aktivitäten genutzt, die nicht auf genau ein Inhaltselement des Kurses gebunden sind, aber einen Bezug zum Kurs als Ganzes haben. Beispiele sind, einen Tutor dieses Kurses um Hilfe zu bitten oder einen anderen Lernenden aus diesem Kurs zu kontaktieren, um 102 5. Kontextuelle Kooperation in virtuellen Lernumgebungen ein Problem mit dem Kurs zu erörtern. Im Vergleich zu GPoCs wird zur Unterstützung von SPoCs ein gewisses Maß an Kontextinformation benötigt. Beispielsweise ist es für die Ausführung eines SPoC “schicke Nachricht an den Tutor” oder “kontaktiere einen anderen Lernenden dieses Kurses”) notwendig, dass das System über organisatorische Informationen verfügt, um passende Tutoren bzw. andere Lernende zu identifizieren. Definition: Intendierte Kooperation, IPoC Eine kooperative Aktivität ist eine intendierte kursbezogene Kooperation (kurz: intendierte Kooperation), wenn sie aus logischen und didaktischen Überlegungen heraus fest an einer speziellen Position im Kurs verankert ist. Eine Komponente der Lernumgebung, die die Funktionalität zur Initiierung einer intendierten Kooperation bietet, nennen wir Intended Point of Cooperation (IPoC). IPoCs sind mit anderen Elementen eines Kurses durch bestimmte Relationen verbunden. Beispielsweise kann ein IPoC erfordern, dass als Voraussetzung für seine Durchführung ein anderer Teil des Kurses bereits bearbeitet wurde, oder es kann ausgedrückt werden, dass ein IPoC bearbeitet sein muss, ehe der Lernende mit dem nächsten Teil des Kurses fortfahren kann. Mit Hilfe eines IPoC kann ein Kursautor definieren, wann, d.h. an welcher Stelle in der Kursstruktur, welche kooperative Aktivität durchgeführt werden soll. Ein IPoC ist dabei ein Element innerhalb eines Kurses, das durch verschiedene Werkzeuge umgesetzt werden kann. Beispielweise bezeichnet ein IPoC “Gruppendiskussion” eine Aktivität, die an einer bestimmten Stelle eines Kurses mit bestimmten Teilnehmern zu einem bestimmten Thema durchgeführt werden soll. Die tatsächliche Durchführung kann mit Hilfe eines Chat-Werkzeuges, eines Audio-/Videokonferenz-Werkzeuges oder eines anderen Kommunikationswerkzeuges erfolgen. Aus Sicht der Werkzeuge kann eine bestimmte Strukturierung, etwa durch ein Lernprotokoll benutzt werden, um einen spezifischen IPoC zu unterstützen. Für eine ProKontra-Diskussion mit drei Teilnehmern kann beispielsweise ein Chat-Werkzeug mit einem Lernprotokoll benutzt werden, das die Rollen Pro, Kontra und Beobachter den Teilnehmern zuweist und den Diskurs durch die Vergabe von Rederechten oder durch Festlegung der möglichen Typen von Kommunikationsbeiträgen strukturiert. Da eine generische Kooperation per definitionem nicht in einen Kurs integriert ist und damit weniger Nutzungspotentiale aufweist, beziehen sich die folgenden Überlegungen beziehen sich auf die intendierte und teilweise auf die spontane Kooperation. 5.3 Modellierung kooperativer Kurse 103 5.3.2 Kombination von individuellen und kooperativen Episoden Materialien zum individuellen Lernen liegen in webbasierten Kursen in Form von Lernobjekten, im einfachsten Fall in Form von Webseiten vor. Die Verknüpfung der Lernobjekte oder Webseiten kann je nach Lernplattform durch untypisierte Links oder aber durch typisierte Relationen wie beispielsweise „setzt voraus“ oder „ist ein Beispiel für“ erfolgen (vgl. Meder 2003, Seeberg 2002). Um kooperative Episoden mit dem gleichen Mechanismus in einen webbasierten Kurs einbauen zu können, soll jeder kooperativen Episode eine URL zugeordnet sein. 5.3.3 Kombination kooperativer Episoden Die in den vorangegangenen Abschnitten skizzierten Typen kooperativer Episoden eignen sich für die Beschreibung einfacher kooperativer Aktivitäten. Sollen komplexere kooperative Aktivitäten wie z.B. das Gruppenpuzzle (vgl. Abschnitt 2.3.7) realisiert werden, gibt es zwei Möglichkeiten: ‚ Definition neuer (komplexerer) Typen kooperativer Episoden ‚ Kombination vorhandener Typen kooperativer Episoden zu komplexen Episoden Im Folgenden stellen wir die Möglichkeiten zur Kombination von kooperativen Episoden zu komplexen kooperativen Episoden dar. Beispielsweise bestehe eine komplexe Episode aus zwei Pro-Kontra-Gesprächen. Zur Kombination der beiden Episoden zu einer komplexen Episode können Beziehungen wie die folgenden zwischen diesen beiden Pro-Kontra-Gesprächen ausgedrückt werden: ‚ Jeder Lernende führt die zweite Episode mit demselben Mitlerner durch, mit dem er auch die erste Episode durchgeführt hat. ‚ Lernende, die in der ersten Episode die Pro-Rolle hatten, übernehmen bei der zweiten Episode die Kontra-Rolle und umgekehrt. ‚ Die Lernenden sehen in der zweiten Episode das Gesprächsprotokoll der ersten Episode als Ausgangs- bzw. Hintergrundmaterial. ‚ Die zweite Episode kann erst durchgeführt werden, wenn die erste Episode abgeschlossen ist. 104 5. Kontextuelle Kooperation in virtuellen Lernumgebungen Allgemein können folgende Arten von Beziehungen zwischen Episoden differenziert werden: ‚ Gruppenbeziehung: Es gibt eine Beziehung zwischen der Gruppe der Lernenden, die Episode 1 durchführt und der Gruppe, die Episode 2 durchführt. ‚ Rollenbeziehung: Es gibt eine Beziehung zwischen der Rolle eines bestimmten Lerners in Episode 1 und Episode 2. ‚ Datenbeziehung: Episode 2 setzt auf (Lehr-)Material auf, das in Episode 1 erzeugt wurde. ‚ Zeitbeziehung: Episode 2 wird eine bestimmte Zeitdauer nach Episode 1 durchgeführt (z.B. beim Vokabellernen) Zur Verdeutlichung dieser Beziehungen folgt ein Ausschnitt aus einem Episodenmodell (Gruppen-, Daten- und Zeitbeziehung sind in Fettdruck markiert): ... Lerngruppe/Group Beobachter: {NOT ALLOWED, ALLOWED, REQUIRED} Tutor: {NOT ALLOWED, ALLOWED, REQUIRED} Gruppengröße: Minimal: <integer> Maximal: <integer> Gruppenbildung: <formation method> Gruppenmitglieder: =BS-123.Gruppenmitglieder Ausführung/Execution Instruktionen: <text> Lernprotokoll: <script name> Dauer: Minimal : <time> Maximal : <time> Start: =BS-123.Ende Ende: <time> Evaluation: {NONE, BY LEARNER, BY GROUP, INDIVIDUALLY BY TUTOR, GROUP BY TUTOR} Datenfluss/Dataflow Input-Material: Daten zur Aufgabe: <data> Hintergrundmaterial: =BS-123.Ergebnis Output-Material: Ergebnis: <data> Feedback: <data> 5.4 Werkzeuge für die kontextuelle Kooperation 105 5.3.4 Zeitliche Entkopplung von Qualifizierung und Durchführung Die Anwesenheit anderer Lernender, evtl. auch von Tutoren ist je nach Nutzungsszenario nicht vorhersehbar. Andererseits ist die Durchführung kooperativer Episoden davon abhängig, dass geeignete Kooperationspartner in ausreichender Anzahl vorhanden sind. Dies trifft im engeren Sinne nur für synchrone Episoden zu. Aber auch asynchrone Episoden erfordern, dass (irgendwann) andere, geeignete Lernende in der Lernumgebung angemeldet sind und die Episode bearbeiten. Um zu verhindern, dass der Lernprozess eines Lernenden blockiert wird, da er auf andere Lernende oder Tutoren warten muss, wird eine zeitliche Entkopplung zwischen der Qualifizierung für eine kooperative Episode und der Durchführung dieser Episode vorgenommen. Erreicht ein Lernender eine Stelle im Kurs, an der eine kooperative Episode vorgesehen ist, qualifiziert er sich für die Teilnahme an einer Kooperation, wie sie durch die Beschreibung der Episode charakterisiert ist. Will der Lernende die Kooperation durchführen, aktiviert er den PoC. Daraufhin versucht das System geeignete Kooperationspartner zu finden. Werden keine Kooperationspartner gefunden oder wird der PoC nicht vom Lernenden aktiviert, so kann der Lernende weiterhin individuell mit der Kursbearbeitung fortfahren. 5.3.5 Generische und spontane Kooperation Die generische Kooperation ist – wie in Abschnitt 5.3.1 definiert - vollkommen unabhängig vom gerade bearbeiteten Kurs. Infolgedessen sind generische Kooperationen auch kein Bestandteil einer Kursmodellierung, sondern Bestandteil der Lernumgebung. Die spontane Kooperation, die in Abschnitt 5.3.1 als zum Kurs gehörig, aber unabhängig von einer konkreten Stelle im Kurs definiert wurde, kann ebenfalls als Bestandteil der Lernumgebung realisiert werden. Im Weiteren wird die intendierte Kooperation betrachtet. 5.4 Werkzeuge für die kontextuelle Kooperation 5.4.1 Phasen des kooperativen Lernens Kooperatives Lernen kann in die drei Phasen Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung gegliedert werden (Dansereau & Johnson 1994). Diesen Phasen werden im Folgenden jeweils die Aufgaben des Lehrenden (vgl. Abschnitt 5.2.1) zugeordnet. Während beim kooperativen Lernen ohne Computerunterstützung im Wesentlichen ein Lehrender und eine Menge von Lernenden beteiligt sind, spielt im kursbasierten (computerunterstützten) Lernen auch der Kursautor eine wichtige Rolle. Der Kursautor übernimmt teilweise Aufgaben des Lehrenden (siehe Abschnitt 5.2.1), bei- 106 5. Kontextuelle Kooperation in virtuellen Lernumgebungen spielsweise das Festlegen und Bereitstellen des Lernmaterials. Der Lehrende spielt eine etwas geringere Rolle, seine Aufgaben sind im Wesentlichen auf die Begleitung des Lernprozesses sowie auf die Beurteilung des Lernprozesses bzw. –ergebnisses beschränkt. Im Folgenden werden für jede der drei Phasen die Aufgaben der beteiligten Rollen (Kursautor, Tutor und Lernender) vorgestellt. Für jede Phase werden die Anreicherung des Kontextes sowie die Möglichkeiten der Unterstützung durch die virtuelle Lernumgebung auf Basis der vorgestellten Modellierungen kooperativer Episoden und kooperativer Kurse aufgezeigt. 5.4.2 Werkzeuge für die Vorbereitung Die Vorbereitung umfasst die Erstellung kooperativer Episoden und die Integration der Episoden in den Kurs durch den Kursautor sowie das Schaffen notwendiger Kooperationsvoraussetzungen auf Seiten des Tutors und der Lernenden. Der Übergang vom individuellen zum kooperativen Lernen wird in der Lernumgebung durch Methoden zur Zusammenstellung von Lerngruppen unterstützt (vgl. Abschnitt 5.5). Die Aufgaben zur Vorbereitung des kooperativen Lernens umfassen: ‚ V1: das Festlegen des Ziels der Kooperation, ‚ V2: das Festlegen der Gruppengröße, ‚ V3: die Zuordnung der Lernenden zu Gruppen, ‚ V4: das Festlegen und Bereitstellen des benötigten Materials, ‚ V5: das Erklären der Aufgabenstellung sowie ‚ V6: das Erklären der positiven wechselseitigen Abhängigkeit der Lernenden innerhalb ihrer Gruppe. V1, V2, V4, V5 und V6 können im Vorhinein bei der Erstellung des Kurses durch den Kursautor erledigt werden. Diese Aufgaben können durch das System mit Hilfe eines Autorenwerkzeugs unterstützt werden. Das Autorenwerkzeug ermöglicht dem Kursautor zum einen die Definition der kooperativen Episoden, zum anderen die Integration kooperativer Episoden in den Kurs. Zur Definition einer kooperativen Episode ist ein Autorenwerkzeug nötig, das es erlaubt die Parameter gemäß der vorgestellten Modellierung kooperativer Episoden (vgl. Abschnitt 5.2.3) einzugeben. Zur Integration einer kooperativen Episode in einen Kurs (IPoC) wird – sofern vorhanden – ein Autorenwerkzeug der Lernplattform genutzt, die erstellte Episodendefinition wird als URL in den Kurs integriert. 5.4 Werkzeuge für die kontextuelle Kooperation 107 Voraussetzung für die Durchführung einer kooperativen Episode durch die Lernenden ist, dass sie diese kooperative Episode im Kurs erreicht haben. Die Lernenden sollten in der Lage sein, sich Informationen über diese Episode zu verschaffen, um zu entscheiden, ob bzw. wann sie diese Episode durchführen. Dazu muss die Lernumgebung ein Werkzeug bereitstellen, das alle bisher erreichten kooperativen Episoden darstellt und den Abruf von Informationen zu diesen Episoden ermöglicht. V3 kann nur in Kenntnis der Anzahl und Eigenschaften der Lernenden bearbeitet werden, bleibt also dem Lehrenden bzw. den Lernenden vorbehalten. Allerdings kann der Kursautor eine für diese Episode geeignete Methode der Lerngruppenbildung vorgeben. Die Zusammenstellung der Lerngruppen (V3) wird in Abschnitt 5.5 detailliert behandelt. 5.4.3 Werkzeuge für die Durchführung Zur Durchführung des kooperativen Lernens benötigen die beteiligten Lernenden und Tutoren zu der gegebenen kooperativen Episode passende Kooperationswerkzeuge. Diese müssen für die Gruppenmitglieder aktiviert und mit den Parametern der Modellierung der kooperativen Episode initialisiert werden. Die Kooperationswerkzeuge können den Kooperationsprozess in Abhängigkeit von der Art der kooperativen Episode und den Parametern der Episode durch verschiedene Maßnahmen unterstützen, beispielsweise durch die Aktivierung eines Lernprotokolls/Skripts, wie es in der Modellierung angegeben ist. Ein solches Skript kann etwa die Benutzungsschnittstelle entsprechend konfigurieren, den Austausch von Kommunikationsbeiträgen oder deren Art und Reihenfolge regeln. Die Aufgaben bei der Durchführung des kooperativen Lernens umfassen: ‚ D1: das Bearbeiten der Aufgabe gemäß der vorgegebenen Instruktionen, ‚ D2: das Beobachten der Interaktionen, ‚ D3: das Intervenieren, um bei der Aufgabe, bei der Anwendung der Kooperationsmethode oder bei der Anwendung von Sozialkompetenzen zu helfen, sowie ‚ D4: das Ablegen bzw. Weiterleiten der Ergebnisse der Kooperation. D1 und D4 werden von den Lernenden erledigt, evtl. unter Mitwirkung des Tutors. Die Aufgaben D2 und D3 fallen in die Zuständigkeit des Tutors. 108 5. Kontextuelle Kooperation in virtuellen Lernumgebungen Als Kooperationswerkzeuge kommen spezialisierte sowie entsprechend angepasste generische Kooperationswerkzeuge in Betracht. Spezialisierte Kooperationswerkzeuge sind für eines oder mehrere kooperative Lernszenarien optimiert. Beispielsweise kann ein Werkzeug für ein Pro-Kontra-Gespräch die Aufgabenstellung sowie die Rollen Pro und Kontra explizit in der Benutzungsschnittstelle ausweisen. Generische Kooperationswerkzeuge weisen keine lernspezifische Kooperationsunterstützung auf, können aber vom System geeignet initialisiert werden. Beispielsweise kann ein (generischer) Chat die Aufgabenstellung als Systemmeldung im Chat ausgeben und die Benutzerkennung mit dem Benutzernamen und einem vorangestellten „Pro: “ bzw. „Kontra: “ initialisieren. Die Unterstützung für das Ablegen bzw. Weiterleiten der Kooperationsergebnisse erfolgt durch eine (gemeinsame) Ablage bzw. durch Versenden (z.B. per Email). 5.4.4 Werkzeuge für die Nachbereitung Die Nachbereitung des kooperativen Lernens kann am Ende der Durchführung mit Hilfe des für die Durchführung verwendeten Kooperationswerkzeugs oder zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Dazu müssen die (Zwischen-)Ergebnisse der Kooperation und die jeweiligen Aktivitäten der Beteiligten – soweit sie zur Nachbereitung benötigt werden – im System abgelegt (siehe vorherigen Abschnitt) und eingesehen werden können. Die Aufgaben bei der Nachbereitung des kooperativen Lernens umfassen: ‚ N1: die Evaluation der Lernprozesse und ‚ N2: das Reflektieren bzw. das Sicherstellen der Reflektion des Lernprozesses innerhalb der Gruppe. Je nach Definition der Episode können N1 und N2 von den Lernenden oder von den Lernenden gemeinsam mit dem Tutor erledigt werden. N1 kann auch alleine durch den Tutor durchgeführt werden. Die Systemunterstützung umfasst die Verwaltung der im Zuge der Kooperation anfallenden (Zwischen-)Ergebnisse und die für die Nachbereitung relevanten Aktivitäten der Beteiligten. Diese Nachbereitung kann in der Gruppe, individuell oder gemeinsam mit dem Tutor erfolgen. Die Bewertung des kooperativen Lernens kann mehrere Einzelwertungen, etwa für das Gesamtergebnis und Teilergebnisse, für die Gruppe und die einzelnen Mitglieder, für das Ergebnis und den Prozess enthalten. Soll die Bewertung als Kontext für die weitere Systemunterstützung herangezogen werden, ist sie in den Profilen der Beteiligten abzulegen (vgl. Abschnitt 5.5.3). 