Zur Zerstörung geschaffen. Figurinen der Kupferzeit Südsteuropas

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Zur Zerstörung geschaffen. Figurinen der Kupferzeit Südsteuropas
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Zur Zerstörung geschaffen.
Figurinen der Kupferzeit Südsteuropas
Valeska Becker
Valeska Becker
Einführung
Über die kulturellen Verhältnisse während des
Beginns und der Blüte der Kupferzeit Ostbulgariens sind wir auf Grund zahlreicher Grabungen auf Tellsiedlungen und Gräberfeldern gut
unterrichtet. Zwar harren viele Fundplätze ihrer
endgültigen Vorlage, doch existieren zumindest
für die meisten mehr oder minder umfangreiche
Vorberichte. Zu den erforschten Tellsiedlungen
in Thrakien gehört auch der Siedlungshügel von
Drama-„Merdžumekja“, der südöstlich des modernen Dorfes Drama am linken Ufer der Kalnica gelegen ist. Die seit den achtziger Jahren des
knochen auch zahlreiche Kleinfunde. Darunter
befinden sich zoomorphe Figurinen und Gefäße, Miniaturmöbel und Kulttischchen, Tonplaketten, Radmodelle, Miniaturäxte, Stempel und
auch anthropomorphe Figurinen aus Knochen
und Ton. Eine Vorlage dieser Gegenstände, ihre
kulturelle und kontextuelle Einordnung und Interpretation, ist in Vorbereitung.
In vorliegender Studie stehen die anthropomorphen Figurinen des Tells und die taphonomischen Prozesse, die an ihnen beobachtet werden können, im Fokus der Betrachtungen. Die
Schichten, aus denen sie zutage kamen, datieren
in ihrer Mehrzahl in die bulgarische frühe und
Thrakien
Nordostbulgarien
Westbulgarien
Südostrumänien
Südrumänien
Karanovo VI
Kodžadermen
Varna
Krivodol
Gumelniţa
Sălcuţa
Marica
Karanovo V
Poljanica
Sava
Gradešnica
Dikili Taš
Hamangia
Boian-Vidra
Tab. 1 Schematische Übersicht über die kupferzeitlichen Kulturgruppen
Bulgariens und Südrumäniens.
zwanzigsten Jahrhunderts laufenden Ausgrabungen und Forschungen in der Mikroregion
um das heutige Dorf erbrachten Erkenntnisse
zur Besiedlungsgeschichte eines geografisch
geschlossenen Raumes diachron vom Neolithikum bis in die byzantinische Zeit. Darüber hinaus lag ein Schwerpunkt der Untersuchungen
auf der Erforschung des Tells und der Bearbeitung des von dort stammenden Fundmaterials
(Lichardus u. a. 2000; Lichardus u. a. 2003).
Die Ausgrabungen auf dem Tell erbrachten
neben ungeheuren Mengen an Keramikfragmenten und vollständig erhaltenen Gefäßen,
Stein-, Knochen- und Silexartefakten und Tier-
mittlere Kupferzeit. Dies entspricht in der Terminologie für Südostbulgarien den Stufen Marica I–III bzw. Karanovo V und Marica IV (vgl.
hierzu Todorova 1986; Krauß 2008, 129–131).
In Westbulgarien ist die Gradešnica-Stufe anzuschließen. Weiter westlich grenzt die VinčaKultur mit ihren Stufen B2 und C an.
Einige wenige Vertreter anthropomorpher
Figurinen von Drama-„Merdžumekja“ lassen
sich auch noch in die Spätkupferzeit datieren,
die durch den Kulturkomplex KodžadermenGumelniţa-Karanovo VI bzw. die Varna-Kultur
gebildet wird. In Westbulgarien ist diese Zeit
durch den Kulturkomplex Krivodol-Sălcuţa-
Thomas Link und Dirk Schimmelpfennig (Hrsg.)
Taphonomische Forschungen (nicht nur) zum Neolithikum.
Fokus Jungsteinzeit. Berichte der AG Neolithikum 3 (Kerpen-Loogh 2012) 221−235
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Zur Zerstörung geschaffen. Figurinen der Kupferzeit Südosteuropas
Bubanj Hum vertreten, was in etwa der Zeit
von Vinča D entspricht. Die Figurinen, die aus
den Schichten des Südosthangs des Siedlungshügels stammen (vgl. den Beitrag von Thomas
und Gleser in diesem Band) und in die späte
Kupferzeit datieren, werden jedoch nicht mit
in die folgenden Überlegungen mit einbezogen;
sie sind Gegenstand einer eigenen Publikation
(Becker/Thomas 2011).
Materialbasis und Typengruppen
Gesichtet und bearbeitet wurden bislang ca.
400 anthropomorphe Figurinen aus Ton sowie
weitere 80 Vertreter aus Knochen, die jedoch
für das Folgende keine Rolle spielen. In ihrer
Mehrzahl sind die Tonfigurinen fragmentiert.
Lediglich etwa 50 Exemplare sind vollständig
oder fast vollständig erhalten. Anhand dieser
ganz erhaltenen Vertreter kann eine vorsichtige
Unterscheidung in zwei Typen vorgenommen
werden, die sich vor allem in der Gestaltung des
Körpers voneinander unterscheiden. Die meisten Fragmente können zwanglos diesen beiden
Typen zugeordnet werden.
Zum einen kommen ungegliederte Figurinen
vor, die einen säulenförmigen, im Querschnitt
runden Körper aufweisen. Beine sind nicht wiedergegeben, stattdessen endet der Körper in der
Regel in einer ebenen Fläche. Manchmal sind
Füße ganz schwach angedeutet. Der Kopf geht
ohne Hals in den Körper über, Arme sind gar
nicht vorhanden oder nur in Form kleiner Stummel ausgebildet.
