Star Wars - What Lies Beneath

Transcription

Star Wars - What Lies Beneath
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STAR WARS
WHAT LIES BENEATH
Version 1.2
von Ihu la Seraphita, 2004-2008
[[email protected]] [laseraphita.livejournal.com]
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KURZBESCHREIBUNG
Die Krise im Meridian-Sektor ist endlich beigelegt und Seti Ashgad
in seine Schranken gewiesen. Für Talon Karrde und seine Schmugglerallianz jedoch bleiben es turbulente Zeiten. Piraten überfallen
immer wieder Frachtschiffe der Gilde und erbeuten damit wertvolle
Fracht. Um die Verteidigung seiner Schiffe aufzustocken entsendet
Karrde seine Assistentin, Mara Jade, nach Ord Mantell.
Nach und nach wird Mara in ein Netz aus Lügen und Intrigen
gezogen, die bereits viele Jahre zuvor ihren Anfang nahmen – und
sie zurück in ihre eigene Vergangenheit führen…
ZEITLINIE
13 NSY (Neue Republik)
WARNUNGEN
Gewalt, Mord, Szenen mit sexuellem Inhalt
RATING / FREIGABE
PG-13, FSK 12
DISCLAIMER
Dieses Werk basiert auf Figuren und Handlungen von Krieg der
Sterne. Krieg der Sterne, alle Namen und Bilder von Krieg-derSterne-Figuren und alle anderen mit Krieg der Sterne in Verbindung
stehenden Symbole sind einge-tragene Markenzeichen und/oder
unterliegen dem Copyright von Lucasfilm Ltd.
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DRAMATIS PERSONAE
AVARICE RINZA; Pirat, Pirate of the Perlemian (Mensch)
BITHRAS MARJUMDAR; Kaufmann (Mensch)
CASSEIA MATALE MARJUMDAR; Hausfrau (Mensch)
ENYTH KOSTRYKA; Pirat, Pirate of the Perlemian (Twi'lek)
ELASHIAR SELVA; Jedi-Ritter (Nautolan)
ILYA JADE; Kaufmann (Mensch)
IYLDIC; Bordadministrator, Daybreak (Twi'lek)
KYLE KATARN; Jedi-Ritter (Mensch)
LANDO CALRISSIAN; Geschäftsmann (Mensch)
LAZ CARHIAN; Pirat, Pirate of the Perlemian (Mensch)
LUKE SKYWALKER; Jedi-Meister (Mensch)
MARA JADE; Agentin der Schmugglerallianz (Mensch)
MAY LYNN MONTROSS; Piratin, Pirate of the Perlemian (Mensch)
ORIANNA MATALE; Erbin (Mensch)
RAJASTA DJAE; Captain, Imperialer Agent (Mensch)
SARZAMIN SAIA; Händlerin (Mensch)
SEENA SANDRAL; ein Mädchen (Mensch)
SHIRLEE FAUGHN; Captain, Starry Ice (Mensch)
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- INHALT 1: DEEP DRIVE (Prolog)
Seite 13
2: MAGICAL MYSTERY
Seite 24
3: ARTIFICAL HALLUCINATION
Seite 41
4: A DIVE INTO THE HEART
Seite 70
5: DEARLY BELOVED
Seite 98
6: CRIES IN THE DARK
Seite 122
7: A FLOWER OF CARNAGE
Seite 158
8: FRAGMENTS OF SORROW
Seite 193
9: TREASURED MEMORIES (Epilog)
Seite 235
10: NACHWORT
Seite 240
11: ANHANG
Seite 243
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ES WAR EINMAL VOR LANGER ZEIT IN
EINER WEIT, WEIT ENTFERNTEN GALAXIS
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Luke rührte sich nicht vom Fleck. »Ich weiß, dass du dich nicht sehr
gut an deine Vergangenheit erinnerst«, sagte er leise. »Wenn du
mich fragst, ich weiß genau, wie du dich fühlst.«
»Danke«, grollte Mara. »Das ist mir wirklich eine große Hilfe.«
»Möchtest du die Vergangenheit zurück gewinnen?«
Sie sah ihn skeptisch an; plötzlich wallten widerstreitende Gefühle
in ihr auf. »Was willst du damit sagen?«
»Es gibt Techniken, mit denen Jedi verschüttete Erinnerungen
ausgraben können«, erklärte er. »Und du könntest eine Jedi sein,
Mara. Du könntest eine mächtige Jedi sein.«
(Timothy Zahn, »Der Zorn des Admirals«)
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1: DEEP DRIVE
Prolog
RAUCH, DRECK, DÜSTERNIS UND DER ALLES BESTIMMENDE GERUCH VON
Treibstoff. Das waren die vier Stichworte, die ihr als erstes einfielen,
wenn sie eines der vielen Schankhäuser auf Ord Mantell betrat. Und
zu jener Cantina, deren Eingang mit bunten Leuchtreklamen
dekoriert war, passte diese Beschreibung ohne jeden Zweifel. Nur
ein kurzer Blick in die Runde genügte der attraktiven rothaarigen
Frau, um die Situation im Junk Palace zu überschauen: Die Theke
war der Schauplatz eines allgemeinen Saufgelages; wer nicht von
dort wich, war bereits im Suff vergammelt. Wenige hatten es jedoch
eilig wegzukommen, manche davon unauffällige Droiden, die
Getränke aller Art für Spezies aller Art in die kleinen, dunklen und
verschwiegenen Nischen brachten.
Fahle Lichter schimmerten durch den Dunst der Kneipe.
Lichter von Spielkarten.
Sieh mal an, ein kleines, illegales Casino! Wie kuschelig, dachte sie
belustigt. Dennoch war sie nicht besonders überrascht.
Einen Moment blieb sie am Fuß der Treppe vor dem Eingang
stehen und nahm noch einmal einen tiefen Atemzug der von
fremden Düften geschwängerten Luft.
Mara Jade befand sich in einem der Außenbezirke der
Hauptstadt zwischen den ausgedehnten Schrottplätzen des Planeten
und dem Ten Mile Plateau. Der Dunst, der vom Ödland ausging
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schien sogar bis in die letzte Nische dieser Cantina zu dringen. Doch
Mara gab sich große Mühe, ihn zu ignorieren.
Sie war im Auftrag von Talon Karrde und der Schmugglerallianz
hier und hatte vor weniger als vier Stunden sie ein paar neue
Sensorsysteme für ihre Kampfschiffe auf die Jade’s Fire verladen.
Anschließend hatte ihre Suche nach neuen Abfangsystemen für die
Wild Karrde sie auf dem Schrottplatz, doch der Ärger, den sie in
letzter Zeit immer wieder mit Piratenbanden hatte, machte derartige
Strapazen unvermeidlich.
Ihre Suche war jedoch nicht besonders erfolgreich gewesen. Erst
nach einem längeren HoloCom-Gespräch hatte Karrde ihr
versichert, dass er einen Kontakt zu einem ominösen Subjekt
herstellen konnte, das ihnen in dieser Beziehung sicher weiter helfen
konnte. Er sollte angeblich momentan ein sehr florierendes Geschäft
in diese Richtung betreiben. Das war vor etwa 3 Stunden gewesen.
Einige Zeit später hatte Karrde sie erneut kontaktiert und ihr
mitgeteilt, dass ihr Kontaktmann sich östlich des Schrottplatzes und
dessen Müllverbrennungsanlagen aufhielt und durch die Kneipen
tingelte. Also hatte sich Mara an seine Fersen geheftet und fast
weitere zwei Stunden damit zugebracht, jeden verdächtig
aussehenden Geschäftsmann zu überprüfen, der ihren Weg kreuzte
– jedoch ohne Erfolg. Sie musste gestehen, dass es ihr langsam auf
die Nerven ging, sich in jeder Kneipe umsehen zu müssen, selbst
wenn ihre Jedi-Sinne ihr die Arbeit ein wenig erleichterten.
Und diese Spelunke hier gehört wohl zu den schlechtesten, die
Mara bisher betreten hatte. Sie war wahrscheinlich sogar noch
schlimmer also so manches Lokal, dass sie in den unteren Ebenen
von Coruscant besucht hatte, um ihre Geschäfte abzuwickeln. Aber
es wurde Zeit, sich wieder der Arbeit zu widmen!
Mara brachte unter dem weißen Mantel eine Hand zum
Vorschein und warf einen Blick auf das Chronometer an ihrem
Handgelenk.
22 Uhr, Standardzeit.
Sieht so aus, als käme ich wohl pünktlich zur Prime Time, schoss es
ihr durch den Kopf. Das könnte lustig werden!
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Sich der Macht bedienend, sah sie sich etwas eingehender in den
Nischen um. Viele menschliche und nichtmenschliche Präsenzen
streiften ihre Sinne, manche davon mehr oder weniger bekannt. Sie
fühlte zum Beispiel die Präsenz der drackmanischen Kriegsherrin
Omogg, einer berühmten und reichen Spielerin. Sie saß am anderen
Ende der Bar und atmete wie üblich Methan durch ihren dichten
Helm. Ihr gegenüber saßen zwei Gotal, ein Bothan und ein
Rodianer. Mehrere Twi'leks gruppierten sich schaulustig um die
Spielerrunde.
Unwillkürlich lächelte Mara und legte ebenso unwillkürlich
unter dem Mantel eine Hand an die Gürteltasche, wo etwa eine
halbe Million Credits ruhten. Die bescheidene Summe, welche sie
für die neuen Abwehrsysteme verwenden würde.
Nein, noch nicht, sagte sie sich. Noch nicht!
Nachdem sie mit ihrer Überprüfung fertig war und ihre Sinne
sich wieder fokussiert hatten, trat sie zu den Menschen und
Nichtmenschen an der Bar, drängelte sich dazwischen und hob die
Hand.
Ein Humanoide mit türkisfarbener Haut tauchte unmittelbar vor
ihr auf. Seine grünbraunen Augen schienen im Dämmerlicht zu
glühen und die schummrige Beleuchtung der Cantina
zurückzuwerfen wie polierter Kristall.
»M-Meine D-D-Dame, wie k-k-k-kann ich Ihnen he-he-helfen?«,
sagte er in gebrochenem Basic und musterte sie eingehend.
Klasse, ein Barkeeper mit Sprachfehler!
»Ein Mal...« Sie warf einen flüchtigen Blick auf eine verschmierte
Tafel über dem Tresen, dann wieder auf den Barkeeper. »Corellianischen Brandy.«
»Ein sehr st-st-st-starkes Getränk!« sagte der Barkeeper. »Ein Dd-d-d-doppelter-r?!«
Mara nickte schlicht, sagte aber nichts.
Gerade in diesem Moment drang ein weiterer, sehr betrunkener
Rodianer durch die Menge an der Bar und säuselte eine Bestellung,
bevor er Mara von ihrem Platz verdrängen wollte. Ein grunzte ihr
eine niveaulose Bemerkung entgegen, von der sie nicht ganz sicher
war, ob der Rodianer sie schmeichelhaft meinte oder nicht. Doch
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Mara machte sich noch nicht einmal die Mühe, ihren Blaster aus
dem Halfter an ihrem Unterarm zu ziehen: gekonnt hob sie einen
Arm und traf mit ihrem Ellbogen die rüsselartige Schnauze des
Rodianers, der ermattet nach hinten sank und verschwand.
Der humanoide Barkeeper pfiff durch seine spitzen Zähne.
»Sie sind wir-wirklich ri-ri-risikofreudig, junge D-D-Dame!«
Dann machte er sich an die Arbeit, goss den Brandy ein und
richtete Maras Getränk her.
Sie lehnte sich lässig gegen die Theke und betrachtete
gelangweilt die blasse Leuchtschrift über der Bar, die Werbung aller
Art darbot. Ihre Gedanken richteten sich mit dem Klirren ihres
Glases, als es vor ihr auf die Theke geknallt wurde, wieder auf den
Barkeeper. Mara öffnete den Mund um etwas zu antworten, als sie
eine dunkelhäutige, menschliche und gepflegte Männerhand auf
ihrer Schulter spürte und jemand rief: „Den bezahle ich!“
Eine Creditmünze flog an Maras Gesicht vorbei zum Barkeeper
und im selben Augenblick wusste sie mit unumstößlicher Sicherheit,
wer ihr Gönner war. Sie wirbelte herum.
»Calrissian!« rief sie aus, als sie sein Gesicht fixierte. »Was, bei
allen Sternen, machen Sie denn hier?«
Mit einem für ihn so typischen charmanten Lächeln hob Lando
Calrissian ihre Hand und küsste diese sanft. »„Ich freue mich auch
Sie zu sehen, Mara«, erwiderte er.
Nach dem ersten Schock beruhigte sich ihre Miene und sie setzte
ein herausforderndes Lächeln auf.
»Sie wollen wohl wieder versuchen mich rumzukriegen, was,
Calrissian?« fragte sie und hob eine Augenbraue. »Na los, sagen Sie
schon, wie Sie mich gefunden haben!«
Calrissian runzelte verwirrt die Stirn und studierte einen
Augenblick ihr Gesicht. »Komisch, irgendwie hatte ich den
Eindruck, Sie hätten mich gefunden!«
Nun war es an Mara, sehr verwirrt drein zu blicken! Doch sie
gewann schnell wieder die Kontrolle. Und dann dämmerte es ihr…
»Sagen Sie bloß nicht, dass Sie Karrdes Kontaktmann sind?«
fragte sie und unterdrückte ihre Frustration. Warum hatte Karrde
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ihr das nicht sofort gesagt? Ein Mann wie Calrissian war wesentlich
leichter zu finden, als ein großer Unbekannter.
»Nun, ich fürchte, es ist ein wenig schwieriger, aber im Grunde
bin ich ihr Kontaktmann, ja«, begann Calrissian und führte Mara
sanft von der Bar weg. Seine Hand glitt sanft über ihre Schultern
und den Rücken hinab. Doch er blieb höflich. »Allerdings ich bin
eher der Kontaktmann des Kontaktmannes.«
Er machte eine kurze Pause und spähte über seine Schulter, als
wolle er sichergehen, dass ihnen niemand zuhören konnte. Dann
zogen sie sich in eine der hinteren Nischen zurück und Mara sank
auf die Bank, die in die Wand eingearbeitete worden war. Calrissian
stellte gerade ihre Getränke auf dem Tisch ab, als Mara die
Verschlüsse ihres Mantels löste und diesen dann von ihren
Schultern gleiten ließ.
„Einer meiner Arbeiter sollte mich über die Schiffe und deren
Besitzer informieren, die momentan auf Ord Mantell angelegt
haben. Schließlich muss man immer ein Auge auf die Konkurrenz
haben und noch mehr auf seine potentiellen Kunden. Jedenfalls fand
ich auf der Liste in meinem Datapad die Jade’s Fire und da war mir
klar, dass Sie nicht weit sei konnten, oder? Und einen kurzen Anruf
bei Karrde später wusste ich auch, was Sie hier wollen!“
„Und voll ritterlichem Edelmut haben Sie entschlossen, der
hilflosen Maid beizustehen?“ fragte Mara sarkastisch. Gleichwohl
bemerkte Calrissian hinter ihren Worten die Saat des verletzten
Stolzes, doch sein freundliches Lächeln blieb unverändert und seine
weißen Zähne schimmerten im gedämmten Schwarzlicht der Bar.
„Ritterlicher Edelmut?“ fragte er mit einer Spur von Belustigung.
„Unsere Namen beginnen zwar mit dem gleichen Konsonanten, aber
noch haben Lukes Ideale nicht zu sehr auf mich abgefärbt! Nein, ich
habe Karrde selbst ein Geschäft unterbreitet. Nennen wir es einen
Tauschhandel. Die Technologie nach der Sie suchen, ist nicht nur
äußerst effektiv, sondern auch kostspielig und sicher nicht in einem
galaktischen Loch wie Ord Mantell zu finden. Im Allgemeinen
haben nur wenige Auserlesene überhaupt das Wissen über diese
Neuerungen in der Schädlingsbekämpfung, wenn Sie verstehen, was
ich meine. Nicht jeder dahergelaufene Freihändler wird in den Kreis
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der Eingeweihten aufgenommen. Und mit ihren Marktvoraussetzungen kann sich M. L. M. Engineering das auch leisten. Es tut mir
außerordentlich leid, dass man Sie nicht zuvor darüber informiert
hat.“
„Ich hoffe nur, dass das, worüber wir jetzt sprechen werden, all
die Unannehmlichkeiten vergessen macht“, kommentierte Mara und
nippte an der bräunlichen Flüssigkeit, die wie Sirup am Glas zu
haften schien. Ihr Gegenüber betrachtete ihr Gesicht über den Rand
seines Bechers hinweg. Mara konnte sehen, wie sich seine
Mundwinkel vage in die Höhe zogen.
„Nun, ich denke, dass wir uns sehr einig sein werden!“
DIE FÄULNIS IN DER SPELUNKE WAR KAUM ZU ERTRAGEN UND ALS EINE
Gruppe dürrer Twi'lek-Mädchen an der rückwärtigen Seite des Junk
Palace zu altmodischer Jizz-Musik zu tanzen begannen, kochten
auch die Körpersäfte der vielen Spezies auf und ließen May
angewidert die Nase rümpfen.
Wie schon so oft an diesem Abend fragte sie sich, wie sie sich
nach den Jahren harter, militärischer Ausbildung und unzähligen,
ehrenvollen Einsätzen an einem Ort wie diesem wieder finden
konnte. Eine imperiale Garnison voller gelangweilter Sturmtruppler
und deren sexistische Vorgesetzte, wäre ihr lieber als der armselige
kleine Mann mit seinen zwei gamorreanischen Leibwachen am
Nebentisch, der nun zum dritten Mal versuchte, sie als Bettgespielin
für eine Nacht zu gewinnen. Laz und Avarice, die beiden Kerle, die
man ihr als Begleitschutz und Tarnung zur Seite gestellt hatte,
erwiesen sich nicht gerade als eine große Hilfe. Beide hatten dem
Gizerbier schon reichlich zugesprochen und zählten mittlerweile
ihre übrigen Credits.
„’Ne gute Runde Sabacc un’ wir könn’n uns vom Gewinn ’ne
Flasche vom gut’n ylesianisch’n Rum kauf’n!“ nuschelte Avarice.
Laz grunzte betrunken eine Erwiderung.
„Den blutrot’n?“
„Jupp, den blutrot’n Rum!“
Flachzangen! dachte sie.
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May seufze stumm und wandte ihren Blick wieder auf die Bar.
Sie streckte die Beine aus und legte die Füße auf einen Hocker, doch
entspannte sie ihre Muskeln keine Sekunde. Man konnte nie
vorsichtig genug sein. Ihr schwarzer, mit mikroskopisch-feinen
Plastahlfäden durchwirkter Eriadu-Lederanzug schimmerte silbrig
in der dumpfen Beleuchtung und wildes, rabenschwarzes Haar
umrahmte ihr lang gezogenes Gesicht. Ihre blasse Haut, die hohen
Wangenknochen und nicht zuletzt ihre lange dünne Nase verliehen
May einen Ausdruck disziplinarischer Strenge, die schon so
manchen das Fürchten gelehrt hatte. Und wenn ihr Verehrer am
Nebentisch nicht bald Ruhe gab, würde auch er herausfinden wie
tödlich sie sein konnte.
Doch dann wurde all ihre Frustration mit einem Male beiseite
gewischt. Als hätte man ihr pures Adrenalin injiziert, zuckten ihre
Muskeln nervös und voller Energie. Es rang ihr einige Mühe ab,
trotz alledem ruhig sitzen zu bleiben.
Da war sie, voller Stolz und Anmut, wie sie die Cantina betrat
und sich das rotgoldne Haar zurückwarf. Es war mehr als zwölf
Jahre her, dass May sie zuletzt gesehen hatte, aber Mara Jade hatte
sich seither kaum verändert. Zwar vermochte May selbst durch die
trügerischen Schatten zu erkennen, dass Mara an Reife gewonnen,
aber nichts von der würdevollen Eleganz verloren hatte, mit der sie
schon früher auf Coruscant herumgeschlichen war.
Mara sah sich um und als May die Intensität des Blickes beinahe
greifen konnte, bündelte sie ihre Gedanken und richtete sie zu einer
mentalen Barriere nach innen, um ihre Gedanken vor Jades Zugriff
zu schützen. Zur Bewerkstelligung eines solchen Geistestricks
musste man nicht einmal ein Jedi sein.
„Hey, May!“ rief Avarice und wischte sich vergeblich den
Bierschaum aus dem Bart. „Willste das noch trinken?“
Er deutete mit einer verschmutzten Hand auf ein Glas billigen
Wein, das vor May auf dem Tisch stand. Sie hielt sich seit fast 2
Stunden daran fest, verspürte jedoch keinen Durst.
„Nur zu!“ sagte sie leichthin und wedelte abwertend mit einer
behandschuhten Hand. Und kaum, dass sie sich versah, leerten die
beiden auch schon den Becher.
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Als sie wieder zu Mara sah, hatte diese gerade Gesellschaft
bekommen.
Gut. Calrissian hatte Mara also gefunden. Sehr gut.
Als sich die beiden auf der anderen Seite ebenfalls in eine der
Nischen zurückziehen wollten, befürchtete sie einen flüchtigen
Moment lang, das Warten und die sorgfältige Vorbereitung wären
umsonst gewesen. Von hieraus würde sie niemals erfahren, über
was genau sie nun sprechen würden. Doch dann schob sich die
mäßige Gestalt von Omogg durch ihr Sichtfeld und May hatte eine
Idee.
Wortlos schwang sie die Beine vom Hocker und stand auf,
worauf Avarice und Laz sich überrascht verschluckten.
„Braucht ihr das noch?“ fragte sie und griff im selben Augenblick
schon nach den Credits, die die beiden auf dem Tisch ausgebreitet
hatten. Sprachlos sahen sie zu, wie May sich das Geld nahm,
hinüber ging und sich an einen Tisch direkt neben Maras Nische
setzte.
„Du! Droide!“ rief sie barsch und die gesellige Spielerrunde sah
zu ihr auf, „Ich spiele! Wie hoch ist der Einsatz?“
Sie zog einen Stapel elektronischer Sabacc-Karten aus der Tasche
und legte sie neben das Interferenzfeld des Tisches. Der
Kartengeben-Droide klickte mehrmals und teilte durch einen
elektrischen Impuls die Werte der Karten aus. Und dann wurde
gespielt.
Allerdings versäumte May es keine Sekunde, ein Ohr offen zu
halten und das Gespräch der beiden am Nachbartisch bis in die
späte Nacht zu verfolgen.
IN DIESER NACHT WAR MARA NICHT MEHR ZUR RUHE GEKOMMEN.
