Zypern und der Traum von einem gemeinsamen Staat

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Zypern und der Traum von einem gemeinsamen Staat
Zypern und der Traum von einem gemeinsamen Staat
Was sind die Zukunftsperspektiven für Nordzypern in der EU?
Von Vera Otterstein
Eine Reise in den Norden Zyperns im März 2014
Inhaltsverzeichnis
1.
EINLEITUNG
3
1.1.
Themenfindung
3
1.2.
Ankommen, Reiseplanung und Ausblick
3
2.
2.1.
3.
REISETAGEBUCH
5
Ankunft in Larnaka
5
EIN GESCHICHTLICHER EXKURS
7
3.1.
Vorgeschichte und Osmanische Besetzung
7
3.2.
Übernahme durch die britische Kolonialmacht und das Ende friedlichen Zusammenlebens
7
3.3.
Die Unabhängigkeit Zyperns und erneute Kämpfe
8
4.
REISETAGEBUCH II
9
4.1.
Eine Woche in der Hauptstadt Nikosia
4.1.1.
Südlich der Grünen Linie
4.1.3.
Nördlich der Grünen Linie
5.
9
9
13
EIN GESCHICHTLICHER EXKURS II
15
5.1.
Scheiternde Friedensverhandlungen
15
5.2.
Der Annan-Plan und Zyperns EU-Beitritt
16
6.
REISETAGEBUCH III
17
6.1.
Ein Wochenende in Girne
17
6.2.
Besuch der letzten griechisch-türkischen Stadt in Dipkarpaz
19
6.3.
Famagusta und die Geisterstadt Varosha
22
7.
HINDERNISSE AUF DEM WEG ZUR LÖSUNG
24
8.
REISETAGEBUCH IV
26
8.1.
Unterkunft beim Sufi-Orden in Lefke
26
8.2.
Die letzten Tage - Zurück in die Hauptstadt
28
9.
ABREISE UND FAZIT
29
~2~
1. Einleitung
1.1.
Themenfindung
Zypern hat in der jüngsten Vergangenheit vor allem im Zusammenhang mit der
europäischen Finanz-und Bankenkrise in den Medien auf sich aufmerksam gemacht:
Die größten Banken sind entweder zahlungsunfähig oder müssen sich einer straffen
Umstrukturierung unterziehen. Zahlreiche Bewohner des Inselstaates mussten hohe
Verluste ihres persönlichen Vermögens erleiden und während die Arbeitslosigkeit die
15%-Marke überschreitet, wartet Präsident Nikos Anastasiades auf ein Rettungspaket
der Europäischen Union (EU) in Höhe von 10 Milliarden Euro. Jedoch wird in der hohen
medialen Berichterstattung zumeist ein wichtiges Detail nicht oder nur nebenbei
genannt: Zypern ist seit nun über vier Jahrzehnten ein geteiltes Land und Schauplatz
eines Konflikts, der bis heute als unlösbar gilt. Während der Süden von griechischstämmigen Zyprioten1 besiedelt wird, ist der von türkischen Zyprioten 2 bewohnte
Norden von der Türkei besetzt und als eigener Staat proklamiert. Als die Türkei als
Reaktion auf dem Putsch der nationalistisch-griechischen Militärjunta im Jahr 1974 den
Norden Zyperns besetzte, mussten 150.000 griechische Zyprioten in den Süden und
50.000 türkische Zyprioten in den Norden flüchten und konnten trotz mehrmaligen
Friedensinterventionen seitens der UN nicht wieder in Ihre Heimat zurückkehren
(Morelli, 2013). „Das Ergebnis ist eine Grenze, die mit der Berliner Mauer verglichen
werden kann und sich sogar als deutlich dauerhafter erweist“(Seewald, 07.05.2014).
Umso überraschender kam die Entscheidung der EU, die Republik Zypern, trotz eines
weiteren gescheiterten Lösungsversuchs seitens Kofi Annans und der UN, in die
Staatengemeinschaft der Europäischen Union aufzunehmen. Somit wurde die Lösung
des Zypernkonflikts auch Teil der europäischen Verantwortung.
Durfte ein so tief gespaltenes Land überhaupt EU-Mitglied werden? Oder ist die EU
vielleicht die letzte Möglichkeit für Zypern, einen Kompromiss zwischen den
griechischen Zyprioten im Süden und den türkischen Zyprioten im Norden zu finden?
Was erhofften sich die Inselbewohner im Norden von der EU-Mitgliedschaft und wie
unterscheidet sich das Leben der Nordzyprioten von dem der Südzyprioten? Welche
nationalen Identitäten herrschen im Norden? Gibt es auch im Norden eine europäische
Identität? Diesen Fragen bin ich im März 2014 mit Unterstützung der Schwarzkopf
Stiftung Junges Europa drei Wochen lang nachgegangen.
1.2.
Ankommen, Reiseplanung und Ausblick
Als ich am frühen Morgen im nagelneuen Flughafen der Hafenstadt Larnaka lande, ist
meine Reiseroute für die kommenden drei Wochen noch vollkommen offen. Ich hatte
mich zuvor durch eine breite Literaturlandschaft gearbeitet und kannte den
1
In der deutschen Sprache wird die Bezeichnung „Zypriot“ und „Zyprer“ gleichermaßen verwendet.
Obwohl aus Gründen der Lesbarkeit im Text die männliche Form gewählt wurde, beziehen sich die
Angaben auf Angehörige beider Geschlechter.
2
~3~
historischen Verlauf des Zypern-Konflikts fast in und auswendig. Dennoch ist es mein
erster Besuch auf Zypern und ich bin gespannt, meine Vorstellungen und Erwartungen
mit der Realität zu vergleichen. Da mein Reiseführer so ziemlich jede Ecke des kleinen
Inselstaates als „lohnenswert“ und „vielfältig“ bezeichnete, fällt es mir schwer, mich im
Vorfeld für eine passende Route zum Zweck dieses Berichts zu entscheiden. Natürlich
wollte ich mich hauptsächlich im Norden bewegen, bedingt durch meine Fragestellung.
Aber wo sollte ich interessante und motivierte Leute kennen lernen, denen ich meine
vorbereiteten Fragen stellen kann? Ich entschließe mich dazu, die Organisation dieser
Reise mehr oder minder spontan zu halten und nie länger als ein paar Tage im Voraus
zu planen. Denn so hoffe ich, flexibel zu bleiben und die gerade mal 9.251
Quadratkilometer (Auswärtiges Amt, 2014) große Insel, die ungefähr der Größe
Istanbuls und Umgebung entspricht, von allen Blickwinkeln zu entdecken.
Quelle: http://www.online-reisefuehrer.com/basebilder/zypern-karte.gif
Um freundliche und aufgeschlossene junge Menschen zu treffen, entscheide ich mich,
mir Unterkünfte über die Internetplattform Couchsurfing zu suchen. Ich bekomme
nicht nur spannende Einblicke in das alltägliche Leben auf dem kleinen Inselstaat,
sondern lerne auch eine Reihe interessanter Menschen kennen und mache meist
unerwartet die spannendsten Erfahrungen. Ich merke, dass nicht jeder Antworten auf
meine Fragen hat oder lieber ganz andere Fragen beantworten will. Nicht nur der
Zypern-Konflikt an sich scheint ein sensibles Thema zu sein, sondern auch die Frage
nach dem Vorhanden sein einer Europäischen Identität, da sie auf Zypern nur
schwierig von den Assoziationen „Bankenkollaps“ und „EU-Diktatur“ zu trennen ist.
Häufig habe ich das Gefühl, dass die Menschen den Konflikt und die immer wieder
scheiternden Verhandlungen Leid sind und mir nur widerwillig Auskunft auf meine
Fragen geben. Viele sind sich darüber einig, dass die Lösung des Konflikts und die
damit zusammenhängende Zukunft Nordzyperns in der EU schon lange nicht mehr von
dem Willen der griechischen und türkischen Zyprioten bestimmt wird, sondern
machtpolitische sowie ökonomische Faktoren hierfür Ausschlag gebend sind. Hierzu
aber später mehr.
~4~
Der nun folgende Bericht ist eine Kombination aus Reisetagebuch, Bildaufnahmen,
Zitaten, geschichtlichen Exkursen und tagespolitischen Fakten. Als Studentin fällt es
mir schwer keine rein-wissenschaftliche Arbeit mit Literaturhinweisen in jedem Satz zu
verfassen. Auch das Pronomen „ich“ in einer Arbeit zu verwenden ist ungewohnt. Ich
hoffe jedoch, dem Leser auf diese Wiese meine Erlebnisse auf Zypern auf anschauliche
Weise vor Augen zu führen.
2. Reisetagebuch
2.1.
Ankunft in Larnaka
Ich habe gleich ein gutes Gefühl bei meiner Ankunft in Larnaka. Über das CouchsurfingPortal habe ich mich mit Nicholas verabredet. Seinem Profil zu Folge ist der 52-Jährige
griechische Zypriot in der Hafenstadt Larnaka aufgewachsen und hat somit die
Höhepunkte des Konflikts in seiner Jugendzeit hautnah miterlebt. Dank eines längeren
Aufenthalts in England spricht er nahezu perfektes Englisch. Da ich als junge Frau
alleine reise stehe ich seiner Einladung zuerst ein wenig skeptisch gegenüber, bei
genauer Betrachtung seines Couchsurfing Profils stellt sich jedoch heraus, dass er mit
über 500 Gästen zu den Top 10-Gastgebern der europäischen CouchsurfingGemeinschaft gehört. „Nicholas? He is a legend!” werde ich später immer wieder von
anderen Couchsurfing-Gastgebern hören. Ich bin also neugierig und sage dem
Chemielehrer und Hobbyfotografen zu. Seine Gastfreundschaft lässt auch nicht lange
auf sich warten. Er holt mich trotz früher Morgenstunde vom Flughafen ab, bietet mir
bei sich zuhause ein Frühstück an und quartiert mich in eines seiner zwei Gästezimmer
ein. Nachdem ich ausgeschlafen habe, nimmt er mich mit auf einen Spaziergang um
Larnakas berühmten Salzsee. Hier am Ufer ist die Hala Sultan Tekke Moschee gebaut,
welche eine der wichtigsten Heiligtümer des Islams ist. Hala Sultan soll die Tante
mütterlicherseits des Propheten Mohammed gewesen sein und an der Stelle der
Moschee begraben liegen. Die gepflegte Gartenanlage der Moschee zeigt, dass trotz
der Tatsache, dass sich dieses für den Islam wichtige Heiligtum auf griechischzypriotischen und somit christlich-orthodoxen Boden befindet, sie dennoch gut in
Stand gehalten wird. Dieser hervorgebrachte Respekt gegenüber der Heiligstätte der
anderen Kultur beeindruckt mich.