5.5 Unterstützung für das Zusammenstellen von Lerngruppen 109 5.5 Unterstützung für das Zusammenstellen von Lerngruppen In diesem Abschnitt wird am Beispiel der Unterstützung für die Bildung von Lerngruppen detailliert das Potential der vorgestellten Modellierung kooperativer Episoden und Kurse vorgestellt. In Abschnitt 2.3.3 wurden zwei relevante Arten von Lerngruppen identifiziert: Informelle kooperative Lerngruppen und formale kooperative Lerngruppen. Sie unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Lebensdauer und der Art bzw. Komplexität der zu bearbeitenden Aufgabe. Sie sind in einen nicht-kooperativen Lernprozess eingebettet, im Sinne dieser Arbeit in das individuelle kursbasierte Lernen. Für die erfolgreiche Bearbeitung einer kooperativen Episode wurden die für die Aufgabe geeignete Größe und Zusammensetzung der Lerngruppe identifiziert. In Kapitel 3 wurde die Anforderung „Unterstützung der Lerngruppenbildung“ (A5) gestellt. Dabei sollen verschiedene Strategien der Gruppenbildung durch Lehrende oder Lernende sowie die automatische Lerngruppenbildung durch das System berücksichtigt werden. Die Eignung einer Gruppenbildungsstrategie steht in einem engen Zusammenhang mit Eigenschaften der Aufgabe. Die Strategien der Gruppenbildung unterscheiden sich im Hinblick auf den benötigten Aufwand. Eine in Bezug auf die Homo- bzw. Heterogenität der Gruppe zur Aufgabe passende Zusammenstellung von Lerngruppen ist bislang nur durch den Lehrenden möglich, aber mit großem Aufwand verbunden. Ordnen sich die Lernenden selbst den Gruppen zu, ist der Aufwand geringer, es entstehen aber meist sehr homogene Gruppen. Um eine sinnvolle Gruppe zu bilden, sollen Kontextinformationen z.B. über Vorwissen und Präferenzen der Benutzer und die Art der geplanten Kooperation berücksichtigt werden. Aufgrund der Kontextabhängigkeit der Verfahren zur Bildung von Lerngruppen (vgl. z.B. Haake et al. 2004) sollen verschiedene Verfahren und deren kontextabhängige Auswahl bzw. Anpassung in der Lernumgebung möglich sein. Schließlich sollen auch Ausnahmesituationen berücksichtigt werden, beispielsweise, wenn kein geeigneter Lernpartner verfügbar ist. 5.5.1 Varianten und Methoden der Gruppenbildung Eine nicht aktive Unterstützung der Bildung von Lerngruppen kann auf Zufall basieren oder durch die aktuellen Aktivitäten der Benutzer bestimmt erfolgen, wenn beispielsweise alle Benutzer, die gleichzeitig eine bestimmte Webseite betrachten, ein gemeinsames Kommunikationsmedium (etwa ein Chatfenster) benutzen. Eine nicht zufällige Gruppenbildung kann durch explizites Zuordnen eines Lernenden zu einer Gruppe durch den Lernenden, einen Tutor, einen Administrator oder automatisch durch das System erfolgen (Wessner & Pfister 2001). 110 5. Kontextuelle Kooperation in virtuellen Lernumgebungen Die eigentliche Bildung einer Lerngruppe, d.h. das Festlegen, welche Lernenden zu einer bestimmten Lerngruppe gehören, kann außerhalb und innerhalb des CSCLSystems erfolgen: Werden Lerngruppen außerhalb des Systems gebildet, so müssen die Benutzer eingeben, wer zu welcher Lerngruppe gehört. Wenn das System die Benutzer im Prozess des Identifizierens der Lernenden, die zu jeweils einer Lerngruppe gehören, unterstützt, erfolgt die Gruppenbildung innerhalb des Systems. Im Weiteren betrachten wir nur die Lerngruppenbildung innerhalb des Systems im Sinne der aktiven Unterstützung. Mit Ausnahme des Kursautors, der zum Erstellungszeitpunkt einer Episode kein Wissen über die tatsächlichen Teilnehmer haben kann, kann die Gruppenbildung von allen Akteuren (Tutor, Lernender) sowie automatisch durch das System vorgenommen werden. Aufgrund der Analyse in Abschnitt 2.3.3 wird an dieser Stelle von einer Gruppenbildung durch die Lernenden abgesehen, da hieraus in der Regel (zu) homogene Gruppen resultieren. 5.5.2 Phasen der Lerngruppenbildung Aus der gewünschten Entkopplung des Zeitpunktes des Erreichens einer kooperativen Episode und des Zeitpunktes der Durchführung dieser Episode (vgl. Abschnitt 5.3.4) folgt, dass die Initiative zur Bildung einer Lerngruppe zur Durchführung einer kooperativen Episode von einem Lernenden (bzw. vom System für einen Lernenden handelnd) ausgeht. Für diesen Lernenden und die von ihm ausgewählte kooperative Episode gilt es nun, aus der Grundgesamtheit von Personen eine Menge von geeigneten Kooperationspartnern zu finden. Wie wird die Güte eines Kooperationspartners in Bezug auf den Initiator und die vorliegende Episode bewertet? Wie wird die Menge sortiert? Allgemein besteht das Zusammenstellen von Lerngruppen aus den folgenden Schritten (vgl. auch Wessner & Pfister 2001), die nicht notwendigerweise in der hier gewählten Reihenfolge ablaufen müssen: ‚ Initiieren der Gruppenbildung: Eine kooperative Situation kann von einem Lernenden oder Tutor direkt initiiert werden, z.B. um ein akutes Problem zu lösen. (Die Situation kann auch durch die Lernumgebung dem Lernenden vorgeschlagen werden. Im letzteren Fall initiiert der Lernende die Gruppenbildung durch das Akzeptieren des Systemvorschlags.) ‚ Festlegen der gewünschten Gruppengröße: Für die gewünschte Gruppe werden ein minimaler und ein maximaler Wert für die Anzahl der Teilnehmer auf Basis der gegebenen Rahmenbedingungen festgelegt. 5.5 Unterstützung für das Zusammenstellen von Lerngruppen 111 ‚ Identifikation potentieller Kooperationspartner: Es wird eine Liste von Lernenden (und Tutoren) erstellt, die die Voraussetzungen für die Teilnahme an einer Kooperation mit dem Initiator erfüllen. ‚ Priorisierung der Menge potentieller Kooperationspartner: Nach bestimmten Kriterien wird für die potentiellen Kooperationspartner die „Güte“ in Anbetracht der gegebenen Rahmenbedingungen bestimmt. ‚ Aushandlung der Teilnehmer: In dieser Phase interagieren potentielle Kooperationspartner (oder ihre Agenten), um die Zusammensetzung der Lerngruppe zu bestimmen. Die potentiellen Mitlerner werden entweder vom System der Lerngruppe zugewiesen oder sie werden gefragt, ob sie an dieser Kooperation teilnehmen wollen. Sofern nicht ausreichend viele Mitlerner teilnehmen möchten, müssen neue potentielle Mitlerner identifiziert werden oder aber die Gruppenbildung wird abgebrochen. Eine virtuelle Lernumgebung kann alle genannten Phasen der Gruppenbildung auf der Basis des Wissens über die Lernenden und den Kurs unterstützen: ‚ Die Initiierung kann durch das System erfolgen, beispielsweise aufgrund des Wissens über die aktuelle Position des Lernenden im Kurs und über die Verfügbarkeit von Mitlernern. ‚ Das Festlegen der Gruppengröße kann durch das System z.B. so optimiert werden, dass auch nach der Bildung einer Gruppe auch aus den verbleibenden Teilnehmern noch eine zu den Rahmenbedingungen passende Gruppe gebildet werden kann. ‚ Das Identifizieren potentieller Mitlerner kann unterstützt werden, indem das System eine Menge aller Lerner, die die Voraussetzungen erfüllen (beispielsweise alle Lerner, die den gleichen Kurs bearbeiten und in diesem Kurs an einer ähnlichen Stelle wie der Initiator sind), bereitstellt. ‚ Die Priorisierung der Menge potentieller Kooperationspartner kann auf Basis der Informationen über die kooperative Episode und die Teilnehmerprofile vom System übernommen werden. ‚ Die Aushandlung der Teilnehmer ist ein komplexer Prozess der Abwägung der Ziele und Präferenzen der Lernenden und der Lerngruppe. Dieses Abwägen kann zumindest teilweise durch das System erfolgen. Das benötigte Wissen über die kooperative Episode ist dem System über die Modellierung des kooperativen Kurses bzw. der kooperativen Episode bekannt. Im folgen- 112 5. Kontextuelle Kooperation in virtuellen Lernumgebungen den Abschnitt werden relevante Parameter zur Charakterisierung der Lernenden erfasst. 5.5.3 Lernermodell Die Gruppe muss hinsichtlich ihrer Größe und Zusammensetzung einerseits zur kooperativen Episode passen, andererseits werden Informationen über die verfügbaren Lernenden und Tutoren benötigt, um beispielsweise Anforderungen an die Homo- bzw. Heterogenität der Gruppe erfüllen zu können. In auf Techniken der künstlichen Intelligenz basierenden Systemen werden häufig sehr elaborierte Lernermodelle verwendet. Inhalte eines derartigen Lernermodells sind nach (Harrer 2000, S. 96 und 109): ‚ kognitive Aspekte ‚ motivationale Aspekte ‚ soziale Aspekte ‚ physische Aspekte Aufgrund der Probleme mit der Erstellung und Pflege derartiger Modelle soll hier ein anderer Weg verfolgt werden. Zunächst einmal muss das Lernermodell über den Namen des Lernenden und die von ihm gebuchten Kurse im System verfügen, um den Lernenden identifizieren und Kooperationspartner nur im selben Kurs suchen zu können. Sucht man nur Kooperationspartner aus der gleichen Klasse, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass die Lernenden sich bereits kennen, z.B. aus einer früheren Kooperation. Für elaboriertere Verfahren zur Gruppenbildung müssen weitere Aspekte berücksichtigt werden. 5.5.4 Gruppenbildungsalgorithmen Wie in Abschnitten 2.3.3 erarbeitet gibt es keinen für alle Situationen passenden optimalen Algorithmus zur Zusammenstellung von Lerngruppen. Vielmehr wird in Kapitel 3 in Anforderung A.5 gefordert, verschiedene Gruppenbildungsstrategien zu unterstützen. Es existiert eine Reihe von Einflussfaktoren für die Lerngruppenbildung, das Verfahren ist unter Umständen von folgenden Charakteristika der kooperativen Episode abhängig: ‚ Vorgesehene Dauer der Kooperation: Handelt es sich um eine längerfristige Kooperation, so haben persönliche/soziale Faktoren und die Homogenität der Gruppenmitglieder eine höhere Bedeutung. Eine Kooperation über wenige 5.5 Unterstützung für das Zusammenstellen von Lerngruppen 113 Minuten stellt dagegen geringere Anforderungen an die Gruppe in Bezug auf persönliche/soziale Faktoren und die Homogenität. ‚ Art der Kooperation: Handelt es sich um eine relativ unabhängige Kooperation, ist kein großes Vertrauen zwischen den Beteiligten vorauszusetzen bzw. zu schaffen. ‚ Größe der Gruppe: Je größer die Gruppe ist, desto schwieriger ist es in der Regel, entsprechend viele geeignete Gruppenmitglieder zu finden. Dies gilt insbesondere für synchrone Episoden. ‚ Lern- und Kooperationskompetenz der Teilnehmer: Je mehr Lern- und Kooperationskompetenz die Teilnehmer aufweisen, desto leichter können auch unbekannte Teilnehmer integriert werden. ‚ Absichten des Kursautors: Präferiert er heterogene oder homogene Gruppen? Sollen die Teilnehmer in den Gruppen einander bereits kennen? Aufgrund dieser Vielzahl von Einflussfaktoren müssen verschiedene Verfahren zur Bildung von Lerngruppen vom System unterstützt werden. Auf Basis der Modellierung kooperativer Episoden und Kurse (Abschnitte 5.2 und 5.3) sowie des Lernermodells (Abschnitt 5.5.3) werden hier exemplarisch drei Algorithmen zur automatischen Gruppenbildung skizziert. Es handelt sich um einen primitiven Algorithmus, die wartezeitoptimierende Lerngruppenbildung und die erfahrungsbasierte Lerngruppenbildung. (Die manuelle Gruppenbildung wird in Anhang A.2 dargestellt.) Primitive Lerngruppenbildung ;bilde eine Liste mit einer Lerngruppe für IPoC IP und Lerner Learn Gruppengröße= (IP.getMinParticipants() + IP.getMaxParticipants()) div 2; Liste={}; for alle Lerner L if (L.hasIPoC(IP)) and (L.getIPoC(IP).getState = new) and (L.getClass() = Lern.getClass()) and (L.getCourse() = Learn.getCourse()) and (not(IP.isSynchronous()) or L.isOnline()) then füge L der Gruppe hinzu; if Liste.getSize = Gruppengröße then exit; 114 5. Kontextuelle Kooperation in virtuellen Lernumgebungen Es werden alle Lerner ausgewählt, die ebenfalls diesen IPoC erreicht, aber noch nicht bearbeitet haben, in der gleichen Klasse und im gleichen Kurs sind und – sofern es ein synchroner IPoC ist – online sind. Die Gruppengröße wird als Mittelwert zwischen der minimalen und maximalen Gruppengröße für diesen IPoC bestimmt. Wartezeitminimierende Lerngruppenbildung Als Verbesserung zum primitiven Algorithmus wird die Liste nach der Wartezeit sortiert. Die Wartezeit für einen Lerner ergibt sich aus der Differenz der aktuellen Zeit und des Zeitpunkt, zu dem der Lerner den IPoC im Kurs erreicht hat. ;bilde eine Liste mit einer Lerngruppe für IPoC IP und Lerner Learn ;bevorzuge Lerner, die schon länger auf die Durchführung warten Gruppengröße= (IP.getMinParticipants()+IP.getMaxParticipants()) div 2; Liste=[]; for alle Lerner L if (L.hasIPoC(IP)) and (L.getIPoC(IP).getState = new) and (L.getClass() = Lern.getClass()) and (L.getCourse() = Learn.getCourse()) and (not(IP.isSynchronous()) or L.isOnline()) then füge L der Gruppe hinzu; Liste.sortiereNachWartezeit(); Liste = Liste.copy(1,Gruppengröße); Erfahrungsbasierte Lerngruppenbildung In dieser Strategie werden bevorzugt solche Lerner ausgewählt, mit denen der Lerner schon einmal kooperiert hat und beide Beteiligten die Kooperation positiv bewertet haben. Nach jeder Kooperation, an der Li und Lj beteiligt waren wird der Kooperationsindex K(Li,Lj), wobei i<j, um eins inkrementiert, sofern Li und Lj kooperiert haben und beide die Kooperation positiv bewertet haben. Hier wird die Liste nach dem Kooperationsindex sortiert. ;bilde eine Liste mit einer Lerngruppe für IPoC IP und Lerner Learn ;bevorzuge Lerner, die schon einmal erfolgreich kooperiert haben Gruppengröße= (IP.getMinParticipants()+IP.getMaxParticipants()) div 2; Liste=[]; for alle Lerner L if (L.hasIPoC(IP)) and (L.getIPoC(IP).getState = new) and (L.getClass() = Lern.getClass()) and 5.5 Unterstützung für das Zusammenstellen von Lerngruppen 115 (L.getCourse() = Learn.getCourse()) and (not(IP.isSynchronous()) or L.isOnline()) then füge L der Gruppe hinzu; Liste.sortiereNachKooperationsindex (); Liste = Liste.copy(1,Gruppengröße); Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurden hier drei einfache Beispiele aufgeführt. Die Gruppenbildung im realisierten System (siehe Kapitel 6) gestaltet sich komplexer, da ‚ garantiert werden soll, dass die Aufteilung in Gruppen so aufgeht, dass alle Lerner eine Chance auf die Durchführung des IPoC haben ‚ während der Kursbearbeitung Lerner den Kurs verlassen oder neue Lerner hinzukommen ‚ auch klassen- und kursübergreifende Kooperationen in Betracht gezogen werden, falls andernfalls keine Kooperation möglich ist ‚ auch ein Tutor als Ersatz für einen Kooperationspartner eingeteilt wird, falls andernfalls keine Kooperation möglich ist Ein weiteres Beispiel für eine Strategie ist die lerndistanzoptimierende Lerngruppenbildung, bei der Lerner bevorzugt werden, die gerade an einer ähnlichen Position im Kurs arbeiten. 