Die Systemfrage - DGB

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Die Systemfrage - DGB
Newsletter der DGB-Jugend Ausgabe März 2004
A 8895
soli aktuell
inhalt
Die Systemfrage
2003 war das schwierigste Jahr
auf dem Lehrstellenmarkt seit
der Wiedervereinigung, sagen
Experten. Und 2004? Hat noch
schlimmer angefangen. Die
DGB-Jugend schlägt eine Lösung vor: die Ausbildungsumlage.
ie Fraktionen von SPD und Grünen
im Deutschen Bundestag haben
der wankelmütigen Bundesregierung das Heft aus der Hand genommen. Sie
planen die Einführung einer solidarischen
Ausbildungsumlage, die nachhaltig das System der dualen Berufsbildung sanieren und
die Situation für viele jugendliche Schulabgänger verbessern würde.
Der Weg zu diesem neuen System der
Finanzierung ist noch steinig. Die Gegner
der Umlage – zu Ihnen zählen Arbeitgeberverbände, Kammern und prominente SPDMinisterpräsidenten – lassen nichts unversucht, um den Gesetzgebungsprozess noch
zu Fall zu bringen oder zumindest eine
Light-Version einzubringen, damit das Gesetz nie zur Anwendung kommt.
Für die Gewerkschaften und die Gewerkschaftsjugend gilt jetzt: Kurs halten,
überzeugen, nicht wackeln. Und: Falsch- oder
Vorurteile gegen die Umlage ausräumen.
D
Zunächst geht es nicht um die Umlage:
Es geht darum, dass die Jugendlichen den
Anspruch auf eine Integration in die Gesellschaft und damit auf eine ordentliche Berufsausbildung haben.
∂
∂ Wer die Umlage ablehnt, soll sagen, was
er statt dessen für die Jugendlichen tun will.
Es ist bekannt, dass alle anderen Maßnahmen (freiwillige Verpflichtung der Wirtschaft, Appelle und Klinkenputzen von Politikern) wenig bis nichts genutzt haben.
Staatlich finanzierte Ausbildung ist der
milliardenteure Notbehelf, wenn Betriebe
nicht mehr ausbilden – und schon tagtägliche
Realität. Sie ist schlechter als die betriebliche
und trägt zur Aushöhlung des dualen Systems bei. In den neuen Ländern steckt schon
in 70 Prozent der Ausbildungsplätze staatliches Geld. Die Diskussion ist verlogen: Über
die Einführung der Umlage – die ja staatliche
Maßnahmen überflüssig machen soll – gibt
es ein Riesengeschrei. Auf der anderen Seite
werden Milliardenbelastungen für die Steuerzahler billigend in Kauf genommen.
∂
Die Umlage ist kein Strafsteuer, sondern kommt der Schaffung betrieblicher
Ausbildungsplätze unmittelbar zugute. Betriebe, die nicht oder zu wenig ausbilden,
∂
3 internationales
ILO-Studie: Kinderarbeit rechnet
sich nicht und muss durch Bildung
ersetzt werden
Von Porto Alegre nach Mumbai:
Die DGB-Jugend auf dem diesjährigen Weltsozialforum
5 thema
Neinneinnein – Ja! Die häufigsten
Einwände gegen die Umlage – und
die Argumente des DGB
6 jav-ratgeber
Arbeitgeberüberwachung – Die
Hauptaufgabe der JAV: Auf die
Einhaltung von Gesetzen und
Verordnungen achten
7 landesbezirke +
gewerkschaften
»Wir haben die Abkopplung des
Ostens verhindert«: IG MetallBundesjugendsekretär Michael
Faißt zum Streik der Metaller
Weltweit wie immer: Die Bildungsarbeit in Oberursel
zahlen in einen Fonds, um damit zusätzliche
Ausbildung in anderen Betrieben zu finanzieren. Betriebe, die über Bedarf ausbilden,
können sich mit einem einfachen Antrag ihre zusätzlichen Ausbildungskosten aus dem
Fonds erstatten lassen. Alles Unfug? Von
wegen: Die Baubranche, wo es seit Jahr und
Tag eine Umlage gibt, verzeichnete – laut
Berufsbildungsbericht 2004 – die höchste
Ausbildungsquote im
Jahr 2002: acht Prozent
in den alten, 7,3 Prozent
in den neuen Bundesländern.
Die Branchen und
Tarifparteien kennen
den Ausbildungsbedarf
am besten und können
maßgeschneiderte Lösungen entwickeln.
Deshalb sollen tarifliche Regelungen im Gesetz Vorrang haben. ∏
Christian Kühbauch
∂
Fortsetzung: Seite 5.
Mehr Details, Zahlen und
Daten: www.dgb-jugend.de
03.04 soli aktuell 1
kurz + bündig
Hartz und die
Sozialkassen
Zurechtgebogen ■ Der demografische
Wandel ist nicht die Hauptursache für die
gegenwärtigen Probleme der Sozialkassen.
Zu diesem Ergebnis kommt das Internationale Institut für Empirische Sozialökonomie
(INIFES). INIFES-Experte Ernst Kistler: »Die
heutigen Probleme in den Sozialkassen haben vor allem einnahmeseitige Ursachen.
Sie sind nicht hauptsächlich durch die Alterung unserer Bevölkerung begründet, sondern viel mehr durch die hohe Arbeitslosigkeit, die Ausbreitung sozialversicherungsfreier Jobs, die schiefe Einkommensverteilung, eine lange sehr zurückhaltende Lohnpolitik und nicht zuletzt die falsche Finanzierung der deutschen Einheit.«
Viele Experten-Gremien wie z.B. die so genannte »Hartz-Kommission«, die RürupGutachter oder die Herzog-Kommission
berücksichtigten diese Zusammenhänge
nicht. Vielmehr hätten sie im Rahmen ihrer
Gutachten Empfehlungen ausgesprochen,
denen zum Teil »einseitige oder unrealistische Annahmen« zu Grunde liegen.
Schule leer
Geburtenstreik ■ Im laufenden Schuljahr
ist die Zahl der Schüler an Deutschlands
Schulen laut Statistischem Bundesamt
weiter zurückgegangen. Rund 9,7 Mio.
Mädchen und Jungen besuchten die
Grundschule sowie weiterbildende Schulen. Das waren 0,6% weniger als im Vorjahr. Besonders stark war der Schülerschwund in Ostdeutschland mit einem Minus von 5,8%. Grund: der Rückgang der Geburtenrate.
