Homo discipulus.indesign

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Homo discipulus.indesign
Bastian Hagmaiers »Homo discupulus«, eines
der wichtigsten und meistgelesenen Bücher des
21. Jahrhunderts: Der Schüler Bastian Hagmaier
glaubt an sein rationales Weltbild, das durch einen
Ausflug nach Tschechien zerbricht. Kein anderer
zeitgenössischer Roman stellt derart ehrlich wie
hintergründig die Frage nach der Identität des
modernen Schülers.
kf
Bastian Hagmaier
Homo discipulus
Ein Bericht
c20.de
taschenbuch
c20 taschenbuch 001
Für die »Häsla«
Umschlagfoto: Bastian Hagmaier auf einer Autobahnraststätte
© by Philipp Backhaus, Hundersingen, 2002
© 2002 by c20.de
Erste Auflage 2002, Version 1.0
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,
des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung
durch Rundfunk, Fernsehen und Internet, auch einzelner Teile.
Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form
(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)
ohne schriftliche Genehmigung des Autors reproduziert
oder unter Verwendung elektronischer Systeme
verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Druck: Hagmaier Etiketten & Druck GmbH • Printed in Germany
Umschlag nach Entwürfen von
Bastian Hagmaier (inspiriert von Umschlag von
«Homo faber», suhrkamp taschenbuch 354)
Homo discipulus
Ein Bericht
2002
Erste Station
Wir starteten in Münsingen, um 7:50 Uhr am Gymnasium, mit
zehnminütiger Verspätung, infolge sinnloser Diskussionen. Es
regnete in Strömen.
Fünf Minuten nach dem Start bekamen wir bereits die »Reader«,
wie sie von unseren ach so modernen Lehrern genannt wurden,
ausgeteilt. Dabei handelte es sich um Informationen, die von
meinen Mitschülern aufgeschrieben worden waren. Darunter
waren »Allgemeine Informationen über die Republik Tschechien«,
über die »Geschichte Tschechiens« bis hin zu »Franz Kafka«, der
anscheinend mehrmals bearbeitet wurde. Ich fand diese Aktion
völlig unbegründet. Sogar Frau Kohler war klar, dass die meisten
die Informationen einfach aus dem Internet gedruckt hatten, ohne
sich damit zu beschäftigen. Wozu also?
Meine Version des Programms
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Doch diese Einstellung war es, die mich bereits einige Tage zuvor
in eine recht missliche Lage gebracht hatte: «Bastian, warum
hast du dich nicht eingetragen?» fragte mich Frau Kohler. Unsere
Parallelklasse hatte (anscheinend) ungefähr zwei Wochen vor
der Abfahrt den Vorschlag gemacht, jeder könne doch etwas für
Tschechien vorbereiten. Ich weiß nicht genau wie es ablief, aber als
Frau Kohler uns den Vorschlag unterbreitete, waren die meisten von
uns alles andere als begeistert –
«Jetzt sollen wir also nicht nur in blöde Gastfamilien, sondern auch
noch was dafür tun?» fragte ich Philipp fassungslos. Der zuckte wie
immer nur mit den Schultern.
Frau Kohler ließ den Zettel durchgehen.
«Wo soll ich mich da jetzt bitte eintragen?» Philipp war verwirrt. Ich
fand die ganze Aktion, die eben zur »Pflicht« deklariert wurde, wie
gesagt einfach nur lächerlich.
«Lass es einfach bleiben!» Meine Worte zeigten nicht wirklich
Wirkung, aber er fand trotzdem keinen Beitrag, zu dem er etwas
schreiben wollte. Tim ging es ähnlich. Also trugen wir uns nicht
ein.
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Doch leider blieb unser Handeln nicht ohne Folgen –
«Wieso habt ihr euch nicht eingetragen?» Tage später, Frau Kohlers
Worte waren an mich gerichtet, da Tim und Philipp an diesem Tag
in Ochsenhausen waren, weil BigBand-Probe.
Obschon mir bewusst war, dass es eigentlich keine Chance gab,
Frau Kohler von meinem Standpunkt zu überzeugen, versuchte ich
dennoch Widerstand zu leisten.
Für welches Fach dieser Bericht denn zähle, wollte ich wissen. Frau
Kohler erkannte natürlich sofort die blanke Faulheit hinter meinen
Worten. «Wie jetzt? Machst du nur etwas, wenn du dafür auch
benotet wirst?»
Sind wir denn auf dem Sozialamt? Natürlich tue ich, als Schüler,
nur das, was mir selbst etwas bringt, nicht in Bezug auf meinen
Lernerfolg sondern nur in Bezug auf meine Noten. Frau Kohler
meinte, dass dieses Verhalten nicht gerade intelligent sei, und es sich
negativ auf das Schüler-Lehrer-Verhältnis auswirke.
Es tut mir leid, aber ich habe auch noch anderes zu tun als nur die
Schule und außerdem verstehe ich bis heute nicht, warum ich mir
Informationen aus dem Internet laden soll, diese 40 mal kopieren
(damit unzählige Bäume töten) und austeilen lasse, um damit was zu
bezwecken? Eine bessere Note? Ruhm und Ehre im Leben oder gar
ein sauberes Gewissen? Es kamen mir auch begründete Zweifel, ob
überhaupt jemand je diese »Reader« lesen würde –
Nachdem Frau Kohler auf die Idee gekommen war, dass es sich bei
dem Schüleraustausch außerdem auch um eine Studienfahrt handeln
könnte (was jetzt?), meinte sie, ich müsse etwas machen.
Ich muss? Moment, da war irgendetwas schief gelaufen. Wer ist
hier der von meinem Vaterland und den Steuern meiner Eltern
(über)bezahlte Beamte und wer der Schüler? Ich wollte ja nicht
einmal unbedingt mit nach Tschechien. Eigentlich sollte ich ins
Hotel, doch aus ungeklärten Gründen meinte Herr Bantle, er würde
den Tschechen, bei dem ich in Tschechien untergebracht werden
sollte, während seiner Zeit in Deutschland aufnehmen. Doch nach
einem Gepräch zwischen meinen Eltern und Herrn Bantle hatte er
diese derart zugeredet, dass die sich bereit erklärten, den Tschechen
doch aufzunehmen –
Da Frau Kohler aber diese Art hat, einem dann doch ein schlechtes
Gewissen zu machen, stimmte ich zu, Tagesberichte zu schreiben.
«Die wird sich wundern», dachte ich bei mir.
Auch Herr Bantle, der anscheinend der Meinung war, die
arme (weibliche) Frau Kohler könnte mich nicht alleine davon
überzeugen, doch noch etwas zu machen, sprach mich am selben
Tag erneut auf dieses Thema an, obschon ich bereits zugestimmt
hatte, die Tagesberichte zu schreiben.
«Studienfahrt ... bla bla bla ... Pflicht ... bla bla bla ... jeder muss
etwas machen ...» Das Gespräch lief ab wie jedes Schüler-Lehrer
Gespräch. Der Schüler wird durch die vorgetäuschte Autorität des
Lehrers so lange »kleingeredet«, bis er erschöpft aufgibt und sich
dem Willen des Lehrers beugt.
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Die Reise ging weiter, trotz, oder gerade wegen des »Readers« Schon nach einer halben Stunde Fahrt hielt es Doris Hirning, unsere
Busfahrerin mit Handy, für angebracht, eine kurze Ansprache mit
anschließendem Applaus zu halten.
«Toilette hemma dabei, aber koine Papierhandtücher nai schmeißen,
sonst macht’s des guade Stück net lang!»
Unglaublich ihre Fähigkeit, die treffenden Worte zu finden. Die
Möglichkeit, sich während der Fahrt zu entleeren, wurde von den
meisten begrüßt.
Weiter ging’s mit 80 km/h in Richtung Tschechien –
Plötzlich begann mein Nebensitzer mit mir zu reden. Über die
Tabak-Plantage seiner Schwester, oder so... Jedenfalls stellte sich
heraus, dass mein Nebensitzer in meine Klasse ging und nur eine
Reihe vor mir saß. Dieser unglaubliche Zufall ließ mich doch für
eine Sekunde nachdenken. Ich verwarf den Gedanken an Schicksal
jedoch schnell wieder, schließlich betraf die Tschechien-Fahrt ja die
komplette 11. Klassenstufe.
Er drückte mir einen Laib Brot in einer roten Plastiktüte in die
Hand. Ich verstand nicht ganz. «Mach mal hoch!» Das reichte als
Erklärung. Der Laib landete mitsamt der Tüte im Gepäckfach über
den Sitzen.
Exakt 1 1/2 Stunden nach der Abfahrt legten wir unsere erste Pause
auf einer Autobahnraststätte ein. Es regnete immer noch stark,
sodass wir uns alle in das Gebäude hinein begaben.
Zu unserer großen Freude stand direkt neben dem Eingang ein
Internetterminal –
«50 Cent / 2 Minuten» so die Aufschrift. Johannes erklärte sich
bereit, die 50 Cent aufzubringen. Wir schrieben eine kollektive
Nachricht an unseren Mitschüler Stefan, der aus (hoffentlich)
Protest nicht mitgekommen war. Nach Ablauf der zwei Minuten
kamen schnell Langeweile und Depression auf. Warum nach
Tschechien? Warum ging es nicht ohne uns?
Nach 20 Minuten ging’s weiter. Mit uns –
Tobias wurde von Frau Kohler aufgefordert, bei der am nächsten
Tag bevorstehenden »Diskussion über EU« teilzunehmen. Mein
Einwand gegen diese sinnlose Zeitverschwendung «Tobias, weigere
dich!», wurde mit den Worten unserer Lehrerin «Nein, jetzt»
vernichtend niedergeschmettert. Von wegen Mangel an Autorität!
Natürlich erklärte sich Tobias, wohl schon begeistert seine eigene
Stimme zu hören, bereit, an der Diskussion teilzunehmen –
Plötzlich entfachte in unserem Teil des Buses eine wilde Diskussion
über Todesstrafe und Aufklärung.
«Beim Weltkindergipfel waren alle für Aufklärung, bis auf die
islamischen Staaten und (wie könnte es anders sein) die USA. Die
forderten sogar Todesstrafe auch für Kinder.»
Vielleicht sollte man unsere Tätigkeit doch nicht mit Diskussion
beschreiben, schließlich bestand der eigentliche Gesprächsstoff nur
im Übertrumpfen der Beschimpfungen und Argumente gegen die
Todesstrafe und für die Aufklärung.
Tobias fand es witzig, mit meiner leeren Colaflasche wild um sich
zu schlagen. Wenigstens hatte er was zu tun –
Die Hitze im Bus war unerträglich, zwar immer wieder durch kurze
Unterbrechungen mit Frischluft durchdrungen, trotzdem kaum
auszuhalten.
Ich fühlte mich schmutzig und verschwitzt. Ich wollte duschen.
Um 11 Uhr die nächste Diskussion, ich konnte leider nur indirekt
folgen. Frau Kohler und Tim waren aus irgendwelchen unbekannten
Gründen ins Gespräch gekommen, und Frau Kohler ließ sich über
die Musik von »Slipknot« und von ähnlichen Gruppen aus.
«Die Texte sind grausam und abstoßend!» Angeblich hatte sie in
einem Slipknot-Song sogar schon einmal »Tötet Lehrer« gehört.
Natürlich, wenn man die Platte rückwärts und mit 3-facher
Geschwindigkeit anhört, kann man auch deutlich «Stop Microsoft»
hören.
Philipp und ich (vor allem ich) fragten uns, was Frau Kohler mit
ihrer Meinungsäußerung bezwecken wollte. Wollte sie uns bekehren
oder sich gar bewusst unbeliebt machen?
Doch unsere Überlegungen werden von der nächsten Pause
unterbrochen. 15 Minuten, aus denen schließlich 22 wurden.
Ich schoss ein Bild von Frau Kohler, was diese, sichtlich geschockt,
nicht ganz verstehen konnte: «Wieso braucht ihr ‘n Bild von mir?»
Und auch noch mit nassen Haaren, wie furchtbar Meine Antwort «So halt!», wie konnte es anders sein. War Frau
Kohler nicht schon vorher klar, dass ich das Bild nur gemacht hatte,
um eine Erinnerung an die Klassenfahrt zu haben?
Wahrscheinlich meinte sie, ich wolle ihr die Seele rauben, oder
gar ein Computerspiel mit ihrem Bild programmieren, sie vor der
ganzen Schule bloßstellen. Und das mit nassen Haaren! Ich verstehe
Lehrerinnen nicht, einerseits soll man sie respektieren, andererseits
machen sie sich mit solchen Äußerungen nicht unbedingt
glaubhafter.
Es regnete immer noch –
Die Reise ging weiter. Plötzlich hieß es, die Lieder könnten doch
gespielt werden. Durch die Lautsprecher des Busses.
Doch die Musik war nicht gerade laut. Um genau zu sein, war
eigentlich nur zu hören, dass Musik lief. Ganz leise, irgendwo im
Bus. Vielleicht war es auch der Discman eines Mitreisenden.
«Das könnte die Schüler ja amüsieren!» Martin sprach aus, was
wir alle dachten. Warum sollte man den Schülern auch eine Freude
machen? Die sind sowieso verwöhnt genug, meinen sie sind der
Käs’, bloß weil sie während der Schulzeit (!) nach Tschechien
fahren dürfen. Alleine das führte bei manchen Lehrern schon zu
Unverständnis.
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Mir war immer noch, oder besser gesagt wieder, heiß.
Kurz vor 12 Uhr meinte Herr Bachhofen, er müsse sich auch mal zu
Wort melden. Er stellte fest, wir würden demnächst an die Grenze
kommen und wir sollten daher unsere Ausweisnummern auf einen
Zettel schreiben.
Dann erzählte er irgendetwas von der Oper, in die wir am Mittwoch
gehen sollten. Vorurteilsfrei sollten wir das Ereignis genießen. Er
wisse, es sei nicht der Geschmack von allen, aber trotzdem Warum werden wir dann dazu gezwungen? Ist den Lehrern nach so
langer Zeit denn immer noch nicht klar, dass alles was den Schülern
aufgezwungen wird, zu Missgunst und nicht zu Akzeptanz führt?