Daneben lässt sich ein zweiter Typ unterscheiden, bei dem die Beine deutlich ausgeformt
sind. Oft ist auch der Oberkörper dargestellt,
und meist ruht der Kopf auf einem Hals.
Mit großer Wahrscheinlichkeit ist es möglich, weitere Unterteilungen innerhalb der beiden Typengruppen vorzunehmen. Als mögliche
Kriterien bieten sich Varianten in der Körperform, bestimmte Verzierungstechniken (Ritzlinien, Einstiche, Bemalung), -motive bzw. Verzierungslosigkeit an, ferner Geschlechtsmerkmale oder Größenverhältnisse (von etwa 3–4 cm
bis zu 20–25 cm und mehr). Für die folgenden
Abb. 1 Fragmentierung an Figurinen
aus Drama-„Merdžumekja“.
Überlegungen sind diese Unterteilungen jedoch
zunächst nicht relevant.
Fragmentierung (Abb. 1)
Der weitaus größte Teil der anthropomorphen
Figurinen liegt in mehr oder minder stark fragmentiertem Zustand vor. Bei den Grabungen kamen zahlreiche Bruchstücke von Köpfen, Oberkörpern, Armen und Beinen zutage. Während
für den oben erwähnten ungegliederten Typ
durchaus einige Vertreter angeführt werden
können, die vollständig erhalten sind, gibt es
für den stärker gegliederten Typ fast nur Fragmente. Dabei fallen besonders Brüche ins Auge,
die in der Längsachse des Körpers erfolgten,
etwa vertikal durch den Oberkörper oder den
Hüftbereich. Sie wirken deshalb ungewöhn-
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lich, weil sie durch massive Teile der Figurinen
verlaufen. Eine Anpassung von verschiedenen
Bruchstücken war nur in einigen vereinzelten
Fällen möglich. Aus den Grabungen stammen
zum Beispiel Dutzende rechte und linke Beine,
die fast nie zusammenfügbar waren, und das,
obwohl in über zwanzig Jahren Grabungsgeschichte große Flächen des Siedlungshügels
geöffnet wurden und die Bruchstücke ein gutes
Erkennungspotential aufweisen.
Der fragmentarische Zustand vieler Figurinen
schränkt naturgemäß die Möglichkeit zu Aussagen, die die Gesamtgestalt, die Flächigkeit von
Verzierungen, die Größe und andere Merkmale
betreffen, stark ein. Andererseits kann gerade
der Umstand der Fragmentierung an sich als
Ausgangspunkt für Untersuchungen genutzt
werden, besonders auf Grund der Tatsache,
dass manche Brüche nicht zufällig erscheinen.
Daher steht im Folgenden die Herstellungstechnik der Figurinen im Vordergrund.
Herstellungstechniken (Abb. 2)
Technik 1: Fertigung aus Einzelteilen
Bei der makroskopischen Analyse der Fragmente fiel auf, dass einige Figurinen offensichtlich
aus einzelnen Teilen zusammengesetzt waren.
Dies war daran zu erkennen, dass die Innenseiten von Bruchstücken glatt waren und keine typischen unebenen Bruchstellen aufwiesen. Nach
der Fertigung der Einzelteile wurde allenfalls
die Oberfläche verstrichen, sodass es zu einem
einheitlichen Aussehen der Figurine kam. Diese
dünne Deckschicht war im Bruch gleichfalls gut
zu erkennen. Eine echte Verbindung der Einzelteile fand nicht statt. Damit wurde die Figurine
an den Stellen, an denen die Einzelteile aneinander lagen, relativ instabil.
Technik 2: Fertigung aus Einzelteilen,
Verbindungen mit Stiften
An einigen wenigen Fragmenten war eine zweite Technik zu beobachten. Wie bei der zuvor
beschriebenen Technik war die Figurine wohl
aus einzelnen Teilen zusammengefügt: Die
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Bruchstellen sind an der Innenseite glatt. Im
Unterschied zu vorhin wurden hier die einzelnen Teile aber wohl mit Stiften aus einem organischen Material miteinander verbunden. Von
diesen Verbindungen zeugen noch einzelne
Löcher. Stifte selbst sind nie erhalten geblieben,
vermutlich bestanden sie aus Holz oder einem
anderen organischen Material und vergingen
bereits beim Brand. Löcher von Stiften finden
sich besonders häufig im Gesäß-Hüftbereich.
Selten sind sie auch am Hals feststellbar: Dies
legt nahe, dass in diesen Fällen auch der Kopf
einzeln geformt und dann verbunden wurde.
Nach dem Zusammenstecken wurde die Oberfläche überglättet, sodass wiederum keinerlei
Nähte mehr sichtbar waren. Wie bei Technik 1
führt auch Technik 2 zu einer Instabilität der Figurine.
Technik 3: Fertigung eines Tonkerns
und anschließende Übermodellierung
Schließlich sei noch eine dritte Herstellungstechnik angeführt, die ebenfalls beobachtet
werden konnte. Bei einigen Fragmenten war zu
erkennen, dass offenbar zunächst ein Tonkern
geformt wurde. Dieser wurde dann mit einem
Mantel überzogen. Manchmal ließ sich ebenfalls
wieder die Herstellung aus einzelnen Teilen
nachweisen.
Die drei Techniken kommen manchmal in Kombination vor bzw. gehen aus einander hervor.
Bei kleinen Bruchstücken ist eine Zuordnung
zu einer bestimmten Technik oft nicht möglich.
Darüber hinaus kommen durchaus auch Fragmente vor, an denen sich keine Hinweise auf
eine der drei beschriebenen Techniken findet.
Alle drei Techniken führten jedoch auf jeden
Fall dazu, dass die Figurine sehr zerbrechlich
wurde. Dies mutet zunächst seltsam an; für gewöhnlich wünscht der, der etwas schafft, dessen Erhalt, nicht dessen Zerstörung. Im Fall
der anthropomorphen Figurinen von Drama„Merdžumekja“ aber scheint die Zerstörung die
Regel und vielleicht sogar gewünscht gewesen
zu sein, ein Umstand, der für mögliche Interpretationen von Bedeutung ist.
