Wo bleibt die Gerechtigkeit in Kambodscha?
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Wo bleibt die Gerechtigkeit in Kambodscha?
Thomas Hummitzsch1 Wo bleibt die Gerechtigkeit in Kambodscha? Eine historisch-chronologische Analyse des rechtlichen Umgangs mit den Tätern in den vergangenen 30 Jahren nach dem Völkermord * Sicherheitsregeln im Foltergefängnis Tuol Sleng in Phnom Penh, Privatphoto 1 Thomas Hummitzsch ist Mitarbeiter der Kambodscha-Koordination der deutschen Sektion von amnesty international Inhaltsverzeichnis Zeittafel..........................................................3 Vorwort............................................................4 Die Verbrechen der Roten Khmer – Eine Bilanz.......................5 Die Evakuierung der Städte....................................... 5 Der Vier-Jahresplan – die Basis der Terrorherrschaft............. 7 Der Kampf gegen Vietnam .........................................9 Systematisierung der Todesursachen.............................. 10 Ein Völkermord?.................................................12 Vergangenheitsbewältigung von 1979 bis 1991 – Verlorene Zeit......14 Versuche der politischen Integration der Roten Khmer (1991 - 1999).. 21 Ein Tribunal für die Verbrechen der Roten Khmer...................25 Warum ist eine juristische Verfolgung wichtig?....................31 Fazit.............................................................37 Literaturverzeichnis..............................................38 Literatur.......................................................38 Artikel.........................................................38 Dokumente.......................................................39 Weiterführende Onlinequellen.................................... 41 Medien..........................................................41 2 Zeittafel 1954 1960 19651970 1969 1970 1975 1976 1979 1982 1985 Ab 1987 1988 1989 1991 1992 1993 1994 1996 1997 1998 1999 2001 2003 2004 2005 Friedensabkommen mit Frankreich auf der Genfer Indochinakonferenz; Erlangen der Unabhängigkeit Prinz Norodom Sihanouk wird Staatsoberhaupt Beginn des bewaffneten Widerstands der Roten Khmer (RK) Ausweitung der US-Bombardements von Vietnam auf Kambodscha Staatsstreich des General Lon Nol, Beginn des fünfjährigen Bürgerkriegs 17. April: Die RK nehmen Phnom Penh ein und installieren die Herrschaft der „Angkar“; Prinz Norodom Sihanouk wird formell zum Staatsoberhaupt ernannt Die RK proklamieren das Demokratische Kampuchea; Pol Pot wird Premierminister, Khieu Samphan Staatschef; Norodom Sihanouk tritt zurück und wird unter Hausarrest gestellt 7. Januar: Vietnamesische Truppen unterstützen die kambodschanische Opposition in Vietnam bei der Befreiung des Landes; Proklamation der Volksrepublik Kampuchea (PRC); Beginn der vietnamesischen Besatzung Kambodschas; in einem Schauprozess werden Pol Pot & Ieng Sary in absentia zum Tode verurteilt Bildung einer „antikommunistischen“ Exilregierung in Thailand, bestehend aus Pol Pots RK, Sihanouks Royalisten und der buddhistischliberalen Partei Son Sanns Hun Sen wird Premierminister der Volksrepublik Kampuchea Annäherung zwischen Hun Sen und Prinz Norodom Sihanouk Prinz Norodom Sihanouk tritt als Präsident der Exilregierung zurück Proklamation des „State of Cambodia“ [SOC) mit Hun Sen an der Spitze; Abzug der letzten vietnamesischen Truppen im September 23. Oktober: Abschluss der Pariser Friedensgespräche mit dem „Vertrag zur umfassenden politischen Regelung des Kambodscha-Konfliktes“Beteiligt sind 18 Staaten und die vier kambodschanischen Fraktionen Die UN-Übergangsverwaltung UNTAC übernimmt die Regierungsgeschäfte und beginnt mit der Umsetzung ihrer Mandatsaufgaben Erste freie Wahlen, Sieg der royalistischen FUNCINPEC; Hun Sens CPP weigert sich, die Regierungsgeschäfte zu teilen; Doppelregierung aus CPP & FUNCINPEC Gesetz zur Ächtung der RK verbunden mit Amnestierungen für Überläufer Seitenwechsel von Ieng Sary und seinen Einheiten zu den staatlichen Truppen, königliche Begnadigung Ieng Sarys Regierungsinterne Machtkämpfe eskalieren und Hun Sens CPP erringt die Obermacht; Schauprozess gegen Pol Pot durch RK-Kader wegen seiner innerparteilichen Verbrechen seit 1979; Urteil: lebenslanger Hausarrest Nationale und internationale Bemühungen um ein Tribunal gegen die RK beginnen Hun Sen wird in formal demokratischen Wahlen in seinem Amt bestätigt; Tod Pol Pots; politischer Seitenwechsel Khieu Samphans und Nuon Cheas auf die Regierungsseite; Abkommen zwischen Regierung und RK zur Eingliederung der RK-Truppen in die nationalen Streitkräfte bei gleichzeitiger Amnestierung Aufnahme Kambodschas in die ASEAN; UN-Expertenkommission prüft Umsetzungsmöglichkeiten eines Tribunals Kambodscha erlässt ein Gesetz zur Bildung außerordentlicher Kammern an den kambodschanischen Gerichten zur strafrechtlichen Verfolgung der RK UN und Kambodscha einigen sich auf die Bildung des Tribunals an den kambodschanischen Gerichten nach kambodschanischem Recht mit internationaler Beteiligung; CPP gewinnt parlamentarische Wahlen Gründung der CPP-FINCINPEC-Koalition; Kambodschanische Regierung ratifiziert Tribunalbildung Finanzierung des Tribunals bis auf 4,4 Mio. US $ gesichert 3 Vorwort „[…] Es tut uns sehr leid. Nicht nur um die Opfer unter der Bevölkerung, sondern auch um die Opfer unter den Tieren. […]“2 Der Hohn, welcher aus diesen Worten des ehemaligen „Bruder Nr. 2“ Ieng Sary spricht, macht das Dilemma der politischen und juristischen Aufarbeitung der eigenen Geschichte im heutigen Kambodscha mehr als deutlich. Die Opfer unter den Tieren zu betonen, während mehr als 1,7 Millionen Menschen konterkariert auf grausamste jegliche Art und Vorstellungen Weise von ums Leben eigener kamen, Schuld als Voraussetzung einer Entschuldigung. In den drei Jahren, acht Monaten und zwanzig Tagen der Herrschaft der Roten Khmer (im Folgenden: RK) wurden massenweise Menschen gezielt vertrieben und verfolgt, Konsequenz eines gefoltert, „natürlichen getötet und Ausleseprozesses“ hingerichtet. wurde der Tod Als von hunderttausenden Kindern und Greisen, Männern und Frauen infolge von unmenschlichen Arbeitsbedingungen, durch Hunger und Krankheiten geradezu gleichgültig hingenommen. Kann einem Volk, welches in vier Jahren nahezu widerfahren um und ein wenn Familien, von denen verschont geblieben Viertel ja, wie kann kaum eine von ist, das reduziert dies den Gefühl wurde, geschehen? Folgen geben, des dass Gerechtigkeit Kann man den Pol-Pot-Regimes jeder Täter den gerechten Preis für seine Taten in den Jahren 1975 – 1979 zu zahlen haben wird? Ist es überhaupt möglich, über die Mörder, deren Helfer und Helfershelfer zu urteilen? Und wenn nicht, können wenigstens die politisch Hauptverantwortlichen zur Rechenschaft gezogen und zur Bestrafung gebracht werden? Unter den Regierungsformen der letzten 40 Jahre in Kambodscha fanden teils massive, teils vereinzelte Menschenrechts- oder Kriegsrechtsverletzungen statt. Diese Arbeit muss sich aber auf die Verbrechen während der Diktatur der RK unter Pol Pot „beschränken“ und versucht dabei, aufzunehmen. die Dabei Spuren können im einer Aufarbeitung Wesentlichen nur dieser die Verbrechen politischen und strafrechtlichen täterorientierten Reaktionen veranschaulicht werden.3 Die Darstellung der Versuche von Gerechtigkeitswiederherstellung in Kambodscha ist im Tätigkeitsbereich zwischen Politik und Recht angesiedelt und wird sich in großen Teilen historisch-chronologisch 2 3 Nuon Chea (Präsident des Zentralkomitees unter den RK (RK)) auf einer Pressekonferenz am 29. 12. 1998, nachdem er und sein Mitkämpfer Khieu Samphan (RKStaatspräsidiumsvorsitzender) der Cambodian Peoples Party (CPP) des Premierministers Hun Sen beigetreten sind; in: „Die RK – Völkermord in Kambodscha“, Ein Arte-Themenabend; Teil III: Schuld ohne Sühne. Opferorientierte, Normorientierte und Institutionelle Reaktionen werden nur am Rande und dann zur Sprache kommen können, wenn sie in enger Verbindung mit den täterorientierten Reaktionen stehen. 4 strukturieren. Dies liegt an der engen Verbindung von realpolitischen Aufbauprozessen Kambodschas und politisch-gesellschaftlichen Prozessen im Umgang mit der Vergangenheit. Hierzu wird anfangs der Versuch einer Bilanzierung der kommunistischen Diktatur der RK unternommen, in der die einzelnen Phasen der Schreckensherrschaft herausgearbeitet werden. Anschließend sollen die Todesursachen unter Pol Pot strukturiert und die Frage der Völkermordrelevanz diskutiert werden. In historischer Reihenfolge werden strafrechtlichen anschließend Aufarbeitung die sowie Versuche deren der politischen Fehler, Probleme und und Beschränkungen erörtert. Dabei sollen u.a. die Unterstützung der RK durch die Vereinten Nationen, die Kambodscha auferlegten Pflichten der internationalen Gemeinschaft in den Paris-Abkommen sowie deren Folgen, die Versuche der innenpolitischen Integration der RK als auch die Diskussion um einen RK-Sonderstrafgerichtshof zur Sprache kommen. Kambodscha wird nunmehr seit 30 Jahren von dem kollektiven Trauma der drei Jahre, acht Monate und zwanzig Tage der RK-Herrschaft gefangen gehalten.4 Niemand kennt die Ursachen und Gründe des Massenmords unter den RK, außer die Täter selbst. Für Kambodschas Gesellschaft und deren Glauben an Recht und Gesetz als auch für deren Chancen, eines Tages die eigene Geschichte zu verstehen und mit ihr umgehen zu können, ist die kollektive Aufarbeitung der Diktatur der RK von äußerster Wichtigkeit. Die Verbrechen der Roten Khmer – Eine Bilanz Es wäre fatal, die Herrschaft der RK auf ihren Führer und „Bruder Nr. 1“ Pol Pot zu beschränken, da es unmöglich ist, einer einzigen Person sowohl die alleinige Durchführung als auch Organisation eines Genozids mit diesen Ausmaßen zuzuschreiben. Um Pol Pot reihten sich mehrere Dutzend kommunistischer Kader, die in gemeinsamer Arbeit und strenger Struktur mehr als 1,7 Millionen Tote zu verantworten haben. Wie war es möglich, dass eine Elite politischer Fanatiker ein solches Blutbad anrichten konnte? Der Versuch einer Rekonstruktion: Die Evakuierung der Städte „[…] We went to Phnom Penh to search for hidden enemies there, and drive people out. … We were told to tell people to leave for three days, and that then they could return. We were told to shoot people who refused. Our group shot 2 or 3 families north of Daeum Thkou market. […]”5 4 5 Im Rahmen einer Umfrage wurden Kambodschaner nach ihren nachhaltigsten Erlebnissen während der RK-Diktatur befragt. Zu den traumatischsten Erlebnissen zählten Hunger, Tötungen, Zwangsarbeit, Krankheiten und Folterungen; KHMER INSTITUTE OF DEMOCRACY: Survey on the Khmer Rouge Regime and the Khmer Rouge Tribunal 2004, S. 3; zugänglich unter: www.bigpond.com.kh/users/kid/pdf/Tribunal-Eng/SurveyEvaluation-4.pdf . Zit. Nach: Kiernan, Ben: The Pol Pot Regime – Race, Power, and Genocide in Cambodia under the Khmer Rouge, 1975 – 1979, S. 43. 5 Mit dem Fall von Phnom Penh am 17. April 1975 hatte General Lon Nol abgedankt und die RK übernahmen die Führung Kambodschas. Die Stadtbevölkerung wurde noch am selben Tag auf das Land vertrieben. Als Begründung diente das von den kommunistischen Truppen gestreute Gerücht, die Amerikaner beabsichtigten, die kambodschanischen Städte zu bombardieren. Mit dem Exodus der so genannten „neuen Menschen“6 begannen auch die Straßenkreuzungen ersten und Säuberungsaktionen -sperren wurden den der RK. An Kambodschanern ihre Ausweispapiere abgenommen und verbrannt. Ehemalige Mitglieder der LonNol-Regierung wurden hier bereits „aussortiert“ und meist sofort liquidiert. So standen in den ersten Monaten der Herrschaft der RK vor allem die Säuberungen der alten politische und militärischen Elite im Vordergrund. Des rücksichtslose Weiteren entledigte Vertreibungspolitik sich und das spätere Regime durch seine Arbeitspolitik von denjenigen Bevölkerungsteilen, die – in RK-Ideologie – zu schwach und nutzlos für den Aufbau des „neuen Kambodschas“ waren. Krankenhäuser und Behindertenstationen wurden rücksichtslos geräumt: Behinderte und nicht-mobile Kranke wurden aus den Fenstern geworfen, erschlagen oder erschossen. Alte, Kranke und Kinder, die laufen konnten, wurden mit der Stadtbevölkerung vertrieben und starben meist schon während der Wanderung aufs Land an Unterernährung oder Erschöpfung.7 John Barrou und Paul Anthony beschreiben anhand von Augenzeugenberichten Vertreibung der Stadtbevölkerung und den beginnenden Politizid 9 die RK in aller Ausführlichkeit. 