Einsatznahe Ausbildung
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Einsatznahe Ausbildung
Dissertationsexposé Titel der Dissertation Einsatznahe Ausbildung – eine Herausforderung für das Bundesheer? Verfasser Hauptmann Mag. (FH) Gerald Böhm Matrikel-Nummer: a1349652 angestrebter akademischer Grad Ph.D. in Interdisciplinary Legal Studies Wien, Feber 2015 Studienkennzahl lt. Studienblatt: 794 242 Dissertationsgebiet lt. Studienblatt: Rechtswissenschaften (Rechtsphilosophie) Betreuerin / Betreuer: Ao.Univ.Prof. DDr. Christian Stadler 1 / 18 1 Thema und Fragestellung 1.1 Einführung in die Thematik Politische Dimension: Im Jahr 2012 wurde das Thema Wehrpflicht im Rahmen einer Volksbefragung (am 20. Jänner 2013) basisdemokratisch diskutiert. In diesem Prozess wurden ebenso die Aufgaben des Bundesheeres erneut betrachtet und festgelegt. Dazu im Bericht zur Reform des Wehrdienstes: Als Aufgabenbereiche für das Bundesheer im Zusammenhang mit dem Wehrdienst werden insbesondere definiert: die militärische Landesverteidigung, das Auslandsengagement, die Katastrophenhilfe, der Schutz kritischer Infrastrukturen, die Grenzüberwachung, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Inneren sowie die Cyber-Sicherheit1. Mit der Zusage der österreichischen Politiker das Ergebnis dieser Umfrage als bindend zu sehen, wurde letzten Endes der Weiterbestand des Systems Wehrpflicht und ein sehr breites Einsatzspektrum beschlossen, so wie es eigentlich in der gültigen Bundesverfassung mit ihren untergeordneten Gesetzen festgelegt ist. Durch den Bericht zur Reform des Wehrdienstes wurde ein klares politisches Statement zu den möglichen Einsatzszenarien von Grundwehrdienern abgegeben2. Nun muss erörtert werden, wie das System ÖBH diesen Herausforderungen und Verpflichtungen unter einem immer enger werdenden budgetären Rahmen gerecht werden kann. Auch die Wichtigkeit des Humankapitals wird in der Teilstrategie Verteidigungspolitik des BMLVS festgehalten. Dabei wird als wesentliche Grundlage für ein gesellschaftlich breit verankertes und akzeptiertes ÖBH ein attraktiver, moderner und auf den Einsatz ausgerichteter Grundwehrdienst niedergeschrieben3. Es wird auch die Bedeutung des Kaderpersonals festgehalten, da diese Personen ja den attraktiven Grundwehrdienst 1 BMLVS, Bericht zur Reform des Wehrdienstes, 2013, S. 14. Vgl. BMLVS, Bericht zur Reform des Wehrdienstes, 2013. 3 Vgl. BMLVS, Teilstrategie Verteidigungspolitik 2014, 2014, S. 25. 2 2 / 18 gestalten sollen. Hierbei wird der Qualifikation der Berufs- und Zeitsoldaten eine große Bedeutung zugemessen4. Gleichzeitig gibt es Unverständnis für die Beibehaltung der Wehrpflicht, einerseits von idealistischen Militärgegnern und andererseits von dienenden und abgerüsteten Grundwehrdienern. Immer wieder wird die Sinnhaftigkeit dieses Systems und Dienstes diskutiert, nachdem es offensichtlich den betroffenen Personen bzw. dem Volk nicht verständlich erklärt und vermittelt wird. Rechtliche Dimension: Nun gilt es für die politische und militärische Führung unter den momentanen Rahmenbedingungen (wie beispielsweise die aktuelle Wirtschaftskrise und Einsparungen bei den Streitkräften) weiterhin den verfassungsmäßigen Auftrag des Bundesheeres umzusetzen. Im Artikel 9a Abs. 1 und 2 B-VG bekennt sich Österreich zur umfassenden Landesverteidigung und dazu, dass die militärische Landesverteidigung ein Teil davon ist. Gemäß Artikel 79 Abs. 1 B-VG obliegt die militärische Landesverteidigung dem österreichischen Bundesheer. Dieses ist nach einem Milizsystem zu strukturieren. Das Primat der Politik wird im Artikel 79 Abs. 2 B-VG geregelt und definiert klar die Rolle des österreichischen Bundesheers als Werkzeug der Politik. Die Existenz ist überdies hinaus im Artikel I des Bundesverfassungsgesetzes vom 