Dann appellierte er an uns, höflich in den Familien zu sein und nicht
mit der Einstellung, «wir sind Deutsche, aus einem der reichsten
Länder der Welt», in die Familien zu gehen. «Ich bin stolz deutsch
zu sein» sollten wir vielleicht für einige Tage vergessen –
Dann kam die Grenze. Wir hielten an. Das erste was mir auffiel:
Die doch recht alt ausschauenden tschechischen Polizeiautos auf der
einen Seite und die neuen deutschen Wagen auf der anderen.
Lange tat sich nichts, dann hieß es, wir müssten unsere Pässe
doch hergeben, die Nummern waren nicht genug. Vielleicht kam
es den Beamten auch komisch vor, dass sich die Nummern alle so
ähnlich waren, schließlich waren wir ja alle zur gleichen Zeit 16
geworden und so viele Personalausweise werden in Münsingen
nicht beantragt.
Da einige auf die Toilette mussten, begab ich mich mit einer kleinen
Gruppe auf die Suche nach dieser Einrichtung. Es dauerte nicht
lange, bis wir eine fanden. Über der Grenze...
Anfangs war die Türe abgeschlossen, doch nach kurzer Zeit wurde
sie von einem jungen Mädchen, weit unter 20, geöffnet. 30 Cent
wollte sie. Das war dann doch zu teuer. Wer bin ich denn, dass ich
für ein natürliches Bedürfnis auch noch zahlen soll? Ich unterdrückte
meinen Drang.
Als wir zurück kamen, waren alle aus dem Bus ausgestiegen. Eine
halbe Stunde nach Ankunft an der Grenze ging es endlich weiter in
Richtung Pilsen. Es war inzwischen 13:15 Uhr –
Während wir weiterfuhren sah ich mir die Wolken an. Interessante
Formen. Philipp fand, die eine Wolke sähe aus wie ein Stück
Fleisch.
Warum etwas in den Wolken sehen, wenn es gar nicht da ist? Ich bin
Schüler, ich habe keine Phantasie. Warum mir Gedanken machen,
ob diese Wolke aussieht wie ein Stück Fleisch, ein Elefant oder wie
ein Ufo? Wolken sind, das bringt man uns in der Schule bei, nichts
weiter als Ansammlungen von kondensiertem Wasser, in der Luft
gehalten durch Thermik, nach oben steigende Strömung. Warum
also Formen erkennen?
Es dauert nicht mehr lange, bis wir endlich in Pilsen ankamen.
Pilsen - unser erstes »wirkliches« Bild von Tschechien. Wir fuhren
durch eine Art Industriegebiet ein. Alles sah sehr alt aus, und vieles
auch außer Betrieb, obschon man das nicht mit Gewissheit sagen
konnte, weil Sonntag.
Was mir auch auffiel, waren die vielen Stromleitungen, die überall
verliefen, über den Straßen. Wie sich später herausstellte waren
diese für die Busse und Straßenbahnen. Ich staunte –
Plötzlich tosendes Gelächter hinter mir. Daniel Stark und Martin
Pfeifle freuten sich über etwas. Die beiden saßen durch Zufall
nebeneinander und waren dabei über ihre Austauschschüler zu
erzählen, als sich herausstellte, dass sie in der selben Familie, bei
Zwillingen, untergebracht waren. Zufall.
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Um 14:12 Uhr, also nach ca. 6 1/2 Stunden Fahrt kamen wir endlich
an der Schule an. Von außen sah diese recht passabel aus. Unsere
Austauschschüler warteten bereits.
Wir stiegen aus. Es war heiß. Ich schwitzte –
Man laß unsere Namen vor, damit wir auch wussten wer zu welchem
Tschechen gehörte. Doch meiner fehlte, genau wie Tims. «Das war
ja sowas von klar», meinte ich. Wieder ein Zufall.
Tim wurde ca. 5 Minuten später abgeholt. Doch mein
Austauschschüler kam und kam nicht. Ich unterbreitete Frau Kohler
mehrmals den Vorschlag, ich würde auch (gerne) ins Hotel gehen,
doch diese lehnte dankend mit einem Lächeln ab, mein Tscheche
würde bestimmt noch kommen. Peter war schon froh, nicht alleine
in ein Zimmer im Hotel zu müssen, und auch den anderen, Sarah,
Justyna, Saskia und Susanne schien es eher recht, dass sie einen
weiteren »Hotelgenossen« bekommen sollten. Doch leider: Frau
Kohler behielt recht.
Ein Auto kam und setzte, im Vorbeifahren, einen Tschechen ab.
Meinen Austauschschüler, Marek. Er begrüßte mich und ich
musste mich von meinen Fast-Hotelgenossen verabschieden.
Langsam begaben wir uns zur Bushaltestelle. Wir warteten fast eine
Viertelstunde in der Hitze.
Auf meine Frage hin, ob die Temperatur normal sei, antwortete
er mit «Yes...». Er sprach kein Wort deutsch. Auch recht, dachte
ich mir, ich hatte das ehrlich gesagt gehofft. Doch die Temperatur
machte mir zu schaffen, ich hatte nur 3 T-Shirts dabei, davon zwei
in schwarz –
Die nächste halbe Stunde verbrachten wir mit Fahren, im Bus mit
drei Gepäckstücken, von denen mein Tscheche mir eines abnahm.
Das Leichteste. Wir fuhren schwarz, angeblich hatte er keine Karte
kaufen können. Ich hatte keine Ahnung, wie lange die Fahrt dauern
würde, sodass sich die halbe Stunde zur Ewigkeit ausdehnte. Ich
schwitzte, es war heiß –
Als wir endlich an der richtigen Haltestelle ankamen, waren wir
noch lange nicht am Ziel. Nachdem mein Tscheche Busfahrkarten
gekauft hatte, marschierten wir los. Noch ungefähr ein Kilometer
Fußmarsch lag vor uns, direkt unter der Sonne, und ohne zu wissen
wie weit. Glücklicherweise hatte mein »Koffer« Räder, was die
Sache erträglicher machte.
Wir marschierten, vorbei an Plattenbauten, eine nach der anderen.
Ich versuchte sie zu zählen, doch nach 25 hörte ich frustriert auf.
Meine Hoffnung, wir würden nur hindurchlaufen, schwand von
Meter zu Meter, von Minute zu Minute.
Immer wieder sagte ich mir: «Da vorne hört es bestimmt auf, und es
beginnen die besseren Häuser!» Doch leider leider...
Mein Tscheche blieb plötzlich stehen und öffnete die Türe zu einem
der Hochhäuser. Verdammt –
Die vielen Häuser stammten meiner Ansicht nach noch aus den
Zeiten des Kommunismus, um jedem eine Wohnung geben zu
können.
Als wir die Wohnung betraten und er mir »mein« Zimmer zeigte,
war ich leicht geschockt. Er schlief mit seinen Geschwistern in
einem Zimmer. Zu dritt. Seine Schwester sollte während meines
Aufenthaltes bei ihrer Mutter schlafen, ich bekam ihr Bett.
Wir waren alleine. Er zeigte mir kurz seinen Computer, ein langsames
altes Windows-Teil, mit dem man sowieso nichts anfangen konnte.
Surfen schon gar nicht, weil ohne Internetanschluss.
Wir spielten Schach, zu Jazz-Musik –
Ich schätze Schach, weil man stundenlang (in unserem Fall
minutenlang) nichts zu reden braucht. Man braucht nicht einmal zu
hören. Man blickt auf das Brett, und es ist keineswegs unhöflich,
wenn man kein Bedürfnis nach persönlicher Bekanntschaft zeigt,
sondern mit ganzem Ernst bei der Sache ist.
Ich verlor. Haushoch. Wahrscheinlich weil ich seit mehreren Jahren
nicht mehr gespielt hatte und nicht viel mehr als die Regeln konnte.
Am Spätnachmittag trafen wir uns mit der ganzen Klasse (inkl.
Austauschschüler) in Pilsen, an einer Art Brunnen. Bis die Lehrer
kamen unterhielten wir uns über unsere Gastfamilien. Die meisten
waren bei wohlhabenderen Familien untergebracht und viele hatte
sogar ein eigenes Zimmer.
Als die Lehrer endlich kamen, sah ich Frau Kohler schon von
weitem den «Und, wie fandet ihr’s?» - Blick an. «Es geht...» Ich
hasste Herrn Bantle dafür, dass ich nicht im Hotel war –
Die Tschechen wurden beauftragt uns ein wenig die nähere
Umgebung Pilsens zu zeigen. Doch dies stieß nicht nur bei den
Deutschen auf unverständiges Kopfschütteln.
Aber wieder ordneten wir uns dem System unter. Was blieb uns
übrig?
Die Tschechen zeigten uns eine (anscheinend wichtige) Kirche, mit
einem Engel, bei dem man sich irgendwas hätte wünschen können.
Immer dieser Aberglaube. Und das an einer christlichen Kirche.
Dann ging es vorbei an einer Synagoge. Die weltweit Zweitgrößte,
wie es hieß. Als wir vorbei gingen, entdeckte ich rote Käfer,
die sich ununterbrochen zu paaren schienen. Ihre Hinterleiber
aneinandergedrückt liefen sie sinnlos auf dem Boden umher. Mal
nach rechts, mal nach links, dann im Kreis. Irgendjemand zertrat
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einen der sich Paarenden. Doch trotz des Todes wurde der Akt von
dem Überlebenden fortgesetzt.
Unglaublich, wie trotz Umweltverschmutzung und Atomkraft
solche Tiere in einer Großstadt wie Pilsen überleben können –
Als wir dann über eine Brücke gingen und ich mir das Wasser ansah,
erinnerte es mich eher an abgestandenes Bier als an ein fließendes
Gewässer.
Nach der »Stadtführung« gingen wir gemeinsam, mit den Lehrern,
in einen Klub, eine Kneipe oder wie auch immer, mit Namen
»Elektra«. Wir tranken Bier, zum ersten mal echtes Pilsener Bier aus
Pilsen in Pilsen (welch Logik). Alle, bis auf Frau Kohler, die einen
Orangensaft trank –
Mir schmeckte das tschechische Bier nicht besonders, meiner
Ansicht nach schmeckt es nach Wasser. Nach bitterem Wasser
natürlich, aber trotzdem nach Wasser. Martin meinte, das sei
doch eben gut, weil man das Zeug dann schneller runter bekäme.
Dann doch schon eher ein Schnaps. Von Bier, das nicht besonders
schmeckt, wird man eher fett als besoffen. Etwas Hochprozentiges,
das wir natürlich gar nicht kennen, weil noch nicht 18, ist da doch
um einiges effektiver.
Dann spielten wir noch einige Zeit Billard und Darts, bis wir
beschlossen ins »Alfa« zu gehen. Das war eine Art Disco, direkt
gegenüber des »Elektra«.
Doch leider war dort überhaupt nichts los. Saskia und Susanne
spielten zusammen ein Autorennspiel (das dort rumstand). Ich
schaute zu. Doch plötzlich waren alle weg, angeblich wusste auch
mein Tscheche nicht, wo die hin waren. Also gingen wir nach hause.
Bereits um 21:30 Uhr –
Wir fuhren mit der Bahn und irrten anschließend wieder ziellos, wie
es mir manchmal vorkam, in Richtung großes Haus, das es hier in
hundertfacher Ausgabe zu geben schien.
Als wir endlich angekommen waren, hingen in der ganzen Wohnung
Ballons mit «Welcome Bastian», oder so ähnlich. Seine Geschwister,
Kuba (männlich, 11) und seine Schwester, deren Name ich mir nie
merken konnte (15), hatten diese für mich aufgehängt. Beide waren
sehr nett und sympathischer als ihr Bruder, wie ich fand –
Mein Bruder war so freundlich gewesen, mir seinen »alten« Laptop
mitzugeben, damit ich meinen Bericht schreiben und die Bilder von
meiner Digital-Kamera laden konnte.
Da ich auf der Hinfahrt einige Bilder gemacht hatte, lud ich diese
auf den Rechner, was, wie konnte es anders sein, zu allgemeiner
Aufsehenseregung führte. Danach spielten wir Mikado, bis nach
Mitternacht.
Ich ging duschen, endlich. Das Bad war, genau wie die Toilette, sehr
klein. Es bestand nur aus einer Badewanne, mit Duschkopf, einem
Waschbecken und einer Waschmaschine. Auf nicht mehr als zwei,
vielleicht zweieinhalb Quadratmetern.
Normalerweise dusche ich sehr gerne, bis zu zwei mal täglich, aber
in diesem Bad, in dem man aufpassen musste, nicht über sich selbst
zu stolpern, war duschen eher anstrengend als säubernd...
Als ich es endlich geschafft hatte, mich erfolgreich zu reinigen,
wollte ich meine Zähne putzen. Bereits beim Packen hatte ich mir
Gedanken gemacht, ob ich meine elektrische Zahnbürste mitnehmen
sollte oder nicht. Die Vorstellung, neben den Tschechen, die sich
ihre Zähne mit kleinen Stöckchen putzen, zu stehen und mir den
Mund mit automatischer Feinelektronik reinigen zulassen, war mir
doch nicht ganz geheuer. Nunja, wenigstens war ich alleine, aber
das Geräusch eines rotierenden Zahnputzkopfes hätte die Tschechen
wahrscheinlich verwirrt. Also legte ich meine E-Zahnbürste bei
Seite und nahm eine »normale« Handzahnbürste.
Ich legte mich in mein Bett, es war hart, aber erträglich. Ich war
sehr froh, an diesem Abend endlich schlafen zu dürfen. Doch immer
wieder wachte ich auf, weil zu heiß. Nur mein Bett hatte eine richtig
dicke Decke, alle anderen in der Familie hatten eine dünne.
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--Ein lauter Knall riss mich aus dem Schlaf. Ein kurzer Blick auf die
Uhr... Verdammt, erst halb 5... Einer der Luftballons war explodiert.
Mir schmerzte der Kopf. Die Sonne war bereits aufgegangen und
schien mir direkt ins Gesicht.
Deshalb hatte ich also dieses Bett bekommen.
Mir war heiß –
Ich versuchte wieder einzuschlafen, mit mäßigem Erfolg. Um ca.
7 Uhr stand ich dann auf. Die Familie war schon beschäftigt, ihren
alltäglichen Dingen nachzukommen.
Ich zog mich an und wartete –
Irgendwann rief mich dann mein Tscheche: «Eeehh, Bastian,
eeeehhh, lunch is prepared!»