5.5.5 Verwandte Ansätze zur Gruppenbildung In diesem Abschnitt wird die entwickelte Systemunterstützung für das Zusammenstellen von Lerngruppen auf Basis der Modellierung kooperativer Episoden und Kurse mit verwandten Arbeiten verglichen. Verwandte Arbeiten lassen sich hauptsächlich im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) finden. KI-basierte Ansätze unterstützen das Finden von Lernpartnern auf der Basis von explizit modellierten Interessen bzw. Lernaktivitäten in dömanenspezifischen Benutzermodellen. Das Lernermodell in CASSIEL (Ayala 2003) enthält Interessen und Annahmen über den Lerner, die aus seinem Navigations- und Kommunikationsverhalten abgeleitet werden können. Ein ähnliches Verfahren für Communities stellen Yang und Kollegen vor (Yang et al. 2003). Das Konzept der Opportunistic Group Formation (Inaba et al. 2000, Ikeda et al. 1997, Supnithi et al. 1999) nutzt domänenspezifische Benutzermodelle zur automatischen Bildung von Lerngruppen. Das System entscheidet auf der Basis der Benutzermodelle über günstige Zeitpunkte für eine Kooperation und legt die individuellen und gemeinsamen Ziele in einer Kooperation fest. GRACILE 116 5. Kontextuelle Kooperation in virtuellen Lernumgebungen (Ayala & Yano 1996) ist ein System, das das kooperative Erlernen der japanischen Sprache unter Nutzung eines domänenspezifischen Benutzermodells fördert. Harrer (2000) erweitert Intelligente Lehrsysteme (ILS) derart, dass auch kooperatives Lernen unterstützt wird. Benötigt wird – wie für alle ILS – u.a. die Domänenkompetenz des Systems. Weitere KI-basierte Ansätze finden sich z.B. bei Furugori und Kollegen (2002), Hoppe (1995) und Ogata (1998). In Abgrenzung zu den KI-basierten Ansätzen soll mit den in dieser Arbeit vorgestellten Konzepten die Anforderung Offenheit des Systems (A7) erfüllt werden. Das vorgestellte Verfahren der Gruppenbildung kommt ohne domänenspezifische Benutzermodelle aus und kann für alle kooperativen Kurse ohne Änderung oder Anpassung verwendet werden. Es existieren nur wenige nicht KI-basierte Ansätze zur Unterstützung der Gruppenbildung. CURE (Haake et al. 2004b) unterstützt die manuelle Gruppenbildung durch Tutoren oder die Lernenden mit Hilfe virtueller Schlüssel, die als Symbole der Zugriffsrechte dienen. CURE bietet Möglichkeiten manche Parameter der Gruppenbildung festzulegen, beispielsweise die maximale Mitgliederzahl der Gruppe oder die befristete Zugehörigkeit zur Gruppe. Gaudioso und Kollegen (2003) erweitern die Lernumgebung aLF um Gruppenbildungsunterstützung. Sie nutzen domänenunabhängige quantitative Daten wie die Breite und Länge von Kommunikationssträngen, die Anzahl von Beiträgen oder von Antworten auf Beiträge, um Indikatoren für die Bildung guter Lerngruppen zu gewinnen. Der vorgestellte Ansatz der Lerngruppenbildung unterstützt im Vergleich zu CURE mehr Parameter der Lerngruppenbildung, beispielsweise die Mindestgruppengröße oder Angaben zur Erforderlichkeit der Teilnahme eines Tutors an der Gruppenarbeit. Während aLF auf eine vorgegebene, asynchrone Kooperationsmethode und die automatische Gruppenbildung begrenzt ist, unterstützt der in dieser Arbeit vorgestellte Ansatz die manuelle und automatische Bildung von Lerngruppen für beliebige Kooperationsmethoden. 5.6 Zusammenfassung In diesem Kapitel wurden die Lösungskonzepte zur Realisierung der kontextuellen Kooperation in virtuellen Lernumgebungen entwickelt. Zunächst wurden mit einer Analyse des Entscheidungsspielraums des Lehrenden beim kooperativen Lernen und eines Katalogs didaktischer Modelle relevante Parameter zur Beschreibung kooperativer Episoden ermittelt. Daraus wurde eine Modellierung kooperativer Episoden mit vier Gruppen von Parametern entwickelt und die Mächtigkeit des Modells an Hand von drei Instantiierungen gezeigt. Außerdem wurde 5.6 Zusammenfassung 117 gezeigt, wie der Kontext des kooperativen Lernens im Laufe dieser Phasen durch zusätzliche Parameter und Informationen stetig erweitert wird. Für eine kooperative Episode, die in einem Kurskontext verankert ist, wurde der Begriff des Point of Cooperation eingeführt. Je nach dem Grad der Verankerung einer kooperativen Episode in einem Kurs bzw. Kurskontext wurde dann zwischen Generic, Spontaneous und Intended Points of Cooperation differenziert. Mit Hilfe der Points of Cooperation (PoC) ist es möglich, kooperative Kurse zu modellieren. Die Einbettung einer kooperativen Episode in die Struktur eines Kurses (IPoC) erfordert Möglichkeiten, den IPoC zu anderen Lernmaterialien sowie zu anderen IPoCs in Relation zu setzen. Dazu wurden verschiedene Relationstypen identifiziert. Der Ansatz der Einbettung von PoCs in Kurse erlaubt die zeitliche Entkopplung der Qualifizierung für eine kooperative Episode und der tatsächlichen Durchführung. Damit können in Abhängigkeit von den gerade im System angemeldeten Teilnehmern individuelle und kooperative Lernprozesse flexibel kombiniert werden. Für eine kooperative Episode wurden die drei Phasen Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung identifiziert. Für jede Phase wurde geklärt, welche Rolle (Kursautor, Tutor, Lernender) welche Aufgaben in der jeweiligen Phase hat. Aufbauend auf der Modellierung wurde untersucht, wie diese Phasen des kooperativen Lernens durch das System unterstützt werden können. Am Beispiel der Unterstützung für das Zusammenstellen von Lerngruppen gemäß der Anforderungen der kooperativen Episode, der Lernerprofile und der aktuellen Verfügbarkeit anderer Teilnehmer in der Lernumgebung wurden die Möglichkeiten der kontextuellen Kooperation detailliert aufgezeigt. Die verschiedenen Arten der Gruppenbildung, die Phasen im Gruppenbildungsprozess, das dazu benötigte Lernermodell und verschiedene Algorithmen zur Gruppenbildung wurden vorgestellt. Ein Vergleich mit anderen Ansätzen zur Zusammenstellung von Lerngruppen zeigt die Neuartigkeit des gewählten Ansatzes. Kapitel 6 Realisierung Dieses Kapitel beschreibt die exemplarische Umsetzung der in Kapitel 5 dargestellten Lösungskonzepte. Diese Umsetzung erfolgte überwiegend im Rahmen des BMBF-Leitprojektes L³. Das Projekt L³ wird in Abschnitt 6.1 skizziert. Abschnitt 6.2 geht auf die verwendeten Programmiersprachen, Plattformen und Standards ein. Die System-/Softwarearchitektur wird in Abschnitt 6.4 in zwei Ausprägungen vorgestellt. Die Umsetzung der Definition kooperativer Kurse ist Gegenstand von Abschnitt 6.5. Die Umsetzung der Durchführung wird in den Abschnitten 6.6 bis 6.8 dargestellt. Die Darstellung geht für ausgewählte Werkzeuge jeweils auf die Implementierung und das Design der Benutzungsschnittstellen in Entsprechung der im vorangegangenen Kapitel dargestellten Konzepte ein. 6.1 Implementierung im Rahmen des Projektes L³ Das Projekt L³ - Lebenslanges Lernen wurde von vom 1.1.1999 – 31.12.2002 als Verbund von 18 Teilvorhaben durchgeführt (Ehlers et al. 2003). Insgesamt waren 20 Partner unter der Konsortialführung der SAP AG an diesem vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekt beteiligt. Das Konsortium setzte sich aus öffentlichen und privatwirtschaftlichen Weiterbildungseinrichtungen, Inhalteanbietern und Technologieentwicklern sowie Forschungseinrichtungen und Universitäten zusammen. Ziel des Projektes war die Entwicklung und Erprobung einer bundesweiten technischen und organisatorischen Service-Infrastruktur zur webbasierten beruflichen Weiterbildung sowie die Entwicklung und Erprobung von dazugehörigen Geschäftsund Qualitätssicherungsmodellen. Die Service-Infrastruktur besteht aus Service- und Lernzentren und ermöglicht auch den Zugriff von Benutzern beispielsweise von zu Hause oder vom Arbeitsplatz. Aufgabe der Servicezentren ist u.a. die Bereitstellung von Weiterbildungsangeboten und -kursen, die Koordination von Tutoren und die Bereitstellung der technischen Infra119 120 6. Realisierung struktur zur Ankopplung der Lernzentren an das Servicezentrum. Die Lernzentren dienen als Anlaufstellen für die Lernenden. Sie vermitteln den Zugang zu den Weiterbildungsangeboten und bieten die organisatorische und technische Infrastruktur zur Nutzung des Weiterbildungsangebots sowie zur Beratung und Betreuung der Lernenden. Die Lernzentren sind mit dem Servicezentrum über Internet-Technologie verbunden. Auf der Serviceinfrastruktur aufbauend bietet die L³-Lernplattform Unterstützung für Kursautoren, Tutoren und die Lernenden. (Die ebenfalls gegebene Unterstützung der Administratoren ist für die weiteren Betrachtungen nicht von Bedeutung und unterbleibt deshalb in dieser Arbeit.) ‚ Die Kursautoren erstellen mit Hilfe der L³-Lernplattform – auch unter Nutzung vorhandener Inhalte und gängiger Werkzeuge zur Inhaltserzeugung – strukturierte Weiterbildungskurse. Dabei kann der Kursautor verschiedene Metadaten für Kursteile und einzelne Inhalte vergeben und inhaltliche, didaktische und organisatorische Beziehungen zwischen ihnen definieren. ‚ Die Tutoren betreuen die Lernenden unter Nutzung der von der Lernplattform angebotenen Kommunikationskanäle und Lernerfolgskontrollen. Die Betreuung kann lernzentrumsübergreifend erfolgen, so dass nicht jedes Lernzentrum für jedes Weiterbildungsangebot einen qualifizierten Tutor vor Ort benötigt. ‚ Die Lernenden nutzen die L³-Lernplattform zum Bearbeiten der multimedialen Lernmaterialien sowie zur Kommunikation und Kooperation mit Tutoren und anderen Lernenden. Im Rahmen dieses Projekts wurden die im vorangegangenen Kapitel entwickelten Lösungskonzepte in eine Kooperationsplattform als Teil der L³-Lernplattform umgesetzt, um innerhalb der in L³ entwickelten und eingesetzten Kurse auch kooperatives Lernen zu ermöglichen. Dabei stellt insbesondere die Unterstützung örtlich verteilter Lerngruppen, also von Lerngruppen deren Mitglieder von unterschiedlichen Lernzentren oder sonstigen Standorten aus kooperieren, besondere Herausforderungen an die Gestaltung der Kommunikations- und Kooperationswerkzeuge. Weitere Herausforderungen bestanden in der großen Anzahl beteiligter Projektpartner und in der Zielsetzung, eine möglichst integrierte Infrastruktur zu schaffen. Dies führte zu einem hohen Bedarf an Abstimmung unter den Partnern und zur Notwendigkeit der konzeptuellen sowie technischen Integration der Infrastrukturkomponenten und Werkzeuge. Auf Basis der in Kapitel 5 vorgestellten Konzepte zur kontextuellen Kooperation wurde eine Kooperationsplattform bestehend aus einem Kooperationsserver und 6.2 Programmiersprachen, Plattformen, Standards 121 insgesamt 14 Kooperationswerkzeugen entwickelt. Im Einzelnen handelt es sich um zehn Werkzeuge zur spontanen oder geplanten Kooperation, zwei Werkzeuge zur manuellen bzw. automatischen Gruppenbildung, ein Autorenwerkzeug zur Definition kooperativer Aufgaben sowie ein Client-Werkzeug, das für den Benutzer den Zugang zu allen Kooperationswerkzeugen realisierte. In dieser Arbeit liegt der Schwerpunkt auf der Modellierung der kooperativen Aufgaben und ihres Kontextes sowie auf der Nutzung dieser Informationen am Beispiel der Bildung von Lerngruppen. Daher (und auch aus Platzgründen) werden in diesem Kapitel nur wenige, für die Zielsetzung dieser Arbeit relevante Werkzeuge skizziert (siehe auch Anhang A.1 und A.2). Eine ausführliche Darstellung findet man in Wessner und Holmer (2003) sowie Holmer und Wessner (2003). 6.2 Programmiersprachen, Plattformen, Standards Aufgrund der plattformübergreifenden Einsetzbarkeit und aus Gründen der leichteren Integration der Kooperationsplattform mit den Komponenten anderer Projektpartner wurde Java als Implementierungssprache für die Umsetzung der Konzepte gewählt. Als Basis für die Entwicklung diente das Groupware Framework DyCE (Tietze 2001). DyCE erleichtert als komponentenbasiertes Groupware Framework die Entwicklung und Integration neuer Kooperationswerkzeuge, die zur Laufzeit ohne Unterbrechung des Serverbetriebs in die Plattform aufgenommen werden können. Als Datenformat zur Speicherung kooperativer Aufgaben wurde gegen Beginn der Projektlaufzeit XML gewählt. Eine neue Version der Kooperationsplattform sollte die sich erst während der Projektlaufzeit sich herausbildenden Standards bzw. Standardisierungsbemühungen z.B. der IEEE (IEEE LTSC 2004) berücksichtigen (vgl. auch Abschnitt 7.6.1). Generell wurde bei der Realisierung besonderer Wert auf die Verwendung standardisierter Schnittstellen gelegt, um die Offenheit des Systems zu gewährleisten. 6.3 System-/Softwarearchitektur Die im Projekt realisierte webbasierte, kooperative Lernplattform setzt sich aus folgenden Subsystemen zusammen: ‚ Das Lernmaterialrepository speichert das von Autoren erstellte Lernmaterial und die Ergebnisse individueller oder kooperativer Lernprozesse. ‚ Das Content Management System (CMS) wird zur Verwaltung und Aufbereitung des Lernmaterials für die Benutzer benötigt. Das CMS kann das Lern- 122 6. Realisierung material anhand des Lernerprofils (z.B. entsprechend der Medienpräferenzen oder des Vorwissens) individuell aufbereiten. ‚ Als Lern-Client dient ein Webbrowser. Dieser hat die Aufgabe, das Lernmaterial am Rechner des Lerners darzustellen. ‚ Der Kooperations-Server stellt eine Menge von Kooperationsdiensten für alle Benutzer zur Verfügung. ‚ Der Lerner nutzt die Kooperationsdienste über einen Kooperations-Client. Dieser Client startet alle weiteren Kooperationswerkzeuge, die zur Durchführung einer Kooperation benötigt werden. ‚ Die Komponente Benutzerverwaltung verwaltet alle organisatorischen Informationen über Benutzer und Klassen 9. Die Benutzerdaten werden u.a. zur Adaptierung des Lernmaterials an den einzelnen Lernenden (z.B. je nach Medienpräferenzen und Vorwissen), zur Unterstützung von Abrechnungsprozessen (z.B. Menge der übertragenen Daten, Bankverbindung, Nutzungsdauer der Lernumgebung) und zur Unterstützung von Kooperation (z.B. Informationen über Hard- und Softwareausstattung der Lernstation, Bandbreite des Netzzugangs, Präferenzen in Bezug auf Kooperationskanäle, E-Mail- und IPAdresse) benötigt. Zu den Klasseninformationen zählen u.a. Angaben zu den Lernenden und Tutoren dieser Klasse. ‚ Weiterhin wurde im System als zusätzliches Kommunikationswerkzeug eine Audio-/Videokonferenzlösung der TU Dresden integriert. Die Repräsentation des Lernmaterials und die Kommunikation zwischen den verschiedenen Komponenten erfolgt unter Nutzung gängiger Internet-Standards: 9 ‚ Die Beschreibungssprachen Hypertext Markup Language (HTML) und Extensible Markup Language (XML) werden zur Repräsentation des Lernmaterials sowohl für individuelle als auch für kooperative Lernsituationen verwendet. ‚ Das Kommunikationsprotokoll Hypertext Transfer Protocol (HTTP) wird für die Kommunikation zwischen dem CMS und dem Lernclient, zwischen dem CMS und dem Lernmaterialrepository wie auch zwischen dem Kooperationsserver und dem Kooperationsclient benutzt. (Zusätzlich kommunizieren Koopera- Die Bezeichnung für eine Menge von Lernenden, die parallel ein Weiterbildungsangebot wahrnehmen, unterscheidet sich von Bildungseinrichtung zu Bildungseinrichtung, Beispiele sind Lehrgang, Klasse und Kurs. Für diese Arbeit wird die aus dem schulischen Bereich geläufige Bezeichnung Klasse benutzt. 6.3 System-/Softwarearchitektur 123 tionsserver und Kooperationsclient über andere Protokolle (siehe Tietze (2001) für weitere Details). ‚ Das Kommunikationsprotokoll Lightweight Directory Access Protocol (LDAP) wird benutzt, um Informationen über Klassen, Lerner und Tutoren von der Benutzerverwaltung abzurufen. Die Repräsentation des Lernmaterials im Dokumentenrepository und im CMS benutzt den Learning Object Metadata (LOM) Standard (IEEE LTSC 2004) und den Standardisierungsvorschlag Sharable Content Object Reference Model (SCORM; ADL 2004). Während der Projektlaufzeit verfügbare Standards wie LOM noch andere Standardisierungsbemühungen im Bereich des technologieunterstützten Lernens wie SCORM oder AICC (Aviation Industry CBT Committee; AICC 2004) boten jedoch keine Unterstützung für kooperatives Lernen. Eine Umgebung für kooperatives Lernen kann – je nach den Anforderungen des Einsatzszenarios – aus den oben vorgestellten Komponenten als kleine oder große Lösung realisiert werden (vgl. Wessner et al. 2002). Abbildung 6.1: Architektur der großen Lösung zur Unterstützung der kontextuellen Kooperation. 