Ich frage Nicholas nach seinen Gedanken zum Zypern-Konflikt und über die Menschen
im „türkischen Zypern“, so drücke ich mich aus. Zuallererst erklärt er mir, dass ich die
Begriffe „Nordzypern“, „türkisches Zypern“ und die Bezeichnung des international nicht
anerkannten Staates „Türkische Republik Nordzyperns“ unter griechischen Zyprioten
besser vermeiden sollte, da sie aufgrund ihrer Wortbedeutung der türkischen
Besetzung Legitimität zuschreiben würden. Stattdessen rede man im Süden von dem
„türkisch besetzten“, oder dem „türkisch verwalteten Teil Zypern“. Er erklärt mir
außerdem, dass man im Norden zwischen türkischen Zyprioten und türkischen Siedlern
unterscheiden müsse. Letztere seien nach der Besetzung Nordzyperns durch die
~5~
türkische Armee im Jahre 1974 vor allem aus Anatolien eingewanderten Türken und
somit „keine echten Zyprioten“. Die türkischen Zyprioten, welche schon seit
Jahrhunderten auf der Insel als Folge der Osmanischen Herrschaft lebten, würden
heute nur noch eine Minderheit der Bevölkerung Nordzyperns ausmachen:
„Mit den türkischen Zyprioten kommen wir gut aus, schließlich haben wir über 300
Jahre friedlich zusammen gelebt. Ihre Kultur ähnelt unseren sehr. Viele von ihren
Vorfahren wurden unter osmanischer Herrschaft umerzogen, aber im Grunde waren
viele von Ihnen früher griechische Zyprioten. Heute sind die türkischen Siedler das
Problem. Sie sind nach der türkischen Invasion auf die Insel gekommen und haben die
leer stehenden Häuser der griechischen Flüchtlinge eingenommen. Aus unserer Sicht,
sind sie also illegal hier. Bei einer Lösung müssten sie wieder zurück in die Türkei und
das türkische Militär mit seinen 30.000 Soldaten auch.“
Ich frage ihn, was in seinem Lösungsvorschlag aus den Kindern der türkischen
Einwanderer werden soll, oder mit denen, die einen türkischen Zyprioten geheiratet
haben. „Ja die dürften dann bleiben“, erwidert Nicholas nachdenklich. Natürlich ist die
Sachlage nicht so einfach wie von ihm beschrieben. Der Konflikt ist verzwickt und vor
allem für die ältere Generation ein immer noch sehr sensibles Thema. Nicholas hat
Recht damit, dass türkische und griechische Zyprioten über Jahrhunderte konfliktfrei
auf Zypern gelebt haben, jedoch vergisst er zu erwähnen, dass die türkisch-zypriotische
Minderheit mehrere Jahrzehnte durchaus politischer Verfolgung ausgesetzt war. Um
zu erklären, wie sich das Verhältnis nach so vielen friedlichen Jahrhunderten zwischen
den beiden Ethnien ändern konnte, lohnt es sich, einen tieferen Einblick in die
Geschichte zu wagen.
Der Salzsee in Larnaka
~6~
3. Ein geschichtlicher Exkurs
3.1.
Vorgeschichte und Osmanische Besetzung
Zyperns Geschichte ist lang und im Laufe der Jahrhunderte von Invasionen und
Übernahmen verschiedener Großmächte geprägt. Die kleine Insel liegt am
Schnittpunkt antiker Seewege im östlichen Mittelmeerraum und war aufgrund ihrer
strategischen Lage und reichen Kupfervorkommen sehr beliebt (Wendt, 2006). Vor
allem die griechische Kolonalisierung im Jahr 1400 V.C. brachte Sprache, Kultur und
Religion Griechenlands auf die Insel Zypern.
Im Jahr 1571 fiel Zypern unter Osmanische Herrschaft, welche für über 300 Jahre
andauerte. In dieser Zeit immigrierten tausenden Siedler aus Anatolien auf die
christlich geprägte Insel (Mallinson, 2010). Dennoch übten die Osmanen ihre Vormacht
nur begrenzt auf die zypriotische Bevölkerung aus. Denn abgesehen von
Steuereinnahmen, überließen sie die politische Organisation der auf Zypern lebenden
ethnischen Gruppen ihren religiösen Anführern. Auf diese Weise erlangte die
griechisch-orthodoxe Kirche großen Einfluss und war in der Lage, die griechische Kultur
weiterhin aufrecht zu erhalten. Ganz unberührt von den osmanischen Einflüssen blieb
sie jedoch nicht: Die muslimische Bevölkerung Zyperns wurde von der osmanischen
Regierung mit Steuervorteilen begünstigt, die viele griechisch-orthodoxe Christen dazu
bewog, zum Islam zu konvertieren und die türkische Sprache zu lernen. Trotzdem
legen Geschichtsbücher (vgl. Mallinson, 2010; Coufoudakis, 2006) Wert auf die
Aussage, dass griechische und türkische Zyprioten zu der Zeit friedlich miteinander
oder zumindest nebeneinander lebten. Am Ende der dreihundertjährigen osmanischen
Besetzung war der Anteil an türkischen Zyprioten auf 18% der Inselbevölkerung
angewachsen (Coufoudakis, 2006).
3.2.
Übernahme durch die britische Kolonialmacht und das Ende
friedlichen Zusammenlebens
Der osmanischen Besetzung folgte die Übernahme Zyperns durch die britische Krone,
welche um einiges mehr ihren Einfluss auf die Insel ausübte als ihre Vorgänger. Anders
als die Osmanen erschufen die Briten ein neues Regierungssystem, welches die
administrativen Aufgaben der Kolonie unter den zwei Ethnien strikt aufteilte und auch
sonst die beiden ethnischen Gruppen durch separate Schulen und Institutionen
trennte (Coufoudakis, 2006). Dieses System betonte die kulturellen Unterschiede und
partielle Bevorzugungen führten zu Anfeindungen und Ängste zwischen den beiden
Volksgruppen, welches wiederum die britische Kolonialherrschaft darin bestätigte
weiterhin die Ordnungsmacht der Insel inne zu halten. So bestand zum Beispiel das
neu eingesetzte Parlament zur Hälfte aus griechischen Zyprioten und zur anderen
Hälfte aus britischen Offiziellen und Repräsentanten der türkischen Zyprioten, obwohl
letztere gerade mal ein Fünftel der Bevölkerung ausmachten (Ebd.). Diese
Ungleichbehandlungen führten zu großer Unzufriedenheit unter griechischen
~7~
Zyprioten und die „Enosis“-Bewegung, welche die Zusammenführung Zyperns mit
Griechenland anstrebte, fand ihre Anfänge. Vor allem nach Beendigung des ersten
Weltkriegs, die Gründung der Türkei und der Griechisch-Türkische Krieg im Jahr 1923
führten zu stärkerem Nationalismus-Denken und die nationale Identität der
Zyperntürken und -griechen gewann an Bedeutung. Viele türkische Zyprioten, die
zuvor jahrelang friedlich mit ihren griechischen Nachbarn gelebt haben, fürchteten nun
um ihre Existenz auf der Insel. Sie unterstützten die britische Krone, da diese ihre
Daseinsberechtigung durch das politische System garantierte. Großbritannien
wiederum wollte den strategisch wichtigen Standort auf der Insel nicht aufgeben und
schürte daher den aufkommenden ethnischen Konflikt. Als die „Nationale Organisation
zypriotischer Kämpfer (EOKA)“ einen Anschlag auf die Hauptstadt Nikosia im Jahr 1955
verübte und den Anschluss an Griechenland mit Waffengewalt erkämpfen wollte,
rekrutierte England als Reaktion eine Armee, welche nur aus türkischen Zyprioten
bestand, die somit allein den brutalen Attentaten der nationalistischen EnosisBewegung ausgesetzt war (Yesilyurt, 2000). Vor diesem Hintergrund entstand als
Gegenpol zur Enosis-Bewegung die Bestrebung türkischer Zyprioten nach „Taksim“ (die
Teilung Zyperns). So führte die Einflussnahme Englands auf Zypern zu einer bewussten
Stärkung der ethnischen Identitäten und ein ursprünglicher Konflikt zwischen
griechischen Zyprern und der britische Kolonialherrschaft wurde zu einem
tiefsitzenden Vertrauenskonflikt zwischen griechischen und türkischen Zyprioten, der
wiederum in eine gewaltvolle interethnische Auseinandersetzung führte (Wendt,
2006). Da keine der beiden Konfliktparteien sich nachhaltig durchsetzen konnte, trafen
sich im Jahr 1959 die politischen Anführer Griechenlands, der Türkei, Großbritanniens
sowie die politisch noch informellen Anführer der griechischen und türkischen
Zyprioten zu Beratungen in London. Diese Beratungen endeten in die Unterzeichnung
des Londoner Vertrages, der ein Ende des ethnischen Konflikts und die Unabhängigkeit
Zyperns mit einer neuen demokratischen Konstitution anstrebte. So wurde Zypern
nach Jahrhunderten von Besetzungen und militärischen Invasionen zum ersten Mal
zum unabhängigen Staat erklärt.
3.3.
Die Unabhängigkeit Zyperns und erneute Kämpfe
Das Glück des unabhängigen Staates Zyperns währte nur kurz. Es wurde ein
Proporzsystem geschaffen, in dem die türkischen Zyprioten, die 18% der
Gesamtbevölkerung ausmachten, 30% der Sitze im Parlament sowie 40% der
Polizeiposten erhielten. Griechenland, Großbritannien und die Türkei wurden zudem
zu Garantiemächten, die die Unabhängigkeit, territoriale Integrität und Souveränität
der Insel sowie den Erhalt der geschaffenen Verfassungsordnung gewährleisten sollten
(Akbulut, 2014).
Die Kompromisslösung war jedoch kurzlebig und die Unzufriedenheit der Bevölkerung
stieg erneut. Viele Nationalisten der ehemaligen EOKA-Bewegung strebten weiterhin
einen politischen Zusammenschluss mit Griechenland an und erachteten den
~8~
Unabhängigkeitsstatus Zyperns lediglich als Übergangslösung (Mallinson, 2010). Dies
führte zu erneuten Spannungen zwischen den beiden Ethnien und vor allem schürte es
die Angst der türkischen Zyprioten, dass ihre Existenz bei einer Anbindung Zyperns an
Griechenland womöglich nicht mehr erwünscht sein würde. So kam es drei Jahre nach
der Unabhängigkeitserklärung zu erneuten Kämpfen und die türkisch-zyprische
Minderheit zog sich in Enklaven im Norden zurück. Die Türkei, die sich aufgrund ihrer
gemeinsamen Geschichte mit den türkischen Zyprioten verbunden fühlte, bat seine
Unterstützung an und leistete humanitäre Hilfe (Wendt, 2006).