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Zur Zerstörung geschaffen. Figurinen der Kupferzeit Südosteuropas
Abb. 2 Herstellungstechniken. 1 Technik 1; 2–3 Technik 2; 4–5 Technik 3.
Es stellt sich nun die Frage, ob diese Techniken sich auf die Stücke vom Tell Drama„Merdžumekja“ beschränken, oder ob es sich
um ein überregionales Phänomen handelt, das
vielleicht auch an anderen Orten auftritt. Anlässlich einer Museumsreise im März des Jahres 2010, auf der es mir möglich war, zahlreiche
auch unpublizierte Figurinen verschiedener
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Ausgrabungen in ganz Bulgarien und einem Teil
Rumäniens in Augenschein zu nehmen, konnten
bei vielen Stücken ähnliche Spuren verschiedener
Fertigungstechniken festgestellt werden. Diese
Fertigungstechniken wurden in Siedlungen Ostbulgariens ebenso angewendet wie in Westbulgarien. Somit überschreitet dieses Phänomen die
seit dem Frühneolithikum bestehende kulturelle
Grenze, welche Bulgarien in der Kupferzeit in einen östlichen Teil mit der dort vorherrschenden
Karanovo-V- bzw. der Marica-Kultur sowie dem
Kulturkomplex Gumelniţa-Karanovo-VI und
einen westlichen Teil mit der Gradešnica-Stufe
und den Kulturen Krivodol-Sălcuţa-Bubanj Hum
I trennt.
Synchroner Vergleich zur Fragmentierung
Tatsächlich lassen sich diese Techniken und die
Fertigung aus Einzelteilen auch über Bulgarien
und Rumänien hinaus an Figurinen spätneolithischer und frühkupferzeitlicher Kulturen beobachten. Dabei ist von essentieller Wichtigkeit, dass
die Herstellung der figürlichen Funde gesondert
beachtet und von den jeweiligen Forschenden
explizit untersucht wurde und damit auch bei
einer entsprechenden Publikation thematisiert
wird, denn oftmals ist aus Zeichnungen oder Fotografien allein nicht zu erkennen, ob eine besondere Fertigungstechnik zur Anwendung kam.
Immerhin war es möglich, an einigen Figurinen
der späteren Vinča-Kultur diese Techniken und
die Fertigung aus Einzelteilen zu beobachten.
Tatsächlich lässt sich das Phänomen der
Fertigung in Einzelteilen und die zielgerichtete
Fragmentierung sogar bis in den Lengyel-Kulturbereich hinein verfolgen. So stellte beispielsweise E. Ruttkay in einer Abhandlung zur anthropomorphen Tonplastik aus Svodín einige
Figurinen vor und notierte bei mehreren Stücken
besondere Fertigungstechniken (Ruttkay 2004).
Sie erwähnt Beispiele für Technik 3, die Herstellung einer Figurine mittels eines Tonkerns und
eines Mantels (Ruttkay 2004, 327–329), und die
Herstellung aus Einzelteilen, die mittels „Zapfen“ miteinander verbunden wurden (Ruttkay
2004, 328–329), und schloss aus diesen Funden
auf eine beabsichtigte Zerstückelung. Mit der
Datierung der Funde in die Phase MOG Ia der
Mährisch-Bemalten Keramik (MBK) dürften die
Funde nur wenig älter sein als die Figurinen aus
Drama-„Merdžumekja“ (Stadler u.a. 2006, 54).
Ähnliche Beobachtungen, wie sie Ruttkay in
Svodín für MOG Ia machte, lassen sich auch an
Figurinen der jüngeren Phasen des Kulturkomplexes Lengyel und MOG bzw. MBK feststellen
(vgl. z. B. die aus zwei Hälften gefertigte Figurine
von Žlkovce, Stufe Lengyel II, Pavúk 2003, 319
Abb. 5,1; ein Kopffragment aus Obermixnitz mit
einem Stiftloch, späte MBK, Berg/Maurer 1998,
66–67). Damit wird klar, dass es sich also um ein
Phänomen handelt, das sich ganz allgemein im
Spätneolithikum und in der frühen und mittleren Kupferzeit an anthropomorphen Figurinen
manifestiert und nicht an eine bestimmte Kultur
gebunden ist.
Diachroner Vergleich
zur Fragmentierung (Abb. 3)
Im diachronen Vergleich zeigt sich, dass die Art
der Fertigung aus Einzelteilen in Bulgarien in
das Neolithikum zurückverfolgt werden kann.
Exemplarisch kann hierfür eine Figurine aus
dem Tell von Karanovo dienen, die ins bulgarische Mittelneolithikum (Karanovo II–III) einzuordnen ist (Berger 2005, 193–194). Sie wurde in
Einzelteilen gefunden, es handelt sich aber um
einen der seltenen Fälle, wo die Fragmente nah
beieinander gefunden wurden und wieder zusammensetzbar waren. Kopf, Rumpf und die
Beinhälften der Figurine wurden einzeln hergestellt und „wohl in lederhartem Zustand“ (Berger 2005, 193) miteinander verbunden. Die Beine
waren mit drei Stäbchen aus organischem Material zusammengesteckt, von denen sich die tiefen
Löcher in beiden Beinhälften erhalten haben. Ein
vertikales Stäbchen verband Beine, Rumpf und
Kopf miteinander. Zusätzlich befanden sich oben
an den Beinen am Übergang zum Rumpf Tonzapfen, die gleichfalls zur Verbindung der Teile
dienten. Nach dem Zusammensetzen der Einzelteile wurde die Oberfläche des Stücks verstrichen
und geglättet.
