Referat - Musik und Mensch

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Referat - Musik und Mensch
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REALITÄT UND VIRTUALITÄT
Musik & Mensch
Konzert- und Kolloquiumsreihe
Zyklus 2014/2015 – „ÜBER_SETZEN“
Pädagogische Hochschule Niederösterreich - Campus Baden
Mühlgasse 67, 2500 Baden
Mittwoch, 26. November 2014
Bleiben Sie zu Hause! –
Oder was ein Klangmuseum heute dem Publikum anbieten kann
Ein Referat von Simon K. Posch
Direktor des Wiener Klangmuseums „Haus der Musik“
Beginn: Musik wird eingespielt („Guten Morgen Sonnenschein“), ca. 2:03 Minuten
Das Musikstück das Sie eben hörten hat gerade etwas bewirkt. Sie waren erst einmal überrascht,
erfreut, haben geschmunzelt, waren vielleicht verstört oder peinlich berührt; sie hatten Bilder im
Kopf, hatten Gefühle zum Gehörten, vielleicht sind Ihnen Personen aus Ihrem Leben zu dieser Musik
eingefallen, kurz, Sie waren für einige Momente wohl nicht hier in diesem Saal, sondern ganz und gar
in Ihrer persönlichen und intimen Welt der Gefühle.... Und ganz sicher haben Sie sich aber auch
gefragt: „Was will er damit bezwecken?“
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Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Pädagoginnen und Pädagogen – einen schönen guten Abend
und danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben, meinen Ausführungen zu folgen und am
anschließenden Diskurs teilzunehmen.
Ja, warum habe ich Ihnen „Guten Morgen Sonnenschein von Nana Mouskouri“ aus dem Jahr 1977
vorgespielt. Warum gerade sowas? Wo es doch abertausende weit bessere, schönere,
anspruchsvollere Lieder gibt? Aber, wer bestimmt das, welches Lied das Beste ist? Welche Art der
Musik die Schönste ist? Sie! Sie, ich und jeder Mensch für sich ganz persönlich bestimmt das!! Musik
ist die mit Abstand emotionalste Form der Kunst und sie ist auch die älteste Form der Kunst. (Die
ältesten Höhlenmalereien sind rd. 37.000 Jahre alt). Die ersten nachweisbaren Instrumente gab es
bereits im Jungpaläolithikum vor etwa 40.000 Jahren (tönerne Instrumente, z.B. Rasseln) oder
Knochenflöten vor rd. 35.000 Jahren. Die Ursprünge der Musik oder besser des Gesangs reichen aber
beinahe 2 Millionen Jahre zurück als sich beim Homo Ergaster die anatomischen Voraussetzungen
entsprechend entwickelt hatten. (Durch den aufrechten Gang sank in weiterer Folge der Kehlkopf ab,
es kam sukzessive zu einer Nahrungsumstellung auf fleischlichere Kost, der Kauapparat bildete sich
leicht zurück. Durch die größer gewordene Mundhöhle konnten differenziertere Laute produziert
werden. Einerseits durch die sich immer rascher entwickelnde Kommunikation in größeren sozialen
Gruppen aber auch durch die sexuelle Selektion lernte der Mensch die Stimme in unterschiedlichster
Intensität und Ausprägung einzusetzen. Besonders emotionale Lebenssituationen, wie z.B. Trauer bei
Verlust eines Familienmitglieds brachten selbstredend in weitere Folge Klage- und Singsang-Laute
hervor. Auch wenn man das sicher noch nicht als Gesang nach heutigen Maßstäben bezeichnen
konnte so ist doch bereits in dieser Phase eine ganz besondere Ausdrucksform des Menschen
entstanden, die sich von da an stetig weiterentwickelt hat. Evolutionstechnisch gesehen lässt sich
jede Form des musikalischen Ausdrucks immer auf einen emotionalen Auslöser, einen emotionalen
Zustand zurückverfolgen. Das Ziel von Musik bzw. des Urhebers einer Musik, ist es auch wohl auch
immer, eine emotionale Wirkung zu erzielen. Man kann auf Musik gar nicht „nicht-emotional“
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reagieren. Man liebt eine Stück, man hasst es, man regt sich auf, man bekommt Gänsehaut oder
Tränen, oder es lässt einen vordergründig kalt -“gefühlskalt“, also auch wieder eine Emotion.
