Reaktionen zur PM
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Reaktionen zur PM „Thilo Sarrazin hat grundlegende genetische Zusammenhänge falsch verstanden“ 10. September 2010 Zu unserer Pressemeldung haben uns sehr viele Zuschriften erreicht, die wir nicht in einzelnen beantworten konnten. Hier findet sich eine Zusammenstellung von Fragen verschiedener Autoren die anonym bleiben sollen. Die Antworten sind von Prof. Tautz, Präsident des VBIO, verfasst worden. Generell sollte betont werden, dass die Pressemeldung der Versuch war, die Stimme der Wissenschaft in die überbordende Diskussion zu bringen. Es ging dabei nicht um eine 1:1 Beantwortung von Thesen von Herrn Sarrazin (oder anderen Kommentatoren), sondern um eine grundsätzliche Darstellung der neuesten Erkenntnisse der molekularen Evolutionsforschung beim Menschen. Viele der Fragen haben uns gezeigt, wie schwierig es ist, die Zusammenhänge ohne detaillierte Fachkenntnisse zu durchblicken. Es wird da sehr viel durcheinander gebracht. Das ist aber keine Kritik an den Fragern, sondern zeigt einfach, dass die Materie komplex ist. Wenn jemand öffentliche Aussagen mit politischen Denkanstößen zu solchen Zusammenhängen machen möchte, dann kann er nicht umhin, vorher Fachleute zu fragen, ob die Schlussfolgerungen auch richtig sind. Die Fragen sind nach folgenden Themen sortiert: • Evolution des Menschen • Genetische Identität von Gruppen • Intelligenz • Genetische Merkmale der Juden – „Juden-Gen“ • Statistik -1- 1. Evolution des Menschen: • Wie grenzt man die erste Menschenpopulation zeitlich von den Vorgängerprimaten ab? Die unmittelbaren Vorgänger des Menschen waren nicht Primaten, sondern Vorformen, die aber alle inzwischen ausgestorben sind. Der Zeitpunkt der Entstehung des heutigen Menschen wird durch Fossilien belegt, kann aber auch durch statistische Analyse heutiger DNA Sequenzen zurück gerechnet werden. • Sie machen sogar eine evolutionsbiologische Anpassung an die kulturelle Errungenschaft der Milchverarbeitung aus. Ist es nicht ebenso möglich, dass die Laktosetoleranz Voraussetzung für die kulturelle Entwicklung der Milchverarbeitung war? Kann die Genvariante für Laktosetoleranz nicht zufällig benachbart zu anderen Genen gelegen haben, die einer Selektion unterlagen? Die kulturelle Errungenschaft der Milchverarbeitung (bzw. Nutzung) war nur mit Hilfe der Genvariante möglich, die den Verdau des Milchzuckers bei Erwachsenen erlaubt. Die Genvariante gehört zu den besonders intensiv untersuchten Genregionen, so dass dort der Effekt eines benachbarten Gens ausgeschlossen werden kann grundsätzlich wäre dies aber möglich und dies ist auch ein generelles Problem bei allen Studien zur genetischen Basis von spezifischen Anpassungen. • Hat die Erhaltung des kompletten Genpools eine höhere Priorität in der Evolution des Menschen, als die Umweltanpassung? Unabhängig von Anpassungen gibt es grundsätzlich keine evolutionsbiologische Priorität für die Erhaltung eines Genpools. • In dem Artikel geht es um eine Gründerpopulation von 50.000 Individuen. Ist diese Argumentation nicht schlicht irrelevant, weil letztendlich evolutionstechnisch der 'Artenstammbaum' immer mehr diversifiziert? Es ist eine der wichtigsten Einsichten der modernen Evolutionsforschung beim Menschen, dass der Genpool in der Tat außerordentlich gering diversifiziert ist, deutlich weniger als z.B. bei Schimpansen oder Gorillas. -2- 2. Genetische Identität von Gruppen: • Bei Japanern gibt es genetische Anpassungen in der Darmflora? Das interessiert mich als Mikrobiologe, ist bei Japanern die Darmflora im Genom verankert? Wird der Darm von Japanern nicht postnatal besiedelt? Die Darmflora wird bei allen Menschen postnatal besiedelt, aber dennoch hat jeder Mensch eine für ihn charakteristische Flora, die sich offenbar auch über seine Lebenszeit hin gesehen erhält und nur durch Krankheiten verändert wird. Da liegt der Verdacht nahe, dass es genetische Faktoren