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Zur Zerstörung geschaffen. Figurinen der Kupferzeit Südosteuropas
Abb. 3 Herstellungstechniken
an Figurinen aus Karanovo
(1) und Aşağı Pınar (2). Nach
Berger 2005, 194 Abb. 6 und
Hansen 2004, 199 Abb. 1.
Tatsächlich lässt sich diese Sitte für das gesamte bulgarische Neolithikum immer wieder
belegen. In einigen Fällen lassen sich Belege bis
ins Frühneolithikum hinein finden (Becker 2010,
32–33). Auch im benachbarten Türkisch-Thrakien ist sie am Fundort Aşağı Pınar für das Mittelund Spätneolithikum durch S. Hansen erkannt
worden (Hansen 2004). Er beschrieb die Fertigung aus einzelnen Teilen mit einem glättenden
Überzug als auch die Verbindung der Einzelteile mit Stiften aus organischem Material (Hansen
2004, 195 u. 199 Abb. 1).
Auf dem Balkan kann die Fertigung aus
Einzelteilen und aus Einzelteilen, die manchmal zusätzlich mit Stiften verbunden wurden,
gleichfalls bis in das Frühneolithikum zurückverfolgt werden. Die anthropomorphen Figurinen des Kulturkomplexes Starčevo-Körös-Criş
liefern hierfür entsprechende Beispiele (z. B.
aus Donja Branjevina: Karmanski 2005, 85 Taf.
3; Dévaványa-Atyaszeg: Oravecz 1995, 66 Abb.
3,1.2.; Kengyel-Csonka tanya: Raczky 1980, 13
Abb. 7,1; Zăuan: Hansen 2007, 140 Abb. 54) Voraussetzung ist, dass den Bruchstellen Aufmerksamkeit geschenkt wurde, was gerade in älteren
Publikationen nicht immer der Fall ist.
Überlegungen zu Gründen
für die Fragmentierung
Es wiederholen sich also synchron und diachron, auch überregional, bestimmte Elemente
an den Figurinen: die Fragmentierung; das Brechen an bestimmten Stellen; und die Anwendung einer speziellen Herstellungstechnik, die
ein Brechen begünstigt und auf Grund ihrer
Einheitlichkeit auch zu relativ gleichförmigen
Fragmenten führt. Hinter diesen wiederkehrenden Merkmalen ist ein Handlungsmuster
zu vermuten, das zu interpretieren freilich
schwer, wenn nicht unmöglich ist.
Die Gründe für diese spezielle Art der Fertigung erschließen sich nicht sofort. So sind
zunächst technische Aspekte in Betracht zu
ziehen, eine Ansicht, die von manchen Forschern für die sehr gleichförmigen Figurinen
der Lengyel-Kultur vertreten wird; bisweilen
vermutete man sogar die Nutzung von Modeln
(Doneus 2001, 74) für die Herstellung der einzelnen Körperteile. Entsprechende Model wurden jedoch bislang nicht gefunden. Zwar wird
immer wieder ein Model aus Steinberg, Bezirk
Oberpullendorf, in Niederösterreich angeführt, doch dürfte es sich hierbei vielleicht eher
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Abb. 4 Vorläufige Verteilung von Figurinen
der älteren Siedlungsschicht von Drama„Merdžumekja“. Linien verbinden „Paare“
von Figurinen (Abbildung unter Verwendung des Planes von Fecht 2009).
um ein Model für ein Kruseler Püppchen oder
Ähnliches handeln (Hautmann 1931; zu Kruseler Püppchen z. B. Grönke/Weinlich 1998).
Für die kupferzeitlichen Figurinen Bulgariens
lässt sich zudem eine große Variabilität in der
Form und Größe der einzelnen Bruchstücke
feststellen, sodass die Verwendung von Modeln unwahrscheinlich ist. Der Ton, aus dem
die Figurinen gefertigt wurden, unterscheidet
sich zumindest in Drama-„Merdžumekja“ augenscheinlich nicht von dem, aus dem Gefäße hergestellt wurden. Somit sind technische
Gründe für diese Art der Herstellung eher unwahrscheinlich.
Damit bleiben ideelle, möglicherweise rituelle Gründe, die zu eruieren allerdings unmöglich ist; die Intention der Hersteller bleibt uns
verschlossen. Denkbar wäre zum Beispiel, dass
mehrere Personen an der Herstellung einer Figurine beteiligt waren und die einzelnen Teile
von verschiedenen Personen gefertigt wurden;
denkbar wäre auch, dass die spezielle Ferti-
gung eben jenes Brechen erleichtern sollte und
dass es somit Teil des Gebrauchs der Figurinen
war.
Figurinen in ihrem Kontext (Abb. 4)
Die reine typologische und herstellungstechnische Betrachtung der Figurinen soll im Folgenden durch Überlegungen zu ihrem Fundkontext ergänzt werden, denn die Funktion der
Figurinen lässt sich keinesfalls unmittelbar aus
der Betrachtung der Stücke per se erschließen.
Zunächst ist demnach das Fundmaterial in die
beiden kupferzeitlichen Hauptsiedlungsphasen
auf dem Tell Drama-„Merdžumekja“ aufzugliedern. Aus der frühen Kupferzeit bzw. den
Phasen Marica I–III liegt nur eine geringe Anzahl von Figurinen vor. Zudem waren diese untersten Schichten auf dem Tell teils relativ stark
durch die überlagernden Schichten der MaricaIV-Kultur und den Hinterlassenschaften jünge-
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Zur Zerstörung geschaffen. Figurinen der Kupferzeit Südosteuropas
rer Epochen gestört, sodass sich einige Stücke
nicht mehr sicher zuordnen lassen. Erkennbar
ist dennoch trotz aller Störungen, dass die frühe Siedlungsphase sich aus mehreren, einander
teils überlagernden Häuser sowie Gruben zusammensetzt. Die Siedlung war von einem Graben umgeben, der sie an drei Seiten umschloss
und einen Durchlass im Südwesten hatte. Die
Häuser gingen nicht in einem Feuer unter, sondern wurden nach und nach aufgelassen.