Nach dem Treffen mit Calrissian war sie zur Landbucht der Jade’s
Fire zurückgekehrt, immer noch aufgekratzt von den Ereignissen
des Tages. Und anstatt zu schlafen hatte sie ihr Schiff startklar
gemacht und Kontakt zur Starry Ice aufgenommen, die im entfernten
Orbit um einen der Monde von Ord Mantell kreiste.
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Faughn und der Rest der Crew schienen es zu begrüßen, dass
Mara bald wieder zu ihnen stoßen würde, doch hatte diese ihre
weiteren Pläne noch nicht enthüllt. Sie konnte sich gut vorstellen,
dass alle an Bord darauf spekulierten zur Heimbasis zurück zu
kehren, um danach für die getane Arbeit bezahlten Urlaub zu
bekommen. Aber dem war nicht so. In der Tat war Mara mit
Calrissian übereingekommen, auch wenn sie einige Verhand-lungen
hatten führen müssen.
Lando hatte ihr im Junk Palace enthüllt, dass er gegenwärtig mit
einem kleineren Konvoi von Schiffen im System K11-J17RTS
operierte. Offenbar baute er – ähnlich wie auf Bespin und Nkllon –
ein Metall ab, das sich in diesem entlegenen Outer Rim-System fand.
Nebenbei erwähnte er, dass er dies für ein Projekt auf Coruscant
brauchte, ging jedoch nicht weiter darauf ein. Vielmehr drehte sich
ihr Gespräch um einen gewissen Meelam – denn so hatte er den
Inhabern und leitenden Ingenieur von M.L.M. Engineering betitelt.
"Keine Ahnung, wofür die Initialien stehen. Wahrscheinlich leiten
sie sich einfach aus seinem Namen ab", hatte Lando mit einem
Schulterzucken angefügt. Anscheinend wusste niemand so genau,
wer sich hinter diesem Namen verbarg, Calrissian wusste wohl nur
soviel, dass diese ominöse Person neuerdings an eine Menge Geld
gekommen war und damit die Hardware und Software-Bestände
kleinerer Programmier-Firmen aufgekauft hatte und diverse gängige
Technologien auf so effektive Weise miteinander verknüpfte, dass
ein engmaschiges Verteidigungsnetz entstand. „Ja, ähnliche
Informationen hat man mir auch vorgelegt, aber hat das mit dem
erlesenen Kundenstamm zu tun, den Sie eben erwähnt haben,
Calrissian?“ hatte Mara gefragt.
Es schien wohl eine Firmentradition zu sein, dass sich Meelam
seine Kunden aussuchte, und nicht umgekehrt. Er wollte
offensichtlich genau wissen, wer seine Produkte verwendete,
angeblich, um Nachahmern auf die Schliche zu kommen. Mara war
in diesem Moment klar geworden, dass dieser Auftrag etwas mehr
Zeit in Anspruch nehmen würde, als sie gehofft hatte, doch sie hatte
sich schnell damit abgefunden. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie
einen Umweg in Kauf nehmen musste, um ihren Auftrag zu
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beenden. Außerdem hatte sie noch niemals jemanden enttäuscht,
weder Palpatine, noch Karrde und sie würde jetzt nicht damit
anfangen.
„Wir haben kürzlich ähnliche Anlagen von ihm erstanden“, hatte
Calrissian mit schicksalsschwerer Stimme erklärt, während er noch
ein Getränk für Mara geordert hatte, „allerdings stellte er
Anforderungen, die nicht immer monetärer Natur sein müssen.
Aber entweder Sie lassen sich auf seine Bedingungen ein oder sie
können wieder nach hause fahren. Seine Kaufverträge laufen nur
nach seinen Regeln.“
„Schön und gut“, sagte Mara und hatte ihn ins Auge gefasst,
„aber wo kommen Sie da ins Spiel?“
Eigentlich hatte sie sich schon denken können, was Calrissian
sagen wollte, aber sie wollte ihm die Illusion lassen, dass er sie noch
mit seinem Wissen beeindrucken konnte.
Calrissian hatte daraufhin ein verschlagenes Grinsen aufgesetzt.
„Nun, ich könnte Karrde und Ihnen den Gefallen tun, und Ihnen
den Kontakt zu M.L.M. Engineering herstellen. Schließlich habe ich
mich als zuverlässiger Kunde herausgestellt!“
„Und was erwarten Sie für eine Gegenleistung?“
Calrissians Grinsen war breiter geworden und seine weißen
Zähne schienen im Dämmerlicht gerade zu leuchten.
„Ein kleines Geschäft. Wie ich schon sagte: Ein Tauschhandel!“
„Mit wem?“ hatte sie nach gehakt. „Karrde?“
„Ich liefere ihm Meelam und im Gegenzug bekomme ich ein
bisschen Rabatt auf einige seiner Waren – und das uneingeschränkte
Recht, Ihrer Zusammenkunft mit Meelam beizuwohnen.“
Mara musste zugeben, dass er sie doch noch verblüffen konnte.
Allerdings war sie sich sicher, dass Calrissian doch einen
Hintergedanken gehabt hatte, denn wenig später hatte er sie
gebeten, mitsamt ihrer Crew sein neues Projekt zu besichtigen und
sein Flaggschiff Daybreak gleichzeitig als neutralen Ort für ein
Treffen mit M.L.M. Engineering zu nutzen. Keine schlechte Idee,
doch wenn sie genauer darüber nachdachte, würde Lando die
gemeinsame Zeit wohl für neuerliche Annäherungsversuche nutzen.
Daher konnte Mara sein privates Flaggschiff kaum als neutralen Ort
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bezeichnen. Es entlockte ihr ein Lachen, wenn sie sich ausmalte, wie
Calrissian sich um ihr Wohl sorgen würde, aber auch der Gedanke
an die verdutzten Gesichter ihrer Mannschaft amüsierte schon jetzt.
Ein helles Aufleuchten neben dem CommUnit lenkte ihre
Aufmerksamkeit wieder zurück in das Hier und Jetzt. Per
Knopfdruck öffnete sie den Komkanal, durch den auch sogleich die
kratzte Stimme eines Nichtmenschen ächzte, der ganz offensichtlich
Mühe damit hatte, Basic zu sprechen.
„Starterlaubnis erteilt“, donnerte und dröhnte die Stimme aus
dem Lautsprecher und verging dann röchelnd, ehe Mara noch etwas
erwidern konnte.
Ihr war es recht, also aktivierte sie die Repulsoren und ließ die
Jade’s Fire sanft vom Boden abheben und dann in den rotbraun
getränkten Morgenhimmel über Ord Mantell aufsteigen.
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2: MAGICAL MYSTERY
„ICH BIN, IN DER TAT, BEEINDRUCKT!” SAGTE MARA ZU LANDO, NUR
wenige Tage nachdem die Jade’s Fire auf dem Weg zu ihrem
geheimen Treffen zusammen mit der Starry Ice über Ord Mantell in
den Hyperraum gesprungen war.
Auch wenn die Crew Maras Befehlen anfangs nur äußerst
widerwillig Folge geleistet hatte, war das Gejammer schon bald nach
ihrer Ankunft verstummt. Und in jenem Moment, da Mara das
Treiben von Calrissians Privatflotte durch die verstärkten
Plastahlfenster der Brücke betrachtete, erfreuten sich Karrdes
Schmuggler an exotischen Getränken und der amüsanten
Gesellschaft der zweiten Besatzung der Daybreak.
Landos Flotte schwebte zurzeit zwischen drei Sternen dahin,
deren Licht von farbintensiven Nebeln überschattet wurde. Das
leuchtende Rot, Gelb und Grün der fernen Nebel vermischte sich zu
einem Farbenspiel, das beinahe romantisch wirkte. Überall glänzten
und glitzerten Gesteinsbrocken und Felsen wie kleine Sterne, bis sie
von Landos Sammler-Schiffen aufgelesen und stumm davon
getragen wurden. Der dichte Sternenstaub war, wie Lando ihr
erklärt hatte, der Rest einer bereits Jahrhunderte alten Supernova,
deren Nachwirkungen noch immer fortlebten.
Die Strahlung und nicht zuletzt die undurchdringlichen Nebel
ließen das Projekt unter dem Deckmantel der Diskretion
verschwinden. Ohne Landos genaue Anweisungen hätten Karrdes
Schmuggler nicht einmal den einen Pfad zwischen den Systemen
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gefunden, der sie nach K11-J17RTS geführt hatte. Die Tarnung war
nahezu perfekt!
Auf der Brücke ging es ausgesprochen ruhig zu. Viele von
Calrissians Angestellten waren Nichtmenschen, einer von ihnen der
Twi'lek-Bordverwalter Iyldic, dessen Lekku ständig nervös zuckten,
sobald jemand an seinem Becher Kaffee aus dem Speiseprozessor
schlürfte.
Hastig eilte er von einer Kontrollstation zu nächsten und
speicherte Informationen auf seinem Datapad, als gäbe es nichts
Dringenderes zu tun.
Schlussendlich gesellte er sich zu Lando, den er um fast einen
Kopf überragte, während dieser schweigend neben Mara stand und
hinaus in die farbenerfüllte Leere des Weltalls hinaussah. Als Lando
keine Anstalten machte, auf Iyldics Erscheinen zu reagieren, zog
auch er es vor zu schweigen und Landos Blick zu folgen.
Das Projekt bestand aus mehreren Sammlern, wie Calrissian sie
schon auf Nkllon benutzt hatte, deren Trägerschiffen, mehreren
kleineren Wartungsschiffen, drei mittelgroßen Transportern, die wie
umgebaute und stark modifizierte Sternzerstörer der Victory-Klasse
aussahen, und dem übergroßen Flaggschiff, der Daybreak.
„Ich denke, es ist wohl das Beste für meine Gesundheit, wenn ich
nicht frage, woher Sie schon wieder astronomischen Geldbeträge
haben, um all das hier zu bezahlten, oder?“ fragte Mara und brach
damit die Stille. Sie machte eine ausholende Geste, die das gesamte
Privatprojekt vor den Sichtfenstern der Daybreak umfasste.
„Nun, Sie würden mir auch nicht Ihre Firmengeheimnisse
verraten, oder?“ stellte Lando die Gegenfrage.
„Nein, vermutlich nicht.“
Daraufhin flackerte wieder ein Grinsen über sein Gesicht und das
genügte ihr als Antwort.
Sie wandten sich vom Fenster ab und Lando entschloss Mara die
Steuerungskonsole und die neue Software in Augenschein nehmen
zu lassen, die er selbst von Meelam erstand hatte, um ihr die Zeit bis
zur Ankunft der Nightflight zu verkürzen. Wieder einmal stellte sie
fest, dass sowohl Calrissian, als auch Karrde einen Sinn für Stil
hatten.
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„Sehr imposant, effektiv und relativ leicht in der Anwendung.
Man muss sich nur erst einmal an die neuen Symbole gewöhnen“,
kommentierte sie, als sie sich aus dem überdimensionalen Sessel
erhob und dem zuständigen Sullustaner wieder seinen Platz
überließ. „Aber ich kann mich nicht erinnern, dass die Installation
von sechs Turbolasern an Bord eines zivilen Schiffes als zulässig
gilt“, fuhr sie scherzhaft fort.
„Nun...“, begann er, „Ich kann wohl von Glück reden, dass wir
hier außerhalb des Restriktionsgebietes der Neuen Republik sind,
vom kläglichen Rest des Imperiums ganz zu schweigen.“
„Calrissian, Sir!“ donnerte Iyldic plötzlich los, die Stimme mit
Entsetzen gefüllt, „Die Nightflight ist soeben aus dem Hyperraum
getreten!“
Verwirrt warfen sich Mara und Lando viel sagende Blicke zu.
„Und?“
„Ich bin mir nicht sicher, aber laut Protokoll sollte die Nightflight
doch alleine kommen, oder?“
Unheil verkündend deutete der Verwalter auf den Sensorschirm.
„Was reden Sie denn da?“ fragte Lando unwirsch, als er sich mit
ungehaltener Miene von der Fensterfront entfernte.
„Transponder-Codes werden abgerufen“, schallte es von Seiten
des Navigationscomputers, als sich der Sullustaner über seine
Konsole beugte und hastig die Tasten anschlug.
Mit zusammen gekniffenen Augen starrte Mara an Calrissians
Schulter vorbei auf den Sensorschirm und versuchte der
andersartigen Darstellung die Fakten zu entlocken.
Wenn sie das richtig sah, dann befanden sich statt einem zwei
Schiffe im parallelen Anflug auf die Daybreak und schienen sich in
einander verkeilen zu wollen.
Calrissian selbst war mitten in der Bewegung erstarrt, als hätte
ihn die Erkenntnis wie ein Blitzschlag getroffen, noch bevor eine
unbekannte Stimme an Maras Ohr drang.
„Die Nightflight wird angegriffen! Anscheinend haben sie schon
mehrere Treffer zu verzeichnen und die Antennen sind ausgefallen.
Wir erhalten von ihnen nur Statik!“
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Na, herrlich! Es wäre auch wirklich unrealistisch gewesen, wenn einmal
alles nach Plan verläuft! dachte Mara und eilte an Landos Seite, der
eine Monstrosität von Schiff beobachtete, das sich längsseits der
Nightflight genäherte hatte.
„Es ist die Pirate!“ murmelte er konzentriert und strich sich
abwesend mit den Fingerspitzen über seinen Schnauzbart, "Was, bei
allen Sternen, tun die hier?"
„Bitte, wer?“ fragte Mara unverhohlen in die düstere Stille
hinein, die sich langsam über den Raum senkte wie ein giftiger
Vjun-Nebel.
„V-vielleicht“, begann Iyldic und klang dabei so angespannt wie
Lando aussah, „sind sie Meelam gefolgt und wollen ihn erpressen.
Für diesen Abschaum wäre es nicht schwer, einen Funkpeilsender
am Schiff anzubringen, die Signale zu orten und ihnen nach
zufliegen!“
„Das glaube ich nicht! Dafür ist Meelam zu clever“, sagte Lando
kühl.
„Wie können Sie da so sicher sein, Sir?“
„Ich schlage vor, Sie holen unsere Arbeiter und Droiden nach
Hause und fahren die Schilde inklusive der neuen
Abwehrmechanismen hoch. Noch interessiert sich die Pirate nur für
Meelam, aber wer weiß, ob sich das nicht doch noch ändert“, befahl
Lando mit der strengen Stimme eines Generals ohne dabei auf
Iyldics Frage einzugehen. Er wandte sich vom Sichtschirm ab und
sah Mara offen ins Gesicht.
„Das könnte etwas rau werden!“
Völlig verdattert starrte sie ihm nach, als er davon schritt und
gab sich Mühe die aufkeimende Frustration zu verbergen.
„Hätten Sie die Güte mich aufzuklären?“ verlangte sie gereizt,
auch wenn das nicht ihre Absicht gewesen war, „Was passiert da
draußen?“
„Was da vor sich geht muss ich wohl nicht erklären, oder?“
„Sparen Sie sich die Witze, Calrissian!“ mahnte sie, doch dann
klang sie wieder ruhig und unterkühlt.
29
„Bleiben Sie sachlich und geben Sie mir eine Grundlage, um
angemessen zu reagieren. Wenn es wirklich zu einem Angriff auf
Ihre Schiffe kommt, hängen meine Leute da auch mit drin!“
Lando verstummte und sah Mara tief in die smaragdgrünen
Augen, ehe er mit bedachten Worten wieder zu sprechen begann.
„Wir haben nicht viel Zeit, daher müssen Sie sich mit der
Kurzversion begnügen. Bei dem angreifenden Schiff da draußen
handelt es sich um die Pirate of the Perlemian, die ihren Namen
sicherlich nicht grundlos bekommen hat. Seit etwa einem Jahr
plündern, rauben und morden diese Bastarde entlang der perlemianischen Handelsroute, aber bisher ist wenig über die Besatzung
und Angriffstärke der Pirate bekannt... was wohl auch daran liegt,
dass sich nur wenige ihrem Griff entziehen konnten.“
„Die perlemianische Handelsroute?“ fragte Mara. „Dann sind
diese Burschen entweder sehr weit vom Kurs abgekommen oder sie
hatten Meelam schon länger im Visier. Jemand, der in kürzester Zeit
an eine Menge Geld durch dubiose Machenschaften gelangt und
potentielle Opfer mit einer besseren Verteidigung ausrüstet, würde
mir als Pirat auch sauer aufstoßen.“
Lando nickte.
„Aber ihre Anwesenheit gefährdet mein ganzes Projekt. Noch
scheinen sie nicht auf die Sammlerschiffe aufmerksam geworden zu
sein. Aber wenn...“
„...werden sie es sich alles unter den Nagel reißen“, ergänzte
Mara mit einem kalten Blick aus dem Fenster. „Ich habe schon
verstanden.“
Mit einer fließenden Bewegung zog sie ihr Comlink aus der
Gürteltasche und öffnete die Frequenz zu Corvus, dem
Kommunikationstechniker der Starry Ice. Lautes Gezeter und Fetzen
von Musik ertönten, als er antwortete.
„Was gibt's, Jade?“
„Wir haben Besuch bekommen. Gib den anderen Bescheid und
macht euch auf den Weg zur Starry Ice. Die Daybreak wird jede
Kanone gebrauchen können, die sie kriegen kann.“
Corvus fragte gar nicht erst nach weiteren Instruktionen, sondern
bellte die Nachricht der vergnügten Runde zu.
30
Mit einem Klicken schaltete sie den Comlink aus und verstaute es
wieder an ihrem Gürtel.
„Eigentlich schade, Calrissian, dass keines Ihrer Projekte ohne
einen solchen Zwischenfall auskommt.“
„Ich sollte das wohl zu meiner neuen Firmenphilosphie
ernennen“, erwiderte er trocken.
Sie tauschten noch einen letzten Blick aus, ehe sich Mara auf dem
Absatz herumdrehte und zum Turbolift eilte.
ALS ES SHIRLEE FAUGHN, CAPTAIN DER STARRY ICE, ENDLICH GELANG
mit Corvus, Torve und dem Rest wieder auf ihr Schiff überzusetzen
und die magnetischen Verkabelungen zur Daybreak zu lösen, war die
Jade’s Fire längst im Anflug auf die Angreifer. Mara war klar
gewesen, dass die anderen eine ganze Menge Zeit brauchen würden
die Systeme der Ice komplett hochzufahren und das Schiff in die
Nähe der Pirate of the Perlemian zu bringen. Daher war ihre Aufgabe
ganz klar: Sie musste Zeit schinden, bis sie mit doppelter Feuerkraft
ihren Widersachern entgegen treten konnten.
Erleichtert stellte sie an den vertrauten Kontrollen fest, dass die
Nightflight noch über zwei Laserbatterien verfügte, die auf die
Reflektorschilde der Pirate einhämmerten. Doch der Schaden, den
die Piraten bereits angerichtet hatten, machte Meelams Schiff nicht
gerade manövrierfähiger.
Offenbar musste das Schiff schon vor dem Start sabotiert oder
beschädigt worden sein, denn anders konnte Mara sich nicht
erklären, wie die hoch gelobten Abwehrsysteme von M.L.M.
Engineering versagen konnten.
Hastig band sie ihre Haare zurück, während die Fire der Ice
voraus flog und mit maximaler Geschwindigkeit den Raum
zwischen sich und dem Piratenschiff verkleinerte.
Erst jetzt, da sie allein war und die Anspannung ihre Nerven
zum flirren brachte, fragte sie sich, warum die Macht sie nicht schon
früher gewarnt hatte. Warum hatte sie nicht kommen sehen, dass so
etwas passieren würde?
31
Anscheinend bin ich doch noch keine so gute Jedi, wie Skywalker immer
behauptet, dachte sie bitter, wird wohl wieder Zeit für eingehende
Meditationen, wenn das hier vorbei ist!
Andererseits war dies nicht das erste Mal, dass ihre JediAhnungen sie im Stich ließen.
Hastig überprüfte sie die Schilde und leitete zwei Drittel der
verfügbaren Energie in die Waffen. Aus dem Augenwinkel nahm sie
wahr, wie sich Landos Leute in Sicherheit brachten und Schutz im
Schatten der unförmigen Daybreak suchten.
Die Hände fest an den Kontrollen steuerte sie auf die Angreifer
zu und öffnete einen Kommkanal, durch den zunächst nur Statik
prasselte und setzte ein Headset auf. Offenbar störten die Piraten
den gesamten Funkverkehr um die Nightflight.
Es gab keinen Grund für Mara, länger zu warten. Die Finger auf
dem Feuerknopf schoss sie ein paar schwache Salven auf die Pirate
ab, ohne zu erwarten, dass sie wirklich etwas ausrichten würden.
Und genau so geschah es auch, denn die Schüsse prallten an den
Schilden der Pirate ab. Der Feind stellte das Feuer ein und es kam ihr
so vor, als hätte sie einen schlafenden Krayt-Drachen geweckt.
„Los, kommt schon“, flüsterte sie, „Hier bin ich! Kommt und holt
mich doch!“
Wie auf Kommando feuerten die vorderen Turbolaser der Pirate
blindwütig auf die Stelle, an der sich die Jade’s Fire aufgehalten hatte.
Wie eie Eidechse, die durch die mächtigen Massassi-Bäume auf
Yavin 4 sprang, flog Mara Saltos und Überschläge, um den
todbringenden grünen Strahlen zu entgehen, die durch das von
farbenfrohen Nebeln erfüllte Weltall zuckten und lenkte die
Aufmerksamkeit der Pirate weg von der quälend langsamen
Nightflight.
„Verkabel... löst“, vernahm sie Corvus’ raue Stimme aus dem
CommUnit, „60 Proz... Sys... online!“
Auf dem Scanner sah sie, wie die Starry Ice Fahrt aufnahm und
überall an der Außenhülle Lichter aufflackerten. Allerdings blieb die
Daybreak stumm.
Jetzt zeigen Sie mal, was Ihr Kasten auf Lager hat, Calrissian!
32
Aber warum wunderte es sie überhaupt? Für Calrissian war es
klüger einen Angriff bis zum letzten Moment hinauszuzögern. Der
Schaden, den er und sein Projekt davon tragen würden wäre
sicherlich um einiges größer als der, den Meelam verzeichnen
durfte. Wäre sie an seiner Stelle gewesen, hätte sie es wahrscheinlich
genauso gemacht. Trotzdem wünschte sie sich nichts sehnlicher als
ein X-Wing-Geschwader der Neuen Republik oder Solos YT-1800Frachter herbei.
Hinter ihr explodierten die Laserstrahlen der Pirate in der
Ionenspur, die Maras Schiff im All zog und rüttelten sie kräftig
durch, aber ihre Schilde hielten Stand. Noch.