gibt, die das beeinflussen, wobei das aber Gegenstand aktiver Forschung ist. Insofern war das Beispiel in unserem Text nicht ganz glücklich gewählt, weil man in diesem Fall die genetische Prädisposition für die Erhaltung dieses speziellen Bakteriums im Darm zwar postulieren kann, diese aber noch nicht gezeigt ist. Bisher ist nur gezeigt, dass es dieses spezielle Bakterium bei Japanern, aber nicht bei Nordamerikanern gibt (genauere Daten sind in nächster Zeit zu erwarten). • Um es mal auf den Punkt zu bringen: Würden Sie die Frage, nach einer genetischen Identität von Volksgruppen (die nach Sarrazin eine kulturelle Identität haben) mit Ja oder Nein beantworten? Eine einfache Ja/Nein Antwort auf diese Frage ist nur möglich, wenn man gleichzeitig eine Definition für "genetische Identität" gibt. Wenn man "genetische Identität" mit genetischen Eigenschaften gleichsetzt, lautet die Antwort in den meisten Fällen* "Nein", wenn man "genetische Identität" mit statistischer Zugehörigkeit gleichsetzt lautet sie "Ja". Ein pauschale Gleichsetzung von "genetischer Identität" und "kultureller Identität" ist nicht möglich - so kann man z.B. in Island mehrere Gruppen mit unterschiedlicher genetischer Identität (im Sinne statistischer Zugehörigkeit) unterscheiden, kulturell gelten diese aber nicht als unterschiedlich. *Bei Menschen, die auf dem Tibetischen Hochplateau leben, wurde kürzlich eine spezielle genetische Anpassung an die niedrigen Sauerstoffkonzentrationen beschrieben • Ist die genetische Grundausstattung in allen zufällig zusammen gewürfelten Populationen ausreichender Größe vorhanden oder gibt es Unterschiede wie die von Ihnen benannten Beispiele? Sie sagen, es gäbe doch einige wenige funktionale Genregionen in denen sich Menschengruppen unterscheiden - ja was ist denn nun richtig? Die Unterschiede betreffen nicht die genetische Grundausstattung (also die Gene), sondern nur die relative Häufigkeit der Genvarianten (technischer Begriff: Allele). Im Vergleich zu dem enormen technischen Aufwand, der betrieben wurde, um funktionale Unterschiede zwischen Volksgruppen zu finden, sind tatsächlich bisher nur sehr wenige (ca. 20) funktionale Genregionen gefunden worden, bei denen man davon ausgehen kann, dass spezielle Anpassungen damit verbunden sind. -3- • Wenn ich die folgenden Erläuterungen in einem Nature Artikel richtig verstanden haben, dann ist der Effekt außerordentlich groß. "This quantitative phenotype differs significantly between European-derived and Asian-derived populations for 1,097 of 4,197 genes tested. For the phenotypes with the strongest evidence of cis determinants, most of the variation is due to allele frequency differences at cis-linked regulators. The results show that specific genetic variation among populations contributes appreciably to differences in gene expression phenotypes." http://www.nature.com/ng/journal/v39/n2/abs/ng1955.html Wie passt das Ergebnis in diesem Artikel, mit den Schlüssen aus Ihrer Stellungnahme zusammen? Hier handelt es sich um eine von vielen Arbeiten, in der auf der Basis von sehr komplexen Daten allgemeine statistische Aussagen zu Bevölkerungsunterschieden gemacht werden. Die Arbeit enthält aber keine Hinweise darauf, dass diese Unterschiede funktional sind. In der Tat gibt es mehrere Studien, die zeigen, dass Veränderungen von Genexpressionen den Gesetzen neutraler Evolutionsmechanismen folgen. • „In den nicht kodierenden Abschnitten kommt es häufiger zu spontanen Änderungen und auf solche Abschnitte bezog sich ja Herr Sarrazin in seiner Aussage mit Bezug auf entsprechende wissenschaftliche Publikationen. Verstehe ich Ihre Ausführungen an dieser Stelle richtig, dass es sich bei den Darstellungen von Herrn Sarrazin um eine unsaubere (falsche) Nomenklatur handelt, da er von "einem Gen" spricht. Sie würden dagegen die Aussage stützen, wenn er sich auf Unterschiede zwischen Volksgruppen im Bereich neutraler Genmarker bezogen hätte?