Schule doof
Lesestreik ■ Der erste Europäische Bildungsbericht gibt den deutschen Schulen, wie sollte
es anders sein, schlechte Noten. Während im
Schnitt der 15 EU-Mitglieder 17,2% der 15-jährigen Probleme beim Lesen und beim Textverständnis haben, sind dies in Deutschland
22,6%. Schlechter sind die Schüler nur noch in
Griechenland (24,4%) und in Luxemburg
(35,1%).
Beim
Fremdsprachenlernen liegen deutsche
Schüler
leicht unter dem
EU-Schnitt
von 1,5
Sprachen.
2 soli aktuell 03.04
Ablasshandel
Klauen ∑ Fliegen
Schnapsbrenner: Keine Steuern bitte ■
Die Spirituosenindustrie hat Verbraucherschutzministerin Renate Künast (Grüne) die
Finanzierung einer groß angelegten Werbekampagne gegen Alkoholmissbruch unter
Kindern und Jugendlichen angeboten, wenn
die Regierung auf die Einführung einer Sondersteuer auf »Alcopops« verzichtet. Damit
könne der Alkoholmissbrauch effektiver
bekämpft werden als mit der »Diskriminierung der Mixgetränke«. »Alcopops« sind
Mixgetränke aus Limonade und Spirituosen.
Die Getränkeindustrie prüft derzeit eine
Verfassungsklage, weil mit der Sondersteuer »eine Gattung von alkoholischen Mixgetränken besonders benachteiligt« würde.
Die DGB-Jugend hasst Alcopops.
Urteil ■ Ein Arbeitgeber darf mit Kündigung und Strafanzeige drohen, um einen
Mitarbeiter zum Geständnis eines Diebstahls zu bringen. Eine solche Drohung ist
nicht widerrechtlich und ein Geständnis daher nachträglich auch nicht anfechtbar.
Land in Sicht
Abhilfe ■ Ein neuer Lernserver der Universität Münster hilft Kindern bei der Verbesserung ihrer Rechtschreibfähigkeiten und
Lehrern bei der raschen und umfassenden
Diagnose der Leistungen ihrer Schüler. Zentrales Anliegen: für Lehrkräfte »endlich das
alte pädagogische Ideal erreichbar zu machen, Kinder dort zu unterstützen, wo sie es
nötig haben«.
www.lernserver.de
Jump und Hopp
Qualität der Ausbildung ■ Eine halbe Million Arbeitslose im Alter bis 25 Jahre soll von
der Bundesagentur für Arbeit bis 2005 Beschäftigungs- oder Qualifizierungsangebote
erhalten. Das hat Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) angekündigt.
Nach Angaben des Ministers sollen ihnen
»Ausbildungs- oder Umschulungsangebote
entsprechend den geltenden Zumutbarkeitskriterien« unterbreitet werden. Wer
aufmuckt, hat mit finanziellen Konsequenzen zu rechnen.
Arbeit runter
Italien hat Streiklust ■ Italiener haben
Spaß am Streiken: Im öffentlichen Dienst
gab es im vergangenen Jahr 2.839 Arbeitskonflikte, die meist mit einem Streik endeten. Fast 1.400 Konflikte gab es im Verkehrssektor, davon mehr als 600 im Nahverkehr,
so ein jetzt erschienener Parlamentsbericht.
Kürzlich legten Ärzte und Krankenschwestern die Arbeit nieder, auch Lehrer und Postbeamte in Italien tun das gerne. Der Grund:
Mitunter sind ihre Verträge seit zwei Jahren
nicht mehr erneuert worden. Außerdem
verdienen viele Lehrer lediglich 1.200 oder
1.300 Euro im Monat.
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Az.: 4 Sa 1161/03
Deutschland-AG
Keine Jobs in Sicht ■ Die starke Zunahme
von Ich-AGs ist zum großen Teil auf Mitnahmeeffekte zurückzuführen. Indiz: die Beobachtung, dass die Ich-AG-Zuschüsse parallel
zu den Ausgaben für das Übergangsgeld
steigen, statt diese teilweise zu ersetzen. Eine Zunahme der Selbstständigkeit, wie von
der Bundesregierung mit dieser Maßnahme
beabsichtigt, sei nicht zu erkennen. Wer das
sagt? Einer vom DGB? Nö: Der Arbeitsmarktforscher Hilmar Schneider, Direktor
am Institut Zukunft der Arbeit in Bonn.
Courage
Studie zu Jugendlichen ■ Die neue Studie
»Jugendliche und junge Erwachsene in
Deutschland« zeigt 13 Jahre nach der Wiedervereinigung kaum noch Unterschiede in
den Lebensbedingungen, Werteorientierungen und Einstellungen von Jugendlichen in
Ost und West – mit Ausnahme der Einstufung von Arbeitslosigkeit und der wirtschaftlichen Lage als wichtigstes persönliches Problem.
Für die Studie des Mannheimer Instituts für
praxisorientierte Sozialforschung im Auftrag des Bundesfamilienministeriums wurden ca. 2.000 Jugendliche und junge Erwachsene zu ihren aktuellen Lebenseinschätzungen und Einstellungen befragt.
Trends: Die Mehrheit der Befragten zeigt eine ausgeprägte Bereitschaft zum Wohnortwechsel, wenn sich dadurch ihre Chancen
auf dem Arbeitsmarkt erhöhen. Zuwachs an
Zivilcourage – die Bereitschaft, in Gewaltsituationen Zivilcourage zu zeigen, soll seit
1993 deutlich angestiegen sein. Nutzung des
Internets: Fast die Hälfte der befragten Jugendlichen und jungen Erwachsenen nutzt
das Internet für private Zwecke.
Weitere Ergebnisse unter www.bmfsfj.de
Neues Personal
Sex ■ Soli aktuell-Gestalter
Heiko von Schrenk hat ein
neues Kind: Es kam am 3.
März zur Welt. Name:
Linus. Erste Reaktion in der
Linus? Linux?
Redaktion: »Det is doch’n
Computerprojramm oda wat?« Wir gratulieren und hoffen auf einen baldigen Gewerkschaftsneueintritt.
internationales
Ökonomisch betrachtet
ILO-Studie: Kinderarbeit rechnet sich nicht und gehört durch
Bildung für alle ersetzt. Geschätztes Kostenvolumen: 760
Milliarden US-Dollar. Zynisch
oder nicht?
derschlägt – dies entspräche einem Ertrag
von global mehr als fünf Billionen US-Dollar.