„79...“, hörte sie Corvus durch das Knacken und Rauschen aus
dem Kommkanal.
Doch sie hatte keine Zeit darauf zu achten. Unmittelbar vor ihr
verwandelte sich etwas in gleißend blaues Licht. Die Schockwelle
warf Mara hart in die Gurte des Pilotensessels und presste ihr die
Luft aus den Lungen.
Autsch!
Sie riss den Steuerknüppel nach hinten und zwang die Fire in
einen engen Salto, als eine zweite blauweiße Explosion ihre Scanner
überflutete und die Alarmsirenen aufheulen ließ.
Seismische Bomben...
Zum ersten Mal flackerten ihre Schilde. Mara zog sämtliche
Energie von den Waffen ab und brachte die Schildleistung auf 100
Prozent. Sie musste es nur noch ein bis zwei Minuten aushalten und
die Pirate würde die gesamte Feuerkraft der Starry Ice zu spüren
bekommen. Sie durfte sich nur nicht von diesen Bomben erwischen
lassen. Auf kurz oder lang würden die ihren robusten Headhunter
zerlegen.
Wieder einmal hatte Mara das Gefühl mit der Jade’s Fire zu
verschmelzen, während das Schiff all ihren Vorgaben aufs Strengste
Folge leistete und eine Reihe ausgeschmückter Manöver flog.
Verbissen darauf konzentriert keine Treffer einzufahren, bemerkte
sich nicht einmal das kleine Rinnsal kalten Schweißes, der ihr auf die
Stirn trat und den Haaransatz befeuchtete.
Selten waren ihr ein paar Minuten so endlos lang vorgekommen.
33
Dann, endlich, zuckten vier rote Strahlen am Sichtfenster vorbei
und brachten die nächste Bombe zur Detonation ohne die Jade’s Fire
zu behelligen.
Irritiert schreckte Mara auf.
„Schönen Tag auch!“ drang eine neue, vertraute Stimme völlig
frei von jeder Störung durch die Hörer ihres Headsets, „Sieht so aus,
als könnten Sie Hilfe gebrauchen, Jade.“
Perplex starrte Mara auf die Displays und entdeckte zwei
silberne Punkte, die sich langsam grün färbten und pfeilschnell
näher kamen. Die beiden benutzten eine militärische Frequenz, die
nur wenige Schiffe in diesem Sektor entschlüsseln konnten. Damit
erklärte sich auch, warum die Statik so plötzlich erstarb. Ihre
Augenlider senkten sich und sie griff hinaus in die Macht.
Vorsichtig streifte sie das Bewusstsein der beiden Piloten, die sich
ihrem Kampf angeschlossen hatten und ein Lächeln stahl sich auf
ihr Gesicht Anscheinend hatte man ihre Gebete erhört.
„Hallo, Katarn! Hallo, Skywalker“ rief sie heiter, „Ja, ich könnte
tatsächlich ein paar helfende Hände gebrauchen!“
„Dafür sind wir da“, erklang nun Luke Skywalkers beruhigende
Stimme.
„Irgendwelche strategischen Vorschläge, Jade?“ fragte Kyle
Katarn.
„Wichtig ist nur, dass die Pirate von hier verschwindet!“ sagte
Mara, „Sonst nichts!“
„Darin sind sie Weltklasse“, kommentierte Luke, „Wir sind schon
seit Brentaal hinter ihnen her. Aber bisher hatten wir leider nicht
sehr viel Glück.“
„Warum stecken Sie schon wieder in Schwierigkeiten,
Skywalker? Ist die Jagd auf solche verruchten Piraten nicht Aufgabe
der republikanischen Militär-Korps?“ Obwohl Mara sein Gesicht
nicht sah, konnte sie sich sein jungenhaftes Grinsen nur zu gut
vorstellen. „Ich will doch nicht Ihre Erwartungen enttäuschen, Mara.
Aber den Rest erkläre ich Ihnen später!“
Und damit war der Smalltalk vorerst beendet.
34
Mara flog eine Schleife und reihte sich zwischen Katarns und
Skywalkers X-Wing ein, so dass sie wie eine Miniatur-Phalanx auf
die Pirate of the Perlemian zuflogen.
„Leite alle Energie in die Frontdeflektoren“, sagte Skywalker,
„wir müssen erst einmal nahe genug an sie heran kommen, um
kritische Treffer zu erzielen.“
Ohne weiteren Kommentar tat Mara es ihm gleich und über den
Kommkanal hörte sie Kyles Bestätigung. Die Pirate nahm die drei
Schiffe ins Kreuzfeuer, die nun mit synchronisierter Leichtigkeit den
Attacken auswichen.
„Alle Systeme online“, bellte Corvus, der sich nun ebenfalls auf
der Frequenz von Skywalker und Katarn eingeklinkt hatte, um der
Funkstörung zu entgehen. „Wir sind in 57 Sekunden in Reichweite
und bereiten ein paar Protonentorpedos vor.“
„Das wird ein prächtiges Feuerwerk!“ schallte es fröhlich aus
dem CommUnit und Mara erkannte Torves Stimme. „Seismische
Bomben sind 'n Witz dagegen!“
„Halt die Klappe und mach deine Arbeit!“ schrie Faughn und
rief ihre Männer damit zu Ordnung. Obwohl die Lage ernst war und
der Beschuss das Äußerste von der Jade's Fire abverlangte, huschte
ein unwillkürliches Lächeln über Maras Gesicht.
Skywalker und Katarn scherten zu beiden Seiten aus, als eine
breit gefächerte Salve auf sie zukam und Mara zwang ihr Schiff in
einen radikalen Sturzflug.
"Wir kommen näher", sagte Kyle und hielt kurz inne, "Werft mal
einen Blick auf eure Sensoren. Täusche ich mich oder stimmt was
mit der - wie war das? - Nightflight nicht?"
Beunruhigt lenkte Mara ihre Aufmerksamkeit auf die Messgeräte
und schaltete mit einem simplen Knopfdruck durch die
verschiedenen Modi. Was sie selbst am Anfang als Schaden durch
den erheblichen Beschuss interpretiert hatte, welcher die Nightflight
nur minimal vorankommen ließ, erwies sich nun als etwas ganz
anderes. Die starken elektromagnetischen Strömungen zwischen
Meelams Schiff und der Pirate konnten nur eines bedeuten...
„Ein Traktorstrahl“, meinte Luke als hätte er Maras Gedanken
gelesen.
35
„Sie dürfen die Nightflight nicht bekommen!“ sagte sie
entschlossen und steuerte auf die Backbordseite von Meelams Schiff.
Die Schilde waren zusammengebrochen und an der Hülle machten
sich deutlich mehrere Risse bemerkbar, durch die das
Sauerstoffgemisch der Lebenserhaltungssysteme ins All entwich.
Die letzten beiden Geschütze waren zu schwarzen DurastahlKlumpen geschmolzen worden und lieferten das Schiff der
Piratenbande schutzlos aus. Hoffentlich hatte Meelam genug
Raumanzüge dabei.
Hinter ihr erhellten die ersten Protonentorpedos der Starry Ice
den Raum, während die beiden X-Wings unaufhörlich rotes Feuer
auf die Pirate nieder regnen ließen. Doch Mara wusste mit
unumstößlicher Sicherheit, dass das nicht genügen würde.
„Jade, warten Sie!“ donnerte Katarn, „Das ist doch Wahnsinn!“
Doch sie hörte ihn nicht mehr. Während die Nightflight immer
näher den Hangartoren ihres Widersachers entgegen driftete, holte
Mara noch einmal alles aus ihren Triebwerken heraus. Wenn die
Piraten das Tor öffnen würden, brauchte sie vielleicht nur ein oder
zwei gezielte Schüsse und würde die Wirkung des Traktorstrahls
aufheben.
„Das werden Sie nicht rechtzeitig schaffen, Mara!“, stimmte
Skywalker mit ein, als er ihre Absicht erkannte, „Der Spalt zwischen
den Schiffen ist zu klein!“
„Ich weiß, was ich tue, Skywalker!“ presste sie hervor.
„Aber Sie könnten die Nightflight treffen und...“
Beiläufig nahm sie mit einer Hand das Headset ab und warf es in
eine Ecke des Cockpits, wo es plärrend liegen blieb. Sie war nicht
umsonst mehrere Standardtage durch den Hyperraum zu diesem
galaktischen Loch geflogen, um sich alles von ein paar jämmerlichen
Piraten vermasseln zu lassen! Sie blendete die blinkenden Dioden
und Displays auf dem Armaturenbrett aus, schottete ihren Geist von
allen Eindrücken ab und starrte verbissen aus dem Sichtfenster.
Völlig in ihren Gefühlen und ihrer Intuition versunken, vergaß sie
Skywalker, Katarn, sogar die Starry Ice.
Mit eiserner Konzentration zwang sie sich selbst zur Ruhe.
36
Ohne es zu registrieren, breitete sich hinter ihr neues, weißblaues
Wetterleuchten aus.
Die sind wahnsinnig, so nah an ihrem Beuteschiff noch wild
herumzuballern! dachte sie und schwenkte nach Backbord, die Hände
so fest um den Steuerknüppel geklammerte, dass ihre Knöchel weiß
hervortraten.
Besessen von dem Gedanken, die Nightflight nicht in
gegnerische Hände fallen zu lassen, machte sie einen ihrer wenigen
Torpedos scharf und senkte den Blick auf das Fadenkreuz.
Bei "Drei" wird geschossen, Jade, also streng dich an!
Sie war nun so dicht an die beiden Schiffe heran geflogen, dass
sie glaubte, das Metall der Nightflight ächzen zu hören. Ihr blieben
nur noch wenige Sekunden.
Eins.. Zwei...
Das Fadenkreuz auf dem Display leuchtete grün auf, als es genau
über der Öffnung des Hangars schwebte.
...Drei!
Wie von Geisterhand betätigte sie die Kontrollen und schickte die
Protonenladung aus. Sie wartete, machte eine rasche Kehrtwende
und verfolgte auf dem Sensor, wie der Torpedo sich durch die
Schilde fräste und die Pirate gewaltig durchrüttelte. Sie selbst konnte
es in ihrer Magengrube spüren.
Doch ehe sie sich dem Gefühl des Triumphes hingab, sah sie
hinüber zur demolierten Nightflight. Schockiert stellte sie fest, dass
die Wirkung des Traktorstrahls nicht aufgehoben worden war.
Verdammt!
Sie kämpfte gegen die aufsteigende Wut. Tief und kontrolliert
ausatmend versuchte sie das Gefühl loszulassen.
Dann, als sie sich derart der Macht geöffnet hatte, spürte sie wie
Bilder in ihren Geist drangen, Bilder, die ihr jemand schickte und die
soviel sagten wie: Kommen Sie zurück! Sie können jetzt nichts mehr tun!
Es konnte nur Skywalker sein, der die Dreistigkeit und
Unverfrorenheit besaß, ihre eigens errichteten Geistesbarrieren
einfach so zu überwinden, sobald sie ein wenig nachgab.
Widerwillig musste sie mit ansehen, wie die Nightflight immer
weiter ihrer Nemesis entgegen gezogen wurde. Die Tore der
37
Hangarbucht standen offen, wie das weit aufgerissene Maul eines
Rancors, der jeden Moment seine Beute verschlucken würde.
Das Feuer wurde von beiden Seiten eingestellt, das Gefecht kam
zu Stillstand.
Und nur wenige Sekunden später verschwand die Pirate of the
Perlemian im Hyperraum mit ihrer wertvollen Fracht an Bord.
MAYS GESICHT WURDE LEDIGLICH VOM BLAUGRÜNEN LICHT DER
Taktik-Konsole erhellt. „Macht die Hangarbucht dicht! Hier sind wir
fertig!“
Draußen hämmerten noch immer die Laserstrahlen der Starry Ice
mit kläglichem Erfolg auf die Schilde der Pirate ein während die
Jade’s Fire wütend aus allen Rohren feuerte. Doch auf der Brücke
blieb alles ruhig.
Mit enormer Gelassenheit richtete sich May auf, rückte ihre
Kleidung zurecht und leckte sich die vollen Lippen - das einzige
Anzeichen ihrer heftigen Erregung. Allein die Gewissheit, dass sie
Mara Jade soeben eine Lektion erteilt hatte, versetzte sie in einen
Zustand geistiger und körperlicher Ekstase. Und du weißt nicht
einmal, dass ich es war, Jade! dachte sie vergnügt. Doch dann zwang
May sich zur Ruhe, damit dieses berauschende Gefühl sie nicht
völlig einnahm und ihre Konzentration gefährdete.
„May!“ rief Laz von seinem Platz aus, „Sprungpunkt ist
berechnet und eingespeist.“
Sie warf einen Blick über die Schulter und starrte den
devorianischen Navigator durch das Halbdunkel der Brücke
hindurch an. Dieser gab eine Reihe unverständlicher Laute von sich.
„Er sagt, dass Schiff ist bereit und willens in den Hyperraum zu
springen!“ dolmetschte ein grüner Twi'lek mit tätowierten Lekku.
May vergaß ständig seinen Namen.
„Dann los!“
Sie winkte Avarice zu, der darauf eine Reihe von Hebeln
umlegte. Vor dem Sichtfenster explodierten die Farben und die
Sterne verformten sich zum bizarren Linienspiel des Hyperraums.
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„Gut Arbeit, Leute! Schickt mir eine Einheit runter in den
Hangar. Die sollen die Nightflight sichern und alles erschießen, was
sich regt.“ Ihre Absätze klackten laut auf dem Durastahlboden.
„Wo willst’n hin?“ fragte Avarice.
„Irgendjemand muss doch dem Captain Bescheid sagen, oder?“
Er grunze dümmlich und ging nicht weiter darauf ein. Niemand
in der Crew beneidete May um ihren Rang als erster Offizier und
würde freiwillig mit ihr tauschen wollen. Denn der Captain – der
von allen nur ehrfürchtig „der König“ genannt wurde – war ein sehr
reizbarer und exzentrischer Mensch und keiner wollte sich seinem
Zorn aussetzen. May hingegen spürte keine Angst, denn sie hatte in
der Vergangenheit schon größeren Scheusalen ins Gesicht gesehen.
Dagegen wirkte der König fast lahmfromm. Manchmal gab sie sich
sogar der Vorstellung hin, wie der König und Captain Djae, ihr
Mentor an der imperialen Akademie und Vorgesetzter beim I.I.,
aufeinander trafen. Es wäre interessant zu wissen, welcher der
beiden als Sieger hervorgehen würde.
Sie stieg in den Turbolift und nannte die Decknummer und der
Aufzug sank schwerfällig in die Tiefe.
MIT GRIMMIGEM GESICHTSAUSDRUCK ENTSTIEG MARA DER JADE’S Fire
und verriegelte das Schiff. Obwohl sie dagegen ankämpfte, drohte
sie das Gefühl der Niederlage zu übermannen. Lang und tief
einatmend schloss Mara die Augen und erinnerte sich an eine von
Skywalkers Meditationsübungen, die er ihr auf Yavin 4 beigebracht
hatte. Sie versuchte die Macht fließen zu lassen und ihren
aufgewühlten Geist zu beruhigen, doch das Ergebnis war alles
andere als zufrieden stellend.
Mit dem altbekannten Brüllen und Jaulen der Ionentriebwerke
sanken die beiden X-Wing-Jäger auf das Landedeck der Daybreak.
Leise surrend gingen die Repulsoren aus und die Verdeckung der
Pilotenkapsel des Jägers, der Mara am nächsten war, glitt auf. Sie
beobachtete Skywalker, wie er sich dem Helm vom Kopf zog und
langsam aus deinem Cockpit kletterte, während zwei Techniker
herbei eilten, um seiner R2-Einheit aus dem Sockel hinter der
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Pilotenkanzel zu helfen. Als Luke sich dann in ihre Richtung drehte,
entdeckte sie ein schmales, Verzeihung heischendes Lächeln auf
seinen Lippen.
„Der Notstand wurde wieder aufgehoben“, hörte sie Calrissian
rufen, als dieser mit Kyle auf sie zukam. Mara sah ihnen freudlos
entgegen.
„Wir hätten die Nightflight nicht verlieren dürfen“, sagte sie ohne
Einleitung. Keiner der Männer erwiderte etwas. Es schien mehr, als
würden sie alle drei angestrengt nachdenken.
„War dieser Job denn wirklich so wichtig?“ fragte Kyle und
klemmte sich seinen Helm unter den Arm.
„Er ist wichtig“, korrigierte Mara, „Karrde hat diesem Auftrag
die zweithöchste Priorität eingeräumt. Andernfalls hätte er mich
nicht persönlich geschickt. Aber diese verfluchten Piraten haben
unsere Pläne durchkreuzt und es wird mehr als genug Zeit beanspruchen, sie zu finden!“
„Keine Sorge“, klinkte sich Luke nun ein und kämmte sich mit
einer Hand das dunkelblonde Haar zurück. Mara schnaubte
angesichts seiner typischen Jedi-Gelassenheit.
„Erfreulich ist jedoch, dass die Daybreak trotz mehrer er
Querschläger und Streifschüsse noch vollkommen intakt ist. Ich
kann nicht glauben, dass Meelams Schiff trotz seiner bewährten
Technologie so leicht geentert werden konnte!“, sprang Lando bei.
„Das Schiff muss vor dem Start sabotiert worden sein“, vermutete
Kyle, „Anders kann ich mir diesen Zwischenfall nicht erklären.“
„Allerdings habe ich den Schatten der dunklen Seite gespürt. Das
Ganze ist mir nicht geheuer!“ fügte Skywalker ernst hinzu. „Du
spürst viel, wenn der Tag lang ist, Luke!“ kommentierte Kyle mit
einem humorlosen Lächeln, „Und dieser Tag war verdammt lang.“
Skywalker schürzte die Lippen, offensichtlich nicht sehr angetan
von Katarns Erwiderung.
„Sie denken also, das könnte eine Falle sein?“ fragte Mara an den
Jedi-Meister gewandt. „Ich weiß es nicht“, gab Luke zu, „Vielleicht
ist dieser Meelam von einem seiner Kompanions verraten worden.
Es wäre nicht das erste Mal, dass Freihändler und Piraten
übereinander herfallen wie ein Schwarm Tsac-Fliegen.“
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Sie nickte stumm. Wenn Skywalker bereits Probleme hatte die
Hintergründe dieses Ereignisses mit Hilfe der Macht zu erspüren,
konnte niemand genau sagen, was dies zu bedeuten hatte.
„Warum seid ihr zwei eigentlich hinter diesen Piraten her?“
fragte Lando und griff damit die Frage auf, die Mara bereits
während des Gefechtes eingeworfen hatte.
„Sagen wir einfach, die Neue Republik ist zu sehr mit anderen
Dingen beschäftigt, um Teile ihrer Flotte im Inneren Rand
abzukommandieren, um eine Piratenbande zu jagen. Entlang der
Grenze zu den Imperialen Restwelten sind in letzter Zeit immer
wieder Kämpfe aufgeflammt und halten die Flotte in Atem. In die
Werften über Obroa-skai werden ständig republikanische Schiffe
angeliefert, die zur Reparatur ins Dock müssen. Die Jedi machten
allerdings das erste mal Bekanntschaft mit der Pirate of the Perlemian,
als sie eines unserer Versorgungsschiffe angegriffen haben, das
Waren von Talasea zur Akademie befördern sollte“, erklärte Luke.
„Ich weiß nicht mehr, wie lange wir gebraucht haben, endlich einen
Unteroffizier zu sprechen, der uns dann mitteilte, dass Wedge und
Admiral Ackbar weder das Geld noch über die Schiffe verfügen,
sich darum zu kümmern. Und so sind wir selber aufgebrochen. Wir
haben auf Brentaal begonnen, waren auf Rhinnal, Rallthir und
verschiedenen anderen Welten, bis die Piraten von ihrem
Territorium abwichen und hierher kamen.“
Maras Augenbraue glitt fragend nach oben: „Und womit habt ihr
sie verfolgt? Die Macht kann dafür nicht ausgereicht haben!“
„Sie würden sich wundern, was alles möglich ist, Mara“, sagte
Luke. Wie oft habe ich mir diesen Satz jetzt schon von ihm angehört?
schoss es ihr durch den Kopf.
„Hiermit“, sagte Kyle und griff mit einer behandschuhten Hand
in eine Tasche am Gürtel seiner Pilotenmontur. Er warf Mara ein
kleines, flaches Datapad zu. Sie klappte den Holoschirm auf und
betrachtete eine schier endlose Aneinanderreihung von Zahlen und
Symbolen, die sich immer wieder erneuerte. Ein gieriges Glimmen
funkelte in Maras Augen.
„Ein Hyperwellen-Sender“, murmelte sie erfreut. Manchmal
schien Erfahrung beim Geheimdienst durchaus hilfreich. „Damit
41
haben Luke und ich die Pirate of the Perlemian verfolgt. Ich habe den
Peilsender einem Crew-Mitglied untergeschoben, als eine kleine
Gruppe auf Esseles Landgang hatte.“
Luke warf Kyle einen wissenden Blick zu.
„Sie können ihn haben, Mara“, begann Luke langsam. „Aber
nur“, er machte eine schwerwiegende Pause, als wähle er seine
Worte mit Bedacht, „wenn ich Sie begleite.“
„Das heißt dann wohl, dass ich zurück zur Akademie fliegen und
dort nach dem Rechten sehen soll, nicht wahr?“ hakte Kyle nach.
Luke nickte bloß.
Mara sah auf und blinzelte irritiert.
„Glauben Sie etwa, ich brauche ein Kindermädchen?“
„Nein“, meinte er mit beschwichtigender Miene, „Aber es ist
doch so, dass auch die Jedi darin verwickelt sind. Außerdem wäre es
viel zu auffällig mitsamt der Starry Ice jedes Sternensystem
abzuklappern. Die Pirate hätte Sie wahrscheinlich bereits erkannt,
bevor sie in die Atmosphäre eintreten.“
Da war etwas Wahres dran, wie Mara zugeben musste.
„In Ordnung!“ sagte sie schließlich, „Wir sind Partner. Aber
wenn Sie irgendwelche Anstalten machen meine Gouvernante zu
spielen, werde ich Sie höchst persönlich aus meinem Schiff werfen –
ohne Raumanzug. Also reißen Sie sich am Riemen!“
Luke schmunzelte. „Ich werde versuchen mich zu benehmen.“
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3: ARTIFICAL HALLUCINATION
DIE SANFTE MUSIK AUS DEM NEBENZIMMER DRANG DIFFUS AN MARAS
Ohr, als sie langsam aus der Dusche der Erfrischungseinheit stieg
und ihren Körper in ein Handtuch wickelte. Sie schloss die Augen
und konzentrierte sich auf die ruhige, altbekannte Melodie.