8 die durch Die Ziele der ersten Monate wurden auf einer Konferenz der Führungskader am 20. Mai 1975 festgelegt. Neben der bereits weitgehend erfolgten Evakuierung der Städte sollten alle Märkte und Geldwerte vernichtet werden. Die buddhistischen Mönche sollten in die zu schaffenden, Arbeitslager ähnlichen Kooperativen gezwungen und die vietnamesische Minderheit komplett aus Kambodscha vertrieben werden. Alle ehemaligen Mitglieder des Lon-Nol-Regimes sollten umgebracht werden – eine Umerziehung kam gar nicht erst in Frage.10 Nachdem in den ersten Wochen und Monaten die meisten dieser „unsauberen Elemente“ beseitigt wurden, wich man zunehmend auf Lehrer, „Intellektuelle“11 6 7 8 9 10 11 und Prostituierte aus. Wie geplant, wurde der Bezeichnung der städtischen Kambodschaner, denen angelastet wurde, feudale und imperialistische Gedanken zu hegen und sich in der Vergangenheit auf den Schultern der Bauern ausgeruht zu haben. Kiernan, Ben: The Pol Pot Regime, S. 39 ff. Aufgrund der schwierigen Einordnung des kambodschanischen Massenmords in die Kategorie des Genozids weichen einige Autoren auf den Begriff des „Politizid“ aus, welcher die systematische Ermordung und Verfolgung politischer Gruppen mit der Intention ihrer totalen Vernichtung bezeichnet. Der Autor benutzt diesen begriff aufgrund der Tatsache, dass zu Beginn der Regierung Pol Pot’s zwar noch kein Genozid, ganz sicher aber ein „Politizid“ beabsichtigt war. Anthony, Paul & Barrou, John: Das Massaker. Kiernan, Ben: The Pol Pot Regime, S.55. Als Zeichen der „Intelligenz“ galt bereits das Tragen einer Brille oder die Fähigkeit, eine zweite Sprache sprechen zu können 6 Großteil der vertrieben, in so Kambodscha dass maximal lebenden 10.000 Vietnamesen 12 Vietnamesen nach versteckt Vietnam im Land blieben. Spätestens 1976 begannen die mehr oder weniger systematischen Säuberungen und Massaker an der kambodschanischen Zivilbevölkerung und in den eigenen Reihen. Bis dahin, solange also der Apparat der RK noch nicht straff durchorganisiert war, agierten die lokalen Parteiführer weitgehend autonom. Der Vier-Jahresplan – die Basis der Terrorherrschaft „[…] Die chinesischen Kommunisten oder die Roten Khmer in Kambodscha wollten den Unterschied zwischen Stadt und Land und zwischen körperlicher und geistiger Arbeit aufheben, doch das gelang ihnen nur, indem sie alle Menschen ihrer grundlegenden Rechte beraubten. […]“13 Auf einem Parteitreffen im August 1976 präsentierte Pol Pot seinen ersten Vier-Jahresplan, welcher das Ziel formulierte, den Sozialismus in allen Bereichen durchzusetzen und alle „Feinde“ des Regimes zu beseitigen, um das Land von innen heraus zu verteidigen.14 Vor allem im Kampf gegen die Vietnamesen sah Pol Pot den Plan als die ultima ratio an. Dieser sah vor, den Sozialismus durch die Kollektivierung von Landwirtschaft und Industrie voranzutreiben und das Land mit den durch Exporte einzunehmenden finanziellen Mitteln aufzubauen. Dies betraf im Wesentlichen den Reissektor, für welchen Pol Pot das utopische Ziel ausrief, pro Hektar Anbaufläche drei Tonnen Reis pro Jahr ernten zu wollen. Dieses Ziel sollte vor allem von den mehr als eine Million vertriebenen Städtern im Nordwesten Kambodschas erreicht werden, die in den kommenden Jahren Reis-Felder bearbeiten sowie Kanäle, Dämme und Arbeitslager bauen mussten. Die Bevölkerung wurde in Arbeitslagern gesammelt und musste unter unmenschlichen Bedingungen von morgens bis abends in den Reisfeldern arbeiten.15 In diesen Arbeitslagern fand das alltägliche Grauen des Regimes statt. Es kam täglich zu spontanen Tötungen bzw. zu Tötungsbefehlen durch die Verantwortlichen. Opfer waren all jene, die die schwere Arbeit überforderte, die versuchten, heimlich ihren Hunger zu stillen oder die kleinste Fehler bei den Arbeiten machten. Der ausgerufene Exportdruck hatte zur Konsequenz, dass die Reisrationen für die eigene Bevölkerung gesenkt wurden. Dies verursachte so hunderttausende von zusätzlichen Toten, gestorben an Unterernährung, diesen 12 13 14 15 16 Krankheiten „Kooperativen“ ist oder ein Überarbeitung Großteil der in den Lagern.16 Kambodschaner gequält, gemäß Kiernan, Ben: The Pol Pot Regime, S. 458. Fukuyama, Francis: Das Ende der Geschichte, S. 390. Chandler, David P.: Brother Number One – A political biographie of Pol Pot, S. 120. ff. Der Ausdruck „working from dawn till dusk“ findet sich in jedem Augenzeugen- bzw. Überlebendenbericht. Chandler, David P.: Brother Number One, S. 123. 7 In ausgemergelt und dahingerafft worden und die Zahl der dortigen Opfer ist nicht schätzbar. Wie wirkte sich dieser Plan aber auf die Politik der Führungskräfte der RK aus? Zunächst ist festzuhalten, dass die von Pol Pot gesteckten Ziele bis zum Schluss unerreichbar blieben. Da die Parteipolitik nicht umgesetzt werden konnte, mussten für den ausbleibenden Erfolg Schuldige gefunden werden. Da die Führungsriege und das Volk als Masse nicht Schuld sein konnten,17 trugen die regionalen Führungskräfte, die die jeweiligen Direktiven umzusetzen hatten, die Schuld an der ausbleibenden Planerfüllung und wurden folglich ständig gesäubert. Die bis 1979 aufrechterhaltene Theorie Pol Pots, dass sich in der Partei „Mikroben“ befänden, welche versuchen würden, das Voranschreiten der Revolution zu verhindern, innerparteilichen bildete Säuberungen. die Grundlage Gleichzeitig für schuf die diese Mikrobentheorie ein ständiges Gefühl von Misstrauen und Angst in der Partei und so die Basis für ein systeminternes Überwachungssystem, dem jeder zum Opfer fallen konnte: „[…] Did Pol Pot believe, that some of these ‚enemies’, or ‚certain people,’ were within reach of his voice? He was in no hurry to identify them or to specify their crimes. Did he know who they were? He had to pretend that he did, but he was obviously nervous, and he communicated his unease to his audience. Who could be trusted? They must have asked themselves. The person next to me? Why? They must also have known that he, not they, controlled the apparatus of terror that kept the Communists in power. In other words, they had to be more frightened of than he did. […]”18 Aufgrund der ausbleibenden Erfolge in der Umsetzung des Jahresplans mussten daher die „Feinde“ beseitigt werden, die die Revolution lähmten. Je länger die RK Kambodscha regierten, desto unbestimmter war die Bedrohung eines jeden durch die Organisation. Das zweite Prinzip der Reinigung basierte auf der Angst vor „dem Feind“. Da die Führungsriege in einer ständigen Angst vor einem nicht definierten Feind Härte lebte, wurden durchgeführt, die bis Festnahmen der und Verhöre Verhörte mit selbst unerbittlicher die absurdesten Beschuldigungen bestätigte, um von den Qualen der Folterungen erlöst zu werden. Die Konsequenz dieser „Geständnisse“ musste folglich die feindliche Verseuchung der kompletten Partei bzw. Organisation sein, die damit die Angst vor „dem Feind“ nur noch verstärkte und weitere forderte.19 Säuberungen Die mit Dauer des Regimes zunehmende Randomisierung des politischen Gegners, sollte den Effekt einer immer stärkeren Verängstigung Atomisierung 17 18 19 der der Bevölkerung heterogenen und schließlich kambodschanischen die Gesellschaft Nach sozialistischer Ideologie kann weder die Führungsriege Fehler machen, denn sie setzt die Ideologie lediglich um, noch kann die Masse bzw. das Volk schuld sein, da für diese Masse die Ideologie gemacht ist. Chandler, David P.: Brother Number One, S. 137. Chandler, David P.: Brother Number One, S. 133. 8 herbeiführen. einfache wurden, Wie viele Menschen ist regionale während unklar, dieser da nur Führungskader, Säuberungen die wenigsten RK-Kämpfer bis 1978 in Gefängnissen und hingerichtet oder Folterzentren wie dem berüchtigten „Tuol Sleng – Gefängnis“ (S-21), sondern meist an Ort und Stelle exekutiert wurden. Das Folterzentrum S-21 in Phnom Penh war dennoch der zentrale Ort der Säuberungen der Intellektuellen und Parteikader seit 1977.20 Der Kampf gegen Vietnam „[…] Wenn man Unkraut herausreißt, muss man alle Wurzeln mit herausziehen. […]“21 Mit einer „Direktive von 870“22 vom 1. April 1977 intensivierte die Pol Pot’sche Führungselite verbliebenen den internen Vietnamesen, der Kampf gegen zufolge die alle in Kambodscha Vietnamesen der Staatssicherheit zu übergeben waren. Die wenigen Vietnamesen, die nach den Vertreibungen unter Lon Nol und Pol Pot geblieben waren, deren Freunde und Bekannte und selbst diejenigen, die Vietnamesisch sprechen konnten, wurden regelrecht gejagt und umgebracht.23 Acht Monate später, am 25. Dezember 1977 brachen offene Kämpfe zwischen Kambodschanern und Vietnamesen im Nachdem Vietnamesen die südwestlichen hatten, kambodschanisch-vietnamesischen die Landesteilen zogen sie sich Grenzgebiet kambodschanischen Truppen weit nach Kambodscha hinter ihre eigenen aus hinein Grenzen aus. ihren vertrieben zurück. Die Führungsspitze der RK legte dies als Sieg aus, machte aber „Feinde der Revolution“ dafür verantwortlich, dass sich die vietnamesischen Truppen ohne Schaden hatten zurückziehen können. Ein weiterer Grund für interne Säuberungen war gefunden. Am 10. Mai 1978 rief die Radiostation Phnom Penh dazu auf, „[…] die 50 Millionen Vietnamesen [im benachbarten Vietnam, A.d.V.] auszurotten[…]“ und „[…]die Massen [Kambodschas] zu reinigen[…]“.24 Bis zum Ende des Regimes kämpften RKTruppen immer wieder mit den vietnamesischen Nachbarn in der Ostzone. Aufgrund der stationierten geographischen Nähe Truppen deren sowie vietnamesischen Köpfen“ verdächtig wurden gesäubert. 20 21 22 23 24 25 und 25 Mehrere wurden Kader gebrandmarkt, folglich Soldaten als waren besonders zehntausend diese Zone, „Khmer-Körper daher häufig und die Kader dort mit prinzipiell und aggressiv sowie deren Ebd., Eine detailierte Dokumentation des berüchtigten Folterzentrums S-21 bietet : Chandler, David P.: Voices from S-21 – Terror and History in Pol Pot’s secret prison. Devise der RK, Zit. Nach: Margolin, Jean-Louis: Kambodscha: Im Land der unfassbaren Verbrechen, in: Stephane Courtois u.a.: Das Schwarzbuch des Kommunismus – Unterdrückung, Verbrechen und Terror, S. 679. Direktive = Befehl; 870 = Zentrum des Kambodschanischen Parteikomitees Chandler, David P.: Brother Number One, S. 141 [nähere Angaben zu Massakern und Tötungen in: Kiernan, Ben: The Pol Pot Regime, S. 296 ff.]. Kiernan, Ben: The Inclusion of the Khmer Rouge in the Cambodian Peace Process in: Kiernan, Ben (Ed.): Genocide and Democracy in Cambodia – The Khmer Rouge, the United Nations and the International Community, S. 192. Kiernan, Ben: The Inclusion of the Khmer Rouge in the Cambodian Peace Process, S. 192. 9 Familien wurden in den ersten Monaten 1978 umgebracht und beseitigt. Diesen Säuberungen fielen viele Kameraden Pol Pots zum Opfer, darunter diejenigen, die untergetaucht Säuberungen in den 60er waren und dort in der Ostzone Jahren mit ideologisch bereinigte ihm zusammen geschult Pol Pot in wurden. Vietnam Mit gleichzeitig den seine eigene Biographie und blieb so bis zum Schluss seiner Diktatur ein Schrecken ohne Gesicht und Geschichte. Das Nichts-Wissen über seine Person war die Mutter allen Schreckens, denn niemand konnte sich zu irgendeinem Zeitpunkt seiner sicher sein.26 Die ständigen Säuberungen führten zu einer immer stärkeren Ausdünnung der fähigen und gebildeten Kader, denen die politische Verwaltung Kambodschas zuzutrauen gewesen wäre. Während Pol Pot und seine Führungskräfte im eigenen Land wüteten, förderten die Vietnamesen aufgrund der wachsenden Bedrohung eine kambodschanische Opposition, deren Mitglieder sich seit 1975 nach und nach ins benachbarte Wesentlichen aus Vietnam geflüchtet Intellektuellen und hatten. desertierten Sie bestand im RK-Mitgliedern. Vietnamesische Truppen begannen gemeinsam mit dieser Exilopposition im Dezember 1978 nach Kambodscha einzudringen und stießen bis zum 7. Januar 1979 nach Phnom Penh vor. Hunderttausende Kambodschaner begaben sich während dieser Kämpfe erneut auf die Flucht. Am 7. Januar 1979 flüchtete die RK-Führungsriege in die Bergregion im Nordwesten, nahe der thailändischen Grenze. Einen Monat später war eine von Vietnam unterstützte Regierung in Phnom Penh eingesetzt, welche nun vor der Aufgabe stand, das Land und die kambodschanische Gesellschaft wieder aufzubauen. Systematisierung der Todesursachen „[…] Im Mittelpunkt Yama, der Herr des Totenreichs, das entsprechend hinduistischer Weltanschauung 32 Höllen kennt, in denen die Verdammten leiden müssen, und jede Hölle ist brutaler und schrecklicher als die vorige. Da werden Nägel in Köpfe geschlagen, Augen ausgestochen, Gliedmaßen gebrochen, Körper zersägt, ein Reisdieb bekommt den Magen mit flüssigem Eisen gefüllt. Folter pur. […]“27 I. Systematische Beseitigung der Elemente der Lon-Nol-Regierung Für diese Säuberungen muss es einen konkreten Befehl gegeben haben, unter dessen Deckmantel schätzungsweise 200.000 Menschen planmäßig ausgewählt und umgebracht worden sind. Das Ziel lag 26 27 Margolin, Jean-Louis: Kambodscha: Im Land der unfassbaren Verbrechen, S. 672. Beschreibung der Südgalerie-Reliefs von Angkor Vat in: Rohde, Manfred: Abschied von den Killing Fields – Kambodschas langer Weg in die Normalität, S. 40. 10 vermutlich darin, die Mitglieder und Verbündeten des alten Regimes auszuradieren, um eine innenpolitische Konkurrenz um die Macht zu verhindern. II. Die parteiinternen Säuberungen Um die Parteizentrale und die Organisation (Angkar) als einzige Quelle von Autorität Einzelpersonen und und Macht zu Personengruppen legitimieren, eliminiert. wurden Vor allem Zonenkommandanten und deren Familien, Intellektuelle und nicht hundertprozentig überzeugte Parteimitglieder waren davon betroffen. Als Begründung für deren Exekutionen wurden meist absurde Vorwürfe und durch Folterungen erpresste Geständnisse der Spionage für CIA oder KGB benutzt. Jede neue Säuberung sollte den „Reinheitsgrad“ der Partei erhöhen und steigerte die Angst, selbst von derartigen Säuberungsaktionen betroffen zu sein. Mindestens einige zehntausend Menschen waren von diesen Liquidierungen betroffen. Zieht man die ausschweifenden Säuberungen in der Ostzone mit ein, sind weit mehr als 200.000 getötete Personen zu verzeichnen. III. Vereinzelte Tötungen Lokale und regionale Kader kamen meist durch außergewöhnliche Kriegsleistungen während der Kämpfe gegen die Lon-Nol-Regierung in ihre Positionen. Ihre fehlende Legitimität, ihre politische und soziale besonders Inkompetenz autoritären Wutausbrüche, glichen diese Führungsstil fehlende meist aus. durch Häufig Selbstkontrolle, einen waren selbstherrliche Machtausübung oder sadistische Neigungen Auslöser für Tötungen aufgrund kleinster „Vergehen“. Die Zahl der Kambodschaner, die bei solchen, nicht zentral gesteuerten, sondern spontanen Lustund Frust-Tötungen ums Leben gekommen sind, ist kaum zu schätzen.28 In diesen Fällen kam es teilweise zur Delegierung der Durchführung Familienmitglieder der der Morde Opfer, an um Mitgefangene einerseits die oder bloße Grausamkeit des Mordens zusätzlich zu steigern und andererseits zugleich nahe stehende Personen oder Leidensgenossen am Tod direkt zu beteiligen und schuldig zu machen. 