Die »Ernte der ökonomischen Früchte
größerer Bildungsanstrengungen« hänge
von der Fähigkeit eines Landes ab, neue Arbeitsplätze zu schaffen, die Potenziale des
höheren Niveaus der Arbeitnehmer zu erschließen und eine Politik des ökonomiedes sechste Kind auf der Welt leisschen Wachstums zu entwickeln. Schon
tet Kinderarbeit. Viele von ihnen
wenn der Effekt von Bildung auf zukünftige
sind gezwungen, ihre Gesundheit
Verdienste auf fünf Prozent halbiert würde,
und ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Seit lanbeliefe sich der globale Nutzen auf noch
Die ILO schätzt, dass ca. 246 Millionen Kingem versucht die Internationale Arbeitsormehr als zwei Billionen US-Dollar.
der weltweit in Kinderarbeit involviert sind –
ganisation (ILO), diesen ArbeitsverhältnisDie in die Studie einbezogenen Hausdavon sind 179 Millionen
sen mit verschiedenen
halte sehen sich mit einer weiteren Kostenden schlimmsten ForProgrammen zu begegDie ILO schätzt, dass ca. 246
belastung konfrontiert. Die fortschreitende
men der Kinderarbeit
nen.
Millionen Kinder weltweit in
Abschaffung der Kinderarbeit über die nächsausgesetzt, d.h. TätigkeiJetzt aber teilt die
Kinderarbeit involviert sind.
ten, die das körperliche, ten 20 Jahre entzieht Familien den ökonoILO mit: »Ein Mehr an
mischen Wert der Arbeit ihrer Kinder. Die
sittliche oder seelische Wohl gefährden.
Information hat das öffentliche BewusstILO schätzt, dass sich der Beitrag eines KinDie ILO-Studie kommt zu dem Ergebnis,
sein für die Schwere dieses Problems verdes zum Familieneinkommen auf ca. 20 Prodass der ökonomische Nutzen des Kampfs
stärkt und der Entwicklung und Finanziezent eines Erwachsegegen die Kinderarrung von Programmen und Politikansätzen,
beit die Kosten im Von ihnen sind 179 Millionen Kinder nen beläuft und bei
um Kinder aus diesen Beschäftigungsver246,8 Milliarden USVerhältnis 6,7:1 überhältnissen herauszuholen, neuen Nachden schlimmsten Formen der
Dollar liegen würde.
steigt. Dabei würden
druck verliehen.«
Kinderarbeit ausgesetzt.
Um dies zu bealle Regionen weltDieses Wissen habe aber auch neue Frarücksichtigen, bezieht die Studie die Kosten
weit große Nettogewinne aus der Beseitigen über die Kosten aufgeworfen, die enteines globalen Programms zur Einkommensgung der Kinderarbeit ziehen, allerdings
stehen, wenn Kinder aus solchen Beschäftiunterstützung für arme Haushalte mit ein –
würden einige davon mehr profitieren als
gungsverhältnissen herausgeholt werden,
Menschen mit geringem Einkommen könnandere. In Nordafrika und im Mittleren
ihnen Zugang zu Bildung verschafft wird
ten ihre Kinder zur Schule zu schicken. In AnOsten beispielsweise läge das Nutzen- und
und damit zu einer menschenwürdigen
lehnung an erfolgreiche brasilianische MoKostenverhältnis bei 8,4:1, wohingegen das
Kindheit verholfen werden soll. Gleichzeitig
delle wurde dazu eine Formel verwendet, woVerhältnis in Afrika südlich der Sahara am
fragen die Politiker auch, in welchem Ausniedrigsten wäre (5,2:1). In Asien betrüge die nach 60 bis 80 Prozent des Durchschnittsmaß sich die tatsächliche Abschaffung der
wertes der Kinderarbeit pro Kind im SchulalRelation 7,2:1, in den Übergangsländern 5,9:1
Kinderarbeit in Bezug auf die nationale Entter an arme Haushalte transferiert würden. ∏
und in Lateinamerika 5,3:1. Der globale ökowicklung und Armutsverringerung auszahnomische Nettoertrag dieses hypothetilen wird und wie die Kinder und deren Fawww.ilo.org/public/german/region/eurpro/bonn/
schen Aktionsprogramms würde sich auf
milien davon profitieren werden.
aktuelles_invest.htm
22,2 Prozent des jährlichen Bruttoinlandproduktes belaufen.
Eine neue ILO-Untersuchung mit dem Titel »In jedes Kind investieren – Eine ökonoDie Abschaffung der Kinderarbeit ist –
mische Studie über die Kosten und den Nutlaut Studie – eine generationenbezogene
zen der Beseitigung der Kinderarbeit, deutInvestition und ein nachhaltiger Einsatz für
sche Zusammenfassung«, durchgeführt im
Kinder von heute und in der Zukunft. In den
Rahmen des Programms »Internationales
ersten Jahren würden die Kosten freilich
Programm zur Beseitigung der Kinderarfast mit Sicherheit die Erträge übersteigen.
beit«, kommt zu dem Ergebnis, dass KinderJedoch würden die wirtschaftlichen Nettoarbeit beseitigt und bis zum Jahre 2020
erträge sich dramatisch ins Positive bewedurch Bildung für alle ersetzt werden kann
gen, sobald die Effekte verbesserter Ausbil– zu einem geschätzten Kostenvolumen von
dung und Gesundheit greifen. Bis zum Jahr
760 Milliarden US-Dollar.
2020 würden die Kosten bei weitem durch
»Eine gute Sozialpolitik ist gleichzeitig
die Erträge von ungefähr 60 Milliarden USauch eine gute Wirtschaftspolitik. Die BeDollar jährlich aufgewogen.
seitigung von Kinderarbeit wird eine enorDie Kosten seien eine »weise Investitime Rendite dieser Investitionen abwerfen
on«, weil sich jedes weitere Jahr des allgeund nicht zu beziffernde Auswirkungen auf
meinbildenden Schulbesuchs über das 14.
das Leben der Kinder und deren Familien
Lebensjahr hinaus in einem zukünftigen Jahmit sich bringen«, sagt ILO-Generaldirektor
resverdienst von zusätzlich elf Prozent nieJuan Somavia.
J
Die Untersuchung ist die erste integrierte Kosten-/Nutzenanalyse der Beseitigung der Kinderarbeit weltweit. Sie vergleicht Kosten und Nutzen, nicht zur Rechtfertigung von Aktionen zur Beseitigung der
Kinderarbeit, wie dies bereits in den ILOÜbereinkommen 138 und 182 gefordert wird,
sondern mit dem Ziel, die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen dieser internationalen Verpflichtung zu verstehen.
03.04 soli aktuell 3
internationales
Arm und reich satt
Von Porto Alegre nach Mumbai: Das diesjährige Weltsozialforum (WSF) fand im Umfeld
des größten Slums Asiens statt.