Sie liebte dieses Lied. Während ihrer Zeit auf Coruscant, als sie
Palpatine treu ergeben war und als Agentin des Imperiums
gehandelt hatte, hatte sie es das erste Mal bei einem Auftrag in einer
kleinen Cantina gehört. Allerdings war sie erst Jahre später dazu
gekommen, den Titel und den Namen der Band heraus zu finden.
Leise summend trat sie vor den Spiegel und trocknete sich das
rote Haar.
Jetzt, da die Jade’s Fire mit Überlichtgeschwindigkeit durch den
Hyperraum raste, den Piraten auf der Spur, die Meelam in ihrer
Gewalt hatten, war ihre Anspannung mit dem warmen Wasser fort
gespült worden. Mit Hilfe des Funkpeilsenders hatte Skywalkers
Astromech-Droide einen ungefähren Vektor und die Sprungzeit der
Pirate of the Perlemian berechnen können. R2-D2 hatte die Analyse
der Daten auf den Bordcomputer von Maras Schiff überspielt und
die Suche auf den Belderone-Sektor eingegrenzt. Dieser war recht
dünn besiedelt und es gab nur eine Hand voll Sternensysteme, die
dem Abschaum der Piraterie als guter Unterschlupf dienen konnten.
Noch bevor Luke und Mara den Hangar der Daybreak verlassen und
sich auf den Weg gemacht hatten, war die Liste auf lediglich drei
Planeten zusammen geschrumpft.
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Calrissian hatte die Jade’s Fire auftanken lassen, ihnen noch ein
wenig Proviant mitgegeben und alles Gute gewünscht. Katarn
hingegen hatte genau das getan, worum Skywalker ihn gebeten
hatte und war vermutlich schon auf dem Rückweg nach Yavin 4.
Skywalker hatte sein Schiff an die Außenhülle der Jade’s Fire
gekoppelt und war anschließend in einem Raumanzug an Bord
geklettert. Seitdem saß er in der Messe und meditierte. So wie sie ihn
kannte, war er wahrscheinlich noch immer dort.
Mara hingegen hatte sich ein wenig ausgeruht und sich
anschließend diese lange, äußerst wohltuende Dusche gegönnt.
Mit halb getrocknetem Haar schlüpfte sie in neue Unterwäsche,
dann in eine weite, bequeme Hose und ein eng anliegendes Oberteil
aus ithorianischer Baumwolle, ehe sie ihre Kabine verließ und sich
zu Skywalker in die Messe gesellte. Als sie eintrat ließ seine R2Einheit ein kurzes Pfeifen hören, von dem sich Mara nicht sicher
war, ob es sich dabei um eine Begrüßung handelte oder ob er bloß
seinen Meister über ihr Erscheinen in Kenntnis setzen wollte.
So oder so, Mara blieb im Türrahmen stehen und beobachtete
Luke, der im Schneidersitz und mit geschlossenen Augen eine Hand
breit über dem Boden schwebte. Er hatte die Jedi-Tunika, die er
unter seinem orangefarbenen Raumanzug getragen hatte, gegen
einen noch schlichteren, schwarzen Overall eingetauscht. Seine
kniehohen Stiefel standen neben R2.
„Sie meditieren ja immer noch“, stellte sie fest als sie des Wartens
überdrüssig wurde, aber im Grunde war sie nicht wirklich
überrascht. Zuerst schien Luke sich gar nicht zu regen, doch dann
bemerkte sie, wie das Kräuseln in der Macht nachließ und er
langsam zu Boden glitt.
„Und Sie hören bestimmt schon zum hundertsten Mal das selbe
Lied“, konterte er mit einem kleinen Lächeln und schlug die blauen
Augen auf. „Wie kann ich Ihnen helfen, Mara?“
Perplex zog sie die Augenbrauen zusammen.
„Helfen? Wie kommen Sie darauf, dass ich Hilfe bräuchte?“
„Nun ja, weil sie schon seit ungefähr fünf Minuten einfach nur da
stehen und mir zusehen", erwiderte Luke, "Wenn es etwas
Belangloses wäre, hätten Sie sich mit dringlicheren Dingen
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beschäftigt und wären später zurück gekommen, um mich dann zu
fragen.“
Als sie ihn immer noch fragend anstarrte, fügte er milde lächelnd
hinzu: „Sie sind in dieser Galaxis nicht die einzige Person mit einer
guten Beobachtungsgabe.“
„Scheint wohl so“, gab sie zu und schüttelte den Kopf.
„Also: Sie wollten mich etwas fragen?“ begann Luke von Neuem,
erhob sich vom Boden und sah sie aufmerksam an. Mara hingegen
machte eine wegwerfende Geste der Beiläufigkeit: „Ich mache mir
nur so meine Gedanken über diese Mission, bevor wir auf Belderone
landen.“
Er streckte und dehnte sich, um seine starren Muskeln zu
entspannen.
"Und was für Gedanken sind das?"
"Nun, Katarn hat ein Crew-Mitglied erwähnt, dem sie den
Peilsender untergeschoben haben. Ich frage mich erstens wer und
was er beziehungsweise sie, ist, und zweitens, wie sie sich sicher sein
können, dass die Person den Sender nicht abgenommen hat."
Im Sprechen war sie zu einer Sitznische rechts von ihr gegangen
und hatte sich dort auf der eingearbeiteten Bank niedergelassen. Mit
einem erwartungsvollen Blick wartete sie nun auf ihre Antworten.
Luke kam, immer noch barfuss, zu ihr hinüber und setzte sich ans
andere Ende der Sitzbank.
"Er war ein Twi'lek. Hellgrüne Haut, tätowierte Lekku. Kyle hat
ihn als Enyth Kostryka vorgestellt", erzählte er und sein Blick schien
in die Ferne zu gleiten während er sich die Ereignisse in Erinnerung
rief.
"Enyth Kostryka?" wiederholte Mara den Namen als wolle sie
sich seinen Geschmack auf der Zunge zergehen lassen. "Irgendwie
kommt mir der Name bekannt vor."
"Sollte er auch", stimmte Luke zu, "Soweit wir das
herausgefunden haben, wollte Kostryka früher einmal für Karrde
arbeiten.
"Sie wollen alle für Karrde arbeiten", kommentierte Mara trocken
und verzog den Mund, "Aber wie genau haben Sie nun den Sender
angebracht?"
45
"Nun", begann Luke erneut, "Eigentlich war das allein Kyles
Verdienst. Er hat - woher auch immer, ich habe nicht weiter danach
gefragt - diesen Mikrosender aufgetrieben. Diese Dinger sind etwa
so dick und lang wie eine Bacta-Kapsel, werden in eine Art Injektor
eingespannt und dicht unter die Hautoberfläche der Zielperson
geschossen."
Mara runzelte fragend die Stirn.
"Dann müssen Sie beide auf Esseles ziemlich nah an den Twi'lek
herangekommen sein. Aber eine solche Injektion muss doch
schmerzhaft sein. Wie konnte er da den eindringenden Fremdkörper
nicht bemerken?"
"Ich weiß es nicht genau", gab Luke zu und schüttelte den Kopf,
"aber er schien im Allgemeinen sehr schmerzresistent."
"Vermutlich hatte unser Twi'lek-Freund ein paar Killersticks
zuviel oder was man sich in dieser Branche sonst noch für tödlichen
Mist reinzieht", kommentierte Mara humorlos. Sie erinnerte sich an
einen von Karrdes Söldner auf Mykyr, der eines Abends bei der
Wachablösung meinte, dass Gewürze das Leben erst wirklich
lebenswert machten. Zwei Tage später hatte man ihn tot
aufgefunden, das Röhrchen mit den letzten Resten Glitzerstim noch
in seiner kalten Hand. Sie kannte solche Gestalten wie Kostryka
besser als ihr lieb war, denn sie wusste genau, wo die
Schwachstellen waren und wie man sie angehen konnte, um zu
bekommen, was man haben wollte.
"Was auch immer es war, bisher hat es uns einen Vorteil
verschafft", erwiderte Luke.
"Dennoch wird er unberechenbar sein, so wie alle Süchtigen",
sagte Mara, "Aber mir wird schon noch etwas einfallen."
Luke zog fragend die Braunen zusammen und eine Falte bildete
sich in vertikaler Richtung auf seiner Stirn. "Ihnen wird etwas
einfallen?" hakte er nach.
Mara wedelte mit einer Hand und deutete mit dem Daumen auf
ihre Brust. "Ich bin es gewohnt im Schatten zu agieren, ungesehen
aufzutauchen, meinen Job zu erledigen und genauso wieder zu
verschwinden. Sie hingegen sind so auffällig wie ein bunt
geschecktes Bantha, selbst wenn Sie sich mit Hilfe der Macht tarnen.
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Außerdem habe ich Kostryka noch nicht von Angesicht zu
Angesicht gegenüber gestanden, was uns einen weiteren Vorteil
verschafft und ich kann im Notfall die Macht einsetzen. Ich habe also
die eindeutig besseren Voraussetzungen für diesen Job."
"Ja, schon", stimmte Luke zu, das Gesicht immer noch
merkwürdig verzerrt, "aber haben Sie schon irgendeine Idee, wie sie
Kostryka auf sich aufmerksam machen wollen?"
Mara grinste ihn herausfordernd an. Die Aufmerksamkeit des
Twi'lek zu erregen, würde sicherlich das kleinste Problem sein.
"Sie werden schon sehen, Skywalker. Sie werden schon sehen."
„SIE... SIE SEHEN AUS WIE EINE...“, STAMMELTE LUKE MIT EINER
Mischung aus Empörung und Fassungslosigkeit in der Stimme. Sein
R2-Astromech stieß gegen sein Bein und gab ein Heulen von sich,
dass schon fast wehleidig klang, während Luke sich mit einer Hand
an den Rahmen des äußeren Schotts der Jade's Fire klammerte. Sein
Mund stand noch immer leicht offen und seinen Augen hatten sich
geweitet, als Mara aus ihrer Kabine getreten war und sich zu ihm
gesellt hatte.
Sie waren vor nicht weniger als drei Standardstunden aus dem
Hyperraum getreten und am äußeren Stadtrand von Beldankhali,
der ehemaligen Hauptstadt des Planeten Belderone, gelandet. Die
Sonne sank bereits dem Horizont entgegen und tauchte die
Landebucht in gelbgoldnes Licht, dass durch das offene Schott
hineinflutete und Maras Haare glänzen ließ wie flüssige Seide.
Nach der Landung hatte sie Skywalker zur Hafenbehörde
geschickt, um dort die Ankunft der Equinox Spirit zu bestätigen –
eine der vielen Decknamen der Jade's Fire, die es Mara gestatteten
ihre Aufträge für Karrde einfacher und effizienter erledigen zu
können. Luke hatte sich dort als der Halter des Schiffes, Mara als
seine Geschäftspartnerin ausgegeben und hatte sie anschließend
beide bei der Behörde unter falschen Namen eingecheckt. Aber auch
Mara war nicht untätig gewesen. Während Skywalker sich der
Macht bediente, um sich zu tarnen, so hatte Mara die vergangenen
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drei Stunden genutzt, um sich eine sehr viel wirklichere Tarnung zu
verschaffen.
Und so stand sie nun vor ihm: Das rote Haar war unter einer
Schicht dunkelbrauner, fast schwarzer Farbe verschwunden, die sie
sich zu einem komplizierten Dutt nach oben geknotet hatte. Ihren
grünen Augen hatte sie mit blauen Kontaktlinsen eine andere Farbe
verliehen, bevor sie ihr Gesicht mit einer Menge Puder und Make-up
bedeckt hatte. Das dunkelblaue Kleid, das sie am Leib trug, ließ tief
genug blicken, um Lust auf mehr zu machen und bedeckte die
nötigsten Teile ihres Körpers. Als sie am Ende ihrer Verwandlung in
den Spiegel gesehen hatte, hätte sie sich bald selbst nicht erkannt.
"Na los!" rief Mara mit einem gefährlichen Blitzen in den Augen,
als Luke sie noch immer anstarrte wie eine Erscheinung. Sie schloss
die Finger fester um die schwarze Lederjacke in ihrer Hand "Sagen
Sie's schon, Skywalker!"
Ihr Gegenüber öffnete und schloss seinen Mund mehrere Male,
doch er überlegte sich seine Worte zweimal, ehe er schließlich sagte:
"Sie sehen aus als wären Sie... nun ja... leicht zu haben."
Mara seufzte und schüttelte den Kopf.
"Manchmal frage ich mich ernsthaft, ob Sie wirklich so naiv sind,
Skywalker."
Lukes Brauen zogen sich zusammen und seine Lippen waren
geschürzt, was Mara als eine Mischung aus Verwirrung und
Missfallen deutete. Doch ansonsten blieb er stumm, ganz so, als
erwarte er von ihr eine Erklärung für ihr neues Erscheinungsbild.
Wieder seufzte sie.
"Wir beide wissen doch, dass Twi'lek - genau wie einige
Menschen - sich bei der Wahl ihrer Sexualpartner nicht nur auf ihre
eigene Spezies beschränken. Männliche Twi'lek würden ebenso mit
einer menschlichen Frau das Bett teilen wie mit einer Twi'lek-Frau.
Ob das an der anatomisch ähnlichen Beschaffenheit der beiden
Spezies oder an der erhöhten Paarungsbereitschaft der Twi'lek liegt,
sei dahin gestellt", erklärte Mara sachlich, "Dennoch bleibt es eine
Tatsache, dass sich mehr als die Hälfte aller Twi'lek auch zu
Menschen hingezogen fühlt."
Sie sah Luke offen in die Augen und er schien zu begreifen.
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"Das heißt", meinte er langsam, "Sie wollen sich diese Tatsache zu
nutzen machen, und unserem Twi'lek-Freund so ein paar
Informationen entlocken?"
Sie nickte.
"Ganz genau."
"Und welche Rolle wollten Sie mir bei diesem Theater
angedeihen lassen?" fragte er und verschränkte die Arme voller
Erwartung vor der Brust.
"Da ich Sie sowieso nicht davon abhalten kann, können Sie mir
heimlich Deckung geben, falls es wider Erwarten brenzlig werden
sollte", erwiderte sie beinahe gelangweilt, "Allerdings bezweifle ich,
dass mir ein zugedröhnter Pirat großartig gefährlich werden könnte.
Ach ja, und ich bestehe auf einhundert Meter Sicherheitsabstand
ihrerseits, Skywalker."
An seiner vernarbten Wange zuckte ein Muskel und sie konnte
ihm ansehen, dass er damit absolut nicht einverstanden war. "Das
gefällt mir nicht. Sie rennen im knappsten und kürzesten Outfit, das
mir seit langem untergekommen ist durch die Stadt und wollen sich
so an die Fersen eines Verbrechers heften? Ich habe kein gutes
Gefühl bei dieser Sache, Mara."
"Kommen Sie", rief sie mit einem ironischen Lächeln auf den
Lippen, "Ich habe halbnackt für Jabba den Hutten getanzt, nur um
an Sie heranzukommen! Viel schlimmer kann es nicht mehr
kommen!"
Mit diesen Worten drehte sie sich herum und stieg die Rampe
der Jade's Fire hinab, doch ihr entging keineswegs das rote Glühen,
dass schlagartig auf Lukes Wangen brannte, und sie lächelte noch
ein wenig breiter.
"Farmjunge!" murmelte sie amüsiert, als sie ihn stehen ließ und
sich auf den Weg machte.
BELDERONE WAR, WIE MARA FESTSTELLEN MUSSTE, WÄHREND SIE IHREN
Marsch durch die ehemalige Hauptstadt fortsetzte, kein bisschen
anders als Ord Mantell. Obwohl das System einen nicht annähernd
so schlechten Ruf hatte wie die galaktische Schrottpresse Ord
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Mantell, so war der Planet übersät mit den Zeichen der Zeit. Vor
allem der Angriff der Separatistenarmee vor fast 35 Jahren hatte
einen Großteil der früheren Hauptstadt in Schutt und Asche gelegt,
als unerbittliche Salven aus rotem und grünen Licht aus dem
Weltraum auf der Planetenoberfläche eingeschlagen waren. Nur
wenige Berichte in den imperialen und republikanischen Archiven
kündeten von den unzähligen Toten. Belderones Einwohner hatten
nicht einmal durch einen Konvoi gerettet werden können.
Wie es schien, hatte sich das System seit diesem Tiefschlag nicht
mehr erholen können.
Nur wer sich auf den weiten Ebenen außerhalb der Städte ein
neues Heim schuf, wurde noch mit Glück und Geld gesegnet. Oder
man machte sich auf, in Beldankhalis alten Stadtkern.
Es reihten sich Spelunken und andere billige Schankhäuser
unaufhörlich aneinander, nur hier und da wurde die Kette von den
verblassten Leuchtbuchstaben vor einem Motel oder einem
Nachtclub unterbrochen. Über die alten Bordsteine torkelten bereits
die betrunkenen Gestalten. Aus dem Augenwinkel sah Mara, wie
drei Devorianer völlig von Sinnen aufeinander eindroschen. Immer
darauf bedacht nicht aufzufallen, nutzte Mara die zunehmende
Dunkelheit als ihre Tarnung und sie zog den Kragen ihrer schwarze
Jacke mit einer Hand enger zusammen. Gelegentlich musste sie
ausweichen und schlüpfte auf ihren hohen Stiefel so schnell es ging
zur Seite, doch die Betrunkenen um sie herum waren nicht das
einzige Problem – wie sie sehr bald feststellte. Am Rinnstein floss
eine schlickige, braune Flüssigkeit ab, in der Fetzen von Flimsiplast
und anderem Abfall schwamm und die einen Geruch zu ihr
aufsteigen ließ, der ihr beinahe die Sinne raubte.
Und in den Sternenkarten wird Belderone als friedlich eingestuft,
dachte Mara mit trockenem Humor.
Nach einer Weile duckte sie sich in eine kleine Seitengasse und
hockte sich zwischen zwei quadratische Müllcontainer, um die
Anzeige auf dem Display des Peilsenders zu überprüfen.
Kostryka konnte nicht mehr allzu weit entfernt sein. Die
Frequenz, mit der der Empfänger die Nähe zum Sender angab, war
nun schneller als noch vor wenigen Minuten. Auf dem Bildschirm
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zeichnete sich nun ein dichtes Geflecht an Straßen ab und sie
versuchte sich das Bild auf dem Display sehr genau einzuprägen.
Rechts, zweimal links, die Dritte rechts... rechts, zweimal links, die
Dritte rechts, wiederholte sie den Weg in ihren Kopf. Sie schloss die
Augen und atmete tief durch. Rechts, zweimal links, die Dritte rechts.
Dann schlug sie die Augen wieder auf und ließ den Empfänger
mit einer raschen Bewegung wieder in der Innenseite ihrer Jacke
verschwinden, ehe sie wieder auf die belebte Straße hinaustrat.
Zu ihrer Linken bemerkte sie eine flüchtige Bewegung, wie ein
Schatten, der sich nun zwischen zwei Häusern versteckte, in der
Hoffnung nicht gesehen zu werden.
Mara gestattete sich ein Schmunzeln.
Skywalker...
Sie hatte ihn die ganze Zeit über hinter sich gespürt, wie ein
allgegenwärtiger Beschützer, der bereit war, sich auf angreifende
Wildtiere oder andere Ungetüme zu werfen. Allerdings war seine
Präsenz nicht durch körperliche Nähe bestätigt, sondern eher durch
ein diffuses Kribbeln an ihrem Hinterkopf; ein Kribbeln, das ihr
äußerst missfiel. Es erinnerte sie an ihre Zeit als Palpatines Hand.
Wann immer ihr Meister durch die Macht mit ihr in Kontakt
getreten war, hatte sie dasselbe Kribbeln gespürt.
Sie schüttelte den Kopf leicht, um diesen lästigen Gedanken
loszuwerden, wandte sich nach rechts und marschierte weiter die
Straße hinunter.
Einige Straßen weiter fand sie sich vor einem Nachtclub wieder.
Als sie Halt machte, um die mit Leuchtfarbe bemalten Torbögen am
Eingang näher zu betrachten, wandten sich bereits die ersten Köpfe
nach ihr um.
Im Inneren schlug ihr eine Flut süßlich-schwerer Gerüche
entgegen und sie fühlte sich ein wenig benommen, während sie sich
durch die Menge hindurch zur Garderobe drängte und ihre Jacke
abgab, ehe sie sich an der Theke elegant auf den letzten freien
Barhocker hinaufzog. Der Barkeeper nahm ihre Bestellung auf und
Mara unterdrückte einen plötzlichen Würgreflex, als eine besonders
intensive Duftwolke an ihr vorüber schwebte. Sie hustete kurz, doch
das Geräusch wurde von Musik übertönt.
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Ich muss mich korrigieren, dachte sie, das Junk Palace ist angenehm,
im Gegensatz zu diesem Ort.
In aller Ruhe an ihrem Drink nippend, begann sie den Raum zu
sondieren.
Durch die Schar von Lebewesen, die sich an der Bar, in den
Sitznischen und auf der Tanzfläche drängten, war es schwierig,
einzelne Personen auszumachen. Das gedämpfte, farblich ständig
wechselnde Licht machte es ihr jedenfalls schwerer, etwas zu
erkennen und die Musik verschluckte jedes Geräusch. Es fiel ihr
sogar schwer, den Barkeeper zu verstehen, der irgendwann lautstark
sein Geld einforderte. Mit einem Seufzen ließ sie sich von ihrem
Barhocker gleiten und leerte ihr Glas in einem Rutsch.
Es war wohl das Beste, wenn sie sich ganz diskret in den Nischen
umsah.
Durch die Masse von hin und her wabernden Körpern, drängte
sie auf die rückwärtige Wand und die eindeutig dunkelste Ecke des
Nachtclubs zu. Sich der Macht öffnend, versuchte sie menschliche
und nichtmenschliche Präsenzen zu selektieren und vielleicht einen
Hinweis zu erhalten, der ihr sagen würde, welcher der anwesenden
Twi'lek genau der war, den sie suchte.
Sie hörte ein leises Knallen, dass trotz der Musik an ihr Ohr
drang, und im selben Moment sah sie ein violettes Leuchten, das
durch die Dunkelheit schimmerte...
Der Lichtblitz des Glitzerstims erhellte das Gesicht eines Twi'lek
mit tätowierten Lekku, der sich sogleich begierig über die schwarze
Hülse lehnte und sich einen Faserstrang der knisternden Droge auf
die Zunge legte.