„Bleiben Sie zu Hause!“
Nein, das ist nicht die aktuelle Werbekampagne vom Haus der Musik.
Und nein, selbstverständlich wollen wir auch NICHT, dass Sie zu Hause bleiben.
Ich möchte aber mit dieser durchaus provokanten Aufforderung hinterfragen, warum wir eigentlich,
nach wie vor, in ein Museum gehen sollten? Was wir dort lernen oder erleben können, was zu Hause
in den eigenen vier Wänden eben nicht in dieser Form und Intensität erleb- und erlernbar ist? Trotz
Internet (mit Texten, Bildern, Videos, 3-D Ansichten und virtuellen Rundgängen).
Ich werde versuchen, den Mehrwert aus meiner Sicht darzulegen. Worauf Sie nicht warten müssen
sind Querverweise oder Quellangaben davon wird es nicht viele geben – Der Fokus meiner heutigen
Präsentation ist weniger wissenschaftlich angelegt sondern liegt viel mehr auf den Erkenntnissen aus
meinen persönlichen Erfahrungen – und die teile ich heute sehr gerne mit Ihnen.
Was also ist Musik?? Außer, eine Aneinanderreihung von vielen Noten. WIKIPEDIA schlägt dazu vor:
Musik ist „Eine Kunstgattung mit organisierten Schallereignissen!“ (???) Eine solche Erklärung ist
obsolet, denn jemand, der noch nie in seinem Leben Musik gehört hätte, könnte mit dieser Definition
rein gar nichts anfangen – aber wohl auch mit kaum einem anderen verbalisierten Versuch der
Erklärung. Erklären Sie bitte jemanden, wie frische Erdbeeren schmecken – das könnte ebenso
schwierig werden. Schöner und poetischer sind natürlich Definitionen wie folgende, oft zitierte,
dadurch aber nicht weniger richtigen Aussagen: „Wo die Sprache aufhört, fängt die Musik an“, E.T.A.
Hoffmann; „Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum“, Friedrich Nietzsche; „Musik ist die Liebe auf der
Suche nach einem Wort“ (vom amerik. Philosophen Sidney Lanier); „Ich betrachte die Musik als die
Wurzel aller übrigen Künste“, Heinrich von Kleist; „Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt
werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist“, Victor Hugo; „Musik ist eine höhere
Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie“, Ludwig van Beethoven; „Musik ist die Vermittlung
des geistigen Lebens zum sinnlichen.“ Bettina von Arnim; „Das Beste der Musik steht nicht in den
Noten“ hielt Gustav Mahler fest.
Schöne und sinnstiftende Zitate gäbe es noch eine ganze Menge mehr. Aber alle Aussagen zur Musik
können uns immer noch nicht die Musik an sich vermitteln. Sie können Sie beschreiben, können
Vergleiche anstellen – Aber das war es dann auch schon; Musik aber muss erlebt werden. Gehört und
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gefühlt werden! Erst dann sind wir in der Lage, obige Zitate nachvollziehen zu können, sie tatsächlich
zu verstehen.
Warum z.B. haben Sie es sich vorgenommen, in Ihrem Berufsleben „Musik“ vermitteln zu wollen?
Weil Sie selbst eine große Affinität zur Musik haben, Musik lieben, Sie selbst ein oder mehrere
Instrumente spielen, singen, aus einer musikalischen Familie stammen, in musikalischer Tradition
aufgewachsen und der Meinung sind, dass Musik etwas Schönes, etwas Wichtiges ist – dass Musik
ein Teil von uns Menschen ist und sein soll und dass Musik uns Menschen glücklich macht.
Wahrscheinlich möchten Sie persönlich dieses Glück durch die Musik auch anderen Menschen zuteil
werden lassen? Ist es das? Dann ist Ihr Beruf wohl auch Berufung! Um Musik aber in seiner
Komplexität auch besser verstehen zu können, um in der Musik auch wachsen zu können, muss
dieses Heranführen an die Musik auch einem Konzept, einer Strategie folgen. Ein solches Konzept
stellt wahrscheinlich wohl auch der „Lehrplan“ dar. Es muss musikhistorisches Wissen, theoretisches
Wissen über Notenlehre, Instrumente und dergleichen vermittelt werden um ein besseres
Fundament zu schaffen um ein breiteres Verständnis und besseres Verstehen zu gewährleisten.