Ich konnte ihn nicht leiden. Normalerweise versuche ich mir erst ein
Urteil über Menschen zu machen, wenn ich sie besser kenne, doch
dieser Tscheche verleitete mich dazu, eine Ausnahme zu machen.
Es gab Brot. Mit Honig. Zumindest schmeckte das flüssige Zeug,
das ich auf mein Brot schmierte so. Es hatte weder die Farbe noch
die Konsistenz eines mitteleuropäischen Honigs.
Der Name bedeutete, laut meinem Tschechen »not from nature«.
Sollte mich das beruhigen?
Dann wurde ich mit dem Hund der Familie bekannt gemacht.
»Dasti« wurde er genannt, wie man das schreibt, bleibt wohl ein
Geheimnis –
Leider schien mich der Hund nicht besonders zu mögen oder besser
gesagt, er mochte mich sehr, drückte seine Liebe aber auf eine Weise
aus, die weder mir noch meinem Tschechen zusagte... Anscheinend
war er gerade dabei, dem Hund das Hochspringen an anderen
Leuten abzugewöhnen.
Ich putzte meine Zähne, wieder mit der normalen Zahnbürste,
sicher ist sicher.
Wir begaben uns auf den Weg zur Bushaltestelle und fuhren zur
Schule. Ich habe nie gestoppt, aber die Fahrt dauerte etwa 20 bis
25 Minuten.
Ich hasse es meine Zeit auf diese Weise zu verplempern. In
Deutschland wohne ich etwa eine Minute (mit dem Fahrrad) von
der Schule entfernt.
Wenigstens hatte ich einen Sitzplatz –
Herr Müller, unser Religionslehrer, der nach eigenen Angaben
diesen »Austausch« bereits einmal miterleben durfte, hatte uns vor
dem Unterricht gewarnt.
«Wenn die weniger als eine dreiviertel Stunde brauchen, um euch
euren Klassen zuzuweisen, haben die echt dazugelernt. Bei uns war
das eine einzige Katastrophe.»
Und womit keiner gerechnet hatte: Herr Müller hatte Unrecht.
Nachdem der Direktor der Schule eine kurze Ansprache (auf
tschechisch) gehalten hatte, wurden unsere Namen mit Klassen
verlesen. Ich verstand kein Wort, aber mein Tscheche wusste, allem
Anschein nach, Bescheid.
Deutschunterricht. An sich wäre ich über diese Tatsache
glücklich gewesen. Die Lehrerin bat uns jedoch um etwas leicht
Umfangreicheres:
«Könntet ihr bitte einen Aufriss der deutschen Geschichte seit der
Zeit der Germanen geben?»
Sie schien es ernst zu meinen. Jonas fragte noch einmal nach und
begann dann zu berichten.
«Do you want, eeeh, to play?» Ich spürte wie jemand in mein linkes
Ohr flüsterte. Mein Tscheche, der kein Wort deutsch verstand,
wollte eine Art Spiel machen. Rücksichtslos meinte er, mich würde
der Unterricht auch nicht interessieren –
«Sometimes we play chess in school» hatte er mir schon am Vortag
deutlich gemacht. Ich bin nicht gerade positiv auf schulische
Aktivitäten eingestellt. Wirklich nicht. Aber es gehört einfach
zum gegenseitigen Respekt, den anderen zuzuhören, auch wenn es
langweilig ist. Meinem Tschechen schien dies unbegreiflich.
Irgendwann hörte ich nur noch den schrecklichen Dialekt der
Deutschlehrerin. Mir war heiß und ich hatte keine Lust über das
baden-württembergische Schulsystem zu referieren.
Ich sah mir das Klassenzimmer genauer an. Anscheinend ein Raum
für Kunstunterricht. Eine Schülerin betrat das Klassenzimmer, ging
an der Tafel vorbei und in den nächsten Raum, der anscheinend nur
durch eine Tür in diesem Zimmer zu erreichen war. Ich empfand es
als störend. Die tschechische Lehrerin ließ sich nichts anmerken –
Nach einer Ewigkeit, ich glaube es waren 40 Minuten, wurden wir
erlöst, weil Ende der Stunde.
Die Tschechen führten uns in ein anderes Zimmer. Anscheinend der
Physiksaal. Wir warteten. Ich fotografierte. Dann ein Lehrer. Und
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noch einer.
Diskussion über EU. Einer der Programmpunkte, die ich völlig
sinnlos fand. Gut, vielleicht konnte man seine Standpunkte deutlich
machen, aber eine Diskussion, die eigentlich niemanden interessiert
und sowieso nur von einigen wenigen geführt wird ist doch wohl
nicht Sinn eines Tschechienaustauschs, zumal man mit einer solchen
Diskussion nichts bewirken kann.
Ich warf einen bösen Blick in Richtung Herr Bachhofen, der
plötzlich zu reden begann.
Es herrschte Platznot.
«Für euch ist Europa schon fast selbstverständlich.» Ich rechnete.
100 Jahre? Nein, so alt konnte Herr Bachhofen nicht sein. Nunja,
aber so ungefähr. Klar, damals gab es noch keine EU, schließlich
war damals ganz Europa deutsch. Tja, wäre Hitler nicht gewesen,
wer weiß wie Europa heute aussähe.
«Redet doch bitte darüber, was ihr von Europa erwartet.» Wie stellte
sich Herr Bachhofen das vor? Ein normaler Elftklässler hat doch
keine Erwartungen an Europa.
Jonas fragte nach: «Does someone prefer English?» Herr Bachhofen,
selbst ja des Deutschen mächtig, lehnte ab. Schließlich können ja
alle Tschechen deutsch. Ich schüttelte den Kopf.
Die Diskussion begann als Meinungsäußerung im Politikerstil kurz
vor der Wahl.
Ein Tscheche mit blond gefärbten Haaren sprach vom Zerfall der
EU, weil zu viele teure Länder aufgenommen würden, in die bloß
Geld gesteckt werden würde. Dazu zählte er auch Tschechien, sollte
es aufgenommen werden. Er verglich die EU und Tschechien mit
BRD und DDR.
Mir war heiß, ich schwitzte. Ich wollte duschen. Es roch nach Essen
und ich hatte Hunger. Ich machte Photos der Diskutierenden und
dachte an meinen Computer –
Ich schrak hoch, das Wort »Kacke« war gefallen. Der blonde
Tscheche mit den gefärbten Haaren hatte es gebraucht. In Bezug auf
Europa, glaube ich.
Oder ging es doch um die USA? Es klingelte.
Herr Bachhofen kommentierte. Meinetwegen, die Meinung eines
Lehrers zu einem langweiligen Thema.
Er fragte das Publikum. Selbstverständlich ohne Antwort.
Es wurde noch eine ganze Weile sinnlos durch die Gegend
diskutiert, mit dem Ergebnis, dass ich Tschechien nicht mehr in
die EU aufnehmen wollte. Das hatte mir der blonde Tscheche klar
gemacht.
Dann Essen in der Schulkantine. Klöße, Sauerkraut und Fleisch. Das
Ganze schwamm in einer undefinierbaren Soße. Mit Kümmel. Da
ich an diesem Tag noch ein bisschen Hunger hatte, nahm ich Saskia
und Susannes Essen ab, da sie mit Erschrecken festgestellt hatten,
dass die Soße eine »Fleischsoße« (oder so) sei. Also ungenießbar,
weil Vegetarier.
Vegetarier haben meinen tiefen, ausdrücklichen Respekt. Ich
könnte nicht mein Leben lang auf Fleisch verzichten. Doch was
ich kritisiere ist das Anzweifeln der natürlichen Ordnung, der
Nahrungskette. Und wir stehen nun mal an ihrem Höhepunkt. Das
war zur Zeit unserer Urahnen ganz anders: Damals wurden auch
Menschen von Löwen, Wöfen und anderen Raubtieren gefressen.
Nun, da der Mensch sich weiterentwickelt hat, ist es doch nur
verständlich, dass er seine natürliche Berechtigung in Anspruch
nimmt. Ob eine Schlange einer Maus den Unterleib abbeißt oder
ein Mensch einer Kuh einen Bolzen in den Kopf schießt, wo ist der
Unterschied? Natürlich, der Mensch tötet insgesamt mehr Tiere als
vielleicht unbedingt nötig wäre, aber für diese eine Maus oder diese
eine Kuh spielt es im Endeffekt keine Rolle, wer sie tötet. Außerdem
sind ein Großteil der Menschen schließlich Christen, die sowieso an
ein besseres Leben im Jenseits glauben.
Tim, der auch half, und mir schmeckte es allerdings. Auch das
Sauerkraut, das ich eigentlich nicht mag, war genießbar.
Wir begaben uns zum Bus.
Fahrt nach Plasy. In ein Kloster. Es tut mir leid, aber ich verstehe
wirklich nicht, wie ein normaler Mensch annehmen kann, dass
Schüler ein Kloster interessant finden könnten. Nicht einmal in
Tschechien.
Das barocke Kloster, das Nationalsozialismus und Kommunismus
überstanden hatte, diente inzwischen als Ausstellungsraum für
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Kunst. Moderne Kunst –
Neben »braigschen« Statuen und komplett schwarzen Bildern
fanden sich aber auch schöne barocke Deckenmalereien.
Kurz nach dem Betreten des Klosters begann unsere Führung.
Auf tschechisch, übersetzt von Frau Schwanzarova (korrekte
Schreibweise: Svancarova), die tschechische Lehrerin mit kurzen
Haaren.
Dieses Wesen war, um es mathematisch auszudrücken, ein
rundlicher Würfel. Höhe = Breite = Länge. Mein Tscheche machte
öfter abfällige Bemerkungen über sie.
Mir war langweilig. Ein barockes Kloster kann ja ganz interessant
sein (könnte man sich vorstellen), aber nicht in einer so großen
Gruppe. Die Tschechen waren auch mitgekommen. Also insgesamt
weit über 50 Schüler.
Frau Kohler teilte meine Meinung: «Da kann man ja gar nicht
richtig zuhören!» stellte sie entsetzt fest –
Oh je Frau Kohler! Als ob mehr Schüler Interesse gezeigt hätten,
wenn die Gruppe kleiner gewesen wäre. Ich zweifelte.
Doch eigentlich war mir die Führung sowieso egal. Langsam begann
ich mich auch besser zu fühlen, mein Kopfweh schwand merklich.
Wir betraten einen Saal. Langeweile. Doch plötzlich: «... Heiliger
St. Nepomuk ...». Hatte ich mich verhört?
Ich fragte Herrn Bachhofen. «Keine Ahnung, irgendwas von wegen
St. Nepomuk...» antwortete dieser –
Schon lustig, die Katholiken. «Heiliger St. Nepomuk, bitt für uns!»
Mit diesen Worten versuchte uns Herr Hekhorn das Mathe-Lernen
zu erleichtern. Nunja, tatsächlich haben wir den Sinn dieses
Auspruchs nie wirklich verstanden. Es war trotzdem ein seltsames
Gefühl, mitten in Tschechien in einem Kloster unseren MathematikSchutzpatron zu finden. Ich fotografierte.
Schließlich verließen wir das Kloster. Doch die Führung war noch
nicht vorbei. Einige hundert Meter weiter stand die Gruft des Grafen
von Metternich, der irgendetwas mit dem Kloster zu tun hatte.
Die Treppe vor der Gruft, die leicht erhöht stand, wurde von vielen
als Sitzgelegenheit missbraucht. Herr Bachhofen wartete vor der
Gruft und beobachtete diese roten Käfer, die ich schon in Pilsen
beobachtet hatte. »Feuerkäfer« nannte er sie (wie diese Dinger
wirklich hießen, wurde nie definitiv geklärt). Auch hier wurde
ohne Unterlass gepaart. Überall diese Fortplanzerei, es stinkt nach
Fruchtbarkeit und blühender Verwesung.
Ich war müde. Mein Kopfweh wurde wieder stärker. Ich beschloss
die Gruft doch auch einmal anzusehen. Viel gab es jedoch nicht zu
besichtigen. Mehr als ein großer Schrank mit Särgen, Gittern und
eine einzelne brennende Kerze war nicht zu sehen.
Wir saßen noch eine ganze Weile auf der Treppe, es wurden Fotos
gemacht.
Irgendwann die erlösenden Worte. «Wir gehen! Zurück zum Bus!»
Kurz bevor wir wieder an der Schule in Pilsen ankamen, ein
Kulturschock: Frau Hirnings Handy begann »Mozart’s 40.«, laut
Nokia, zu piepsen. Erst nach gut einer Minute brachte Frau Hirning
das Piepsen zumSchweigen.
Mein Tscheche und ich fuhren nach hause. Noch vor 17 Uhr begann
ich, die Bilder von meiner Kamera zu laden. 60 Bilder! Es dauerte
eine Ewigkeit... Ich legte mich auf mein Bett.
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Eine Stunde später erwachte ich wieder. Mein Ärger über mich
selbst. Ich hasse es einfach einzuschlafen. Ich fühle mich dann so
hilflos, ohne Kontrolle über meinen Körper. Doch wenigstens war
ich wieder fit.
Ich war genau im richtigen Moment erwacht. Es gab Essen.
Vor mir stand eine schleimige, weiß-gelbe Masse mit Brot am Rand.
Sauerkraut - oh nein!
Sauerkraut gehört zu den Dingen, die ich normalerweise nicht
esse. Eigentlich gar nicht. Meinen Zorn über die Unverschämtheit,
einfach anzunehmen ich möge Sauerkraut und wolle gleich einen
ganzen Teller davon, konnte ich gerade noch unterdrücken. Ich
aß, Löffel für Löffel, dann wieder Brot, ein Schluck künstlicher
Fruchtsaft. Wieder Sauerkraut, Löffel für Löffel. Irgendwann, der
Teller war glücklicherweise fast leer, musste ich aufgeben. Mir war
einfach zu schlecht, fast hätte ich mich übergeben.
«Do you want more?» Fast hätte ich meinem Tschechen eine
reingeschlagen. Doch ich lehnte dankend ab, es habe sehr gut
geschmeckt.
Warum lügt man in einer solchen Situation? Ich verstand mich
selbst nicht. Ich hätte gleich sagen können, dass ich keinen
Hunger hätte oder einfach, dass ich kein Sauerkraut mag. Aber
nein, Höflichkeit ist wichtiger als das eigene Wohlbefinden. «Wir
sind Botschafter unseres Landes, alles was ihr tut wird auf unser
Land zurückgeworfen.» hatte Herr Bantle auf der Hinfahrt bereits
angemahnt.