Der UN Sicherheitsrat entschied sich für eine Aussendung von Friedenstruppen nach
Zypern und die Einführung der Grünen Linie3, um die Gewalt zwischen den beiden
Gruppen abzuschwächen. Bevor jedoch bei den neu aufgenommenen Verhandlungen
ein Ergebnis erreicht wurde, kam es zu einem Militärputsch der griechischen Junta in
Nikosia. Die Türkei reagierte mit einer Intervention, wodurch 37% der Insel durch das
türkische Militär besetzt wurden und ein Feldzug der „ethnischen Säuberung“, die
beiden Gemeinschaften in zwei Teile der Insel aufteilte(Solomonides, 2008). Über
150.000 griechische und 50.000 türkische Zyprioten waren gezwungen, ihre Häuser zu
verlassen und jeweils in den Norden und Süden des Landes zu fliehen. Obwohl der
Militärputsch letztendlich nicht gelang, hielt die türkische Regierung an ihrer
Besetzung fest, um weiteren inter-ethnischen Kämpfen vorzubeugen (Suvarierol,
2003). Seit Unterzeichnung eines Waffenstillstands-Abkommens wenige Monate nach
der türkischen Invasion, sorgt die Friedenstruppe der Vereinten Nationen bis heute für
dessen Einhaltung entlang der Grünen Linie.
4. Reisetagebuch II
4.1.
Eine Woche in der Hauptstadt Nikosia
4.1.1. Südlich der Grünen Linie
Ich verlasse Larnaka nach einem Wochenende und begebe mich auf den Weg in die
größte Stadt Zyperns – Nikosia, die letzte geteilte Hauptstadt der Europäischen Union.
Meine nächste Gastgeberin ist die 45-jährige Élaine. Sie repräsentiert das neue Zypern
auf ihre Art: Ursprünglich kommt sie aus Frankreich, ist aber bereits in den 90er Jahren
nach Zypern gezogen. Ihr Mann Yannick kommt aus Kamerun und ihre drei
bezaubernden Kinder wachsen dreisprachig auf: Englisch, Französisch und Griechisch,
die neue Generation EU-Bürger. Zypern hat einen vergleichsweisen hohen Anteil an
Zuwanderern. Auf circa 70.000 wird die Zahl der Migranten aus Drittländern geschätzt.
Außerdem gibt es ungefähr 70.000 Europäer, überwiegend Briten, die sich ihre
Ferienhäuser auf der Insel gebaut haben. Zudem wird die Zahl der illegalen
Einwanderer, die zum größten Teil über Nordzypern auf die Insel gelangen, auf 40.000
3
Grün wurde die Linie genannt, weil der kommandierende General der britischen Truppen, GeneralMajor Peter Young, sie mit einem grünen Stift auf der Karte einzeichnete (Cyprus International Press
Service, 2012).
~9~
bis 50.000 geschätzt (Sternberg, 23.06.2009). Insgesamt machen legale und illegale
Einwanderer somit 20% der 800.000 Einwohner Zyperns (den Nordteil nicht
einberechnet) aus.
Élaine eröffnet mir an einem Vormittag, dass sie bis vor einem Jahr politisch sehr aktiv
war und gibt mir spontan eine ausführliche Einführung in ihre Auffassung der
Bankenkrise Zyperns. Nachdem ich ihr erkläre, dass ich meinen Bericht eher dem
Konflikt und der Zukunft der Nordzyprioten in der EU widmen will, sagt sie nur:
„Glaube mir, die Abläufe sind immer die Gleichen. Alle Konflikte Zyperns rühren von
einer zu großen Einmischung von Drittstaaten, das war beim Bankenkollaps der Fall
und beim Konflikt war und ist es ebenso“. Sie erzählt, dass sie stolz auf ihr Land war, als
die griechischen Zyprioten in einem Referendum 2004 entschieden, den von der UN
ausgehandelten Friedensvertrag mit der Regierung Nordzyperns abzulehnen (bezüglich
der Hintergründe des Annan-Plans siehe Kapitel 5.2.).
Wandbemalungen in Nikosia
Ich frage sie, ob ein so gespaltenes Land wie Zypern überhaupt EU-Mitglied werden
durfte oder ob der Beitritt Zyperns dem Konflikt neuen Lösungsmöglichkeiten eröffnen
werde. Élaine schüttelt nur den Kopf und sagt, dass der EU-Beitritt zu diesem Zeitpunkt
ein Fehler gewesen sei. Einerseits, weil sie glaube, dass Zypern alleine ohne
Einmischung Dritter eine Lösung mit der Türkei finden müsse und andererseits weil die
aktuelle intransparente Machtstruktur innerhalb der Europäischen Union eine
gerechte Mediation des Konflikts behindern würde. Zypern sei somit aufgrund der
geringen Größe nur ein Spielball der größeren Mächte. Die Antwort auf meine darauf
folgende Frage nach ihrer europäischen Identität kann ich mir fast denken: „Ich bin
Zyprioten, nicht mehr aber auch nicht weniger. Solange die europäischen Strukturen
sind wie sie sind, wünschte ich, Zypern wäre nie beigetreten.“. Ich habe den Eindruck,
dass Viele wie Élaine denken. Der Bankenkollaps hat Zypern hart getroffen und die von
~ 10 ~
der EU verordnete Sparenteignung von 37% jedem zyprischen Vermögens über
100,000€, welches bei der Bank of Cyprus gelegen hat, entzog vielen Bankkunden
jegliches Vertrauen in die Europäische Union (Tagesschau Online, 2013). Natürlich lässt
sich streiten, ob die Sparenteignung nötig gewesen war oder nicht. Fest steht, dass die
Arbeitslosigkeit wie in so vielen anderen südlichen EU-Ländern enorm hoch ist4. Auch
Élaine steht kurz vor der Insolvenz. Seit fünf Jahren besitzt sie eine kleine französische
Brasserie und seit zwei Jahren läuft es nicht mehr gut. Seit einigen Monate kann sie die
Miete nicht mehr bezahlen und die Atmosphäre Zuhause ist angespannt. Während ich
da bin, muss sie die von den Kindern innig geliebte Haushälterin entlassen. Ich merke,
dass die Frage nach einer Lösung des türkisch-griechischen Konflikts für Élaine als auch
für viele Andere nebensächlich scheint, wo die persönlichen existenziellen Sorgen
zurzeit so groß sind. Mein Vorhaben, die Bewohner Nordzyperns nach ihrer
europäischen Identität zu befragen, kommt mir naiv vor, wo doch so viele der bereits
zugehörigen EU-Bürger Südzyperns ihre Mitgliedschaft in Frage stellen.
4.1.2. Die Grüne Linie und ihre teilweise Öffnung
Ich bin gespannt auf Nikosia und auf die Atmosphäre der geteilten Stadt. Rund 220.000
Einwohner leben südlich der grünen Linie und 80.000 nördlich der Grenze. Die Stadt
gehört völkerrechtlich wie der Rest des Nordens zu der Republik Zypern, die aber seit
der türkischen Invasion im Jahr 1974 kein Hoheitsrecht mehr über den Nordteil ausübt.
Um ungewollte Grenzüberschreitungen zu vermeiden wurde seither eine Grüne Linie
durch die Stadt gezogen, welche in der Altstadt von einer zum Teil nur schulterhohen
Mauer unterstützt und von Friedenstruppen der Vereinten Nationen überwacht wird.
Die rund 180 Kilometer lange Grenze, verläuft quer über die Insel. Die sogenannte
Buffer Zone der UN, die Norden und Süden teilt, ist außerdem bis zu drei Kilometer
breit, um die Gefahr von wieder aufkeimender Gewalt abzuschwächen. Dies führt
allerdings dazu, dass ganze Straßen wie in Nikosias Altstadt, seit nun mehr als einer
Generation leer stehen. Wenn man unbeobachtet ist und vorsichtig über die zum Teil
spärlich gebaute Mauer aus Sandsäcken, Stacheldraht und Plastikeimern guckt,
bekommt man einen Eindruck davon, wie kurzfristig die damaligen Bewohner ihre
Heimat verlassen mussten. Die Buffer Zone zu betreten und Fotos zu schießen, ist
strengstens untersagt und ich halte mich daran. Ein Journalist beschreibt die Zustände
aber ganz passend und hat diesbezüglich auch interessante Fotos aufgenommen:
„Da stehen in verfallenen Verkaufsräumen japanische Importautos aus den frühen
Siebzigerjahren, deren Kilometerzähler nur wenige Meilen anzeigen. Fenster und Türen
zur Demarkationslinie sind zugemauert und mit Sandsäcken verschlossen. Als wären sie
von ihren Besitzern nur in aller Eile abgestellt worden, hat sich auf geöffneten ColaFlaschen der Schmutz von Jahrzehnten abgesetzt.“ (Seewald, 07.05.2014)
4
Im europäischen Vergleich hat Zypern mit 16,4% die vierthöchste Arbeitslosenquote zu verzeichnen.
Nur Griechenland (26,1%), Spanien (25,6%) und Kroatien (16,8%) überbieten diese Marke noch (Statista,
2014).
~ 11 ~
Quelle: http://www.welt.de/geschichte/article127688057/Gruene-Linie-trostlosesVorbild-fuer-die-Ukraine.html
Quelle: http://www.welt.de/geschichte/article127688057/Gruene-Linie-trostlosesVorbild-fuer-die-Ukraine.html
Quelle: http://www.welt.de/geschichte/article127688057/Gruene-Linie-trostlosesVorbild-fuer-die-Ukraine.html
~ 12 ~
Erst im Jahr 2003 wurde die Grenze nach 30 Jahren für Übergänge wieder geöffnet.
Heute gibt es sieben Grenzübergänge, von denen fünf mit dem Auto und zwei nur zu
Fuß überquert werden können. An beiden Seiten erfolgt eine Passkontrolle,
vergleichbar mit der einer öffentlichen Einreise, wo man sich auf einem Stück Papier
beim Ein-und Austreten einen Stempel abholt. Im Gegensatz zu den anderen
Passanten vor und hinter mir, die öfter ihre Einkaufstaschen untersuchen lassen
müssen, kann ich mit meinem deutschen Reisepass unbehelligt die Grenze
überqueren. Besonders spannend ist der Grenzübergang auf halbem Wege der
geschäftigen Ledra Street, Nikosias Haupteinkaufstraße, der erst im Jahr 2008 eröffnet
wurde. Hier können die Einwohner beider Seiten unkompliziert direkt im Zentrum der
Stadt die Grenze passieren.