Immer soll aber die Freude an der Musik, vielleicht auch die Freude am Musizieren im Vordergrund
stehen. Aber Achtung: Auch junge Menschen, die keine Noten lesen können (oder wollen), die kein
Instrument spielen und deren Stimme alles andere als harmonisch ist, lieben Musik, sie hören sie,
singen dazu, fühlen dazu.
Ich war 7 Jahre alt, als ich gemeinsam mit meinem Cousin bei unserem katholischen Priester im Dorf
Gitarre-Unterricht nehmen musste (nicht durfte, musste). Und es war eine einzige Qual! Das hat mir
persönlich leider die Freude am selbst musizieren genommen – nie aber die Freude an der Musik!
Erst heute beschäftige ich mich wieder ein wenig mit der Gitarre und dem Klavier – obwohl ich
damals dafür mehr Zeit gehabt hätte.
Warum hat sich das Haus der Musik mit Haut und Haar diesem Thema verschrieben und es sich zum
Ziel gesetzt, Menschen näher an die Musik heranzuführen. Meine heutige Erklärung dazu lautet: Wir
wollen die Menschen daran erinnern, dass Musik Freude bereitet, dass Musik ein Spiegel unserer
Seele, unseres Gemütszustandes ist. Über sprachliche und kulturelle Unterschiede hinweg verbindet
die Musik die Menschen, lädt zu nonverbaler Kommunikation ein und schafft, auf sehr direkte und
unkomplizierte Art und Weise, dass Menschen sich verstehen, sich näherkommen. Macht Musik uns
zu besseren Menschen? Vielleicht, vielleicht auch nicht – Musik aber bereitet jedenfalls einen
fruchtbaren Boden dafür.
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Einspielung von Militärmusik – (genau 1min 35 sec.!): „Schwedischer Reitermarsch“
Auch diese Musik kann einen fruchtbaren Boden bereiten – allerdings mit einem anderen Ziel...
Dieser sog. „Schwedische Reitermarsch“ geht auf den 30-jährigen Krieg zurück und hieß im
Volksmund ursprünglich Hakkapeliitta (von finn.: hakkaa päälle was soviel heißt wie „hau drauf!“)
Was also dieses Musikstück bewirken sollte ist auch klar. Es sollte Mut machen in den Kampf zu
ziehen. Mut machen, den Feind zu besiegen. Diesen Zweck hatten Kriegs- und Kampfgesänge schon
seit Jahrtausenden. Diese waren das verbindende Element für eine ganze Gruppe, die Soldaten, bei
denen es förmlich durch die Musik zu einer Gleichschaltung kam. Und wieder; Emotion wird
ausgelöst, eine emotionale Reaktion bezweckt – die Musik wird ganz gezielt ge- und missbraucht.
Im Haus der Musik wollen wir die Sinne schärfen, sensibilisieren dafür, was Musik ist, welche Schalter
Musik in uns Menschen umlegen kann.
Ich werde Ihnen nicht unser „Klangmuseum“ im kleinsten Detail präsentieren – bitte kommen Sie
und sehen es sich an, falls Sie es noch nicht kennen – ich möchte Ihnen ein wenig über die Art und
Weise berichten, wie wir unsere Inhalte aufbereiten, wie wir sie unseren Besucherinnen und
Besuchern vermitteln und welche Ziele wir mit unserer Arbeit verfolgen.
Das Haus der Musik versteht sich als Ort der musikalischen Begegnungen, der musikalischen
Erfahrungen, der musikalischen Vermittlung. Mit unseren vielen interaktiven Installationen, die
einzigartig sind, da für uns entwickelt, laden wir zum Anfassen, zum Ausprobieren, zum Erleben ein.