Von Christel Faber
die Privatisierung öffentlicher Dienste, die
Zunahme von Arbeitsplatzverlagerungen
und ungeschützten Beschäftigungsverhältnissen, die Ernährungssicherheit und der
Zugang zu Wasser. Daneben wurde das
Scheitern der WTO-Ministerkonferenz in
Cancún diskutiert wie auch die Steuerflucht
und deren Auswirkung auf die öffentlichen
Haushalte.
sich durch Offenheit aus und verhindern
dennoch nicht gemeinsame Handlungen zu
bestimmten Anlässen. Einige Beispiele:
Ergebnisse von Florenz 2002
und Porto Alegre 2003:
Die weltweiten Demonstrationen am 15. Februar 2003 gegen den Irak-Krieg und die kritische Begleitung der WTO-Verhandlungen
wurden während des ESF und WSF vorbereitet, begleitet und ausgewertet. Diese Ergebnisse waren trotz aller unterschiedlicher
Schwerpunkte der teilnehmenden Organisationen möglich.
bwohl auch dieses Jahr 100.000
Leute zum WSF kamen und 1.200
Podiumsdiskussionen und Workshops realisiert wurden, war doch vieles ganz
Gewerkschaften und WSF
anders. Im Vergleich mit Mumbai – früher
Im Vergleich zu den letzten Jahren waren
Bombai – ist Porto Alegre »eine gemütliche
die (internationalen) Gewerkschaften erKuschelecke«, liegt diese Stadt doch in eifreulicherweise deutlich stärker vertreten.
nem relativ »reichen« Teil Brasiliens. Die 14Angesichts der Tatsache, dass die ArbeitMillionen-Metropole-Mumbai mit dem
nehmerechte imErgebnisse von Paris 2003
größten Slum Asiund Mumbai 2004:
ens schockt dage- »Ein Forschungsvorhaben zur Situation mer weiter abgebaut werden und
Für 2004 ist Folgendes geplant: ein weltweigen selbst erfahrejunger Flüchtlinge in Deutschland…
die multinationalen
ter Demonstrationstag am 20. März gegen
ne »Dritte Welt«Konzerne mittlerweile nicht nur ArbeitsKrieg und die US-Besatzung im Irak. Die
Reisende mit ihren gravierenden Gegensätplätze in der Produktion, sondern auch in
nächste WTO-Ministerkonferenz in Honzen zwischen arm und reich.
den qualifizierten Dienstleistungen in Bilgkong soll ähnlich wie die in Cancún kritisch
Auch die politischen Ausdrucksformen
liglohnländer verlabegleitet werden.
der überwiegend indischen und asiatischen
gern, müssen sich
Die europaweiten
Teilnehmer unterschieden sich deutlich von
…dass sie längst zu einem festen
die GewerkschafAktionstage gegen
denen, an die man in Europa und LateinaBestandteil unserer Gesellschaft .
ten mehr denn je inSozialabbau am 2.
merika gewöhnt ist. Im Grunde genommen
ternational vernetzen und Bündnisse mit
und 3. April 2004 wären ohne die Diskussiofanden auf dem Gelände einer ehemaligen
sozialen Bewegungen schließen. Durch den
nen während des ESF in Paris wohl kaum so
Fabrik, ca. 30 km vom Zentrum gelegen,
Beitritt Chinas in die WTO ist zu befürchten,
zu planen gewesen.
zwei Weltsozialforen statt: die Workshops
dass den Entwicklungsländern bis zu 30 Milund Podien in Hallen und Zelten und parallionen Arbeitsplätze in der Textilindustrie
Perspektiven
lel dazu die über das Gelände ziehenden,
verloren gehen. Auch Jobs in IT-Branche,
Der Wechsel des Kontinents hat sich als
sich lautstark Gehör verschaffenden DeBuchhaltung, Versicherungsabwicklung
richtig und wichtig erwiesen. Nur so lassen
monstrationen diverser Gruppen. Diese
werden aus den Industrieländern über Indisich die Spektren der teilnehmenden Orgareichten von den Dalits, Angehörigen der so
en nach China verlagert.
nisationen und damit auch die Vernetgenannten Kaste der Unberührbaren, über
zungsmöglichkeiten erweitern. Im nächsten
Frauengruppen, Transsexuelle, Kinder, die
Ist das WSF als »Happening« der sozialen
Jahr steht Porto Alegre als Veranstaltungsihre Rechte forderten, bis hin zu einer
Bewegungen ohne Konsequenzen?
ort fest, danach ist einerseits Afrika in der
großen Gewerkschaftsdemo.
In der Presse ist diese Kritik häufig zu lesen.
Diskussion, andererseits wird überlegt, die
Schwerpunktthemen der VeranstaltunSicherlich hat auch Arundhati Roy Recht,
WSF – alternierend zu den regionalen Foren
gen waren Krieg und Frieden, hier vor allem
wenn sie sagt, dass ein Erfolgserlebnis nötig
– nur noch alle zwei Jahre stattfinden zu lasdie US-Besatzung im Irak, die Politik und
ist. Allerdings darf dies nicht auf Kosten der
sen. Dies ist sinnvoll, schafft es doch mehr
Folgen neoliberaler Globalisierung, die RolCharakteristika der europäischen (ESF) und
Zeit zur Umsetzung von Vereinbarungen,
le der Weltbank und anderer Institutionen,
Weltsozialforen gehen.
zum Ausbau von Netzwerken etc. Auch die
WSF und ESF sind offene Räume, in dein Indien zu beobachtende Tendenz, Großnen sich die sozialen Bewegungen in all ihveranstaltungen mit den »Stars« der Bewechristels wsf-witz
rer Vielfalt und Breite, mit all ihren untergung zugunsten kleinerer Workshops mit
Kommt ein
schiedlichen Themenbereichen und Anlieintensivem Austausch zurückzufahren, hat
gen begegnen und austauschen können. Jesich als klug erwiesen.
Globalisierungsgegner…
der Versuch, Ergebnisse im Sinn politischer
Die Forderung nach Einhaltung der
Alle WSF-Delegierten in Mumbai erhielten
Erklärungen
oder
eines
einheitlichen
AkMenschenrechte,
zentrales Thema sowohl
große Karten, auf die sie ihren Namen, ihre
tionsprogramms
zu
erzielen,
widersprechen
bei
den
Demonstrationen
auf dem Gelände
Organisation sowie das Herkunftsland eindem eigentlichen Anliegen und könnten auf
als auch bei den Diskussionen der bereits
trugen. Ein deutscher Vertreter von Attac
Dauer zerstörerisch wirken. Geht es doch in
genannten Themen, kann zu einer gemeinhatte also seinen Namen und des weiteren
erster Linie darum, für die eigenen Ziele
samen Wertebasis und verbindenden Klam»Attac Germany« auf der Karte notiert. Auf
dem WSF-Gelände wurde er von einem InUnterstützung zu finden, sich gegenseitig
mer für Gewerkschaften, soziale Bewegunder angesprochen: »Excuse me, I have one
durch Informationen zu bereichern und gegen und NGOs werden. ∏
question: Why do you want to attac Germeinsame Handlungsstränge immer wieChristel Faber ist beim Hauptvorstand der GEW Referenmany?« ∏
der neu zu definieren. Netzwerke zeichnen
tin für Jugend und Internationales.