26. Oktober 1955 über die Neutralität Österreichs begründet. Diese selbstauferlegte Neutralität muss nicht nur geschützt, sondern auch verteidigt werden. Dies impliziert eben die militärische Landesverteidigung. Zusätzlich zu der militärischen Landesverteidigung hat sich Österreich im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union zu gemeinsamen Einsätzen bekannt und verpflichtet. Dieses Bekenntnis und die Verpflichtung dazu hat die Republik Österreich im Artikel 23j B-VG beschlossen und gefasst. Bemerkenswert an diesem Artikel ist das sehr breite Betätigungsfeld des österreichischen Bundesheeres in dieser 4 Die Ausbildungssystematik im ÖBH ist verstärkt in Unterscheidung zwischen notwendigem Bildungsniveau und fachspezifischer Ausbildung auszurichten. Dabei sind Auswirkungen der Zeitlaufbahn zu berücksichtigen. Die durch das ÖBH selbst durchzuführende Ausbildung hat sich auf den militärischen Kernbereich zu konzentrieren. Darüber hinaus gehende Anforderungen sind durch Kooperationen zur Abdeckung des notwendigen Bildungsniveaus bei nationalen und internationalen Bildungseinrichtungen abzudecken. Ein besonderes Augenmerk ist auf die akademische Qualifikation entsprechend dem Grundsatz des lebenslangen Lernens und auf die Verbesserung der Möglichkeiten eines Umstiegs (Berufsförderungsmaßnahmen) in den zivilen Arbeitsmarkt zu legen (BMLVS, Teilstrategie Verteidigungspolitik 2014, 2014, S. 25–26). 3 / 18 Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Das Aufgabenspektrum reicht von der militärischen Beratung und Unterstützung, über die Konfliktverhütung und der Erhaltung des Friedens, bis hin zu Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung einschließlich Frieden schaffender Maßnahmen und Operationen zur Stabilisierung der Lage nach Konflikten. Dieses Auslandsengagement wird unterstützt durch die Regelungen im KSE-BVG. Dabei können Einzelpersonen und Einheiten über die bereits erwähnten Aufgaben innerhalb der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik auch zum Schutz der Menschenrechte im Rahmen einer internationalen Organisation oder der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), sowie zu Maßnahmen der humanitären Hilfe, der Katastrophenhilfe und zu militärischen Übungen und Ausbildungsmaßnahmen eingesetzt werden. Weiterführend ist im §2 Abs. 2 und 3 WG2001 bestimmt, dass im Rahmen der militärischen Landesverteidigung die allgemeine Einsatzvorbereitung, die unmittelbare Vorbereitung eines Einsatzes und alle militärisch notwendigen Maßnahmen zur Erfüllung des Einsatzzweckes zur militärischen Landesverteidigung durchzuführen sind. Für diese Aufgaben ist alleinig das ÖBH zuständig. Philosophische / ethische Dimension: Hier beginnt nun der Vergleich mit Platons Werk „Nomoi“. In dieser Darstellung einer vernunftbasierten Polis5 stellt der Staat durch die Vorbereitungen zum Kriege den Frieden sicher. All diese, für die heutige Zeit unverständlichen, Maßnahmen, werden durch Platon so befunden, dass vernünftige Gesetze, wenn auch richtig erklärt, von den Bürgern verstanden und befolgt werden. Im System der Nomoi sind alle Handlungen der Bürger dem Wohl des Staates untergeordnet6. Diese Priorität des Kollektives gegenüber dem Individuum ist ebendort sinnhaft/-voll begründet und erklärt. In der „Nomoi“ wurde zeitlich kontextualisiert die Teilnahme an militärischen Übungen und deren einsatznahe Durchführung7, welche auch Verletzungen oder Todesfälle mit sich bringen konnten, diskutiert. Im Jahr 2015 ist es unvorstellbar, im Rahmen der 5 Platon in Stadler, Krieg, 2009, S. 25. 22 Vgl. Plato/Schleiermacher/Wolf, Sämtliche Werke, 2006, S. 282–284 (Nomoi, 5.Buch, Artikel 59: Die Göttlichkeit der Seele als Grund, sie am meisten hochzuschätzen). 7 22 Vgl. Plato/Schleiermacher/Wolf, Sämtliche Werke, 2006 (Nomoi, 8.Buch). 