Ich mag mein Land. Ich hatte meinen Stolz zwar für eine Woche
abgelegt, aber trotzdem –
Wahrscheinlich ist es einfach ein Problem unserer Gesellschaft,
dass wir die Wahrheit nicht mehr sagen können. Und warum? Nur
aus Angst, man könnte schlecht von uns denken oder gar über das
eigene Land. Es ist also keineswegs uneigennützig, seine Interessen
hinter die der Etiquette zu stellen, sondern im Gegenteil, fast schon
egoistisch, weil man hofft, dadurch einen Vorteil zu erlangen.
Ich traute meinen Augen nicht, als mein Tscheche sich noch eine
Portion nahm. Igitt!
Am Abend trafen wir uns wieder alle in der Stadt. Am «Amerika
Platz». Doch das war eine fast noch größere Unverschämtheit als die
große Portion Sauerkraut.
Auf einer großen steinernen Platte war in goldenen Buchstaben zu
lesen: «THANK YOU AMERICA! On may 6th 1945 the city of Plzen
was liberated by the U.S. Army»
Befreit aus der Unterdrückung durch die Deutschen. Welches kranke
tschechische Hirn musste auf die Idee gekommen sein, sich genau
hier zu treffen?
Ich hatte Mühe nicht an eine Pumpgun zu denken.
Wir begaben uns kollektiv ins Oko, das einige am vorigen Abend
noch »entdeckt« hatten. «Echt geil da!» war die Beschreibung –
Und tatsächlich, es war so. In einem länglichen Raum waren über
sieben Billardtische aufgebaut. Daneben Tische um gemütlich
zusammen zu sitzen und vielleicht etwas zu trinken.
Mein Tscheche brachte mir ein Getränk. Ich hatte eigentlich gar
nicht damit gerechnet, dass er mir etwas spendieren würde.
Ich kostete –
Der Geschmack von Cola durchfuhr mich. Endlich! Aber was noch?
Im ersten Moment hatte ich Probleme den Geschmack einzuordnen.
Dann sah ich die rötliche Färbung des Schaums. Natürlich: Wein!
Das Getränk bestand zur Hälfte aus Rotwein.
Justyna meinte, es handle sich um »Korea«. Meinetwegen. Wofür
es nicht alles Namen gibt. «Aber Achtung, da kriegsch Kopfweh
von!» Da ich schon Kopfweh hatte, schenkte ich der Warnung nicht
weiter Beachtung.
Ich weiß nicht mehr genau, wie viel ich hatte, aber an diesem Abend
hielt es sich in Grenzen. Soweit ich mich erinnere, zwei dieser
Koreas (0,5 l) und einen Baileys, den mein Tscheche im Verlauf des
Abends plötzlich daherbrachte.
Wir verstanden uns an diesem Abend alle sehr gut. Je mehr wir
tranken desto besser, selbstverständlich.
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--Am nächsten Morgen wachte ich wieder durch die Sonne auf.
Noch bevor ich die Augen öffnete begann ich zu grinsen. Ich fühlte
mich gut wie lange nicht mehr, keine Spur von Kopfschmerzen.
Glücklicherweise hatte sich Justyna geirrt. Doch meine Stimmung
wurde schnell schlechter, als ich mir meiner Müdigkeit bewusst
wurde. Nicht ganz sieben Stunden Schlaf.
Um acht sollten wir an der Schule stehen. Eine halbe Stunde für
Bad, Frühstück und Rucksack packen.
Um 8:17 Uhr fuhren wir nach Prag. Prag sollte zu einem der
Höhepunkte unserer Reise werden.
Wir machten einen Zwischenstopp auf dem Parkplatz eines
Einkaufszentrums, in dem man Geld tauschen konnte. Doch leider
war die Bank zu, sodass wir ohne Geld zu tauschen weiterfahren
mussten.
Plötzlich wieder das Gepiepse. Nur eine halbe Stunde nach der
Abfahrt hatte irgendjemand wieder das Bedürfnis, Frau Hirning
auf dem Handy erreichen zu wollen. Wieder der Selbe, nervige
Klingelton.
Noch 82 km –
Mir war heiß, aber ich genoss es kein Kopfweh mehr zu haben.
Um 10 Uhr kamen wir dann endlich an. Prag! Wir stiegen mitten
auf der Straße aus dem Bus, weil Stau. Die Sonne schien, nur ein
paar Quellwolken. Es war heiß. Unser erstes Ziel: Eine Toilette.
Zufällig stand diese vor dem Prager Schloss, sodass wir dieses
gleich besichtigten.
Erst den großen königlichen Lustgarten, oder so. Mit Ausblick auf
die Kathedrale, unser nächster Anlaufpunkt. Wir hatten jetzt 45
Minuten Zeit, um das Kloster mit unseren Tschechen zu besichtigen.
Dazu fehlte mir aber ehrlich gesagt die Lust.
Ich setzte mich mit Susanne, Saskia und Tim vor eine hässliche
Statue. Erst wussten wir gar nicht, wohin wir gehen sollten. Klar,
in Richtung Treffpunkt, aber wo war der? Schließlich machten wir
uns auf. Ständig kamen uns Leute entgegen, die etwas Farbiges, wie
einen Schirm, in die Höhe streckten. Wie sinnlos.
Ein geistesgestörter Italiener, an dem wir vorbeigingen, kam nicht
umhin Saskia «Cicci!» zu nennen. Diese war davon sichtlich
verstimmt. «Was soll das heißen, Cicci?» Es half ihr nicht unbedingt,
als Tim erklärte, dass es sich wohl um ein Wort handele, was
Italiener für kleine, »süße« Kinder benutzten. Sie ärgerte sich noch
einige Minuten darüber, bis wir schließlich den Treffpunkt fanden.
Keiner da und noch eine halbe Stunde Zeit. Wir stellten uns an den
Rand des Schlosses und genossen die Aussicht auf Prag.
Ein seltsam dreinschauender Mann ging langsam an uns vorbei.
Er wollte irgendetwas verkaufen, das er in den Händen hielt. Eine
Art Spielzeug. Susanne ließ sich anmerken, dass sie sich dafür
interessierte. Ein schlimmer Fehler. Der Penner wollte uns gar nicht
mehr in Ruhe lassen. Glücklicherweise entdeckte er nach einiger
Zeit das nächste Opfer.
Der Treffpunkt war unter der nächsten hässlichen Statue. Als endlich
alle da waren, wurden noch ein paar Fotos der Gruppe gemacht, bis
es dann weiter ging. Quer durch Prag.
Durch kleine Straßen, vorbei an Restaurants mit »böhmischen«
Spezialitäten, Straßenverkäufern, Wechselstuben und Pennern.
Der Himmel war inzwischen völlig mit Wolken bedeckt und es war
kälter geworden.
Wir gingen über die Karlsbrücke. Anscheinend eine wichtige
Sehenswürdigkeit, laut Herrn Bantle. Aber viel war nicht zu sehen.
Nur viele Leute – ich hatte Angst um meine Tasche. Überall auf
der Brücke standen und saßen Maler, die Portraits und Karikaturen
anfertigen wollten, an einer Ecke spielte eine Jazzband. Es begann
zu regnen. Ganz leicht, aber unnachgiebig.
Weiter ging es, durch die Prager Altstadt, bis wir schließlich an
einen großen Platz kamen.
Dann drei Stunden Zeit. Wir schnappten uns unsere Tschechen
und machten uns auf den Weg. Als erstes wollten wir etwas essen.
Natürlich bei McDonald’s. Doch der erste McDonald’s zu dem uns
die Tschechen führten, war gnadenlos überfüllt. Auf einem Schild
war zu lesen, es gäbe in der Nähe einen Weiteren. Nach längerer
Debatte über Sinn und Zweck machten wir uns auf den Weg. Wir
fanden auch schon bald den anderen, mit Platz für uns alle. Glück.
Mein Tscheche lud mich wieder ein. «Eeeh Bastian, eeeh, what do
you want?» Ein Chicken McNuggets Menü. Seine Reaktion auf
meine Erklärung ließ mich schnell merken, dass er nicht besonders
oft zu McDonald’s ging –
Ich setzte mich also mit Andreas, Tim und Johannes an freie Plätze
und wir warteten. Nach ungefähr einer Viertelstunde kamen dann
unsere Tschechen und Philipp, dessen Tschechin sich geweigert
hatte mitzukommen.
Man sollte annehmen, McDonald’s sei überall gleich, aber meine
Chicken McNuggets unterschieden sich in Geschmack und Form
deutlich von den internationalen. Statt der normalen glatt panierten
Oberfläche und einer angedeuteten Hähnchenform, waren diese
Teile viereckig und grob paniert, mit Stückchen in der Panierung.
Dies rief wohl auch die Differenz in Form in Geschmack hervor –
Als alle fertig gegessen hatten, mussten einige ihren natürlichen
Bedürfnissen nachkommen. Wieder fünf Kronen. Doch diesmal
wurden die fünf Kronen in Form einen Gutscheins zurückgegeben.
Keine schlechte Idee: Wer bloß wegen der Toilette kommt, zahlt
fünf Kronen, die die noch etwas essen wollen, bekommen sie
zurück. Doch: Unser Essen war schon bezahlt, sodass wir nichts von
den Gutscheinen hatten.
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Die Klos waren zwar nicht unbedingt sauber, für Tschechien aber
durchaus akzeptabel.
Als wir das Gebäude verließen, versuchte mein Tscheche die
Gutscheine, es waren sicher sechs Stück, Leuten zu schenken, die
sowieso gerade etwas essen gehen wollten. Doch keiner verstand,
was er wollte. Witzigerweise auch wegen der Sprache. Erst
erwischte er zwei Polinnen, dann einen Engländer. Endlich fand er
einen Tschechen, der die Gutscheine bereitwillig entgegennahm.
Der Regen hatte aufgehört.
Dann weiter durch Prag. Zu einem Einkaufszentrum, eher eine
Art Passage. Ein Musik-Geschäft, mit Postern. Ich kaufte mir ein
Poster, das eine Atom-Explosion darstellte. Wir irrten weiter, eine
Rolltreppe nach unten. Da war eine Art Lebensmittelladen. Friedi
hatte mich gebeten, ich solle ihr unbedingt eine Flasche »Whiskey
Cream« mitbringen. «Die schmeckt sooo geil!» meinte sie.
Erst ab 18.
Mein Tscheche erklärte sich bereit, eine Flasche zu kaufen. Doch
der hatte keinen Ausweis dabei. Perfekt.
Was dann geschah, kann ich nur aus seinen Berichten schließen, weil
tschechisch. Eine Frau sprach ihn an und fragte ihn, ob sie es kaufen
sollte. Anscheinend lebte sie auf der Straße oder so. Keine Ahnung,
mein Tscheche war nicht unbedingt genau in seinen Ausführungen.
Jedenfalls bekam er die Flasche und ich war glücklich. Immerhin
mal ein Geschenk.
Das einzige, das ich gekauft habe. Ich habe lange überlegt, was ich
meinen Geschwistern und meinen Eltern aus Tschechien mitbringen
könnte. Bis auf meinen Bruder hatte niemand um etwas spezielles
gebeten. Der jedoch fragte mich kurz vor der Abreise: «Basti,
bringst du mir ein paar tschechische Euro(s) mit?» Nunja, bei einem
Wechselkurs von 1:1 mit tschechischen Kronen durchaus verlockend,
aber ob tschechische Euro-Noten von deutschen Banken akzeptiert
werden, ist überaus fraglich, aber nicht ausgeschlossen. Schließlich
arbeiten tschechische Fälscher äußerst genau. Angeblich...
Wir betraten ein Einkaufzentrum. Wieder Poster. Die anderen
suchten diesmal nach einem. Philipp fand einige, für sich und
seine Schwester. Auch Andreas wurde fündig. Dann Internet.
Ein Stock tiefer sollte es angeblich ein Internetcafé geben. Doch:
«They say, that the internet doesn’t work!». Mein Tscheche hatte
gefragt, doch leider,... Einige hundert Meter weiter dann wieder
ein Einkaufszentrum. Mit funktionierendem Internetcafé, endlich!
Ich schrieb meiner Schwester eine eMail, wie es mir ging und so
weiter...
Verdammte tschechische Tastatur –
Dann zurück zum Treffpunkt. Die Sonne schien wieder.
Es wurde geprüft, ob auch alle da seien, was sich als nicht gerade
einfach herausstellte, weil alle redeten. Frau Schanzarova ging im
allgemeinen Gerede fast unter.
Doch irgendwann war auch das geschafft und wir machten uns auf
den Weg zur jüdischen Gemeinde in Prag –
Ich nahm anfangs noch an, wir würden zum Bus gehen und dann
zur jüdischen Gemeinde fahren, doch die Gemeinde war nur wenige
Blocks entfernt, was mir aber erst klar wurde, als wir direkt vor
einer Synagoge Halt machten.
Ein letztes Bild, dann gelüstete es meine Kamera nach einer neuen
Ladung Batterien. Von Aldi, versteht sich.
Minutenlang standen wir in einer langen Schlange vor der Synagoge.
Ohne Sinn und Zweck, bis sich der Schülerhaufen langsam in
Bewegung setzte. In die Synagoge hinein –
Das Bauwerk war, verglichen mit der Pilsener Synagoge, recht klein,
und diente allem Anschein nach als Ausstellungsraum und weniger
als »Gotteshaus«. Leider hielt sich meine Begeisterung für jüdische
Kultur in Grenzen, nicht wegen irgendwelcher antisemitscher
Grundzüge, im Gegenteil, die Sache mit dem Mondkalender (zum
Beispiel) hätte mich durchaus interessiert, aber nicht, wenn ich von
einer öffentlichen Institution, genannt Schule, mitten in Tschechiens
Hauptstadt gezwungen werde, mich für Synagogen zu interessieren.
Wann begreifen die Lehrer endlich, dass man sich eigentlich nie
für etwas interessieren kann, was man aufgezwungen bekommt?
Einzige Ausnahme ist, wenn man sich bereits vorher interessiert
hat.
Mehr tot als lebendig saßen und standen wir also in dieser Synagoge
umher. Einige konnten noch den Worten der deutschsprechenden
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Führerin lauschen. Ich saß neben Susi und erwartete gespannt das
Ende der Führung –
Endlich hatten wir Zeit uns umzusehen. Wie toll. Meine Stimmung
hatte sich allerdings gebessert, da ich annahm, wir seien jetzt fertig.