Und hier zeigt sich schon der ganz große Unterschied zum virtuellen Museumsbesuch (zu Hause, am
PC, im Internet). Es geht um das ganzheitliche Erleben mit allen Sinnen. Der immersive, umfassende
Aspekt steht im Vordergrund. „Ich“ als Individuum bin aufgefordert, Anteil zu nehmen, mitzumachen,
meinen Beitrag zu leisten, meinen Fingerabdruck zu hinterlassen. Es kommt auch zu einem
kollektiven Erleben in der Gruppe, als Schulgruppe oder in der Familie. Jeder Mensch freut sich über
Erlebtes mehr, wenn er dies unmittelbar mit anderen teilen kann. Dieses „Teilen“ ist heute auch das
„sharen“ in den Sozialen Medien (facebook, twitter, instagram etc.) Wir sind als Institution seit vielen
Jahren äußerst aktiv in diesem Segment und unsere Besucher nutzen all diese Möglichkeit auch sehr
ausgiebig. Über tatsächliches, reales und physisches Erleben, wird auch intensiver und
enthusiastischer weitererzählt als über virtuelle Erfahrungen. In einem Museum ist es ist das
physische, haptische erleben, das Wahrnehmen eines realen Raumes, der Geruch in diesem Raum,
die Ausleuchtung, der Teppichboden unter den Füßen – und nicht zuletzt das aktive, physische
Begehen der Räume, das Entdecken, das „Eintauchen“ in das Thema, das durch keine 3D-Animation
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oder durch keinen virtuellen Rundgang zur Gänze zu ersetzen ist. Es mag zwar zusätzlich interessant
sein – nie aber ein vollwertiger Ersatz. Dazu möchte ich erläuternd anmerken, dass eine virtuelle
Welt aber keine unrealistische Welt per se sein muss. „Virtuell“ bedeutet nicht zwingend das
Gegenteil von „Real“, es ist aber das Gegenteil von „Physisch“.
Ein solches physischer Erleben ist also sehr schwer zu ersetzen. Vor allem zeitigt es auch einen
effektiveren Lernerfolg. Ein immersives Erleben mit allen Sinnen prägt sich dem Gedächtnis deutlich
stärker ein und ist auch länger abrufbar.
Durch die unterschiedlichsten Arten der Aufbereitung der Inhalte im Haus der Musik versuchen wir
genau diesen Brückenschlag, versuchen wir zu „Übersetzen“. Dazu trägt die Form der Präsentation,
das wechselnde Interior-Designs, die verschiedensten Interaktiven Elemente bei. So kommt keine
Langeweile auf. Die Besucher werden von einem Thema zum nächsten „getragen“, sind immer
wieder aufgefordert sich einzubringen. Jeder Mensch sieht gerne einen unmittelbaren Bezug zum
„Ich“ hergestellt. Es rückt ihn in den Mittelpunkt, es wird „seine“ Geschichte daraus.
Das passiert im Haus der Musik z.B. beim würfeln des „Walzerwürfelspiels“, der Besucher kreiert
seine
persönliche
Walzer-Melodie.
Der
Computer
errechnet
hierbei
aus
1.6
Mio.
Kombinationsmöglichkeiten immer eine andere, stets aber wohlklingende Walzermelodie – das ist
auch der Zauber eines jeden musikalischen Würfelspiels, dass egal in welcher Abfolge die Takte
zusammentreffen, die Melodie immer wohlklingend sein sollte. Auch Haydn oder Mozart haben solch
musikalische Spielereien ersonnen. Dabei war es das Ziel, ein periodisch und gleichförmig
ablaufendes Musikstück zu erzeugen. Somit waren es der Einfachheit halber meist auch Polonaisen
und Walzer mit einem harmonischen und sehr schematischen Aufbau. Ein Original aus dem Nachlass
von Konstanze von Nissen konnte ich einmal in einem privaten Haus in Salzburg sehen und auch
würfeln. Mozart nannte sein Spiel: „Anleitung zum Componieren von Walzern vermittels zweier
Würfel...“ (KV 294d/516f) – dieses wurde allerdings erst 1793, also nach seinem Tod verlegt.
Es passiert im Haus der Musik auch beim „Virtuellen Dirigenten“ - der Besucher dirigiert
höchstpersönlich die Wiener Philharmoniker. Es kann eines von sechs Stücken ausgewählt werden nach einer kurzen Begrüßung und Erklärung durch Maestro Zubin Mehta sieht sich der Besucher den
weltberühmten Wiener Philharmonikern im goldenen Saal des Wiener Musikvereins gegenüber und
darf sich beweisen. Die Musiker reagieren auf Tempo und Intensität des Dirigats und müssen dabei
versuchen schön im Takt zu bleiben. Wenn das gelingt, erheben sich am Ende des Stücks die Musiker
und erweisen dem Maestro ihre Wertschätzung. Aber wehe, wenn zu schnell, zu langsam oder zu
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schlampig dirigiert wird. Dann ist die Geduld des Orchesters enden wollend, sie unterbrechen Ihr
Spiel und es gibt eine verbale Rüge für den Maestro. Diese komplexe und hochtechnische Installation
kommt bei den Besuchern/innen äußerst gut an! Auch die, denen ihr Dirigat misslungen sein mag
freu‘n sich, ein wenig peinlich berührt, über die „Beschimpfung“... und jeder erzählt davon weiter.