6 4 / 18 „Friedensausbildung“ bewusst die Risiken von Verletzungen und Todesfällen für unsere Soldaten und Bürger in Kauf zu nehmen. Aufgrund der herrschenden gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen8 in Österreich und in Europa wird dies auch in absehbarer Zeit nicht möglich sein. Mittlerweile ist zusätzlich das Verständnis der Bevölkerung gegenüber Auslandseinsätzen gesunken9. Dazu der Werteforscher Gerd Hepp: „Auch hinsichtlich der politischen Kultur gilt es, Veränderungen in Wertesystemen wahrzunehmen und gegebenenfalls darauf zu reagieren“10. Natürlich wird es weiterhin gefährlichere Ausbildungsabschnitte geben, wobei diese durch klare Sicherheitsbestimmungen „entschärft“ werden11. Dennoch ergeben sich aus der derzeitigen Gesetzeslage bzw. den derzeitigen Rahmenbedingungen (wie der Wehrpflicht) zumindest zwei Dimensionen der Verpflichtung zur einsatznahen Ausbildung: • eine normative – da die Grundwehrdiener einen gesetzlich verpflichteten Dienst am Staate leisten. Berufssoldaten leisten ebenso einen besonderen Dienst am Staate und müssen auf ihre Aufgaben vorbereitet und im Anlassfall (bei Einhaltung aller Regeln und Vorschriften) vom Staat geschützt werden.12 • eine sachliche – auf Grund des Wesens des Militärs selbst. Hier werden die soziale und die hermeneutische Kompetenz betrachtet - die soziale spiegelt die Loyalität innerhalb des Systems (horizontal und vertikal) wider, die hermeneutische spricht die Reflexionsfähigkeit und die Rückbindung auf rechtliche sowie ethische Grundlagen an. Wie bereits Platon in seiner vernunftbasierten Polis der „Nomoi“ die Annahme getroffen hat: „…die Erwartung, dass vernünftige Gesetze, die verstanden werden, können auch befolgt werden“13, lässt sich dieser Grundsatz auch auf die Struktur und Organisation im ÖBH anwenden, denn aus heutiger Sicht müssen bzw. dürfen Befehle nicht nur befolgt, sondern sollen auch sinnerfüllend erfasst werden, um nicht nur besser zu handeln, sondern auch im Sinne der vorgesetzten Ebene anlassbezogen selbständig verständlich und vernünftig agieren 8 Vgl. das Konzept „Human Security“ in Human development report 1994, 1994. Vergleichbar ist hier die Stimmung in Deutschland: fast vier Fünftel aller befragten Bundesbürger lehnen ein stärkeres Engagement im Ausland seitens der Bundeswehr ab (derFreitag - Das Meinungsmedium 02.07.2014). 10 Hepp, Wertewandel, 1994, S. 106–107. 11 Hierbei sind die mit Vorschriftencharakter vorhanden Sicherheitsbestimmungen im BMLVS gemeint. 12 Vgl. FAZ, FAZ 2014 (16.07.2014) und Stadlmeier, Der Offizier 2014, 26, 26–28. 13 Stadler, Krieg, 2009, S. 26. 9 5 / 18 und entscheiden zu können. Vergleicht man nun den Stufenbau „Vernunft“ – „Verstand“14 mit dem Stufenbau Bildung – Ausbildung im ÖBH, lassen sich aus diesen Ergebnissen Ableitungen für die militärische Ausbildung des ÖBHs treffen. Nachdem militärische Handlungen im Einsatz grundsätzlich unter schwierigen bzw. extremen Bedingungen (z.B. Anwendung von tödlicher Gewalt) stattfinden, sind der „Verstand“ und die „Vernunft“ in Streitkräften bzw. im Militär ein wichtiges Element der Einsatzführung, um in hochkomplexen Szenarien erfolgreich bestehen zu können. Militärische Dimension: Diesen Forderungen der politischen, rechtlichen und philosophischen / ethischen Dimensionen muss nun die militärische Dimension durch militärische Ausbildung gerecht werden. Das militärische Ausbildungssystem bzw. die militärische Ausbildungslandschaft ist grundsätzlich nach dem Stufenbau Ausbildung - Bildung gestaltet. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass das System Militär nur funktionieren kann, wenn von der untersten Basis bis zur höchsten Spitze alle Soldaten mitwirken. Der beste Befehl wird zwecklos, falls die ausführende Ebene den Sinn nicht erfasst und nicht dementsprechend handelt. Dies spiegelt sich derzeit nur zum Teil in der Ausbildung und Bildung der Offiziere, Unteroffiziere, Mannschaften und Grundwehrdiener wider15 und steht im engen Zusammenhang mit dem, von der Politik beschlossenen, breiten Einsatzspektrum für das ÖBH und den heutigen hochkomplexen Einsatzszenarien. Diese Tatsachen erfordern eine adäquate militärische Ausbildung aller Soldaten, um den Einsatzerfordernissen gerecht zu werden. Im momentanen Ausbildungssystem wird der Gedanke „Train as you fight – fight as you train“16 in den Streitkräften verfolgt. Dieser Grundsatz ist auch in dem von Mangelwirtschaft 14 Nach Hegel ist Vernunft die allgemeine Basis und der Verstand die Anwendung der Vernunft in einem besonderen Anlassfall (Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Wissenschaft der subjective Logik oder Lehre vom Begriff, 1816). 15 Alle Soldaten des österreichischen Bundesheeres, insbesondere Offiziere und Unteroffiziere, haben vor allem als Kommandanten und Stabsmitglieder die mit ihrer Funktion als Exekutivorgan im Rahmen des staatlichen Gewaltmonopols verbundene ethischmoralische Verantwortung, in deren Mittelpunkt der Wert der Person und die Achtung der Menschenwürde stehen, wahrzunehmen. Diese Verantwortung verpflichtet den Soldaten, ihr sowohl unter Friedens- als auch unter Einsatzbedingungen in jeder Beziehung und zu jeder Zeit gerecht zu werden ( BMLVS, Menschenorientierte Führung und Wehrpolitik - Anlage zum Militärstrategischen Konzept, S. 15). 16 Ein Grundsatz von Streitkräften, die in scharfen Einsätzen sind, lautet: Train as you fight – übe auch so, wie du kämpfst. Dazu ist das Deutsche Heer derzeit nicht wirklich in der Lage – weil das Material dafür fehlt 6 / 18 geprägten Alltag des Bundesheeres nicht immer zu erfüllen, da einsatzwichtiges Gerät nicht in ausreichender Anzahl vorhanden ist, um auch im Frieden dieses Ausbildungsgerät zur Verfügung zu haben. Momentan wird dieser Unterschied zwischen „Friedensausbildung“ und Einsatzerfordernissen durch einen zwischengeschalteten Block der Einsatzvorbereitung (auf dem Einsatzgerät) ausgeglichen. Stehen nun nicht ausreichend budgetäre Mittel zur Anschaffung des entsprechenden Gerätes (Einsatz- & Ausbildungsgerät) zur Verfügung bzw. werden Waffengattungsteile unter dem Aspekt der Rekonstruktionsfähigkeit stillgelegt, bedarf die Einsatzvorbereitung auf jeden Fall ein Mehr an Zeit - dies nur unter der Annahme, dass im Anlassfall das fehlende Gerät und Material rasch beschafft werden kann. Da dieser Ausbildungsmissstand Gefahren mit sich bringt, sind diese Risiken für die Soldaten nicht tolerierbar. Nun gilt es ein System zu finden, um diese Lücke zwischen „Friedensausbildung“ und Einsatzerfordernissen vor dem Einsatz zu schließen. An dieser Stelle wird darüber hinaus ein Blick in die Ausbildungsphilosophie der Sicherheitsakademie des Bundesministeriums für Inneres geworfen. Es werden nicht alle 17 Leitsätze des "Sicher mit Bildung"-Handbuches17 für die Ausbildung im ÖBH zur Anwendung kommen können. Jedoch finden sich gewisse Ähnlichkeiten zur Ausbildungsproblematik im ÖBH. Ebenso soll die Ausbildungsphilosophie der Deutschen Bundeswehr für Vergleiche herangezogen werden. Ob das ÖBH im Sinne der Erweiterung des Stufenbaus Ausbildungsheer – Bildungsheer zum Einsatzheer samt der Voraussetzungen bzw. Anforderungen an eine einsatznahe Ausbildung erfüllt und die oben angesprochene Lücke schließen kann, muss in dieser Dissertation geprüft werden. 1.2 Forschungsfragen und Forschungshypothese Die Grundlage bildet der Ansatz Platons der vernunftbasierten Polis, Gesetze und Regeln verständlich zu erklären. Wird der Hegelsche Dreiklang „das Allgemeine“ - „das Besondere“ „das Einzelne“18 den Phasen der militärischen Ausbildung „Friedensausbildung“ - (Wiegold, Train as you fight? : Augen geradeaus, 2014 (http://augengeradeaus.net/2010/09/train-as-youfight/) (geprüft am 30.10.2014)). 