In den Häusern wurden neben kleinteilig
fragmentierter Keramik, einzelnen Tracht- und
Schmuckgegenständen sowie Stein- und Knochengeräten auch einige Figurinen gefunden.
Ganz offenbar handelt es sich dabei um Objekte
in sekundärem Befundzusammenhang, die keinen Aufschluss über den originalen Aufbewahrungsort erlauben. Leider findet sich nirgendwo
ein spezielles Gebäude, das mit der Ausübung
eines Kultes in Verbindung zu bringen wäre.
Einzig Haus 486 am südwestlichen Rand der
Siedlung fällt insofern aus dem Rahmen, als hier
sieben Figurinen gefunden wurden. Es handelte
sich dabei sowohl um fragmentierte als auch um
ganz erhaltene Stücke, von denen drei um den
Ofen des Hauses herum zutage kamen. Dennoch kann weder auf Grund der Größe noch der
Orientierung oder anderer Merkmale auf eine
besondere Funktion des Hauses geschlossen
werden, eher auf eine etwas bessere Erhaltung
als bei den anderen Gebäuden dieses Kulturhorizontes. Der Mangel an figürlichen Darstellungen im Westen der Siedlung ist wohl mit der
hier auftretenden Erosion bzw. landwirtschaftlichen Nutzung des Geländes in Verbindung zu
bringen.
Auch in der folgenden, jüngeren Besiedelungsphase finden sich keine „besonderen“ Gebäude,
die a priori auf Grund ihrer Ausrichtung oder
ihres Inventars als rein kultisch zu betrachten
wären. Wie in der vorangegangenen Besiedlungsphase der Zeit von Marica I–III sind die
Häuser einräumig, die Siedlung ist vom immer
noch genutzten Graben und einer Erweiterung
an der Westseite nun ganz umgeben. Anthropomorphe Figurinen verteilen sich über weite Teile der Siedlung. In ihrer Mehrzahl stammen sie
wiederum aus Häusern, einige Stücke kamen in
Gruben zutage.
Ein „Pompeji-Ereignis“, in dem ein Haus mit
seinem Inventar auf einen Schlag versiegelt und
danach nicht wieder gestört wurde, wäre natürlich sehr hilfreich, weil es vielleicht Aufschlüsse
darüber geben könnte, wo und wie die Figurinen
ursprünglich aufgestellt waren und zu welchen
Zwecken sie eingesetzt wurden. Tatsächlich gibt
es einige Befunde auf Drama-„Merdžumekja“,
die in diese Kategorie einzuordnen sind. Das
wohl beste Beispiel hierfür findet sich in Gestalt
des Hauses 244 aus der jüngeren Besiedlungsphase, das in einem Feuer unterging (Lichardus
u. a. 1996, 21). An der Westwand des Hauses lagen im Versturz große Mengen ganzer, zum Teil
ineinander gestapelter Gefäße. Ebenfalls zum
Inventar des Hauses gehörte ein gut erhaltener
Kuppelofen, auf dem und um den herum gleichfalls zahlreiche Gefäße standen. Neben diesem
Ofen, der Keramik und zahlreichen Stein- und
Knochengeräten stammen aus dem Haus auch
mindestens zehn anthropomorphe Figurinen.
Sie gehören sowohl dem ungegliederten als
auch dem gegliederten Typ an, und es liegen neben einigen ganz oder fast ganz erhaltenen Stücken auch etliche Fragmente vor. Sie waren in
unterschiedlichen Versturzschichten im ganzen
Haus verteilt. Offenbar befanden sie sich auch
hier bereits in sekundärer Lage oder gerieten im
Zuge des Feuers und des Einsturzes des Hauses
an ihren letztlichen Fundort. Wie bei den anderen Vertretern anthropomorpher Figurinen von
Drama-„Merdžumekja“ war es wiederum nicht
möglich, Einzelteile zu vollständigen Stücken
zusammenzufügen.
Der bemerkenswerteste Fund ist bislang
eine kleine anthropomorphe Figurine des ungegliederten Typs mit vorgewölbtem Bauch;
sie wurde in situ in einem becherartigen Gefäß
gefunden, das zerdrückt hinter dem Ofen des
Hauses lag. Von diesem einen Befund auf den
Nutzen und die Aufbewahrung aller Figurinen
in Gefäßen schließen zu wollen, wäre übereilt,
doch lassen Fundsituationen wie diese hoffen,
dass eine Analyse des Kontextes der anderen
Figurinen möglicherweise weitere Aufschlüs-
Valeska Becker
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Abb. 5 Figurinen-„Paare“ aus
Drama-„Merdžumekja“.
se zur Interpretation figürlicher Funde liefern
kann.
An dieser Stelle soll allerdings auf einen weiteren Umstand hingewiesen werden, der für die
kontextuelle Merkmalanalyse von Bedeutung
ist. In dem verbrannten Haus wurden neben
ganz erhaltenen Figurinen auch Bruchstücke
gefunden, und zwar ohne erkennbare Ordnung
und nicht alle zusammen an einer bestimmten
Stelle. Obwohl bereits fragmentiert, können
auch sie zu einer Interpretation beitragen, denn
sie geben Aufschluss darüber, was mit den Fi-
gurinen nach ihrer Zerstörung passierte. Offenbar war es nicht nötig, die Bruchstücke quasi
„zu beerdigen“ und gezielt zu einem bestimmten Zeitpunkt, in Vergesellschaftung mit ganz
bestimmten weiteren Funden, zu deponieren.
Stattdessen verblieben die Fragmente wohl im
Haus und fielen einer schleichenden Entsorgung anheim. Eine sekundäre Verwendung der
Bruchstücke konnte nicht nachgewiesen werden, das heißt, man könnte, nach der Definition
von U. Sommer (Sommer 1991), die Fragmente
tatsächlich als Müll bezeichnen.