Doch plötzlich:«Das dauert jetzt noch 1 1/2 Stunden...» hörte ich
jemanden sagen. Was? Sollten wir uns jetzt hier die ganze Zeit über
aufhalten?
Doch schon zwei Minuten später verließen wir die Synagoge.
Vorbei an einem Andenkenshop. Ich erinnerte mich unvermittelt an
den Geschichtsunterricht. «Kauf nicht beim Juden!» Zwar leicht
unpassend, aber wozu bekommen wir sonst soetwas beigebracht?
Unser nächstes Ziel war nicht etwa der Bus, sondern die nächste
Synagoge. Ein Schild machte uns darauf aufmerksam, dass
Käppchen zu tragen seien. Diese Juden-Teile eben, die nur ca. 1/3
des Kopfes bedecken und sehr symbolisch zu verstehen sind. «Den
Abstand zu Gott vergrößern!» Erst behaupten Gott ist allmächtig
und allgegenwärtig und plötzlich kann man mit einem Stück
synthetischem Stoff die ganze Omnipräsenz zunichte machen?
Verstehe einer die Religion...
Frau Kohler bildete das Ende der Gruppe. Ich versuchte ihr klar zu
machen, dass ich keine Lust hatte, diese Käppchen zu tragen. Ich
machte das Angebot, vor der Synagoge zu warten. Hätte ich mich
bloß nicht breitschlagen lassen.
Frau Kohler hat diese Art, erstmal nach dem «Wieso jetzt?» zu
fragen. «Naja, öhm, aus Glaubensfragen und so...» Da! Schon
wieder ein schlechtes Gewissen. Wie ich das hasse. Lehrer die
einem ein schlechtes Gewissen machen könne, sollte man allesamt
verbieten.
Auch Tims Protest wurde zerschmettert von der Übermacht
weiblicher Autorität –
Ich wurde also »gezwungen« die nächste Synagoge zu betreten.
Selbstverständlich zog ich dann die Juden-Kappe auf, schließlich
bin ich kein so intoleranter Trampel, der meint, sein Glaube sei der
einzig richtige. Außerdem konnten die armen Juden ja nichts für
meine Lehrerin –
Das »Nichtaufziehen« der Kappe, das einige als Ausdruck des
Protests benutzten, empfand ich als lächerlich und unpassend.
Wenigstens war es ein Tscheche, der sich derart verhielt.
Unpassend deshalb, weil die ganze Synagoge vollgeschrieben war
mit Namen und Todesdaten. Alle zwischen 1941 und 1945. Jetzt
sollten wir auch noch deswegen ein schlechtes Gewissen bekommen.
Meinetwegen. Doch dann erinnerte ich mich an die Worte Herrn
Bachhofens: «Vielleicht sollten wir die Vergangenheit einfach ruhen
lassen. Gegenseitige Schuldzuweisungen bringen nichts.» So oder
so ähnlich hatte er sich ausgedrückt. Gegenseitig war hier natürlich
nicht ganz richtig, schließlich war der einzige »Fehler« der Juden
gewesen, dass sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Und
vorallem den »falschen« Glauben hatten. Nach der Meinung A.
Hitlers zumindest. Jedenfalls war es nicht meine Schuld, dass all die
Juden getötet wurden und die Wände mit ihren Namen machten sie
auch nicht wieder lebendig.
Meine Überlegungen wurden unterbrochen, als wir einen großen
Friedhof betraten. Die Gräber waren teilweise übereinander errichtet
worden. Weil Juden keine Gräber auflösen, oder so. Ich konnte
der Führerin aus verschiedenen Gründen nicht zuhören. Weil mein
Käppchen die ganze Zeit wegflog, weil ich mit Sassi und Susi sprach,
deren rote Haare sich im Wind bewegten und weil die Führerin aus
akustischen Gründen einfach schlecht zu verstehen war.
Eigentlich interessierte es auch niemanden, ob der Friedhof jetzt 400
oder 500 Jahre alt war.
Tim, der Berichte über die Ausflüge machen sollte, erklärte mir, er
habe nicht einmal Notizen gemacht. Über mein Angebot, er solle
warten bis mein Bericht fertig sei, war er dankbar. «Ich schreib’s
aber genau wie’s war! Alle haben sich gelangweilt...» Ich konnte
Tim nur zustimmen.
Peter machte sich plötzlich Gedanken über die Tora und ToraBora. Außerdem erzählte er von seiner Vision des unsichtbaren
Antisemiten – uns war allen langweilig.
Weiter ging’s zur nächsten Synagoge. Diese war weit größer als die
Vorigen, aber keineswegs interessanter –
Und weiter zur Nächsten, zur letzten Synagoge. Diese war einige
hundert Meter weiter. Doch Glück: Endlich Sitzgelegenheiten. Die
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Bänke waren sofort voll. Unsere Führerin erzählte noch ein wenig,
doch dann war ihre Zeit abgelaufen. Sie musste mit der Führung
aufhören, weil wir zum Bus mussten. Doch: Die Tschechen waren
weg!
Nach ein paar Minuten konnte dann aber mittels Handy geklärt
werden, wo wir hinzugehen hatten. Zurück zur vorigen Synagoge.
Dort wurden wir bereits erwartet. Dann machten wir uns endlich auf
den Weg zum Bus. Einige kauften dann doch noch beim Juden, in
einem der zahllosen Souvenirshops.
Nach einigen Minuten Fußmarsch, machten wir an einem großen
Gebäude halt.
«Letzte Gelegenheit auf’s Klo zu gehen!»
Plötzlich: Das Durchzählen ergab einen Fehler! Saskia, Susanne,
Hani, Johannes und Isabella waren nicht anwesend. Wir saßen
also vor diesem Gebäude, das sich als Philosophische Fakultät
herausstellte, und warteten.
Nach wenigen Minuten – schon von weitem sah man Sasia und
Susannes roten Köpfe leuchten. Glücklicherweise hatte Saskia
Justynas Handynummer auswendig gekonnt, wie sie stolz
verkündete. Ihre Verzögerung war auf das Kaufen von Souvenirs
zurückzuführen.
Endlich setzte sich die Schüler-Schlange wieder in Bewegung.
Frau Kohler meinte, sie würde jetzt den Schluss bilden, damit
niemand mehr verloren gehen könne.
Ich nutzte die Gelegenheit für ein kurzes Gespräch.
«Frau Kohler, warum haben wir eigentlich bei Homo faber nie das
Demeter-Kore-Motiv besprochen?»
Man konnte ihr die Verwunderung sofort am Gesichtsausdruck
ablesen.
«Bastian, ich wäre gestorben, hättest du mich das im Unterricht
gefragt!» Wieder eine Chance vertan. Hätte ich bloß gefragt –
Noch einige Sätze über Homo faber, dann ein Schlag ins Gesicht:
«So, jetzt aber mal zum Deutschunterricht», meinte Frau Kohler
plötzlich. Ha! Sichtlich stolz auf sich selbst, dass sie diese
Überleitung so toll hinbekommen hatte, schaute sie mich fragend
an.
Ich konnte nicht ganz folgen. Sie versuchte mich über den
Deutschunterricht auszufragen und warum unsere Klasse nicht
unbedingt »interessiert« sei.
Eine tolle Situation. Ganz am Ende der Gruppe, von der Lehrerin
zum Gespräch gezwungen, weil ich ja ein «offener Mensch», wie sie
meinte, sei. Ich fühlte mich eher wie ein Kriegsgefangener auf dem
Foltertisch als ein Schüler mitten in Prag.
Ich wusste auch gar nicht genau, was ich sagen sollte, schließlich
wusste ich genau so wenig, warum ein Thema uninterresant ist wie
sie –
Ich versuchte es mit simplen Erklärungen wie «Wir sind eben alle
faul.» oder «Das Thema ist eben uninteressant.» Ich beteuerte aber,
dass es weder etwas mit der Lehrerin noch mit dem Fach zu tun
hatte, dass wir eine eher »ruhigere« Klasse wären.
Irgendwann war sie zufrieden. Doch zu welchem Preis? Wir hatten
die Gruppe verloren.
Es war sehr befriedigend mit anzusehen, wie Frau Kohler und
Herr Bantle versuchten die Gruppe und den Bus wiederzufinden.
Außer den zwei Lehrern waren noch sieben weitere Schüler
zurückgefallen. Desorientiert und verwirrt gingen wir quer über eine
Wiese, direkt auf eine Gruppe Busse zu. Doch: Es war ein simpler
öffentlicher Busabstellplatz. Keine Spur unserer Gruppe. Wir
setzten uns hin. Handy? Keine Chance, alle gespeicherten Personen
waren unerreichbar.
Selbstlos machte sich Herr Bantle auf die Suche. Dann war auch
er verschwunden. Da saßen wir nun also. Alleine mit Frau Kohler
mitten in einer tschechischen Großstadt. Ich war zufrieden. Endlich
war es auch mal einem Lehrer passiert.
Minutenlang passierte nichts. Dann endlich: Herr Bantle kam
zurück und winkte uns schon von weitem, wir sollten kommen. Er
hatte den Bus gefunden.
Im Bus diskutierten wir noch kurz, ob und was wir am Abend
machen sollten, doch ohne Ergebnis.
Als wir wieder in Pilsen ankamen, führte Herr Bantle ein »ernstes
Gespräch« mit den Hotelleuten. Die waren am Vortag fast eine halbe
Stunde zu spät gekommen. Lächerlich –
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Zur Strafe mussten sie an diesem Abend schon um 10 statt um 11
Uhr im Hotel sein. Obschon es den Lehrern an diesem Tag auch
nicht besser ergangen war. Meine Laune war total im Keller und
zu allem Überfluss meinte mein Tscheche auch noch, wir müssten
zum Essen.
Tim und die anderen gingen anscheinend gleich oder später,
genau kann ich das nicht sagen, dann doch noch fort. Ich wollte
nachkommen, denn mein Tscheche drängte, seine Mutter würde
warten. Mit Essen, wahrscheinlich.
Natürlich war dem nicht so. Als wir ankamen, begann seine
Schwester (seine Mutter war gar nicht anwesend) gerade erst mit
Kochen. Ich war begeistert –
Ich lud wieder meine Bilder von der Kamera. Es waren ein paar
wirklich Gute dabei. Wieder schlief ich ein, mein Ärger über mich
selbst –
Es war bereits 21:30 Uhr. Wir aßen. Es gab fettigen Reis mit
süßsaurer Soße und ein wenig Fleisch. Es sollte wahrscheinlich
chinesisch sein, schmeckte aber nicht danach. Aber es war im
Gegensatz zu dem Sauerkraut vom Vortag wirklich gut.
Erst gegen 22 Uhr waren wir mit Essen fertig und mein Tscheche
fand, es hätte keinen Sinn noch in die Stadt zu gehen. Auch recht,
aber das war noch lange kein Grund, mit ihm zu reden. Ich schrieb
weiter am meinem Bericht.
Das Programm für den nächsten Tag begann mit den Skoda-Werken.
Die Gruppe traf sich bereits vor dem Gebäude. Das Schild «Museum
Skoda» (man beachte: Skoda wird Schkodda, also mit kurzem O
gesprochen) war verrostet und der Putz an der Wand abgebröckelt.
Wir warteten. Die Sonne schien zwischen ein paar Wolken
hindurch.
Dann ging es los. Ein älterer Herr mit Krawatte begrüßte uns auf
deutsch, mit starkem tschechischen Akzent. Er erzählte uns kurz
etwas und stellte dann seinen »Assistenten« vor, der die Führung
übersetzen sollte. Anscheinend deutsch, Franke, meiner Ansicht
nach. Dieser Mann, Mitte 30, war das typische (noch lebende)
Exemplar eines ausgewanderten Deutsch-Tschechens. Er trug Jeans,
T-Shirt und hatte vor Fett triefende Haare mit Seitenscheitel. Das
übliche eben –
Die Führung begann im unteren Stock, wo es um die Vergangenheit,
sprich Geschichte Skodas ging. Wir wurden auch gleich aufgeklärt,
dass Skoda nichts (oder zumindest nicht viel) mit Skoda Auto zu
tun hatte.
Es ging um den Zweiten Weltkrieg.
Vielleicht auch um den Ersten –
Ich setzte mich auf den Boden, weil Schmerzen in den Füßen.
Die Hälfte der Schüler saß uninteressiert im Raum, auch Herr Bantle
und Herr Bachhofen taten es uns gleich.
Dann ging es einen Stock nach oben, über eine Treppe. Dort ging
es vor allem um die Gegenwart Skodas. Metallbearbeitung, soweit
ich verstand.
Ich saß mit Saskia und Susanne auf dem Boden. Rote Haare auf
meinem Block, Saskia laß meine Notizen.
Irgendjemand (ich glaube es war Peter) klagte über Halsschmerzen,
weil tschechische Zigaretten.
Nach einer Ewigkeit ging es endlich weiter. Jetzt kam der
interessante Teil: Die eigentliche Werksbesichtigung. Auf dem Weg
dorthin trafen wir Tobias, dessen Tscheche sich leicht verspätet
hatte.
Das Werk war wirklich interessant. Wir gingen zwei Meter an
glühenden Stahlteilen vorbei, ohne jegliche Sicherheitsmaßnahme.
Typisch tschechisch eben. Dann vorbei am Schmelzofen, heiße,
stickige Luft strömte uns entgegen. Es stank. Es roch unangenehm,
geradezu giftig. Ich versuchte den grünen Dampf zu ignorieren, der
aus dem Schmelzofen strömte –
Wir durchliefen noch die Nachbearbeitungs- und die
Abfertigungshalle. Ohne Möglichkeit zum Sitzen. Der Franke
redete und redete. Ich hörte weg –
«Irgendwann hört er bestimmt auf!» Ich klammerte mich an diesen
Gedanken und biss die Zähne zusammen. Doch der Schmerz in
meinen Füßen wurde immer stärker und der Franke wollte einfach
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nicht aufhören von »Endabfertigung« zu reden. Wie ich diese Tortur
überleben konnte, weiß ich nicht mehr –
Dann zur Schule, wieder Essen in der Schulkantine. Igitt... Leider
kann ich mich nicht mehr erinnern was es gab. Irgendetwas
ekelhaftes, mit Kümmel.