124 6. Realisierung In der großen Lösung (siehe Abbildung 6.1) sind Kooperationsserver, ContentManagement-System, Benutzerverwaltung und Dokumentenrepository als separate Komponenten realisiert, die optional auf verschiedene Servern verteilt betrieben werden. Auf der Seite des Lernenden bietet ein Webbrowser den Zugang zum Lernmaterial, ein Kooperationsclient fungiert als Schnittstelle zu den Diensten des Kooperationsservers. Aufgrund der starken Interdependenz von Kooperationsserver und Kooperationsclient benutzen diese Komponenten auch proprietäre Protokolle ohne den modularen Aufbau dieser Architektur zu beeinträchtigen (vgl. Tietze 2001). In Abhängigkeit von den Anforderungen des Einsatzszenarios kann diese Architektur auch mit weniger Komponenten realisiert werden. In der kleinen Lösung (siehe Abbildung 6.2) integriert ein einziger Server die Funktionalität der Benutzerverwaltung, des Content-Management-Systems und des Kooperationsservers. Auch in der kleinen Lösung werden auf Seiten des Lerners ein Webbrowser als Schnittstelle zum Lernmaterial sowie ein Kooperationsclient als Schnittstelle zu den Kooperationsdiensten benötigt. Abbildung 6.2: Architektur der kleinen Lösung zur Unterstützung kontextueller Kooperation. 6.4 Umsetzung der Modellierung In diesem Abschnitt wird die Umsetzung der Modellierung kooperativer Aufgaben als Points of Cooperation (PoC) vorgestellt. Diese Modellierung wird im Folgenden für die Erstellung und Durchführung kooperativer Kurse und Episoden benutzt. Das Klassendiagramm in Abbildung 6.3 gibt einen Überblick über die Umsetzung der Modellierung. Die Klasse IPoCDescription beinhaltet die vom Lernmaterial-Repository eingelesene Beschreibung der kooperativen Aufgabe. Mittels der Klasse IPoCFactory wird daraus ein IPoCModel erzeugt. Für jeden Typ kooperativer Aufgaben 6.4 Umsetzung der Modellierung 125 existiert eine spezielle von IPoCModel abgeleitete Klasse. Abbildung 6.3 zeigt exemplarisch das BrainstormingModel, das ProConModel sowie das AsynchDiscModel für kooperative Aufgaben vom Typ Brainstorming, ProContra-Gespräch bzw. asynchrone Diskussion. IPoCDescription -instructionURL : String -materialURL : String -version : Integer -topic : String -name : String -minParticipants : Integer -maxParticipants : Integer -minTime : Integer -maxTime : Integer -groupFormation : GroupFormation -withTutor : Boolean «interface» User +getName() : String +setName() : String +getEmail() : String +setEmail(in email : String) IPoCFactory +parseIPoCDescription(in url : String) : IPoCDescription +createIPoCModel(in ipoc : IPoCDescription) : IPoCModel ActivePoC -[tutor] : Tutor -ipocModel : IPoCModel +getResultURL() : String +addLearner(in learner : Learner) +getLearners() : Learner[] Tutor Learner +getCourseIDs() : String[] +getClassIDs() : String[] +getMyPoCs() : MyPoC[] IPoCModel MyPoC +getID() : String +getName() : String +getTopic() : String +getGroupFormation() : GroupFormation PoCState +NEW +ACTIVE +COMPLETED -courseID : String -classID : String -resultURL : String -state : PoCState -collectionTime : Date +getLearner() : Learner +getActivePoC() : ActivePoC +getIPoCModel() : IPoCModel Course BrainstormingModel ProContraModel -id : String -title : String AsynchDiscModel ... Class -id : String +getTitle() : String +getTutors() : Tutor[] +addTutor(in tutor : Tutor) +getLearners() : Learner[] +addLearner(in learner : Learner) Abbildung 6.3: Klassendiagramm Points of Cooperation. 126 6. Realisierung Erreicht der Lerner bei der Kursbearbeitung eine kooperative Aufgabe, so wird ein MyPoC für ihn erzeugt (zum Prozess der Durchführung siehe Abschnitt 6.6). Dieser enthält das IPoCModel sowie weitere Kontextinformationen wie den Zeitpunkt des Erreichens, den Kurs und die Klasse, innerhalb deren die Aufgabe erreicht wurde, den aktuellen Bearbeitungsstatus der Aufgabe, eine URL zur Rückmeldung von Statusänderungen an das Lernmanagementsystem (siehe die Klasse PoCState) sowie weitere Informationen. Die Klasse Course repräsentiert einen webbasierten Kurs, die Klasse Class eine Klasse (im Sinne einer Schulklasse), also eine Kombination von Lernenden und Tutoren für einen Kurs. Startet der Lerner die Bearbeitung der kooperativen Aufgabe, so wird ein ActivePoC erzeugt, der wiederum zusätzliche Kontextinformationen enthält. So ist einem ActivePoC u.a. eine Menge von Lernenden und je nach Aufgabe evtl. ein Tutor bzw. eine Menge von Tutoren zugeordnet. 6.5 Erstellen kooperativer Kurse Zur Erstellung kooperativer Kurse wurde vom Projektpartner SAP AG eine Autorenumgebung entwickelt, die die Erstellung modularisierter Kurse erlaubt (Gerteis & Altenhofen 2003). Zur Definition kooperativer Episoden wurde auf der Basis der vom Autor dieser Arbeit erstellten Modellierung ein IPoC-Editor entwickelt und in das L³Autorenwerkzeug integriert (siehe Abbildung 6.4). Abbildung: 6.4: Definition und Integration kooperativer Episoden in L³-Kurse (links: L³Autorenwerkzeug; rechts: Editor zur Definition einer kooperativen Episode). 6.6 Durchführen kooperativer Kurse und Bilden von Lerngruppen 127 Es folgt eine Darstellung der Prozessschritte zur Einbettung einer kooperativen Episode in einen Kurs: Der Kursautor fügt ein neues Modul in den Kurs ein, bestimmt es als kooperative Episode und legt den Typ der Kooperation fest. Der IPoC-Editor legt die Parameter der kooperativen Episode - soweit aus dem Kontext ableitbar – automatisch fest und lässt den Kursautor die fehlenden, für diesen Kooperationstyp benötigten Parameter in ein Formular eingeben. Daraus erstellt das System eine Beschreibung der kooperativen Episode in Form einer XML-Datei und legt sie im Lernmaterialrepository ab. Schließlich verknüpft das System die Beschreibung der kooperativen Episode mit dem Kurs über die Angabe der URL. Abbildung 6.5 zeigt schematisch den Prozess der Definition einer kooperativen Episode und der Integration in einen Kurs. Autor: PoC erstellen IPoC-Editor XML-Datei Verknüpfung mit Lehrmaterial (URL) Abbildung 6.5: Prozess der Definition einer kooperativen Aufgabe und der Integration in einen Kurs. 6.6 Durchführen kooperativer Kurse und Bilden von Lerngruppen Der Lernende benutzt einen Webbrowser zur Anmelden in der L³-Lernplattform, zur Auswahl des gewünschten Kurses und zur Bearbeitung des Kursmaterials. Zur Kommunikation und Kooperation mit anderen Lernenden oder Tutoren benutzt er – ebenso wie die Tutoren – den Kooperationsclient, den so genannten L³ Communicator (siehe Abbildung 6.6). Der L³ Communicator zeigt an, welche Lerner und Tutoren gerade online sind, und stellt Werkzeuge zur generischen und spontanen Kooperation wie E-Mail, Chat, Audio-/Videokonferenz und Shared Whiteboard bereit. Zusätzlich dient der L³ Communicator zur Verwaltung der kooperativen Episoden eines Lernenden. Abbildung 6.7 zeigt den so genannten PoC-Pool, in dem alle aktuellen kooperativen Episoden für einen Lerner dargestellt werden. Zu sehen sind drei abgeschlossene, ein laufender und zwei noch nicht gestartete kooperative Episode. 128 6. Realisierung Abbildung 6.6: Screenshot des L³ Communicator. Dargestellt sind Kommunikationswerkzeuge und Teilnehmerliste. Abbildung 6.7: Screenshot des L³ Communicator mit der Verwaltung der kooperativen Episoden. 6.6 Durchführen kooperativer Kurse und Bilden von Lerngruppen 129 Für jeden Eintrag können über ein Popupmenü unter dem Menüpunkt „Info“ Kontextinformationen zur Episode, zur Lerngruppe sowie zum Lernergebnis abgerufen werden (siehe Abbildung 6.8). Abbildung 6.8: Abruf der Kontextinformationen zu einer kooperativen Episode. Die schematische Darstellung in Abbildung 6.9 zeigt den Prozess des „Einsammelns“ einer kooperativen Episode bei der Bearbeitung eines Kurses. Erreicht der Lernende im Kurs die Stelle, an der eine kooperative Episode vorgesehen ist, veranlasst der Webbrowser (Lernerclient) den im Kooperationsserver enthaltenen Webserver dazu, die XML-Beschreibung der kooperativen Episode einzulesen (IPoCFactory.parseIPoCDescription(url)). Der dafür benutzte Aufruf des Kooperationsservers hat die Form: http://<collaboration server>/poc-notify? class=<class-id>& course=<course-id>& desc=<poc-url>& user=<name>& poc=<poc-label>& statusurl=<status-url> 130 6. Realisierung Hierbei ist <collaboration server> die URL des Kooperationsservers, <class-id> eine eindeutige Bezeichnung der Klasse, <course-id> eine eindeutige Bezeichnung des Kurses, <poc url> die URL der Beschreibung der kooperativen Episode, <name> ein eindeutiger Benutzername, <poc-label> eine Bezeichnung der kooperativen Episode und <status-url> die URL, an das der Kooperationsserver bei Veränderung des Status der kooperativen Episode das LMS notifiziert. Der Aufruf liefert an den Webbrowser eine Beschreibung der kooperativen Episode. Die IPoCFactory liefert ein IPoCModel. Damit wird ein MyPoC mit den Informationen zum Kontext des Einsammelns der Episode erzeugt und diese Episode im PoC-Pool des Lerners abgelegt. Lerner/Tutor: PoC einsammeln Webserver Web-Browser IPoCFactory.parseIPoCDescription(url) IPoCFactory.createIPoCModel() createMyPoC() Learner.addPoC() Abbildung 6.9: Prozess des „Einsammelns“ einer kooperativen Episode. Nachdem ein Lernender die kooperative Episode erreicht („eingesammelt“) hat, kann er über den Menüpunkt „Start“ die Gruppenbildungskomponente starten, um eine Gruppe für die Durchführung der Episode zusammenstellen zu lassen. Mit Hilfe des Menüpunktes „Löschen“ kann eine kooperative Episode aus dem PoC-Pool entfernt werden. Der Menüpunkt „Zurücksetzen“ löscht eventuell vorhandene Kooperationsergebnisse und sonstige Durchführungsinformationen und setzt den Status der kooperativen Episode auf „Neu“. Abbildung 6.10 zeigt die Komponente zur automatischen Bildung von Lerngruppen. Das System schlägt eine Lerngruppe bestehend aus zwei Lernenden („wessner, holmer“) für die kooperative Episode vor. Der Initiator kann nun mit der Durchführung 6.6 Durchführen kooperativer Kurse und Bilden von Lerngruppen 131 der Episode beginnen oder sich andere Kooperationspartner vorschlagen lassen. Aus dem Screenshot nicht ersichtlich ist der dazu ablaufende Gruppenbildungsalgorithmus gemäß der vorgesehenen Gruppenbildungsstrategie. Abbildung 6.10: Screenshot der Komponente zur automatischen Lerngruppenbildung Das Klassendiagramm in Abbildung 6.11 zeigt die wichtigsten an der Zusammenstellung von Lerngruppen beteiligten Klassen. Wird die Bildung einer Lerngruppe für eine kooperative Episode angestoßen, d.h. die Gruppenbildungskomponente für einen IPoC gestartet, wird ausgehend von den Kontextinformationen im ActivePoC, IPoCModel und MyPoC sowie den Informationen über die anderen Lerner und Tutoren im System versucht, gemäß der im IPoCModel enthaltenen Gruppenbildungsstrategie eine geeignete Gruppe zu bilden. Weitere Informationen zur manuellen Gruppenbildung sowie den realisierten Gruppenbildungsstrategien sind in Anhang A.2 zu finden. 132 6. Realisierung GroupBuilderComponent +groupFormation(in poc : ActivePoC) : Group +startCooperation(in group : Group) ActivePoC -[tutor] : Tutor -ipocModel : IPoCModel +getResultURL() : String +addLearner(in learner : Learner) +getLearners() : Learner[] MyPoC IPoCModel +getID() : String +getName() : String +getTopic() : String +getGroupFormation() : GroupFormation «interface» GroupFormation +formation() : Group ShortestWaitingTimeFormation DefaultFormation -courseID : String -classID : String -resultURL : String -state : PoCState -collectionTime : Date +getLearner() : Learner +getActivePoC() : ActivePoC +getIPoCModel() : IPoCModel Group -[tutor] : Tutor -learners : Learner[] HistoryFormation Abbildung 6.11: Klassendiagramm zur Gruppenbildung 6.7 Durchführen kooperativer Episoden Nachdem eine geeignete Gruppe gebildet wurde, kann die kooperative Episode durchgeführt werden. Dazu startet die Kooperationsplattform im Falle synchroner Kooperation bei allen Gruppenmitgliedern das zu dieser Episode gehörige Kooperationswerkzeug. Sobald die Gruppe die Bearbeitung der Episode abgeschlossen hat, wird das Ergebnis der kooperativen Episode im Lernmaterialrepository abgelegt und mit dem IPoC über seine URL verknüpft. Weiterhin wird die abgeschlossene Bearbeitung dem Lernmanagementsystem kommuniziert, damit das Lernerprofil für die beteiligten Lernenden aktualisiert werden kann. Der Status des IPoC wird auf „Beendet“ gesetzt. Wird die Episodenbearbeitung dagegen abgebrochen, wird der Status auf „Neu“ zurückgesetzt und kein Ergebnis abgelegt. Zur Beschreibung der 6.7 Durchführen kooperativer Episoden 133 Durchführung einer kooperativen Episode innerhalb eines Kooperationswerkzeugs siehe Anhang A.1. In L³ wurden folgende Werkzeuge zur Durchführung kooperativer Episoden konzipiert, implementiert und in die Kooperationsplattform integriert (vgl. Holmer & Wessner 2003 sowie das Klassendiagramm der Datenmodelle in Abbildung 6.12; die Namen der zugehörigen Datenmodelle stehen jeweils in Klammern hinter den Werkzeug-Namen): ‚ Pro-/Kontra (ProContraDispute) zur Durchführung von Pro-Kontra-Gesprächen ‚ Brainstorming (Brainstorming) zur kooperativen Sammlung und Strukturierung von Ideen ‚ Antwort an Tutor (AnswerToTutor) zur asynchronen Bearbeitung von Aufgaben, Kommunikation mit dem Tutor und Bewertung der Aufgabenlösung durch den Tutor ‚ Chat bzw. ThreadChat (AsynchDiscussion bzw. SynchDiscussion) zur Durchführung von asynchronen und synchronen Diskussionen ‚ Erklärungsdiskurs (ExplanationChat) zur Durchführung virtueller Sprechstunden ‚ Kooperative Texterarbeitung (CoText; nicht im Klassendiagramm dargestellt) zum abschnittsweisen Bearbeiten/Zusammenfassen vorgegebener Texte IPoCDescription -instructionURL : String -materialURL : String -version : Integer -topic : String -name : String -minParticipants : Integer -maxParticipants : Integer -minTime : Integer -maxTime : Integer -groupFormation : GroupFormation -withTutor : Boolean ProContraDispute Brainstorming -positionPro : String -proMaterialURL : String -positionContra : String -contraMaterialURL : String -seedwords : String[] AnswerToTutor -feedbackText : String -ccAddress : String -isAnswer : Boolean AsynchDiscussion ExplanationChat -timeLimit : Date -goalURL : String Abbildung 6.12: Klassendiagramm der Datenmodelle für geplante Kooperation SynchDiscussion 134 6. Realisierung Als ein Beispiel dieser Werkzeuge wird das Pro/Kontra-Werkzeug in Anhang A.1 beschrieben. Diese Werkzeuge sind teilweise nicht auf die Unterstützung einer einzigen Kooperationsform beschränkt, sondern können zur Realisierung verschiedener Kooperationsformen eingesetzt werden. Auch kann eine Kooperationsform durch unterschiedliche Werkzeuge unterstützt werden. Tabelle 6.1 zeigt die Einsetzbarkeit der Werkzeuge für die in Abschnitt 5.2.1 identifizierten relevanten didaktischen Modelle. Didaktisches DispuModell tation Fallmethode Werkzeug Pro-/Contra Brainstorming Antwort an Tutor Chat/Thread Chat Erklärungsdiskurs Kooperative Texterarbeitung KleingruppenLerngespräch Lerndialog Lernnetzwerk Simulation + - (+) - + - (+) - + - (+) - + - + + + (+) + (+) + + (+) - - + - - - - Tabelle 6.1: Eignung der Kooperationswerkzeuge für relevante didaktische Modelle Aus der Tabelle geht auch hervor, dass das Werkzeug Antwort an Tutor keines der aufgeführten didaktischen Modelle unterstützt. Der Göttinger Katalog didaktischer Modelle ist auf synchrone Präsenzlernszenarien ausgerichtet, in denen die Funktionalität Antwort an Tutor ein (kleiner) Teil verschiedener Modelle ist. 6.8 Generische und spontane Kooperation Für die generische und spontane Kooperation wurden die Werkzeuge Chat, ThreadChat, L³-Mail, L³-News und ein Shared Whiteboard (Multimedia-Notebook) entwickelt sowie eine Audio-Videokonferenzlösung eines Projektpartners in die Plattform integriert. Die Datenmodelle für die generische und spontane Kooperation wurden analog zu den Datenmodellen für die geplante Kooperation umgesetzt. Eine generische bzw. spontane Kooperation kann auf zwei Arten in L³ initiiert werden: 6.8 Generische und spontane Kooperation 135 ‚ Der L³ Communicator bietet den Zugriff auf die oben genannten Werkzeuge. Der Benutzer wählt aus der Anzeige der L³-Teilnehmer (siehe Abbildung 6.6 rechts) einen oder mehrere zu kontaktierende Benutzer aus und aktiviert dann das gewünschte Kooperationswerkzeug. Die Anzeige