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Zur Zerstörung geschaffen. Figurinen der Kupferzeit Südosteuropas
Figurinen-„Paare“ (Abb. 4; Abb. 5)
Mit aller gebotenen Vorsicht kann aus dem Befund von Haus 244 geschlossen werden, dass
die Figurinen in häuslichem Kontext benutzt
wurden, wenngleich dies nicht unbedingt ausschließlich der Fall gewesen sein muss. Fragmente verblieben offenbar ebenfalls zumindest
noch für einen gewissen Zeitraum im Haus,
ohne jedoch eine besondere Behandlung zu erfahren.
In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass im Fundgut verschiedener Häuser
wiederholt Fragmente ähnlich aussehender Figurinen zutage kamen. Diese Stücke ähneln sich
nicht nur in Form und Verzierung, sondern sind
auch auf nahezu gleiche Weise fragmentiert.
Die folgenden Beispiele für diese Beobachtung stammen aus dem frühkupferzeitlichen
Siedlungsbereich; es wird abzuwarten sein, ob
sich Ähnliches auch für die Siedlung der Stufe
Marica IV postulieren lässt.
Aus Haus 150 stammt eine im Querschnitt
rundliche Figurine mit ausgezogenen, zweifach
durchlochten Ohren, plastisch gebildeter Nase
und einer Verzierung aus einander kreuzenden
Kerbschnittbändern und einer umlaufenden
„Stacheldraht“-Linie um den Hals (Abb. 5,1).
Sie besteht aus einem ungewöhnlich hellen,
beige-braunen Ton. Unzweifelhaft handelt es
sich bei dieser Figurine um einen Vertreter des
ungegliederten Typus. Das Stück ist im unteren
Drittel fragmentiert.
Eine nahezu identische Figurine wurde in
der obersten Siedlungsschicht der frühkupferzeitlichen Siedlung gefunden (Abb. 5,2).
Sie wurde aus dem gleichen Ton gefertigt, ist
ebenfalls mit Kerbschnitt- und „Stacheldraht“Bändern verziert und auch im unteren Bereich
abgebrochen.
Die Ähnlichkeit dieser beiden Figurinen ist
frappierend, zumal, wenn man sich die identische Fragmentierung und die sehr ähnliche Verzierung vor Augen führt: Es handelt sich darüber hinaus um die einzigen beiden Figurinen,
die mit Kerbschnittbändern verziert sind.
Aus dem Material der frühen Kupferzeit
lassen sich noch weitere vergleichbare „Paare“
hinzufügen. Wie bei den beiden ausführlich beschriebenen Stücken ergeben sich große Ähnlichkeiten in der Körperform und Haltung, der
Verzierung und der Fragmentierung.
So bemerkenswert diese Ähnlichkeiten auch
sind, so erschließt sich ihre Bedeutung nicht unmittelbar. Denkbar ist, dass über diese „Paare“
räumliche Bezüge herzustellen sind. So können
bestimmte Häuser miteinander verbunden werden. Eine entsprechende Kartierung von Figurinen aus gesichertem Hauskontext zeigt, dass
manche „Paare“ in nahe bei einander gelegenen
Häusern gefunden wurden, während andere
weiter voneinander entfernt sind. Welcher Art
die sich hieraus ergebenden Verbindungen waren – ob es sich zum Beispiel um Familien oder
Verwandte handelte – lässt sich allein an Hand
der Figurinen nicht beantworten. Möglicherweise ließe sich ein solcher Verdacht durch einen Vergleich des Gesamtinventars der Häuser
erhärten.
Wege zur Interpretation
anthropomorpher Figurinen
Die vorgestellten Überlegungen haben sich nur
auf einige wenige Merkmale an den anthropomorphen Figurinen beschränkt, in erster Linie
auf ihre Herstellungstechnik und ihren fragmentarischen Zustand sowie, in Ansätzen, den
Kontext, in dem sie gefunden wurden. Würde
man andere Merkmale in den Vordergrund stellen, verschöbe sich möglicherweise die Interpretation.
So könnte beispielsweise eine Analyse der
Geschlechtsmerkmale mit dem auch in Bulgarien noch weit verbreiteten Topos einer Fruchtbarkeitsgöttin oder Großen Mutter, die in Form
der Tonfigurinen abgebildet wird, aufräumen.
Denn nur ein geringer Prozentsatz der Figurinen weist überhaupt Geschlechtsmerkmale
auf, die sich in Form geritzter Schamdreiecke
und plastisch gebildeter Brüste manifestieren.
Hinzu kommen Figurinen mit vorgewölbtem
Bauch, die wohl Schwangerschaft andeuten. Bis
auf den „Bärtigen“, eine dezidiert männliche Figurine mit Bart, liegen für die kupferzeitlichen
Valeska Becker
Siedlungsschichten in Drama-„Merdžumekja“
keine Darstellungen vor, die eindeutig als
männlich anzusprechen sind. Der weitaus größte Teil der Figurinen allerdings lässt keinerlei
Rückschlüsse auf das dargestellte Geschlecht
zu, und wo Geschlechtsmerkmale auftauchen,
sind sie klein, unauffällig und in keiner Weise
besonders betont. Die fächerübergreifende Deutung der Figurinen als Ausdruck eines Fruchtbarkeitskults, die außer in der archäologischen
Literatur auch in den Religionswissenschaften
und der Ethnologie rezipiert wird, kann an den
Funden selbst jedoch kaum je schlüssig begründet werden (hierzu ausführlich Hansen 2007,
322–326; ferner z. B. Wunn 2001; Eliade 1978).