29 IV. Herbeiführung von Todesfällen durch die Schaffung lebensbedrohlicher Zu- und Umstände Den drei vorangegangenen, von Serge Thion übernommenen Todesursachen muss an dieser Stelle m.E. noch mindestens eine 28 29 Diese Dreiteilung der wesentlichen Gründe führt Serge Thion in seinem Beitrag „Genocide as a Political Commodity“ in Kiernan, Ben (Ed.): Genocide and Democracy in Cambodia, S. 166 f. Margolin, Jean-Louis: Kambodscha: Im Land der unfassbaren Verbrechen, S. 674. 11 weitere hinzugefügt werden. Wenn auch der Staat Kambodscha bzw. das Pol-Pot-Regime nicht aktiv die Tötung der in den Arbeitslagern Umgekommenen gefordert hat, so hat sie zumindest die Umstände in den „Kooperativen“ gleichgültig hingenommen und als politisches Mittel benutzt, um die Bevölkerung unter Kontrolle zu halten. Inwiefern sie nicht aktiv zum Sterben der eigenen Bevölkerung in diesen Fällen beigetragen hat, bleibt darüber hinaus zu diskutieren, bedenkt man diverse Neuerungen unter den RK.30 Unterernährung, Die hundert leichten tausenden Opfer Krankheiten, aufgrund Folter, von Schwäche, Vergiftung (durch das Essen roher Tiere und wilder Pflanzen) und Suizid sind zumindest mitverschuldet und sollten daher hier aufgenommen werden. Die Schuld der Regierung Pol Pot ist dabei strafrechtlich betrachtet zwischen Totschlag, Körperverletzung mit Todesfolge, fahrlässiger Tötung und unterlassener Hilfeleistung anzusiedeln. Ein Völkermord? „[…] Für das Land, das wir aufbauen, genügen eine Million Revolutionäre. Den Rest brauchen wir nicht. Lieber schlachten wir zehn Freunde als dass wir einen Feind am Leben lassen. […]“31 Hat in den Jahren stattgefunden? 1975 Dieses bis Thema 1979 ist in viel Kambodscha diskutiert ein Völkermord worden und die Meinungen teilen sich an den Fragen, ob ein Genozid gar nicht, nur in der Ostzone oder in ganz Kambodscha stattgefunden hat.32 Zweifellos aber sind die unzähligen Kriegsverbrechen und Verbrechen Verstöße gegen gegen die die Genfer 33 Verletzungen der Haager Kriegsrechtskonvention. Dokumentationszentrums Zeugenaussagen Massengräber von der Massengräber Überlebenden kartographiert. in zusammengefasst Beides würde Menschlichkeit, Konventionen sowie Die Analytiker des Kambodscha und den die haben gefundenen massiven und systematischen Terror des Regimes beweisen, so die Wissenschaftler in ihrem abschließenden Bericht.34 Margolin fügt ergänzend hinzu, dass spontane Tötungen und Gewaltausbrüche mehrheitlich unter den Augen der Öffentlichkeit stattfinden, in Kambodscha aber meist im Schatten der 30 31 32 33 34 Dazu gehörten die Beschränkung der medizinischen Betreuung auf traditionelle Kuren, durchgeführt von 15jährigen, die Trennung der sozialen Bindungen der Familien und die Unterdrückung religiöser Praktiken. Zit. Nach: Margolin, Jean-Louis: Kambodscha: Im Land der unfassbaren Verbrechen, S. 674. Vgl. Stanton, Gregory H.: The Khmer Rouge Genocide and International Law, in: Kiernan, Ben (Ed.): Genocide and Democracy in Cambodia – The Khmer Rouge, the United Nations and the International Community, Yale University Southeast Asia Studies 1994, New Haven, S. 141 ff. United Nations, Rapport du Groupe d’experts pour le Cambodge créé par la résolution 52/135 de l’Assemblé générale, V. Caractère criminel des actes commis; Document Number A/53/850 S/1999/231 ; zugänglich unter www.ridi.org/boyle/experts.htm. Etcheson, Craig: Mapping Project 1999 – „The Number“ – Quantifying Crimes against humanity in Cambodia, zugänglich unter www.dccam.org/projects/maps/mass_graves_study.htm 12 Nacht oder des Dschungels sowie in geheimen Folterzentren, also weit ab der Öffentlichkeit, getötet wurde. Dies spreche für die zentrale Koordination der Hinrichtungen und damit für die Tatsache, dass sich eine Hand voll radikaler maoistischer Kommunisten dieser Verbrechen schuldig gemacht hat.35 Das bestimmende Argument, den Ereignissen unter dem Pol-Pot–Regime das Attribut eines Völkermordes abzusprechen, beruht entweder darauf, dass keine Völker- oder kulturelle Minderheitengruppe gezielt vernichtet worden sei bzw. nicht die Absicht ihrer Vernichtung bestand, sondern die Säuberungen und Tötungen völlig willkürlich gewesen seien, oder aber darauf, dass nur einzelne Gruppen Verbrechen im Sinne der Völkermordkonvention erleiden mussten, jedoch nicht die Bevölkerung Kambodschas als solche.36 Dem ist zu widersprechen, denn die Tötungen hatten ein klares System mit dem Ziel der Vernichtung bestimmter 37 Gruppen. Nachdem anfangs eher ein Politizid oder Soziozid stattfand und hauptsächlich alte Regierungsmitglieder, Kapitalisten, Feudalisten und Intellektuelle beseitigt wurden38, richtete sich der Hass und das Wüten der Clique um Pol Pot später gegen kulturelle und nationale Minderheiten und deren Wurzeln in der kambodschanischen Gesellschaft. Besonders die Verwurzelung vietnamesische waren von Minorität den und Folgemaßnahmen ihre kulturelle betroffen. Die parteiinternen Säuberungen ab 1977 fanden so zumeist als Säuberungen der Gesellschaft von „Vietnamesen in Khmerkörpern“ statt.39 Ab März 1978 wurden in der Ostzone massive ethnische Reinigungen durchgeführt, um die „kambodschanische Rasse“ vor dem vietnamesischen Einfluss zu bewahren. Dabei Vietnamesen wurde quasi die Bevölkerung gleichgestellt und der als östlichen Gebiete prinzipiell mit verdächtig beseitigt. „…] On 10 May 1978, Phnom Penh Radio broadcasted an appeal ‘to purify our armed forces, our Party, and the masses of the people’. The Cambodian masses were to be ‚purified’, ironically in ‚defence of Cambodian territory and the Cambodian race.’[ …]”40 Diese systematische Verfolgung „vietnamesischer Wurzeln“ in der kambodschanischen Gesellschaft fällt unter Artikel II(a) der 1948 von Kambodscha ratifizierten Völkermordkonvention aus dem Jahr 1948. Die Auflösung der traditionellen kambodschanischen 35 36 37 38 39 40 religiösen und Gesellschaft durch familiären das Wurzeln Verbieten der der Margolin, Jean-Louis: Kambodscha: Im Land der unfassbaren Verbrechen, S. 677. Abrams, Jason: The atrocities in Cambodia and Kosovo: Observations on the Codification of Genocide, in: NEW ENGLAND LAW REVIEW, S. 307; Vol 35:2, 2001; S. 303-309, zugänglich unter: www.nesl.edu/lawrev/vol35/2/abrams.pdf Politizid bzw. Soziozid referieren hier auf die gezielte Vernichtung bestimmter politischer oder sozialer Gruppen. Diese Optionen sind aber von der Genozid-Konvention ausgeschlossen worden. Etcheson, Craig: Mapping Project 1999, S. 3 f. Margolin, Jean-Louis: Kambodscha: Im Land der unfassbaren Verbrechen, S. 659. Kiernan, Ben: The Pol Pot Regime, S. 393. 13 Religionsausübung 41 Arbeitslagern und das Auflösen der Familienstrukturen in den erfüllt deren Artikel II(b) und II(c). Die Tatsache, dass neben der vietnamesischen Volksgruppe und deren kulturellen Wurzeln auch weitere Minderheiten verfolgt und zu großen Teilen ermordet wurden, unterstützt die Völkermordthese insofern, als dass der Versuch eines multiplen Genozids möglich und in Kambodscha wohl ist.42 Tatsache Kampuchea von Gemäß 1976 43 der neuen verloren Verfassung die des Minoritäten Demokratischen ihr Recht auf eigenständige Identität. Es sollte nur „eine einzige Nation und eine einzige Sprache, die Khmer-Sprache“ geben.44 Vor allem die Verbote der religiösen Praktiken Vernichtung dieser dieser Stelle vielmehr die Basis der Minderheiten nicht als religiösen als im Sinne Ausradierung Wurzeln der Gemeinschaft „als der der solche“. physischen Identität betroffenen sprechen für Vernichtung ist Beseitigung, stiftenden, Personengruppen und die an sondern psychischsomit der Atomisierung dieser Gemeinschaften als solcher zu verstehen. Des Weiteren sprechen die Opferzahlen in Kambodscha für sich. Für die RK waren einige soziale und religiöse Gruppen von Natur aus kriminell, und deren „Verbrechen“ übertrug sich auf Ehepartner und Nachkommen. Die nationalsozialistische Rassenideologie scheint hier auf soziale Gruppen übertragen worden sein.45 Nach den Erkenntnissen von Ben Kiernan sind von den im Jahr 1975 in Kambodscha lebenden Volksgruppen alle Vietnamesen, die Hälfte aller Chinesen, 40% aller Laoten und Thailänder, 36% der 46 Khmer umgekommen. muslimischen Cham-Minderheit und etwa 20% der Mindestens 21% der kambodschanischen Bevölkerung sind den RK insgesamt zum Opfer gefallen.47 Das schlichte Argument der Willkür und Planlosigkeit der Tötungen – das zudem anzuzweifeln ist kann m.E. nicht das Vorliegen eines Genozids aufheben, welcher lediglich durch die Intervention Vietnams gestoppt wurde. Wie viele weitere Tote das Pol-Pot-Regime noch verursacht hätte und inwiefern die etwa acht Millionen Kambodschaner auf die für Pol Pot ausreichende „eine Million Revolutionäre“ reduziert worden wären, ist nicht 48 einzuschätzen. Vergangenheitsbewältigung von 1979 bis 1991 – Verlorene Zeit “[…] It is wise for China to force the Vietnamese to stay in Cambodia, because that way they will suffer more and more. […]“49 41 42 43 44 45 46 47 48 49 Chandler, David P.: Brother Number One, S. 125 ff. Kiernan, Ben: The Pol Pot Regime, S. 461. nachzulesen in: Ponchaud, François: Cambodia - Year Zero, S. 199 ff. Margolin, Jean-Louis: Kambodscha: Im Land der unfassbaren Verbrechen, S. 659. Margolin, Jean-Louis: Kambodscha: Im Land der unfassbaren Verbrechen, S. 659. Kiernan, Ben: The Pol Pot Regime, S. 458. Die genauen Maßnahmen der Verfolgung, Vertreibung und ethnischen Reinigung der verschiedenen Minoritäten durch die Regierung des „Demokratischen Kampuchea“ können in Kiernan, Ben: The Pol Pot Regime, Kap. 7 „Ethnic Cleansing – The CPK and Cambodia’s Minorities, 1975 – 1977“, S. 251 - 312 nachgelesen werden. Zit. Nach: Margolin, Jean-Louis: Kambodscha: Im Land der unfassbaren Verbrechen, S. 674. Deng Xiaoping; zit. nach: Kiernan, Ben: Genocide and Democracy in Cambodia, S. 200. 14 Die Übernahme Kambodschas durch die Vietnamesen und das Einsetzen einer pro-vietnamesischen Regierung, bestehend aus kambodschanischen Dissidenten und exilierten Oppositionellen (unter ihnen auch Personen, die vorher RK-Truppenkommandeure waren, wie Chea Sim, Heng Samrin oder auch Hun Sen), hob die kambodschanische Frage und schließlich den Umgang mit dem stattgefundenen Völkermord auf die internationale Bühne. Die internationale Gemeinschaft, insbesondere die Mitglieder des UN-Sicherheitsrats, setzten auf dem Rücken der kambodschanischen Gesellschaft den Kalten Krieg und ihre verschiedenen Rivalitäten fort, ohne eine direkte Konfrontation fürchten zu müssen.50 Die USA und China unterstützten und stärkten die nach Thailand geflohenen RK mit finanziellen Zuwendungen und Waffenverkäufen. Die RK wurden von den beiden UN-Sicherheitsratsmitgliedern vor allem mit Minen beliefert, mit denen Wälder und Straßen verseucht und das größte Gesundheitsrisiko der neunziger Jahre in Kambodscha verursacht wurde. Um nach dem verlorenen Vietnamkrieg eine späte Genugtuung zu erfahren, verweigerten die USA der als „Marionetteregierung Vietnams“ verhöhnten „Volksrepublik Kampuchea“ (PRK)51 die internationale Anerkennung. Die Volksrepublik China rächte sich mittels ihrer Unterstützung der RK an Vietnam und der Sowjetunion für ihre anti-chinesische Koalition.52 Den Vereinigten Staaten gelang es, die Politik eines Großteils der westlichen Staaten auf ihre Linie zu bringen. Bis 1993 verurteilte im internationalen Rahmen kein westlicher Staat die RK oder stimmte gegen sie.53 Bereits im Frühjahr 1979 überstanden die RK zwei Sicherheitsratsresolutionen unbeschadet. Im März 1979 wurde sogar eine permanente Mission für Kambodscha im UN-Hauptquartier eingerichtet – besetzt von dem Studienfreund Pol RK-Kader 54 Pot’s. Am Thiounn 14. Prasith, November einem 1979 ehemaligen beschloss die UN- Generalversammlung eine Resolution zur „Situation in Kambodscha“, in der mit deutlicher Mehrheit für den Verbleib des kambodschanischen UNSitzes bei den vertriebenen RK gestimmt wurde, da der PRK die 55 Anerkennung verweigert wurde. Hiermit wurde Gemeinschaft Verbrecher 50 51 52 53 54 55 deutlich, Pol oder Pot und dass die Massenmörder in den Augen Führungsfiguren waren bzw. der der die internationalen RK keineswegs internationale Roberts, David W.: Political Transition in Cambodia 1991-1999 – Power, Elitism and Democracy. S. 12. Peoples Republic Kampuchea. Vietnam war der einzige Satellitenstaat der SU in ganz Südostasien. Die anderen kommunistischen Staaten hatten sich der Führung Pekings untergeordnet. Kiernan, Ben: The Inclusion of the Khmer Rouge in the Cambodian Peace Process, S. 201. Brown, MacAlister & Zasloff, Joseph J.: Cambodia – Confounds the Peacemakers 1979 – 1998, S. 10 ff. UN-Generalversammlungsresolution A/RES/34/22: The situation in Kampuchea; zugänglich unter: www.un.org/documents/ga/res/34/a34res22.pdf 15 Gemeinschaft diesen Fakt mindestens ignorierte, und die RK-Kader vielmehr als die rechtmäßige Führung Kambodschas betrachtet wurden. Die internationale Unterstützung bei der Bildung 56 kommunistischen (sic!) Widerstandskoalition“ (CGDK) der „nicht- im thailändischen Exil 1981, bestehend aus der Partei der RK (PDK), den Royalisten um Prinz Sihanouk (FUNCINPEC) und der buddhistisch-liberalen Partei des ehemaligen kambodschanischen Premierministers der 60er Jahre, Son Sann (BLDP) unterstreicht dies ebenfalls. Mit der Gründung dieser „legitimierten“ Exilkoalition sollte Kambodschas UN-Sitz noch weitere zehn Jahre unter RK-Einfluss bleiben. Die von Vietnam eingesetzte Regierung der „Volksrepublik Kampuchea“ blieb daher isoliert und ohne internationale Hilfe. Einzig den nach Thailand geflohenen Kambodschanern in den Flüchtlingslagern kam die Hilfe der UN zugute darunter waren allerdings auch 20.000 bis 40.000 Soldaten der RK.57 Statt Wiederaufbauhilfe zu leisten, unterstützte die internationale Gemeinschaft das Terrorregime Pol Pots und bestrafte so Kambodschas Zivilgesellschaft weitere zehn Jahre lang.58 Unter dem Einfluss dieser Großmächtepolitik stand das Land