17 BMI, Abteilung I/9 - Sicherheitsakademie, Sicher mit Bildung. 18 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Wissenschaft der subjective Logik oder Lehre vom Begriff, 1816. 7 / 18 „Einsatzvorbereitung“ - „Einsatz“ gleichgesetzt, leitet sich die Forderung an die einzelnen Phasen wie folgt ab: 1. in der „Friedensausbildung“ muss „Vernunft“ erreicht werden - im Sinne einer „universalen“ Grundausbildung19. 2. in der „Einsatzvorbereitung“ muss der „Verstand“ gefestigt werden - um die speziellen Einsatzerfordernisse auszubilden20. 3. im „Einsatz“ wird die „Urteilskraft“ ständig geprüft - in der Umsetzung gilt es die Überlebensfähigkeit zu erhalten21. Diese Kombination aus „Vernunft“ und „Verstand“ schafft eine universale und belastbare Basis. Dieses Ausbildungsmodell muss die Soldaten für den Einsatz vorbereiten. Gleichzeitig muss das System ÖBH seine Verantwortung gegenüber dem Staat und den dienenden Bürgern gerecht werden. Eine Grundvoraussetzung dazu ist der erfasste Sinn des eigenen Handelns im rechtlichen und politischen Kontext. Das ÖBH muss ebenen- und funktionsadäquat seine Soldaten zu selbstreflektiertem militärischen Handeln ausbilden. Genau diesen Begriff der „militärischen Ausbildung“ gilt es nun zu definieren, da nur die Vermittlung von Fertigkeiten bzw. des Handwerks des Soldatentums zu kurz greift. Die Bewältigung und das Erfassen hochkomplexer Krisen und Herausforderungen22 verlangen mehr als nur die Anwendung des soldatischen Handwerkes, vielmehr geht es um die Anwendung eines gesamtstaatlichen Ansatzes23. Um diesen auch vollständig in das ÖBH zu implementieren, muss der Soldat wehrrechtlich, wehrpolitisch und interkulturell gebildet sein. Diese Ausbildung und Bildung soll im Sinne eines „top down“-Ansatzes im ÖBH abgebildet sein. 19 Die Grundausbildung soll universal gestaltet sein (das „Allgemeine“) und so eine solide Basis für die spezielle Einsatzvorbereitung (das „Besondere“) bilden. 20 Die bedarfsgerechte Einsatzvorbereitung (das „Besondere“) nach dem Grundsatz „Train as you fight“ erfolgt mit dem einsatzrelevanten Gerät und Material und in der erforderlichen Truppenformation. 21 Unabhängig eines Einsatzes im In- oder Ausland ist ein jeder Soldat bestmöglich auf diese Herausforderung vorzubereiten. 22 Vgl. die an das ÖBH gestellten Anforderungen und Aufträge seitens der Politik (BKA, Arbeitsprogramm der österreichischen Bundesregierung 2013 - 2018, 2013; ders., Österreichische Sicherheitsstrategie, 2013; BMLVS, Bericht zur Reform des Wehrdienstes, 2013). 23 Im Fachjargon als „Comprehensive Approach“ bekannt, vgl. Felberbauer (Hrsg.), Comprehensive Approach, 2011. 8 / 18 Es lassen sich Ableitungen treffen, ob das Ausbildungssystem des ÖBH den Anforderungen eines Einsatzheeres entspricht. Hierbei werden aber nicht einzelne Fähigkeitsbereiche (Doktrin, Ausrüstung, Ausbildung) im Detail betrachtet, sondern die generelle Tauglichkeit bzw. Ausrichtung des derzeitigen Ausbildungssystems und der Ausbildungsphilosophie zur Erreichung der Einsatzbereitschaft des ÖBHs geprüft. Deshalb soll unter dem Schlagwort „Training on demand“ (Arbeitsbegriff) das Fundament für eine neue Ausbildungsphilosophie des ÖBH definiert werden. Dabei soll die „Friedensausbildung“ (das „Allgemeine“) umfassend und universell („multifunktional“) gestaltet werden und so eine belastbare Basis für eine spezifische kürzere Einsatzvorbereitung (das „Besondere“) bilden. Diese Ausbildungsphilosophie ist zu überprüfen, ob und inwieweit Ausbildungsschritte in der „Friedensausbildung“ verallgemeinert24 werden können bzw. wie „Verstand“ und „Vernunft“ im ÖBH