der L³-Teilnehmer kann auf verschiedene Arten gefiltert werden. So kann sich der Benutzer nur Tutoren, nur Online-Teilnehmer, nur Teilnehmer aus von diesem Benutzer gebuchten Kursen sowie nur Teilnehmer, deren Benutzername eine bestimmte Zeichenfolge enthält, anzeigen lassen. Damit ist auch eine kontextabhängige Auswahl (z.B. spontane Kooperation mit einem zugehörigen Tutor oder anderen Lernenden im gleichen Kurs) durch Filterung der Teilnehmerliste möglich. Wird ein Werkzeug zur synchronen Kooperation ausgewählt wird dieses – nach Bestätigung – bei allen Kooperationspartnern geöffnet. Für die asynchronen Werkzeuge L³-Mail und L³-News wird nur bei dem initiierenden Benutzer das entsprechende Werkzeug zum Verfassen der Nachricht bzw. des Forumeintrags geöffnet. ‚ Eine zweite Möglichkeit zur Initiierung einer spontanen Kooperation besteht via Webbrowser. In der L³-Lernplattform wurden die Schaltflächen „Kontaktiere Tutor“ und „Kontaktiere Mitlerner“ implementiert. Damit wird ein zum aktuellen Kurs zugehöriger Tutor bzw. Mitlerner kontaktiert. Ist mindestens ein Tutor bzw. Mitlerner online, wird eine synchrone Kooperation gestartet, ansonsten öffnet sich das L³-Mail-Werkzeug, mit dem eine Nachricht an einen zugehörigen Tutor oder Mitlerner gesendet werden kann. Im folgenden Kapitel 7 werden die mit dem Einsatz der Kooperationsplattform (sowohl mit der großen als auch mit der kleinen Lösung – siehe Abschnitt 6.3) gesammelten Erfahrungen berichtet sowie Gestaltungsempfehlungen für virtuelle Lernumgebungen zur Unterstützung kontextueller Kooperation abgeleitet. Kapitel 7 Erfahrungen und Gestaltungsempfehlungen In diesem Kapitel wird von den Erfahrungen berichtet, die mit den Lösungskonzepten und der exemplarischen Umsetzung der Lösungskonzepte in eine virtuelle Lernumgebung sowie bei deren Erprobung gesammelt wurden. Daraus werden weitere Gestaltungsempfehlungen für die kontextuelle Kooperation in virtuellen Lernumgebungen abgeleitet. Die exemplarische Umsetzung der Lösungskonzepte und Erprobung der virtuellen Lernumgebung erfolgte im Rahmen des Projektes „L³: Lebenslanges Lernen - Weiterbildung als Grundbedürfnis“ (L³). Zunächst werden prinzipielle Schwierigkeiten der Evaluation kooperativen Lernens in virtuellen Lernumgebungen erörtert (7.1). Danach werden Erfahrungen mit der Umsetzung der Lösungskonzepte und der Erprobung im Rahmen des Projektes L³ berichtet (7.2). Eine Beurteilung der Lösungskonzepte und der Umsetzung erfolgte weiterhin im Rahmen eines internationalen Expertenworkshops (7.3). Dies wird ergänzt durch Erfahrungen mit einer für interne Tests entwickelten, weniger komplexen, Version des Systems (7.4). Im Anschluss daran werden weitere Studien skizziert, in denen Teilaspekte des Lösungskonzeptes empirisch untersucht wurden (7.5). Schließlich werden aus den gesammelten Erfahrungen Empfehlungen für die funktionale Gestaltung der kontextuellen Kooperation in virtuellen Lernumgebungen abgeleitet (7.6). Die Erfahrungen mit der Umsetzung und Erprobung der in dieser Arbeit entwickelten Konzepte werden unter zweifacher Zielsetzung betrachtet: Zum einen gilt es zu überprüfen, inwieweit die vorgestellten Konzepte und das realisierte System in seiner konkreten technischen Umsetzung die gestellten Anforderungen erfüllt und von Vertretern der verschiedenen Nutzergruppen akzeptiert werden. Zum anderen zielt die Betrachtung auf die Entwicklung von allgemeinen, über diese konkrete Realisierung hinausgehenden Gestaltungsempfehlungen für die Realisierung kontextueller Kooperation in virtuellen Lernumgebungen. 137 138 7. Erfahrungen und Gestaltungsempfehlungen 7.1 Zur Evaluation kooperativer Lernumgebungen Die Evaluation einer kooperativen Lernumgebung ist mit zahlreichen Problemen verbunden. Vielfach handelt es sich hierbei um Probleme, die aus der CSCW-Forschung bekannt sind (siehe z.B. Grudin 1994): ‚ Betrachtet man den Kooperationsprozess und das Kooperationsergebnis aus Sicht eines Einzelnen, so sind sowohl der Prozess als auch das Ergebnis der Kooperation von Variablen abhängig, die von anderen Benutzern mitbestimmt werden. ‚ Die Evaluation von Groupware sollte über Wochen oder besser Monate hinweg erfolgen, da sich das zu beobachtende Verhalten (insbesondere bei asynchroner Kooperation) meist über einen längeren Zeitraum erstreckt. ‚ Für Groupware geeignete Evaluationsmethoden sind komplexer als Evaluationsmethoden für Einzelbenutzersysteme, da viele sich gegenseitig beeinflussende Faktoren beobachtet werden müssen. ‚ Aufgrund der hohen Komplexität und Situiertheit authentischer Untersuchungsszenarien lassen sich gesammelte Erfahrungen nicht ohne weiteres auf andere Kontexte, Systeme und Nutzer übertragen oder verallgemeinern. Zu diesen Problemen der Evaluation von Groupware gesellen sich noch spezifische Probleme des computerunterstützten kooperativen Lernens (Pfister & Wessner 2000; siehe auch Holst 2000): ‚ Effekte des kooperativen Lernens lassen sich häufig nur indirekt und erst nach einer längeren, vorher nicht bekannten Zeitspanne beobachten. ‚ Die Evaluation kooperativen Lernens ist schwieriger als die Evaluation individuellen Lernens. Während beim individuellen Lernen Effekte meist durch Prä- und Posttests untersucht werden, steht beim kooperativen Lernen der komplexe kooperative Lernprozess im Zentrum der Untersuchungen. Um diesen Prozess zu erfassen, sind technische, psychologische, pädagogisch-didaktische und organisatorisch-kulturelle Variablen zu kontrollieren. ‚ Kooperatives Lernen hat primäre Effekte, z.B. den Aufbau themenbezogener Kompetenzen, und sekundäre Effekte, z.B. den Aufbau methoden- oder medienbezogener Kompetenzen. Primäre und sekundäre Effekte treten nicht isoliert, sondern miteinander vermischt auf. Es gibt eine Vielzahl von Methoden, die für die Evaluation des computerunterstützten kooperativen Lernens geeignet sind (Pfister 2004). Die Auswahl der Evaluations- 7.1 Zur Evaluation kooperativer Lernumgebungen 139 methode muss in Abhängigkeit der zu treffenden Entscheidung, d.h. in Abhängigkeit von Gegenstand und Ziel der Evaluation erfolgen (Holst 2000, Pfister & Wessner 2000). Im Hinblick auf das Ziel der Evaluation wird zwischen formativer und summativer Evaluation unterschieden (vgl. z.B. Gage & Berliner 1996, 601f.). Bei der formativen Evaluation steht als Ziel die Gestaltung z.B. von Systemen im Mittelpunkt. Fragestellungen, unter denen der Evaluationsgegenstand untersucht wird, lauten beispielsweise: „Muss der Gegenstand verändert werden? Wie kann der Gegenstand noch verbessert werden?“ Bei der summativen Evaluation geht es um die Entscheidung über den Einsatz z.B. eines Systems. Dazu wird der Evaluationsgegenstand meist mit alternativen Lösungen verglichen. Für die Evaluation können sowohl Methoden der qualitativen Forschung als auch Methoden der quantitativen Forschung angewandt werden (Gage & Berliner 1996, S. 11). Bei der qualitativen Forschung geht es um das Beschreiben und Interpretieren von Ereignissen, bei der quantitativen Forschung um das Messen von Ereignismerkmalen (vgl. Gage & Berliner 1996, S. 22f., Lamnek 1995). In Bezug auf die wissenschaftliche Orientierung werden qualitative Verfahren eher als Instrument der Theoriebildung verstanden und stehen der formativen Evaluation nahe. Dagegen zielen quantitative Verfahren eher auf die Überprüfung von Hypothesen oder Theorien und werden häufig für die summative Evaluation eingesetzt. Unabhängig vom Evaluationsziel legen bestimmte Fragestellungen quantitative Methoden nahe bzw. können nur mit quantitativen Methoden beantwortet werden (beispielsweise die durchschnittliche Bearbeitungszeit eines Lernmoduls), andere Fragestellungen eignen sich vor allem oder ausschließlich für den Einsatz qualitativer Verfahren. Qualitative Verfahren sind besonders für die Untersuchung komplexer sozialer Sachverhalte, zu welchen CSCL gerechnet werden muss, geeignet. Das im letzten Kapitel vorgestellte System zur Unterstützung der kontextuellen Kooperation in virtuellen Lernumgebungen baut zwar auf bekannten Methoden auf, jedoch konnte die Funktionalität nicht erschöpfend vor der Umsetzung spezifiziert werden. Vielmehr ändern sich im Zuge der Entwicklung und des Einsatzes des Systems im Anwendungskontext häufig auch Anforderungen an das System. Dies ist darin begründet, dass bei den beteiligten Kursautoren, Tutoren und Lernenden mehrere Veränderungsprozesse parallel abliefen. Viele der Beteiligten befassten sich im Rahmen des L³-Projektes zum ersten Mal mit technologieunterstütztem Lernen, mit kooperativem Lernen bzw. mit örtlich verteiltem Lernen. Derartige Systeme mit multiplen Veränderungsprozessen erfordern eine evolutionäre und kooperative Systementwicklung (Dahme & Hesse 1997). Die Evaluation eines solchen Systems muss damit zumindest in den ersten Entwicklungszyklen formativ orientiert sein. Aufgrund 140 7. Erfahrungen und Gestaltungsempfehlungen der meist geringen Fallzahlen in diesen ersten Entwicklungszyklen bietet sich dafür ein qualitatives Vorgehen an. Quantitative und summative Evaluation sind dann aussichtsreich, wenn der Entwicklungszyklus bereits mehrfach durchlaufen wurde. Aufgrund der hohen Entwicklungsdynamik stellt Gaiser für den Bereich des telematischen Lernens generell die Anwendbarkeit quantitativer Methoden in Frage, für sie „ist der Bereich für einen quantitativen Ansatz theoretisch nicht hinreichend erschlossen“ (Gaiser 2002, S. 102). In der Forschung setzt sich zunehmend ein Neben- bzw. Miteinander der verschiedenen Vorgehensweisen durch (Gage & Berliner 1996, S. 23, Kleining 1995). Es lässt sich mit Kromrey (1995) feststellen, dass Evaluation „für ein ganzes Bündel von Ansätzen, Methoden und Instrumenten [steht], aus denen je nach spezifischer Aufgabenstellung ein geeignetes Design ‚maßzuschneidern’ ist“ (Kromrey 1995, S. 315). Speziell innerhalb des Forschungsgebietes CSCL bilden sich in den letzten Jahren pragmatische, mehrdimensionale Ansätze heraus (vgl. z.B. Holst & Holmer 2002, Neale & Caroll 1999). 7.2 Einsatz im Projekt L³ Das entwickelte System ist zentraler Bestandteil der im vorherigen Kapitel vorgestellten L³-Lernumgebung. Im L³-Projekt waren alle wesentlichen Interessensgruppen des E-Learning repräsentiert, es waren Kursautoren und Inhalteanbieter, Weiterbildungsanbieter und -berater, Technologieanbieter sowie Forschungseinrichtungen aus den Bereichen Didaktik und Technik vertreten. Durch diese Konstellation ergaben sich eine Reihe von Schnittstellen und Berührungspunkten der kooperativen Lernumgebung mit den Komponenten anderer Projektpartner und den Geschäftsprozessen der verschiedenen Interessensgruppen. Im Folgenden werden die Erfahrungen mit der Einführung des Konzeptes und des Systems bei verschiedenen Zielgruppen, nämlich den Kursautoren sowie den Lernenden und den Tutoren dargestellt. 7.2.1 Workshops mit Kursautoren Kursautoren wurden zu verschiedenen Zeitpunkten in den Prozess der Konzept- und Systementwicklung einbezogen. Dies erfolgte zum einen durch mehrere Workshops, zum anderen fortlaufend durch den Austausch und die Diskussion des aktuellen Standes der Entwicklung. Die Workshops dienten zu Projektbeginn der Erhebung von (initialen) Anforderungen, später der Vorstellung und Diskussion der Lösungskonzepte, danach der Vorstellung und Diskussion der Implementierung sowie dem Training der Kursautoren. 7.2 Einsatz im Projekt L³ 141 Die leitenden Fragen der Workshops lauteten: Wie können die Kursautoren kooperative Lernmethoden in ihren Kursen einsetzen? Welche kooperativen Lernmethoden sind in welcher Situation geeignet? Wie können bestimmte kooperative Lernmethoden im System realisiert werden? Die Workshops fanden als halb- bzw. ganztägige Veranstaltungen mit jeweils ca. 10 – 15 Teilnehmern statt. Als Erhebungsmethoden wurden das Mitprotokollieren der Diskussion durch einen Beobachter sowie punktuelle weiterführende Interviews am Rande der Workshops durch den Autor dieser Arbeit eingesetzt. Es wurde schnell deutlich, dass die Kursautoren in ihrer bisherigen beruflichen Praxis weder einen Anlass noch die Möglichkeiten hatten, kooperative Lernmethoden in ihren (auf individuelles Lernen ausgerichteten) Kursen einzusetzen. Die Beschäftigung der Kursautoren mit kooperativen Lernmethoden brauchte daher eine gewisse Anlaufzeit, so dass die Kursautoren entsprechende didaktische Konzeptionen für ihre Wissensgebiete und Kurse erarbeiten konnten. Ähnliche Erfahrungen wurden beispielsweise auch im CASTLE-Projekt gesammelt (vgl. Böhmann et al. 1999). Dabei wurde von den Kursautoren eine einfach handhabbare Entscheidungsunterstützung zur Eignung bestimmter kooperativer Lernmethoden für bestimmte Szenarien vermisst. Es zeigte sich, dass die Kursautoren je nach ihrer inhaltlichen Domäne teilweise sehr unterschiedliche kooperative Lernmethoden einsetzen wollten. Beispielsweise bestand Interesse an der Integration von Application Sharing für Kurse zum SoftwareTraining, während diese Funktionalität für andere Kursinhalte nicht gefordert wurde. Andererseits kristallisierte sich eine Menge von kooperativen Lernmethoden heraus, die von allen Kursautoren als sinnvoll und wünschenswert erachtet wurde. Um die Kooperationsfunktionalitäten der Plattform in verschiedenen Domänen und Institutionen mit der jeweils passenden Bezeichnung (z.B. „Kontaktiere Tutor“, „Kontaktiere Betreuer“, „Kontaktiere Lehrkraft“) verwenden zu können, forderten die Kursautoren die Möglichkeit, die Bezeichnungen von und in Kooperationswerkzeugen anpassen zu können. Allgemein zeigte sich in der Analyse der Kurse, dass die Kursautoren die vorgesehenen Typen kooperativer Aufgaben sehr frei und kreativ für ihren jeweiligen Lerngegenstand nutzten. So wurde beispielsweise die Aufgabenform „kooperative Texterarbeitung“ zur Bildbeschreibung in technischen Kursen und zur Übersetzung in Fremdsprachenkursen eingesetzt. Das Werkzeug zur Definition kooperativer Aufgaben sowie zur Einbettung kooperativer Aufgaben in einen Kurs erfuhr eine hohe Akzeptanz durch die Kursautoren. Damit die Autoren bereits während der Kurserstellung einen Eindruck der Darstellung kooperativer Aufgaben aus Sicht des Lernenden oder Tutoren erhalten konnten, 142 7. Erfahrungen und Gestaltungsempfehlungen wurde die Erweiterung des Systems um eine Funktion zur Simulation kooperativer Aufgabendurchführung bzw. zur Vorschau auf die Darstellung einer kooperativen Aufgabe (aus der Perspektive eines Lernenden) angeregt. Aufgrund der benötigten Anlaufzeit wurden von den Kursautoren nur wenige kooperative Aufgaben direkt in die Kurse eingebaut. Für Evaluationszwecke wurde ein Demonstrationskurs mit zahlreichen kooperativen Aufgaben erstellt und eingesetzt. Insgesamt zeigte sich, dass Kursautoren nicht a priori für die Erstellung kooperativer Kurse qualifiziert sind und entsprechende Qualifizierungsangebote bereitgestellt werden müssen. Die zum Teil sehr verschiedenen Anforderungen hinsichtlich der Kooperationsmethoden führten zu einer modularen und erweiterbaren Gestaltung des Systems. Die Realisierung der kontextuellen Kooperation, also das Bereitstellen von Informationen zur Aufgabe und zum Ziel der Kooperation sowie die Strukturierung der Kooperation durch kooperative Lernmethoden und die damit verbundene Unterstützung durch das System wurden als sehr hilfreich für die Lernenden erachtet. Die modulare und erweiterbare Gestaltung des Systems erlaubt das Hinzufügen weiterer Kooperationsmethoden, ohne dass bestehende Kurse verändert werden müssen. Dies wurde von den Kursautoren sehr positiv bewertet. 