O
4 soli aktuell 03.04
thema
Neinneinnein – Ja!
Mit einer Ausbildungsumlage lassen sich
keine zusätzlichen betrieblichen Ausbildungsplätze schaffen.
Quatsch! Nur noch 23 Prozent der 2,1 Millionen Betriebe in der Bundesrepublik
Deutschland bilden aus. Dabei sind 56 Prozent
zur Berufsausbildung berechtigt. Demnach
könnten fast 700.000 Betriebe zusätzlich ausbilden. Die Ausbildungsumlage sorgt dafür,
dass der Anreiz auszubilden steigt. Viele Betriebe werden es sich überlegen, ob es nicht
besser ist, das Geld für die Umlage lieber in
die eigene Ausbildung zu stecken. Wer aber
lieber zahlen will, trägt immerhin dazu bei,
dass dadurch neue Ausbildungsplätze in anderen Betrieben gefördert werden.
Die Ausbildungsumlage führt nur dazu,
dass sich die Betriebe von ihrer Ausbildungspflicht freikaufen.
Unfug! Warum sollte ein Arbeitgeber,
der bisher freiwillig ausbildet, wegen der
Umlage etwas daran ändern? Wer ausbildet, bleibt von der Umlage verschont. Wer
sich vor den Kosten der Ausbildung drückt,
muss zahlen. Das befürworten auch die
meisten (ausbildenden) Arbeitgeber: Laut
einer Umfrage des arbeitgebereigenen
deutschen Instituts für Wirtschaft (IW)
sprachen sich 57,9 Prozent der ausbildenden Betriebe für eine Ausbildungsumlage
aus.
zahlen zur ausbildung
Quelle
Zahl
Beschreibung
BIBB für 2003
DGB
Destatis für 2001
BIBB für 2001
Destatis für 2001
BIBB
603.000
678.375
1.684.669
14,66 Mrd. ¤
904,14 Mrd. ¤
8.705,-
BIBB
DGB
5,5%
7%
Ausbildungssuchende 2003
Notwendiges Ausbildungsangebot (112.5%)
Gesamtzahl Auszubildende 2001
Netto-Ausbildungskosten
Brutto-Lohnsumme
durchschnittliche Netto-Ausbildungskosten pro Person
(für die gesamte Ausbildung), also Bruttokosten abzgl.
der Wertschöpfung pro Azubi.
betriebliche Ausbildungsquote 2003
derzeit nötige Untergrenze der betrieblichen Ausbildungsquote (Ziel)
Eine Umlagefinanzierung führt zu einer
neuen Mammutbehörde.
Stimmt nicht! Der DGB schlägt vor, auf
bestehende Strukturen wie die Berufsgenossenschaften oder das Bundesverwaltungsamt zurückzugreifen. Eine neue
Behörde ist deshalb nicht nötig. Das Bildungsministerium geht davon aus, dass mit
der Umlage nicht mehr als 150 Menschen
befasst wären.
Die Ausbildungsumlage zerstört die duale Berufsausbildung.
Quark mit Soße! Durch die Umlage soll
ja gerade der Trend aufgehalten werden,
dass immer weniger junge Menschen einen
betrieblichen Ausbildungsplatz erhalten.
Nur noch 47 Prozent finden Zugang zum
dualen System. Die Umlage wird dafür sorgen, mehr Ausbildungsplätze in den Betrieben zu schaffen.
Betriebe werden unzumutbar belastet.
umlagevorbilder
Im Baugewerbe
In Frankreich und Dänemark
Grundlage für die Finanzierung der Berufsausbildung im deutschen Baugewerbe ist der »Tarifvertrag über die Berufsbildung im Baugewerbe (BBTV)« in der Fassung vom 19. April 2000.
Dieser Tarifvertrag trat erstmals im Jahre 1976 in
Kraft. Zielsetzung: die Sicherung des Nachwuchses der Bauwirtschaft. Einerseits sollten
die Betriebe eine ausreichende Anzahl von Ausbildungsplätzen bereitstellen, andererseits die
Ausbildung so qualifiziert wie möglich sein.
Alle erfassten Arbeitgeber haben für die tarifvertraglich festgelegte Erstattung von Kosten
der Berufsausbildung als Beitrag einen Gesamtbetrag von 1,2% der Summe der Bruttolöhne aller
gewerblichen Arbeitnehmer des Betriebes (Bruttolohnsumme) an die Einzugsstelle abzuführen.
Die Sozialkassen des Baugewerbes erstatten dem ausbildenden Arbeitgeber teilweise
die tariflichen Ausbildungsvergütungen. Für die
vom Arbeitgeber zu leistenden Sozialaufwendungen werden 16% erstattet.
In Frankreich sind die Betriebe verpflichtet,
1,5% ihrer Bruttolohn- und Gehaltssumme für
eigene Berufsbildungsmaßnahmen nachzuweisen bzw. an Fonds zu überweisen. Hinzu kommt
das Geld aus der »Lehrlingssteuer« und eine
Umlage für Weiterbildung. Die positive Gesamtwirkung der Umlagefinanzierung in Frankreich ist auch von den Arbeitgebern unbestritten.
Anders als beim französischen Modell ist
die dänische Umlagefinanzierung AER nur auf
die Berufsausbildung bezogen. Dabei werden
festgelegte Ausbildungsabschnitte aus Beiträgen der Unternehmen und staatlichen Zuschüssen finanziert. Die Unternehmen entrichten immerhin pro Beschäftigten derzeit rund
400 DKK jährlich, was zu einem Fondsvolumen
von knapp 3 Mrd. DKK führt. Auch in Dänemark
funktioniert die Umlagefinanzierung bereits 25
Jahre lang, ohne jemals ernsthaft in Frage gestellt worden zu sein. ∏
Quelle: DGB-Jugend
Die häufigsten Einwände
gegen die Umlage – und die
Argumente des DGB.
Denkste! Ausbildung hat für die Betriebe zahlreiche Vorteile. Die Auszubildenden
bringen bereits während der Ausbildung Erträge und müssen danach nicht erst lange
eingearbeitet werden. Betriebe, denen es
nachweislich so schlecht geht, dass sie die
Umlage nicht bezahlen können, sollten davon befreit werden. Das Gleiche gilt für Betriebe mit weniger als fünf Mitarbeitern und
für Existenzgründer.