Selbstverständlich passiert dieser Fokus auf das „Ich“ des Besuchers auch beim Mozart-Namensspiel
„Namadeus“! So klingt MEIN Name, von Mozart komponiert, in seiner Handschrift zu lesen. Das von
Mozart um 1787 für seine Klavierschülerin Franziska von Jacquin entworfene Musikspiel KV 516f, ist
Mozarts musikalische Vertonung des Alphabets, die sich auf Buchstabenkombinationen in beliebiger
Länge anwenden lässt. (Das Original ist in der Französischen Nationalbibliothek in Paris aufbewahrt).
Namadeus wurde von uns gemeinsam mit der Universität Wien entwickelt. Wenn man sich die
ausgedruckte Version seines Namens mit nach Hause nimmt, findet man dort auch einen Code vor
um auf der HdM-homepage die Komposition erneut abrufen zu können.
Ja und dieses „den Besucher in den Mittelpunkt rücken; den Bezug zum „Ich“ herstellen“, passiert
ganz besonders auch in unserer virto/stage. In zwei technisch identen, baugleichen Mini-Bühnen gilt
es einerseits das Kinderbuch „Zookonzert“ von Marko Simsa virtuell zu erleben und andererseits
einzutauchen in die phantastische, mystische Welt von „Zeitperlen“, einem interaktiven
Musiktheater des Medienkünstlers Johannes Deutsch. Als Besucher beeinflusse ich alleine durch
meine physische Präsenz und Aktion durch meine Bewegungen, den Verlauf der Handlung und der
Musik.
Das alles sind hochkomplexe Installationen, die den Besucher fordern, ihn involvieren und hoffentlich
auch in ihren Bann ziehen. Durch diesen intensiven unmittelbaren und durchaus persönlichen Bezug
ist ein immersives und vor allem erinnerungswürdiges Erlebnis förmlich garantiert.
Einmal mehr der Beweis: die „Kraft der Musik“ wirkt – und sie wirkt nach...
Der Anteil an High-Tech-Installationen und Interaktiven Erlebnissen im Ausstellungsbereich, eines
jeden Museums, muss aber ausgewogen sein. Beim Besucher soll weder das Gefühl eines „Zuwenig“
noch eines „Zuviel“ an Technik entstehen. Er soll eigentlich gar nicht darüber nachdenken müssen,
weil sich die technischen Elemente ganz natürlich in die Ausstellung einfügen.
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Sehr oft wird hier in der Planung eines Ausstellungsbereiches übers Ziel geschossen, der Meinung
seiend, mehr wäre mehr. Dem ist aber nicht so. It's all in the mix! Das gilt auch hier. Am Schlimmsten
wird es dann, wenn wir unsere Besucher ratlos zurücklassen, der Besucher das Gefühl bekommt es
läge an ihm persönlich, dass er mit einer Installation nicht zurechtkommt, nicht weiß wie er sie zu
bedienen hat. Wir wollen doch sicher nicht unseren Besuchern mangelnde Intelligenz unterstellen.
Was bleibt ist möglicherweise ein bitterer Nachgeschmack, ein Frust-Erlebnis und ganz und gar nicht,
was wir bezwecken wollten: Nämlich: Ein erinnerungswürdiges, persönliches Erfolgserlebnis; dem
Besucher einen Aha-Effekt, ein Schmunzeln zu schenken.