“ Dies ist in der Tat der grundsätzliche Punkt, warum wir gesagt haben, dass Herr Sarrazin (und andere Kommentatoren) Grundsätzliches nicht verstanden hat. Dabei geht es auch um mehr als "nur" falsche Nomenklatur. Der Begriff "Gen" wird in der allgemeinen Bevölkerung mit "vererbbarer Eigenschaft" gleichgesetzt und das ist es auch, was Sarrazin offenbar implizit damit meint. Mit neutralen Genmarkern sind hingegen keine Eigenschaften verbunden. Weiterhin sind die meisten Unterschiede zwischen Volksgruppen nur statistisch zu fassen, wenn man eine große Anzahl an neutralen Markern miteinander vergleicht. Es gibt eben kein "Gen" einer Volksgruppe*, sondern nur unterschiedliche Häufigkeiten von Varianten. *dass Herr Sarrazin spezifisch seine Aussage zum "Juden-Gen" zurück gezogen hat, aber stattdessen angemerkt hat, er hätte auch "Basken" oder "Ostfriesen" sagen können, belegt ja besonders gut, dass er die grundsätzlichen Zusammenhänge nicht richtig eingeschätzt hat - denn keine dieser Gruppen hat ein "Gen" für sich. -4- 3. Intelligenz: Zur Erblichkeit von Intelligenz: • Die Diskussion der Feuilleton-Genetiker entzündet sich ja an der Frage, ob Intelligenz überhaupt erblich ist. Während Herr Sarrazin von einem erblichen Anteil von 50 bis 80% ausgeht, werden alle möglichen niedrigeren Werte bis zu 0% kolportiert. Ist das eine müßige Debatte? Ist die Erblichkeit von Intelligenz messbar? Selbstverständlich spielt die Genetik in alle Eigenschaften des Menschen hinein, inklusive der "Intelligenz". Allerdings gehört "Intelligenz" zu einer der am wenigsten fassbaren Eigenschaften, weil es dafür noch nicht mal eine einheitliche Definition gibt. Und was man nicht klar definieren kann, kann man auch nicht klar messen. Sicher ist aber, dass es sich um eine polygenische Eigenschaft handeln muss (wäre dies nicht der Fall, könnte man sie mit den einfachen Mendelschen Regeln beschreiben). Polygenische Eigenschaften, wie z.B. auch die Größe, werden von vielen Genvarianten gleichzeitig beeinflusst, wobei sich die Wissenschaft noch nicht einmal sicher ist, ob dies in einfacher additiver Art und Weise der Fall ist, oder ob es komplexe Interaktionen zwischen den Varianten (Epistasis) gibt. Wenn eine Eigenschaft, die polygenisch bedingt ist, eindeutig gemessen werden kann, dann können auch Genvarianten, die sie beeinflussen entdeckt werden. Z.B. ist es im Falle der Eigenschaft "Lebensalter" durch aufwändige Vergleiche von über 100-jährigen mit Menschen, die in jüngerem Alter gestorben sind, gelungen, einige korrelierte Genvarianten zu entdecken. Dies sind aber keine "Altersgene", sondern beeinflussen als Variante nur wenige Prozent der Eigenschaft "Alter" und es ist auch völlig unklar in welcher Kombination mit anderen Varianten sie das tun. Im Falle der "Intelligenz" ist man noch nicht einmal an diesem Punkt. Daher ist es völlig verfehlt, aus der Aussage "Intelligenz hat eine genetische Grundlage", konkrete Vorhersagen über die Vererblichkeit zwischen oder innerhalb von Volksgruppen zu machen. • „Ich habe eine Frage bezüglich der Vererbung von Intelligenz. Im Artikel wird erwähnt, dass sich der Teil der Intelligenz, der vererbt wird, immer wieder neu zusammenwürfelt. Kann man abschätzen, wie viel Prozent der Intelligenz eines Individuums genetisch bedingt und wie viel Prozent durch Erfahrungen und Lebensweise "erlangt" wird? Und wie verhält es sich bei sozialer oder emotionaler Intelligenz?“ Es gibt diverse solche Abschätzungen und alle haben immer auch eine nichtgenetische Komponente erbracht, d.h. es gibt einen Umwelt (bzw. Kultur) Einfluss. Die hier gebrauchten Stichworte "soziale Intelligenz" und "emotionale Intelligenz" belegen zudem deutlich, dass es nicht möglich ist, mit Zahlen zu hantieren, wenn noch nicht mal klar ist, über was genau man eigentlich spricht. -5- Bildung und Intelligenz: • „Warum geht die einleuchtende Rechnung nicht auf: Reproduktionsrate der 'gebildeten' Menschen = QG Reproduktionsrate der 'ungebildeten' Menschen = QU QG > QU = Zunahme der Gesamtintelligenz Für mich klingt die Rechnung erstmal sehr einleuchtend und ich denke auch, dass mit steigender Intelligenz die Bereitschaft zu lernen steigt, oder denken Sie, dass Bildungs-Stand und Intelligenz in Deutschland voneinander trennbar sind?