Viele Betriebe können gar nicht ausbilden oder bekommen keine geeigneten
Bewerberinnen und Bewerber.
Von wegen! Die Zahl der Betriebe, die
ausbilden können aber nicht wollen, liegt
bei rund 700.000. Es gibt also noch Kapazitäten für Ausbildungsplätze. Außerdem
ist es nicht ungerecht, dass Betriebe, die
nicht ausbilden können, zahlen. Schließlich
profitieren sie davon, dass andere Betriebe
diejenigen Mitarbeiter ausgebildet haben,
die sie nun brauchen. Die Behauptung, es
gäbe nicht genug geeignete Bewerber, ist
häufig vorgeschoben. Die Auswahl unter
den Bewerbern war selten so hoch wie zur
Zeit. 1992 konnten 100 Anbieter von Ausbildungsplätzen unter 108 Schulabgängern
auswählen. Im Jahr 2002 unter 158.
Der Nutzen einer Ausbildungsumlage
steht in keinem Verhältnis zum Aufwand.
Träum weiter! Die Bundesagentur für Arbeit spricht von 35.000 Menschen, die im
Herbst 2003 keinen Ausbildungsplatz hatten.
In Wirklichkeit lag der Bedarf an zusätzlichen
betrieblichen Ausbildungsplätzen bei
200.000. Die Differenz kommt dadurch zustande, dass die Bundesagentur nicht diejenigen mitzählt, die sich mit »Ersatzmaßnahmen« abgefunden oder ihre Suche gleich
ganz aufgegeben haben. Insgesamt haben
etwa 600.000 junge Menschen im Alter von
20 bis 25 Jahren keinen Berufsabschluss. Vor
diesem Hintergrund scheint kein Aufwand zu
groß, mehr Ausbildungsplätze zu schaffen. ∏
Weitere Fakten: www.dgb-jugend.de
03.04 soli aktuell 5
jav-ratgeber
Arbeitgeberüberwachung
Eine der Hauptaufgaben der
Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV): die Einhaltung sämtlicher Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträge und
Betriebsvereinbarungen zu
überwachen, die zu Gunsten
der Azubis und minderjährigen
Beschäftigten gelten.
s versteht sich von selbst, dass die
JAV die Überwachungspflicht (vgl.
§ 70 Abs. 1 Nr. 2 Betriebsverfassungsgesetz, BetrVG) nur dann wirksam erfüllen kann, wenn ihr zumindest die Gesetzestexte und die entsprechenden Vereinbarungen der Tarifvertragsparteien bzw. Betriebspartner vorliegen.
Dem Gesetzgeber sei Dank – man
braucht nun nicht seine Ausbildungsvergütung bzw. sein Gehalt für entsprechende
Materialien zu opfern. Entsprechend der Regelungen für Betriebsräte muss der Arbeitgeber sämtliche für die Amtsausübung der
JAV erforderlichen Materialien zur Verfügung stellen (§ 65 i. V. m. § 40 BetrVG).
Aufgrund seiner Funktion als Hilfsorgan
des Betriebsrats kann sich die JAV allerdings rein rechtlich nicht direkt an die Arbeitgeberseite wenden, um die Anschaffung bestimmter Sachmittel zu verlangen.
Vielmehr muss auch hier der Betriebsrat einen rechtswirksamen Beschluss fassen, in
dem die Kostenübernahme für bestimmte
JAV-Sachmittel eingefordert wird. Bei dieser
Abstimmung steht der kompletten JAV ein
Stimmrecht zu.
Für den Fall, dass die Sachmittel
tatsächlich für die Arbeit der JAV erforderlich sind, steht dem Betriebsrat kein großer
Entscheidungsspielraum zu. Die JAV-Mitglieder können verlangen, dass ihr der Betriebsrat die zur Aufgabendurchführung erforderlichen Unterlagen zur Verfügung
stellt (§ 70 Abs. 2 Satz 2 BetrVG).
E
auslegen ist
auslegungssache
§ 77, Absatz 2, Betriebsverfassungsgesetz
Betriebsvereinbarungen sind von Betriebsrat
und Arbeitgeber gemeinsam zu beschließen
und schriftlich niederzulegen. (…) Der Arbeitgeber hat die Betriebsvereinbarungen an geeigneter Stelle im Betrieb auszulegen. ∏
6 soli aktuell 03.04
Aushangpflichten vom Arbeitgeber eingehalten werden. Vorher sollte man allerdings wissen, was mit dem Begriff
»aushangpflichtige Gesetze« gemeint ist:
So unterscheidet der Gesetzgeber zwischen »aushängen« und »an geeigneter
Stelle auslegen«. Eine Beschränkung auf
das »an geeigneter Stelle auslegen« besteht z.B. bei allen geltenden Betriebsvereinbarungen (vgl. § 77 Abs. 2 BetrVG) und
allen einschlägigen Tarifverträgen, die im
Betrieb gelten. »Auslegung«
heißt hier, dass der Arbeitgeber seiner Verpflichtung dann
wirksam nachkommt, wenn er
die aktuelle Fassung der Tarifverträge z.B. in der Personalabteilung vorhält und ArbeitEtwas einfacher haben es die
Der JAV-Ratgeber.
nehmern bei Anfrage zur EinJugendvertreter mit Gesetzes- Mit Wolf-Dieter Rudolph
sicht bereit steht.
texten. Hier sollten sie den Betriebsrat veranlassen, am besten für jedes
Anders wird es in der Praxis gehandhabt,
JAV-Mitglied die Anschaffung einer aktuelwenn vom Gesetzgeber die Möglichkeit
len Ausgabe von arbeitsrechtlichen Gesetzestexten (z. B. Kittner, Arbeits- und Sozial- eines »Aushängens« eingeräumt wird. Hier
hängen die Arbeitgeber entsprechende
ordnung, Bund-Verlag) zu beschließen. Der
Textsammlungen z.B. an das schwarze
Betriebsrat sollte darauf hingewiesen werBrett oder an Mitteilungstafeln in der Kanden, dass nach der Rechtsprechung des
tine.