4.1.3. Nördlich der Grünen Linie
Sobald ich die türkisch besetzte Seite Zyperns über die Ledra Street betrete, fällt mir
auf, wie anders dieser Teil der Straße aussieht. Während der südliche Teil der
Einkaufstraße vor allem mit seiner großen Auswahl westlicher Einkaufsläden wie
Tophop, Pull and Bear und Calzedonia unter mediterraner Atmosphäre besticht, protzt
der nordische Teil mit alt-ehrwürdigen Bauten wie die Selimiye Moschee und kleinen
namenlosen Märkten, die angebliche Nike-und Adidas Sportbekleidung für wenige Lira
verkaufen. Der Ruf der Muezzins, die Düfte der türkischen Cafés und kleinen Imbisse
sorgen zudem für eine orientalische Atmosphäre. Der türkische Einfluss ist wirklich
nicht zu bestreiten. Lefkoşa, so nennen die Einwohner nördlich der Demarkationslinie
ihre Hauptstadt. Hier bin ich mit Hatice verabredet. Sie ist Anfang 30, Chemielehrerin
und als Tochter türkisch-zyprischer Eltern auf der Insel aufgewachsen. Auf die Frage
welche nationale Identität Hatice sich zuschreiben würde, erwidert sie schnell: „Ich bin
Zypriotin, nicht türkisch, nicht griechisch, einfach Zypriotin“. Natürlich würde sie die
türkische Sprache sprechen, aber das würde noch lange nicht bedeuten, dass sie sich
der Türkei zugehörig fühlt. Sie sei nicht religiös und außer der Sprache sei da reichlich
wenig, was sie mit der türkischen Kultur verbinde, sagt sie:
„Meine Eltern waren beide Flüchtlinge aus Limassol, eine Stadt ganz unten im Süden
von Zypern. Sie sind beide türkische Zyprioten, konnten sich aber auch gut in der
griechischen Sprache verständigen. Seit die Grenzen wieder offen sind, fährt mein Vater
sogar regelmäßig zu seinem alten Zuhause und erklärt den neuen Besitzern wie sie die
Ölberge, die ihm vorher gehörten, am besten nutzen können.“
Diese Geschichte überrascht mich, so zeigt sie auch, dass die interethnischen
Spannungen bei weitem nicht mehr so groß sein müssen, wie sie es vor 40 Jahren
waren. Immer wieder höre ich griechische Zyprioten wie Nicholas sagen „Gegen die
türkischen Zyprioten habe ich nichts.“ Natürlich war dies mal anders - schließlich wäre
die Teilung ohne die gewaltvollen Kämpfe zwischen griechischen und türkischen
Zyprern nicht so geendet. Dennoch habe ich das Gefühl, dass sich das „Feindbild“
~ 13 ~
verschoben hat und zwar in Richtung der aus der Türkei (illegal) immigrierten Türken.
Auch Hatice ist sich dies bewusst:
„Neutral betrachtet gehören sie nicht hierher und wurden nur aus strategischen
Machtgründen hierüber gesiedelt. Aber die Invasion ist nun über 40 Jahre her und die
türkischen Siedler haben sich hier eingerichtet, haben Kinder bekommen, die wie ich
hier geboren sind und mit denen ich zur Schule gegangen bin. Auch wenn ihre türkische
Identität stärker ausgeprägt ist als bei mir, sie sind nun auch Teil Zyperns.“
Wandbemalung in Nikosia II
Mein nächster Gastgeber ist der 32-jährige Kaan. Obwohl ich aufgrund eines
Missverständnisses eine Stunde zu spät an unserem Treffpunkt auftauche, lässt er sich
die Wartezeit nicht anmerken. Ganz im Gegenteil, er möchte für mich sogar nochmal
einkaufen gehen und ein Abendessen kochen, dass er aufgrund seiner Diät aber nicht
mitisst. Ich bin fasziniert von dieser Gastfreundlichkeit und fühle mich gleich wohl in
seinem kleinen Appartement. Zudem überrascht er mich mit der Tatsache, dass er in
seinen jungen Jahren bereits als Doktor und Professor im Bereich der Neurochirurgie
ausgezeichnet ist und dank eines längeren Aufenthalts in Japan, neben Englisch und
türkisch, fließend japanisch spricht. Ich überlege, ob die Wahl des Couchsurfing Portals
vielleicht doch nicht so klug war, da die Mitglieder der Internet-Gemeinschaft
womöglich nicht besonders repräsentativ für die Mehrheitsgesellschaft der türkischen
Zyprioten sein könnten. Auf der anderen Seite ist Kaan ein interessantes Beispiel für
einen türkischen Migranten. Denn im Gegensatz zu den Vorstellungen der griechischzyprischen Bevölkerung, welche gerne ihre kulturellen Unterschiede zu den türkischen
Einwanderern betonen, ist Kaan ein äußerst weltoffener, intellektueller und westlichlebender junger Mann, der sich womöglich ohne Probleme im jeden anderen Land der
EU in die Gesellschaft eingliedern könnte. Ich denke daher, dass seine Meinung zum
Konflikt sehr wohl interessant ist. Ich frage ihn somit, was man sich im Norden Zyperns
~ 14 ~
vom EU-Beitritt des Südens erhofft hat und ob es für junge Menschen im Norden
Nachteile gegenüber des Südens gäbe:
„Der EU-Beitritt Zyperns war zuerst eine Enttäuschung, da die Aufnahme trotz des
negativen Referendums zur Wiedervereinigung geschah. Viele türkische Zyprioten
hatten danach ihre Hoffnung auf staatliche Anerkennung aufgegeben. Denn trotz der
Grenzöffnungen sind junge Menschen im Norden Zyperns häufig sehr eingeschränkt,
zum Beispiel, was die Wahl ihres Studienortes betrifft. Die Qualität der Schulen war
aufgrund der starken Abschottung Nordzyperns in den 80er und 90er Jahren sehr
niedrig. Aber die Türkei versucht uns bei Laune zu halten und gibt uns viele finanzielle
Spritzen und Unterstützung. Als das Bankensystem im Süden zusammen gefallen ist,
war man hier nicht besonders betroffen, wo unsere Wirtschaft fast vollständig an die
der Türkei gekoppelt ist.5 Ein gutes Beispiel ist die Bevorteilung von türkischenzypriotischen Studenten in der Türkei. Als Mediziner weiß ich wie schwierig es in
anderen EU-Ländern ist, für ein Medizinstudium angenommen zu werden. Zyprische
Studenten aus dem Norden können aber in der Türkei wählen, welche Universität sie
besuchen wollen. Sie haben vom türkischen Staat freies Wahlrecht was die Ausbildung
betrifft.“
Während meines Aufenthalts ist der Einfluss der Türkei auf Nordzypern stärker denn
je. Auch die türkischen Zyprioten sind von der YouTube und Twitter Zensur von
Ministerpräsident Erdogan betroffen. Mir wird sogar berichtet, dass hin und wieder
aus „erzieherischen Methoden“ das Internet einfach abgestellt werde.
5. Ein Geschichtlicher Exkurs II
5.1.
Scheiternde Friedensverhandlungen
Obwohl die Vereinten Nationen in Folge der Invasion der Türkei auf Zypern die
türkische Regierung durch mehrere Resolution dazu aufrief, ihre Truppen
schnellstmöglich wieder abzuziehen, lehnte diese den Rückzug ab. Als nach Jahren
immer noch keine Einigung in Sicht war, gründeten die türkischen Zyprioten eine
unabhängige Regierung mit Rauf Denktash als Präsidenten und riefen somit die
Türkische Republik Nordzyperns (TRNC) im Jahr 1983 aus. Bis heute verbleibt diese
Regierung von der internationalen Staatengemeinschaft ausgenommen der Türkei
unerkannt (Karatas, 2010).
Um den Anspruch der türkischen Besatzung zu stärken, wurden zehntausende Siedler
aus der Türkei nach Zypern geschifft und mehr als 30.000 Soldaten an die Grenzen
aufgestellt. Während von den UN immer wieder neue Friedensverhandlungen
5
Im Zeitraum von 1974 bis 2004 hat die Türkei 3 Milliarden Dollar finanzielle Hilfen an die TRNC
überwiesen. Hinzu kommen zahlreiche Investitionen in die Infrastruktur und dem Bau von Schulen,
Krankenhäusern und Bewässerungsanlagen. Im Jahr 2008 erhielt die TRNC 566 Millionen Dollar
finanzielle Hilfe und Kredite von der Türkei, was rund 38% der türkisch-zyprischen Regierungseinnahmen
ausmachte (Bozkurt, 2013).
~ 15 ~
aufgenommen wurden, argumentierte die Türkei und die türkisch-zyprische Regierung,
dass das „Zypern-Problem“ durch die Invasion bereits gelöst sei und eine Zwei-StaatenLösung die einzige Möglichkeit wäre, die türkische Minderheit vor den
nationalistischen Machstrebungen der Zyperngriechen zu schützen (Coufoudakis,
2006). Die Positionen der Konfliktparteien waren somit festgefahren und es sollte bis
zur Jahrtausendwende dauern bis neue Friedensverhandlungen aufgenommen
wurden.
5.2.
Der Annan-Plan und Zyperns EU-Beitritt
Als Anfang 2000 Recep Tayyip Erdoğan mit der „Justice and Development Party (AKP)“
in der Türkei an die Macht kam, änderten sich die Verhandlungspositionen. Erdoğan,
der sich als Ziel gesetzt hatte, die Türkei in die Europäische Union zu führen, tauschte
den seit fast 20 Jahren regierenden Präsidenten der TRNC, Rauf Denktash, gegen den
moderaten Mehmet Ali Talat aus, um eine Wiederaufnahme der Friedensverhandlung
türkisch und griechischer Zyprioten herbeizuführen. Die UN reagierte auf das positive
Zeichen der Türkei und sendete Kofi Annan als Verhandlungsführer auf die Insel, um
dem Konflikt endgültig ein Ende zu setzen. Der sogenannte Annan-Plan wurde in vielen
Sitzungen modifiziert und sah eine „föderale, bi-kommunale und bizonale Lösung“ für
den Konflikt vor (Solomonides, 2008). Im Jahr 2004, nur wenige Monate vor dem EUBeitritt der Republik Zyperns, wurde der Annan Plan der Öffentlichkeit vorgestellt und
über die Ratifizierung in einem Referendum in beiden Teilen der Bevölkerung
abgestimmt. Während 65% der türkischen Zyprioten dem UN-Plan zustimmten, sprach
sich eine überwältigende Mehrheit von 75% gegen die Wiedervereinigung aus
(Security Council Report, 2013). Dies war für viele Außenstehende überraschend, wo
zuvor die griechische Seite eindeutige Bestrebungen für eine Lösung des Konflikts
gezeigt hat. Der Plan sah die Gründung einer Föderation aus zwei Teilstaaten mit
weitreichender Autonomie und eigenen Substaatsbürgerschaften vor. Aus griechischzypriotischer Perspektive war der Plan den türkischen Positionen viel näher als ihren
Eigenen und die deutliche Trennung der beiden Ethnien in einer Zwei-Staaten-Lösung
nicht annehmbar (Theophanous, 2014). So trat die Republik Zypern am 1. Mai 2004
der Europäischen Union als ein geteiltes Land bei. De facto stellt seitdem zwar die
gesamte Insel EU-Territorium dar, wobei das Gemeinschaftsrecht, also die
Implementierung der acquis communautaire, im nördlichen Teil bis zu einer möglichen
Wiedervereinigung ausgesetzt ist. Bezüglich der Frage nach einer europäischen
Identität im besetzten Teil Zyperns, kann man vermuten, dass das gescheiterte
Referendum und die Suspendierung europäischem Rechts im Norden, das Vertrauen
der türkischen Zyprioten in die Europäische Union massiv einschränkten.