“ Diese Frage steht stellvertretend für viele ähnliche Kommentare, u.a. auch in einschlägigen Blogs. Offenbar denken viele, dass es sich hier um eine der grundsätzlich richtigen Kernthesen in Sarrazins Buch handelt. Allerdings täuscht hier die Intuition scheinbar einfacher Zusammenhänge. Das Problem, das hier zu nicht-intuitiven Konsequenzen führt, ist die genetische Rekombination. In jeder Generation werden ja die mütterlichen und väterlichen Genvarianten neu gemischt, d.h. rekombiniert. Daraus ergibt sich insbesondere im Zusammenhang mit komplexen Merkmalen eine vielschichtige genetische Dynamik, die auch für Spezialisten nicht einfach durchschaubar ist, ja in ihrem Kern sogar ungelöst ist. Um eine Ahnung für die Komplexität der Frage zu geben, muss ich etwas weiter ausholen: Nehmen wir an, wir hätten eine Population Gazellen und eine Population Zebras, die um die gleiche ökologische Ressource konkurrieren. In so einer Konkurrenzsituation wäre die Reproduktionsrate in der Tat ein wichtiger Faktor, der die relative Häufigkeit der Gruppen mitbestimmt. Wenn es sich bei den Populationen aber um Rassen der Gazelle handelt (sagen wir gestreifte versus nicht-gestreifte) dann wird die Populationsdynamik wesentlich komplizierter. Warum? Weil beide Rassen zu einer Art gehören und sich untereinander paaren können, wobei es zur Rekombination, einer Neumischung, des Genmaterials kommt. Nun könnte man fragen, was passiert, wenn sich nur die gestreiften untereinander und ebenso auch nur die nichtgestreiften untereinander paaren? Wenn das zu 100% der Fall wäre, dann wären sie de facto verschiedene Arten. Aber jetzt kommt das Erstaunliche und auch Nichtintuitive: wenn es nur zu 1% "Fehlpaarungen" (gestreift mit nicht-gestreift) pro Generation kommt, dann gleichen sich die Genpools auf Dauer gegeneinander aus und das Entstehen neuer Arten wird verhindert. Diesen Zusammenhang kennt man seit den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts und er beschäftigt die Evolutionsbiologen bis heute, da dies die größte Hürde für die Entstehung neuer Spezies ist. Wenn Gruppen im gleichen Areal leben, ist der Ausgleich von Genpools wahrscheinlicher, als die Trennung. Wissenschaftlich formuliert heißt die Frage: "Welche Faktoren können in einer sympatrisch (im gleichen Areal) lebenden Population zu Allelfrequenzverschiebungen oder Strukturierung der Population beitragen?" Es handelt sich hier um eines der aktivsten Forschungsfelder der Evolutionsbiologie, mit dem sich u.a. auch meine Gruppe beschäftigt. Wir gehören dabei zu den Forschern, die eine besonders progressive Haltung einnehmen, in der angenommen wird, dass es Kombinationen von Faktoren gibt, bei denen es schon in wenigen hundert Generationen zu signifikanten genetischen Konsequenzen innerhalb von Populationen kommen kann. Der wichtigste Auslöser dafür ist die potentielle Nutzung unterschiedlicher ökologischer Ressourcen, aber auch noch eine Kombination weiterer Faktoren. -6- Dies ist der Hintergrund, vor dem man seine intuitiven Annahmen überprüfen sollte, wenn man über Genfrequenzverschiebungen in Populationen spekulieren möchte. Aber jetzt zur konkreten Antwort: es gibt keinen einfachen Zusammenhang zwischen Reproduktionsrate einer Bevölkerungsgruppe und Veränderungen der Frequenz von Genvarianten, insbesondere nicht im Kontext komplexer Merkmale und nur weniger Generationen. Wenn man vor diesem Hintergrund zu dem Schluss kommt, dass sich die durchschnittliche "Intelligenz" auf Grund unterschiedlicher Reproduktionsraten kurzfristig verschieben könnte, dann entbehrt das jeglicher wissenschaftlicher Grundlage. Epigenetik