Bundesarbeitsgerichts (BAG) jedem einzelNur selten tun es sich Personalleute an,
nen Betriebsratsmitglied vom Arbeitgeber
jedes einzelne Gesetz komplett aus dem
eine aktuelle arbeitsrechtliche GesetzesBundesgesetzblatt zu kopieren und dann
sammlung zur Verfügung zu stellen ist (vgl.
auszuhängen. Entsprechende GesetzesBAG, Beschluss v. 24. Januar 1996 – Az.: 7
sammlungen der aushangpflichtigen GeABR 22/95). Betriebsräte sollten also bei ihsetze werden von Verlagen komplett anrer jeweiligen Bestellung auch immer gleich
geboten. Die Arbeitgeberseite ist veran die Bedürfnisse der JAV denken.
pflichtet, diese »Sammlung« immer auf
Während nun die JAV-Mitglieder die
dem aktuellen Stand der Gesetzgebung zu
Texte der entsprechenden Vorschriften erhalten.
halten und auch einen Anspruch darauf haZu den wichtigsten im Betrieb zu veröfben, dass erläuternde Literatur zur Verfüfentlichenden Gesetzen zählen:
gung gestellt wird bzw. die oft schwammi∂ Arbeitszeitgesetz
gen Vorgaben des Gesetzgebers im Rah∂ Jugendarbeitsschutzgesetz
men von Schulungen oder Beratungen er∂ Mutterschutzgesetz
läutert werden, können die nicht der JAV an∂ Unfallverhütungsvorschriften.
gehörenden Azubis diese Möglichkeiten
nicht wahrnehmen. Es ist Angelegenheit
von JAV und Betriebsrat, entsprechende InHäufig vergessen wird, dass auch das so
formationen weiterzugeben.
genannte Beschäftigtenschutzgesetz und
Aber auch der einzelne Arbeitnehmer
die sich aus dem BGB ergebenden Gleichoder Azubi hängt nicht völlig in der Luft –
berechtigungsvorschriften (letztere in Beder Gesetzgeber hat den Arbeitgeber zum
trieben mit mehr als fünf Arbeitnehmern)
Bekanntmachen bestimmter gesetzlicher
zu den aushangpflichtigen Gesetzen zählen.
Vorschriften innerhalb des Betriebs verErgibt die Recherche der JAV bzw. des
pflichtet. Durch die bestehenden AushangBetriebsrats, dass die Aushangpflicht nicht
pflichten soll die Unterrichtung aller Arbeachtet wurde oder seit Jahren vernachbeitnehmer gewährleistet werden, vor allässigt wurde, sollte die Arbeitgeberseite
lem derjenigen, die zur Unterstützung keidarauf hingewiesen werden, dass eine Vernen Betriebsrat haben.
letzung dieser Pflichten bei einer Kontrolle
Es empfiehlt sich von daher, im eigenen
durch die Aufsichtsbehörden Bußgelder
Betrieb einmal nachzuforschen, ob die
nach sich ziehen wird. ∏
Aufgrund dieser Bestimmung kann man
– und das sollte auch für Betriebsräte eine
Selbstverständlichkeit sein – zumindest eine Kopie der Betriebsvereinbarungen verlangen, die irgendwie Azubis und Jungarbeiter betreffen. Auch die für die JAV-Arbeit
interessanten Tarifverträge sind – soweit
im Betriebsratsbüro vorhanden – zur Verfügung zu stellen. Befinden sich im Betriebsratsbüro keine Tarifverträge bzw. ist die
Sammlung der Tarifverträge nicht vollständig, so sollte sich die JAV am besten direkt mit der zuständigen
Gewerkschaft in Verbindung
setzen und um Übersendung
der Tarifvertragstexte bitten.
landesbezirke + gewerkschaften
Metall-Kompromiss
Arbeitskampf nützt: Die IG
Metall hat neue Tarife ausgehandelt. Ein Kommentar von
Michael Faißt
ie Forderung der Arbeitgeber nach
der unbezahlten Verlängerung der
Arbeitszeit konnte abgewehrt werden. Es wurden zwar Regelungen zur flexibleren Gestaltung der Arbeitszeit getroffen.
So kann z.B. in Betrieben, in denen mehr als
50 Prozent Ingenieure oder andere hochbezahlte Spezialisten arbeiten, die Arbeitszeit
für die Hälfte der Belegschaft auf bis zu 40
Stunden erhöht werden – aber diese Stunden müssen natürlich voll bezahlt werden!
Diese Regelung wird wohl vor allem im
Forschungs- und Entwicklungsbereich greifen. Darüber hinaus wurde eine Regelung
zur Beschäftigungsförderung entwickelt.
Wenn in einem Betrieb zusätzliches Arbeitsvolumen dauerhaft notwendig ist, muss über
Neueinstellungen geredet werden. Wenn
Neueinstellungen vereinbart wurden, kann
die Arbeitszeit zur Überbrückung im Rahmen von Flexi-Konten auf bis zu 40 Stunden
hochgefahren werden. Allerdings höchstens
sechs Monate lang. Auch diese Stunden
müssen voll bezahlt werden. Für die breite
Masse der Beschäftigten bleibt die 35-Stunden-Woche also bindend.
Mit dem Verhandlungsergebnis ist es
gelungen, eine akzeptable Steigerung der
Ausbildungsvergütungen und Entgelte
D
durchzusetzen. Die Ausbildungsvergütungen wurden am 1. März 2004 im Volumen
um 2,2 Prozent und werden ab März 2005
um 2,7 Prozent erhöht.
Wir hätten gerne ein höheres Ergebnis
bei den Verdiensten erreicht und auch die
Laufzeit entspricht nicht den Vorstellungen
der IG Metall. Aber bei einem Kompromiss
muss man eben auf beiden Seiten Zuge-
ständnisse machen. Alles in allem kann sich
der Abschluss aber sehen lassen. Es ist gelungen, dieses Ergebnis auch in den neuen
Bundesländern durchzusetzen. Es hätte auf keinen Fall
zu einer weiteren Abkopplung kommen dürfen.
Michael Faißt ist Bundesjugendsekretär der IG Metall.
jetzt neu:
Die neuen Ausbildungsbroschüren der DGB-Jugend sind da. Sie können jetzt auf der
Internetseite www.dgb-jugend.de, Stichwort »Broschüren«, bestellt werden.
dgb-jugendbildungszentrum
Bildungsarbeit
Anfang Februar – die Delegation aus Israel war
da: Die Besucher weilten zur Oberurseler Fachtagung über die aktuelle politischen Situation in
Nahost und die Situation des israelischen Gewerkschaftsbundes Histradut und ihres Jugendverbandes Ha Noar Ha Oved. Die Fachtagung
fand in Zusammenarbeit mit der Abteilung Jugend beim DGB-Bundesvorstand statt. Offen-
Diskussionsfreudig: Yoram Barkovetz vom
israelischen Jugendverband Ha Noar Ha Oved
sichtlich nicht zum Grausen der Beteiligten –
manchen reichte schon die S-Bahn, um sich zu
amüsieren. Erwähnenswert: Deutsche Teilnehmerinnen wie z.B. Mirjam Muhs vom DGB-Bundesvorstand waren dem Hörensagen nach angenehm überrascht über die Offenheit bzw. Direktheit der Delegierten in spontan entstandenen spannenden Diskussionen zu Alltagsthemen (u.a.: Sexualität).