Die Friedensverhandlungen waren zum wiederholten Male gescheitert. Erst vier Jahre
später führte ein Wechsel im Präsidentenamt auf Zypern zu neuen Verhandlungen, die
jedoch später aufgrund eines Regimewechsels im Norden Zyperns abgebrochen
wurden. Die ständig wechselnden Verhandlungen wirken sich frustrierend auf die
~ 16 ~
Bevölkerung beider Parteien aus und die Hoffnung auf eine baldige Lösung sinkt von
Jahr zu Jahr. Nun wurden im Februar 2014 erneute Gespräche aufgenommen und eine
neue Verhandlungsrunde unter UN-Beobachtung eingeleitet.
6. Reisetagebuch III
6.1.
Ein Wochenende in Girne
Von Nikosia bis zur
Hafenstadt Girne sind es
gerade mal 30 Minuten
mit
dem
kleinen
Sammelbus. Mal wieder
merke ich wie oft man
als Tourist mit den
Städtenamen
durcheinander kommt.
Fast jede Stadt im
Norden
hat
einen
griechischen und einen
Quelle: http://www.dw.de/image/0,,2250193_4,00.jpg
türkischen
Namen.
Kyrenia und Girne, Lefkosia und Lefkoşa oder Famagusta und Gazimağusa und es gibt
nicht wenige, die sich weigern, den Namen der jeweils anderen Sprachen akustisch zu
verstehen. Was mir außerdem auf der Fahrt nach Girne auffällt, ist die riesige TürkeiFlagge, die beim Verlassen der Hauptstadt auf den Bergen hinter der Stadt zu sehen
ist. Mein Sitznachbar im Sammeltaxi erzählt mir lachend, dass die Fahne extra in
Übergröße auf die Felshügel des Berges gemalt wurde, damit man diese auch von
griechischer Seite der Stadt sehen kann.
Sobald das Sammeltaxi die Berge überquert, bekommt man eine erste Sicht auf die
malerische Hafenstadt Girne. Es ist für Nordzypern eine verhältnismäßig touristische
Stadt, da auch viele Nordzyprioten hier ihren Urlaub verbringen. Zahlreiche enge
Gassen führen zu dem kleinen idyllischen Hafenbecken. Die schöne Hafenpromenade
ist mit den Tischen und Stühlen der Hafenrestaurants und Cafés gefüllt. Am nächsten
Tag verabrede ich mich hier mit Arif, der über das Couchsurfing-Portal eine
Wandertour durch die Berge, eine halbe Stunde außerhalb der Hafenstadt, anbietet.
Am Treffpunkt stellt sich heraus, dass ich heute die einzige Couchsurferin bin, Arif hat
außer seiner Frau Fatma noch seine Schwester, die Juristin ist, und drei ihrer
Arbeitskollegen mitgebracht. Leider spricht keiner von Ihnen Englisch. Dank Arifs
Übersetzungskunst verbringen wir aber einen schönen Tag und ich kann einige Fragen
stellen. Ich merke wie gut es tut mit einer so großen Gruppe über den Konflikt zu
diskutieren, denn womöglich irreführende Aussagen oder Vermutungen werden
immer von jemand anderen in der Gruppe berichtigt oder revidiert.
~ 17 ~
Der Hafen von Kyrenia
Auf Wandertour
Der Hafen von Kyrenia
Ich lerne zuerst, dass keiner der Anwesenden einen EU-Pass besitzt. Ich bin erstaunt,
habe ich doch gelernt, dass seit Zyperns Eintritt in die EU auch jeder türkische Zypriot
in den Süden reisen und dort einen EU-Pass beantragen kann. So einfach sei es jedoch
nicht, erklären sie mir. Denn wieder werde der Unterschied zwischen türkischen
Zyprioten und türkischen Zuwanderern gemacht. Nur Einwohner mit einem türkischzyprischen Ausweis könnten einen europäischen Reisepass beantragen. Dies sei aber
nur eine Minderheit im Norden Zyperns, da die meisten Einwohner während den 80er
Jahren als türkische Siedler nach Zypern kamen. Dementsprechend besäßen sie keinen
türkisch-zypriotischen sondern neben der türkischen Staatsbürgerschaft nur einen
Ausweis der Türkischen Republik Zypern. Dieser definiere sie noch am besten, sagen
die sechs, jedoch sei dieser bekanntlich außerhalb der Türkei nicht anerkannt. Hier
eröffne sich eine massive Identitätskrise, erklärt mir Arif, die nicht wenige
Nordzyprioten an ihre psychischen Grenzen treiben. Ein Zypriot, der im Norden als
Kind türkischer Einwanderer geboren ist, wäre somit im völkerrechtlichen Sinne
staatenlos solange er keinen türkischen Pass beantragt. Nur einer der vier
Arbeitskollegen kann sich mit einem Ausweis als türkischer Zypriot kennzeichnen. Auf
die Frage, warum er keinen EU-Pass beantragt habe, sagt er nur schüchtern: „Was soll
ich denn mit einem europäischen Reisepass, wenn keiner meiner Freunde mit auf
Reisen kommen könnte?“. Eine europäische Identität würden auch sie sich spontan
nicht zuschreiben. „Wir sind Zyprioten und lieben unser Land“, schwärmt Arif. Es
herrsche kaum Kriminalität, jeder kenne jeden und gleichzeitig fühle man sich auf
Zypern freier als in der Türkei. So wie Arif geht es vermutlich vielen türkischen
Zyprioten. Wie soll aber eine europäische Identität im Norden entstehen, wenn nur ein
kleiner Teil der Bevölkerung Nordzyperns, die Vorzüge eines europäischen Pass
genießen kann? Hinzu kommt das schwierige Verhältnis der Türkei zur Europäischen
Union. Die fehlende Dynamik der Beitrittsverhandlungen lässt die Hoffnung der
Bevölkerung sinken, dass eine mögliche EU-Mitgliedschaft die Türkei zu stärkeren
Einsatz in Friedensverhandlung mit der Republik Zypern motivieren könnte.
~ 18 ~
Am Ende des Tages klärt sich außerdem ein weiteres Missverständnis auf: Ich hatte
angenommen, dass die Grenzübergange für jeden Einwohner Nord-und Südzyperns
passierbar seien. Theoretisch seien sie das auch, erklärt mir Arifs Schwester Mihrican,
aber nur wenn man entweder aus dem völkerrechtlich legitimierten Süden komme
oder über einen völkerrechtlich legitimierten Flughafen Zyperns auf die Insel eingereist
sei. Diese für Außenstehende verwirrende Regelung bezieht sich auf den LegalitätsStatus des Ercan-Flughafens im Norden Zyperns. Da die Republik Zypern, die TRNC als
Staat nicht anerkennt, gilt dies auch für den aus staatlichen Mitteln erbaute Ercan
Flughafen 20km von Lefkoşa.
6.2.
Besuch der letzten griechisch-türkischen Stadt in Dipkarpaz
Ganz am Ende der nördlichen Halbinsel Karpas liegt die kleine Stadt Dipkarpaz oder
auch Rizokarpaso in der griechischen Sprache genannt. Vor 1974 war die 5000Einwohner Stadt fast ausschließlich von griechischen Zyprern bewohnt. Heute leben
noch 250 dort, was Dipkarpaz zu der letzten Stadt auf Zypern macht, die noch
türkische wie griechische Zyprer beherbergt. Nicholas, mein erster Gastgeber aus
Larnaka bietet mir an, mich von Nikosia mit, in das zwei Stunden entfernte Dipkarpaz
zu nehmen, wo er seit Jahren in einem kleinen Haus einer Freundin seine SommerUrlaube verbringt. Das idyllische Dörfchen liegt inmitten eines geschützten
Naturreservats voll von blühenden Mohnfeldern und abgelegen weißen Sandstränden.
Dennoch ist es touristisch nur begrenzt erschlossen, was mitunter auch an der
Tatsache liegt, dass die mangelnde Infrastruktur und fehlende Busverbindungen
Dipkarpaz schwer für Touristen erreichbar machen. Ich bin daher dankbar für Nicholas´
Angebot. Wir bleiben vier Tage dort und jeden Abend nimmt er mich zu befreundeten
griechisch-zyprischen Familien mit. Sie erzählen mir, dass die kleine Stadt während den
kämpferischen Auseinandersetzungen weitestgehend unberührt geblieben ist und ihre
Familien sich damals schlichtweg geweigert haben, ihre Häuser zu verlassen. Dennoch
sei es vor allem in den 80er Jahren für sie nicht leicht gewesen. Die
Familienoberhäupter mussten sich am Anfang jeden Tag, morgens und abends, bei
einer Behörde melden. Taten diese dies nicht, wurden Ihnen eine Geld- oder
Gefängnisstrafen auferlegt.
Man wurde also nicht vertrieben aber wie ein
Strafgefangener auf Freigang behandelt. Heute sei die Lage aber entspannt und sogar
besser, man bekomme sehr hohe finanzielle Unterstützung vom eigenen Staat im
Süden. Denn um die Existenz der griechisch-zyprischen Enklaven im Norden zu sichern,
werden diese von der Republik Zypern pro Kind mit 400€ im Monat unterstützt. Bei
den geringen Lebenskosten in Dipkarpaz bräuchte also keiner von ihnen arbeiten.
Außerdem fahren auch heute noch jeden Dienstag die Lastwagen der United Nations
Peacekeeping Force (UNFICYP) die steinigen Straßen der Karpas-Halbinsel herauf, um
die griechische Minderheit mit Lebensmitteln zu versorgen.