Zu fragen ist auch, warum die beiden oben
beschriebenen unterschiedlichen Typen zumindest in Drama-„Merdžumekja“ vorkommen,
wie sie sich verteilen, ob sie sich außer in der
Form auch in der Verzierung und in anderen
Merkmalen unterscheiden und ob es hierfür Parallelen von anderen Tellsiedlungen Thrakiens
gibt; noch zu überprüfen wäre, ob es sich um
ein überregionales Phänomen handelt. Mit aller
gebotenen Vorsicht scheint dies der Fall zu sein,
denn die Figurinen, die anlässlich der Museumsreise im März 2010 in Augenschein genommen werden konnten, ließen sich jedenfalls in
diese Typengruppen aufteilen.
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Aussichtsreich erscheint schließlich auch
ein Vergleich zwischen den anthropomorphen
Figurinen der Tellsiedlungen Bulgariens und
den im Gräberfeld von Varna gefundenen Ton„Masken“. Diese „Masken“, die in den Gräbern
2, 3 und 15 gefunden wurden und möglicherweise nicht als Masken, sondern als Nachbildungen von Gesichtern Verstorbener anzusprechen sind, lagen im Gräberfeld nahe beieinander; in den Gräbern selbst wurden keine Skelette, dafür jedoch zahlreiche Beigaben gefunden
(hierzu und zum Folgenden Ivanov 1988, bes. 52
u. 186–188). Zu betonen ist auch ihre räumlich
Nähe zu den reichsten Bestattungen des Gräberfeldes. In Zusammenhang mit dieser Studie
sind besonders die Ohren und der Mundbereich
der Darstellungen von Bedeutung. In den Ohren fanden sich goldene Ohrringe; unterhalb
der Münder, die mit Goldblechen angedeutet
(oder verschlossen?) waren, waren in den Ton
kleine Goldnägel gedrückt. Das Inventar, das
sich in den „Masken“-Gräbern fand, wird oft
als Hinweis auf ein mögliches weibliches Geschlecht der hier Bestatteten betrachtet, da sich
in einem Grab ein flacher runder Stein mit zentraler Durchbohrung fand, der als Spinnwirtel
gedeutet wird. Darüber hinaus enthielten die
Gräber Schmuck in Form von Diademen, Halsketten, Besatzstücken und Anhängern aus Gold,
Abb. 6 Maske“ aus Grab 2 von Varna und Figurine aus Drama-„Merdžumekja“ (1 nach Ivanov 1988, 56 Abb. 26).
232
Zur Zerstörung geschaffen. Figurinen der Kupferzeit Südosteuropas
Kaolin und Dentalium sowie Feuersteinklingen,
Gefäße, Kupfergegenstände, ein gewölbtes Marmor-„Idol“ und ein Knochenidol.
Die Durchbohrungen unterhalb der Münder
und die Lochungen der Ohren finden Parallelen an manchen Figurinen (Abb. 6). Kleine Anbohrungen unterhalb des Mundes und ein- und
mehrfache Lochungen in den Ohren kommen
an vielen Stücken vor. Dass hier tatsächlich
Schmuck angebracht war, ist unsicher und in
manchen Fällen auch auszuschließen, wenn die
Lochungen der Ohren nicht vollständig erfolgten; auch die Anbohrungen unterhalb des Mundes dürften wohl kaum tatsächliche metallene
Schmuckstifte geborgen haben. Im Gegensatz
dazu sind einige Knochenfigurinen aus verschiedenen Fundorten Bulgariens zu sehen, die
sehr wohl Schmuck in Form kupferner Ohrstecker, Halsketten und -ringe, Beinbleche, Gürtel
und Arm- und Fußringe trugen (Hansen 2006,
440–441). Obwohl diese Merkmale – Ohrlöcher
und Anbohrungen unterhalb des Mundes – bei
den Tonfigurinen in einigen Fällen eher als symbolisch zu deuten sind, ergeben sich doch unzweifelhafte Analogien zu den „Masken“-Gräbern aus Varna.
Ist der Schluss zulässig, so eröffnet dies neue
Perspektiven in Hinblick auf die Interpretation
anthropomorpher Figurinen. Statt ihre Deutung
in einem immer wieder propagierten Fruchtbarkeitskult zu suchen, gerät nun der Bereich
des Totenrituals bzw. der Jenseitsvorstellungen
in den Fokus der Betrachtungen. Dabei ist von
Bedeutung, wie die „Masken“-Gräber zu interpretieren sind: ob als Bestattungen tatsächlicher
Personen, deren Leichnam aus irgendwelchen
Gründen nicht im Grab niedergelegt wurde,
oder als Symbolgräber bzw. Bestattungen mythischer, nicht reell existierender Persönlichkeiten, Gottheiten etc. Es steht zu hoffen, dass die
neuen Analysen und die Endpublikation des
Gräberfeldes von Varna in dieser Hinsicht Klärendes beitragen können (Slavchev 2010; Krauß
in diesem Band).
Leicht ließen sich weitere Argumente für einen Zusammenhang zwischen den Jenseitsvorstellungen bzw. dem Tod in Neolithikum und
Kupferzeit einerseits und den anthropomor-
phen Figurinen andererseits finden. So könnte
man etwa die Augen der Figurinen anführen,
die in der Regel durch horizontale Ritzlinien
wiedergegeben sind, womit der Eindruck geschlossener Augen vermittelt wird. Dies und
die schematisch-abstrakten Gesichter und Körper der Figurinen lassen sich mit Darstellungen
Verstorbener assoziieren. Auch die in dieser
Studie diskutierte Fragmentierung der meisten
Figurinen kann mit dem Tod in Verbindung
gebracht werden. Derartige Überlegungen wurden bereits in Bezug auf Figurinen der StarčevoKultur aus Donja Branjevina formuliert: „We
have the impression that the statuettes represent
‘something’ passed away, the dead or a sacrificed ‘person’. The features, which are missing
from their faces, are those that a dead person
does not need anymore” (Karmanski 2005, 39).