Jackpot, dachte sie mit einem sardonischen Lächeln.
Mara atmete tief durch und rief die Macht erneut zu sich. Die
bewusstseinserweiternde Wirkung des Glitzerstim konnte ihr
gefährlich werden, wenn sie ihren Geist nicht vollkommen von ihm
abschottete. Allerdings würde sie dadurch auch die Fähigkeit,
Kostrykas Absichten zu sondieren, verlieren.
Nun war schauspielerisches Talent gefragt.
Sie trat aus der tanzenden Menge heraus und schritt langsam
einige Stufen zu der Sitzecke aus purpurfarbenem Leder hinauf, wo
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sich der Twi'lek gemeinsam mit zwei menschlichen Männern
niedergelassen hatte. Alle drei sahen heruntergekommen und
abgehalftert aus. Schmutzige Finger kratzten an einem Glas voll
corellianischem Whiskey, abgetragene Stiefel scharrten über den
Boden und der Geruch von Kühlflüssigkeit lag in der Luft. Einer der
beiden Männer trug eine Weste, wie Mara sie von Solo kannte, doch
diese wies mehrere dunkle Streifen auf, als hätte er das
Kleidungsstück an diesen Stellen verbrannt. Alle drei waren mit
Blaster bewaffnet, die genauso schmutzig und zerkratzt waren, wie
sie selbst.
Kostryka hielt in seinem genüsslichen Kauen inne, als Mara sich
neben ihm auf das weiche Lederpolster sinken ließ, und auch die
beiden Männer starrten sie mit glasigem Blick an.
"Hi", sagte sie und setzte die Maske eines strahlenden Lächelns
auf.
Die Männer sahen sie immer noch dümmlich an, doch Kostryka
grinste und entblößte einen tiefen, vernarbten Riss in seiner
Unterlippe und die verfärbten Zähne eines Glitzerstim-Junkies.
"Hallo, meine Schöne", sagte er mit rauer, kratziger Stimme. "Was
kann ich für ein so zauberhaftes Wesen wie dich tun?"
Mara rutschte näher zu ihm hin, bis sich ihre Knie leicht
berührten, und beugte sich kokett nach vorn.
"Weißt du", sagte sie langsam und strich vorsichtig mit den
Fingerspitzen über Kostrykas bloßen Unterarm, "du bist mir gleich
aufgefallen, als ich herein kam. Die starken Muskeln, diese
verwegene Narbe... und da dachte ich, ich versuche mal dich
anzusprechen."
War das wirklich sie, die all diese zuckersüßen Dinge sagen?
Nach all den Jahren als Palpatines Attentäterin war dies Etwas,
an das sie sich noch nie hatte gewöhnen können. Jedes Mal fühlte sie
sich, als stünde sie neben sich und blickte kopfschüttelnd auf ihren
Körper herab, einen Körper, der sich vollkommen zu
verselbstständigen schien und eine eigene Dynamik entwickelte.
Ihre Lehrmeister hatten immer gesagt, dass es so sein müsste. Man
musste sich von sich selbst entfremden, um die Rolle eines anderen
zu spielen. Und Mara war gut darin, jemand anderes zu sein, und
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dennoch bereitete es ihr kein Vergnügen, insbesondere nicht, wenn
sie sich in die Rolle eines absoluten Dummchen versetzen musste.
"Es ist dir geglückt, meine Schöne. Mein Name ist Enyth", sagte
Kostryka und lächelte Mara an, als wäre sie sein neues Spielzeug.
"Das hier sind Laz Carhian und Avarice Rinza."
Die beiden Männer nickten knapp und wandten sich wieder dem
Alkohol zu. Offenbar waren sie mit ihren Gedanken ganz woanders.
"Ich bin Derya."
Mit dem schönsten Augenaufschlag, zu dem sie fähig war, sah
Mara zu dem Twi'lek auf und rückte noch ein wenig näher heran. Es
schien ihm nichts auszumachen. Sie beugte sich vor, um in sein Ohr
zu sprechen.
"Stimmt es, was man sich über dich erzählt?" fragte Mara leise,
doch sie wusste, dass er sie hören konnte.
"Was erzählt man sich denn?" fragte er zurück und sie spürte,
wie er versuchte, sie mental zu traktieren.
„Dass...“, sie machte eine kurze Kunstpause, „du ein Pirat bist.“
Seine Lekku zuckten einmal.
„Der König wäre sicherlich nicht sehr erfreut, wenn ich mit dir
darüber sprechen würde.“
Der König? ging es Mara durch den Kopf. Welcher König?
Sie zog eine Schnute: „Schade.“
Wieder entblößte er seine Zähne, schob eine Hand unter Maras
Schultern und presste sie fest an sich. Doch er schien ihr nicht nur
körperlich nahe zu sein. Sie spürte, wie sich seine mentalen Fühler,
die ihm das Glitzerstim verliehen, nach ihr ausstreckten und nach
einem Eingang in ihr Bewusstsein suchten. Zum Glück war sie
besser als das und ihre Schutzbarriere hielt stand.
"Du könntest es herausfinden, Schätzchen", schlug er vor und
platzierte seine freie Hand auf ihrem Oberschenkel. Plötzlich schien
sein forciertes Drängen in der Macht schwächer und Mara sah die
Begierde in seinen Augen aufleuchten.
Das war schon mal nicht schlecht für den Anfang. Der Trick war
es nun nur noch, ihn auf diesem Abstand zu halten.
Sie sahen einander für eine Weile schweigend an und langsam
spürte sie, wie die Wirkung des Glitzerstims nachließ – doch das
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war sicherlich kein Grund für übermäßige Freude. Irgendetwas
stimmte nicht, doch sie konnte nicht sagen, woran es lag.
Mit einem Nicken in Richtung Ausgang gab Kostryka Laz und
Avarice zu verstehen, dass sie verschwinden sollten und die beiden
wankten davon. Dann wandte sich der Twi'lek wieder Mara zu und
strich mit rauen Fingern über ihr nacktes Knie. Seine Lekku zuckten
immer häufiger.
"Derya, Schätzchen, wie wäre es, wenn wir diesen Ort verlassen",
schlug er vor, "und es uns wo anders gemütlich machen?"
Mara nickte und grinste ihn dümmlich an, ehe er ihr beim
Aufstehen behilflich war und beim Barkeeper seine Rechnung
beglich. Auf dem Weg nach draußen rempelte er einen Rodianer
beiseite und zückte den Blaster aus seinem Hüfthalfter, als dieser
Widerworte gab. Mara zwang sich zu einem Lachen und klammerte
sich an Kostrykas Arm. Sie holten ihre Jacken von der Garderobe
und traten nach draußen auf die belebte Straße.
Kostryka führte Mara nach rechts, die Straße hinunter, und schon
bald wurde die Musik aus den Nachtclubs und Wirtshäusern leiser.
Egal, was er ihr auch erzählte, sie lachte kreischend, um ihm das
Gefühl zu geben, dass er ganz besonders attraktiv war, auch wenn
Mara sich im tiefsten Inneren ihres Wesens gegen die Nähe des
Twi'lek sträubte.
Sie lachte gerade über einen äußerst anzüglichen Witz, als sie
eine Gruppe Menschen passierten, die sich keinen Deut für sie zu
interessieren schien, doch Kostryka warf einen prüfenden Blick über
die Schulter.
Plötzlich blieb er stehen.
"Ehrlich, ich habe noch nie so gelacht", sagte Mara in
glockenhellem Ton und drehte sich zu Kostryka um. Dieser stand da
wie angewurzelt, starrte sie mit einem Blick an, der Carbonit
geschmolzen hätte, eine Hand an seinem Blaster...
...und Mara begriff.
Leider kam ihre Erkenntnis eine halbe Sekunde zu spät.
"Schluss mit diesem Theater, Jade!" rief Kostryka barsch und
schaltete seinen Blaster von Betäuben auf Töten, ehe er ihn auf Mara
richtete. "Hände hoch und langsam umdrehen!"
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Also wusste Kostryka, wer sie war. Und wenn er das wusste, war
ihm auch klar, warum sie zu ihm gekommen war. Sie verfluchte
sich, dass sie davon abgesehen hatte, ihre BlasTech-Pistole im Ärmel
ihrer Jacke zu verstauen. Adrenalin rauschte durch ihre Blutbahn,
während sie fieberhaft an einer Lösungsstrategie arbeitete. Die
winzige Sekunde, die sie bräuchte, um an das Messer an der
Innenseite ihres Oberschenkels zu kommen, hatte sie nicht, bis dahin
hätte man sie wahrscheinlich längst erschossen. Außerdem war die
Distanz zwischen ihnen zu groß, als das sie eine Nahangriffstechnik
des Teras Käsi hätte anwenden können. Außerdem wollte sie ihn
lebend, nicht tot. Kostryka bewahrte noch zu viele Geheimnisse, die
er Mara preis geben konnte.
Dir wird schon was einfallen, Mara, dachte sie und versuchte ihr
wie wild schlagendes Herz zu beruhigen. Wo war Skywalker, wenn
man ihn brauchte?
Kostryka gestikulierte heftig in Maras Richtung und sie ging mit
erhobenen Händen rückwärts, bis sie mit den Schultern gegen eine
raue Wand stieß. Hinter dem Twi'lek erschienen zwei Silhouetten,
die sich gegen die matte Straßenbeleuchtung absetzten. Laz und
Avarice. Beide trugen Repetier-Blaster bei sich und richteten sie auf
Maras Brust. Es war nur allzu offensichtlich, dass die drei Piraten ihr
eine Falle gestellt hatten und sie schluckte einige wüste
Verfluchungen an sich selbst hinunter, weil sie diesen Hinterhalt
nicht hatte kommen sehen. Sehr töricht und anmaßend.
Der Twi'lek kam auf sie zu, die Mündung des Blasters immer
noch auf ihr Gesicht gerichtet, und fingerte an der Innenseite von
Maras Jacke herum, bis er den Empfänger in einer der Taschen
gefunden hatte. Mit einer abfälligen huttischen Bemerkung steckte
er ihn an seinen Gürtel.
"Wo ist Meelam?" verlangte Mara zu wissen und ließ ihre
Maskerade damit endgültig fallen.
Kostryka rümpfte die Nase und seine Lekku zuckten erneut,
während Laz und Avarice ein gemeinsames Grunz-Lachen von sich
gaben.
"Sind Sie wegen ihm hier?" fragte Kostryka ungläubig. "Sie sind
echt verdammt bescheuert."
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Zu ihrer Linken huschte eine weitere Männergestalt von
Hauseingang zu Hauseingang und versuchte sich unbemerkt
anzuschleichen – zumindest so unauffällig wie es einem Jedi-Meister
mit einem Lichtschwert möglich war.
Maras Herz machte einen Sprung. Sie hätte nie gedacht, dass sie
sich einmal so über Skywalkers Anwesenheit freuen würde.
"Nichtsdestotrotz war ihre kleine Vorstellung ganz amüsant.
May sagte, dass Sie gut sein würden", erklärte Kostryka, ließ Mara
dabei jedoch keine Sekunde aus den Augen.
May?
Der Name klang Mara in den Ohren nach und ihre Gedanken
begannen sich zu jagen. Sie hatte ihn schon einmal gehört...
"Offensichtlich war ich nicht gut genug", ergänzte sie trocken.
Wieder grunzten die beiden Kerle hinter Kostryka vor
Schadenfreude – Mara wartete nur noch darauf, dass sie sich
gegenseitig dafür gratulierten, dass sie noch gerade stehen konnten
– und auch der Twi'lek gestattete sich ein kehliges, fast hämisches
Lachen.
Dann geschahen mehrere Dinge gleichzeitig. Es gab ein grünes
Aufblitzen und das Summen von Skywalkers Lichtschwert erfüllte
die Luft. Mit dem typischen Zischen, wenn die Energieklinge auf
Durastahl traf, durchschnitt Skywalker die Läufe der Blaster und
entwaffnete Laz und Avarice, ehe sie bemerkten, was geschah.
"Drei gegen Einen, das nenne ich wirkliche Fairness",
kommentierte Skywalker trocken, als die beiden Piraten nach ihren
Stiefelhalftern griffen und jeder eine zweite Waffe zum Vorschein
brachte. Blasterschüsse zischten durch die Nacht und prallten an der
grünen Klinge ab.
Durch Skywalkers Erscheinen abgelenkt, wandte Kostryka seine
Aufmerksamkeit von Mara ab und verschaffte ihr damit die
Sekunde, die sie gebraucht hatte. Mit aller Kraft stieß sie sich von
der Wand hinter ihr ab und stürzte sich auf den Twi'lek. Ein
Handkanten-Schlag und ein gut gezielter Fußtritt raubten Kostryka
den Atem, ließen ihn taumeln. Die BlasTech-Pistole entglitt seinem
Griff und rutschte mit dem dunklen Schlick davon. Er keuchte und
hieb mit beiden Fäusten auf sie ein. Sie duckte sich unter dem ersten
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Schlag hindurch, spürte dann jedoch etwas, das sie wie ein Stein in
die Magengrube traf. Glitzerstim hin oder her, seine Körperkraft
war kein bisschen geschwächt.
Das Sirren von Skywalkers Lichtschwert, das das rote
Blasterfeuer zurückwarf, erfüllte noch immer die Luft, als sie sich
mit dem Kopf voran auf Kostryka warf und ihn zu Boden rang.
Seine Lekku zuckten wieder nervös, während seine schmutzigen,
Schlamm bespritzen Finger ihren Weg zu Maras Kehle suchten.
Mara warf sich herum, wälzte sie beide durch den dickflüssigen
Schlamm auf der Straße, und drückte Kostryka auf den Permabeton.
Vom Gewicht ihres Körpers auf seiner Brust zu Boden gepresst, gab
der Twi'lek jedoch nicht auf, sondern versuchte sich aus Maras Griff
zu befreien. Zumindest bis er die kühle Klinge des Vibromessers an
seiner Kehle spürte.
"Okay, das reicht jetzt", sagte Mara, der ebenfalls der ölige
Schlick aus dem braun gefärbten Haaren tropfte und über ihr
Gesicht herab lief. "Wo ist Meelam?"
Ein feines Rinnsal Blut sickerte aus der Nase des Twi'lek. Er
atmete heftig ein und aus, als hätte er Angst zu Ersticken, doch der
Ausdruck in seinen Augen blieb unleserlich.
"Was ist? Wo ist er?" wiederholte sie, diesmal strenger, forcierter.
Der Kampf zwischen Skywalker und Kostrykas Kameraden
verklang in Maras Ohren wie fernes Rauschen. Sie blendete alles
andere aus und konzentrierte sich voll und ganz auf den Twi'lek.
Schließlich begann er ganz leise zu sprechen, als fürchtete er, dass
ihnen jemand zuhörte. Mara beugte sich tiefer hinunter, bis ihre
Gesichter nur noch wenige Zentimeter von einander getrennt waren.
"Sie... sollten... sich in Acht nehmen", flüsterte er. "Sonst werden
Sie in noch mehr Fallen tappen."
Mara blinzelte ihn perplex an, sagte jedoch nichts.
"Meelam ist niemand anderes..."
Etwas streifte Maras Wange, nadeldünn und glühend heiß. Sie
zuckte überrascht zurück, die Augen fest geschlossen, und spürte,
wie ihr eigenes, warmes Blut sich mit dem Dreck in ihrem Gesicht
vermischte. Kostrykas gab ein abscheuerregendes Gurgeln von sich
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und bäumte sich unter Mara auf, dann wurde er still, nahezu Todes
ähnlich ruhig.
Plötzlich erstarb die Kampfhandlung um sie herum. Der einzige,
alles durchdringende Laut schien von Skywalkers Schwert
auszugehen.
Laz und Avarice gaben beide einen erstickten Schrei von sich.
Ihre Blaster landeten geräuschvoll auf dem Straßenbelag und ihre
Schuhe kratzten über den Boden.
"Los, lass uns abhauen!" rief Avarice.
"K-ka-keine schlechte Idee!" stimmte Laz hinzu. Skywalker sah
den beiden nach, wie sie sich eilig aus dem Staub machten, folgte
ihnen jedoch nicht.
Mara hingegen, die das Vibromesser immer noch an Kostrykas
Kehle hielt, starrte fassungslos zu dem Twi'lek hinunter, der mit
aufgerissenen Augen da lag und ins Leere starrte. Seine Atmung
war zum Erliegen gekommen und seine Hände waren plötzlich
erschlafft. Leblos hingen sie an seinen Armen, die wie erlegte
Dewbacks links und rechts von ihm ausgestreckt da lagen.
Ein dünner, silbrig glänzender Pfeil, der etwa so lang war wie
Maras kleiner Finger, hatte zwischen seiner Nase und dem linken
Auge ins Fleisch gebohrt. Zweifelsohne war der Twi'lek vergiftet
worden.
Als sich die Erkenntnis in ihr Gehirn fraß, sprang Mara hastig auf
und berührte den Schnitt in ihrem Gesicht. Mit geschlossenen
Augen ließ sie die Barrieren ihres Geistes so weit fallen, um die
Macht zu sich zu rufen, und ihr Blut von dem Gift zu befreien. Mit
mikro-skopischer Präzision presste sie den winzigen Tropfen, den
sie selbst abbekommen hatte, aus der Wunde und ein neuer, warmes
Schwall der roten Flüssigkeit ergoss sich über ihre Wange.
Sie atmete tief durch. Allerhand Sinneseindrücke kamen zurück
in ihr Bewusstsein und das Herz schlug nun so gewaltsam in ihrer
Brust, als wolle es aus ihrem Körper ausbrechen.
"Skywalker..." begann sie, "lassen Sie uns..."
Doch sie kam mit ihrem Vorschlag nie zu Ende.
Luke starrte über Mara hinweg, den Blick auf die Dächer der
flachen, klotzigen Bauten hinter ihr gerichtet. "Schauen Sie", meinte
59
er dann abwesend und reckte das Kinn. Verwunderte wandte Mara
sich um und folgten seinem Blick.
Da hockte jemand. Am Rand des Daches kauerte eine schwarze,
menschliche Gestalt, von der Mara nicht genau sagen konnte, ob sie
männlich oder weiblich war. Wilde Strähnen schwarzen Haares
fielen der Person ins Gesicht, doch mehr war gegen den
Nachthimmel nicht zu erkennen.
Die Gestalt erhob sich und berührte das rechte Handgelenk.
Mara vermutete, dass sich dort die Abschussvorrichtung für den
vergifteten Pfeil befand.
Ein Schauer kroch Maras Rücken hinab und verteilte sich in
ihrem Gliedern, als sie die schlanke Silhouette über sich mit
prüfenden Blicken bedachte. Ihr war, als empfinge sie
unterschwellig, ganz subtil, eine Botschaft aus der Vergangenheit.
Sie war sich sicher: Sie kannte diese Person.
Die Gestalt richtete sich auf, streckte den anderen Arm nach vorn
und öffnete die Hand. Etwas, das aussah wie schwarze Splitter,
fielen augenblicklich dem Erdboden entgegen.
Als hätte ihn eine seiner Jedi-Ahnungen gewarnt, packte Luke
ihren Oberarm und zerrte Mara einige Schritte zurück. Sie ließ es
geschehen. Jeder Muskel in Maras Körper war angespannt, wartete
auf den Moment des Einschlags.
Es gab ein Geräusch, wie wenn Münzen auf Asphalt auftreffen,
als die schwarzen Splitter einer nach dem anderen zu Boden fielen.
Klirrend verteilten sich um Kostrykas Leiche wie ein Blütenregen
und glitzerten in der Dunkelheit wie herab fallende Sterne. Luke
und Mara drängten beide einen weiteren Schritt zurück. Sie konnte
die Anspannung in ihm spüren als wie ihre eigene.
Doch Sekunden vergingen und nichts geschah.
Eilig wandte Mara ihren Blick wieder zum Dach hinauf, um zu
sehen, was dies zu bedeuten hatte, darauf gefasst ein hämisches
Lachen zu hören oder zu sehen, wie jemand einen Fernzünder
betätigte.
Die schwarze Gestalt war verschwunden.
60
LAZ UND AVARICE WARTETEN BEREITS AM VEREINBARTEN TREFFPUNKT
auf sie und beide sahen ein wenig mitgenommen und aufgekratzt
aus. Offensichtlich unbewaffnet – von zwei Stiefelmessern, einer
Ersatz-Vibroklinge und je einem versteckten Thermaldetonator
einmal abgesehen – standen sie an der Kreuzung unter einer
flimmernden Straßen-laterne, die fahle und verschwommene
Schatten an die Hauswände warf. Sie schenkten jedem, der die
Laterne passierte, einen mürrischen Blick, als hofften sie, dass sich
jemand finden möge, der sich freiwillig von ihnen verprügeln ließ.
May glitt wie eine Kreatur der Nacht ganz lautlos auf die zwei
Nichtsnutze zu und ließ die jüngsten Ereignisse noch einmal Revue
passieren.
Sie war ein wenig überrascht gewesen, als sie Luke Skywalker als
Maras ständigen Begleiter und Schoßhund ausgemacht hatte. Ihr
war bewusst gewesen, dass Enyth dumm genug gewesen war, sich
auf Esseles Jedi-Gesellschaft an die Fersen zu heften, doch sie hatte
nicht erwartet, dass es direkt der Meister des Ordens sein würde,
der dem verlausten, nunmehr toten, Twi'lek hinterher jagte. Doch
letztendlich hatte sich der Jedi-Meister als überaus nützlich
erwiesen. Immerhin hatte er Jade nach Belderone geführt – was er
auch wieder nur Enyths Dummheit verdankte – und war
anschließend brav, jedoch auffällig wie eine leuchtende
Reklametafel, hinter Jade hergelaufen. Er hatte nicht einmal
bemerkt, dass er selbst einen Verfolger hatte, so sehr war er auf Jade
fixiert gewesen. Nur hin und wieder war er für einen kurzen
Augenblick in die Macht abgetaucht und damit aus Mays Blickfeld
verschwunden, doch es hatte nie besonders lange gedauert, bis er
wieder auftauchte. Für einen Moment fragte May sich, ob Skywalker
wohl besondere Gefühle für Jade hatte, doch irgendwie schien ihr
der Gedanke absurd. Wer könnte Mara Jade schon lieben? Jetzt
hoffte May nur, dass ihre Gegenspielerin das nächste Rätsel, dass sie
ihr praktisch vor die Füße geworfen hatte, entziffern und dem
Hinweis nachgehen würde.
May trat in den schummrigen Lichtkegel der Straßenbeleuchtung. Laz und Avarice strafften im selben Moment die Schultern
und May bemerkte, dass beide wieder einmal nach Alkohol rochen.