bis 1991 somit ständig am Rand eines Bürgerkrieges. Während der Regierung der Volksrepublik Kambodscha die Legitimität im internationalen Rahmen nie zuerkannt wurde, versuchten die neuen Führungsfiguren Kambodschas dennoch, Reformen durchzuführen und das Land wieder aufzubauen. Mit besonderer Dringlichkeit galt dies für den Aufbau des Bildungssektors, des Gesundheitsbereichs sowie die Wiedereinführung einer Währung, um die Wirtschaft zu revitalisieren.59 Erst 1985 beschloss die Volkspartei auf ihrem fünften Kongress die Legalisierung des Privatsektors.60 Ein besonderes Problem des Wiederaufbaus bestand in dem Mangel an Fachkräften. Die RK hatten mit ihrer Vernichtungswelle gegen die „Intelligenz“ ein Land hinterlassen, in dem es kaum mehr ausgebildetes Fachpersonal wie Ärzte, Lehrer oder Architekten gab.61 Kambodscha war damit bereits einem so genannten „hard constraint“ der Vergangenheitsbewältigung unterlegen.62 Nur wenige Jurastudenten und fünf Richter (!) überlebten die Jahre unter Pol Pot.63 Noch 1992 gab es weniger als 100 Richter, deren 64 darüber hinaus nicht den regulären Kriterien entsprach. die PRK wieder die „ECOLE 56 57 58 59 60 61 62 63 64 DE FORMATION DES CADRES ADMINISTRATIFS ET Ausbildung Zwar öffnete JUDICIARIES“, eine Das sogenannte Coalition Government of Democratic Kampuchea (CGDK) Kiernan, Ben: The Inclusion of the Khmer Rouge in the Cambodian Peace Process, S. 201. Roberts, David W.: Political Transition in Cambodia 1991-1999, S. 6 ff. Ebd. Kiernan, Ben: The Inclusion of the Khmer Rouge in the Cambodian Peace Process, S. 194. nach Manfred Rohde: Abschied von den Killing Fields, S. 104 gab es 1979 nur noch 45 Ärzte und etwa 7000 Lehrer in ganz Kambodscha, darunter viele Mönche. Elster, Jon: Closing the books - Transitional Justice in Historical Perspective, S. 188 ff.; Durch den Mangel an Fachkräften im Bereich der Zivilverwaltung und der Justiz war der Regierung der PRK bereits eine rein praktische Beschränkung gesetzt, eine Verfolgung der RK und/oder deren Bestrafung aufzunehmen. Peou, Sorpong: Intervention & Change in Cambodia – Towards Democracy?, S. 67. Brown, MacAlister & Zasloff, Joseph J.: Cambodia – Confounds the Peacemakers, S. 206 f. 16 effektive Arbeit konnte dort aber u.a. aufgrund fehlender Unterrichtsmaterialien und schlechter professioneller Fähigkeiten der Lehrkräfte nicht stattfinden. Ein UN-Report von 1979 schildert den Mangel an Fachkräften für Kambodschas zivile Administration noch eindringlicher: „[…] The dire need for staff with any required experience overshadowed the requisite for any other academic qualification or appointment procedure. Volunteers were invited to join the civil service with no other conditions set. […]”65 Wenn auch nur Schauprozess 66 von symbolischem in absentia Wert, fand im August 1979 ein gegen zwei der Hauptverantwortlichen des kambodschanischen Massenmordes statt. Pol Pot und Ieng Sary wurden in Abwesenheit des Genozids schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde nie vollzogen, da die RK in den thailändischen Flüchtlingslagern unter internationalem Schutz standen. Darüber hinaus wurden 1979 mehrere tausend Personen verhaftet, die sich „an gewalttätigen oder gewaltlosen Aktivitäten der RK beteiligt“ hatten.67 Aufgrund des kaum existierenden Rechtssystems fanden jedoch keine Prozesse statt. Es blieb bei den Inhaftierungen. Erste Versuche, die Verbrechen der RK von außen zu untersuchen und zu bestrafen, wurden 1981 abgelehnt, da nicht zeitgleich die Verbrechen der eingefallenen Vietnamesen untersucht Menschenrechtsgruppen Gerichtshof in finanzieller Den daran, Haag konnten.68 werden zu Zuwendungen Pol Pot stellen, Chinas da - Später vor den sich Thailand weigerte, scheiterten internationalen – den aufgrund RK-Führer 69 auszuliefern. Die 80er Jahre Rivalitäten der Sowjetunion) als waren überwiegend Hauptakteure auch von von den bereits des Kalten Krieges der Frage nach erläuterten (USA, einem China und Wiederaufbau Kambodschas geprägt. Vor allem musste eine politische Lösung für die Führung des Landes gefunden werden. Da die CGDK international in ihrer Zusammensetzung als rechtmäßige Regierung Kambodschas anerkannt war, stand fest, dass jeder Lösungsversuch ohne Einbezug der RK ohne Erfolg sein würde.70 Eine Bestrafung oder gar Verfolgung der RK war daher bis Anfang der 90er Jahre völlig ausgeschlossen. Lediglich im Jahr 1985 wurde 65 66 67 68 69 70 auf einem Treffen des Bündnisses der Staaten Südostasiens zit. nach: Ebd. S. 96. Wie Gregory H. Stanton in „The Khmer Rouge Genozide and International Law“ schreibt, erfüllte der Prozess alle Einschränkungen, um ihn als Schauprozess zu beurteilen. Hierzu zählen die „pro forma“ – Verteidigung, die Standards der Anhörungen und das Urteil, welches als Vorverurteilung angesehen werden kann. In Kiernan, Ben (Ed.): Genocide and Democracy in Cambodia, S. 141 ff. Peou, Sorpong: Intervention & Change in Cambodia, S. 68. Stanton, Gregory H.: Perfection Is The Enemy of Justice - A Response to Amnesty International’s Critique of the Draft Agreement Between the U.N. and Cambodia; zugänglich unter: www.genocidewatch.org/PerfectionIsTheEnemyofJustice.htm. Chandler, David P.: Brother Number One, S. 169. Roberts, David W.: Political Transition in Cambodia 1991-1999, S. 15 f. 17 (ASEAN) das erste und einzige Mal in dieser Zeit ein Verfahren gegen die Pol-Pot-Führung auf internationalem Niveau gefordert.71 In der zweiten Hälfte der 80er Jahre wurde immer deutlicher, dass die Aberkennung der Legitimität für Kambodschas Regierung auf der Anwesenheit der vietnamesischen Truppen beruhte. Diese Truppen aber blieben im Land aufgrund der Befürchtung vor einer erneuten Übernahme Kambodschas durch die von China und den USA gestärkten Kräfte der RK und damit vor der Wiederkehr des Terrors. Sowohl die Vietnamesen als auch die RK rechtfertigten ihr Handeln mit der Präsenz des jeweils anderen. Vietnam gab am 22. März 1985 dennoch bekannt, sich bis 1990 komplett aus Kambodscha zurückzuziehen, unabhängig davon, 72 Bedrohung durch die RK noch gegeben sei oder nicht. die internationalen Akteure unter Druck, für die ob die Dies setzte nun die Präsenz der vietnamesischen Truppen bisher als Grund ihrer Untätigkeit hergehalten hatte. Ab 1987 trafen kambodschanische sich Prinz Sihanouk Premierminister der seitens PRK Hun der Sen CGDK in und der regelmäßigen Abständen zu gemeinsamen Gesprächen, um eine politische Lösung für Kambodscha voranzutreiben. Premier Hun Sen bot sogar eine Lösung mit dem Ziel einer „nationalen Aussöhnung“ an, allerdings nur unter der Bedingung, dass Pol Pot und dessen Truppen ausgeschaltet und bestraft würden.73 1988 intensivierten sich die diplomatischen Bemühungen auf allen Seiten zugunsten einer politischen Lösung und gipfelten in den so genannten Informationstreffen in Jakarta und Bangkok.74 JIM I und JIM II bereiteten die Agenda einer ersten Konferenz 1989 in Paris vor, welche allerdings ohne Resultat blieb. Die PRK gab sich im März 1989 eine neue Verfassung und damit Kambodscha auch einen neuen Namen: THE STATE OF CAMBODIA durchgeführt, (SOC). u.a. Gleichzeitig wurde die wurden Todesstrafe davon jedoch, der Pol-Pot-Führungsstab. 75 liberale abgeschafft, Reformen ausgenommen Nachdem die Vietnamesen ihren kompletten Rückzug am 27. September 1989 bestätigten, vertieften sich die Bemühungen mussten nun der die so genannten Details „P5“ der des UN-Sicherheitsrats76. zukünftigen Zusammensetzung Es der Übergangsregierung und die Verteilung der Kompetenzen geklärt werden, so dass unter stattfinden UN-Mandat, konnten. Die welches Bedenken inzwischen der erwogen SOC-Regierung wurde, Wahlen bezüglich der Einbindung der RK in die zukünftige Politik Kambodschas wurden im Laufe der internationalen Verhandlungsbemühungen zunehmend ignoriert. Auch wenn die Vertreter des SOC bis zum Schluss versuchten, die RK von 71 72 73 74 75 76 Kiernan, Ben: The Inclusion of the Khmer Rouge in the Cambodian Peace Process, S. 196 ff. Roberts, David W.: Political Transition in Cambodia 1991-1999, S. 29. Rohde, Manfred: Abschied von den Killing Fields, S. 112. Jakarta Informational Meeting (JIM I - III) Peou, Sorpong: Intervention & Change in Cambodia, S. 64 f. Brown, MacAlister & Zasloff, Joseph J.: Cambodia – Confounds the Peacemakers, S. 60 ff. 18 der politischen Zukunft Kambodschas auszuschließen, musste Premier Hun Sen im Juni 1990 resigniert konstatieren, dass eine politische Beilegung des kambodschanischen Konflikts nur unter Einbeziehung der RK sei.77 möglich Auch die USA sprach sich deutlich für einen Systemwechsel aus, der die RK befrieden und unbestraft (!) in die Gesellschaft integrieren müsste.78 Ein Jahr später war Hun Sen von den „P5“ im thailändischen Pattaya gedrängt worden, alle Referenzen bezüglich des Terminus „Genozid“ fallen zu lassen und so den Weg für die RK zu ebnen, um als legitime politische Bewegung nach Kambodscha zurückzukehren.79 Das australische Angebot eines von den UN überwachten Übergangs, die verschiedenen Lösungsvorschläge der „P5“ des Sicherheitsrats und die Ergebnisse der multilateralen Verhandlungen zwischen SOC und CGDK gaben schließlich den Ausschlag, am 10. September 1990 den Obersten Nationalrat (SNC) Machtorgan, als bestehend einziges, aus der völkerrechtlich Regierung des legitimiertes SOC und den drei Fraktionen der CGDK, zu bilden. Die RK-Mitglieder Khieu Samphan und Son Sen wurden so unverständlicher Wiese rechtmäßige Mitglieder im SNC.80 Zu diesem Zweck mussten beide nach Phnom Penh zurückkehren. Dies provozierte einen Aufstand in der Bevölkerung, die das Anwesen 81 Samphans zu stürmen versuchte, um beide zu lynchen. Knapp ein Jahr später, am 16. Oktober 1991, nahm eine UN-Vorausmission in Kambodscha ihre Arbeit auf. Am 21. Oktober konnte die zweite und entscheidende zwei Tage wurden. 82 Cambodia Paris-Konferenz später die werden, „Friedensverträge Dementsprechend (UNTAC) eröffnet sollte eingesetzt die werden, UN die von auf der Paris“ Transitional den Frieden schließlich unterzeichnet Authority festigen, in die nationale Versöhnung vorantreiben und eine liberale Demokratie durch freie und faire Regierungsantritt allgemeinen Fraktionen ermöglichen, Wahlen des zu etablieren wählenden Waffenstillstand zu physisch-militärische sollten die gesamten sollte. Das Mandat Parlamentes begrenzt. implementieren und Vorteile die für militärischen war bis Um einen keiner Wahlen Kontingente zum um der zu 70% abgebaut und zahlenmäßig ausgeglichen werden. Da dementsprechend mehr 77 78 79 80 81 82 Ebd., S. 67. Kiernan, Ben: The Inclusion of the Khmer Rouge in the Cambodian Peace Process, S. 203.; Grant Curtis spricht von der “leopard spots”-Theorie. Demnach kann die ländliche Unterstützung für die RK nur durch Landwirtschaftsreformen beseitigt werden, die ihrerseits aber nur nach einer politischen Einbindung der RK durchgesetzt werden können. Eine Eliminierung der RK erfordert also vorerst deren Einbindung. In Grant, Curtis: Cambodia Reborn – The Transition to Democracy and Development, S. 34. Roberts, David W.: Political Transition in Cambodia 1991-1999, S. 27 f.; Einzig der Vertreter der USA Richard Solomon kritisierte das Fehlen einer Wahrheitskommission in den diversen Vorschlägen der letzten Jahre, wie Ben Kiernan in: The Inclusion of the Khmer Rouge in the Cambodian Peace Process, S. 207 schreibt. Kiernan, Ben in: The Inclusion of the Khmer Rouge in the Cambodian Peace Process , S. 228 ff. Roberts, David W.: Political Transition in Cambodia 1991-1999, S. 63. Zugang zu den einzelnen Akten des Pariser Friedensabkommens beim UNITED STATES INSTITUTE OF PEACE LIBRARY unter: www.usip.org/library/pa/cambodia/pa_cambodia.html. 19 Anti-RK-Soldaten als RK-Soldaten entwaffnet wurden, erhöhten sich bereits auf dem Papier die relativen militärischen Kapazitäten der Massenmörder.83 ehemaligen Darüber militärischen Entwaffnung organisierende Wahl Möglichkeiten Zugang zum und Wahlüberwachung ungestraft wurden alle Freiheiten politischen in konnten Parteien mit und gewährt. ländlichen sich widersetzen. ausgestattet System den hinaus Für denselben den RK Darüber Gebieten die unter RK der die zu Rechten, damit hinaus freier war RK-Einfluss eine nicht ansatzweise gesichert. Pol Pot, Ieng Sary und Ta Mok gaben dennoch bekannt, dass sie nicht zur Wahl stünden, jedoch am Wahlkampf aktiv teilnehmen würden. Repatriierung Des von bis Weiteren zu sah 400.000 das Pariser Flüchtlingen Abkommen vor, die die an der thailändischen Grenze in Flüchtlingslagern verweilten. Die RK verloren durch dieses Abkommen zwar die internationale Unterstützung der 84 Vereinigten Staaten und von China , waren aber - relativ betrachtet als unversehrteste Fraktion aus den Verhandlungen hervorgegangen, da die gestellten Bedingungen alle Parteien betrafen. Die Verträge von Paris haben den RK mehr Möglichkeiten und Chancen eingeräumt, als sie diese jemals in ihrem Guerilla-Kampf hätten erreichen können. Dieser unerwartete Zugewinn an Macht gab den Ausschlag für die Zustimmung der RK zu den Abkommen.85 Um diesen Abschnitt einzuordnen, kann vornehmen. Der abschließend man eine erste Auseinandersetzungen in Dreiteilung Abschnitt des die globalen der bis Jahre 1986 Geschehnisse 1979 – 1991 von den Bündnisses gegen ist chinesisch-amerikanischen die Sowjetunion geprägt. Der zweite Abschnitt ab 1986 reflektiert die Änderung der Politik der Sowjetunion unter Gorbatschow und deren schwächere finanzielle Unterstützung Vietnams, was den Spielraum für Verhandlungen öffnete. Die dritte Phase ab 1988 spiegelt den Auflösungsprozess des gemeinsamen Kontrahenten Sowjetunion und infolge dessen das wieder. Auseinanderbrechen Daraus der resultierend chinesisch-amerikanischen gingen die Kompromisse des Allianz Pariser Abkommens hervor. Bezüglich der Verfolgung der Verantwortlichen des Massenmords muss hier festgehalten werden, dass es den entscheidenden internationalen Akteuren wichtiger war, mittels der Ablehnung der vietnamesisch tolerierten PRK auf Vergeltung an Vietnam zu sinnen. Erst die gemacht, 83 84 85 egoistischen einen Ziele Deckmantel der des USA und Schweigens Chinas über haben die es möglich Geschehnisse zu Kiernan, Ben: The Inclusion of the Khmer Rouge in the Cambodian Peace Process, S. 227. Chandler, David P.: A History of Cambodia, S. 239. Allerdings soweit gehen, wie Chandler dies tut und zu behaupten, dass die Roten Khmer deshalb als diskreditiert nach Kambodscha zurückkehrten, kann der Autor hier nicht. Diskreditiert waren sie wegen ihrer genozidalen Politik, nicht aber wegen der fehlenden Unterstützung durch die beiden „global player“ USA und China. Roberts, David W.: Political Transition in Cambodia 1991-1999, S. 96 ff. 20 werfen und den RK die Möglichkeit zu geben, im nationalen als auch im internationalen politischen Feld vorerst unbeschadet zu verweilen. 