Ich kann Ihnen aus meiner persönlichen Erfahrungen berichten, dass ein solcher durchaus
folgenschwerer Fehler bei der Neu-Gestaltung des Chopin-Museums in Warschau gemacht wurde. In
meiner Funktion als einer der Direktoren des Advisory Boards des Nationalen Chopin Instituts in
Polen, war ich auch Teil der Jury um aus rund 30 internationalen Einreichungen das beste Projekt für
das Chopin-Museum „Neu“ auszuwählen. Im Gedenkjahr 2010 (200. Geburtstag) sollte im
historischen Ostrogski-Palast in Zentrum von Warschau das Museum für Polens „National-Heiligen“
Chopin in neuem Glanz eröffnet werden. Man wollte der Welt zeigen, wozu man im Stande ist und
wie man ein Museum absolut zeitgemäß und state-of-the-art umsetzen kann. Es gab ein
außerordentlich großzügiges Budget für die Realisierung. Es hat mich daher wenig erstaunt, dass die
mehrheitlich polnische Jury, sich für ein hyper-modernes Konzept einer italienischen Einreichungen
entschieden hat. Ich wurde überstimmt – und das einzige andere Jury-Mitglied, das gegen dieses
Projekt war, war der polnische Regisseur und Oskar-Gewinner Andrzej Wajda, er war sogar für das
selbe Projekt, für das auch ich war – eine polnische Einreichung. Alle Einreichungen waren damals für
die Bewertung natürlich anonymisiert.
Dieses italienische Gewinner-Projekt strotzte von modernster Technik und interaktiven Elementen!
Soweit das Auge reichte... Computer, screens, Projektionen, modernster, kühler durchgestylter
Auftritt, einfach chick... Aber einerseits leider am Thema vorbeigeschrammt, die „Seele“ Chopins
nicht eingefangen - und andererseits einfach viel zu viel an fehleranfälliger Technik. Der Besucher ist
mehr als überfordert (overwhelmed). Und heute, vier Jahre später sind die Probleme im operativen
Betrieb leider entsprechend mannigfaltig. Hier wäre weniger definitiv mehr gewesen.
Die Technik ist Mittel zum Zweck, es ist unser Verbindungsglied zwischen Inhalt und Rezipient. Sie
muss dezent in den Hintergrund treten, stets verfügbar sein, sprich: funktionieren. Es soll auch für
den Besucher nicht offensichtlich sein, wie alt oder aktuell die zum Einsatz kommende Technik ist.
Das sollte ebenso nicht von Relevanz sein. Es wäre auch gar nicht möglich mit den Hightech-
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Endgeräten aus der Consumer-Electronic mithalten zu können, wo fast im Halbjahres-Takt ein neues
Modell das Alte ersetzt. Wir verstehen uns als „Inhalts-gesteuerte“ oder besser im Englischen als
„Content driven“ Institution.
In unserer pädagogischen Vermittlungsarbeit gehen wir bei allen Inhalten deutlich in die Tiefe.
Ausgehend von der sehr anschaulichen, spielerisch erlebbaren, leichtfüßigen „Oberfläche“, tauchen
wir ein in die Details des jeweiligen Themas, hinterfragen, analysieren und „übersetzen“ Komplexe
Inhalte und machen sie besser verständlich. Auch scheinbar simple und spielerische Installationen
verfügen über TIEFE. Es ist am Besucher selbst gelegen, je nach Interesse, Vorbildung oder auch ZeitBudget, wie tief er oder sie in die Materie eintauchen möchten. Speziell die Touch-Screens die in
unseren Komponisten-Räumen Inhalte über das Leben und Wirken der Komponisten vermitteln.
Übersichtlich gestaltet, in konsumierbaren Happen aufbereitet, kann man sich hier intensiver mit
dem jeweiligen Komponisten auseinandersetzen. Ich wurde manchmal schon gefragt, warum wir
diese Screens nicht online haben, sprich keine Verbindung ins www, damit sich Besucher noch mehr
Informationen zum Komponisten holen können – über Wikipedia z.B. Zum einen kann ich Ihnen
versichern, sie werden auf Wikipedia kaum mehr Informationen zum Komponisten vorfinden aber
vor allem – was soll das bewirken? Nicht nur würden wir massiv von unserer Präsentation ablenken,
es konterkariert auch unser Konzept. Die Informationen über den jeweiligen Komponisten sind rund
30 A-4 Seiten umfangreich – ich bin der Meinung, dass das mehr als ausreicht, in das Leben und
Wirken von z.B. Joseph Haydn „hineinzuschnuppern“. Wir sind keine Einrichtung für „HaydnForscher“! Wenn wir Besucher so sehr auf den „Geschmack“ gebracht haben, sich mit Haydn noch
intensiver auseinandersetzen zu wollen, dann wird der Besucher das ganz sicher zu Hause oder
anderswo fortsetzen. Er fährt vielleicht ins Haydn-Haus in Wien oder nach Eisenstadt oder ins
Geburtshaus nach Rohrau, wer weiß... und wir freuen uns sehr darüber, wieder einen Menschen
mehr näher und intensiver an ein musikalisches Thema gebracht zu haben.