gebildet werden müssen, um die Einsatzerfordernisse25 weiterhin abdecken zu können. Auf jeden Fall wird zu zeigen sein, dass Einsatznähe nicht einer Bildungsferne entsprechen muss. Abgrenzung: • Auf die sinkenden kognitiven Fähigkeiten der Grundwehrdiener (Sprache, keine abgeschlossene Schul- bzw. Berufsausbildung) bzw. auf die sinkende Gesundheit (Fitness) der jungen männlichen österreichischen Bevölkerung soll hier nicht eingegangen werden, da dies nicht Ziel der Untersuchung dieser Arbeit sein soll. • Die Integrationsaufgabe26 des Grundwehrdienstes wird in der Ausbildungsphilosophie keinen Niederschlag finden, da dieser soziale Aspekt nicht in die Ausbildung in ihrer Kernfähigkeit betrifft, sondern in begleitenden Maßnahmen, berücksichtig werden kann. 24 Im Gegensatz zu „Train as you fight“ soll soweit als möglich durch „kostengünstigere“ universelle Ausbildung ersetzt werden. 25 Vgl. Einsatzwahrscheinlichkeit militärischer Aufgaben (BMLVS, Verteidigungsagenda, 2014, S. 36); Aufgaben für und Anforderungen an das ÖBH im Zusammenhang mit dem Wehrdienst (ders., Bericht zur Reform des Wehrdienstes, 2013, S. 37–52). 26 Vgl. Wehrpflicht und Integration (BMLVS, Bericht zur Reform des Wehrdienstes, 2013, S. 83–84). 9 / 18 Anmerkungen: • Dieses neue Ausbildungssystem darf aber nicht falsch verstanden werden, indem die Ausbildung der Soldaten nur noch in Lehrsälen und philosophisch geprägt stattfinden wird. • Es bleibt noch zu prüfen, ob die im Bericht zur Reform des Wehrdienstes aufgezählten Einsatzmöglichkeiten27 bzw. die, gemäß der Einsatzwahrscheinlichkeit militärischer Aufgaben auf Basis der strategischen Lagebeurteilung 201428, angeführten Einsatzszenarien sich in der Gestaltung bzw. Entwicklung der Ausbildungsphilosophie auswirken. 1.3 Beabsichtigtes Ergebnis Zunächst ist der Rechtsbegriff „militärische Ausbildung“ (§2 WG2001) zu interpretieren, um eine Rechtskonformität sicherzustellen und ein gemeinsames Verständnis zu erreichen. Auf dieser Grundlage soll in der Folge das Fundament für eine moderne und zukunftsorientierte Ausbildungsphilosophie für das ÖBH formuliert werden, um die Ausbildung im ÖBH nachhaltiger gestalten zu können und für künftige Herausforderungen gerüstet zu sein. Dabei soll das Vermitteln des Sinnes des ÖBH sowie „Verstandesausbildung“ und „Vernunftbildung“ erreicht werden. Möglicherweise ergeben sich hier Analogien oder Synergieeffekte mit der derzeitig laufenden Einstufung mancher Waffengattungen im ÖBH auf Status der Rekonstruktionsfähigkeit29. Überdies hinaus können sich langfristig positive Einflüsse auf die Beurteilung der Bevölkerung des ÖBH ergeben, da auf der einen Seite der Berufskader und auf der anderen Seite die Grundwehrdiener positiv von der Ausbildung und von deren Sinnhaftigkeit überzeugt werden. 2 Zielsetzung und Mehrwert der Dissertation Diese Dissertation verknüpft Elemente aus dem Bereich der Rechtsphilosophie und der Polemologie, um die Ausbildung bzw. Bildung im ÖBH an die Herausforderungen heutiger 27 Vgl. Einsatzwahrscheinlichkeit militärischer Aufgaben (BMLVS, Verteidigungsagenda, 2014, S. 36); Aufgaben für und Anforderungen an das ÖBH im Zusammenhang mit dem Wehrdienst (ders., Bericht zur Reform des Wehrdienstes, 2013, S. 37–52). 28 Vgl. Einsatzwahrscheinlichkeit militärischer Aufgaben (BMLVS, Verteidigungsagenda, 2014, S. 36). 29 Vgl. militärische Landesverteidigung (BMLVS, Teilstrategie Verteidigungspolitik 2014, 2014, S. 11–12). 10 / 18 Einsatzerfordernisse und Rahmenbedingungen anzupassen. Philosophisch betrachtet kann durch „Verstand“ und „Vernunft“ nicht nur die Ausbildung im ÖBH sinnvoll vermittelt werden, sondern in der Umsetzung im Einsatz die erfolgreiche Auftragserfüllung gesteigert werden. 