21 Versuche der politischen Integration der Roten Khmer (1991 - 1999) „[…] Als Führer und als Khmer kann mir das nichts anhaben. Wer mich beschuldigen will, soll das tun. Wenn ich Böses getan habe, wird mir auch Böses getan und wenn 86 ich Gutes säe, ernte ich Gutes. […]“ Ironischerweise scheiterte die Umsetzung der Pariser Abkommen vor allem am Verhalten der RK. Diese vergrößerten unter UNTAC-Autorität ihr Einflussgebiet und kontrollierten bereits im Frühjahr 1992 wieder mehr als eine halbe Million Kambodschaner – viermal mehr, als es noch vor den Pariser Verträgen der Fall gewesen war. Seit dem 13. Juni 1992 verweigerten die RK im Rahmen der geplanten Entwaffnung den UNTACSoldaten den Zugang zu ihren Gebieten mit der Begründung, dass der SNC keine Regierungsautorität besitze, da das alte Regime des SOC weiterhin im Dienst wäre und sich die vietnamesische Armee weiterhin auf kambodschanischem Territorium befände. Am 5. August 1992 lehnten die RK das neue Wahlgesetz ab, da dieses angeblich „zwei Millionen Vietnamesen die Möglichkeit gäbe, die Wahl zu fälschen“.87 Diese Aussagen belegen deutlich die anhaltende rassistische Einstellung der RK, der sie gezielten alsbald Taten Tötungen und Kambodschaner begannen. 88 folgen ließen, Anschlägen indem gegen die sie erneut mit vietnamesischen Mehr als 100 Vietnamesen wurden während der UNTAC-Ära von RK ermordet, und weitere 200 Zivilpersonen wurden im Wahlkampf aus politischen Gründen umgebracht.89 Der Widerstand der RK, die UNTAC zu unterstützen und die Pariser Bedingungen umzusetzen, verstärkte die internationale Kritik an den RK und Forderungen nach juristischer Verfolgung der RK-Führungsfiguren. Bereits 1991 gaben die USA und Australien ihren Willen zur Unterstützung des zu wählenden Parlaments wollen. bekannt, 1992 Intensivierung internationalen sollte forderte dieser dieses der die RK US-Senator Bemühungen vor Charles sowie 90 Wahrheitskommission. ein Auch die der Gericht Robb stellen sogar Einrichtung die einer UN-Sicherheitsrat verabschiedete während des UNTAC-Mandats etliche Resolutionen, die die RK aufforderten, die Pariser Bestimmungen umzusetzen.91 Am 13. April 1993, einen Monat vor den Wahlen, verließen die RK Phnom Penh und gaben ihren Boykott der Wahlen bekannt, da es der UNTAC nicht gelungen sei, eine neutrale Atmosphäre für „freie und faire“ Wahlen zu schaffen. Dass die RK selbst die Bildung einer solchen Atmosphäre 86 87 88 89 90 91 Zit. Khan, Savonen (Militärkommandant der 4. Region in Kambodscha und ehemaliger RK) nachdem er beim systematischen Diebstahl und Schmuggel von Tempelfresken ertappt worden ist; in: Arte-Themenabend: „Die Roten Khmer – Völkermord in Kambodscha“. Jennar, Raoul: Elections mines en Cambodge – Sous la menace des khmers rouge, in: Le Monde Diplomatique, Mai 1993 Siehe: Kiernan, Ben: The Inclusion of the Khmer Rouge in the Cambodian Peace Process, S. 243 ff. Chandler, David P.: A History of Cambodia, S. 260. Kiernan, Ben: The Inclusion of the Khmer Rouge in the Cambodian Peace Process, S. 246. Peou, Sorpong: Intervention & Change in Cambodia, S. 262. 22 wesentlich behinderten, kambodschanischen internationalen ist Geschichte. ein Mit Gemeinschaft weiterer diesem Boykott angestrebte Treppenwitz der ist von der in die Integration die der RK kambodschanische Politik gescheitert. Vom 23. bis 28. Mai 1993 wurden die parlamentarischen Wahlen durchgeführt und allen Drohungen der RK zum Trotz gingen fast 90% der registrierten Wahlberechtigten an die Urnen. Zwanzig Parteien stellten sich zur Wahl, doch letztlich gewann deutlich Sihanouks royalistische Partei FUNCINPEC mit 58 Sitzen vor Hun Sens CPP, die 51 Parlamentssitze gewann. Als drittstärkste Partei konnte noch Son Sanns BLDP mit 10 Vertretern ins Parlament einziehen, begleitet von einem einzelnen Abgeordneten der MOLINAKA-Partei.92 Dieses Wahlergebnis hätte eigentlich eine Regierung der FUNCINPEC verlangt. Die CPP unter der Führung von Hun Sen – noch im Besitz der meisten Positionen – verweigerte jedoch die Machtübergabe und somit entstand eine bis dato weltweit einzigartige Doppelregierung in Kambodscha. Jeder staatliche Posten wurde mit jeweils einem FUNCINPEC- und CPP-Vertreter besetzt, wobei mehrheitlich die CPP-Kräfte die Oberhand behielten.93 Ganz abgesehen von dem Schaden, der der ersten kambodschanischen Demokratie damit zugefügt wurde, verschlimmerte diese doppelte Ämterführung die schon vorhandene Ineffizienz der Behörden, verstärkte die Anfälligkeiten der Beamten für Bestechung und Freundschaftsdienste und bewirkte regierungsinterne Parteikämpfe von den Ministerien bis zu den Provinzen.94 Die schlimmste Folge der doppelten Staatsführung lag allerdings im Kampf um die Kader der sich langsam auflösenden RK. Oberstes Ziel war es ursprünglich, die RK als außerparlamentarische Bedrohung zu eliminieren. Um zumindest realpolitisch Macht hinzuzugewinnen, versuchten beide Regierungsparteien stattdessen, die auseinanderbröckelnden außer-parlamentarischen Gruppen der RK für ihre Politik zu gewinnen. Der Doppelregierung kam dabei entgegen, dass Ende 1993 die RK erstmalig sowohl innen- als auch außenpolitisch komplett isoliert und scheinbar auch intern demoralisiert waren.95 Beide Premiers engagierten sich für die verschiedenen Gruppen der RK ohne Scham hinsichtlich derer Vergangenheit, was einen effektiven Kampf der Regierung gegen die RK-Truppen in den von ihnen kontrollierten Zonen verhinderte. nochmaligen Prinz Norodom Sihanouk Integrationsversuch der scheiterte PDK in die 1994 mit dem kambodschanische Politik, rief aber die politische Richtlinie der nationalen Versöhnung 92 93 94 95 Brown, MacAlister & Zasloff, Joseph J.: Cambodia – Confounds the Peacemakers, S. 155 ff. Die Tragweite dieser Regelung wird anschaulich von David W. Roberts in: Political Transition in Cambodia 1991-1999, S. 121 ff. beschrieben. Ebd. S. 127.; Dabei waren die FUNCINPEC-Beamten vor allem für Bestechungen anfällig („[…] they come with empty hands and they need houses […]“), während die CPP-Staatsdiener aufgrund ihrer Loyalitäten aus PRK/SOC-Zeiten vor allem für Freundschaftsdienste empfänglich waren. Siehe: Peschoux, Christophe: Des Khmers rouges à bout de souffle – Dans un Cambodge à reconstruire, in: Le Monde Diplomatique, November 1993 23 aus.96 Um den Rechtlosigkeitsstatus der RK zu fixieren und gleichzeitig den abfallenden RK-Truppenteilen Anreize für einen politischen Seitenwechsel zu verschaffen, verabschiedete die Nationalversammlung am 7. Juli 1994 das Gesetz zur Ächtung der RK. Es sah jedoch eine Möglichkeit der Amnestierung vor, sofern RK-Mitglieder und –Militärs innerhalb von überlaufen sechs würden. Monaten Bis freiwillig Ende 1994 auf sollen die aufgrund Regierungsseite dieser Maßnahme zwischen 6.000 und 7.000 RK-Militärangehörige zu den Regierungstruppen gewechselt sein.97 Dennoch schienen die RK weiterhin gut organisiert und strukturiert sowie von Pol Pot geführt zu sein. Mitte der 90er Jahre wurden die bewaffneten und trainierten RK-Kräfte noch auf etwa 5.000 Männer und Frauen geschätzt.98 Die RK führten unermüdlich weitere Angriffe und Attacken gegen die Zivilbevölkerung aus, und es hatte kurzzeitig den Anschein, regierungsinterne Krise als wollten aussitzen, deren bis Führungsfiguren der Zwist die schließlich eskalieren würde. Der Machtkampf zwischen Hun Sen (CPP) und Prinz Ranariddh (FUNCINPEC) spitzte sich tatsächlich weiter zu. Im August 1996 lief der ehemalige Premierminister der RK Ieng Sary mit einem großen Teil seiner Soldaten zu Hun Sens CPP-Truppen über. Ieng Sary forderte zwar militärische Befugnisse für sich und seine Leute als Bedingung für seinen Wechsel, gab sich aber letztlich mit einem „Power-Sharing“ und einigen administrativen Posten für seine Anhänger zufrieden. Ieng Sary selbst gab als Grund für seine politische Kehrtwende an, dass er nicht auf der Seite der Verlierer stehen wolle. Darüber hinaus stünde Prinz Ranariddh in engen Verhandlungen mit einer Gruppe um Khieu Samphan und Ta Mok, die politisch eng mit Pol Pot verbunden seien, so dass ihm, der er von Pol Pot 1986 geächtet und ins Exil nach Pailin geschickt worden sei, daher besser an der Seite Hun Sens gedient wäre.99 Am 16. September 1996 wurde Ieng Sary auf Wunsch beider Premierminister durch König Sihanouk von dem 1979 gefällten Todesurteil der Rehabilitation PRK-Regierung international begnadigt.100 mehrheitlich Auch wenn verurteilt Ieng Sarys wurde, so versuchte man zumindest in Südostasien die Amnestie so positiv wie möglich auszulegen: „[…] Cambodians […] must choose between seeking justice for millions who were killed and brutalized, and trying to arrange a peaceful future for living. […]”101 Schließlich bewertete man in Kambodscha seine Rehabilitierung in jedem Fall als zweifach notwendig und richtig: Zum einen brachte diese Der Versuch scheiterte sowohl an Hun Sens prinzipieller Ablehnung einer Integration der RK als auch an den unrealistischen Forderungen der RK selbst. Grant, Curtis: Cambodia Reborn, S. 35. 98 Chandler, David P.: A history of Cambodia, S. 241. 99 Roberts, David W.: Political Transition in Cambodia 1991-1999, S. 140. 100 Brown, MacAlister & Zasloff, Joseph J.: Cambodia – Confounds the Peacemakers, S. 260. 101 Grant, Curtis: Cambodia Reborn, S. 41. 96 97 24 Amnestie die Politik der nationalen Aussöhnung voran und zum anderen verstärkte der herbe Truppenverlust der RK die Aussicht auf deren Beseitigung als Guerilla-Armee.102 Aber nicht nur die RK mussten mit Ieng Sarys Wechsel ins Lager von Hun Sen eine Niederlage einstecken, sondern auch die FUNCINPEC-Partei. Die fragile Lage der Partei in den Ämtern wurde realpolitisch noch verstärkt. In geheimen Verhandlungen mit den RK-Hardlinern Khieu Samphan und Ta Mok versuchte Prinz Ranariddh, RK-Truppen auf seine Seite zu ziehen. Ziel war dabei aber nicht die Zerschlagung der außerparlamentarischen Bedrohung, sondern allein die Stärkung seiner Position gegenüber Hun Sen und der CPP.103 Am 3. Juli 1997 unterzeichnete Prinz Ranariddh ein Abkommen mit Samphan, durch welches die RK-Hardliner der FUNCINPEC ihre Unterstützung gegen die CPP zusicherten. Statt also die außerparlamentarische Bedrohung ernsthaft beseitigen zu wollen, schaffte Ranariddh durch die geschlossene Allianz mit Samphan/Mok eine neue außerparlamentarische Bedrohung für Hun Sen. Am 5. Juli 1997 besetzten FUNCINPEC-Truppen den Flughafen in Phnom Penh und Kämpfe zwischen CPP- und FUNCINPEC-Truppen brachen aus.104 Am 7. Juli kontrollierten die CPP-Kräfte die Hauptstadt - der bizarren Doppelregierung Kambodschas war somit an ihrem Ende angelangt. Inwiefern Hun Sens Annäherung an die RK um Ieng Sary oder Ranariddhs Verhandlungen mit der Samphan/Ta-Mok - Fraktion als der Versöhnung dienlich anzusehen sind, ist äußerst zweifelhaft. Beide Seiten haben der Demokratie durch ihr Verhalten in den Jahren 1996/97 schweren Schaden zugefügt und die Zerschlagung der RK aus egoistischen Gründen vernachlässigt, wenn nicht nahezu verhindert. Dennoch wurde dem Versuch einer generellen politischen Wiederbelebung der RK durch die Kämpfe der beiden Fraktionen ein Ende gesetzt. Ob diese Kämpfe als Putsch oder als Notwehrreaktion Hun Sens zu betrachten sind, bleibt umstritten. Die Ereignisse des Juli 1997 erfüllen zwar die Kriterien eines Putsches, sind aber wahrscheinlich als eine Verbindung bestehend aus willkommenem Anlass einer gewaltsamen Regierungsübernahme einerseits und Verhinderungsversuch der Integration der radikalen RK andererseits zu betrachten. Die weitere Zersplitterung der RK war nun nicht mehr aufzuhalten, und ihr Ende als politische Bedrohung wurde eingeläutet.105 Beispielhaft für den Kollaps der RK ist u.a. der Schauprozess gegen Pol Pot vom 25. Juli 1997, den RK-Kader in einem Dschungeldorf durchführten. Pol Pot wurde von einem Volksgericht für schuldig befunden, im weiteren Kampf der RK versagt und ein Komplott gegen Ta Mok und Nuon Chea mit dem 25 Ziel geschmiedet nationalen haben, Aussöhnung lebenslangem Verbindung zu zerstören Hausarrest der RK diese zu töten Pot deren 106 zu wollen“. verurteilt. Pol und Als gegeben, Pol hätte begrüßte „Politik Pot es wurde niemals Tep der zu eine Kunnal, UN- Vertreter der RK das Urteil, machte aber gleichzeitig in altbewährter RK-Manier Propaganda gegen die Vietnamesen: „[…] the regime of Pol Pot is over once and for all, and as I told you, the dangers that are facing Cambodia […] there are two. One is the Pol Pot regime […] the other is the Vietnamese occupation of Cambodia. […]”107 Ziel der verbliebenen RK-Kader war es eindeutig, sich von Pol Pot und seiner Politik zu distanzieren, um sich so selbst von jeglicher Schuld rein zu waschen.108 Im Dezember 1998 einigten sich die Regierung und die RK über eine erneute Aufnahme von RK-Kämpfern in die Nationalarmee bei deren gleichzeitiger Amnestierung. Im Rahmen dieser Überläufe wurden auch ranghohe RK, wie Khieu Samphan oder Nuon Chea, begnadigt.109 Am 12. Februar 1999 fand die feierliche Integration der letzten Mitglieder der RK in die Nationalarmee statt.110 Am 6.März 1999 wurden Ta Mok und am 9. Mai 1999 schließlich Kang Kek Ieu, der Leiter des Folterzentrums S-21, verhaftet und somit die letzten beiden lebenden RK- Führungsfiguren in Regierungsgewahrsam gebracht. Beide Fälle wurden einem kambodschanischen Militärgericht übergeben. Ihnen wurden jeweils Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen angelastet ein Urteil wurde allerdings nicht gefällt. Resultierend aus den Kämpfen des Juli 1997 regierte Hun Sens CPP bis zu den Unruhen nächsten und Wahlen am Bruderkämpfen 26. Juli 1998 geschüttelte allein Land. Die das von Fehler weiteren bei der Umsetzung des Pariser Abkommens – die nicht erfolgte Entwaffnung der RK und die ausgebliebene Übernahme und spätere Neuverteilung aller Behördenposten durch die UNTAC – erzeugten die aufgetretenen Probleme der Machtverteilung zwischen 111 folgenden Rivalitäten. CPP und FUNCINPEC und die daraus Unter dem Deckmantel der nationalen Aussöhnung versuchten sowohl CPP als auch FUNCINPEC ihren Einfluss zu stärken, indem sie den RK Immunität und Amnestie bei einem Wechsel in ihr politisches Lager versprachen. Lediglich aus diesem Grund blieben die RK-Führungsfiguren bis heute unbestraft. Rohde, Manfred: Abschied von den Killing Fields; S. 230 f. Thayer, Nate: Cambodia – Trial of Pol Pot; zugänglich unter: www.abc.net.au/foreign/stories/s372434.htm 108 Rohde, Manfred: Abschied von den Killing Fields; S. 231. 