In den Räumlichkeiten im Haus präsentieren wir ergänzend immer wieder auch zeitgenössische
bildende Kunst, Skulpturen, Bilder, Objekte, die immer auch in einem Zusammenhang mit der Musik
oder dem jeweiligen Komponisten stehen. Ein gigantischer Teppichboden mit über 750qm setzt die
großen Meister der Wiener Klassik in der dritten Etage in ein ganz neues Spannungsverhältnis – lässt
diese in einem anderen Licht erscheinen. Hier wollen wir interdisziplinäres Denken fördern –
Zusammenhänge sollen erkannt, herausgearbeitet werden. Ein „vernetzteres“ Denken soll gefördert
werden. Selbst bei den Biographien der Komponisten haben wir, ergänzend, wichtige historische
Ereignisse aus Ihrem Leben eingeflochten (Geschichte, Religion, bildende Kunst) um auch hier
interdisziplinäres Denken anzuregen.
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Musikbeispiel: „Living la Vida Loca“ (2'20''!!)
Wieder so ein ganz und gar nicht passendes Musikstück!!! Sagt wer?
Mir gefällt es – und das ist alles was zählt. Für mich war es genau das richtige in diesem Moment!
Oder? Meine ich das wirklich ernst? Habe ich mir dabei etwas gedacht? Könnte ich doch, oder? Was
hat dieser seichte Pop-Song des Latino-Sängers Ricky Martin aus dem Jahr 1999 mit unserem Thema
zu tun? Die Antwort ist denkbar einfach: Alles! Alles hat er damit zu tun!
Ich bin ein sehr toleranter Mensch. Das einzige was ich jedoch nicht zu tolerieren bereit bin, ist
Intoleranz! Also, tolerieren Sie es, wenn jemand diesen Song liebt – auch wenn Sie es nicht
goutieren...
Dieses unser Konzept im Haus der Musik, musikalische Inhalte auf die Art und Weise zu präsentieren
und zu vermitteln wie wir es eben praktizieren, findet erfreulicherweise auch international großen
Anklang. Das Interesse ist in den letzten Jahren derart gestiegen, dass man mehrfach an uns
herangetreten ist, unser System analysiert hat, Beratungsleistung von uns erbeten hat etc. Nebst
meiner Aufgabe für das Nationale Chopin Institut in Polen habe ich auch am größten
Musikinstrumente Museum der Welt (the MIM in Phoenix, Arizona) aktiv als Konsulent
mitgearbeitet. Besonders erfreut war ich aber, als Mexico an uns herangetreten ist und uns ein sehr
seriöses Angebot unterbreitet hat. Nach Prüfung dieser Absichten unsererseits, waren wir bereit,
über eine Zusammenarbeit in Form einer Lizenzvereinbarung in Verhandlungen zu treten. Eigentlich
fast ein Franchise-Modell. So haben wir im Sommer 2013 einen Vertrag für ein „Casa de la Música
Viena“
unterzeichnet. In der mexikanischen Millionenstadt Puebla entsteht in einem
denkmalgeschützten Gebäude, einer ehemaligen Textilfabrik von 1831, unsere Wiener Institution,
beinahe in einer 1:1 Kopie. Sämtliche Inhalte werden übernommen, unsere Installationen,
Instrumente, Gegenstände, Objekte, Faksimile von Autographen etc. Das gesamte, Corporate Design
sowie auch das Interior-Design stammt von uns. Die mexikanischen Partner finanzieren alles und
zahlen uns eine Lizenzgebühr für die Rechte an unseren Entwicklungen und Inhalten. Die Eröffnung
erfolgt bereits jetzt, Anfang Jänner 2015.
Seit einer Woche besteht eine enge Zusammenarbeit mit der Lang Lang International Music
Foundation mit Sitz in New York. Das Haus der Musik ist der offizielle Partner und Botschafter der LLF in Österreich. In unser beider Namen werden wir hier versuchen über akkordierte Aktivitäten
Menschen und vor allem Kinder näher an die Musik heranzuführen bzw. auch Musik näher an die
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Menschen zu bringen. Die Projekte werden gemeinsam festgelegt, die entsprechenden Sponsoren
aus der Wirtschaft von uns gesucht und dann umgesetzt.