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"Gar nicht mal übel, Jungs.", kommentierte sie humorlos, "Hättet
ihr euch noch ein bisschen mehr in die Hosen gemacht, wärst ihr
von Skywalker filetiert worden."
"Ey, Mann, ey, May, hö' ma', echt, wir ham ja nich' geahnt, dass
sie 'nen Jedi dabei hat!" rief Avarice und hob abwehrend die Hände.
May unterdrückte ihrerseits ein frustriertes Seufzen. Wenn sie nicht
schon Pläne für diese beiden Nichtsnutze hätte, wären sie auf der
Stelle von ihr umgeblastert worden. Dann wäre zumindest ein
Problem gelöst, in diesem Falle gestorben. Aber was nütze es, sich
aufzuregen. May hatte erreicht was sie wollte, und das allein war
wichtig. Abgesehen davon hatte sie nie wirklich erwartet, dass Laz,
Avarice und Kostryka Plan A erfolgreich umsetzen würden.
"Aber muss'est du gleich den arm'n Enyth wegpusten?" fragte
Laz und deutete mit dem Finger auf sie. "Das war nich' nett!"
"Haltet die Klappe", herrschte sie Laz und Avarice an, "Seid froh,
dass ich vor euch stehe und nicht der König. Der hätte Enyth
erschossen und anschließend auf seinem Grab getanzt."
"Du meins', schreiend un' brüllend un' so?" fragte Laz mit
Abscheu in der Stimme.
"Dem hätt' ich in'n Arsch getreten!", meinte Avarice. "Enyth
war'n guter Mann."
"Wie auf immer,", sagte May und machte eine beiläufige Geste,
"Er ist im Dienste der Pirate gestorben. Sehr erstrebenswert. Und
jetzt werden wir den Shuttle nehmen und zurück zum
Sammeltreffpunkt fliegen. Danach erhaltet ihr neue Anweisungen."
Laz und Avarice tauschten nervöse Blicke aus, wagten es aber
nicht, irgendetwas zu erwidern. Immerhin hatten sie gerade den
'König' beleidigt. Und so trotteten sie May hinterher, die das kleine
Trio durch das unübersichtliche Straßengeflecht führte, als wäre sie
hier zuhause.
Sie verließen die Stadt und mittlerweile schimmerten die ersten
Anzeichen des bevorstehenden Sonnenaufgangs am Firmament. Vor
ihnen erstreckte sich eine Landschaft von karger Schönheit. Nur
wenige Schwarzdorn-Akazien säumten den sandigen Boden, aus
dem hier du da ein kleiner Busch emporwuchs. May nahm ihr
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Fernglas vom Gürtel und überprüfte die Umgebung, fand jedoch
nichts als eine Schlange, die in der Nähe auf einem Felsen döste.
Sie seufzte zufrieden, als der frische Wind durch ihre kinnlangen,
schwarzen Haare strich.
"Es ist nicht mehr weit", informierte sie Laz und Avarice und
ging dann zügig weiter. Die beiden schienen mittlerweile ziemlich
ausgelaugt zu sein, denn sie stützten sich gegenseitig oder rüttelten
den jeweils anderen kräftig durch, wenn er kurz davor war
einzuschlafen.
Schließlich machten sie Halt. Hier war der Sand sprödem,
aufgesprungenem Lehmboden gewichen, der am Tage der Sonne
schutzlos ausgeliefert war.
"Sin' wir endlich da?" fragte Laz träge.
May betätigte ihr Comlink. "Wir sind zurück", sagte sie ein wenig
ungeduldig. Einige Sekunden vergingen, dann erlosch die
Tarnvorrichtung des Shuttles mit einem leisen Surren. May
scheuchte die beiden Piraten hinein – die sich sofort in der Messe
breit machten und laut schnarchend in einen komatösen Zustand
hinüber glitten – und machte sich auf den Weg zum Cockpit. "Wir
können los", verkündete sie ohne Einleitung und ließ sich auf den
Copilotensitz fallen.
Der devorianische Pilot gab eine Reihe unverständlicher Laute
von sich, hämmerte auf die Konsole ein und eine Sekunde später
erwachten die Repulsoren zum Leben.
Zufrieden lehnte May sich zurück, griff in die Brusttasche ihres
Anzugs und zog eine lange, silbrig weiße Kette hervor, an der ein
kreisrundes Geflecht aus selbigem Material hing. Sie drehte den
Anhänger zwischen ihren Fingern und bewunderte die kunstvolle
Fertigung. Haardüne Fäden aus Perlmuttkristall waren so dicht
miteinander verwebt, dass das Geflecht mehr wie eine Medaille oder
eine Münze wirkte. Seltsam, dass etwas so Kleines ein so großes
Geheimnis bewahren kann, dachte sie und strich sanft über das
Medaillon.
Ein kalten Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie daran dachte,
dass Mara Jade eben jenes Geheimnis für sie entschlüsseln würde.
63
Und dann würde sie endlich Rache üben, würde ihre Genugtuung
bekommen, in vielerlei Hinsicht.
Von diesem glücklichen Gedanken erfüllt, schloss May die
Augen, spürte, wie der Shuttle in den Himmel über Belderone
aufstieg, und ließ sich vom Schlaf übermannen.
„HIER, BITTE SCHÖN.“
Mara starrte den dampfenden Becher an, den Skywalker ihr
hinhielt. „Was ist das?“
„Heiße Schokolade", erwiderte er und zog die Augenbrauen
voller Verwunderung nach oben. „Wieso? Haben Sie Angst ich
könnte Sie vergiften?“
Mara verzog ungehalten den Mund, nahm den Becher dann
jedoch schweigsam an und trank einen Schluck. Skywalker ließ sich
mit einem Seufzen neben sie in den Copilotensessel fallen und
starrte gedankenverloren auf die Umrisse der alten Hauptstadt
hinaus. Streifen von Purpur und Lavendel zeigten sich am Horizont
und kündeten den neuen Tag an, während sie schweigend
nebeneinander saßen. Und so blieb es, bis auf R2-D2s mechanisches
Tuten und Gurren, ruhig. Der Astromech hatte sich in die OutputBuchse des Bordcomputers eingeklinkt und durchsuchte die
öffentlichen Archive und das HoloNet nach Informationen über die
schwarzen Splitter, die Luke und Mara aufgesammelt hatten.
Beide waren noch immer verwundert darüber, dass die Jade's Fire
bei ihrer Rückkehr absolut unberührt gewesen war. Niemand hatte
während ihrer Abwesenheit besonderes Interesse an dem Schiff
bekundet, noch versucht, sich gewaltsam Zugang zu verschaffen.
Das hatte nicht nur Maras eindringliche Untersuchung ihres
geliebten Schiffes ergeben, auch die Aufzeichnungen der
Hafenbehörde hatten dies bestätigt. Erst nachdem sie sich
einhundertprozentig sicher waren, dass alles in Ordnung war, hatte
Mara einer Dusche zugestimmt.
Und so saßen sie nun da: Sie mit einem Becher heißer Schokolade
und die nassen Haare in ein Handtuch gewickelt, er in seinem
schwarzen Overall, einen Splitter zwischen den Fingern drehend,
64
den Blick in die Ferne gerichtet. Mara hatte immer noch das Gefühl
nach einem Abflussrohr zu riechen, obwohl sie fast eine Stunde lang
den Schlamm von sich herunter geschrubbt hatte.
Immerhin, dachte sie trocken, habe ich so die Tönung wieder aus den
Haaren bekommen.
Mara spürte einen unangenehmen Knoten in ihrem Magen, als
wollte sich etwas darin seinen Weg ins Freie suchen. Ihr war, als
müsste sie etwas zu ihrem grandios misslungenen Plan und zu ihrer
Verteidigung sagen, auch wenn Skywalker weder durch seine
Haltung, noch durch eine einzige Silbe danach verlangt hatte. Aber
vielleicht war es gerade das, was ihr so missfiel. Auf der anderen
Seite wurde sie das Gefühl nicht los, dass dies nicht länger eine
Mission der Schmugglerallianz oder der Jedi war. Irgendetwas
schien sie, Mara persönlich, in diese Ereignisse verstricken zu
wollen, doch sie konnte beim besten Willen nicht sagen was.
Sie nahm einen weiteren Schluck Schokolade. Es war wirklich
frustrierend.
"Ich hoffe, R2s Analyse hilft uns weiter", sagte sie und sie wusste,
es war ein lahmer Versuch Konversation zu machen. Schließlich
mussten sie sich nun beratschlagen, wie diese wilde Banthajagd
weiter gehen sollte. Skywalker brummte eine Zustimmung und
betrachtete weiter den Splitter in seiner Hand, als könnte er dadurch
das Rätsel lösen.
„Ist Ihnen aufgefallen, dass die Splitter nicht aus Metall sind?“
fragte er beinahe beiläufig, als Mara ihren Becher fast ganz geleert
hatte.
„Woraus sollten sie sonst sein, wenn nicht aus Metall?“ fragte sie
und platzierte das Trinkgefäß vorsichtig auf der abgeschalteten
Navigationskonsole neben sich.
Luke zuckte mit den Schultern und sprach ohne sie anzusehen:
„Keine Ahnung, aber es fühlt sich nach keinem Metall und keiner
Legierung an, dass ich kenne.“
„Die Galaxis ist groß, Skywalker“, meinte sie und klang dabei
mürrischer, als sie wollte. Aber das reichte wohl, um seine
Aufmerksamkeit wieder auf sie zu lenken. Er sah sie mit seinen
blauen Augen durchdringend an.
65
„Ich habe Ihnen gleich gesagt, dass ich es für keine gute Idee
halte", meinte er ruhig, "aber was geschehen ist, ist geschehen.“
Sie spürte, wie sich der Knoten in ihrem Magen enger zog und
Zorn in ihr hoch wallte. Und offensichtlich konnte er es auch spüren,
als sie sich ihm plötzlich zuwandte und seinen Blick offen erwiderte.
„Schon gut! Sie hatten Recht, ich Unrecht. Ich hätte auf den
großen, weisen Jedi-Meister hören sollen, anstatt auf mein inneres,
einfältiges, törichtes Stimmchen oder weibliche Intuition. Zufrieden?
Kein Grund mich daran zu erinnern!“, schleuderte sie ihm entgegen.
"Zufrieden?" fragte er und klang weniger beleidigt, als vielmehr
mitfühlend. "Ganz und gar nicht. Ich halte Sie weder für einfältig
oder töricht. In der Tat haben sich ihre Instinkte in der
Vergangenheit als äußerst zuverlässig erwiesen. Dieses Mal haben
Sie sich bloß verschätzt."
"Eine Fehleinschätzung kommt in meiner Branche einem
Todesurteil gleich", kommentierte sie.
"Jeder macht Fehler", beharrte Skywalker.
"Dann häufen sie sich bei mir in letzter Zeit. Und zwar
auffallend."
"Könnten Sie bitte aufhören, sich selber fertig zu machen?"
"Und was ist, wenn ich gerade Lust dazu habe?" konterte Mara,
doch sie wusste in einer entfernten Ecke ihres Bewusstseins, dass sie
sich wie ein bockiges Kind anhörte. Aber im Moment wollte sie
nichts mehr, als ein bisschen Dampf ablassen, und wenn er das nicht
ertragen konnte, stand es ihm frei zu gehen. Sie wäre die Letzte, die
versuchen würde ihn davon abhalten. "Halten Sie lieber die Luft an,
sonst klingen Sie gleich noch wie einer dieser romantisch
unterbelichteten HoloNet-Prediger, die einem weismachen wollen,
sie könnten mit Göttern reden."
Sie hörte, wie er einen tiefen, kontrollierten Atemzug tat und sich
dann wieder schweigend zurück lehnte, um die Landschaft zu
betrachten. Die purpurnen Flecken breiteten sich immer weiter aus
und machten Platz für ein helles, klares Blau, vermischt mit den
ersten, gelbgoldenen Strahlen der Sonne.
Mara folgte seinem Blick, ein wenig enttäuscht, dass er so schnell
nachgegeben hatte, und starrte auf die Stadt hinaus.
66
"Was finden Sie nur an diesem Ausblick?" fragte sie nach einer
Weile. Unter anderen Umständen hatte sie den Sonnenaufgang
vielleicht als hübsch empfunden, aber sie fühlte sich taub, als könnte
sie die Schönheit nicht mehr wahrnehmen.
Er verzog den Mund zu einem sardonischen Lächeln.
"Sie haben wohl nicht viel für Romantik übrig, oder?"
"Ich habe in meinem Leben keine Zeit für Romantik und ich lege
auch keinen besonders großen Wert darauf", sagte sie streng. "Sie
hingegen sind noch zu sehr mit Ihrer Callista beschäftigt, um..."
Sie hielt inne, als sie sah, wie sich seine Miene kaum merklich
verfinsterte, und wusste, dass sie einen empfindlichen Punkt
getroffen hatte.
"Sie halten mich also auch für romantisch unterbelichtet, ja?" fragte
er und die Verärgerung schwang deutlich in seiner Stimme mit.
"Ich sage nur, dass Sie immer noch Ihrem Mädchen nachtrauern,
auch wenn sie nach Nam Chorios was anderes behauptet haben",
konterte sie. "Sie machen sich etwas vor und trösten sich mit
lächerlichen Poesiealbums-Sprüchen darüber hinweg, dass das
Leben nicht fair ist. Vielleicht verbringen Sie deshalb so viel Zeit mit
den Solo-Kindern, weil Sie so Ihre zerstörten Familienträume
kompensieren können. Und vielleicht brauchen Sie sogar das
Praxeum selbst, um ihr Ego zu stärken."
Sie sah, wie sich Fassungslosigkeit auf seinem Gesicht
ausbreitete. Er starrte sie an, als hätte sie ihn soeben geohrfeigt und
seine Wangen röteten sich. Langsam er lehnte sich in seinem Stuhl
vor.
"Passen Sie auf, was Sie sagen, Jade", meinte er hitzig.
Offensichtlich verlangte es ihm gerade all seine Jedi-Geduld ab, um
sein eigenes Temperament im Zaum zu halten.
Ein Funkeln trat in Maras Augen. "Das hier ist doch eine freie
Galaxis, also darf ich ja wohl auch meine Meinung äußern, oder?"
Auf eine nahezu sadistische Art und Weise amüsierte sie seine
Verärgerung. Es war einfach köstlich zu sehen, dass sich Luke
Skywalker immer noch aus der Reserve locken ließ.
"Ja, schon", gab er zu und schob das Kinn trotzig nach vorne,
sichtlich um Diplomatie bemüht. "Aber..."
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Mara hätte gern noch gehört, welches Gegenargument Skywalker
zu seiner Verteidigung vorzubringen gedachte. Dank R2-D2 kam es
nie dazu.
Der Astromech-Droide war schneller, schob sich mit größter
Beharrlichkeit zwischen die Sitze der beiden Streithähne und
übertönte seinen Meister mit einer Reihe von aufgeregten Piepsern
und Heulern. Skywalker verzog den Mund und legte R2-D2
beruhigend eine Hand auf die blaue Kuppel. "Schon gut, R2."
"Was hat er gesagt?" verlangte Mara zu wissen.
"Das er mit der Analyse fertig ist", erwiderte Skywalker trocken,
doch sie wusste, dass das nicht alles gewesen sein konnte.
"Und weiter?" bohrte sie.
Skywalker warf ihr einen Blick zu. Seine Wut schien wieder
verflogen, was zurück blieb, war bloße Resignation.
"Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie verdammt
anstrengend sein können?" fragte er trocken und wandte sich wieder
R2 zu, wodurch er Maras tödlichem Blick entging. Er beugte sich
vor, löste die Abdeckung des Mainframe-Prozessors und verband
R2 über ein Kabel mit einem der freien Ports.
Mara hingegen presste die Lippen aufeinander. Vielleicht sollte
sie es fürs Erste dabei belassen.
Auf dem Holo-Bildschirm erschien eine exakte, detailgetreue
Abbildung eines Splitters, kurz darauf erschienen die Titel mehrerer
Einträge dazu im HoloNet. Skywalker bat seinem AstromechDroiden, den ersten Eintrag aufzurufen.
Die 'Steinerne Blume' (mandalor.: Oriaans, selk.: Xchulthu) zählt zur
Pflanzengattung der Blüten-Gewächse und ist ausschließlich in der
südlichen Steppe des Planeten Dantooine zu finden. Ihren Namen verdankt
sie einer ihr eigenen Fähigkeit bei der Reproduktion. In ihrer Keimzeit
während eines milden Frühlings ist die Blüte ungeöffnet, Stiel und Blätter
erscheinen weiß. Während ihres Wachstums entwickelt sich das
Chlorophyll entlang des Stiels, die Blüte öffnet sich. Die Farbgebung der
Blüte kann unterschiedlich sein, je nachdem, mit welcher Untergattung die
Spender-/Eltern-Generation gekreuzt wurde. Gelbrote und blaugrüne
Verläufe zählen zu den am häufigsten auftretenden Blütenfarben. Am Ende
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des Herbstes beginnt der Degenerationsprozess und damit die
Reproduktion, bei der Stiel und Blätter eine gelbliche Farbe annehmen. Die
Blüte bleibt geöffnet, verändert jedoch ihre genetische Struktur. Primäre
Merkmale wie die Form bleiben erhalten, jedoch ereignet sich ein spontaner
Wandel in der Decodierung der DNS. Die pflanzeneigenen Proteine
zersetzen die zellularen Membranen und Zellwände und bauen sie neu
zusammen, so dass sich eine wetterresistente, feste Außenhülle bildet. Ist
ein Blütenblatt vollständig umgewandelt, wird es abgeworfen. Im Inneren
ist die Erbinformation sicher abgespeichert.
Bereits während der Mandalorianischen Kriege wurden die gehärteten
Blütenblätter bei zeremoniellen Bestattungsriten, als Schmuck und als
Werkzeugbestandteil verwendet. Durch Plünderer und mandalorianische
Söldner verbreiteten sich einzelne Arten auch auf Mandalore und im
Manaan-System, wo sie jedoch rasch wieder ausstarben. Aufgrund ihrer
außerordentlichen Seltenheit und der schwachen Reproduktion der Pflanze
in der freien Natur von Forschungsbeauftragten und Paläobotanikern der
Neuen Republik als äußerst gefährdet eingestuft...
Als sie beide geendet hatten, warf Skywalker ihr einen fragenden
Blick zu, als warte er darauf, dass sie ihre Meinung kundtat.
Mara biss sich auf die Lippen und dachte angestrengt nach. Also
waren die schwarzen Splitter keine Metallfragmente, sondern
verwelkte Blütenblätter. Aber warum sollte jemand nach einem
Attentat mit Blütenblättern um sich werfen? Sie konnte sich nicht
vorstellen, dass es sich dabei um einen 'zeremoniellen
Bestattungsritus' handelte. Auch hatte die Gestalt keins der
typischen Merkmale eines Mandalorianers gezeigt, was vielleicht
eine andere Verbindung zur Oriaans-Pflanze hergestellt hätte. Nein,
es war etwas anderes.
Sie erinnerte sich an den Schauer, der über ihren Rücken
gekrochen war, als sich ihre Blicke getroffen hatte. Sie kannte diese
Person und sie war hinter Mara her.
"May sagte, dass Sie gut sein würden."
Es durchzuckte sie wie ein heftiger Energiestoß, als sie sich an
Kostrykas Worte erinnerte.
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Konnte das sein? Die Person auf dem Dach, konnte es sein, dass
es May Lynn Montross gewesen war?
Hatte Kostryka von ihr gesprochen?
Wenn ja, was wollte May Montross von ihr? Welchen Nutzen zog
sie daraus, Meelam in ihrer Gewalt zu haben?
"Was ist los?" hörte sie Skywalker entfernt fragen. Sie blinzelte
und ihr Herz nahm wieder seine Arbeit auf, nachdem es für eine
Sekunde stehen geblieben war.
Luke sah Mara mit einer Mischung aus ernsthafter Sorge und
Verwunderung an.
"Es ist ein Hinweis", meinte sie nur. "Die Blütenblätter sind ein
Hinweis. Wer auch immer Meelam in seine Gewalt gebracht hat, sie
will, dass wir ihr folgen. Sie wusste, dass wir die Splitter analysieren
würden, genauso, wie sie gewusst hat, dass wir hierher kommen
würden. Das bedeutet, sie wollte, dass wir diesen Eintrag finden,
um uns zum nächsten Ziel zu locken."
"Ich weiß nicht, ob das klug ist, immerhin können wir so leicht in
einen Hinterhalt geraten", warf Skywalker ein und studierte noch
einmal den HoloNet-Eintrag. "Andererseits", seufzte er, "haben wir
sowieso keine andere Wahl."
"Das hier ist meine Mission, Skywalker", erklärte Mara. "Sie
müssen mich nicht begleiten."
"Ich habe gesagt ich komme mit Ihnen, also werde ich bleiben",
sagte er ruhig, aber bestimmt.
Sie nickte bloß. Sie konnte ihn nicht zwingen zu bleiben, aber sie
konnte ihn ebenso wenig dazu zwingen zu gehen. Nun, so musste
sie wenigstens nicht allein durch diesen Schlamassel und vier Augen
sahen bekanntlich mehr als zwei.
Mara spürte ein seltsames Kitzeln in ihrer Magengrube. Sie
waren nach Belderone gekommen, um Antworten zu finden, doch
sie hatten stattdessen nur noch mehr Fragen gefunden. Es blieb
ihnen nur übrig dem einzigen, stichhaltigen Beweis nachzugehen:
Dem Herkunftsort der 'Steinernen Blume'.
Also fasste Mara einen Beschluss. Es war egal, was an ihrem Ziel
lauerte oder welches Übel May Montross ihr vielleicht zufügen
wollte, sie durfte jetzt nicht aufgeben. Immerhin musste sie Karrdes
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Auftrag zu Ende bringen. Und die Antworten würden schon noch
kommen, auf die eine oder andere Weise.
Sie wandte sich der Konsole zu und tippte den Kenncode ein, mit
dem sich die Triebwerke der Jade's Fire starten ließen, wobei Luke
sie aufmerksam beobachtete.
"Dantooine?", fragte er.
Wieder nickte sie. "Dantooine."
71
4: A DIVE INTO THE HEART
SKYWALKER STOCHERTE SCHWEIGSAM IN SEINEM ROHKOSTSALAT AUS
Rupyine-Bohnen und Elion-Paprika herum, die vom Küchenchef in
der einheimischen Variante einer Vinaigrette ertränkt worden
waren. Mara hingegen hatte ihr Nerf-Filet noch nicht einmal
angerührt. Es stand immer noch da und wurde langsam kalt und
Luke hatte es aufgegeben, sie zum Essen zu bewegen.