109 Ebd.; S. 234 ff. 110 United Nations, Rapport du Groupe d’experts pour le Cambodge créé par la résolution 52/135 de l’Assemblé générale, III. Historique. 111 Roberts, David W.: Political Transition in Cambodia 1991-1999, S. 148. 106 107 26 Ein Tribunal für die Verbrechen der Roten Khmer “[…] Finding the truth is important to officially document the atrocities of the Khmer Rouge regime, to help alleviate the suffering of the survivors, and to provide a permanent record of the terrible Khmer Rouge story for future generations. […] This helps to illustrate that a tribunal is not necessarily about survivors getting revenge; rather, it is about getting information-answers to questions regarding “the big picture”. The truth will allow Cambodians, and the international community, to know what happened, and why. […]”112 Im April 1997 verabschiedete die UN-Menschenrechtskommission eine Resolution (A/RES/52/135), mit der der UN-Generalsekretär aufgefordert wurde, den Bedarf möglicher internationaler juristischer Unterstützung für Kambodscha zu prüfen. Am 21. Juni 1997 baten die beiden Premiers Hun Sen und Prinz Ranariddh daraufhin Kofi Annan um internationale Unterstützung, um „die Verantwortlichen für den Völkermord und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit während der Regierung der RK von 1975 bis 1979 vor ein Gericht“ bringen zu können. Im internationalen Rahmen verbreitete sich Kriegsverbrechertribunal Vergangenheit Kambodschas ziehen 113 könnte. Sodann die einen Schlussstrich und im Hoffnung, die Juli unter westlichen 1998 dass die ein tragische Verstrickungen beauftragte Kofi darin Annan eine Expertengruppe, die Möglichkeiten für eine Umsetzung eines Tribunals gegen die RK zu prüfen. Diese Expertengruppe legte dem UN- Generalsekretär am 18. Februar 1999 ihren Bericht vor, in welchem sie die Bildung ruandischen eines bzw. internationalen jugoslawischen ad-hoc Modell Tribunals sowie nach dem seltsamerweise die Einrichtung einer Wahrheitskommission vorschlug, auch wenn es bis dato keine Anzeichen dafür gegeben hatte, dass in Kambodscha eine solche Wahrheitskommission Unterstützung fände.114 Darüber hinaus äußerte sich die Kommission zu den verschiedenen Vergehen gemäß der internationalen und kambodschanischen Möglichkeiten einer Gesetzgebung, Festnahme zu der den Beweismaterialien, RK-Führungsfiguren und den der Verbindung sowie Berücksichtigung des Tribunals bezüglich der Politik der nationalen Aussöhnung.115 Im August 1999 drängten einzelne kambodschanische Politiker darauf, dass ein mögliches Verfahren gegen die RK nur im Land und vor einem kambodschanischen Gericht nach kambodschanischem Recht mit Unterstützung durch internationale Richter stattfinden soll. Darüber hinaus bat Kambodscha die UN vergeblich, die Aufnahme der Verfolgung sozialer Gruppen in die Völkermord-Konvention Chuop, Khamly: Examining the Cambodian view of a Khmer Rouge Tribunal, S. 50 in: Searching for the truth – Public Debate, S. 47-54; DOCUMENTATION CENTER OF CAMBODIA, Special English Edition Third Quarter 2003, zugänglich unter: www.dccam.org/Projects/Magazines/English_version.htm. 113 So äußerte sich der australische Außenminister Gareth Evans in einem Interview mit George Negus 1997 folgendermaßen: „[…], it was one of the most horific chapters in human history, and it [a war-crimes tribunal, A.d.V] would be an appropriate way of bringing it to a final close. […]”, in: Thayer, Nate: Cambodia – Trial of Pol Pot. 114 Cook, Susan E.: Prosecuting Genocide in Cambodia: The winding path towards justice, zugänglich unter: www.crimesofwar.org/tribun-mag/cambodia_print.html 115 United Nations, Rapport du Groupe d’experts pour le Cambodge créé par la résolution 52/135 de l’Assemblé générale. 112 27 zu erwägen, um die RK-Täter einfacher für den begangenen Völkermord verurteilen zu können (siehe: Völkermord-Kapitel).116 Am 18. September 1999 veröffentlichten ehemalige RK – inzwischen Mitglieder der CPP - eine Stellungnahme, in der sie bei tatsächlichem Zustandekommen eines Bürgerkrieges drohten Verfahrens gegen Tribunals und Nuon mit die dem erneuten Forderungen Chea und Ausbruch eines hinsichtlich Ieng Sary eines verschiedener Menschenrechtsorganisationen verurteilten. In einem Schreiben Hun Sens an Kofi Annan Vorgehensweise wurden angeboten: Juristenteams, welches existierenden Gerichten Bereitstellung drei eines verschiedene (1) an Zur einem Verfügung Tribunal, stattfindet, Juristenteams, Möglichkeiten Stellen das an an eines Kambodschas beteiligt welches der wird, einem (2) Verfahren teilnimmt, das gegen das Tribunal in Kambodscha gerichtet ist, oder (3) die komplette Tribunal. Diese Regierung, Zurücknahme Offensive dass - nach des Hun Vorschlags Sens der der basierte Drohung der Partizipation auf der ehemaligen am Angst der RK das - Aufrechterhalten des UN-Vorschlags einer unbegrenzten Strafverfolgung der RK die befürchtete Panik unter diesen hervorrufen könnte.117 Wie groß die Furcht vor einer umfassenden Strafverfolgung in Kambodscha war, macht die Aussage der SÜDCHINESISCHEN MORGENPOST deutlich, wonach „jeder kambodschanische Politiker einmal 118 Verbündeter der RK“ gewesen ist. entweder Teil der RK oder Die UN und Kambodscha verhandelten in den folgenden Monaten daher intensiv über das mögliche Tribunal. Anlass zu Auseinandersetzungen gaben die Fragen, ob das Tribunal innerhalb oder außerhalb Kambodschas stattfinden solle, ob die Richter ausschließlich kambodschanischer oder ebenfalls internationaler Herkunft sein sollten, wie umfangreich das Ausmaß der Untersuchungen sein, welche Rechtsprechung als Grundlage des Tribunals dienen und wie mit dem Problem der Amnestierungen und Begnadigungen umzugehen sein sollte. Ursprünglich wollte Hun Sen die Verbrechen vor 1975 mit in das Verfahren einbeziehen, ließ aufgrund des umfassenden nationalen und internationalen Widerstandes Letztendlich konnten Tribunal Land im sich selbst diese beide gemäß Idee Seiten aber schnell darauf einigen, kambodschanischem Recht, fallen.119 dass ein aber mit Schabas, William, A.: Problems of international Codification – Were the atrocities in Cambodia and Kosovo Genocide?, S. 293; in: NEW ENGLAND LAW REVIEW, Vol. 35:2, 2001; S. 287 – 302; zugänglich unter: www.nesl.edu/lawrev/vol35/2/schabas.pdf. 117 United Nations, Rapport du Groupe d’experts pour le Cambodge créé par la résolution 52/135 de l’Assemblé générale; „[…]Having considered the report, the Government of Cambodia, in a letter addressed to me dated 3 March 1999, cautioned that any decision to bring Khmer Rouge leaders to justice must take account of Cambodia's need for peace and national reconciliation, and that, if improperly conducted, the trials of Khmer Rouge leaders would create panic among other former Khmer Rouge officers and rank and file and lead to a renewed guerrilla war. […], the Cambodian courts were fully competent to conduct any such trial. He recalled that the criminals are Cambodians, the victims were Cambodians and the crimes were committed in Cambodia. […]” 118 Zit. nach: Chuop, Khamly: Examining the Cambodian view of a Khmer Rouge Tribunal, S. 53. 119 INTERNATIONAL CRISIS GROUP: Cambodia – the elusive peace dividend, S. 36 f. in: ICG Asia Report N° 8/2000, zugänglich unter www.crisisgroup.org/home/index.cfm?id=1425&l=3. 116 28 internationaler Beteiligung eingerichtet werden sollte. Diesbezüglich sollten außerordentliche Kammern, in denen die kambodschanischen Richter die Mehrheit stellen, gebildet werden so UN und Kambodscha in einem abschließenden Gesetzesentwurf.120 Dieses Dokument wurde von der Nationalversammlung Kambodschas am 2. Januar 2001 einstimmig angenommen und passierte bereits am 15. Januar den kambodschanischen Senat. Bei der Vorlage im Verfassungsrat wurde jedoch festgestellt, dass Artikel 3 des Gesetzesentwurfs dem nationalen Recht widerspricht, da er als Höchststrafe die Todesstrafe vorsah, welche in Kambodscha jedoch mit der Verabschiedung abgeschafft wurde. zurück Ministerrat, zum Der der Kambodschanischen Verfassungsrat welcher schickte diesen neu den Verfassung Entwurf bearbeiten daher und vom Parlament verabschieden lassen musste, bevor er vom König angenommen werden konnte. Am 19. Juni 2001 gab Hun Sen bekannt, dass der Ministerrat seine Arbeit beendet habe und den Entwurf erneut durch die Institutionen signierte würde.121 schicken König Sihanouk außerordentlichen Kammern Am 10. das in August „Gesetz den 2001 zur Gerichten schließlich Schaffung der Kambodschas zur Strafverfolgung der Verbrechen während der Periode des Demokratischen Kampuchea“.122 Dieses Gesetz, bestehend aus 48 Artikeln, basiert auf der kambodschanischen Rechtsprechung. Die außerordentlichen Kammern sollen eine dreistufige Struktur erhalten, bestehend aus Hauptverfahrens- und Berufungskammer sowie Vorverfahrenskammer Meinungsverschiedenheiten der (zur Untersuchungsrichter Klärung und Ankläger) von an deren Spitze stets die kambodschanischen Richter in der Mehrheit sind. Das Gesetzesmandat wird unter Artikel 1 folgendermaßen umschrieben: „The purpose of this law is to bring to trial senior leaders of Democratic Kampuchea and those who were most responsible for the crimes and serious violations of Cambodian penal law, international humanitarian law and custom, and international conventions recognized by Cambodia, that were committed during the period from 17 April 1975 to 6 January 1979.”123 Dadurch sind gemäß Völkermordkonvention internationaler von 1948 Standards (Art.4) und Völkermord Verbrechen laut der gegen die Menschlichkeit (Art.5), schwere Verstöße gegen die Genfer Konventionen (Art.6), Verbrechen Verletzungen gemäß der der Wiener Haager Kriegskonventionen Konvention zum Schutz (Art.7) von und Diplomaten (Art.8) sowie Mord und Totschlag, Folter und religiöse Verfolgung nach Linton, Suzannah: Cambodia, East Timor and Sierra Leone: Experiments in international Justice, in: CRIMINAL LAW FORUM 12/2001, S. 189; zugänglich unter: www.jsmp.minihub.org/Reports/Lintoncrimlaw.pdf. 121 Cook, Susan E.: Prosecuting Genocide in Cambodia. 122 Suzannah Linton vollzieht in: Cambodia, East Timor and Sierra Leone eine kritische Analyse der einzelnen Paragrafen des Gesetzes. 123 Law on the establishment of extraodinary chambers in the courts of Cambodia for the prosecution of crimes committed during the period of Democratik Kampuchea, S. 1; zugänglich unter: www.derechos.org/human-rights/seasia/doc/krlaw.html. 120 29 dem kambodschanischem Strafrecht von 1956 (Art.3) abgedeckt.124 So wurde der juristische Grundsatz nulla poena sine lege125 zumindest formal eingehalten, wenn auch umstritten blieb, inwiefern das Strafrecht von 1956 zum Zeitpunkt des Einmarschs der RK in Phnom Penh noch relevant war.126 Das Prinzip ne bis idem127 in wurde jedoch in keinem der Paragraphen des Gesetzes berücksichtigt, betraf aber z.B. vor allem Ieng Sary, der bereits 1979 von den Vietnamesen zum Tode verurteilt, 1996 von König Sihanouk jedoch wurde.128 begnadigt Wie mit den Begnadigungen und Amnestierungen seit 1994 umzugehen ist, schreibt das Gesetz nicht vor. Die Höchststrafe wurde auf lebenslängliche Freiheitsstrafe gesetzt. Mit diesem Gesetz gab die kambodschanische Führung also den Weg für die nächsten Jahre vor. Keine umfassende, sondern eine begrenzte Strafverfolgung, sowohl was den Täterkreis als auch den Tatzeitraum betrifft, sollte Ziel eines Verfahrens gegen die RK sein. Die Verbrechen vor und nach der Diktatur Pol Pots würden nicht verhandelt werden. Einem Bürgerkrieg durch panische Aufstände der ehemaligen mittleren RK und wurde somit niedrigen Hauptverantwortlichen ein Ränge von Riegel durch einem vorgeschoben, die Verfahren da Beschränkung RK auf ausgeschlossen der die wurden. Bereits die Expertenkommission der UN 1999 schätzte die Zahl möglicher Angeklagter lediglich auf 20–30 Personen.129 Auch wenn Artikel 1 die Anklage der Hauptverantwortlichen vorsieht und deren Staatszugehörigkeit offen lässt, wurde eine Anklage von ausländischen Unterstützern oder Mitwissern explizit ausgeschlossen.130 Nachdem König Sihanouk das Gesetz unterzeichnet hatte, gerieten die UN und Kambodscha allerdings erneut in Konflikt. Die UN kritisierte verschiedene Abweichungen von der ausgehandelten Vorlage im Gesetz und zweifelte die Kompetenz, Unabhängigkeit, Neutralität und Objektivität der Kammern Struktur an. in der Des vom Gesetz Weiteren war vorgeschlagenen fraglich, Zusammensetzung inwiefern Kambodschas und im Entstehen begriffenes Justizsystem dieser Aufgabe gewachsen war. Diese Bedenken führten im Februar 2002 sogar zum Abbruch der Verhandlungen. Das Tribunal gegen die RK stand kurz vor dem Aus. Erst im November 2002 wurden Australien, auf Druck Frankreich) der Hauptunterstützer neue Verhandlungen von Kambodschas Seiten der (Japan, UN in Aussicht gestellt, und zu Beginn des Jahres 2003 intensivierten sich Linton, Suzannah: Cambodia, East Timor and Sierra Leone, S. 190. Das Prinzip “Keine Strafe ohne Gesetz” verhindert die Einführung von gesetzlichen Bestimmungen ex post facto 126 Linton, Suzannah: Cambodia, East Timor and Sierra Leone, S. 195 127 Das „Verbot der mehrmaligen Bestrafung“ soll verhindern, dass eine Person ein zweites Mal für dieselbe Tat verurteilt werden kann. 128 Linton, Suzannah: Cambodia, East Timor and Sierra Leone, S. 199 129 United Nations, Rapport du Groupe d’experts pour le Cambodge créé par la résolution 52/135 de l’Assemblé générale; Point VII Possibilité de traduire les dirigeants khmers rouges en justice. 