7.2.2 Erfahrungen im Rahmen der Erprobung in L³-Lernzentren Die Kooperationsplattform wurde als Teil der L³-Lernumgebung im L³-Servicezentrum und in acht L³-Lernzentren sowie drei weiteren Test-Lernzentren installiert. Im Folgenden werden die Erfahrungen der Lernenden und Tutoren mit der Kooperationsplattform überblicksartig dargestellt. Dabei steht die Nutzung und Akzeptanz der Kooperationsplattform durch die Lernenden und Tutoren in den Lernzentren im Mittelpunkt der Betrachtungen. Die Nutzung der L³-Lernumgebung in den Lernzentren erfolgte sehr unterschiedlich je nach der Organisationsform der Lernzentren. Die Bandbreite reichte von überwiegender unbetreuter Nutzung durch einzelne Lernende über betreutes Lernen durch einen Lehrenden vor Ort bis zum synchronen Einsatz im Klassenraum. Die Erfahrungen wurden durch Einzelinterviews durch den Autor und die Auswertung der Projektberichte der Lernzentren sowie der von der L³-Software aufgezeichneten Benutzungsstatistiken gewonnen. Am häufigsten wurde nach Meinung der Lernenden und der Tutoren sowie laut Benutzungsstatistik die spontane Kooperation genutzt. Weiter wechselten die Lernenden häufig zwischen individuellem und spontanem kooperativem Lernen hin und her. Demgegenüber wurden die (wenigen) geplanten kooperativen Aufgaben, wie sie 7.3 Expertenworkshop 143 in einzelne Kurse integriert waren, weniger genutzt. Unabhängig davon wurde die nahtlose Integration der verschiedenen Lernmodi von den Tutoren und Lernenden positiv beurteilt. Besonders hervorgehoben wurden die Funktionalität zur Bildung von Lerngruppen, die Vermittlung von Informationen über die Aufgabe und das Ziel der Kooperation sowie das Strukturieren und Anleiten der Kooperation durch die Lernumgebung. Aufgrund verschiedener Verzögerungen im Projektfortschritt von L³ lag sowohl die Anzahl der Kurse mit kooperativen Aufgaben als auch die Zahl der Lernenden unterhalb der geplanten Werte. So konnte für die Durchführung kooperativer Aufgaben häufig keine geeignete Lerngruppe gebildet werden, da nicht ausreichend viele geeignete Lerner verfügbar waren. Dies war insbesondere problematisch für synchron zu bearbeitende Aufgaben. Ist die Verfügbarkeit einer kritischen Masse an Lernenden nicht durch eine hohe Gesamtzahl an Benutzern gegeben, müssen geeignete Maßnahmen entwickelt werden, mit denen eine solche kritische Masse erreicht werden kann, beispielsweise durch das Vorgeben bestimmter Zeitfenster für die Benutzung. Sowohl von Lernenden als auch von Tutoren kam die Forderung, bei den Bezeichnungen für Kooperationsformen und -werkzeuge in der Kooperationsplattform den Sprachgebrauch der Zielgruppe und der das Lernzentrum betreibenden Weiterbildungseinrichtung zu berücksichtigen. Aufgrund der Heterogenität der Zielgruppen und Einrichtungen sollte den Lernzentren bzw. den Tutoren selbst die Möglichkeit gegeben werden, die Bezeichnungen ihrem jeweiligen Bedarf anzupassen. Diese Anforderung deckt sich mit den Wünschen der Kursautoren (vgl. Abschnitt 7.2.1). Da die Lernzentren teilweise über keine permanente Internetverbindung verfügen, wurde von den Lernzentren ein zusätzlicher Offline-Betriebsmodus angeregt, in dem nur die Kooperation innerhalb des Lernzentrums bzw. das Erstellen von Beiträgen für lernzentrumsübergreifende asynchrone Kooperation möglich ist. 7.3 Expertenworkshop Die virtuelle Lernumgebung wurde in einem Workshop im Rahmen der internationalen Konferenz Computer Support for Collaborative Learning (CSCL 2002) in Boulder, Colorado, USA vorgestellt, eingesetzt und diskutiert. Ziel dieses Workshops war es, den Lösungsansatz und die exemplarische Umsetzung der Fachöffentlichkeit vorzustellen sowie von den teilnehmenden internationalen CSCL-Experten Rückmeldung zum Lösungsansatz und zur konkreten technischen Umsetzung zu erhalten. Dadurch sollte die Allgemeinheit und die Übertragbarkeit des Ansatzes der kontextuellen Kooperation geprüft bzw. sichergestellt werden. 144 7. Erfahrungen und Gestaltungsempfehlungen Der Workshop fand am 9. Januar 2002 in Boulder, Colorado, USA statt und dauerte zwei Stunden. Für den Workshop wurde ein Netzwerk aus zehn Desktop-PCs aufgebaut, von denen einer als Kooperations- und Lernmaterialserver sowie als Tutorenarbeitsplatz, die restlichen neun als Lernerstationen eingerichtet wurden. Im Vorfeld des Workshops wurde ein kooperativer Kurs zum Thema „CSCL“ so modifiziert, dass zum einen den (hohen) Vorkenntnissen der Teilnehmer, zum anderen der eingeschränkten Lernzeit im Rahmen des Workshops Rechnung getragen wurde. Insgesamt nahmen zwölf Personen aktiv am Workshop teil, davon neun in der Rolle des Lernenden, drei Personen agierten als Tutoren. Im Workshop wurde zunächst das Konzept und die Umsetzung in einem Vortrag kurz vorgestellt. Danach benutzten die Teilnehmer die virtuelle Lernumgebung und bearbeiteten den Kurs zum Thema „CSCL“. Nach zwei Lernmaterialseiten gelangten die Teilnehmer zu einer ersten kooperativen Aufgabe. Wiederum zwei Seiten weiter erreichten sie eine zweite kooperative Aufgabe. Es handelte sich um einen Erklärungsdiskurs und eine kooperative Texterarbeitungsaufgabe. Nach der Initiierung der Kooperation durch die Teilnehmer wurden sie vom System in drei Gruppen eingeteilt, in denen die kooperativen Aufgaben bearbeitet wurden. Danach wurden das Konzept und die Umsetzung zunächst in den einzelnen Gruppen diskutiert. Schließlich wurden die Gruppenergebnisse im Plenum vorgestellt und weiter diskutiert. Zur Datenerhebung wurden die Diskussionen in den Gruppen und im Plenum von den Tutoren stichpunktartig mitprotokolliert. Das Feedback der Teilnehmer bezog sich zum einen auf das Lösungskonzept, zum anderen auf die konkrete technische Realisierung in der virtuellen Lernumgebung. Im Folgenden werden die von den Experten angesprochenen Aspekte zusammengefasst. Aufgrund der Neuartigkeit des Ansatzes wurde eine Einführung für Kursautoren, Lernende und Tutoren in das System als unbedingt notwendig erachtet. Diese Einführung muss nach Ansicht der Experten sowohl die Vorteile des kooperativen Lernens vermitteln („cooperation is NOT a value in its own“) als auch den praktischen Umgang mit den Werkzeugen erklären. Ebenso wurde die Verfügbarkeit eines Betreuers für technische und methodische Fragen nach Expertenmeinung zumindest in der Zeit der anfänglichen Nutzung als unbedingt notwendig erachtet. Für die Nutzergruppe der Autoren wurde der Prozess und die Werkzeugunterstützung zur Erstellung kooperativer Aufgaben sowie zu deren Integration in Kurse als zweckmäßig erachtet. Es wurde als Forschungsdefizit festgestellt, dass zur Zeit noch keine klaren Kriterien vorliegen, die einem Kursautor anzeigen, in welcher Situation welche Kooperationsmethoden sinnvoll sind, und unter welchen Bedingungen 7.3 Expertenworkshop 145 eine synchrone, eine asynchrone oder eine Mischung aus beiden Kooperationsmodi vorzuziehen ist. Hier sind weitere Forschungsarbeiten nötig, um zunächst einmal die Kriterien zu identifizieren, die auf den Einsatz bestimmter Kooperationsmethoden und –modi hinweisen. Als möglicherweise sinnvolle Kriterien wurden die Eigenschaften der Zielgruppe (z.B. die technische Ausstattung und die erwartete zeitliche Verfügbarkeit der Teilnehmer), der zu bearbeitenden Materialien (z.B. Art und Umfang) oder auch des Lernzieles genannt. Für die Nutzergruppe der Lernenden und der Tutoren wurde die reibungslose Unterstützung in allen Phasen der Kooperation, nämlich bei der Gruppenbildung, der Strukturierung und Anleitung des kooperativen Lernprozesses sowie bei der Weiterverwendung der Ergebnisse positiv beurteilt. Gleichzeitig wurde bei der automatischen Bildung von Lerngruppen bemerkt, dass für die Beteiligten nicht transparent ist, nach welcher Methode die Lerngruppen gebildet werden. Während die Größe der resultierenden Lerngruppen als nachvollziehbar beurteilt wurde, war nicht klar, welche Kriterien die Auswahl der einzelnen Mitglieder der Lerngruppe beeinflussen. Die Transparenz des Gruppenbildungsverfahrens wurde je nach Zielgruppe und Art der kooperativen Aufgaben als ein wichtiger Faktor für die Akzeptanz des Konzepts und des Systems durch die Lernenden betrachtet. In Situationen, in denen Teilnehmer phasenweise individuelle parallele Aktivitäten durchführen und sich in Abhängigkeit des Fortschritts einzelner oder aller Teilnehmer nach der individuellen Aktivität wieder für eine zeitgleiche kooperative Aktivität synchronisieren, wurde eine bessere Awareness für die Aktivitäten der anderen Teilnehmer gefordert. Dies ist beispielsweise dann ein Problem, wenn bei einer kooperativen Texterarbeitungsaufgabe die Kommentatoren auf das Fertigstellen der Zusammenfassung des aktuellen Textabschnittes durch den Zusammenfasser warten. Hier fehlt den Mitgliedern der Lerngruppe die Awareness, wie weit die anderen Teilnehmer sind und wann es voraussichtlich weitergehen wird. Es wurde empfohlen zu prüfen, inwieweit länger andauernde Kooperationen unterbrechbar gestaltet werden können, so dass der erreichte Kooperationszustand in einer späteren Sitzung wiederhergestellt werden kann. Ein wichtiger Diskussionspunkt betraf das Thema der Strukturierung der kooperativen Prozesse durch die Gestaltung der Benutzerschnittstelle und durch Lernprotokolle. Während nach Ansicht einiger Teilnehmer vor allem für kooperationsunerfahrene Lernende mehr Führung durch die Kooperationsplattform übernommen werden sollte, wünschten sich andere Teilnehmer mehr Flexibilität bei der Gestaltung der Kooperation. Es wurden umfangreiche Konfigurationsmöglichkeiten für den Kursautor oder Tutor gefordert, so dass diese je nach Zielgruppe und Lernsituation bestimmen können, wie straff die Strukturierung durch das System erfolgen soll. 146 7. Erfahrungen und Gestaltungsempfehlungen Es wurde ferner angeregt, die Integration kooperativer Spielepisoden in den Kurs vorzusehen. Als Begründung wurde auf die potentiell motivierende bzw. belohnende Wirkung derartiger Episoden im Lernprozess verwiesen. Insgesamt wurde die kontextuelle Kooperation in der virtuellen Lernumgebung von allen Experten positiv aufgenommen. Die aufgetretenen Divergenzen im Hinblick auf die konkrete Umsetzung der Idee wurden in der Diskussion auf die unterschiedlichen Anwendungsszenarien zurückgeführt, die die Teilnehmer jeweils implizit zugrunde legten. 7.4 Tests am Fraunhofer IPSI Nach dem Projektplan des Projektes L³ starteten die verschiedenen Entwicklungsstränge (Entwicklung der technischen Infrastruktur, Entwicklung einer Didaktik des internetbasierten (individuellen und kooperativen) Lernens, Entwicklung von Kursen unter Berücksichtigung der innovativen technischen und didaktischen Möglichkeiten sowie Entwicklung von Betriebskonzepten für Lernzentren) nahezu gleichzeitig. Da diese Entwicklungsstränge aber nicht unabhängig voneinander bearbeitet werden konnten, kam es zu zeitlichen Verzögerungen in der Projektdurchführung. Daher konnten manche Entwicklungs- und Evaluationsschritte nicht oder nicht in der gewünschten Art im Rahmen des Projektes durchgeführt werden. Rückblickend wäre eine Staffelung der Entwicklungsstränge, z.B. dass Konzeption und Aufnahme des Lernzentrumsbetriebs erst nach Vorliegen der stabilen technischen Lösung und einer entsprechenden Anzahl kompatibler Kurse erfolgen, sinnvoll gewesen (Ehlers 2003, S. 364). In Ergänzung zum Einsatz der Kooperationsplattform als Teil der virtuellen Lernumgebung in den L³-Lernzentren wurde die Kooperationsplattform deshalb auch in weiteren Studien am Fraunhofer IPSI eingesetzt. Diese Studien fokussierten auf solche Fragestellungen, die im L³-Kontext aufgrund der oben genannten Einschränkungen durch die Projektkonstruktion und die zeitlichen Abhängigkeiten nicht oder erst mit größerer Verzögerung behandelt werden konnten. Ziel der Erprobung war die technische Evaluation hinsichtlich Stabilität und Erfüllen der funktionalen Anforderungen. Fragen der Akzeptanz durch die unterschiedlichen Zielgruppen, Fragen der Lerneffizienz etc. waren nicht Gegenstand dieser Studien. Dazu wurde aus der Kooperationsplattform und weiteren Komponenten eine virtuelle Lernumgebung realisiert (im Folgenden: „kleine Lösung“; zur Architektur und Implementierung siehe Kapitel 6 sowie Wessner et al. 2002). Im Gegensatz zur im L³Projektes realisierten Lernumgebung (im Folgenden: „große Lösung“, vgl. Kapitel 6) konnten etliche Schnittstellen eingespart bzw. vereinfacht werden, da die Funktionen 7.4 Tests am Fraunhofer IPSI 147 auf weniger Komponenten verteilt waren und einige Anforderungen (z.B. bezüglich der verschlüsselten Kommunikation) wegfallen konnten. In der kleinen Lösung übernimmt der Kooperationsserver zusätzlich die Funktionalität des Benutzermanagements (Benutzer- und Klasseninformationen) und Contentmanagements (Kursmaterial). Die Nutzung erfolgte am Fraunhofer IPSI über ein lokales Netz mit hoher Bandbreite. Für die Akzeptanz und Durchführung kooperativer Aufgaben war sicherlich von Vorteil, dass sich alle Benutzer bereits aus der täglichen Arbeit kannten. Die Tests erfolgten jeweils mit bis zu fünf Benutzern, eingesetzt wurden mehrere Varianten eines kooperativen Testkurses zum Thema „CSCL“. Die Testläufe mit dem System konnten sehr erfolgreich unter den genannten (idealen) Bedingungen durchgeführt werden. Es zeigte sich, dass für größere Nutzerzahlen und mehr Kurse die Funktionen zum Benutzer- und Kursmanagement verbessert und erweitert werden müssten. Je größer die Anzahl der zu verwaltenden Benutzer und Kurse wird, desto sinnvoller erscheint es, die Aufgaben zwischen dem Kooperationsserver und weiteren Komponenten zu verteilen, so wie dies auch bei der großen Lösung erfolgt. Während in L³-Lernzentren die Lernenden explizit nur mit Lernprozessen beschäftigt sind, erfolgte die Nutzung in den internen Tests vom Arbeitsplatz aus und in eine Arbeitssituation integriert. Dadurch wurden zusätzliche Anforderungen an die virtuelle Lernumgebung im Kontext des Lernens am Arbeitsplatz deutlich, von deren Berücksichtigung auch der Lernende im Lernzentrum profitieren kann: ‚ Für die einzelnen Kooperationswerkzeuge ist eine Import- und Exportfunktionalität sinnvoll, um vorbereitetes Material in eine Kooperation, z.B. mit dem Tutor, einbringen zu können oder um Kooperationsergebnisse weiterverarbeiten zu können, beispielsweise das Ergebnis einer Brainstorming-Aufgabe. ‚ Selbstgesteuerte Lernende, z.B. am Arbeitsplatz oder in Lernzentren, akzeptieren in manchen Situationen keine Unterbrechung durch Kooperationsanfragen, z.B. während eines konzentrierten individuellen Lernprozesses oder während einer Kommunikation mit Dritten. Zur Adressierung dieser Anforderung sollte eine Funktionalität analog zum Türschild „Bitte nicht stören!“ zur Verfügung gestellt werden. ‚ Je nach zeitlicher Verfügbarkeit der Lernenden können insbesondere kooperative Aufgaben, die eine über wenige Minuten hinausgehende Bearbeitungszeit erfordern, häufig nicht ad-hoc bearbeitet werden. Um die Lernenden in der Vereinbarung von Terminen für die Aufgabenbearbeitung zu unterstützen, ist es sinnvoll, eine Terminkalenderfunktionalität im System bereitzustellen. 148 7. Erfahrungen und Gestaltungsempfehlungen 7.5 Weitere Studien Wie unter 7.1 begründet, war in den ersten Entwicklungszyklen der virtuellen Lernumgebung der Einsatz vor allem qualitativer Evaluationsverfahren für die weitere Beeinflussung der Systementwicklung sinnvoll. Gegen Ende bzw. nach Abschluss des L³-Projektes waren die Voraussetzungen gegeben, einzelne Aspekte der Lernumgebung in fokussierteren, quantitativ angelegten empirischen Studien zu untersuchen. Die Steuerung kooperativer Lernprozesse durch Lernprotokolle wurde in dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekt „Unterstützung des kooperativen Lernens durch Lernprotokolle“ empirisch untersucht, wobei Protokollsteuerung, Gruppengröße und Lerngegenstand variiert werden (Pfister & Mühlpfordt 2002, Pfister et al. 2003). Es zeigte sich, dass die Strukturierung der Kooperation zu höherem Lernerfolg im Vergleich zur unstrukturierten Kooperation führt. Ähnlich positive Ergebnisse wurden auch in mehreren Studien im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projektes ALBA erzielt (Linder & Rochon 2003, Münzer 2003, Münzer & Linder 2004). In diesem Projekt wurde ferner deutlich, dass die Planung, Vorbereitung, Betreuung und Reflektion kooperativer Lernprozesse ein wichtiges Erfolgskriterium für örtlich verteilte Lerngruppen darstellen. 