Im Haus der Musik haben wir zum Auftakt dieser Kooperation letzte Woche auch unsere neue GroßInstallation eröffnet, eine musikalische Treppe namens „Stairplay“. Hierbei handelt es sich nicht
„nur“ um ein Spiel, sondern auch um eine Installation, die zugleich ein fundamentales
Notenvermittlungskonzept beinhaltet und vermittelt, dass von Herrn Dr. Hubert Gruber entwickelt
wurde. An dieser Treppe werden wir, als eine der Aktivitäten mit der LL-F, ausgewählten
Schülergruppen entsprechend geführte Unterrichtseinheiten vermitteln – gratis.
Mit solchen und ähnlichen Aktivitäten und Innovationen, wollen wir unseren Stellenwert in der Welt
der Musikvermittlung unterstreichen – wollen mehr Aufmerksamkeit auf das Thema Musik und
dessen Bedeutung lenken. Wir werden auch nicht aufhören, uns weiterzuentwickeln und uns immer
wieder neue Dinge einfallen zu lassen – und immer wieder neu zu erfinden. Diese Botschaft wollen
wir verstärkt auch in die Welt hinaustragen und überlegen daher derzeit gerade, wo nach Mexico,
das nächste HdM entstehen wird können.
Nicht zuletzt sind für uns im Haus auch unser Veranstaltungen und Programme von großer
Bedeutung. Mehr als 200 Kinderführungen im Jahr, mindestens 40 Kinderkonzerte und Kindertheater
pro Jahr, Konzerte aus dem Bereich „Singer Songwriter“, Klassik-Künstlergespräche und natürlich
noch rund 200 Vermietungen pro Jahr, viele davon an Partner aus der Welt der Musik – all das belebt
das Haus, macht es zu einem pulsierenden Ort der Musikalischen Vermittlung, Begegnung und
musikalischen Ermöglichung!
Erfreulich ist für uns der Umstand, dass wir für unsere Aktivitäten auch starke und wichtige
unterstützende Partner zur Seite haben, die auch nicht müde werden, gebetsmühlenartig, speziell
der Politik gegenüber, die Bedeutung von musikalischer Erziehung herauszustreichen. Wir gehören
zu 100% zur Wien-Holding, dem Unternehmensverbund der Stadt Wien. Zu unseren wichtigen
Partnern zählen unter anderem die Wiener Philharmoniker mit dem ehem. und dem neuen
Vorstand, dazu gehört unser Ehrenpräsident Zubin Mehta und viele andere Künstler/innen aus
unterschiedlichen Bereichen, denen auch die Arbeit unserer Institution sehr am Herzen liegt.
Musikbeispiel: Song „Jealous Guy“ (2'40''!!)
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Das war Littly Jimmy Scott heuer im Juni im Alter von 88 Jahren verstorben mit einer Cover Version
von John Lennons „Jealous Guy“ - aus 1998 (Original 1971)
Ich habe Ihnen heute ganz unterschiedliche musikalische Beispiele gebracht. Gerade so, als hätte ich
mich eines Zufallsgenerators bedient. Und das war auch pure Absicht. Ich wollte mit den
Musikstücken nichts bestimmtes aussagen oder bezwecken – ihnen aber einmal mehr deutlich
machen, das es fast unendlich viel Musik für jeden Geschmack und jede Situation gibt. Eine
Schätzung meint, dass bis heute zwischen 750 Millionen und einer Milliarde Musikstücke entstanden
sind und der Zähler läuft weiter. Da könnten wir für die nächsten 5.000 Jahre Tag und Nacht Musik
hören und nie dasselbe Stücke zweimal!!!
Unterstreicht das nicht sehr, sehr eindrucksvoll die Bedeutung von Musik für uns Menschen?!?
Was also ist Musik? Ich habe für mich eine ganz eigene Definitionen gefunden sozusagen meine
eigene Übersetzung.
Bei der Vorbereitung für einen Vortrag letztes Jahr in Amerika ist mir tatsächlich aus heiterem
Himmel folgender Satz „zugeflogen“ - und zwar auf Englisch - und im Englischen ist er auch
besonders passend:
„Music is the manifestation of the ever growing love for mankind“
(„Musik ist die Offenbarung der niemals enden wollenden Liebe für die Menschheit“)
Simon Posch, November 2013
Das wäre doch zu wünschen und dem ist aus meiner Sicht auch nichts hinzuzufügen.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!