und Intelligenz: • Im Spiegel konnte ich lesen, dass die Erfahrungen des Lebens auf das Erbgut einwirken. Wer seine Intelligenz stimuliert, stimuliert so seine Intelligenzgene und kann sie an seine Kinder weitergeben. Stimmt das? Und ist es so möglich, dass dieser Effekt über mehrere Generationen hinweg die gesamte Intelligenzspanne von unten nach oben durchschreiten kann? Wenn von einer Erblichkeit der Intelligenz gesprochen wird, sind dann eher die Gene oder eher die Epigenetik der entscheidende Faktor? Obwohl die molekularen Mechanismen der epigenetischen Vererbung sehr gut entschlüsselt sind, gibt es in Bezug auf die tatsächlichen Einflüsse der Umwelt auf Eigenschaften der Nachkommen bisher nur sehr spärliche Daten. Gut kontrollierte Experimente, in denen solche Zusammenhänge gezeigt werden könnten, sind kompliziert (und beim Menschen auch gar nicht durchführbar). Das meiste was dazu in der populärwissenschaftlichen Literatur geschrieben wird, ist daher bisher nur spekulativ. Inzucht und Intelligenz: • Angenommen, durch Inzucht in Alpentälern entsteht ein behindertes Kind, das an Trisomie-21 leidet und dessen Intelligenzquotienten man getrost als sehr gering einstufen kann. Frage: Wie hoch (in Prozent bzw. ganzen Zahlen) ist der Genunterschied des Kindes zu normalen, gesunden Menschen? Trisomie-21 hat nichts mit Inzucht zu tun - hier handelt es sich um eine Falschverteilung von Chromosomen nach der Zellteilung, die in jeder Bevölkerungsgruppe mit gleicher Wahrscheinlichkeit vorkommt (wobei dies aber altersabhängig ist). Dementsprechend kann man auch keinen einfachen prozentualen Unterschied zu normalen Menschen angeben - denn auch bei Trisomie-21 sind keine neuen Gene entstanden oder verändert, es gibt nur zu viele von denen, die auf Chromosom 21 sitzen. -7- • Wenn Inzucht einen erheblichen Einfluss auf die Intelligenz hat, ist dann nicht davon auszugehen, dass Intelligenz zu einem großen Teil erblich ist? Inzucht kann auf alle Eigenschaften einen Einfluss haben. Der Effekt entsteht folgendermaßen: jeder Mensch bekommt ja je eine Genvariante von Vater und Mutter vererbt. Manche dieser Genvarianten sind aber nicht-funktional. Diese nichtfunktionalen Varianten haben meist keinen Einfluss auf Eigenschaften, solange eine zweite funktionale Genvariante vorhanden ist. Durch Inzucht erhöht sich nun die Wahrscheinlichkeit, dass ein Nachkomme zweimal die gleiche nicht-funktionale Genvariante vererbt bekommt. Dann kommt es zu negativen Effekten, in der Regel als genetische Krankheit ausgeprägt. Aus solchen Gendefekten kann man aber meist nicht direkt auf genaue Funktionen des Gens für komplexe Eigenschaften, wie etwa Intelligenz schließen. 4. Genetische Merkmale der Juden – „Juden-Gen“ • In der Jüdischen Allgemeinem vom 17. Juni 2010 wurde auf eine Studie der New York University verwiesen, die das Erbgut von Juden und Nicht-Juden verglichen hat. Zitat: "Die Forscher untersuchten nicht das gesamte Erbgut, sondern vor allem besonders charakteristische Stücke der DNA, sogenannte SNPs (single nucleotide polymorphisms, gesprochen »Snips«). Jeder SNP steht für eine Variation in der DNA, die in manchen Volksgruppen häufiger vorkommt als in anderen." Das Ergebnis lautete: "Die Studie stützt die Idee eines jüdischen Volkes mit gemeinsamer genetischer Historie." Den gesamten Beitrag finden Sie hier: http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/7637/highlight/Abrahams …..Von einem jüdischen Bekannten weiß ich darüber hinaus, dass die Idee eines "genetischen roten Fadens" in Israel eine gewisse Popularität hat, da sie als identitätsstiftendes Merkmal verstanden wird. Das Zitat ist weitgehend richtig, aber dennoch etwas missverständlich. Wenn SNPs als "..besonders charakteristische Stücke der DNA..." bezeichnet werden, dann ist damit nicht gemeint, dass mit ihnen auch bestimmte Eigenschaften verbunden sind, sondern dass sie sich besonders gut als neutrale Marker für die statistische