7.6 Gestaltungsempfehlungen Bei der Umsetzung und Einführung der virtuellen Lernumgebung konnte einerseits eine große Akzeptanz und kreative Nutzung der Lösung beobachtet werden, andererseits sind auch einige Probleme deutlich geworden, mit denen größtenteils zu Beginn nicht gerechnet wurde bzw. nicht gerechnet werden konnte (vgl. Abschnitt 7.1). Nach einer kurzen Betrachtung von existierenden oder in der Entwicklung befindlichen Standards für kooperatives Lernen werden im Folgenden die positiven und negativen Erfahrungen auf der Kursebene und der Kooperationsebene dargestellt. Daraus werden jeweils Empfehlungen für die funktionale Gestaltung der kontextuellen Kooperation in virtuellen Lernumgebungen abgeleitet. 7.6.1 Standards für kooperatives Lernen Sowohl auf der Kurs- als auch auf der Kooperationsebene spielen existierende bzw. sich herausbildende Standards eine wichtige Rolle. Neben allgemeinen Standards für Dokumentenformate und Kommunikationsprotokolle sind hier vor allem Standards auf dem Gebiet Lerntechnologie zu berücksichtigen. Parallel zur Entwicklung der in dieser Arbeit vorgestellten Lösungskonzepte und des darauf aufbauenden Systems 7.6 Gestaltungsempfehlungen 149 wurden u.a. Standards für die Beschreibung von Lernobjekten (Learning Object Metadata; LOM) sowie für die Beschreibung von Kursen und Laufzeitumgebungen (Sharable Content Object Reference Model; SCORM) (weiter-)entwickelt (IEEE LTSC 2004). Diese Ansätze beziehen sich auf individuelles Lernen und betreffen somit nur die Systemkomponenten, die auf individuelles Lernen ausgerichtet sind. Nach Abschluss der konzeptionellen Phase dieser Arbeit wurden auch weitergehende Standards vorbereitet, die kooperatives Lernen berücksichtigen. So legte das IMS Global Learning Consortium (IMS 2004) auf Basis der Vorarbeiten durch Mitarbeiter der Open University der Niederlande zu einer Educational Modeling Language (EML) im Februar 2003 die Version 1.0 der Spezifikation „IMS-Learning Design“ (IMS-LD) vor. IMS-LD erlaubt die Beschreibung individueller und kooperativer Lernszenarien. Eine Laufzeitumgebung, die diese Spezifikation voll unterstützt, ist aktuell noch nicht verfügbar (Stand: Ende 2004). Aus Gründen der Kompatibilität, der Investitionssicherung und der Minimierung des Entwicklungs- und Wartungsaufwandes sollte ein System zur Unterstützung kontextueller Kooperation in virtuellen Lernumgebungen diese Standards berücksichtigen. Die in dieser Arbeit gewählte Modellierung kann aufgrund der generischen Erweiterbarkeit von IMS-LD vollständig in IMS-LD abgebildet werden. 7.6.2 Kursebene Die Möglichkeit, die Bearbeitung kooperativer Aufgaben zeitlich zu planen, ist – außer in Situationen, in denen die Plattform in synchronen face-to-face Situationen mit der Möglichkeit der Koordination außerhalb des Systems eingesetzt wird – wichtig für das Zustandekommen von Gruppensitzungen zur Bearbeitung kooperativer Aufgaben. Dies gilt insbesondere für länger als wenige Minuten dauernde Kooperationen. Damit Benutzer signalisieren können, ob und für welche Kooperationen sie zur Verfügung stehen, müssen Systeme zur kontextuellen Kooperation Funktionen zur Kommunikation der gestuften Präsenz und Verfügbarkeit (z.B. in den Stufen offline, online - aber nicht am Rechner, online – bitte nicht stören, online – kontaktierbar; analog zu Instant-Messaging-Systemen) anbieten. Um über ad-hoc Kooperationen hinausgehend auch geplante Kooperationen zu unterstützen, ist das Bereitstellen von Aushandlungsmechanismen und Kalenderfunktionalität wichtig. Hierbei müssen die Erfahrungen mit der Akzeptanz von Gruppenkalendern bezüglich Privatheit/Öffentlichkeit, Verteilung von Aufwand und Nutzen sowie Erreichen einer kritischen Masse von Benutzern berücksichtigt werden (Ehrlich 1987, Grudin 1988). Die Wahrscheinlichkeit für das Zustandekommen einer Kooperation kann durch weitere Maßnahmen unterstützt werden, etwa indem die Zeiten der Benutzung eingeschränkt werden (Nutzung im Klassenverband, Festlegung von Zeitfenstern für die Erreichbarkeit von Tutoren) oder indem Übergänge zwischen synchroner und asyn- 150 7. Erfahrungen und Gestaltungsempfehlungen chroner Bearbeitung kooperativer Aufgaben vorgesehen werden. Sofern die Beteiligten nicht durchgehend online sind, muss das System Möglichkeiten vorsehen, wie diese auch offline auf bisherige Kooperations(zwischen)ergebnisse zurückgreifen sowie eigene Beiträge vorbereiten können. 7.6.3 Kooperationsebene Aufgrund der Heterogenität der Zielgruppen und der Wissensdomänen wurden die zur Verfügung gestellten Kommunikations- und Kooperationswerkzeuge von den Autoren, Tutoren und Lernenden für verschiedenste Kooperationsformen und Episodentypen eingesetzt. Das Einsatzspektrum der Werkzeuge zeigte sich damit als wesentlich breiter, als dies von den Entwicklern beabsichtigt und erhofft war. Für die Gestaltung nicht domänenspezifischer kontextueller Kooperation folgt daraus die Forderung nach großer Flexibilität der Werkzeuge. Sowohl die für und in Kooperationswerkzeugen verwendeten Bezeichnungen als auch die kooperativen Prozesse selbst müssen sich an den jeweiligen Kontext anpassen lassen, um neuartige Nutzungsweisen noch besser zu unterstützen. Darüber hinaus wurde deutlich, dass Kursautoren sehr an den neuartigen kooperativen Möglichkeiten interessiert waren und sich gerne und erfolgreich an der konzeptionellen Weiterentwicklung beteiligten. Mehrere Kursautoren mussten sich allerdings erst im Laufe des Einsatzes die zur Definition kooperativer Episoden und Kurse benötigten Kompetenzen aneignen. Um dies noch besser zu unterstützen, sind geeignete Qualifizierungsmaßnahmen zu entwickeln und umzusetzen. Ein wichtiger Punkt bei der Unterstützung der Kooperation ist die Strukturierung durch die Gestaltung der Benutzerschnittstelle oder durch Lernprotokolle: Die Akzeptanz dieser Strukturierung hängt stark vom jeweiligen Kontext ab. Beispielsweise ist zu vermuten, dass Gruppen mit fortschreitender Kooperationsdauer zunehmend soziale Protokolle zur Koordination herausbilden und die vom System vorgenommene Strukturierung dadurch immer weniger benötigt und akzeptiert wird. Kontextuelle Kooperation erfordert daher Möglichkeiten, die Strukturierungsfunktionalität dem Kontext anzupassen (beispielsweise durch das Wechseln zwischen verschiedenen Ausprägungen eines Lernprotokolls; vgl. Miao et al. 2000). Eine andere Möglichkeit besteht darin, strukturierte Kooperation durch offene Kommunikationskanäle (z.B. einen nicht moderierten Chat oder ein nicht moderiertes Forum) zu ergänzen. Kapitel 8 Zusammenfassung und Ausblick In diesem Kapitel werden die wichtigsten Aspekte dieser Arbeit zusammengefasst (Abschnitt 8.1) und der gezeigte Ansatz im Hinblick auf die in Kapitel 3 identifizierten Anforderungen überprüft (Abschnitt 8.2). Abschnitt 8.3 zeigt die wesentlichen Beiträge dieser Arbeit zum Stand der Technik. Schließlich wird in Abschnitt 8.4 weitergehender Forschungsbedarf identifiziert und skizziert, wie die Ergebnisse dieser Arbeit auf andere Anwendungsbereiche übertragen werden können. 8.1 Zusammenfassung der Arbeit Das in dieser Arbeit gewählte Vorgehen lässt sich in folgenden Fragestellungen zusammenfassen: ‚ Modellierung kooperativer Lernsituationen: Welche Parameter bestimmen den Kontext der Kooperation in virtuellen Lernumgebungen? ‚ Modellierung kooperativer Kurse: Wie kann individuelles und kooperatives Lernen in einer kursbasierten virtuellen Lernumgebung kombiniert werden? ‚ Realisierung kontextueller Kooperation: Wie kann eine virtuelle Lernumgebung das in den Modellierungen enthaltene Wissen über den Kontext nutzen, um die kontextuelle Kooperation in einer kooperativen Episode und in einem kooperativen Kurs aktiv zu unterstützen? ‚ Implementierung und Test: Wie lassen sich die Modellierungen und Unterstützungsfunktionen in eine virtuelle Lernumgebung umsetzen? Zur Unterstützung der Kooperation benötigt eine virtuelle Lernumgebung Wissen über den Kontext der Kooperation. Die Hauptanforderung besteht darin, den dazu benötigten Kontext zu identifizieren und für die Systemunterstützung nutzbar zu erfassen. Das Ziel der vorliegenden Arbeit war die Entwicklung einer Gesamtkonzeption zur Gestaltung von virtuellen Lernumgebungen, die kontextuelle Kooperation 151 152 8. Zusammenfassung und Ausblick ermöglichen, d.h. kooperatives Lernen auf Basis des Wissens über den Kontext der Kooperation unterstützen. Dafür wurden Potentiale und Problembereiche virtueller Lernumgebungen und des kooperativen Lernens analysiert und Konzepte zur Beschreibung kooperativer Kurse und kooperativer Episoden entwickelt. Dabei wurden auf Basis einer didaktischen Analyse die relevanten Parameter zur Repräsentation des Kontextes der Kooperation identifiziert und geeignet modelliert. Es wurde gezeigt, wie diese Modellierungen zur Realisierung der kontextuellen Kooperation in den verschiedenen Phasen der Kooperation genutzt werden können. Am Beispiel der Unterstützung für die Zusammenstellung von Lerngruppen wurden die Unterstützungsmöglichkeiten exemplarisch vertieft. Zur Evaluation der Konzepte wurde eine kooperative Lernumgebung entworfen und implementiert. Die mit der Konzeption und der Lernumgebung in verschiedenen Nutzungsszenarien gesammelten Erfahrungen zeigen, dass die Konzepte umsetzbar sind, eine darauf basierende Lernumgebung Akzeptanz bei Fachexperten und den verschiedenen beteiligten Nutzergruppen erfährt. Aus den im Zuge der formativen Evaluation gewonnenen Stärken und Schwächen wurden Gestaltungsempfehlungen für virtuelle Lernumgebungen zur kontextuelle Kooperation abgeleitet. 8.2 Vergleich mit den Anforderungen Dieser Abschnitt zeigt überblicksartig, wie die in Kapitel 3 identifizierten Anforderungen durch die entwickelten Konzepte bzw. die exemplarische Implementierung erfüllt werden. A1: Unterstützung für individuelles kursbasiertes Lernen Die Modellierung kooperativer Kurse beinhaltet explizit auch individuelle Lernphasen. In der L³-Umgebung ist die Kooperationsplattform mit einem (nicht-kooperativen) Lernmanagementsystem (LMS) kombiniert worden. Das verwendete LMS legt für jeden Lernenden ein Lernerprofil an und schreibt dies im Zuge des Lernens jeweils fort. Die Lernerprofile werden von der Lernplattform beispielsweise zur Unterstützung der Navigation im Kurs herangezogen. A2: Spontane Kooperation Die für die spontane Kooperation benötigte Wahrnehmung anderer Benutzer und ihres Online-Status’ liefert in der L³-Umgebung die Teilnehmerliste des L³ Communicator. Hier kann nach Rollen und Kurszugehörigkeit gefiltert werden, so dass auch kontextbezogene spontane Kooperation unterstützt wird. Vom L³ Communicator ausgehend können verschiedene Werkzeuge für die synchrone und asynchrone Koope- 8.2 Vergleich mit den Anforderungen 153 ration aktiviert werden. Eine weitere Möglichkeit der spontanen Kooperation wird im Webbrowser angeboten. A3: Flexible Übergänge zwischen verschiedenen Lernmodi In der entwickelten Konzeption und der Implementierung sind verschiedene Lernmodi konzeptuell und technisch integriert. Dies ermöglicht den Übergang vom individuellen zum intendierten kooperativen Lernen durch Starten der kooperativen Episode und die Gruppenbildung. Nach Abschluss der Kooperation kehrt der Lernende zum individuellen Lernen zurück. Durch die zeitliche Entkopplung des Erreichens und des Durchführens einer kooperativen Episode im Kurs kann der Lernende den Übergang selbst bestimmen. Der Übergang zur spontanen Kooperation ist sowohl während des individuellen Lernens als auch während einer intendierten Kooperation möglich. Je nach gewähltem oder vorgesehenem Kooperationswerkzeug wird eine synchrone oder asynchrone Kooperation durchgeführt. A4: Intendierte Kooperation Die Modellierung kooperativer Kurse erlaubt die Integration kooperativer Episoden als Bestandteile des Kurses. Die Modellierung kooperativer Episoden erlaubt die Beschreibung der Aufgabe inklusive Gruppengröße, Werkzeug und weiterer Parameter. Die L³-Autorenumgebung unterstützt die Erstellung und Integration kooperativer Episoden in einen Kurs. Es wurden Werkzeuge zur Definition verschiedener Kooperationsformen entwickelt. Die L³-Kooperationsplattform reichert das Wissen über die Episode mit weiteren Kontextinformationen an und unterstützt auf Basis des Kontextes alle Phasen der Kooperation. Es wurden Werkzeuge entwickelt, um kooperative Episoden und ihren Kontext im Lernprozess zu verwalten, d.h. zum Einsammeln von kooperativer Episoden, zur Bildung geeigneter Lerngruppen und zum Starten der Durchführung. Weiterhin sind verschiedene Werkzeuge spezifiziert und entwickelt worden, die jeweils die Durchführung einer bestimmten Kooperationsform ermöglichen. A5: Unterstützung für die Bildung von Lerngruppen Die entwickelte Konzeption zeigt, wie auf Basis der Kontextinformationen die Zusammenstellung der Lerngruppen unterstützt werden kann. Für die spontane Kooperation kann jeder Nutzer der L³-Kooperationsplattform die Lerngruppe bilden, in dem die gewünschten Partner im L³-Communicator ausgewählt werden. Für intendierte Kooperationen wurden eine manuelle Gruppenbildung durch einen Tutor sowie eine automatische Gruppenbildung durch das System entwickelt. Bei der Definition der kooperativen Episode kann eine bevorzugte Gruppenbildungsstrategie angegeben werden. 154 8. Zusammenfassung und Ausblick Die Unterstützung erfolgt u.a. auf der Basis der Informationen über die kooperative Episode und die verfügbaren Lernenden und Tutoren. A6 Methodische Unterstützung der Lerngruppe: In der L³-Kooperationplattform sind generische und methodenspezifische Werkzeuge für die verschiedenen Kooperationsmethoden spezifiziert, entwickelt und in die Plattform integriert worden. Diese Werkzeuge sehen teilweise auch die Strukturierung des Kooperationsprozesses und den Umgang mit rollenspezifischen Ressourcen vor. A7 Offenheit des Systems: Die Schnittstellen der entwickelten Lösung beruhen im Wesentlichen auf allgemein akzeptierten Standards. Dies erlaubt die Wiederverwendung vorhandener webbasierter Kurse. Zur Anreicherung von Kursen mit kooperativen Episoden ist im Vergleich zu domänenmodellbasierten Ansätzen kein Domänenwissen erforderlich, um die Kooperation zu unterstützen. Existierende Kooperationswerkzeuge können in die Kooperationsplattform integriert werden. Weitere Kooperationswerkzeuge lassen sich auf Basis des gewählten komponentenbasierten Groupware Frameworks erstellen und integrieren. Die Kopplung zwischen Kooperationsserver und Lernmanagementsystem zeigt die Möglichkeiten, die Kooperationsplattform in bestehende Infrastrukturen technisch zu integrieren. Insgesamt ist das Ziel dieser Arbeit, die Entwicklung einer Gesamtkonzeption zur Gestaltung von virtuellen Lernumgebungen, die die kontextuelle Kooperation ermöglichen, erreicht worden. Die zu Beginn dieser Arbeit aufgestellte These, dass eine virtuelle Lernumgebung auf Basis des Kontextes das kooperative Lernen aktiv unterstützen kann, konnte anhand der entwickelten Konzepte, ihrer Umsetzung und der damit gesammelten Erfahrungen bestätigt werden. 