~ 19 ~
UNFICYP verteilen Lebensmittel in Dipkarpaz
Während der vier Hausbesuche, bei denen ich Nicholas begleite, spricht keiner ein
Wort Englisch. Dafür besitzen aber fast alle mindestens Grundlagen in der türkischen
Sprache. In zwei von vier Hausbesuchen sind türkisch-stämmige Nachbarn zu Gast und
man trinkt zusammen Raki, raucht selbstgedrehte Zigaretten und wechselt problemlos
von Griechisch ins Türkische. So sollte es eigentlich sein, denke ich mir. Ich lerne sogar
ein älteres Ehepaar kennen, die „griechisch-türkisch“ geheiratet haben – ein Einzelfall,
erklärt mir Nicholas, denn die Unterschiede zwischen der islamischen und christlichorthodoxen Religion würden in den meisten Fällen zu große Hindernisse für eine
Partnerschaft aufwerfen.
Am letzten Abend lädt uns einer der wenigen jungen griechischen Zyprer ein, mit ihm
im abgeschiedenen Andreas-Kloster zu übernachten. Das gut erhaltene Kloster ist ein
populäres Wallfahrtsziel für tausende christlich-orthodoxe Pilger im Jahr. Hier ist der
28-jährige Lefteris Hausmeister. Nicholas kennt seinen Vater seit seiner Kindheit und
erklärt, dass Lefteris der „Mann in der Not“ für die griechischen Zyprioten in Dipkarpaz
sei. Denn die meisten von ihnen sind im Renten-Alter. Ihre Kinder sind für die
weiterführende Schule in eine größere Stadt gezogen und seitdem die Grenzen wieder
offen sind, seien viele ihrer Nachkommen wieder in den griechisch-sprachigen Teil
Zyperns ausgewandert. Brauche man also eine starke Hand, würde man Lefteris zu sich
bestellen, eine Art Zivi für alle. Obwohl wir uns kaum verständigen können, verstehen
wir uns gut. Wir lachen viel und er zeigt mir die schönen Ecken des KlosterGrundstücks. Zusammen mit einer türkischen Fischer-Familie, die ebenfalls in einem
ehemaligen Pilger-Schlafsaal des Klosters lebt, grillen wir abends und schauen, ganz
europäisch, ein Champions-League-Spiel in einem kleinen Röhren-Fernseher an. Am
nächsten Morgen weckt mich Lefteris um halb 5, um ihn und seinem Freund beim
Fischen zu begleiten. Ich bin fasziniert wie geübt die beiden, die kilometerlangen
Fischnetze aus dem Meer ziehen und fühle mich gleichzeitig wie eine Reisende aus
einer anderen Zeit. Nicholas hat mir zuvor erzählt, dass Lefteris und seine sieben
~ 20 ~
Geschwister auf einem abgelegenen Bauernhof, 5km entfernt von dem ohnehin
kleinen Dipkarpaz, aufgewachsen sind. Die Schule besuchten sie bis zur 8. Klasse und
das nur, wenn sie nicht gerade zur Ernte-Zeit oder für häusliche Aufgaben Zuhause
gebraucht wurden. Während meine Freunde studieren und unentwegt für
Auslandssemester- und Praktika von einem Ort zum anderen reisen, hat Lefteris noch
nie die Insel verlassen. Ich denke nicht, dass seine EU-Mitgliedschaft ihn sonderlich in
seinem täglichen Leben beeinflusst und er diese als besonders wichtig erscheint. Hier
in Dipkarpaz scheint die Dringlichkeit einer Konfliktlösung eine kleinere Dimension zu
haben, denn hier hat man zumindest zu einem gewissen Maße, einen Kompromiss
zwischen den beiden Gemeinschaften gefunden. Salopp gesagt, man hat sich wieder
aneinander gewöhnt.
Rapsfelder im Naturreservat der Karpas-Halbinsel
Der berühmte Golden Beach ein paar Kilometer weiter von Dipkarpaz
~ 21 ~
6.3.
Famagusta und die Geisterstadt Varosha
Widerwillig verlasse ich die friedliche Welt der Karpas-Halbinsel und begebe mich nach
Famagusta, eine Hafenstadt an der Ostküste Nordzyperns. Dort an der Internationalen
Universität Eastern Mediterranean University (EMU) treffe ich mich mit dem
Couchsurfer Bashir, der mich für zwei Nächte bei sich aufnehmen wird. Aufgrund
meiner mangelnden Sprachkenntnisse, denke ich das Bashir ein türkischer Name ist.
Der Doktorstudent für Informatik stammt allerdings aus dem Iran sowie 500 weitere
Studenten an der EMU. Bashir war noch nie auf der anderen Seite der Buffer Zone
erzählt er mir, schließlich sei er bis jetzt immer über den Ercan-Flughafen ins Land
geflogen.
Am nächsten Tag erkunde ich Famagusta auf eigene Faust. Im Reiseführer lese ich,
dass die heute gerade einmal 30.000 Einwohner-Stadt, im 14. Jahrhundert die reichste
Stadt des östlichen Mittelmeeres war. Im Innern der Stadt liegt von einem
Wassergraben und einer Stadtmauer umgebene Altstadt. Sie ist klein, aber die
mittelalterlichen Fassaden lassen die ehemalige Bedeutung erahnen. Im Mittelpunkt
steht die Kathedrale des heiligen Nikolaus, welche im 11. Jahrhundert gebaut und
unter osmanischer Herrschaft mit einem kleinen Minarett versehen und in die Lala
Mustafa Pascha-Moschee umgewandelt wurde. Folgt man den Weg hinter der
Stadtmauer entlang des Hafens gelangt man außerdem zum beliebten Strand am
Miami Beach Hotel. Trotz der Hotelanlage darf hier jeder sein Handtuch ausbreiten.
Das Wasser ist klar und der Sand feinkörnig – Eigentlich die perfekte Urlaubsoase
wären da nicht diese drei Hochhäuser im Rücken, die nachmittags lange Schatten über
den Strand werfen. Ich überlege, warum mir diese Gebäude so bedrohlich vorkommen
bis mir auffällt, dass sie eindeutig nicht bewohnt und aufgrund der herunter
bröckelnden Außenfassade vermutlich seit langem nicht mehr mit Leben gefüllt
wurden. Ich schaue mich weiter um und gehe zum Ende des Strandweges, der durch
einen Zaun begrenzt wird. Ich schaue hinüber und erblicke eine ca. 4km lange
Strandküste mit einer Skyline verlassener Gebäude – die Geisterstadt Varosha.
Varosha, war vor der Invasion der Türkei die Touristenhochburg Zyperns. Heute reihen
sich leere Hotelbauten, Ferienhäuser und Strandbars entlang des wunderschönen aber
menschenleeren Strands. Plötzlich erinnere ich mich wieder an die Worte einer
Stadtführerin in Nikosia:
„Auch meine Familie musste damals aus dem Norden fliehen. Wir haben in der Stadt
Varosha gelebt, als die Türken in die Stadt eingefallen sind und wir beim Frühstück
unser Haus verlassen mussten. Wir sind davon ausgegangen, dass wir nach ein paar
Tagen zurückkehren würden und haben deshalb nur das Nötigste mitgenommen. Ich
war damals zehn als meine Familie in den Süden fliehen und ohne jegliche Besitztümer
ganz von vorn anfangen musste. Meine Heimat ist heute eine Geisterstadt – nach ihrer
~ 22 ~
Eroberung wurde sie zum militärischen Sperrgebiet und wurde seitdem von fast
niemanden mehr betreten.“
Die Skyline der Geisterstadt
Später am Tag besuche ich diesen Abschnitt mit Bashir nochmal und wir
philosophieren über den Eindruck, den diese leer stehende Stadt hinterlässt. Ich bin
traurig über den Anblick und über die Tatsache, dass vermutlich noch alte
Möbelstücke, Spielzeuge und Klamotten in diesen verlassenen Häusern aufzufinden
sind, die seit der Vertreibung der Bewohner vor 40 Jahren nie wieder abgeholt
wurden. Bashir allerdings sagt, dass diese Stadt ihm auch Hoffnung gebe durch die
Tatsache, dass sie bis heute als Sperrgebiet vor den Einzug neuer Bewohner geschützt
wird6. Schließlich zeige dies, dass man bis heute an eine baldige Lösung glaube. Ich
verstehe, was er meint aber frage mich auch, was die Besitzer mit diesen
heruntergekommenen Häuser anfangen würden, sollten sie je die Rechte an ihr
Eigentum zurück erhalten. Selbst von weiten kann man sehen, dass die Schäden an
Fassaden und Innenarchitektur gewaltig sind. Eine derart verfallende Stadt wieder
aufzubauen muss Jahre dauern, denke ich. Noch Tage später werde ich an den Anblick
der Geisterstadt denken. Immer wieder konnte ich beim Reisen durch den Norden
verlassene Dörfer, nicht fertig gebaute Hotelbauten und zurückgelassene Ferienhäuser
erspähen, aber das Bild einer komplett leer stehenden Stadt ist doch deutlich
imposanter im negativen Sinne.
6
Das türkische Militär deklarierte Varosha als Sperrgebiet, da es hoffte den vornehmen Badeort als
Faustpfand gegenüber den griechischen Zyprern einsetzen zu können. Hierzu ist es aber nie gekommen
und bis heute ist die Stadt durch kilometerlangen Stacheldrahtzäunen von dem übrigen Famagusta
abgeschottet.
~ 23 ~
7. Hindernisse auf dem Weg zur Lösung
Die bisherige Unlösbarkeit des Zypern-Konflikts ist auf die Unstimmigkeit beider
Parteien in verschiedenen Bereichen zurückzuführen. Die gemeinsame Erklärung, die
am 11. Februar 2014 zur Eröffnung der neuen Verhandlungsrunde von beiden Seiten
veröffentlicht wurde, markiert die folgenden Streitpunkte (Cyprus Mail, 11.02.2014):
1. Zum einem halten beide fest, dass die aktuelle Situation nicht weiterhin tragbar
sei und eine Lösung der gesamten Region zugutekommen würde. Bei einer
möglichen Lösung würden in diesem Sinne demokratische Prinzipien,
Menschen-und Grundrechte beachtet werden sowie die Integration der
verschiedenen Identitäten in einem gemeinsamem Land innerhalb der
Europäischen Union (ebd.). Dabei kommt unterschwellig der erste Streitpunkt
zu tragen – die Vorstellung einer gemeinsamen zypriotischen Identität. Durch
die Formulierung „Integration verschiedener Identitäten“ wird klar, dass eine
gemeinsame Identität ohne die Adjektive „türkisch“ oder „griechisch“ auch in
den neuen Verhandlungen nicht zur Diskussion steht.