3 Methodische Vorgehensweise 3.1 Methodenauswahl Cambridge School nach POCOCK und SKINNER Durch diese Methode soll die Betrachtung und methodische Analyse politischer Ideen im eigentlichen Sinne möglich werden. Dabei ist es wichtig nicht nur einzelne Sätze oder kürzere Texte zu betrachten, sondern ganze Werke bzw. Bücher. Es soll herausgefunden, unter welchen Umständen der Autor welche Idee wie verschriftlichte, um in der jeweiligen Zeit nicht unbedingt mit dem Gesetz in Konflikt zu treten. Wichtig ist und bleibt in der Cambridge School die Kontextualisierung der Idee. Diesen Kriterien kommt besondere Bedeutung zu, da der Text Platons auf Grund dessen Alters und sehr unterschiedlichen Voraussetzungen entstanden ist und von Kritikern dadurch schnell als ungültig abgetan werden kann. Deshalb sollen beide Umfeldbedingungen, die des Autors und jene des Lesers, in die Bearbeitung einfließen. Empirisch-analytische Methode Diese Methode dient der Auswertung von konkreten militärischen Erfahrungen in den Bereichen der Ausbildung, der Einsatzvorbereitung und des Einsatzes und ermöglicht nach Anwendung der Induktion einen wahrheitserweiternden Schluss. Grounded Theory Um Interviews bzw. Umfrageergebnisse nicht nur durch eigene Interpretation auszuwerten, sondern diese auch nachvollziehbar und sinnvoll zu gestalten, soll die Grounded Theory zur Anwendung kommen. 3.2 Gesellschaftstheorie Nomoi nach Platon: Die Staatstheorie in diesem Werk ist keine Idealforderung an einen Staat, sondern eine vernunftbasierte Polis im Zentrum des Denkens. Damit herrschen vernünftige Gesetze und 11 / 18 pragmatische Richtlinien als eine Art Kompromiss im Staat. Dieser Weg setzt eine Planungsannahme voraus: „…die Erwartung, dass vernünftige Gesetze, die verstanden werden, können auch befolgt werden“30. Zu Ergänzungen bzw. zu Vergleichen können darüber hinaus die Theorien Machiavellis „Kunst des Krieges“ und Clausewitzs „Vom Kriege“ herangezogen werden. 4 Definitionen Ausbildung: ist die Vermittlung und der Erwerb der erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die zur Erfüllung der dienstlichen Aufgaben qualifizieren. Erklärung: in der Begriffshierarchie dient der Begriff Ausbildung als Überbegriff für Grundausbildung, Fortbildung und Weiterbildung31. Ausbildung im Frieden (umgangssprachlich: „Friedensausbildung“): umfasst die militärische Ausbildung aller Soldaten (Berufs- und Zeitsoldaten, sowie Grundwehrdiener) hinsichtlich der laufbahn- bzw. funktionsspezifischer Erfordernisse während der Friedenszeit. Der Ausbildung im Frieden liegen generische Einsatz- und Bedrohungsszenarien zu Grunde, bereiten zum Beispiel aber nicht auf einen spezifischen Auslandseinsatz vor. Wichtig dabei ist, dass der im Soldatenjargon verwendete Ausdruck „Friedensausbildung“32 nicht mit einer friedensorientierten, friedensvermittelnden bzw. friedensschaffenden Bildung (z.B.: Tätigkeiten als Vermittler und Mediator) zu verwechseln ist. Einsatzvorbereitung: ist die Gesamtheit aller Maßnahmen, die jeweils zur Vollziehung von Weisungen oder Befehlen auf militärpolitischer, militärstrategischer, operativer und taktischer Ebene dienen33. Militärische Bildung: unter Militärischer Bildung wird die Förderung des Soldaten als Persönlichkeit verstanden. Sie enthält vor allem die Beschäftigung mit der eigenen Kultur, insbesondere Erkenntnissen, mit human- darüber und hinaus sozialwissenschaftlichen den Erwerb 30 von sowie philosophischen Fremdsprachenkenntnissen. Stadler, Krieg, 2009, S. 26 BMLVS, Militärlexikon, 2014 32 Als „Friedensausbildung“ wird die gediegene und umfangreiche militärische Ausbildung der Vorkriegszeit, vor dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet (Ehlert, Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik, 1993); (Hammerich (Hrsg.), Militärische Aufbaugenerationen der Bundeswehr 1955 bis 1970, 2011). 