Sie saßen auf der Dachterrasse eines kleinen, familiär wirkenden
Restaurants ganz in der Nähe ihrer Landebucht. Die Siedlung lag
friedlich zu ihren Füßen da und die Sonne tauchte die Häuser und
Straßen in ein Licht von sanftem Gelb und Rosa. Die Luft war klar
und trug noch die Kühle des vergangenen Winters mit sich. Auf
dem Platz vor dem Restaurant fuhr gelegentlich ein Speeder vorbei
und übertönte damit das leise Stimmengewirr auf der Straße. Der
pastellblaue Himmel über Dantooine wurde nur vom Schleier
kleiner Quellwolken bedeckt. Die Idylle hätte direkt aus einem
Hotelzimmer-Gemälde stammen können.
Mara, ganz versunken in die Lektüre eines Reiseführers, biss sich
konzentriert auf die Unterlippe und versuchte das Szenario auszublenden, obwohl es angenehm war, nach all den verkommenen
Welten wie Ord Mantell und Belderone solch natürliche Harmonie
zu genießen.
„Und?“, fragte Luke, der gerade eine weitere Gabel Bohnen in
Essig-und-Öl-Sauce herunter geschluckt hatte. „Schon Etwas gefunden, das uns weiter helfen könnte?“
72
„Nein“, sagte Mara gedankenverloren und wechselte die Karten
in ihrem Datapad.
Vorhin waren sie die einzigen Reisenden in dem winzigen
Hafenbüro gewesen und eigentlich war seit dem alles ruhig und
vollkommen normal verlaufen, auch wenn Skywalkers Erscheinen
bei dem kleinen gedrungenen Mann hinter der Ladentheke fast
einen Herzinfarkt verursacht hatte. Dies war eindeutig zuviel
Prominenz für einen Tag, wie Mara still bei sich gedacht hatte.
Der Hafenleiter selbst – ein schlaksiger Mann zwischen dem
fünfzigsten und sechzigsten Lebensjahr, wie Mara schätzte – war
daraufhin erschienen, um sie in Khoonda City zu begrüßen und sie
mit seiner Ehrerbietung zu überschütten. Nachdem Luke ihm eine
ganze Weile die Hand geschüttelt hatte, war er dann gewillt
gewesen, ihnen einige elektronische Reiseführer und Landkarten der
Umgebung zu verkaufen. „Ich kann Ihnen auch nur herzlichst die
umfangreiche
Medienbibliothek
unserer
Stadtverwaltung
empfehlen. Unsere Geschichte reicht immerhin fast fünftausend
Jahre zurück und selbst die alten Jedi hatten hier einst eine
Enklave!“ hatte er sich, wild gestikulierend, ausgelassen. „Wir
nehmen die hier, danke!“, hatte Mara sich entschlossen eingemischt
und die Credits passend auf die Ladentheke geknallt, ehe Skywalker
sich zu irgendwelchen historischen Ausflügen hinreißen ließ.
Sie hörte, wie Luke seinen Teller leerte und sein Besteck
ordentlich beiseite legte. Der Polsterbezug des Stuhls quietschte, als
er sich zurücklehnte.
„Mein letzter Besuch hier war nicht besonders erfreulich“, sagte
Skywalker mit ernster Miene. „Dabei hatte ich gedacht, dass
Gantoris' Leute hier sicher wären. Kaum zu glauben, wozu Daala
fähig gewesen ist.“
Mara sah von ihrem Datapad auf und zog verwundert die
dünnen Brauen nach oben. Die Unterhaltungen zwischen Luke und
ihr waren seit ihrem Streit auf Belderone genau so unterkühlt
gewesen, wie die Frühlingsbrise, die gerade durch die Gassen
wehte. Sie waren beide höflich, aber distanziert geblieben und
hatten nur miteinander gesprochen, wenn es zwingend notwendig
gewesen war. Die meiste Zeit war Mara ihm aus dem Weg gegangen
73
und hatte sich in ihrer Kabine mit dem Papierkram für die
Schmugglerallianz beschäftigt oder Nachrichten in ihrem HoloPostfach beantwortet. Sie hatte es als Vereinbarung mit beidseitigem
Einverständnis aufgefasst, als Skywalker keinerlei Anstalten machte,
das Gespräch mit ihr zu suchen. Offenbar hatte sie falsch gelegen,
denn nichts anderes war diese Äußerung: Der Versuch, ein
Gespräch zu beginnen.
„Wenigstens sind sie für ein paar Tage wirklich glücklich
gewesen“, kommentierte Mara, die sich noch sehr gut an die
Schreckensberichte über die Vernichtung der Eol Sha erinnerte. Sie
selbst hatte vor zwei Jahren die Nachrichten zu Skywalkers JediAkademie gebracht.
Mara lege das Datapad beiseite und beschloss, ihr nunmehr
lauwarmes Nerf-Filet endlich zu essen. „Vielen Lebewesen ist nicht
einmal das vergönnt. Sie sollten sich deswegen keine Vorwürfe
machen.“
Mara wartete nur auf sein „Das tue ich doch gar nicht!“, doch zu
ihrer Überraschung nickte Skywalker bloß und ließ es dabei
bewenden.
„Wir haben also keine näheren Hinweise?“ hakte er nach.
Mara spülte einen trockenen Bissen Fleisch mit einem Schluck
Wasser hinunter. „Nein, haben wir nicht.“
„Aber es muss doch irgendetwas in diesem Reiseführer gestanden haben, oder?“
„Ja, das schon", erwiderte Mara und spießte einige
Kartoffelscheiben auf ihre Gabel auf, „zum Beispiel, dass Khoonda
City eine von drei befestigten Siedlungen auf Dantooine ist; dass 67
Prozent der Festlandvegetation aus Steppe besteht und dass
zwischen dem fünften und dem achten Monat die Regenzeit
einsetzt. Ansonsten ist Dantooine hauptsächlich von Nomaden
bevölkert. Die zerstörte Rebellenbasis, die Ruine einer alten JediEnklave und ein dunkler Hain aus Steinen zählen zum galaktischen
Kulturerbe der Alten Republik und einmal alle vierundzwanzig
Monate findet eine traditionelle Iriaz-Jagd statt. Wollen Sie noch
mehr hören?“
Er blinzelte sie an.
74
„Äh, nein... danke“, sagte er langsam, als müsse er die ganzen
Informationen erst einmal abspeichern. „Haben Sie denn auch schon
eine Idee, was wir als nächstes tun sollen?“
„Zuerst“, antwortete sie zwischen zwei Bissen, „werde ich
aufessen. Dann werden wir unsere Rechnung bezahlen. Und danach
bin ich für jeden Vorschlag offen, den Sie mir anbieten können.“
Seine Mundwinkel zogen sich kaum merklich nach oben.
Und so wartete er geduldig, bis sie ihre Mahlzeit ebenfalls
beendet hatte, dann beglichen sie beim Wirt ihre Rechnung und
traten hinaus auf den kleinen, runden Platz. Einige der Passanten
warfen ihnen prüfende Blicke zu, da sie als Einzige nicht in blass
gefärbten Leinenstoffen gewandet waren wie die Einheimischen.
Skywalker kam mit seiner sandfarbenen Jedi-Robe dem lokalen
Kleidungsstil schon nahe, doch Mara in ihrem schwarzen Bodysuit
fiel völlig aus der Reihe.
Sie wandten sich nach links und bogen in eine breite
Fußgängerzone ein. An kleineren Ständen und in den Läden wurden
importierte Waren von allen Welten des Middle und Outer Rim
angeboten. Gelegentlich stand eine Hand voll Menschen vor einem
der Stände und unterhielt sich angeregt.
„Erinnert mich an Anchorhead“, warf Skywalker beiläufig ein,
„nur nicht ganz so staubig und trocken. Wenn die Ernte auf der
Feuchtfarm vorbei war, sind Onkel Owen und ich immer in die
Stadt gefahren, um Geschäfte zu machen. Das waren in meiner
Jugend die besten Tage des ganzen Jahres.“
„Auf gewisse Weise sind doch alle Hinterwäldler-Systeme
irgendwie ähnlich, oder nicht?“ fragte Mara, blieb stehen und besah
sich einen Korb voll Barabelfrüchte. „Sie sind oft isoliert, haben eine
schwache Infrastruktur und Industrie... aber das gehört wohl zu
ihren Charme.“
„Charme?“ wiederholte Luke ungläubig. „Ich wüsste nicht, was
an Tatooine charmant sein sollte, auch wenn es weit schlimmere Orte
in dieser Galaxis gibt.“
„Sie sind dort aufgewachsen, Sie können das nicht verstehen“,
meinte Mara und zählte ein paar Creditmünzen in die Hand des
Obsthändlers. „Für jemanden, der auf Coruscant groß geworden ist,
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kann diese Ruhe und Abgeschiedenheit sehr erholsam sein.
Zumindest gelegentlich.“
Sie nahm zwei Barabelfrüchte vom Obsthändler entgegen und
drückte Luke eine davon in die Hand, als sie weitergingen.
„Und ich dachte immer, Sie bräuchten ständig Action und so
weiter“, sagte Skywalker, „schließlich haben Sie es auch nicht lange
auf Yavin 4 ausgehalten.“
„Ich kann es nicht ertragen völlig von der Außenwelt
abgeschnitten zu sein, wenn ich genau weiß, dass ich da draußen
sein sollte, um mit anzupacken. Ich kann nicht tatenlos daneben
stehen, während die gesamte Republik sich in einem politischen
Dilemma verstrickt“, erklärte Mara ruhig und biss ins saftige,
violette Fleisch der Barabelfrucht. „Das ist etwas vollkommen
anderes, als sich in Zeiten des Friedens für ein paar Tage zurück zu
ziehen und seinen Kopf frei zu bekommen.“
„Ich verstehe, was Sie meinen“, stimmte Luke mit einem
humorlosen Lächeln zu, „nur, dass es selten eine Zeit des Friedens
gibt, in der man sich ausruhen könnte.“
Mara nickte: „Das ist das Problem. Und wir sind ja auch nicht
hierher gekommen, um Urlaub zu machen, oder? Auch wenn ich
beim besten Willen nicht sagen kann, was genau wir hier vorfinden
sollen.“
Der Gedanke geisterte ihr schon seit dem Moment, da sie ihr
Schiff verlassen hatte, durch den Kopf.
Welchen Sinn sah May darin, sie hierher zu locken?
Oder machte sich Montross nur einen abgöttischen Spaß daraus,
Mara ohne Sinn und Verstand umherirren zu sehen?
Sie bogen in eine weitere, noch breitere Straße ein. Zwischen den
Häusern waren hier kleine Bäumchen gepflanzt worden, die das
Stadtbild ein wenig auflockerten.
„Scheint die Hauptstraße zu sein“, vermutete Luke und sah nach
oben.
Entlang der Straße waren Girlanden aufgespannt worden, die
über und über mit Blüten besetzt waren. Die Farben und Formen
waren zahllos. Selbst an den Bäumstämmen und an den
Eingangstüren der Läden ringelten sich Blumengirlanden und
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ergaben ein farbenfrohes, aber dennoch geordnet wirkendes
Durcheinander.
Vor ihnen jagten sich sechs Kinder, drei Jungen und drei
Mädchen, gegenseitig über die Straße und warfen mit Blütenblättern
um sich. Alle Erwachsenen drehten die Köpfe und schauten den
Kindern mit einer Mischung aus Staunen und Wohlwollen hinter.
Mara blieb stehen und sah interessiert dabei zu, wie eines der
Mädchen zu einer älteren Frau hinging und ihr eine einzelne Blume
anbot. „Danke dir, mein Kind“, sagte die Frau mit knarrender
Stimme. „Richte deiner lieben Mutter einen Gruß von mir aus.“
Das Mädchen grinste breit und hüpfte dann weiter die Straße
entlang, kam langsam in Maras und Lukes Richtung.
Erst als sie knappe drei Meter von ihnen entfernt war, blieb das
Mädchen stehen und starrte erst Luke, dann Mara an und taxierte
sie von Kopf bis Fuß. Der Grinsen auf ihrem Gesicht erstarb.
„Euch hab' ich hier aber noch nie gesehen“, stellte das Mädchen
fest. „Seid ihr beide Außenweltler?“
Mara zog die Augenbrauen hoch und warf Skywalker einen
prüfenden Blick zu. Dieser lächelte sanft und ging in Knie, um mit
dem Mädchen auf Augenhöhe zu sein.
„Ja, wir sind nur zu Besuch hier“, bestätigte Luke und bot dem
Mädchen seine Hand an. „Ich bin Luke und das hier ist...“, er
machte eine Pause, als suche er nach der richtigen Bezeichnung, als
was genau er die Frau neben sich vorstellen sollte, „das hier ist
meine Kollegin Mara. Wie ist dein Name?“
Bedächtig musterte sie Luke eingehend, unterzog dann erneut
Mara einer gründlichen Prüfung und schüttelte schließlich Lukes
Hand.
„Ich bin Seena.“
„Hallo, Seena“, antwortete Skywalker und lächelte noch breiter.
„Das ist wirklich ein hübscher Name.“
Mara verzog angesichts von Skywalkers rührigen Worten
belustigt den Mund und verbarg ihre Grinsen hinter einer
vorgehaltenen Hand. Wenn er den Kinderflüsterer spielen wollte
würde sie ihn nicht davon abhalten.
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Das Mädchen kicherte verlegen und schwang mit dem
Blumenkorb hin und her.
„Kennst du dich gut mit Blumen aus, Seena?“ fragte Luke und
nickte in Richtung Korb.
Seena nickte äußerst enthusiastisch.
„Jedes Jahr nach der Ernte gibt es ein großes Fest und überall
werden Blumen aufgehängt. Das ist viel Arbeit, ich helfe immer.“
„Dann hast du doch sicher schon einmal so etwas hier gesehen,
oder?“ fuhr Skywalker fort und fingerte eins der 'versteinerten'
Blütenblätter aus seiner Gürteltasche. Seena starrte das Blatt eine
Weile an, musterte es genauso intensiv und eindringlich wie Luke
und Mara.
„Wer solche Blumen haben will“, sagte Seena schließlich, „der
muss zu Sarzamin Saia gehen.“
DIE SANDSTEINFARBENE FASSADE UND DIE EINFACHE RUNDE ARCHItektur ließen das Haus und damit Sarzamin Saias Geschäft
ungewöhnlich klein aussehen, doch als Mara, Skywalker und Seena
den Laden schließlich betraten, blieb sie einen Moment lang voller
Verblüffung stehen. Der Blumenladen entpuppte sich als ein
einziger, riesiger Garten, der viel breiter zu sein schien, als das
Gebäude von außen vermuten ließ. Die Wände waren so voll mit
Blumen, Büschen, Sträuchern, Gestecken und anderen botanischen
Kunstwerken, dass die Regale auf denen sie standen, nicht mehr zu
erkennen waren. Die Luft war nun feuchter und dicker als auf der
Straße und war mit vielen, exotischen Düften geschwängert, die
Mara unentwegt die Nase kitzelten, während das Mädchen sie
zwischen Tischen voller Blumensträuße und Topfpflanzen durch
den Laden führte. Seena schlich durch die Regalreihen, als wären sie
ihr Zuhause.
Skywalker setzte sich in Bewegung und folgte dem Mädchen auf
Schritt und Tritt, Mara schlenderte als Schlusslicht hinter ihnen her.
Sie passierten eine Glastür und fanden sich in einem Gewächshaus
wieder. Flache, breite Tische voll Blumenerde, Dünger und
Kräuterbeete schienen vom Eingang bis zur rückwärtigen Wand zu
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reichen. Mittendrin hockten drei Frauen und ein älterer Mann und
jäteten Unkraut. Alle vier trugen khakifarbene Tuniken, dicke
Gärtnerhandschuhe und einen Strohhut, der sie vor der künstlichen
Bestrahlung von der Decke schützte.
„Sarza!“ rief das Mädchen und ruderte heftig mit beiden Armen,
um auf sich aufmerksam zu machen. „Sarza, ich hab' Besuch
mitgebracht!“
Die vier fleißigen Gärtner hielten in ihrem Tun inne und richteten
sich langsam, fast mühselig auf. Der Mann rückte sich den Strohhut
zurecht, wodurch seine dichten, buschigen, grauen Augenbrauen
zum Vorschein kamen. Dann flüsterte eine der Frauen – klein und
ein wenig dicklich – den anderen etwas zu, worauf sie ihre Arbeit
mit akribischer Genauigkeit fortsetzten.
Sarzamin Saia wirkte wie eine strahlend schöne Blume, die sich
langsam dem Herbst ihres Lebens näherte. Um die Augen und den
Mund herum, waren die ersten Fältchen zu erkennen und auch
einige silbrig-weiße Strähnen hat sich wie Fäden durch ihren brauen
Schopf gezogen. Doch obwohl sie wie eine Frau wirkte, die in ihrem
Leben viel gelacht hatte, sah sie nun ernst und forschend drein,
während sie sich ihren Weg durch die Beete zu ihnen bahnte.
Anders als die beiden Männer von der Hafenbehörde, schien sie
durch Skywalkers Anwesenheit ganz und gar beeindruckt.
Seenas Laune hingegen schien sich durch nichts trüben zu lassen
und sie herzte Saia heftig, als diese das wartende Grüppchen
erreichte. Mara warf Skywalker einen flüchtigen Seitenblick zu und
wartete darauf, dass er etwas sagte, doch er lächelte nur selig vor
sich hin.
Dann wandte Sarzamin Saia ihre Aufmerksamkeit den beiden
Jedi zu. Mit einer Hand nahm sie den Strohhut ab und zog dabei die
Augenbrauen so heftig zusammen, dass sich auf ihrer Stirn eine
senkrechte Furche bildete. Sie schien nicht besonders erfreut über
ihren Besuch.
„Guten Tag“, sagte Mara schließlich. „Ich hoffe, wir stören Sie
nicht bei der Arbeit. Seena hat uns geraten, uns an Sie zu wenden.
Ich bin…“
79
„Schon gut“, erwiderte Saia und wedelte mit einer behandschuhten Hand, „ich weiß, wer Sie beide sind. Man hat sie bereits
angekündigt. Kommen Sie, lassen Sie uns in meinem Büro weiter
reden.“
Die Blumenhändlerin wandte sich kurz noch einmal dem
Mädchen zu und flüsterte ihr etwas zu, worauf Seena nickte und zu
den anderen drei Gärtnern im Gewächshaus hinüber hüpfte. Das
Lächeln war von Skywalkers Gesicht verschwunden, als Mara ihm
einen weiteren Blick zuwarf. Man hatte sie angekündigt?
Wenn dem so war, dann gehörten ihre Nachforschungen hier
zum Puzzle, das man für sie angefertigt hatte. Das brauchte sie der
Lösung zwar nicht näher, allerdings wussten sie nun, dass sie auf
dem richtigen Weg waren.
Schweigend folgten sie Saia, die sie nun zurück in den
Geschäftsbereich und dann links einen kleinen Gang hinunter
führte. In ihrem Büro angekommen, welches mit Kisten und
kleineren Frachtcontainern mit Düngemittel voll gestellt war, bat sie
die beiden Jedi vor ihrem Schreibtisch Platz zu nehmen. Hastig
sammelte sie einige Rechnungen und Bestellformulare von der
Schreibtischplatte auf und verstaute sie in einer Kommodenschublade, ehe auch sie sich mit einem schweren Seufzen auf
den einfachen Holzstuhl hinter ihrem Tisch fallen ließ und ihre
Gärtnerhandschuhe abstreifte. Unruhig leckte Mara sich über die
Lippen und beobachtete Saia sehr genau.
„Nun“, sagte Saia und rieb sich müde die Augen, „ich hatte
eigentlich später mit Ihrem Eintreffen gerechnet, obwohl ich nicht
gedacht habe, dass Sie einen Jedi-Meister dabei haben würden.
Aber, ich schätze, dieser Zeitpunkt ist wohl so gut wie jeder andere
auch, nicht wahr? Ich würde Ihnen ja etwas zu trinken anbieten,
aber unser Lieferant ist spät und wir haben zurzeit nur
Leitungswasser im Angebot. Zwei Jedi wie Sie sind sicherlich
Besseres gewohnt.“
Sie lehnte sie mit den Ellbogen auf die Kante des Schreibtisches
und ließ ihre Blicke von Luke zu Mara und wieder zurück wandert.
„Wie kann ich Ihnen also zu Diensten sein?“
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Wieder flackerten Maras Blicke zu Skywalker hinüber, der mit
unleserlicher Miene da saß und darauf zu warten schien, dass sie
das Wort ergriff. Wahrscheinlich hatte sie ein wenig zu oft betont,
das dies hier ihre Mission war und nicht seine.
„Da Seena von Ihnen als Expertin für Pflanzenkunde gesprochen
hat“, begann Mara, „möchten wir uns mit ein recht simplen Frage an
Sie wenden. Was wissen Sie über die Steinerne Blume?“
Saia schmunzelte freudlos.
„Ich denke, alles Wissenswerte, das es über Orianna-Blumen zu
wissen gibt, finden Sie sich auch im HoloNet, oder? Immerhin sind
doch Sie diejenigen in diesem Raum, die Bekanntschaften zu den
angesehensten Persönlichkeiten der Galaxis pflegen.“
„Oh, derartige Recherche haben wir bereits hinter uns“,
erwiderte Mara. „Uns locken weniger die Einzelheiten über die
Pflanze hierher, als der Umstand, dass Sie die einzige, in der
Hemisphäre bekannte Exporteurin eben jener Pflanze sind.“
„Dann erhoffen Sie sich also Informationen bezüglicher meiner
Kunden“, sagte Saia. Es war keine Frage. „Dann muss ich Sie
enttäuschen, aber ich werde niemandem, nicht einmal zwei Jedi,
derartige Firmeninterna verraten.“
„Es geht auch nicht um all Ihre Kunden“, beharrte Mara,
„sondern nur um einen, um einen ganz speziell. Die gleiche Person,
die erst vor Kurzem eine Handvoll dieser Blumen – Orianna
nannten Sie sie, ja? – bei Ihnen in Auftrag gegeben hat. Die gleiche
Person, die, wie ich vermute, auch unser Eintreffen angekündigt hat.
Und wenn es so ist, wie ich denke, wird diese Person Sie ebenfalls
angewiesen haben, uns gerade soviel preiszugeben, dass wir wissen,
wohin wir als nächstes gehen müssen, aber nicht, was uns dort
erwartet. Abgesehen davon erwarte ich nicht, dass Ihre Kundenliste
in Bezug auf dieses spezielle Produkt so überlang ist, dafür sind
diese Pflanzen in der restlichen Galaxis zu exotisch und zu
unbekannt.“
Fahrig strich sich die ältere Frau durch den dichten Haar-schopf
und ihre Augenlider begannen vor Nervosität zu flattern.