Analyse eignen. Die entscheidende Aussage ist daher auch "..die in manchen Volksgruppen häufiger vorkommt als in anderen." Das verweist darauf, dass es sich um statistische Zusammenhänge handelt und eben nicht um ein bestimmtes Gen. Das "Identitätsstiftende" ist dabei, dass die statistischen Daten nahe legen, dass selbst die beiden großen kulturell unterschiedlichen Gruppen von Juden doch einen gemeinsamen Populationsursprung hatten, was manche Historiker bezweifelt hatten. Interessanterweise ist dies daher gleichzeitig eines der Beispiele, wo sich trotz genetischer Zusammengehörigkeit unterschiedliche Kulturen entwickelt haben. -8- 5. Statistik: • Wissenschaftlich formuliert: die Varianz innerhalb der Gruppe übersteigt die Unterschiede zwischen Gruppen bei weitem (Zitat Pressemeldung) “Aus der letzten Aussage folgt meiner Ansicht nach, statistisch gesehen, nicht die Aussage des ersten Satzes, obwohl die Formulierungen nahe legen, dass dies der Fall sei. Ich möchte ein hypothetisches Beispiel anführen - nicht weil ich denke, dass darin für Sie neue Erkenntnisse liegen könnten, sondern um zu beschreiben, welcher anschauliche Gedanke dem obigen Zitat zuwiderläuft. Wenn man anstelle der Intelligenz einmal die, leichter messbare, Körperhöhe betrachtet (und dabei unterstellt, dass diese ausschließlich genetisch bedingt ist - was natürlich nicht stimmt, da auch die Ernaehrung und diverse andere Umweltfaktoren mit hineinspielen). Dann kann man zwei Gruppen, z.B. Niederländer und Chinesen, betrachten und komplett vermessen. Die Häufigkeitsverteilung der verschiedenen Größen dürften dann wohl eine Art Glockenkurve ergeben, da die meisten Menschen ähnlich groß sind, es aber auch in beide Richtungen Ausreißer gibt. Jede der beiden Kurven für sich wird eine hohe Varianz besitzen, so dass das Intervall, in dem 99% der Menschen liegen, vielleicht in beiden Fällen 40 cm umfasst. Angenommen jedoch der Median und/oder Mittelwert liegt bei den Niederländern 2 cm höher, als bei den Chinesen. Dann wäre es aufgrund der großen Stichprobe doch durchaus richtig zu sagen, dass Niederländer signifikant größer sind als Chinesen, unabhängig davon, dass die üblichen Unterschiede innerhalb beider Gruppen 20 Mal so groß sind, wie der Unterschied zwischen den Gruppen. Oder mache ich da jetzt einen Denkfehler? Diese statistische Betrachtungsweise ist vollkommen richtig und entspricht auch genau dem, was die Genetiker messen. Für die Frage "Wie unterschiedlich sind Populationsgruppen?" wird genau dieser Vergleich herangezogen: "Ist der durchschnittliche Unterschied größer oder kleiner als die Varianz innerhalb der Gruppen?" Wenn er größer ist, dann hat man meist ein gutes Argument dass es sich um unterschiedliche Spezies oder Subspezies oder Rassen handeln könnte (auch wenn das nie das einzige Argument ist). Beim Menschen ist der durchschnittliche Unterschied viel kleiner als die Varianz, es ergibt sich daraus also kein Kriterium auf genetischer Basis unterschiedliche Rassen zu definieren. Dennoch gibt es statistisch signifikante Unterschiede und man kann sich Gedanken machen, was diese bedeuten. Das haben auch viele Genetiker gemacht und sind zu dem Schluss gekommen, dass die ganz überwiegende Mehrzahl der Unterschiede durch neutrale, geographisch-historisch bedingte Prozesse zu erklären ist. Für den Mensch als Individuum, das einem anderen Individuum gegenübersteht bedeutet dies, dass es kein einzelnes Merkmal gibt, das sie einer bestimmten Volksgruppe eindeutig zuordnen kann. Das ist im übrigen auch beim Vergleich der Gesamt-Genome von Craig Venter und Jim Watson deutlich geworden: beide hätten sich selbst sicher als typische weiße Nordamerikaner eingestuft, aber genetisch (statistisch!) sind sie miteinander weniger verwandt als Jim Watson mit einem durchschnittlichen afrikanischen Genotyp (was im übrigen aber nicht impliziert, dass es bei den unmittelbaren Vorfahren zu einer Vermischung kam)! -9-