8.3 Wesentliche Beiträge zum Stand der Technik In dieser Arbeit wurden eine Konzeption für die Unterstützung der kontextuellen Kooperation in virtuellen Lernumgebungen entwickelt, ihre Umsetzbarkeit in ein System und die Akzeptanz des Ansatzes durch die Nutzergruppen gezeigt. Die Analyse der verwandten Arbeiten in Kapitel 4 lieferte als Hauptdefizite die mangelnde Unterstützung für intendierte Kooperation sowie für die Bildung von Lerngruppen. Im Unterschied zu den vorgestellten dokument-, konferenz-, raum-, kontextund prozessbasierten Ansätzen werden diese Anforderungen nur von domänenmodellbasierten Ansätzen wie FITS/CL sehr gut unterstützt. Diese Stärke wird durch fehlende Unterstützung für die spontane Kooperation, geringe Flexibilität beim Über- 8.3 Wesentliche Beiträge zum Stand der Technik 155 gang zwischen verschiedenen Lernmodi sowie vor allem durch mangelnde Offenheit des Systems erkauft. Für die geeignete Modellierung der Lernmaterialien ist zudem ein erheblicher Aufwand notwendig. Vor diesem Hintergrund wurde in dieser Arbeit der Stand der Technik in mehrfacher Hinsicht weiterentwickelt: ‚ Ausgehend von den Begriffen virtuelle Lernumgebung, kooperatives Lernen und Kontext wurde der Begriff der kontextuellen Kooperation in virtuellen Lernumgebungen entwickelt. ‚ Zur Realisierung der kontextuellen Kooperation wurde ausgehend von einem konkreten Szenario aus der Weiterbildungspraxis eine Anforderungsanalyse an virtuelle Lernumgebungen erarbeitet. ‚ Die für die Unterstützung kooperativen Lernens relevanten Parameter wurden identifiziert und in eine Modellierung kooperativer Episoden eingearbeitet. Das Konzept der Points of Cooperation (PoC) erlaubt die Differenzierung kooperativer Episoden in Abhängigkeit vom Grad ihrer Einbindung in einen Kurs. ‚ Die Modellierung kooperativer Kurse ermöglicht die Kombination und konzeptionell durchgängige Unterstützung individueller und kooperativer Lernphasen. Am Beispiel der Bildung von Lerngruppen wurde gezeigt, wie das System auf Basis der Kontextinformationen sinnvolle Lerngruppen zusammenstellen kann bzw. die Zusammenstellung durch einen Tutor unterstützen kann, ohne dass der Lerngegenstand im Sinne eines domänenspezifischen Modells aufbereitet werden muss. ‚ Die entwickelte Architektur für virtuelle Lernumgebungen ermöglicht die technisch durchgängige Unterstützung der kontextuellen Kooperation. Es wurde gezeigt, wie sich generische und methodenspezifische Kooperationswerkzeuge in die Lernumgebung integrieren lassen. Die Ergebnisse stehen im Einklang mit anderen aktuellen Entwicklungen der CSCLForschung. Es können zwei Herangehensweisen unterschieden werden: domänenmodellbasierte Ansätze ermöglichen eine sehr gute Unterstützung des Lernprozesses, sind aber in der Systemerstellung und -wartung mit hohem Aufwand verbunden. Ansätze, die auf eine Modellierung der Lerndomäne verzichten, erkaufen sich die leichtere Systemerstellung und -wartung durch geringe Unterstützungsmöglichkeiten des Lernprozesses. Nach dem geringen Erfolg intelligenter tutorieller Systeme ist es wenig aussichtsreich, zu fordern, kooperatives Lernen solle komplett durch die virtuelle Lernumgebung erfasst und gesteuert werden. „Yet, a certain degree of ‚insight’ on the part of the system environment into the structure and dynamics of the group 156 8. Zusammenfassung und Ausblick learning process should lead to new ways of supporting and scaffolding the learning group“ (Hoppe 2001). In dieser Arbeit wurde ein Mittelweg entwickelt, der auf Basis des „certain degree of insight“ eine weitreichende Unterstützung des kooperativen Lernens ermöglicht. 8.4 Zukünftige Forschungsarbeiten und Verallgemeinerung der Ergebnisse Aus pädagogischer Sicht ist die Erweiterung des Spektrums einsetzbarer Formen kooperativer Aufgaben nötig: Dies umfasst die Konzeption, Entwicklung oder Anpassung kooperativer Werkzeuge. Dabei sollten die Gestaltungsempfehlungen (siehe Abschnitt 7.6) sowie die Ergebnisse neuerer empirischer Studien zum kooperativen Lernen mit solchen Werkzeugen (Holst & Holmer 2002, Münzer & Linder 2004) berücksichtigt werden. Aufgrund der Neuartigkeit des Ansatzes liegen erst wenige Erfahrungen mit dem didaktischen Design kooperativer Kurse vor. Hier sind Pädagogen gefordert, um die Übertragbarkeit herkömmlichen didaktischen Designs auf virtuelle Lernumgebungen zu überprüfen bzw. neue Ansätze zu entwickeln. Analog gilt dies für die Entwicklung effizienter und lernförderlicher Strategien der Zusammenstellung von Lerngruppen. In der Praxis werden zudem Handlungsempfehlungen zur Auswahl geeigneter Kooperationsmethoden und Gruppenbildungsstrategien benötigt. Generell können auf Basis dieser Arbeit nun quantitative empirische Studien zu Lernerfolg und Akzeptanz der kontextuellen Kooperation in virtuellen Lernumgebungen durchgeführt werden. Aus informatischer Sicht sind zur Vereinfachung des Designs und der Entwicklung von Werkzeugen zur kontextuellen Kooperation entsprechende Design- und Entwicklungsframeworks wünschenswert. Zu prüfen ist, wie sich das Konzept der kontextuellen Kooperation auf andere Lernszenarien übertragen lässt. Beispielsweise scheint es angesichts der zunehmenden Verwendung mobiler und heterogener Endgeräte (z.B. von Personal Digital Assistants (PDAs) oder Mobiltelefonen) sinnvoll zu prüfen, wie die vorgestellten Konzepte, Aufgabenformen und Werkzeuge an die sich ändernden Anforderungen (z.B. Bandbreite, Bildschirmgrößen und Eingabemodalitäten) angepasst werden können. Hier ergeben sich neue Nutzungsszenarien, z.B. ortsbasierte Gruppenbildung, d.h. die bevorzugte Berücksichtigung von Mitlernern, die sich in der gleichen Gegend befinden, oder die Benutzung der mobilen Endgeräte, um Lerngruppen physikalisch zusammen zu bringen (beim Einsatz in der Präsenzlehre). Jenseits des Anwendungsgebietes kooperatives Lernen besteht Forschungsbedarf in der Frage, inwieweit das Konzept der kontextuellen Kooperation auf andere Anwen- 8.4 Zukünftige Forschungsarbeiten und Verallgemeinerung der Ergebnisse 157 dungsgebiete übertragen werden kann. Möglicherweise lassen sich solche Points of Cooperation in weitere Arten von Software integrieren, beispielsweise in Workflowoder Wissensmanagementsysteme. Dies könnte ein Weg sein, Artefakte, Organisationsstrukturen und Kooperation konzeptuell und technisch zu integrieren, ohne dass aufwändige domänenspezifische Modellierungen benötigt werden. Anhang A.1 Pro-Kontra-Gespräch als Beispiel einer kooperativen Episode Wie in Abschnitt 5.2.1 dargestellt, ist das Streitgespräch eine der Grundformen didaktischen Handelns. In diesem Abschnitt wird der Episodentyp Pro-Kontra-Gespräch aus Sicht der Modellierung zusammen mit dem dazugehörigen Werkzeug als Beispiel für eine kooperative Episode vorgestellt. Am Pro-Kontra-Gespräch nehmen zwei Lernende, je einer in der Pro-Rolle und einer in der Kontra-Rolle teil. Zur Episode gehören Instruktionen und Basismaterial, das beiden Beteiligten als Grundlage des Streitgesprächs zur Verfügung steht. Weiterhin gibt es rollenspezifisches Material, d.h. für den Lerner in der Pro-Rolle gibt es Material, das speziell auf die Pro-Rolle ausgerichtet ist, der Lerner in der Kontra-Rolle erhält stattdessen das für seine Rolle gedachte Material. Abbildung A.1 zeigt die XML-Darstellung einer Pro-Kontra-Episode. Diese Episode mit der Bezeichnung „Pro-Kontra-Gespräch #37“ hat das Thema „Kernenergie“. Es wird sowohl allgemeines als auch rollenspezifisches Material auf zusätzlichen HTML-Seiten zur Verfügung gestellt. Außerdem wird für beide Rollen ein Eingangsstatement festgelegt. Die Teilnahme des Tutors ist bei dieser konkreten Aufgabe nicht vorgesehen. Als empfohlene Dauer der Aufgabenbearbeitung werden 10 bis 15 Minuten angegeben. Die beiden Rollen werden den Lernenden zufällig vom System zugeordnet. Am Anfang der Durchführung legt nun das System fest, wer welche Rolle im ProKontra-Gespräch (Pro, Kontra, Beobachter) übernehmen wird; danach wird der Disput gestartet. Der komplette Prozess wird durch das Pro-Kontra-Lernprotokoll gesteuert, das strikt alternierende Beiträge der Pro- und der Kontra-Rolle anfordert. Beide Lerner können den Dialog beenden. Beide können den Dialog speichern und später individuell oder kooperativ bearbeiten. 159 160 Anhang <?xml version="1.0" encoding="UTF-8"?> <ipoc_procontra> <type>PROCONTRA</type> <name>Pro-Kontra-Gespräch #37</name> <version>0.04</version> <topic>Kernenergie</topic> <location> <material>procontra/kernenergie_allg.html</material> <pro_material>procontra/kernenergie_pro.html</pro_material> <contra_material>procontra/kernenergie_kontra.html</contra_material> <instruction>procontra/instruction-pro-contra.html</instruction> </location> <pro_position>Sie befürworten den Einsatz der Kernkraft</pro_position> <contra_position>Sie halten den Einsatz der Kernkraft für unverantwortlich</contra_position> <with_tutor>no</with_tutor> <time_min>10</time_min> <time_max>15</time_max> <role_assign>auto</role_assign> </ipoc_procontra> Abbildung A.1: XML-Darstellung einer Pro-Kontra-Episode Abbildung A.2: Das Pro-Kontra-Werkzeug A.1 Pro-Kontra-Gespräch als Beispiel einer kooperativen Episode 161 Abbildung A.2 zeigt das Pro-Kontra-Werkzeug. Am rechten Bildrand sieht man die Repräsentation der Benutzer und ihrer Rolle (rote Farbe und „C:“ kennzeichnet die Kontra-Rolle, grüne Farbe und „P:“ kennzeichnet die Pro-Rolle), außerdem wird mit „berechtigt“ und „nicht berechtigt“ visualisiert, wer gerade zur Eingabe eines Arguments aufgefordert wird. Links oben sieht man allgemeine Informationen für diese kooperative Episode. Links unten wird das rollenspezifische Material angezeigt. Über das Menü können zusätzliche Instruktionen abgerufen werden. 162 A.2 Anhang Die manuelle Gruppenbildung Der Prozess der Gruppenbildung ist von großer Bedeutung für die erfolgreiche Bearbeitung kooperativer Aufgaben. Zum einen macht nur eine geeignet zusammengestellte Gruppe den Erfolg wahrscheinlich (vgl. Abschnitt 2.3.3), zum anderen wirkt sich die Gruppenzusammensetzung auf die Akzeptanz des kooperativen Lernens insgesamt aus. In diesem Abschnitt wird die Umsetzung des in Abschnitt 5.4 erarbeiteten Konzepts zur manuellen Gruppenbildung etwas detaillierter dargestellt. Aber auch hier sollen nur die wichtigsten Fälle skizziert werden. Zahlreiche Spezialfälle und zusätzliche Bedingungen können an dieser Stelle nicht berücksichtigt werden. L³-Kurse finden in einem der folgenden beiden Lernmodi statt: Im Klassenmodus fangen alle Lerner einen Kurs zur selben Zeit und synchronisieren ihre Lernprozesse in bestimmten Zeitintervallen (z.B. nach einer Stunde oder einmal die Woche) oder nach Bearbeitung einer bestimmten Anzahl von Lerneinheiten, je nach vorgegebenem Lernplan bzw. den Anweisungen eines Tutors. Im individuellen Modus arbeiten dagegen alle Lerner stärker selbstgesteuert. Es gibt weder gemeinsame Start- oder Endzeiten noch ist eine Synchronisation der Lernprozesse vorgesehen. D.h. im individuellen Modus bearbeiten die Lernenden eines Kurses zu einem bestimmten Zeitpunkt üblicherweise verschiedene Stellen des Kurses. Um pädagogisch sinnvolle Lerngruppen zu bilden, in denen alle Beteiligten von der Kooperation profitieren, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, z.B. ein Mindestmaß an Ähnlichkeit der Lernerpräferenzen. Außerdem sollten die Lernenden an einer ähnlichen Stelle im Kurs sein. Dies kann durch die Lerndistanz zwischen Lernern ausgedrückt werden. Die Lerndistanz kann auf verschiedene Weisen definiert werden, etwa durch die minimale Anzahl von Navigationsschritten, die nötig ist, um von der Position eines Lerners zur Position des anderen Lerners zu gelangen. Andere Distanzmaße können auch Zeitinformationen miteinbeziehen, z.B. kann die Lerndistanz umso geringer sein, je geringer der zeitliche Abstand des Bearbeitens einer Seite durch zwei Lernende ist. In Bezug auf den Kooperationsmodus soll zwischen synchroner und asynchroner Kooperation unterschieden werden. Zur Bearbeitung synchroner kooperativer Aufgaben müssen alle Teilnehmer einer Lerngruppe gleichzeitig im System angemeldet sein. Die Bearbeitung asynchroner kooperativer Aufgaben erlaubt mehr Spielraum in der Frage, wann ein Lerner aktiv zur Kooperation beiträgt. Jede Kombination von Lernmodus und Kooperationsmodus stellt bestimmte Anforderungen an den Prozess der Lerngruppenbildung: A.2 Die manuelle Gruppenbildung 163 Kooperationsmodus Synchron Asynchron Klassenmodus Online - Individueller Modus Online Lernabstand Weitere Anforderungen Lernabstand Weitere Anforderungen Lernmodus Abbildung A.3: Kriterien zur Gruppenbildung in verschiedenen Moduskombinationen Die L³-Lernumgebung wird in einer Reihe unterschiedlicher Weiterbildungseinrichtungen eingesetzt. Die Anforderungsanalyse hat ergeben, dass diese Einrichtungen je nach ihrer pädagogischen Zielstellung bzw. ihrem Geschäftsmodell unterschiedliche Bedürfnisse in Bezug auf die Unterstützung der Lerngruppenbildung haben. Auf der Basis dieser Anforderungen werden in L³ zwei Arten der Lerngruppenbildung unterstützt: Die Gruppenbildung kann automatisch oder manuell erfolgen. Manuelle Gruppenbildung bedeutet, dass ein Tutor mit Hilfe geeigneter Werkzeuge jede Gruppe für jede kooperative Aufgabe bildet, d.h. Lerner zu Gruppen zuordnet. Er muss sich lediglich an die Vorgaben des Kursautors für die kooperative Aufgabe halten, etwa in Bezug auf die Mindest- und Maximalgröße der Lerngruppen. Automatische Gruppenbildung bedeutet, dass die Lernumgebung auf Basis der Vorgaben des Autors, der aktuellen Situation (z.B. wer ist online?), der Lernerpräferenzen eine Lerngruppe bildet. Wir werden unten noch sehen, dass es zwischen diesen beiden Arten der Gruppenbildung Übergänge geben kann. Im Folgenden wird die manuelle Gruppenbildung im Klassenmodus beschrieben. Abbildung A.4 zeigt ein Werkzeug zur manuellen Gruppenbildung (Köhlhoff 2001), das alle kooperativen Aufgaben (IPoCs) und alle Lernenden für eine bestimmte Klasse darstellt. Es wird ebenfalls jeweils der Status eines IPoCs für einen Lerner visualisiert, z.B. ob und, wenn ja, wie oft ein Lerner einen IPoC bereits durchgeführt hat. Mit Hilfe des Werkzeugs kann der Tutor Lerngruppen einrichten und die Lernenden (und Tutoren) beliebig den Lerngruppen zuordnen. 164 Anhang Abbildung A.4: Screenshot des Werkzeugs zur manuellen Gruppenbildung Sobald ein Lerner die Durchführung eines IPoC initiiert, sucht die Lernumgebung die Informationen über zugeordnete Mitlerner, wie sie im Gruppenbildungswerkzeug definiert wurden. Wurde der Lerner für diesen IPoC noch keiner Lerngruppe zugeordnet, wird der Tutor benachrichtigt, um diese Zuteilung nachzuholen. Zu jeder Zeit kann der Tutor Unterstützung durch die Lernumgebung anfordern: Auf der Basis des Wissens über den Kurs und die Klasse kann das System für einen IPoC z.B. eine Segmentierung der restlichen Lerner vorschlagen und aus diesen Lernenden dann geeignete Gruppen bilden. Dazu wird die standardmäßige automatische Gruppenbildungsstrategie benutzt. Die manuelle Gruppenbildung kann am sinnvollsten im Klassenmodus eingesetzt werden. Im Klassenmodus synchronisieren die Beteiligten regelmäßig ihren Lernfortschritt, kennen sich gegenseitig und insbesondere kennt der Tutor die Lernenden. So kann sich der Tutor bei der Zusammenstellung von Lerngruppen auf Heuristiken und Wissen stützen, das nicht notwendigerweise auch Eingang in das Lernerprofil gefunden hat. Je nach Art des Kurses oder falls ein Tutor nicht oder nicht immer verfügbar ist, können Lerngruppen im Klassenmodus auch automatisch gebildet werden. Literaturverzeichnis Abels, H. (2001). Einführung in die Soziologie. 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