Nach dem Essen kam dann der von mir persönlich gefürchtetste
Programmpunkt: «Nachmittag Sport»
Was ist der Sinn sportlicher Aktivität in Tschechien? Auf einer
Studienreise. Am Vortag hatte ich noch eine Diskussion mit Frau
Kohler gehabt, die meinen Standpunkt einfach nicht vestehen wollte
oder konnte.
Meiner Überzeugung nach hat Schule keinen Anspruch auf meine
körperliche Leistung, schon gar nicht um Noten zu bekommen.
Unverschämt! Außerdem gehört Schulsport zu den teuersten
Fächern überhaupt und ist das einzige Fach (im Normalfall), in dem
Verletzungen, meist nicht unerheblich, passieren können.
Ich hatte mich also auf das Schlimmste vorbereitet und meine innere
Haltung bereits klar auf »Verweigerung« eingestellt. Doch – dieser
Mittag wurde zu dem schönsten und entspannendsten überhaupt.
Bereits um 13:15 Uhr, also eine 3/4 Stunde zu früh, begannen wir
uns den »braigschen« Minigolfplatz anzuschauen. Die komplette
Anlage war selbst gemacht. Angemalt von Zehnjährigen oder
zumindest hatte es den Anschein. Außerdem unebene Bahnen,
Löcher und Gras, was nur einige wenige der Punkte waren, die ich
bemängelte.
Nach einer Viertelstunde hatte ich die Bahn durch, mehr oder
weniger... Ich setzte mich auf das Gras. Dann zusammen mit
Philipp, Tim und Martin auf eine der Bahnen.
Langsam füllte sich der Platz. Keiner der Deutschen (fast keiner)
hatte Lust, Basketball oder gar Fußball zu spielen. Nur ein paar
Verrückte, wie Tobias und Peter, waren dazu in der Lage.
Eine halbe Stunde nach offiziellem Beginn des Sports war von
irgendwelchen Aufsichtspersonen, also Lehrern, keine Spur –
Irgendwann saßen und lagen wir alle zusammen und genossen die
Sonne. Ich fühlte mich wohl.
Auf meinemBauch lag ein Kopf mit roten Haaren. Unter mir das
Gras. Dazu das Scheppern von Saskias Walkman, mit eingebauten
Lautsprechern! Ich genoss den Moment und wünschte mir, dass die
Lehrer nie kommen würden.
Eine Stunde und 50 Minuten nach Beginn tauchten plötzlich ein
paar seltsam bekannte Gestalten auf. Oh, die Lehrer.
Sie schien es wenig zu interessieren, dass sich keiner sportlich
betätigte. Auch recht, obschon es sich um eine Pflichtverletzung
handelte. Aber die tschechische Mentalität war, so schien es, auf sie
übergesprungen.
Plötzlich die freudige Botschaft: Nach der Oper am Abend
hatten die Hotelleute die offizielle Erlaubnis bis zwölf (also 24
Uhr) wegbleiben zu dürfen, weil eigene Verspätung der Lehrer.
Allgemeine Freude –
Der Sport schien beendet. Nach kurzer Besprechung beschlossen
Martin, Tim, Philipp und ich kurz zum Einkaufen zu gehen. Meinem
Tschechen befahl ich... ich sagte ihm, dass er hier warten sollte.
«I’ll wait here!» Ich nickte freundlich zurück und verkniff mir die
Worte «Hab ich doch eben gesagt, du Arsc**och!», auch wenn er es
nicht einmal verstanden hätte.
Das nahegelegene «Einkaufszentrum» kam uns gerade recht. Doch,
Einkaufszentrum traf es nicht ganz. Vielleicht hätte es irgendwann
mal eine Passage werden sollen, denn das (meiner Ansicht nach)
halbfertige Gebäude diente vor allem als Herberge verschiedener
Kleinstläden.
Glücklicherweise gab es auf Höhe der Straße eine kleine Drogerie.
Wir kauften verschiedene Lebensmittel, Süßigkeiten. Ich entdeckte
ein Imitat der »Prinzenrollen«, allerdings von einer völlig anderen
Firma. Aber mit fast identischer Zeichnung auf der Packung und
zum halben Preis.
Außerdem noch eine 2 Liter »Coca Cola«-Flasche für unglaubliche
30 Kronen (ca. 1 Euro), das original tschechische Cola hingegen
kostete nur 10 Kronen. Mir wurde aber gesagt, es sei ungenießbar.
Wir machten uns langsam auf den Rückweg zur Schule.
Mein Tscheche wartete schon – wir fuhren nach hause. Umziehen
für die Oper. Es waren aber noch über 1 1/2 Stunden. Ich lud meine
Bilder –
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Wieder wurde mir bewusst, dass ich eingeschlafen war.
Irgendwann weckte mich mein Tscheche und wir aßen noch etwas.
Wieder viel zu viel, allerdings weiß ich nicht mehr was. Aber es war
bestimmt furchtbar, mit Kümmel.
Pünktlich kamen wir vor dem »Theater« an. Ich hatte mir extra
meine schlimmsten Sachen angezogen, doch leider wurde ich
trotzdem reingelassen, wie alle. Ich ging hoch. Eine ältere Frau
erklärte mir sehr nett (wirklich) auf deutsch, wie ich meinen Platz
finden konnte. Nicht, dass ich mir nicht selbst hätte denken können,
was Reihe und was Sitzplatz hieß, aber die Frau sah aus, als würde
nicht oft jemand mit ihr reden.
Ich setzte mich und wartete. Frau Kohler hatte irgendetwas von
einem besonderen Vorhang oder so gesagt. Anscheinend war es das,
was die Bühne verdeckte. Ja natürlich, meinetwegen, dann war es
eben wunderschön –
Langsam füllten sich die Plätze. Doch als es los ging, waren längst
nicht alle belegt. Wir waren auf dem zweiten »Balkon« oder wie
das hieß.
Bis zum ersten Wort hoffte ich noch, die Oper könnte in der
Originalsprache, also Deutsch, aufgeführt werden. Mein Tscheche
hatte irgendwas von einem »Untertitel-Projektor« erzählt, doch:
Pech! Die Oper war selbstverständlich tschechisch. Doch auch die
Tschechen verstanden kein Wort.
Nach ca. 45 Minuten dann endlich Pause. Es ist wirklich nicht
so, dass ich etwas gegen klassische Musik hätte, im Gegenteil.
Es gibt Beschäftigungen, bei denen ich gerne klassische Musik
im Hintergrund laufen lasse, zum Beispiel während ich etwas
programmiere.
Aber was uns in dieser Oper geboten wurde, war alles andere
als angenehm. Wirklich störend war der Gesang zwar auch
nicht, aber ich konnte einfach nichts entdecken, was irgendeinen
Unterhaltungswert gehabt hätte.
Wir saßen in einer Ecke mit zwei Sesseln. Sarah, Justyna, Peter,
Saskia, Susanne, Martin, Tim und ich. Dann unsere Entscheidung:
Wir wollten hier warten, bis zum Ende. Das erste Signal, dann das
zweite, jetzt ging die Oper weiter. Wir blieben sitzen.
Eine jüngere Frau steckte den Kopf durch einen Türspalt und bat uns
auf deutsch: «Wenn Sie den zweiten Teil nicht mitverfolgen wollen,
seien Sie bitte leise...»
Kein Problem. Nach kurzer Diskussion verließen wir das Gebäude.
Diskret, selbstverständlich. Wie uns ging es noch einigen anderen,
doch die meisten verließen das Stück während der Aufführung, was
für die wenigen Interessierten bestimmt störend war. Aber ich war
weder interessiert noch in der Oper.
Auch einige Tschechen standen jetzt mit uns vor der Oper. Doch was
jetzt? Isabelle und einige mit ihr gingen in eine Sportbar, Fußball
anschauen, es fand irgend ein Endspiel statt –
Tim und Martin gingen mit ihren Tschechen. Ich stand alleine da,
mit Sarah, Justyna, Saskia, Susanne und Peter. Diskussion über den
weiteren Abend. Der Vorschlag: Das »Alfa«.
Es war eben erst 20 Uhr, also warum nicht. Wir machten uns auf
den Weg. Justyna ging es anscheinend nicht so gut und nach nur
wenigen Minuten beschloss sie, es sei das Beste, wenn sie zurück
ins Hotel ginge.
Wir gingen weiter in Richtung »Alfa«, doch als wir ankamen war
natürlich kein Mensch da. Die Musik dröhnte schon und an der Bar
stand jemand, doch das war auch schon alles.
Ich wollte ins »Oko« doch wirklich sicher waren wir uns nicht, ob
wir hinfanden. Zurück zur Oper. Keiner da. Also unternahmen wir
alleine den Versuch, zum Oko zu gelangen, schließlich hatten wir
mit den anderen ausgemacht, wir würden uns dort treffen.
Wir gingen den Weg nach Schilderung eines Mitmenschen (ich weiß
nicht mehr wer es war). Irgendwann erkannte ich auch die Gegend
wieder, doch ich hätte das Oko nie alleine gefunden –
Peter und ich unterhielten uns über irgendetwas Sinnloses während
Sarah, Saskia und Susanne uns zielsicher direkt vor die Türe des
Okos führten. Respekt.
Auch hier war nicht viel los, was uns aber nicht sonderlich störte.
Wir diskutierten kurz über die Oper und die Geldverschwendung,
die sie darstellte, doch ich sah das anders. Zwar interessierte mich
die Oper überhaupt nicht, aber ohne unsere Teilnahme wäre das
Theater mit Sicherheit nicht mal zur Hälfte gefüllt gewesen. Und der
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Eintritt betrug umgerechnet gerade mal etwas über 3 Euro. Ich fand,
wenn wir mit diesem Geld der Gruppe geholfen hatten, war es die
Sache bereits wert gewesen.
Wir tranken etwas und schon einige Minuten später kamen auch die
anderen. Dieser Abend wurde zu einem der schönsten überhaupt,
zumindest empfand ich das so.
Sonne... wieder direkt in mein Gesicht. Ein Blick auf die Uhr, diesmal
fast pünktlich, noch 10 Minuten, dann musste ich aufstehen.
Frühstück – es gab Kuchen.Und das am frühen Morgen. Natürlich
zwei Stück auf meinem Teller. Mit Rosinen. Dazu Cola, weil keine
Milch mehr im Haus. Das erste Stück ging, aber da ich normalerweise
ja nicht frühstücke, hatte ich ernsthafte Schwierigkeiten das zweite
Stück Kuchen zu essen und gleichzeitig das erste für mich zu
behalten. Mein Tscheche aß drei Stück und überlegte sich, ob er
noch eines nehmen sollte –
Fast pünktlich kamen wir an der Schule an. Martin hatte Geburtstag,
ich kam vor lauter Gratulanten kaum an ihn ran, um ihm
selbstverständlich ebenfalls zu gratulieren.
Abfahrt nach »Karlsbad«. Wieder fuhren wir in getrennten Bussen.
Nach einigen Minuten Fahrt, wir hatten Pilsen gerade verlassen,
meldete sich Herr Bachhofen zu Wort. Es ging um die Oper.
Er begann damit, dass er die »erste Gruppe« lobte, die die Oper
diskret während der ersten Pause und auch kurz darauf verlassen
hatte. Dieses Verhalten bezeichnete er als «annehmbar». Auch eine
«zweite Gruppe» lobte er, nämlich diejenigen, die das Stück trotz
tschechisch bis zum Ende schweigend miterlebt hatten.
Doch dann kam er auf die «dritte Gruppe», die Kaninchen, zu
sprechen. Er verglich deren Verhalten mit eben diesen armen kleinen
Tieren. «Das Kaninchen frisst den ganzen Tag Möhrchen und hält
alle anderen für blöd, bloß weil sie nicht auch Möhrchen essen.»
Möhrchen? Normalerweise ist eine bildliche Sprache durchaus
als vorbildlich zu bezeichnen, aber derart verschlüsselt? Meine
Deutschinterpretation zu «Homo faber» war mir leichter gefallen als
nachzuvollziehen, was Herr Bachhofen damit sagen wollte.
«Und wenn ihr nicht aufpasst, fallt ihr in die Regenwurmstufe.»
Langsam begann ich mich doch zu fragen, ob seine Worte überhaupt
noch von der Oper handelten.
Soweit ich verstand, versuchte er damit die Gruppe zu rügen, die in
der Oper geblieben war, aber geredet und gestört hatte. Irgendwo
konnte ich ja auch nachvollziehen, dass es störend gewesen sein
könnte, wenn sich jemand für die Oper interessiert hätte.
Ich musste an Sauerkraut denken. Mit Kümmel –
Um ca. 10 Uhr kamen wir in Karlsbad an. Die Sonne schien, ein
paar kleine Quellwölkchen zogen dahin, es war heiß.
«Um 14:15 Uhr treffen wir uns wieder hier.» Einer der Lehrer war
etwas vorschnell. Justyna, Sarah, Saskia, Susanne und Peter, also die
Hotelleute unserer Klasse, nahmen diese Angabe zu wörtlich und
machten sich kurzerhand alleine auf den Weg.
Die Gruppe setzte sich in Bewegung, gemeinsam - natürlich ohne
die eben Genannten. Unser erstes Ziel war eine »öffentliche«
Toilette. Kostenlos für 5 Kronen. Ob wirklich jemand von dieser
Gelegenheit Gebrauch machte, ist fraglich – vielleicht.
Erst jetzt wurde mir bewusst, dass die Hotelleute nicht mehr bei der
Gruppe waren, die zwei rot leuchtenden Köpfe fehlten einfach.
Frau Kohler reagierte auf meine Frage, ob sie wüsste, dass sich die
Hotelleute abgesetzt hatten, gelassen: «Wenn die wissen, dass wir
uns um 14:15 Uhr wieder am Bus treffen, ist’s doch o.k.»
Weiter, durch eine Unterführung direkt auf eine Einkaufsstraße zu,
welche wir dann gemeinsam entlanggingen. Mir war nicht ganz klar,
welchen Sinn es hatte, der Gruppe zu folgen.
Als wir an einem kleinen Straßencafé vorbeigingen die
Überraschung: «Justyna?» Anscheinend hatten die Hotelleute doch
die gleiche Route wie wir gewählt, nur schneller. Justyna saß alleine
vor dem Café mit einer Tasse vor sich.