Und hier das weitere Programm des Bildungszentrums der DGB-Jugend in Oberursel:
Exotik und Alltag in Polen
Gemeinsam mit polnischen Jugendlichen sollen
Gemeinsamkeiten und Besonderheiten der polnischen und deutschen Kultur entdeckt werden.
Der erste Teil des Seminars findet in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Mikuszewo bei Poznan statt.
Termin: 21. bis 27. März 2004
Jugend und Jugendpolitik im neuen Russland
Während eines Aufenthalts in Moskau und Jaroslawl, der Partnerstadt des Landes Hessen,
wird über den Stand der Demokratisierung und
der wirtschaftlichen Entwicklung in Russland
informiert. In Jaroslawl warten Vertreter von Jugendverbänden, um sich über Jugendpolitik, Jugendalltag und Möglichkeiten einer konkreten
deutsch-russischen Zusammenarbeit auszutauschen und Partnerschaftskontakte aufzubauen.
Termin: 27. März 2004 bis 3. April 2004
Tagung mit Partnerregionen Hessen
Dieses Seminar wird für Fachkräfte der Jugendarbeit angeboten, die sich über die Themen Jugendpolitik, Jugendbeschäftigung und Ausbildung in Polen (Wielkopolska), Italien (Emilia
Romana) und Frankreich (Aquitaine) austauschen wollen.
Neben der Diskussion werden in thematischen Workshops Erfahrungen ausgetauscht
und Informationen vermittelt, Förderprogramme vorgestellt und Anregungen für die internationale Jugendarbeit gegeben.
Termin: 21. April 2004 bis 25.April 2004
Infos: Haus der Gewerkschaftsjugend, Königsteiner
Straße 29, 61440 Oberursel, Tel.: 06171 / 59 03 0,
E-mail: [email protected]
03.04 soli aktuell 7
tipps + termine
Absender: DGB-Bundesvorstand, Henriette-Herz-Platz 2, 10178 Berlin
w e b -t i p p d e s m o n at s
Jugendbearbeitung: Im
Umgang mit Jugendlichen
kann man so viele Fehler machen, dass man vorher das ein
oder andere Buch zum Thema
gelesen haben sollte. Elke von
der Haar hat es geschrieben –
die Leiterin des Forschungsprojekts Jugendberatung in Berlin weiß alles über Jugendbelange
vom Arbeitsschutz über Homosexualität bis zum Wohngeld.
+
A 8895
Von Amts wegen: »Die soziale Lage in der Europäischen Union 2003. Umfassender
Überblick über die demografischen und sozialen Bedingungen
des Staatengebildes.
+
Elke von der Haar: Jugendberatung. Leitfaden für die Praxis der Jugendberatung, Ausbildung und Schule. Luchterhand, München 2004, 278 S.,
16 Euro
Freizeit: Der Bundesarbeitskreis Arbeit und Leben
hat sein Jugendprogramm 2004
vorgelegt. Die ca. 100 Seminare
und Projekte politischer Jugendbildung wenden sich insbesondere an junge ArbeitnehmerInnen,
Auszubildende und arbeitslose
Jugendliche im Alter bis zu 26 Jahren. Schwerpunkte: Arbeit, Ökologie, Geschlechterrollen, Medien, Toleranz und Zivilcourage,
Gesellschaft, Internationales und
Fortbildungen.
Handbuch: Durch das Betriebsverfassungsreformgesetz von 2001 hat das Ziel der
Gleichstellung von Männern und
Frauen in der Privatwirtschaft an
Bedeutung gewonnen. Dem Betriebsrat fällt die Aufgabe zu, die
Umsetzung dieser Forderung voranzutreiben und Lösungsvorschläge anzubieten. Das Handbuch von »Einblick«-Redakteurin
Anne Graef und Ex-Soli aktuellChefin Dorothee Beck zeigt hierzu praxisnahe Möglichkeiten auf.
Zu bestellen bei: Bundesarbeitskreis Arbeit und Leben, Hans-Böckler-Str. 39,
40476 Düsseldorf, Tel.: 0211 / 43 01 150,
Fax: 0211 / 43 01 103, E-mail: bildung@
arbeitundleben.de
Dorothee Beck, Anne Graef: ChancenGleich. Handbuch für eine gute betriebliche Praxis, inkl. CD-ROM. Bund-Verlag,
Frankfurt/M. 2003, 185 S., 19,90 Euro
Zu Soli aktuell 2-04, Ankündigung der Broschüre
»Ausbildung, schwanger – und jetzt«: Dieses Heft
ist nicht bei Daniela Linke zu bestellen, die obendrein gar nicht allein erziehende Mutter ist
(»Kannste doch nich schreiben, jetzt wo icke eenen jefunden hab.«) Die Broschüre ist ausschließlich als pdf-Format im Download erhältlich. Wir
bedauern den Fehler.
Kopftuch hin, Kopftuch
her: Viele muslimisch geprägte Staaten unterscheiden
sich erheblich – in wirtschaftlicher und politischer Lage, in den
Rechten, die Arbeitnehmende haben und in ihrer religiösen oder
säkularen Ausrichtung. Die Handreichung »Islam und Arbeitswelt.
Muslimische Arbeitnehmende in
der Arbeitswelt – muslimische
Organisationen« von »Migration
online« bietet Sachinformationen
zu 35 Staaten, die mehrheitlich
muslimisch geprägt sind.
Im Mittelpunkt einer zweiten
Handreichung stehen Informationen zu den Glaubensrichtungen
und Glaubensinhalten des Islam.
Die Situation von muslimischen
Arbeitnehmenden auf dem deutschen Arbeitsmarkt wird in einem
abschließenden Kapitel vorgestellt. Dabei geht es gleichermaßen um Möglichkeiten der Religionsausübung als auch um Fragen von Gleichbehandlung und
Antidiskriminierung.
www.dgb-jugend.de, Stichwort »Broschüren«
Infos: www.migration-online.de
ko r r e k t u r
+
+
http://europa.eu.int/comm/
employment_social/index2_de.htm
+
impressum
Namentlich gekennzeichnete Artikel
geben nicht unbedingt die Meinung der
Redaktion wieder.
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Herausgeber:
DGB-Bundesvorstand, Abt. Jugend,
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Jugendplans des Bundes (BMFSFJ)
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