130 Cook, Susan E.: Prosecuting Genocide in Cambodia. 124 125 30 die Gespräche beider Seiten wieder.131 Am 17. März 2003 einigten sich der kambodschanische Ministerrat und die UN über den Entwurf eines gemeinsamen Abkommens zur 132 kambodschanischem Recht , Strafverfolgung welcher am 13. der Mai RK von unter der UN- Generalversammlung ratifiziert wurde (A/RES/57/228b). Am 6. Juni 2003 wurde das Abkommen von beiden Seiten unterzeichnet. Dieses Abkommen beinhaltete die Akzeptanz des „Gesetzes zur Schaffung der außerordentlichen Kammern […]“ durch die UN mit wenigen Korrekturen, z.B. bezüglich Begnadigungen des und Umgangs mit Amnestierungen, den indem bereits gemäß stattgefundenen Artikel 11 nur die Amnestierung von Ieng Sary als Amnestie anerkannt und selbst deren Gültigkeit in das Ermessen der Kammern gestellt wurden.133 Bereits am Ende des Jahres 2003 wurden die Fortschritte der Vorbereitungen zur Einrichtung der Kammern von den Unterstützen gelobt, jedoch konnte das Abkommen noch nicht umgesetzt werden, da seit den Wahlen am 27. Juli 2003 keine Regierungskoalition zustande kam, deren Kabinett das Gesetz zunächst ratifizieren musste. Dies geschah nach einem Jahr politischer Lähmung erst am 6. August 2004. Am 5. Oktober desselben Jahres verabschiedete auch die Nationalversammlung Kambodschas das „Gesetz zur Schaffung der außerordentlichen Kammern […]“, welches am 25. Oktober durch Staatsoberhaupt Chea Sim feierlich verkündet wurde.134 Knapp zwei Wochen Standortbericht zum zuvor hatte RK-Tribunal UN-Generalsekretär vorgelegt, in dem er Annan einen das letzte wesentliche organisatorische Problem deutlich macht: “[…] planning and preparation work has proceeded. Following completion of the still ongoing review of budget estimates, it is my intention to bring its results to the attention of the General Assembly in the form of an addendum to the present report. Based on the final cost projections, I will then formally appeal for voluntary contributions from donors to the Trust Fund that has been established to finance United Nations support to the Extraordinary Chambers, complementing those limited pledges that have so far been received from the Governments of Australia, France and Japan. […]”135 Die Frage der Finanzierung des Tribunals ist bis heute nicht endgültig gelöst. Die UN schätzten die Kosten des auf drei Jahre angesetzten Tribunals auf etwa 56 Mio. US$, von denen Kambodscha selbst etwa 13 Mio. übernehmen kann. Die verbleibenden 43 Mio. US$ müssen über Eine detaillierte Analyse der Korrespondenz zwischen der kambodschanischen Regierung und den Vereinten Nationen findet sich in Jarvis, Helen: Trials and Tribulations- The Latest Twists in the Long Quest for Justice for the Cambodian Genocide in: CRITICAL ASIAN STUDIES, Volume 34, N° 4/December 2002; S. 607 – 623. 132 Draft Agreement between the United Nations and the Royal Government of Cambodia concerning the prosecution under Cambodian law of crimes committed during the period of Democratic Kampuchea; zugänglich unter www.yale.edu/cgp/Cambodia%20Draft%20Agreement%2017-03-03.doc 133 Agreement between the United Nations and the Royal Government of Cambodia concerning the prosecution under Cambodian law of crimes committed during the period of Democratic Kampuchea, zugänglich unter: www.derechos.org/nizkor/impu/tpi/khmtriale.html 134 Eine detaillierte Chronologie aller das Tribunal betreffenden Fakten hat dasGENOCIDE PROGRAM AT YALE UNIVERSITY unter www.yale.edu/cgp/chron_v3.html zusammengestellt. 135 United Nations Document A/59/432: Report of the Secretary-General of Khmer Rouge trials, S. 10 f.; zugänglich unter: www.globalpolicy.org/intljustice/tribunals/cambodia/2004/1012sgreport.pdf 131 31 freiwillige Spenden aufgetrieben werden. Jahrelang erschien dies als letzte, aber geradezu unüberwindbare Hürde. Am 29. März 2005 gab UNGeneralsekretär Kofi Annan jedoch bekannt, dass man kurz vor dem Ziel stehe und bereits Kambodschas feste Zusagen stellvertretender über 38,48 Mio. Premierminister Sok US$ An habe. äußerte Auch seine Hoffnung, dass mit dem 30. Jahrestag des Falls von Phnom Penh der lang ersehnte Prozess 136 beginnen kann. formal mit, der Wiederherstellung von Gerechtigkeit endlich Am 29. April 2005 teilte Kofi Annan Premier Hun Sen dass nach Kambodscha auch die Vereinten Nationen die formalen Kriterien erfüllt hätten, um das Abkommen zur Strafverfolgung der RK vom Juni 2003 umzusetzen. Die Finanzierung sei abgesichert, so eine begleitende Pressemitteilung.137 Seit der Wiederaufnahme der Verhandlungen wird in der internationalen Öffentlichkeit Tribunal darüber Erfolg gestritten, versprechend sei inwiefern oder eher das einem ausgehandelte „Kasperletheater“ gleiche. Die kambodschanische Regierung muss sich vorwerfen lassen, die Verfolgung der RK aus pragmatischen Gründen und politischer Interessen vernachlässigt und in Folge in diesem Punkt versagt zu haben. Ob dies der Zukunft Kambodschas dienlich war und sein wird, ist äußerst Watch zweifelhaft. (HRW) oder Menschenrechtsorganisationen Amnesty International wie (ai) Human Rights kritisieren die Kompromisslösung eines kambodschanischen Tribunals mit internationaler Beteiligung. Kompetenz Richter, Die und das wichtigsten Unabhängigkeit Punkte der Zeugenschutzprogramm, ihrer Kritik kambodschanischen die fehlende betreffen die Gerichte und Dimension von Reparationszahlungen und die Zusammensetzung der Kammern aus drei bzw. vier kambodschanischen und zwei bzw. drei internationalen Richtern.138 Darüber hinaus werden immer wieder personelle Probleme angesprochen, wie die Befangenheit der aktiv am Tribunal beteiligten, z.B. Richter und Übersetzer.139 Wozu also ein Tribunal, mit all diesen Schwächen? Oder sind die Bedenken unbegründet? Warum ist eine juristische Verfolgung wichtig? „[…] I hear rumours according to which we need to have reconciliation, bury the resentment, that sort of thing. […] what do you think of the idea of putting Pol Pot and the Khmer Rouge on trial? Speak with your heart. Reconciliation… They can do what they want. But until now, has anyone said this past action was wrong, that the two million dead among the Khmer people was wrong? Has anyone begged for forgiveness? Have you heard that from the lips of anyone leaders or underlings? Have you? Neither have I. So how can we help the families of victims and survivors find peace again? How do we know that it was wrong? They United Nations, Press Release L/3082: Governments pledge $38,48 million for the Khmer rouge trials in Cambodia, zugänglich unter: www.un.org/News/Press/docs/2005/l3082.doc.htm 137 United Nations: Agreement between UN and Cambodia on Khmer Rouge trials takes effect, zugänglich unter: http://www0.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=14134&Cr=Cambodia&Cr1= 138 AMNESTY INTERNATIONAL: Kingdom of Cambodia - Amnesty International’s position and concerns regarding the proposed “Khmer Rouge” tribunal; zugänglich unter: http://web.amnesty.org/library/Index/ENGASA230052003?open&of=ENG-KHM . 139 Treiber, Wilhelm: Der Fall Rote Khmer – 1,5 Millionen Opfer, nur zwei Angeklagte und unfähige Richter: Das Kambodscha-Tribunal gerät zur Farce in: DIE ZEIT 12/2005, S. 15. 136 32 don’t even say it was wrong! Why ask for forgiveness if they did nothing wrong? […] “140 Internationale Beobachter setzen der im vorangegangenen Kapitel angesprochenen, allgemeinen Kritik entgegen, dass die internationale Beteiligung am Tribunal die Objektivität und Glaubwürdigkeit der Rechtsprechung garantiere, zumal die kambodschanischen Richter seit Ende 2003 Kurse im Völkerstrafrecht absolvieren müssen.141 Gregory H. Stanton rügt die internationale Kritik am Tribunal sogar als übertriebene westliche Moral, nach all den von ihr mitverschuldeten Fehlern und Pannen. existierenden International Instanzen in entspreche Sierra das Leone Tribunal oder bereits Ost-Timor. Die angestrebte Perfektion nach dem Motto „Alles oder Nichts“ sei der größte „Feind der Gerechtigkeit“. Die Zeit laufe davon, um die letzten lebenden RK-Führungsfiguren zu bestrafen und der Bevölkerung nach nunmehr 30 Jahren des Wartens einen Hauch von Gerechtigkeit spüren zu lassen.142 Auch Stephen Heder, einer der wenigen Khmer sprechenden Kambodschaexperten, zieht dieses Tribunal dem kompletten Scheitern der Strafverfolgung bei weiteren Verhandlungen vor.143 Welchen Stellenwert aber das Tribunal in der Bevölkerung hat, deutete bereits das vorangegangene gesellschaftlicher Bedarf an Zitat Erfahrung an. von Zum einen Gerechtigkeit, besteht denn bis heute haben die Menschen im Land kaum eine Vorstellung von Recht und Unrecht. Täglich finden Überfälle, Vergewaltigungen und Diebstähle statt, und nur selten werden Täter bestraft. Mysteriöse Todesfälle unter den Oppositionsangehörigen gehören auch heute noch zum normalen Erscheinungsbild eines Wahlkampfes. Das Justizsystem ist schwach und korrupt und kann die Masse der Straftaten nicht bearbeiten, wie auch der UN-Sondergesandte für Menschenrechte in Kambodscha, 144 Leuprecht, in seinem letzten Bericht kritisiert. Peter Des Weiteren muss der jungen Generation Kambodschas deutlich gemacht werden, dass sie nie wieder von einem Diktator oder einem solchen Regime ungestraft instrumentalisiert allgemeinen Politik und der „Vergeben und Vergessens“ traumatisiert nationalen 146 werden Versöhnung kann.145 unter dem Trotz Motto der des müssen diejenigen verurteilt werden, die diese Verbrechen geplant und zu verantworten haben, denn Frieden und S-21: The Khmer Rouge Killing Machine, Rithy Panh, First Run Features 2004. Scheffer, David J.: Justice for Cambodia in: New York Times 21.12.2002; zugänglich unter: www.yale.edu/cgp/Scheffer2002.doc. 142 Stanton, Gregory H.: Perfection Is The Enemy of Justice. 143 Public Discussion, Phnom Penh 17.12.2004: The Khmer Rouge Trials – Are they worth it and for whom?; zugänglich unter: www.genocidewatch.org/CambodiaTHEKHMERROUGETRIALSAretheyworthit17November2004.htm. 144 Commission on Human Rights: Advisory services and technical cooperation in the field of human rights – Situation of human rights in Cambodia; E/CN.4/2005/116, 20.12.2004, zugänglich unter: http://daccessdds.un.org/doc/UNDOC/GEN/G04/170/00/PDF/G0417000.pdf?OpenElement 145 Chuop, Khamly: Examining the Cambodian view of a Khmer Rouge Tribunal, S. 49. 146 Kiernan, Ben (Ed.): Genocide and Democracy in Cambodia, S. 302. 140 141 33 Gerechtigkeit bedingen einander. Entgegen aller Kritik, dass Kambodschas wirtschaftlicher und sozialer Wiederaufbau wichtiger sei als das internationale Verfolgung, einer besteht Verurteilung des CENTER FOR Drängen unter der der zugunsten Bevölkerung Verantwortlichen. einer ein juristischen großes Interesse Diesbezügliche an Befragungen SOCIAL DEVELOPMENT CAMBODIA (CSDC) ergaben: “[…] Overall the results showed that there was strong support for a trial, with 68% saying that a trial of the Khmer Rouge must be held. 51% also thought that all war criminals, including those from the regimes previous and subsequent to Democratic Kampuchea, should be tried. Only 9% said that the past should be forgotten. […]“147 Vor allem scheint die juristische Verfolgung der RK-Kader ein wichtiger Bestandteil der nationalen Versöhnung zu sein, denn, so der Kambodschaner Ea Meng-Try, Versöhnung habe immer auch etwas mit Wahrheit, Vergeben, Frieden und Gerechtigkeit zu tun.148 Insofern ist es nicht verwunderlich, dass das CSDC folgendes herausfand: “[…] Despite these variations, there was still a strong recognition of the role of a trial in national reconciliation. […] The final result in this category showed that 82% felt it [the trial, A.d.V.] would be advantageous [for the reconciliation, A.d.V.], 34% disadvantageous, while only 2% abstained. […]”149 Darüber hinaus kann die weltweite Verurteilung des Völkermords anders keine moralische Grundlage finden, als durch die Verfolgung der Täter und die ernsthafte Unterstützung de Strafverfolgung durch die kann aber da dies internationale Gemeinschaft. Diese juristische nicht alle Verfolgung Soldaten der RK und rechtliche betreffen oder Aufarbeitung einschließen, aufgrund der starken Verstrickung der Kambodschaner in die Verbrechen der RK unmöglich ist. Die Opfer- und Täterrollen können in Kambodschas Völkermord nicht so einfach festgelegt werden, wie Jon Elster dies in einer Strukturierung der Täter-Opfer-Nutznießer – Rollenkonstellation versucht.150 darzustellen rangniedere RK-Soldaten Indoktrinierung, Organisation“, (Überwachung des Die sind Zwangs Gehirnwäsche der meisten sowohl zu Kambodschaner als kriminellen der