«Wo sind die anderen?»
«Die sind drinnen auf’s Klo!»
Ich zögerte. Sollte ich mich hier anschließen? Doch mein Gewissen
widersprach. Hätte ich mich bloß zu denen gesetzt, dann wäre der
Tag vielleicht auch für mich interessant geworden. Doch leider ging
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ich weiter mit der Gruppe, die Straße entlang. Wie konnte ich nur
so dumm sein.
Wir überquerten eine Brücke, vorbei an einem Thermalbad, wieder
über eine Brücke. Es sah wirklich schön aus. Der Fluss, überall
Bäume und Sträucher, Gras und zwitschernde Vögel. Irgendwie
kitschig –
Dann endlich begriff ich, warum wir noch gemeinsam unterwegs
waren: Wir kamen an ein großes Bauwerk, wahrscheinlich eine
Residenz dieses Karls, der ja bereits im Namen der Stadt zu finden
war und auch in Prag war er mehrfach aufgefallen.
Jetzt löste sich die große Gruppe auf. In kleinen Gruppen mit
mindestens 3 Leuten sollten wir uns jetzt die Stadt anschauen. Ich
wollte mit Philipps Gruppe, doch leider sah ich sie nirgends. Also
schloss ich mich Martin, Dominika, Tobias, seinem Tschechen und
Tim an. Mein Tscheche meinte, er müsste sich unserer Gruppe auch
anschließen. Toll –
Erste Station, eine Passage. Zum Einkaufen. Es handelte sich dabei
um ein längliches Bauwerk auf drei Stockwerken. Mit Rolltreppen.
Diese führten aber lediglich nach oben. Während Martin, Dominika
und die anderen Karten anschauten, versuchte ich einen Weg nach
unten zu finden. Vorbei an Kleinst-Läden.
Kopfschüttelnd passierte ich die verschiedensten Artikel:
Ledertaschen, Hochzeitskleider, Schuhe. Ein Paradies für weibliche
Wesen, die Hölle für mich. Ich hatte das Gefühl allein durch meine
Anwesenheit Geld zu verlieren.
Am anderen Ende des Gebäudes dann endlich eine Treppe. Direkt
neben einem »German Store«, der Mode direkt aus Berlin verkaufte.
Wie originell –
Endlich verließen wir das Gebäude. Ich machte den Vorschlag,
zurück zu der Einkaufsstraße zu gehen, die wir am Anfang
gemeinsam durchquert hatten. Keine Reaktion.
Wir bewegten uns durch eine Gasse, völlig ziellos anscheinend.
Niemand schien meine Frage nach dem «Wohin?» wahrzunehmen.
«Mir reicht’s, wir sehn’ uns am Bus!»
Ich drehte mich um und setzte Kurs auf die Einkaufsstraße.
Verwunderte Blicke von meinem Tschechen. Die anderen merkten
anscheinend nichts.
Ich hatte damit gerechnet, dass mir jemand hinterher rufen würde,
doch nichts dergleichen geschah. Meinetwegen. Ich ging den Weg
zurück, den wir gekommen waren. Am Thermalbad setzte ich mich
und dachte nach.
Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen. Ich hatte nur
ungefähr 30 Kronen (1 Euro) bei mir, da ich alles andere Daniela
geliehen hatte. Außerdem sprach ich ja kein Wort tschechisch und
ein Handy hatte ich auch nicht dabei.
Trotzdem, ich war froh alleine zu sein. Zum ersten Mal seit einigen
Tagen.
Ich fotografierte und machte Notizen. Ich genoss die Sonne.
Wie lange ich einfach nur da saß, vermag ich nicht zu sagen.
Irgendwann beschloss ich aufzustehen und in Richtung Bus zu
gehen. Ich überquerte die Brücke.
Plötzlich: Bekannte Gesichter. Julia und Nadine aus der ParallelKlasse kamen mir entgegen. Ich grüßte freundlich.
Sie hatten sich auch schon früher abgesetzt und fanden jetzt
niemanden der anderen. Selbstlos erklärte ich mich bereit ihnen zu
zeigen, bis wohin wir mit der Gruppe gegangen waren.
Auf unserem Weg fiel ihnen die Einkaufspassage auf, wegen eines
großen Banners. «Da war ich schon drin, fand’s aber nicht so toll.
Aber vielleicht ist es was für euch.» Meine Beschreibung gefiel
ihnen anscheinend und die beiden beschlossen, die Passage zu
besuchen.
Ich ging weiter und setzte mich vor das große Bauwerk, das wir ja
schon vorher hätten beschauen sollen.
Überall kleine Brunnen, aus denen heißes, schwefelhaltiges Wasser
strömte. Frau Kohler hatte gemeint, es besitze angeblich eine
heilende Wirkung.
Viele der Touristen hier schienen, im Gegensatz zu mir, daran zu
glauben. Sie liefen mit großen Bechern oder Gläsern durch die
Gegend, manche der Gefäße hatten Röhrchen, die am unteren
Ende austraten und nach oben zeigten. Um von unten nach oben
zu trinken. Aber wozu? Um den Schwefel nicht mit aufzunehmen
vielleicht? Eigentlich war es mir egal. Ich saß da und wünschte mir
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ein Handy. Vielleicht hätte ich die Hotelleute wiedergefunden.
Im Schatten des Bauwerks und durch den Wind, der jetzt blies,
war es angenehm kühl. Ich betrachtete das vollkommene Blau des
Himmels und die eine Wolke, die dahinschwebte. Meine Versuche
mich an meine Segelflugtheorie und den Kurs in Meteorologie
zu erinnern, scheiterten kläglich. Vielleicht eine Strato-Cumulus
Wolke, aber eigentlich war sie dafür zu hoch.
Gegenüber wurde ein Haus gereinigt –
Wieder eine Gruppe älterer Herrschaften, die das ekelhaft lauwarme
Quellwasser tranken.
Ich machte Fotos, von dem Gebäude, von einem der Brunnen. Da
mir die Füße weh taten, beschloss ich zurück zum Bus zu gehen.
Durch die Einkaufsstraße, natürlich mit der Hoffnung, eine der
Gruppen zu treffen.
Wieder durch die Einkaufsstraße, die Unterführung und vorbei an
der »öffentlichen« Toilette. Doch kein bekanntes Gesicht weit und
breit. Es war unerträglich heiß, als ich endlich am Bus ankam. Frau
Hirning, unsere Busfahrerin, saß in einem Klappstuhl im Schatten
des Busses und laß eine Zeitschrift, wahrscheinlich Gala.
Ich grüßte. Ob sie mich wirklich als einen der Schüler erkannte,
weiß ich nicht. Ich schätze, sie verließ sich einfach darauf, dass kein
deutschsprechender Fremder einfach so auf sie zugehen würde.
«Bisch du schowieder da?» fragte sie mich zu recht erstaunt.
Um eine glaubhafte Erklärung zu bieten, erzählte ich, ich hätte
meine Gruppe verloren.
Sie öffnete mir die Bustür. Noch nicht mal 12 Uhr.
Ich saß einfach nur da, vor dem Bus, auf der letzten Stufe. Kühler
Wind wehte mir entgegen. Am liebsten wäre ich irgendwo auf einer
Wiese gelegen, wie am Vortag, während des »Sports«. Wenn ich
doch bloß die Handynummern aufgeschrieben hätte. Frau Hirning
hätte mich bestimmt kurz telefonieren lassen.
Mir schmerzten die Füße –
Müdigkeit überkam mich. Ich legte mich auf die letzte Reihe des
Busses. Es war nicht unbedingt bequem, aber durch die getönten
Scheiben des Busses war es wenigstens nicht zu hell, sodass ich
schnell einschlief.
Ich träumte, von zweiköpfigen Tschechen und rothaarigen
Deutschen. Fast eine Stunde später erwachte ich wieder. Ich hatte
gar nicht bemerkt, überhaupt geschlafen zu haben. Mein Zorn über
mich selbst –
Notizen. Ich schrieb fast eine Seite. Dann machte ich Fotos. Von den
Schienen hinter dem Bus. Nur weil ich nichts besseres zu tun hatte.
Dann beschloss ich mich auf die Suche zu machen, vielleicht könnte
ich jemanden finden. Diesmal ohne Rucksack.
Vorbei an unzähligen Bussen, dem Bahnhof. Die Sonne brannte.
Kein Wind mehr. Mir war unerträglich heiß. Warum hatte ich heute
morgen auch unbedingt das schwarze T-Shirt anziehen müssen.
An der öffentlichen Toilette, zu der wir ja bereits heute morgen
gelangt waren, machte ich Pause. Ich hatte etwas im Schuh –
Was dachte ich mir überhaupt dabei? Wie hoch war die
Wahrscheinlichkeit, dass ich jetzt jemanden meiner Gruppe finden
würde? Fast gleich null.
Ich überlegte. Was sollte ich dann machen? Ich hatte ja nicht einmal
eine Mütze auf und auf Sonnenbrand war ich nicht aus. Am Kopf
sowieso nicht.
Zurück zum Bus. «Niemand g’funden?» Ich schüttelte den Kopf.
Wieder meine Notizen. Diesmal über die Abende im Oko. Ich
schrieb und schrieb. Eine Seite, zwei. Dann zeriss ich das Blatt,
es war sowieso zu nichts nütze. «Dein Bericht soll nüchtern und
sachlich sein, Bastian, für’s Oberschulamt.» Frau Kohlers Worte
hatte ich noch genau in Erinnerung. Also warum über sinnlose
Saufgelage schreiben? Ich hätte mir zwar vorstellen können, dass
es die Herrschaften des Oberschulamtes brennend interessiert
hätte, wie die heutige Jugend feiert, aber Frau Kohler war anderer
Meinung.
Noch eine halbe Stunde –
Ich saß auf meinem Platz, mein Kopf an der heißen Scheibe.
Wahrscheinlich durch die Tönung erhitzt. Normalerweise wird Glas
doch nicht heiß durch die Sonne. Ich war mir nicht sicher.
Ich durchsuchte meinen Rucksack und warf den Müll in den gelben
Sack. Noch 20 Minuten –
Im Bus war es zwar im Vergleich zu draußen kühl, aber ich schwitzte
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dennoch. Ich wollte duschen. Sekunden wurden zur Ewigkeit.
Noch 15 Minuten.
Dann endlich: Sarah und Justyna kamen. Endlich jemand zum
Unterhalten. Doch viel war nicht zu erfahren. McDonald’s – Liegen
auf einer Wiese – Vögel die Essen stehlen. Wäre ich doch bloß bei
denen mitgegangen.
Der Bus füllte sich. Philipp erzählte, dass sich fast alle auf dieser
Wiese aus Justynas Erzählung getroffen hatten. Wäre ich einfach
den Weg zurückgelaufen, wie ich es ja fast getan hätte, wäre ich mit
ziemlicher Sicherheit auf die Wiese gestoßen, meinte er.
14:15 Uhr, der Bus war voll. Doch unsere Lehrer fehlten. Langsam
wurden wir ärgerlich, im Bus war es heiß. Keine Spur der Lehrer –
Eine Viertelstunde später, der Vorschlag ohne die Lehrer zu fahren,
ließ sich leider nicht durchsetzen. Frau Hirning gab sich gelassen.
Fast eine halbe Stunde später sahen wir bereits von weitem eine
Gruppe dunkler Gestalten, die sich langsam dem Bus näherten. Sie
lachten. Als die Lehrer den Bus betraten, wurden sie gnadenlos
ausgebuht. Vergebens warteten wir allerdings auf eine Erklärung.
Später erfuhren wir, dass die Lehrer angeblich beim Essen waren
und sich in der Zeit etwas vergriffen hatten. Wahrscheinlich war
auch etwas Alkohol geflossen. Frau Kohler hatte aber vermutlich
wieder nur ein Glas Orangen-Saft getrunken.
Die Busfahrt zurück nach Pilsen dauerte und dauerte. Mir war heiß.
Von der Klimaanlage des Busses war nur wenig zu spüren. Doch
endlich, endlich erreichten wir Pilsen und einige, darunter auch ich
und mein Tscheche, durften bereits früher aussteigen, wodurch wir
mindestens eine halbe Stunde sparten.
Ich freute mich schon meinen Bericht weiterschreiben zu können
und die Bilder zu sehen. Doch mein Tscheche hatte andere Pläne.
«Do you want to watch ‘Monty Python’?» Ich hatte mir schon
gedacht, dass ich die verbleibenden zwei Stunden nicht alleine mit
meinem Bericht verbringen konnte –
Nach kurzem Überlegen stimmte ich widerwillig zu. Doch der Film
war wirklich nicht schlecht, zumal auf Englisch. Mit tschechischen
Untertiteln. Monty Python ist eben lustig, egal wo und in welcher
Sprache. Dazu gab es Eis, welches uns Mareks Mutter brachte.
Nicht schlecht.
Zum Berichtschreiben kam ich nicht mehr. Ich hatte gerade noch
Gelegenheit meine Bilder runterzuladen, glücklicherweise war der
Tag nicht unbedingt ereignisreich gewesen und Notizen hatte ich
genug.
Wir fuhren mit dem Bus zur Schule, der Abschlussabend stand
bevor. Als wir ankamen, waren die Vorbereitungen in vollem Gange.
Einige Bänke waren bereits im Hinterhof der Schule aufgestellt
worden, Chips und Getränke (auch alkoholische) standen bereit und
der Grill glühte.
Jeder Versuch den tschechischen Schülern Arbeit abzunehmen,
war allerdings vergebens, wir konnten nichts weiter tun, als uns zu
setzen und zu warten.
Dann kam der Fisch. Am Stück. Gegrillt, selbstverständlich. Leider
hatten sich die Tschechen leicht in unseren Geschmäckern geirrt,
nur wenige aßen Fisch. Obwohl dieser angeblich «ganz toll»
schmeckte.
Ich mag keinen Fisch. Warum weiß ich selbst nicht. Probleme, den
kompletten Fisch vor mir zu sehen und schließlich zu verspeisen,
habe ich keine. Überhaupt nicht. Was ich nicht mag, ist eben der
Geschmack. Und der Geruch. Der Geruch nach gebratenem Fisch
gehört zu den Dingen, die ich nicht ausstehen kann. Fisch ist wie
Sport: Angeblich gesund, aber manche Leute mögen ihn einfach
nicht.