Derartige Überlegungen sollen an dieser Stelle
jedoch als Arbeitshypothesen verstanden werden und nicht als neuer Deutungsvorschlag für
anthropomorphe Figurinen der Kupferzeit.
Neben den oben erwähnten „Masken“ mit
ihren Ohrringen und Steckern unterhalb des
Mundes können Bestattungen wie jene von
Gräberfeld von Varna auch in Hinsicht auf die
Analyse weiterer Verzierungen der Figurinen
von Nutzen sein, wenn es darum geht, Interpretationsansätze zu gewinnen. Während manche
Verzierungen offenbar Geschlechtsmerkmale
andeuten, handelt es sich bei anderen möglicherweise um Darstellungen von Schmuckbzw. Trachtelementen (z. B. Armringe, Halsketten etc.) oder der Kleidung. Ein Abgleich
der Verzierungen mit den Beigaben aus Varna
und anderen Gräberfeldern und ihrer Lage am
Körper verspricht hier neue Deutungsansätze,
wenngleich anzumerken ist, dass Gräberfelder
in Thrakien aus der Kupferzeit bislang fehlen
und es fraglich ist, inwiefern ein Vergleich mit
den weiter entfernten großen Nekropolen wie
Varna oder Durankulak methodisch vertretbar
ist.
Schließlich bliebe, die anthropomorphen Figurinen im Gesamtkontext der Kleinfunde zu
untersuchen und ihre Stellung zu zoomorphen
Darstellungen, Plaketten, Miniaturmöbeln und
Kulttischen zu definieren.
233
Valeska Becker
Resümee
Die hier vorgestellten Überlegungen zu taphonomischen Prozessen an anthropomorphen Figurinen zeigen, dass es nicht damit getan ist,
einzelne Merkmale an einer bestimmten Fundgattung herauszugreifen und darauf aufbauend
zu interpretieren. Vielmehr wird durch die Ausführungen deutlich, dass sich Interpretationsschwerpunkte signifikant verschieben können,
wenn ein anderes Merkmal in den Vordergrund
gerückt wird. Dabei ist gerade bei Funden, die
in den Bereich der Glaubensvorstellungen und
der Religion eingeordnet werden, besondere
Vorsicht geboten.
Das Merkmal „Fragmentierung“ verbindet
Figurinen verschiedener geografischer Räume
miteinander und ist regelhaft zu beobachten.
Die in Drama-„Merdžumekja“ beobachteten
Fertigungstechniken dienten wohl dazu, die
Fragmentierung zu erleichtern. Die Zerstörung
der Stücke war also einer, wenngleich vielleicht
nicht einziger, Verwendungszweck der Figurinen. Unter Hinzuziehung weiterer Merkmale,
etwa der Darstellung verschiedener Schmuckund Trachtelemente, lassen sich Parallelen zu
Gräberfeldern ziehen. Ob damit allerdings eine
Verbindung zwischen anthropomorphen Figurinen und Bestattungen postuliert werden kann,
sei dahingestellt. Letztlich bleibt die Erkenntnis,
dass sich für viele der Fragen, die im Zuge der
Arbeiten mit den Figurinen auftauchen, keine
Antworten finden lassen.
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Dr. Valeska Becker
([email protected])
Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Historisches Seminar
Abt. für Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie
Robert-Koch-Str. 29
D-48149 Münster
Valeska Becker
235
Zusammenfassung
Verschiedene Merkmale, die sich an anthropomorphen Figurinen beobachten lassen, können Aufschlüsse über ihre
Bedeutung geben. Eines der hervorstechendsten Merkmale, das viele Analysen behindert, ist der fragmentarische Erhaltungszustand der Stücke. Bei der Analyse der anthropomorphen Figurinen der frühen und mittleren Kupferzeit vom
Tell Drama-„Merdžumkja“ konnten drei verschiedene Fertigungstechniken beobachtet werden, die in direktem Zusammenhang mit der Fragmentierung stehen: 1. Die Fertigung aus Einzelteilen, die durch Überglättung miteinander
verbunden wurden; 2. Die Fertigung aus Einzelteilen und die Verbindung der Einzelteile durch Stifte aus organischem
Material; 3. Die Fertigung mittels eines Tonkerns und eines „Mantels“. Die Figurinen aus Drama stehen in dieser Hinsicht
nicht allein im Kulturgefüge Bulgariens. Vergleichbares in Bezug auf die Herstellungstechnik kann über weite geografische Räume und bis ins Frühneolithikum zurückverfolgt werden. Aus Drama liegen darüber hinaus „Paare“ gleichartig
geformter, verzierter und fragmentierter Figurinen vor, die bestimmte Häuser miteinander verbinden. Diese Beobachtungen können dazu beitragen, neue Interpretationsansätze zu erarbeiten.
Schlüsselwörter
Figurinen, Kupferzeit, Bulgarien, Fragmentierung, Herstellungstechniken
Summary
Different characteristics of anthropomorphic figurines may shed light on their meaning. One of the most striking features to interfere with analysis is the fragmentary state of the figurines. Analysis of the anthropomorphic figurines of
the early and middle Copper Age from the tell of Drama-“Merdžumekja” yielded three different manufacturing techniques that are directly related to fragmentation: 1. production from separate parts and the connection of these parts
by surface smoothing; 2. production from separate parts and the connection of these parts using pegs from organic
material; 3. the use of a clay core and a mantle. In this respect, the figurines from Drama are not unique among similar
objects from the archaeological cultures of Bulgaria. Comparable manufacturing techniques can be traced over vast
geographic regions and back into the Early Neolithic. Moreover, we know of “pairs” of similarly shaped, decorated and
fragmented figurines from Drama which link different houses. These observations may add to developing new approaches in interpretation.
Keywords
Figurines, Chalcolithic, Bulgaria, fragmentation, manufacturing techniques