2. Durch den Begriff „Integration“ wird zudem auf einen weiteren
problematischen Punkt hingewiesen: Die territoriale Aufteilung und Integration
türkischer und griechischer Zyprioten auf der Insel. Damit ist vor allem die
Frage verbunden, wie viele griechische Zyprioten im Falle einer
Wiedervereinigung in den nördlichen Teil der Insel zurückkehren können. Die
türkisch-zypriotische Seite fordert hier, dass die Anzahl der Rückkehrer
gedeckelt werden müssen, um die Prinzipien einer bi-kommunalen Struktur
einhalten zu können (Akbulut 2014). Hier könnte auch das EU-Recht des
unbeschränkten Personenverkehrs ein Problem werden.
3. Im Kontext der Eigentumsfrage, fordern die griechischen Zyprioten hingegen,
dass die unter türkischer Besetzung vertriebenen ursprünglichen Besitzer selbst
entscheiden sollten, ob sie diese Besitztümer rückerstattet haben wollen, oder
lieber einen Tausch oder eine Entschädigung vorziehen. Türkische Zyprioten
halten jedoch an der Meinung fest, dass die momentanen Besitzer des
Eigentums im Norden Vorzug erhalten sollten und die Eigentumsfrage allein
durch finanzielle Entschädigungen oder durch den Tausch mit neuen
Grundstücken geklärt werden sollte (Morelli, 2013).
4. Im Bereich Staatsstruktur und Kompetenzteilung geht es darum, wie tief die bikommunale Ausgestaltung eines gemeinsamen Staates gehen soll. Bisher stand
das Modell eines Einheitsstaats (griechisch-zypriotische Präferenz), die einer
Zweistaatenlösung (türkisch-zypriotische Präferenz) gegenüber (Akbulut 2014).
Im Rahmen der Gemeinsamen Erklärung wurde jedoch festgehalten, dass eine
mögliche Lösung weiterhin auf eine bi-kommunale und bi-zonale Föderation
basieren wird, die aber eine einzige Souveränität und Rechtspersönlichkeit
innerhalb der EU wie der UN einnehmen wird. Dennoch soll es ergänzend die
~ 24 ~
5.
6.
7.
8.
Staatsbürgerschaften der einzelnen Teilstaaten geben. Die Frage, welche
Rechte und Pflichten an diese Teilbürgerschaften verbunden sind, wird ohne
Zweifel einen weiteren sensiblen Punkt in den Verhandlungen darstellen (ebd.).
Denn letztendlich müsste die Republik Zypern ihren national anerkannten
Status abgeben und ihn durch ein „vereintes Zypern“ ersetzen, in dem die
TRNC auf gewisser Weise als Teilstaat integriert ist. Also ein Kompromiss, der in
ähnlicher Natur vor zehn Jahren abgelehnt wurde.
Zudem würde bei einer Lösung das bisher suspendierte Gemeinschaftsrecht auf
die ganze Insel Zypern angewendet werden. Dies bedeutet die Anpassung der
bisherigen Rechtsprechung im Norden an EU-Standards, sowie die Einhaltung
dieser in allen betreffenden Bereichen.
Auch die Wirtschaft der bisher geteilten Staaten müsste zusammen geführt
werden. Dies würde eine massive Förderung der nördlichen Ökonomie
bedeuten, die bis dato durch ein ökonomisches Embargo der Republik Zyperns
vom Welthandel ausgeschlossen ist und massiv von finanziellen Hilfen und
strukturellen Investitionen der Türkei abhängt.
Bezüglich des Themas Sicherheit fordert die griechisch-zypriotische Seite den
Abzug türkischen Militärs, welches zurzeit auf 30.000 Mann im Norden der Insel
geschätzt wird. Die türkische Seite fordert derweil Garantieverträge für ihre
Sicherheit. In diesem Zusammenhang wird in der gemeinsamen Erklärung
versichert, dass ein Anschluss an ein anderes Land, sei es in Teilen oder als
Ganzes, durch eine Verfassung ausgeschlossen werden soll. Auch dies spiegelt
die historisch begründeten Ängste auf beiden Seiten wieder (siehe Enosis und
Taksim-Bestrebungen in Kapitel 3.2.), ihre Daseinsberechtigung auf der Insel zu
verlieren.
Schließlich berührt die Frage über den Status der türkischen Siedler im Norden
eine heikle Stelle. Selbst als in den Verhandlungen im Jahr 2008 den türkischen
Vertretern angeboten wurde, dass 50.000 türkische Siedler in einem möglichen
Kompromiss bleiben dürften, wurde dieses Angebot abgelehnt (Morelli 2013).
Denn im Gegensatz zu den griechischen Zyprioten, die die Existenz der
türkischen Siedler auf der Insel als illegal betrachten, fordert die türkischezypriotische Seite, dass niemand als Flüchtling weggeschickt werden solle.
Motivation für die Verhandlung könnte auch die seit ein paar Jahren diskutierte
Energiefrage darstellen. Denn die griechisch-zypriotische Regierung ist in ihrer
Wirtschaftszone auf Gasvorkommen gestoßen. Nun ist die zyprische Republik aber aus
türkischer Sicht nicht berechtigt, die Energiereserven im Alleingang auszuschöpfen und
zu vermarkten solange der Konflikt nicht geklärt ist. Als dennoch Bohrungen
stattfanden, haben auch türkische Erdölgesellschaften Lizenzen für die Suche nach Ölund Gasvorkommen bekommen, die nun auf der türkisch-besetzten Seite Zyperns nach
Gasvorkommen suchen – natürlich gegen den Willen der griechischen Zyprer (Akbulut
2014).
~ 25 ~
Im Rahmen der Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen wurden auch
sogenannte „vertrauensbildende Maßnahmen“ besprochen, die die weite Kluft
zwischen den beiden Gemeinschaften überwinden helfen sollen. Hier ist zum einem
die Rückgabe Varoshas an die griechisch-zypriotischen Eigentümer im Gespräch sowie
die Aufhebung des Vetos gegen einen Direkthandel zwischen den türkischen Zyprioten
und der EU im Gegenzug. Beide Vorschläge konnten bislang keine Mehrheit erreichen.
8. Reisetagebuch IV
8.1.
Unterkunft beim Sufi-Orden in Lefke
Bevor ich die letzte zwei Tage wieder in Nikosia verbringe, mache ich nochmal Halt in
Lefke, welches auch vor der türkischen Besatzung des Nordens überwiegend türkisches
Siedlungsgebiet war. Zuvor hatte ich bereits einige Reisenden getroffen, die mir
geraten hatten, diesen angeblich „magischen Ort“ zu besuchen. Einer gab mir zudem
den Tipp, im Gästehaus des dort ansässigen Sufi-Ordens, eine Glaubensströmung im
Islam, zu übernachten. Somit machte ich mich auf den Weg und ließ mich vom
Busfahrer in „Lefke City Center“ absetzen. Ich bin ein wenig überrascht, als ich dieses
sogenannte Stadt-Zentrum zum ersten Mal sehe, denn außer zwei kleinen Kioske und
einer Tankstelle ist wenig zu sehen, was diesen Teil des Dorfes als Stadtzentrum
ausweisen könnte. Dennoch gefällt mir die ruhige Atmosphäre und die Farben der
Orangenbäume, die die einfachen Straßen von Lefke schmücken. Meine
Orientierungslosigkeit macht mich eindeutig als Touristin erkennbar und ich werde von
den beiden Kioskbesitzern neben der Bushaltestelle angesprochen und zu dem
angepriesenen Gästehaus geführt. An einer zauberhaften blau-weißen Finka werde ich
von zwei jungen Damen begrüßt. Von Naima, einer jungen deutschen Muslimin,
erfahre ich, dass die Anhänger der Naqschbandi-Familie, eine der zahlreichen SufiOrden, hier in Lefke unter geistlicher Führung von Sheikh Nazim Al-Haqqani wohnen.
Sie laden mich ein, für ein paar Tage als Gast bei Ihnen zu leben und obwohl ich keine
Muslima bin, gerne an allen Gebeten und Zusammenkünften teilzunehmen. Das
Gästehaus sei nämlich Unterkunft für die Pilger des Sufi Ordens, die zum Teil um die
halbe Welt reisen um ihren geistlichen Anführer zu treffen. Wie der 33-jährige Tom,
der vor einem Jahr von Kalifornien bis zur kleinen Insel Zypern gereist ist, um seinen
Sheikh in Person kennen zu lernen. An diesem Tag ersuchen er und seine britische
Freundin sogar ein persönliches Gespräch mit ihm, da sie das ungeborene Baby der
Frau segnen lassen und sich verabschieden wollen. Aufgrund der unklaren Rechtslage
der Türkischen Republik Zyperns haben die beiden nämlich entschieden, für die Geburt
Ihres Kindes nach London zu fliegen, um sicher zu gehen, dass ihr Baby die
Staatsbürgerschaft eines international anerkannten Landes erhält.
35 Frauen aus aller Welt wohnen in der kleinen Finka – es gibt ein großes
Wohnzimmer, eine kleine Küche, zwei Gebetsräume und mehrere Zimmer, die
vollgestellt sind mit Matratzen und Betten, um so vielen Pilgern wie möglich
~ 26 ~
Unterkunft zu bieten. Toiletten gibt es nur als Plumpsklos im Garten, wo ebenfalls die
mit Hand gewaschenen Bettlaken hängen. Jeder hilft bei der Instandhaltung des
Hauses mit. Ich bin fasziniert, wie der gemeinsame Glauben dieser aufgeschlossenen
Menschen die zahlreichen Sprach- und Kulturbarrieren überwindet: Naima, die bereits
seit ein paar Jahren in einem kleinen Haus in Lefke wohnt, habe ich in den zwei Tagen
meines Aufenthalts sieben verschiedene Sprachen sprechen gehört. Als ich sie darauf
anspreche, winkt sie meine Bewunderung ab und sagt, wenn man als Mensch
aufmerksam und interessiert lebe, passiere dies nach einer Zeit in Lefke automatisch.
Ich wünschte mir, dass eine gemeinsame europäische Identität irgendwann ähnliche
Wunder vollbringen könnte.
Kurz vor meiner Abreise darf ich Sheikh Nazim noch einmal persönlich treffen. Der 92
Jahre alte Mann hat seine Wohnung über der Moschee und verlässt aufgrund seines
Alters nur noch einmal am Tag für eine Auto-Rundfahrt mit seiner Tochter, das Haus.