Zum Glück gab es auch noch »Chicken«, wie mein Tscheche das
gegrillte Putenschnitzel bezeichnete. Er war so freundlich, mir einen
Teller gegrillte Pute zu bringen und, es schmeckte wirklich gut.
Salate standen auch auf den Tischen, am Ende war aber noch viel
übrig.
Ich saß neben Cécile und Tim. Arme Cécile: Sie hatte ein knallrotes
Gesicht vom Sonnenbrand, was aber bestimmt schlimmer aussah,
als es war –
Plötzlich lautes Gelächter: Tobias obduzierte einen der gegrillten
Fische. Besonders das Auge sorgte für allgemeinen Ekel. Warum
Ekel? Jeder von uns hat ein solches Auge. Jeder von uns hat ein
Herz, einen Darm, also warum sich ekeln? Andererseits war es nicht
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unbedingt erforderlich den Fisch auseinanderzunehmen, während
andere Essen. Rücksichtsvoll war es auf keinen Fall.
Frau Kohler saß nur einige Meter entfernt. Ich holte meine Kamera
aus meinem Rucksack und schoss unerwartet ein Foto. Sichtlich
verärgert meinte sie: «Bastian du bist blöd!».
«Was soll denn das?» fragte sie. Peter antwortete mit Anspielung auf
meinen Bericht: «Das wird eine Überraschung!». Frau Kohler, die
mich blöd fand, gefiel diese Vorstellung überhaupt nicht. «Ich will
keine Überraschung von Bastian» waren ihre Worte, bestimmt war
ihr bereits zu diesem Zeitpunkt klar, dass der Bericht nicht ganz so
ausfallen würde, wie sie es sich gedacht hatte.
Ich bin nicht blöd. Ich bin nur, was Lehrerinnen nicht vertragen,
durchaus sachlich. Ich bin nicht blöd, wie Frau Kohler behauptet,
und sage kein Wort gegen Schule; meistens fanden die Lehrerinnen
selbst, dass ich mich nicht für Schule eigne. Ich kann nicht die ganze
Zeit lernen. Es muss einfach mal eine Pause geben, Schüleraustausch
ist eben nicht gleich Studienfahrt. Eine Studienfahrt macht man, um
zu lernen, über Kultur und/ oder Geschichte. Einen Schüleraustausch
hingegen macht man, um das Land und die Gewohnheiten des
täglichen Lebens kennenzulernen. Wo ist da bitte Platz für die
Schule?
Zum Nachtisch gab es gekauften Kuchen und Obstsalat. Mit Sahne.
Am Ende war auch hiervon noch jede Menge übrig.
Irgendwann hieß es dann: «Jetzt gehen wir ins Oko!» Martins
Geburtstag musste schließlich gefeiert werden. Eine kurze Bahnfahrt
später saßen wir dann im Oko. Noch nicht alle, aber nach und nach
wurde unsere Gruppe immer kompletter. Martin gab gleich einen
aus.
Auch Frau Kohler und Frau Strauß gesellten sich im Verlauf des
Abends zu uns, aber zumindest Frau Kohler verzichtete auf den
Genuss von Alkohol –
Wir tranken, unterhielten uns und spielten Billard. Wie jeden Abend
hier. Doch die Stimmung war merklich besser, schließlich war es
unser letzter Abend. Es wurde spät. Sehr spät.
Doch wie und wann wir nach Hause kamen, weiß ich nicht mehr. Ich
duschte mich und fiel danach in mein Bett. Ich schlief sofort ein –
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--Ein plötzliches Schütteln. Zum ersten Mal erwachte ich nicht durch
die Sonne, sondern durch die Hand meines Tschechens. Ich war
müde. Sehr müde. Nicht einmal 4 1/2 Stunden Schlaf. Mein einziger
Gedanke: «Heute geht es endlich heim!» Endlich wieder kühles
Cola, mein eigenes Bett, ausschlafen, mein Computer.
Frühstück. Alles zog sich ewig in die Länge an diesem letzten
Morgen. Kurz ein Photo mit mir und der Familie. Als wir gingen
umarmte ich Mareks Schwester. Ich schnappte meinen Koffer
und verließ die Wohnung. Verließ das Hochhaus. Ein letzter Blick
zurück. «Nie mehr! Nie mehr Tschechien!»
Ich zog meinen Koffer neben mir her. Wie oft war ich in der kurzen
Zeit diese Strecke gelaufen? Ich hatte nicht mitgezählt. Der Bus war
voll. Doch schon nach zwei Stationen hatte ich einen Sitzplatz –
Als wir an der Schule ankamen, sahen wir überall seltsam verkleidete
Schüler, die mit Wasser und Essig spritzten. Anscheinend eine Art
Abischerz. Die meisten von uns fanden das aber alles andere als
lustig. Unsere Gruppe bestand sowieso nur noch aus Alkoholleichen
und Scheintoten. Wir luden unser Gepäck in den Bus.
Abfahrt zur Pilsener Brauerei. Wir fuhren mehrere Minuten innerhalb
Pilsens umher, bis wir durch ein Tor auf das Brauereigebäude
fuhren. In einem neuen Anbau saßen wir dann für 10 Minuten und
warteten, bis die Lehrer endlich alles geklärt hatten.
«Nachher kommt noch eine andere Gruppe und der Souvenirladen
wird voll sein. Daher macht der Laden extra für uns jetzt schon kurz
auf.» Frau Kohler schien stolz auf sich selbst.
Der Souvenirladen war nicht besonders groß, aber nett aufgemacht.
Ich kaufte mir ein Bierglas. Für einen Liter Cola, versteht sich.
Dann endlich begann die Führung. Ein älterer tschechischer Führer
begrüßte uns auf Deutsch. Als erstes bekamen wir in dem neuen
Vorführsaal einen Propaganda-Film zu sehen. Es ging um Bier. Die
Qualität des Films war ausgesprochen gut. Eine DVD oder sogar
direkt vom Computer. Auf deutsch.
Dann gingen wir weiter. In Richtung Fabrikanlage. Doch bevor wir
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das Gebäude betreten durften, wurde uns an einer bunten Schautafel
erklärt, wie Bier (in Tschechien) hergestellt wird.
Mir taten die Füße weh. Ich konnte kaum noch stehen. Die Augen
fielen mir fast zu –
Endlich ging es weiter, einen Stock höher. Es roch undefinierbar.
Es stank. Noch ein Film, über Hopfen. «Neunzehnhundert
Achtunvierzitsch wurde dieser erste Botitsch in Betrieb genommen.»
Der tschechische Akzent des Führers war sehr interessant und für
mich der erste »echte« tschechische Sprachstil.
Wir verließen das Gebäude und begaben uns in den Gärkeller. Oder
zumindest das, in dem früher das Bier gärte. Jetzt waren es nur noch
wenige Fässer, die in dem viele Kilometer langen Tunnelnetzwerk
waren. Wieder ein Film.
Mir war kalt, denn hier unten herrschte eine konstante Temperatur
von 8° C, angeblich. Dann eine Probe des Biers. 6° C kühl. Einen
Schluck nahm ich, dann war mir wieder schlecht. Ich nippte
mehrmals und setzte den Becher schließlich in einer Mülltonne
vorsichtig ab.
Endlich war die Führung beendet. Entscheidung: Stadt oder zurück
zur Schule. Ich war müde und mir war heiß. Zurück zur Schule –
Wir setzten uns wieder auf die Wiese hinter die Schule. Es war noch
nicht einmal halb 12. Um 14:00 Uhr war Abfahrt. Wir saßen einfach
nur auf der Wiese. Es war heiß und ich schwitzte. Sarah, Justyna,
Tim, Saskia, Susanne waren bei mir. Wir saßen und redeten.
Kurz darauf gingen wir in die Kantine. Ein letztes Mal aßen wir in
der Schule. Hähnchen mit Soße und Kartoffeln. Jetzt war mir erst
recht schlecht.
Dann saßen wir wieder einfach bloß da. Machmal ein kurzes
Gesprächsthema. Lästern über Lehrer und Fächer.
Mit unserer Bank rückten wir immer weiter in Richtung Mauer, weil
Sonne. Wir folgten dem Verlauf unseres Sterns.
Mein Tscheche stand plötzlich vor mir und fragt, ob ich etwas zu
essen für die Fahrt brauchte. «If it’s possible...» Ich wollte ihn nur
los haben. Und tatsächlich, er verschwand und ließ sich vorerst nicht
mehr blicken.
Langsam scharten sich die jenigen, die noch in die Stadt gegangen
waren, auf einer nahen Wiese. Meine Laune war am Boden.
Noch eine Stunde. Warum konnten wir nicht jetzt losfahren? Und
Gruppenbild sollten wir auch noch machen.
Es wurde immer heißer. Noch 45 Minuten. Die Sonne kam immer
näher. Wieder zurückrücken. Doch die Mauer ließ nur noch wenige
Zentimeter zu.
Doch irgendwie brachten wir auch noch die letzten Minuten herum.
Und irgendwann war es tatsächlich 14 Uhr. Gruppenbild. Ich erklärte
mich bereit, die Fotos zu machen und ließ mir acht Kameras in die
Hand geben. So beladen knipste ich ein Foto nach dem anderen.
Meine eigene Kamera hatte in diesem Moment natürlich wieder das
Bedürfnis nach Batterien, was ich nicht befriedigen konnte, weil
ich keine Zeit und keine Batterien mehr hatte. Also kein Bild mit
meiner Kamera. Mein Tscheche gab mir mein Vesper in die Hand
und verabschiedete sich.
Dann endlich, nach Tagen der Qual: Ich stieg in den Bus, der viel
zu heiß war, und schon kurz darauf fuhren wir tatsächlich los. In
Richtung Deutschland. Als ich meinen Tschechen langsam immer
kleiner werden sah, wusste ich: Es war vorbei. Ich verspürte ein
Gefühl von Zufriedenheit, ein Gefühl absoluter Freiheit. Obschon
ich in einer Stahlkonstruktion, genannt Bus, gefangen war und noch
einige Stunden Fahrt vor mir hatte, fühlte ich mich irgendwie, als
wäre eine Last von mir gefallen.
Nach kurzer Zeit kamen wir dann an der Grenze an. Wir stiegen
aus und legten uns ins Gras. Der Boden war kühl. Ich lag einfach
nur da und sah den Wolken zu, wie sie über uns hinwegzogen.
Ich genoss es mit meinen Freunden zusammen zu sein, mich mit
ihnen ungezwungen zu unterhalten, mein Spaß dabei, ich lag und
schwitzte. Susi fand ein vierblättriges Kleeblatt. Ich klemmte es in
den Scheibenwischer des Busses, vielleicht brachte es uns Glück für
die Staus. Musik, kein Dreck im Gras –
Meine letzten Minuten in Tschechien. Sassi und Susis rote Haare,
das Gras zwischen meinen Händen. Ich schließe die Augen und
spüre wie mich das Licht der Sonne durchströmt. Ich preise das
Leben!
Zwanzig Minuten lagen wir da und redeten. Dann ging es weiter, mit
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dem Bus, in Richtung Heimat. Ich schaute wieder aus dem Fenster,
Wolken, durchstochen von Sonnenstrahlen. Eine Wolke erinnerte
mich an einen Apfel.
Sinnlose »Teenie-Magazine« wanderten durch den Bus, ich erinnerte
mich an meine Fahrt ins Schullandheim.
Nach mehreren Kilometern, Stopp an einem Parkplatz, mit
öffentlicher Toilette. Kostenlos mit automatischer Spülung. Sauber
auch ohne tschechische Frau am Eingang, die 5 Kronen verlangt.
Weiterfahrt nach wenigen Minuten. Stundenlang fuhren wir weiter.
Die Sonne sank immer tiefer, begann schon langsam sich orange
zu färben.
Halt an einer Tankstelle mit Autobahnraststätte. Ich kaufte mir ein
Spezi, die Deutschen Preise. In Euro. «Die spinnen ja wohl! Das
gab’s in Tschechien für die Hälfte!»
Wir standen und saßen zusammen um einem großen Stein. Im
Hintergrund die bekannten Geräusche eines Sport-Flugplatzes.
Schweigen. Bald sollte sie vorbei sein, unsere gemeinsame Fahrt
nach Tschechien.
Unsere Busfahrt dauerte nun schon viele Stunden und Herr Bantle
begann bereits über den Deutschland-Aufenthalt der Tschechen zu
reden. Ich saß auf dem Boden des Busses, vor mir rote Haare. Links
von mir die Türe des Busses. «Was machst du in den Ferien?» Susis
Frage überraschte mich. «Keine Ahnung, mal sehen...»
Endlich bekannte Straßen und Orte. Münsingen kam näher und
näher. Wir konnten es kaum noch erwarten. Und endlich, nach
Stunden der Enge öffnete sich die Tür –
Ich setzte meinen Fuß auf den Boden meiner Heimatstadt, mit der
Gewissheit, dass es in zwei Wochen heißen würde:
«Sie kommen.»
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Anmerkungen
«Homo discipulus» wurde am 03.07.2002 fertiggestellt und
beschreibt den Schüleraustausch der damaligen Klasse 11b mit
Schülern der Tschechischen Republik.
Stil, Wortschatz und Motive wurden bewusst in Anlehnung an Max
Frischs «Homo faber», suhrkamp Verlag, eingebracht.
Schriftliche Interpretationen sind ausdrücklich verboten und dürfen
unter keinen Umständen (außer mit schriftlicher Genehmigung des
Autors) durchgeführt werden.
Der Roman wurde geschrieben »nach einer wahren Begebenheit«.
Allerdings sind einige der Geschehnisse aus der Erinnerung des
Autors und daher nicht unbedingt genau so geschehen.
Sollte sich eine erwähnte Person schlecht oder gar falsch dargestellt
fühlen, bitte ich dies zu entschuldigen. Teilweise wurden die Namen
geändert oder vertauscht.
Dank geht an dieser Stelle an Philipp Backhaus (und Carsten Stauder),
zum einen für das Titelbild, aber auch für das Korrekturlesen der
»Vorab-Version«.
Liebe Grüße an unsere (Ex-)Deutschlehrerin Frau Kohler. Danke,
dass Sie die Darstellung der »Roman Frau Kohler« mit Humor
aufgenommen haben.
Kommentare und Kritik per eMail an:
[email protected]
Dieses Buch kann auch kostenlos bezogen werden unter
http://www.c20.de/
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