33 BMLVS, Militärlexikon, 2014 31 12 / 18 Bildungsmaßnahmen sind als fundamental zu betrachten und daher nicht immer an konkreten, arbeitsplatzbezogenen Anforderungen zu orientieren34. 5 Zeitplan Diese Dissertation wird im Rahmen des 20. Generalstablehrganges erstellt. Auf der einen Seite muss dieses Werk den Ansprüchen einer Militärwissenschaftlichen Arbeit innerhalb des Verteidigungsressorts und auf der anderen Seite den wissenschaftlichen Anforderungen der Universität Wien entsprechen. Zielvorgabe für den militärisch erforderlichen Teil ist Juni 2016, für die weitere wissenschaftliche Bearbeitung im Sinne der Universität Wien stehen maximal weitere drei Jahre bis 2019 zur Verfügung. 6 Vorläufige Struktur Vorwort 1. Einführung 2. Definitionen / Abgrenzungen / Grundlagen / Forschungsansatz bzw. -frage 3. Gesellschaftstheorethischer Rahmen (NOMOI von Platon) 4. Vergleich zu verschiedener Ausbildungs- bzw. Bildungsphilosophien 4.1 Ausbildungsphilosophie des ÖBH (incl. Umfrageauswertung) 4.2 Bildungsphilosophie der Polizei (incl. Interview) 4.3 Philosophie der Deutschen Bundeswehr (incl. Interview) 5. Fundament für eine Ausbildungsphilosophie des ÖBH und der Stufenbau (Beantwortung der Frage) 5.1 Anforderungen an eine zeitgemäße Ausbildungsphilosophie 5.2 Formulierung einer „generischen“ Ausbildungsphilosophie 5.3 Möglichkeiten der bzw. Anwendung von Ausbildungsunterstützung 6. Zusammenfassung und Ausblick auf das Anwendungsfeld ÖBH 6.1 Auswirkungen auf vorhandene Ausbildungskonzepte 6.2 Ableitungen für künftige Ausbildungskonzepte 34 BMLVS, Ausbildungsphilosophie für das ÖBH 2010, Beilage zu GZ 93705/1-Gstb/2006, S. 12 13 / 18 6.3 Vorschläge zur Ausbildungsunterstützung Literaturverzeichnis Abbildungsverzeichnis Anhang 7 Stand der Forschung und Literaturübersicht 7.1 Stand der Forschung Die bisherige Recherche hat in diesem Bereich der Wissenschaft, vor allem durch die Verknüpfung der Rechtsphilosophie mit der Polemologie, eine Forschungslücke aufgedeckt. Verstärkt wird dieses Rechercheergebnis noch durch den Bedarf des Bundesministeriums für Verteidigung und Sport nach einer zukunftsorientierten Ausbildungsphilosophie. 7.2 Vorläufige Literaturübersicht öffentlich-rechtliche / militärisch relevante Quellen: Bundes-Verfassungsgesetz, Bundesverfassungsgesetz vom 26. Oktober 1955 über die Neutralität Österreichs, Bundesverfassungsgesetz: Kooperation und Solidarität bei der Entsendung von Einheiten und Einzelpersonen in das Ausland, Wehrgesetz 2001, BKA, Arbeitsprogramm der österreichischen Bundesregierung 2013 - 2018 – Erfolgreich. Österreich, Wien 2013. —, Österreichische Sicherheitsstrategie – Sicherheit in einer neuen Dekade - Sicherheit gestalten, Wien 2013. —, Österreichs Strategie für Cyber Sicherheit 2013. BMI, Abteilung I/9 - Sicherheitsakademie, Sicher mit Bildung – Perspektiven.Werte.Kompetenzen, BMLVS, Ausbildungsphilosophie für das ÖBH 2010, 12.07.2006. —, Bericht zur Reform des Wehrdienstes, Wien 2013. —, Militärlexikon 2014. —, Teilstrategie Verteidigungspolitik 2014 – Auftrag "Sicheres Österreich", Wien 2014. —, Verteidigungsagenda – Auftrag "Sicheres Österreich" 2014. —, Verfassungsrecht und militärische Landesverteidigung, 18.02.2014, http://www.bundesheer.at/pdf_pool/gesetze/verfassungsrecht.pdf (geprüft am 18.02.2015). 14 / 18 Menschenorientierte Führung und Wehrpolitik - Anlage zum Militärstrategischen Konzept (geprüft am 02.11.2014). BMLVS, Wehrgesetz 2001 und Verordnungen, 01.01.2015, http://www.bundesheer.at/pdf_pool/gesetze/wg2001.pdf (geprüft am 18.02.2015). BMLVS / Generalstab / Sektion II, Ausbildungsweisung 2015 / 2016, Buch, Detlef, Karriereberuf Offizier? – Vom Wandel und Stillstand eines Berufsbildes in der Postmoderne, Frankfurt, M. u.a. 2010. 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