Dabei wird er von seinen Anhängern begrüßt, sie klatschen und singen für ihn und es
gibt nicht wenige, die bei seinem Anblick aus Ehrfurcht und Freude weinen. Da er sich
immer von den Gehenden verabschiedet, darf ich einmal zu ihm vortreten und seine
Hand halten. Ich bin fasziniert wobei ich nicht ganz weiß, wie ich dieses Erlebnis
einordnen soll. Zufällig lese ich einen Monat später, dass ich einer der letzten Besucher
des Sheikhs war. Denn fünf Wochen nach meiner Abreise, am 07. Mai 2014 erlag der
Sufi-Lehrer seinem Alter. Zu der Gästeliste seiner Beerdigung zählten angeblich der
ehemalige Präsident von Pakistan, Pervez Musharraf, sowie Prinz Charles von England
(vgl. World Bulletin, 2014).
~ 27 ~
8.2.
Die letzten Tage - Zurück in die Hauptstadt
Für die letzten Tage fahre ich nochmal zurück nach Nikosia, denn im Laufe meiner
Recherche habe ich unter anderem im Zypern Institut für Europäische und
Internationale Angelegenheiten angefragt, ob einer der Mitarbeiter sich für ein
Interview über den Zypern-Konflikt mit mir bereit stellen würde. Ich bin überrascht als
die Sekretärin des Chefs mir schreibt, dass Prof. Theophanous persönlich mit mir
sprechen will. Ich bin ziemlich aufgeregt und habe mir aber einen langen Katalog an
Fragen überlegt, die ich den ehemaligen Berater des zyprischen Präsidenten stellen
möchte. Während des Interviews komme ich jedoch kaum dazu, denn mein InterviewPartner bevorzugt über die Finanzkrise Zyperns zu diskutieren und wie diese dem
Rettungsexperiment der EU ausgesetzt sei. Denn ähnlich wie Élaine ein paar Wochen
zuvor, beschreibt er das Banken-Rettungsexperiment der Euro-Gruppe als gescheitert,
welches Zyperns Finanzsektor um Jahre zurück geworfen hätte:
„Für mich ist Zypern mittlerweile nur noch ein Spielball der Europäischen Union. Beim
Eintritt im Jahr 2004 habe ich mir eine gemeinsame, solidarische Union vorgestellt.
Heute steht Zypern unter einer EU-Diktatur und wenn es eine Lösung zwischen der
Republik und den Türken geben wird, dann nur eine die von der EU diktiert wird.“
Man merkt wie wütend ihn dieses Thema macht und während meiner Zeit auf der Insel
treffe ich Viele, die so enttäuscht von der EU-Mitgliedschaft sind wie er. Andererseits
betont Theophanous später im Interview, dass die Zypern-Frage dennoch eine große
Europäische Dimension hätte und er hoffe, dass die EU irgendwann diese Dimension
als Chance erkennen würde:
„Zypern ist ein Mitgliedsland, genauso wie Griechenland und Großbritannien. Über den
Beitritt der Türkei wird seit zehn Jahren verhandelt. Die Lösung des Zypern-Konflikts ist
somit eine Chance der Europäischen Union, das Vertrauen der Bevölkerung nach der
fehlenden Solidarität in der Bankenkrise wiederzugewinnen.“
Die letzten Tage vor meiner Abreise übernachte ich bei Hatice und ihren Verlobten
Inal. Die beiden haben ein Appartement in der Innenstadt und geben mir einen
Einblick in ihr Leben im nördlichen Teil von Lefkoşa. Sie nehmen mich mit zu
Kunstausstellungen und Konzerten, wo ich viele ihrer Freunde kennen lerne. Die
meisten türkisch-sprechend, jedoch hin und wieder treffe ich auch Besucher aus dem
Süden, die der trennenden Buffer Zone der UN trotzen und dennoch ihren
Freundeskreis in Richtung Norden erweitern. Sie sind alle sehr offen, sprechen fließend
Englisch miteinander und äußern sich kritisch gegenüber der aktuellen Politik. Ich
wünschte, sie wären die Zukunft Zyperns, denn sie leben tendenziell bereits das Leben,
was seit nun über 50 Jahren am Verhandlungstisch der UN immer wieder als Utopie
gefordert wird: Junge aufgeschlossene Zyprioten, die Kenntnisse in beiden Sprachen
beherrschen und über gemeinsame Interessen zueinander finden. Als ich Hatice frage,
ob sie noch an eine Lösung glaube, schüttelt sie nur bedauernd den Kopf:
~ 28 ~
„Nach dem gescheiterten Referendum 2004 habe ich keine echte Hoffnung mehr, dass
eine Lösung, die auch gut für beide Teile ist, möglich ist. Wenn ich ehrlich bin, habe ich
spätestens seitdem auch nicht mehr viel Lust über das Thema zu reden. Das Problem
sind schließlich nicht die Menschen, die hier leben sondern die Mächte, die über unsere
Zukunft entscheiden. Grenz-überschreitende Freundschaften gibt es doch schon - Ich
war selbst über ein Jahr mit einem griechischen Zyprioten zusammen. Natürlich wird es
letztendlich eine Lösung geben. Ich glaube aber, dass diese Lösung eher Ölpolitischen
Interessen folgen wird als Unseren.“
9. Abreise und Fazit
Die drei Wochen vergehen schnell und dennoch kommen sie mir aufgrund ihrer Fülle
wie eine halbe Ewigkeit vor. Die vielen Eindrücke in einem Bericht zu schreiben und zu
strukturieren fallen mir zuerst schwer und ich merke, dass ein bisschen Abstand hilft,
meine Gedanken zum Zypern-Konflikt zu ordnen. Die Vielfalt an Erfahrungen, die ich in
so kurzer Zeit auf dieser kleinen Insel gemacht habe, zeigt mir, dass wie in so vielen
Ländern es keinen Zyprioten gibt, der die Mehrheitsgesellschaft des Landes
wiederspiegeln könnte. Der Zypern-Konflikt ist auf negative Weise faszinierend. Ich
habe selten konkrete Anfeindung seitens griechischen und türkischen Zyprioten
gespürt und frage mich, wie meine Gesprächspartner dennoch so hoffnungslos sein
können, wenn ich sie auf Lösungsmöglichkeiten anspreche.
Die Frage, ob ein gespaltenes Land wie Zypern trotz gescheiterten UN-Verhandlungen
der Europäischen Union beitreten durfte ist kritisch zu betrachten. Einerseits schuf die
Aufnahme Zyperns in die EU einen massiven Vertrauensverlust unter den Bewohnern
Nordzyperns, die Zyperns Aussicht auf eine EU-Mitgliedschaft als Anreiz für einen
baldigen Kompromiss zur Konfliktlösung betrachteten. Andererseits hätte die
Ablehnung von Zyperns EU-Mitgliedschaft ebenfalls zu einem Vertrauensverlust der
griechischen Zyprioten geführt, wo Zypern im Vergleich zu den restlichen
Beitrittskandidaten von 2004 die stärkste Wirtschaftslage vorweisen konnte. Allerdings
hat der geschichtliche Exkurs gezeigt, dass der Zypern-Konflikt stark durch die
Einflussnahme der Britischen Kolonialmacht geschürt würde. Auch der Londoner
Vertrag, der für die Unabhängigkeit Zyperns, mitunter von Großbritannien, Türkei und
USA befestigt wurde, konnte dem geschichtlichen Verlauf nach zu beurteilen keine
nachhaltige Lösung für den Konflikt vorlegen. Somit sollte die Einmischung von
Drittstaaten im Zypern-Konflikt immer kritisch betrachtet werden.
Die Rolle der Europäischen Union in der Zypern-Frage hat metaphorisch eine große
Bedeutung. Denn wenn die EU nicht den Konflikt in einem ihrer kleinsten
Mitgliedsländer nachhaltig lösen kann, wie soll sie ihre regionale Integrität nach außen
zur restlichen Welt beweisen? Die Frage, ob Zypern als geteiltes Land der EU beitreten
durfte, unterliegt also der Prämisse, dass die Europäische Union als effizienter und
~ 29 ~
neutraler Vermittler in diesen Konflikt dienen und beweisen kann, dass eine
gemeinsame Europäische Identität Zypern wieder vereinen könnte.
Die Frage nach einer europäischen Identität im Norden Zyperns ist im Laufe des
Berichts jedoch immer geringfügiger geworden. Denn bevor eine derartige Identität
entstehen kann, muss zuerst Klarheit über die bereits vorhandenden Identitäten
herrschen. Wer darf sich Zypriot nennen? Diese Frage ist an die Existenzberechtigung
türkischer Siedler auf Zypern gekoppelt. Gibt es auch für sie eine Zukunft in der EU?
Ohne Klärung dieses Identitätskonflikts wird auch die Leitfrage dieses Berichts nicht
geklärt sein. Momentan fällt es mir schwer vorzustellen, dass es eine Lösung für einen
gemeinsamen Staat Zypern geben könnte, in dem Arif und seine Familie, der Chirurg
Kaan oder der Sufi-Orden nicht mehr Teil dieses Landes sein würden. Ich denke daher,
dass die Nachhaltigkeit einer möglichen Lösung mitunter davon abhängt, wie moderat
sie gegenüber dem Status der türkischen Siedler auf Zypern vorgeht.
Letztendlich ist die Hoffnungslosigkeit meiner Interviewpartner bezüglich einer Lösung
des Zypern-Konflikts mitunter der Langwierigkeit der Verhandlungen zuzuschreiben.
Ein erfolgreicher Ausgang der wieder neu aufgenommenen Verhandlungen im Februar
ist aus diesem Grund als äußerst unwahrscheinlich einzustufen. Dennoch sei
zugegeben, dass die Tatsache, dass sich die beiden Konfliktparteien immer und immer
wieder an den Verhandlungstisch setzen, ein Zeichen ist, dass eine Lösung irgendwann
möglich sein könnte vorausgesetzt die politischen Rahmenbedingungen stimmen
(denn zu oft haben Wahlinteressen der Verhandlungsführer der eigentlichen Lösung
Vorzug erhalten). Beim Schreiben dieses Berichts war für mich klar, dass nur eine
gemeinsame Lösung, die alle Parteien (griechische Zyprer, türkische Zyprer, türkische
Siedler und all die, die zwischen diesen Identitäten stehen) in die Ausgestaltung eines
gemeinsamen Staates mit einbezieht, von nachhaltigem Erfolg sein kann. Denn meines
Erachtens sollte ein EU-Staat vor dem Hintergrund einer gemeinsamen europäischen
Identität und überregionalen Regierungsstrukturen immer den Anspruch an sich
stellen, für jedes Individuum einer heterogenen Gesellschaft ein Zuhause sein zu
können.
~ 30 ~
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