Zwangsarbeiten, Jugend) Ausführung Opfer von viele (kommunistischer Handlungen als und auch durch als Exekutionen „DIE Täter und Folterungen) zu betrachten. Somit herrscht ein dementsprechend hoher Vichea, Chea: Khmer Rouge and national reconciliation – opinions from the Cambodians; Rede auf dem STOCKHOLM INTERNATIONAL FORUM TRUTH, JUSTICE AND RECONCILIATION; zugänglich unter:www.stockholmforum.com/dynamaster/file_archive/020423/281795323c965cc5658e9934a6f540b 2/vannath.pdf 148 Meng-Try, Ea: Peace and Reconciliation, S. 45 in: Searching for truth – Comment and analysis, S. 44-48; DOCUMENTATION CENTER OF CAMBODIA, Special English Edition April 2003, zugänglich unter: www.dccam.org/Projects/Magazines/English_version.htm. 149 Vichea, Chea: Khmer Rouge and national reconciliation 150 Elster, Jon: Closing the books – Transitional Justice in historical perspective;S.100 ff.; Die an dieser Stelle besonders relevante Passage betrifft die Kategorie (4) der Opportunisten, in der er davon ausgeht, dass diejenigen, die aus eigenem, materiellen Interesse Übeltäter unterstützten, als Opportunisten und somit als Nutznießer und Unterstützer – mehr oder weniger aktiv - der Regimepolitik zu betrachten sind. 147 34 Grad an rationale Verstrickung in Aufarbeitung allen der Bereichen eigenen der Gesellschaft. Vergangenheit ist für Eine diese Menschen bereits beschränkt, deren juristische Verfolgung aber schier unmöglich. Die ehemaligen Soldaten der RK tragen ihre persönliche Schuld mit sich und sind, unter Berücksichtigung des buddhistischen Glaubens bezüglich des „kharma“, zumindest spirituell gestraft.151 Die „normalen“ RK-Soldaten, die als Kinder und Jugendliche ideologisch missbraucht und verroht wurden, müssen ihre Rolle in der Gesellschaft neu finden. Die Spannungen, die durch das Wissen um deren graduelle Schuld in der Gesellschaft entstehen, müssen durch eine entsprechende Versöhnungspolitik Wahrheitskommission des Landes scheint zu gelöst diesem werden. Zweck nicht Eine abwegig, Art denn Wahrheit ist das einzige, was bleibt, wenn Gerechtigkeit kaum mehr möglich ist: “[…] At the forums, all sides stated the need for truth, justice, healing and national reconciliation. […] The task now is to reconcile these truths to the satisfaction of all parties. Any tribunal or trial is only one part of a comprehensive process of reconciliation. The ideas of harmony and peace that we associate with reconciliation cannot be suddenly achieved overnight, with one ruling or decision. There must be a balance. On the one hand, empty apologies will do nothing to appease the minds of the victims, but on the other we must also be careful not to unravel the progress that has been made in reintegrating former Khmer Rouge members into Cambodian society. […] Cambodians largely favour a Khmer Rouge tribunal, but the reasons fort this support are complex. They are mixed with emotional, political, cultural, and religious consideration, which are difficult to understand. […] However, in general, Cambodians share a similar desire to find truth and justice. […]”152 Reparationszahlungen scheinen in Kambodscha noch zu abstrakt aufgrund des fehlenden Konzepts über Ursachen und Gründe des „Auto-Genozids“.153 Daher sind diesbezügliche Forderungen bisher ausgeblieben.154 Es bleibt die Frage, WER strafrechtlich verfolgt werden sollte. Im Gegensatz zu den Verantwortlichen „normalen“ des RK-Soldaten Massenmords, müssen dessen zumindest Drahtzieher die und Organisatoren, also die politische und militärische Führungsriege der RK zur Rechenschaft gezogen werden, sofern dies noch möglich ist. Der bereits verstorbene Anführer der RK Pol Pot kann nicht einmal mehr einer symbolischen Bestrafung zugeführt werden, die aber vielleicht von großer Bedeutung für die kambodschanische Gesellschaft hätte sein können.155 Wer kommt aber für eine wirkliche Verurteilung im Sinne der juristischen Aufarbeitung der Verbrechen der Roten Khmer infrage? Stephen Heder analysierte die Befehls- und Ausführungsstrukturen der Bloomfield, David; Barnes, Teresa; Huyse, Luc: Reconciliation after violent conflict – A Handbook, S. 52 “Buddhism and Reconciliation”; INTERNATIONAL INSTITUTE FOR DEMOCRACY AND ELECTORAL ASSISTANCE; zugänglich unter: www.idea.int/publications/reconciliation/. 152 Chuop, Khamly: Examining the Cambodian view of a Khmer Rouge Tribunal, S. 50. 153 Curtis, Grant: Cambodia Reborn, S. 33. 154 Bloomfield; Barnes; Huyse: Reconciliation after violent conflict, S. 52. 155 In einem Informationsdokument der Kambodschanischen Regierung zum Tribunal ist bereits festgelegt worden, dass es keine posthume Verurteilung geben wird; ROYAL GOVERNMENT OF CAMBODIA: An Introduction to the Khmer Rouge Trials, S. 6; zugänglich unter: www.cambodia.gov.kh/krt/english/index.htm. 151 35 RK und suchte dabei die wichtigsten RK-Kader heraus, deren 156 Verurteilung am wahrscheinlichsten zu sein scheint. „Brother Number Two“, Nuon Chea (80 Jahre alt), war Minister für Parteiideologie und Präsident des Zentralkomitees der RK. In seiner Funktion als Chefideologe ist er mitverantwortlich für die Ein- und Durchführung der Säuberungen und massenhaften Tötungen. Vor allem die Verfolgungen und Vernichtungsfeldzüge gegen die Minderheiten hat er unterstützt und gutgeheißen. Als erster stellvertretender Premierminister agierte Ieng Sary (75) von 1975 bis 1979. Gleichzeitig teilte er das Amt des Außenministers der RK mit seiner Frau Ieng Thirit und vertrat mit ihr die Politik und die Vorgänge in Kambodscha nach außen. Es ist erwiesen, dass er wiederholt Inhaftierungen und Säuberungen öffentlich verteidigt und unterstützt sowie diejenigen bestimmter Personen teilweise sogar gefordert hat. Khieu Samphan (74) übernahm als Ministerpräsident des „Demokratischen Kampuchea“ den Posten von König Sihanouk. Bei ihm fehlen die Belege einer ebenso starken Verstrickung in die Befehlskette, wie bei den anderen hier genannten Verantwortlichen. Dennoch musste er in seiner Position über die Vorgänge im Land bestens informiert sein. Er agierte als Sprachrohr der Regierung und verteidigte im In- und Ausland die Revolution und ihre „Fortschritte“. Der einbeinige Ta Mok (79) war unter Pol Pot Generalstabschef der RK und Militärchef in der Ostzone. Damit war er auch Hauptverantwortlicher für die Durchführung der Säuberungen in diesem Gebiet. Ta Mok bekam von den Überlebenden des Massenmordes schnell den Beinamen „Der Schlächter“ zugeordnet.157 Kaing Kek Ieu bzw. Duch (63) leitete als Direktor das berüchtigte Folterzentrum Tuol Durchführung der Sleng (S-21) Befragungen der und RK. die Dort war er Beseitigung für der die Opfer verantwortlich und muss sich konsequenterweise dafür verantworten. Sou Met und Meah Mut leiteten jeweils militärische Einheiten und waren als Generäle Mitglieder im Zentralen Komitee. Beide sind sowohl für die Inhaftierungen und besonders grausamen Exekutionen ihrer Truppen verantwortlich, als auch für die Anordnung der Säuberungen in ihrer Funktion als ZK-Mitglieder. Inwiefern den beiden weiblichen RK-Kadern Ieng Thirit und Ieng Ponnary eine Verhandlung droht, bleibt aufgrund ihrer recht niedrigen und Heder, Stephen & Tittemore, Brian D.: Seven Candidates for Prosecution – Accountability for the Crimes of the KR, S. 53 ff; zugänglich unter: www.cij.org/pdf/seven_candidates_for_prosecution_cambodia.pdf; Nachdem Heder die Methoden und Strukturen der RK-Kader analysiert, vollzieht er für alle von ihm genannten Hauptverantwortlichen eine genaue Tatsachenanalyse und versucht anschließend, diesen Tatsachen rechtliche Konsequenzen aufgrund der individuellen und übergeordneten Verantwortlichkeit zuzuordnen. 157 Curtis, Grant: Cambodia Reborn, S. 351 ff. 156 36 unwichtigen Positionen einerseits, ihrer persönlichen Nähe zu den Tätern andererseits aber fraglich. Heder lässt darüber strafrechtlich hinaus verfolgt offen, werden inwiefern könnten, noch weitere schätzte jedoch Personen in einer Diskussion 2004 die Personenzahl derjenigen, die unter die Definition „hochrangige Führer“ und „Hauptverantwortliche“ des Gesetzes „zur Schaffung der außerordentlichen Kammern […]“ fallen würden, auf 10 Führungsfiguren und etwa 50 untergeordnete Verantwortungsträger.158 Die niedrige Zahl der Hauptverantwortlichen erklärt sich durch die starken innerparteilichen Säuberungen seit 1976, bei denen etwa die Hälfte der verantwortlichen Kader vergangenen 25 verstorben. Inwiefern Positionen beseitigt wurde. eine Vielzahl Jahren besetzt weitere haben, wie Des der Personen, z.B. Weiteren ist in den Entscheidungsträger die relativ regionale zentrale Militärführer oder Arbeitslagerleiter, zur Rechenschaft gezogen werden können, bleibt aus zweierlei Gründen fraglich. Zum einen besteht die Frage, inwiefern dies die nationale Versöhnungspolitik nicht doch in Gefahr bringen könnte. Zum anderen bestünden Schwierigkeiten bei der Komplikationen hinsichtlich bei der Identifizierung der Verfolgung der rangniederer Verantwortlichen Feststellung ihrer RK sowie graduellen Schuldfähigkeit. Eine juristische Verfolgung der hauptverantwortlichen Personen, die teilweise wieder Zugang zur politischen Elite Kambodschas haben, ist für die Vergangenheitsbewältigung und Unrechtstilgung im Land unabdingbar. Als Beweismittel für einen möglichen Prozess gegen diese Personen stehen zwei Dokument-Quellen im Vordergrund: Das Archiv des Gefängnisses und Folterzentrums S-21 sowie das Archiv des Geheimdienstes Santebal. Damit sind vor allem für Kaing Kek Ieu (Duch) und Ta Mok Beweismittel en masse vorhanden.159 Aber auch den anderen Führungsmitgliedern Implementierung der und RK können Durchführung zentrale der Funktionen politischen und in der ethnischen Säuberungspolitik an den Regimegegnern und Minderheiten sowie an den parteiinternen Kadern nachgewiesen werden.160 Beleg hierfür sind u.a. die Protokolle und Beschlüsse des Ständigen Zentralkomitees des Demokratischen Kampuchea. Wichtige Beiträge für die Aufarbeitung der Beweise haben darüber hinaus in den letzten Jahren das CAMBODIAN GENOCIDE PROGRAM AT YALE Basierend können den auf UNIVERSITY den und von das diesen RK-Führungsfiguren DOCUMENTATION Instituten sowohl CENTER CAMBODIA geleistet. vorbereiteten Dokumenten einzelne OF Taten als auch ihre Public Discussion, Phnom Penh 17.12.2004: The Khmer Rouge Trials. Chivas, George: The Trial of the Khmer Rouge – The Role of the Tuol Sleg and Santebal archives; zugänglich unter: www.fas.harvard.edu/~asiactr/haq/200001/0001a009.htm 160 Heder, Stephen & Tittemore, Brian D.: Seven Candidates for Prosecution. 158 159 37 Verstrickung in die allgemeine Repression und Gewalt im Demokratischen Kampuchea nachgewiesen werden.161 Das Tribunal in Kambodscha kann nicht die Geschichte und die Emotionen aufarbeiten, aber es kann ein Signal für Rechtsstaatlichkeit sein und somit die gesellschaftliche Diskussion anstoßen. Die übergroße Mehrheit von knapp 97% der Kambodschaner möchte die Verantwortlichen des Massenmords der RK bestraft sehen, so eine Umfrage des KHMER INSTITUTE OF DEMOCRACY. Selbst wenn das Tribunal Mängel und Fehler haben sollte, unterstützen immer noch 55% diese Instanz.162 Das Tribunal wird seinen Erfolg kaum an seinen juristischen Leistungen messen können. Aber die Berichterstattung und die daraus resultierende gesellschaftliche Aufklärungsarbeit können dem Tribunal zu einem Erfolg verhelfen und dadurch den Menschen einen Teil des dringend notwendigen Vertrauens in die Institutionen zurückgeben sowie ein Lehrstück in puncto fairer Justiz werden. Ob es diese Erwartungen erfüllen kann, bleibt abzuwarten. Fazit „[…] Er starb in dem Glauben ei guter Führer gewesen zu sein. Es wäre für ihn und seine Opfer besser gewesen, wenn er zugegeben hätte, einen Fehler gemacht zu haben. 163 […]“ Bis dato hat in Kambodscha noch keine ernsthafte strafrechtliche Verfolgung der RK-Verbrecher stattgefunden. In den 80er Jahren hat der antivietnamesische Chauvinismus der Amerikaner und Chinesen die Strafverfolgung verhindert. Die 90er Jahre waren zum Großteil von den Versuchen der politischen Wiedereingliederung der RK, welche deren Strafverfolgung im Namen der nationalen Versöhnung in den Hintergrund drängte, geprägt. Seit dem Ende der 90er Jahre wurde eine Verfolgung der Täter endlich national und international erwogen und durch den Entschluss der Schaffung eines entsprechenden Tribunals in die Wege geleitet. Die letzten offenen Fragen der Finanzierung scheinen seit kurzem beseitigt zu sein. Inwiefern aber das Gericht erfolgreich und kooperativ arbeiten und urteilen und folglich Gerechtigkeit walten lassen kann, bleibt abzuwarten. Wie auch immer, das Tribunal allein reicht zur Vergangenheitsbewältigung nicht aus, da sonst die Politik der nationalen Versöhnung nur eine sehr einseitige Entschuldung der rangniederen RK durch deren Opfer erwirken würde, ohne dass diese einen Ausgleich dafür bekämen - ganz nach dem Motto: „Verzeih mir im Namen der Versöhnungspolitik!“ In Kambodscha besteht Bedarf an einer Kiernan, Ben: Cambodia’s Terror Lords must not evade trial, zugänglich unter: www.yale.edu/cgp/sjmc.html. KHMER INSTITUTE OF DEMOCRACY: Survey on the Khmer Rouge Regime and the Khmer Rouge Tribunal 2004; zugänglich unter: www.bigpond.com.kh/users/kid/KRG-Tribunal.htm. 163 Thayer, Nate (Journalist) in: Arte-Themenabend: „Die Roten Khmer – Völkermord in Kambodscha“. 161 162 38 Instanz, die rangniederen einer Täter ihre Wahrheitskommission Gegenleistung für ähnelt, vor die Versöhnung der die erbringen sollten. Wenn es schon keine strafrechtliche Wiedergutmachung zwischen Opfern und den Tätern der mittleren und unteren Ränge geben kann, dann sollte den Opfern zumindest die Wahrheit geboten werden. 39 Literaturverzeichnis Literatur - - - - Anthony, Paul & Barrou, John: Das Massaker, Stephanus Edition Verlags AG 1979, Seewis. 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