„Glauben Sie uns“, warf Skywalker mit sanfter und wohl
tönender Stimme ein, „wir sind nicht hier, um Ihnen Schaden
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zuzufügen. Ganz im Gegenteil, wir sind hier, um ihn zu verhindern.
Diese Person, von der meine Kollegin eben sprach, hat eine Geisel
genommen und zusammen mit einer Gruppe von Piraten bereits
viel Ärgern in den Regionen des Middle Rim gemacht.“
Saia betrachtete ihre Fingernägel und kratzte dann mit der
rechten Hand den Handrücken ihrer linken, ehe sie langsam und
flüsternd zu einer Antwort ansetzte. Sie beugte sich nach vorn und
sah sich noch einmal im Zimmer um, als befürchtete sie belauscht zu
werden.
„Ja, diese Person, von der sie sprechen, war hier. Ich kann nicht
genau sagen, ob es sich dabei um einen Mann oder eine Frau
handelte, sie sah irgendwie androgyn aus. Jedenfalls kam sie in
meinen Laden marschiert und machte sich nicht einmal die Mühe,
den Blaster an ihrer Hüfte zu verbergen. Sie orderte ein Dutzend
Orianna. Ich sagte ihr, dass wir erst in drei Wochen zur Ernte hinaus
fahren, was sie ein wenig wütend machte. Sie bestand darauf, dass
wir auf der Stelle diese Blumen besorgen, sie wollte dafür einen
Aufpreis bezahlen. Des Weiteren bestand sie darauf mich zu dem
Feld zu begleiten, wo die Blüten gepflückt werden.“
„Und Sie sind dieser Bitte nachgekommen?“ hakte Mara nach.
„Ja, wenn auch ein bisschen widerwillig. Diese… Person war mir
nicht geheuer. Um ehrlich zu sein habe ich befürchtet, dass sie mir
gleich den Laden in Schutt und Asche legt. Ihre Körpersprache war
sehr beherrscht, aber sie hatte dieses Funkeln in den Augen, wissen
Sie was ich meine?“
Nun lächelte Mara humorlos.
„Sie meinen Blutdurst?“
„Ja, so könnte man es ausdrücken.“
„Was passierte dann?“ fragte Skywalker.
„Ich bat sie, bis zum Ladenschluss zu warten, dann trafen wir
uns am Stadtrand und ich brachte sie zu der Aue, auf der die
Orianna wachsen. Ich sammelte die Blüten und sie bezahlte bar. Sie
sagte, ich würde schon bald Besuch von einer Frau namens Mara
Jade bekommen, die ebenfalls nach den Pflanzen fragen würde.
Dann fuhr sie auf einem Speederbike davon.“
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Stille trat ein und die Blumenhändlerin stieß erneut ihre
Fingernägel in ihren Handrücken, während Mara als auch Luke
versuchten, aus dem eben Gehörten eine logische Schlussfolger-ung
zu ziehen.
„Wo genau ernten Sie die Blüten?“ fragte Mara.
„Die Aue auf der die Blume wächst, gehört zum alten Anwesen
der Matales.“
„Und Sie haben einen Pachtvertrag, dass Sie das Grundstück
einfach so betreten dürfen?“
„Mir gehört das Grundstück“, antwortete Saia und ihre
Mundwinkel zogen sich für einen kurzen Moment nach oben, als sie
Maras verwunderten Gesichtsausdruck sah. Es lag eine
unterschwellige Traurigkeit in ihrem Lächeln. „Ich war mit der
letzten Erbin der Matale-Familie gut befreundet. Sie hat es mir
vermacht, kurz bevor sie starb.“
Saia seufzte und der Ausdruck in ihren Augen ließ vermuten,
dass ihre Gedanken für eine Sekunde in weite Ferne glitten. „Wie
lange ist das jetzt her? 25, fast 30 Jahre.“
Die Blumenhändlerin schüttelte sachte den Kopf und strich sich
vorsichtig die Haare aus der Stirn, ehe sie sich mit angestrengter
Miene wieder auf ihre Besucher konzentrierte.
„Ich nehme an, dass Sie es sehr begrüßen würden, wenn ich Sie
zu dem Platz führe, an dem ich mit ihrem Verdächtigen war.“
„Da liegen Sie verdammt richtig“, erwiderte Mara mit einem
entschlossenen Nicken, konnte jedoch nicht umhin, die ältere Frau
mit einem gutmütigen Lächeln zu bedenken.
GELBGOLDENES GRAS WIEGTE SICH IN DER LAUWARMEN NORDOSTBrise, die über die Ebene wehte und durch Maras Haare strich. Die
untergehende Scheibe der Sonne entflammte den Himmel mit allen
Nuancen von violett und dunkelblau, ein scharfer Kontrast zu der
blutroten Erde, die sich unter dem Gelb des Grases verbarg.
„Ich habe selten einen so schönen Sonnenuntergang gesehen“,
murmelte Mara leise und sog erneut die süßliche Luft ein. Es roch
ein bisschen nach frisch gemähtem Gras und frischen Lilien.
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Inmitten dieses farbengewaltigen Hinterlandes, am Fuß der
Ebene, stand ein alter und ausgebrannter Gebäudekomplex. Doch
selbst die Folgen des verheerenden Brandes, der das Anwesen
heimgesucht hatte, verblassten angesichts des nagenden Zahnes der
Zeit, der im Begriff war, ihr altes Territorium zurück zu erobern.
Selbst Pla- und Durastahl konnte der Macht der Natur nicht
widerstehen. Irgendwann kehrte alles zu der Erde zurück, der es
entstammte.
„Ja, er ist nicht schlecht“, erwiderte Skywalker halb im Scherz,
während er den A-1 Deluxe Speeder sicherte, den sie am Hafen
gemietet hatten. Mara sah in kurz an und verzog den Mund, als sie
sein ironisches Schmunzeln bemerkte.
„Wissen Sie“, meinte Sarzamin Saia, die nun an Maras Seite trat
und einen Blick über die Ebene warf und zuckte nur mit den
Schultern, „wenn man lange genug auf Dantooine war, gewöhnt
man sich daran.“
„Mag sein“, gab Mara zu, „aber so schön das Szenario auch ist,
irgendwie ist es mir hier zu ruhig. Viel zu ruhig.“
„Was meinen Sie?“ fragte Saia.
„Nun, es ist zu ruhig. Die Starkstrom-Barrieren waren
vollkommen intakt, kein Zeichen von Manipulation, Beschädigung
oder sonstigen Sabotageakten, das Gleiche gilt für das Aggregat, an
dem wir vor ein paar Minuten vorbei gekommen sind. Nachdem
sich unsere kriminellen Freunde solche Mühe gegeben haben, uns
hierher zu locken, lässt dieser Umstand vermuten, dass sie entweder
noch nicht hier eingetroffen sind – was ich bezweifle – oder sich
noch etwas sehr viel Schlimmeres als eine Sprengladung am
Sicherheitszaun haben einfallen lassen.“
„Nun, dann sollten Sie nicht unbewaffnet in das Haus gehen“,
meinte Saia, „wobei ich mir eher Gedanken darüber machen würde,
dass man die Kath-Hunde heute nicht schon aus der Ferne jaulen
hört. Es ist ungewöhnlich, wenn diese Biester mal Ruhe geben.“
„Glücklicherweise“, betonte Luke, „verlassen wir fast nie das
Haus ohne mindestens eine Waffe am Körper zu tragen.“
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Wie um seine Worte zu unterstreichen, legte er eine Hand sachte
auf den Griff seines Lichtschwertes, dass wie eh und je an seinem
Gürtel baumelte.
„Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, wenn ich hier beim Speeder
auf Sie warte und die Gegend im Auge behalte. Für den Fall der
Fälle.“
„Ist mir recht“, kommentierte Mara und überprüfte das Halfter
an ihrem Unterarm. Gut, die Batterien waren voll aufgeladen.
„Skywalker, sind Sie soweit?“
„Bereit und willens“, sagte Luke. „Lassen Sie uns hoffen, dass
das hier nicht so endet wie Belderone.“
„Wollen wir etwas andeuten?“ fragte Mara scharf ohne den JediMeister anzusehen, was Saia dazu brachte, verwirrt von ihr zu Luke
und wieder zurück zu blicken.
Skywalker ließ ein frustriertes Seufzen hören. „Lassen Sie uns
gehen, Mara.“
Ihren Abstieg hinunter zum alten Anwesen verbrachten sie
schweigend. Gelegentlich nahm Mara ihr Fernglas vom Gürtel und
suchte die Ebene nach potentiellen Bedrohungen ab, fand jedoch
nichts weiter als eine Gruppe kleinerer Nagetiere, die auf ihrem
Erdhügel standen und sich neugierig umsahen.
„Die Aue, von der Sarzamin gesprochen hat, befindet sich auf
der anderen Seite des Anwesens“, stellte Luke schließlich fest. Er
hielt einen Moment inne und seine Lider senkten sich ein kleines
Stück, während er sich nach der Macht ausstreckte und mit seinen
mentalen Fühlern die Gegend erkundete.
„Können Sie etwas spüren?“ fragte Mara mit neutral-professionellem Geschäftston.
„Ja“, antwortete Skywalker langsam, „zwei menschliche
Präsenzen im Anwesen. Sieht so aus, als warten die beiden Männer,
die Kostryka auf Belderone begleitet haben, in einem der Räume des
Anwesens.“
„Laz und Avarice“, informierte sie ihn und taxierte das mit
dunklem verkohltem Staub bedeckte Gebäude vor ihnen. „Ich hätte
erwarten müssen, dass May mal wieder ihre Sandalenburschen
schickt.“
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„May?“ fragte Luke verblüfft. „Sie haben diesen Namen auf
Belderone auch schon einmal benutzt. Gibt es irgendetwas, dass ich
wissen sollte?“
Mara winkte ab. „Nicht jetzt.“
In leicht geduckter Haltung schlich Mara die letzten Meter der
grasbewachsenen Anhöhe hinunter, eilte mit katzenhafter Eleganz
zu einem rechteckigen erhöhten Blumenbeet, das etwa zehn Meter
vom Eingang des Anwesens entfernt war, und lauschte in die Stille
der Wildnis hinein. Mit geschlossenen Augen versuchte sie alle
Naturgeräusche herausfiltern, blendete das Rauschen des Windes in
den Grashalmen oder das Knirschen der roten Erde unter ihren
Füßen vollkommen aus. Und da war es, so leise, dass es wie ein
heiseres Flüstern klang. Klick, Klick, Klick.
Blinzend schlug sie die Augen erneut auf und richtete ihre Fokus
auf den Rahmen des alten Eingangs zum Vorgebäude des
Anwesens. Das Material war uneben von vielen verkohlten
Ornamenten, die einst in den Durastahl gearbeitet worden waren.
Vorsichtig suchte sie die mattgraue, schwarz befleckte Oberfläche
ab, bis sie schließlich fand, wonach sie suchte. Direkt oberhalb des
Rahmens, nicht einmal so groß wie ihre geballte Faust, sah sie eine
Ausbuchtung, die nicht zu dem alten Kunstmuster im Rahmen
passen wollte.
„Was sehen Sie?“ hörte sie Skywalker plötzlich hinter ihr sagen.
Er hatte die Stimme zu einem Flüstern gesenkt, als befürchtete er
belauscht zu werden.
„Einen Bewegungssensor“, erklärte Mara angespannt, „mit einer
ziemlich kurzen Reichweite. Sobald wir uns der Tür nähern wird
höchstwahrscheinlich ein Alarm ausgelöst und unsere Kumpels
wissen, dass wir hier sind.“
„Hm“, machte Luke, „das ist, in der Tat, ein Problem. Irgendwelche Vorschläge?“
„Bis jetzt noch nicht“, erwiderte Mara, ihre Blicke immer noch
starr auf den Sensor oberhalb des Türrahmens gerichtet. „Diese
Dinger sind wirklich schwer zu umgehen.“
Unbehagliches Schweigen trat ein, während sie beide fieberhaft
eine kluge Taktik zu überlegen versuchten, mit der sie in das Haus
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eindringen konnten, ohne von diesem oder anderen elektronischen
Überwachungsgeräten erfasst zu werden. Und Mara ging davon
aus, dass dies nicht der einzige Sensor war, den die Piraten am
Gebäude angebracht hatten. Vermutlich war jedes einzelne der
zerborstenen Fenster mit einem solchen Detektor versehen.
Doch während sie noch überlegte, wie sie am geschicktesten an
diese Sache heran gingen – sie überlegte sogar, ob Skywalker sie
nicht beide auf das Dach levitieren konnte, damit sie sich ihren Weg
ins Innere mit ihren Lichtschwertern frei schnitten – kamen ihr von
Zweifel erfüllte Gedanken. May wusste, wozu Mara fähig war,
wusste, welche Fähigkeiten sie während ihres Trainings unter
Palpatine erworben hatte. Sie kannte das Schema, nach dem Mara all
ihre Mission erfüllte, egal, ob als Hand des Imperators oder Karrdes
erster Offizier. Es war wie eine Doktrin, die man ihr seit dem Tage
ihrer Geburt anerzogen hatte. Und eben jenes Wissen würde sie
sicherlich zu ihrem Vorteil nutzen. Es war mehr als wahrscheinlich,
dass sie Mara dazu zwingen wollte, nach diesem alt bekannten
Muster zu agieren, um sie wohl möglich in eine sehr tödliche Falle
zu locken.
Rasch wandte sie den Kopf und musterte Skywalkers Gesicht für
einen Moment. Er selbst war so tief in Gedanken versunken, dass
ihm die Konzentration in jeden Gesichtszug geschrieben stand und
einen flüchtigen Moment lang fragte sie sich, was wohl in seinem
Kopf vorgehen mochte. Doch sie hatte sich bereits eine Lösung für
ihr Problem überlegt.
Um dieser Falle zu entgehen, musste sie einfach nur aus ihrem
Muster ausbrechen.
Sie inhalierte die süßliche Luft Dantooines mit einem scharfen
Atemzug und spürte, wie sich die Muskeln in ihrem Körper
anspannten.
Dann trat sie hinter dem Blumenbeet hervor, hinaus auf den
gepflasterten Bereich vor dem Eingangstor.
Wenige Sekunden später hörte sie, wie der Sensor surrend zum
Leben erwachte und die Wärme ihres Körpers und den Schall, den
ihre Schritte erzeugten, berechnete. Nur einen Herzschlag später
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vernahm sie ein rasches, hoch taktiertes Piepen und eine kleine rote
Diode flammte am oberen Teil des Sensors auf.
Gut, Mays Handlager waren nun gewarnt. Doch dann mischte
sich ein neues Geräusch unter die anderen. Ein tiefes, fast
brummendes Rauschen, wie sie es früher schon oft gehört hatte.
„Mara!“ rief Skywalker, der nun völlig vergaß seine Stimme zu
senken. „Kommen Sie da weg!“
Abrupt hielt sie inne und ließ ihren Fokus von der Diode am
Sensor zu den Rändern des Eingangsschotts wandern. Die Stelle, an
der die Tür in den Rahmen überging, mit ihm verschmolz, schien
mit einem Mal weiß-glühend aufzuleuchten.
Sie hatte weder die Zeit, sich wieder in den Schutz des
Blumenbeetes zu begeben, noch sah sie eine näher liegende
Möglichkeit, um in Deckung zu gehen. Also drehte sie sich hastig
herum, sprang und ließ sich dann flach und mit dem Bauch gen
Erde fallen.
Gerade rechtzeitig, als die Tür in tausend Teile zerbarst.
Schrapnell polterte mit einem Mal über den Vorplatz und der
beißende Geruch von Rauch stieg ihr in die Nase. Das melodische
Surren von Skywalkers Lichtschwert verriet ihr, dass er sein bestes
Tat, die umher segelnden Splitter abzuwehren, während Mara sich
mit verkrampften Muskeln fester gegen den Pflasterstein drückte
und hoffte, von herumfliegenden, scharfkantigen Durastahlstücken
verschont zu werden.
Dann, so plötzlich wie die Explosion gekommen war,
verstummte sie und hinterließ nichts weiter als Stille. Kein
Blasterfeuer, kein aufgeregtes Rufen, kein Drohen. Alles was sie
hörte waren Skywalker ungewöhnlich dumpfe Schritte, als er zu ihr
hinüber eilte.
„Ist alles okay?“ fragte er ernst. „Sie sind Sie unverletzt?“
„Ja“, bestätigte Mara, die nun vor dem Hindernis stand, dass ihre
verkrampften Muskeln ihr nur widerwillig gehorchen wollten, als
sie sich aufsetzte. „Ja, ich bin in Ordnung.“
„Was, bei allen Sternen, haben Sie sich bloß bei dieser Aktion
gedacht?“ fragte Luke und beäugte sie voller Verwirrung, sein
Lichtschwert immer noch einsatzbereit in einer Hand.
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Doch Mara kam nicht dazu, ihm zu antworten.
Während sie sich in eine sitzende Position kämpfte und sich den
Staub der Detonation von ihrem Bodysuit klopfte, bemerkte sie
unwillkürlich einen schwarzen Schemen, der sich von der maroden
Finsternis im Inneren des Hauses abhob. Erst glaubte Mara, dass die
dunkle Silhouette nichts weiter war als ein Streich, den ihre Sehkraft
ihr spielte, doch dann sah und spürte sie die raschen Bewegungen
des Schattens gleichermaßen.
„Skywalker!“ rief sie und reckte das Kinn in Richtung Tor, als der
Schatten in die Hocke ging und rasch eine Hand ausstreckte. Luke
wirbelte herum, das Lichtschwert in Defensivhaltung erhoben.
Doch wieder erklang kein Blasterfeuer und keine roten
Energiestrahlen ionisierten die Luft um sie herum. Alles, was sie
hörte war das sanfte metallene Klingen als hätte jemand eine
einzelne Creditmünze zu Boden geworfen. Rasch versuchte Mara
die Macht zu sich zu rufen und richtete die mystische Energie auf
den Schemen im Schatten. Doch sie spürte keine Gefahr, erhielt nicht
einmal einen Hinweis auf die Absichten ihres schattenhaften
Gegenübers. Alles was ihr zuteil wurde, war ein kurzes Aufflackern
von Zufriedenheit.
Skywalker, der wohl genau wie sie eine Granate oder ähnliches
erwartete hatte, versteifte sich kurzzeitig, ehe er lossprintete und
wenige Meter vor dem Tor wieder zum Stehen kam. Er streckte eine
Hand aus und rief mit Hilfe der Macht ein glänzendes flaches Objekt
in seine Hand, das für Mara im ersten Augenblick tatsächlich wie
eine Creditmünze aussah.
„Sithspucke“, fluchte sie und stemmte sich wieder auf ihre Füße,
bereit, dem dunklen Schatten im Inneren des Hauses hinterher zu
spurten.
Doch als sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Dunkelheit
jenseits des Eingangstors richtete, war er erneut verschwunden.
„WÄREN SIE NUN GEWILLT, MIR ZU ERLÄUTERN, WER MAY IST?“ FRAGTE
Skywalker und bedachte Mara mit einem durchdringenden Blick.
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„Wenn Sie mir das Amulett geben, verrate ich es Ihnen
vielleicht“, erwiderte Mara leicht gereizt.
„Sie bekommen es, wenn Sie mir gesagt haben was Sie wissen,
Mara.“
Die Nacht war mit einer beinahe abrupten Endgültigkeit über
Khoonda City gefallen und das Licht von drei Monden tauchte nun
die malerische Landschaft in einen silbrigweißen Schein, der die
Idylle Dantooines noch unwirklicher erscheinen ließ. Und das
flache, runde, münzenartige Amulett in Skywalkers Hand schien
das Licht aufzusaugen und wie eine Aureole zurück zu werfen.
Sie saßen auf einer kleinen Veranda hinter Sarzamin Saias Haus,
welche dem Balkon des Restaurants, in dem sie am Mittag gespeist
hatten, sehr ähnlich war. Der kühle Wind, der nun durch die Straßen
und über die Steppe wehte, ließ die Fackeln flackern, die ihre
Gastgeberin im Garten entflammt hatte. Hin und wieder drang das
knisternde Rauschen der Flammen an Maras Ohr und verschaffte
dem Moment eine seltsame deplatzierte Lagerfeueratmosphäre.
Nachdem sie zu ihrem Speeder zurückkehrt waren, hatte die
Blumenhändlerin darauf bestanden, ihnen zumindest für diese
Nacht ein ruhiges Quartier anzubieten. „Kommen Sie. Ich habe so
selten Gäste in meinem Haus. Für mich allein ist es ohnehin zu groß,
daher freue ich mich, wenn es mit ein wenig Leben gefüllt wird“,
hatte Saia gesagt und damit Skywalkers und Maras Aufmerksamkeit
von ihrem neuerlichen Streit fort gelenkt. Denn Luke hatte Mara nur
unter großer Mühe davon überzeugen können, dass es klüger war,
sich diesem neuen Puzzleteil zu widmen, dass er vor dem Tor
aufgelesen hatte, anstand das Anwesen nach den Piraten zu
durchsuchen. Mara, die nun mehr als versessen darauf war, May
Montross zur Rede zu stellen, war von dieser Idee nur wenig
begeistert.
„Womit haben wir nur solche Großzügigkeit verdient?“ hatte
Mara auf Sarzamins Einladung hin gefragt, doch die Worte hatten
bitterer und schärfer geklungen, als sie es beabsichtigt hatte. Doch
Sarzamin Saia hatte Maras Sarkasmus einfach übergangen und so
getan, als hätte sie ihn nicht bemerkt. Stattdessen hatte sie nur ein
kühles, beinahe herablassendes Lächeln aufgesetzt.
90
„Sie wollen genauso sehr wie ich, dass dieses Gesindel bekommt,
was ihm zusteht.“
Daraufhin war Maras Ärger ein wenig verpufft und sie und
Skywalker hatten einstimmig Sarzamins Einladung angenommen.
Zumindest in diesem Punkt waren sie sich einig gewesen.
Dennoch ließ die friedliche Nacht sie ihren Eifer, endlich hinter
des Rätsels Lösung zu kommen, nicht vergessen. So saßen sie nun
und versuchten einander in diplomatischem Ton die Gedanken des
anderen abzuringen. Doch obschon Skywalkers Gestalt größtenteils
mit dem nächtlichen Schatten um sie herum verschmolz, glitzerten
seine Augen wachsam.
„Nun gut“, seufzte Mara und fügte sich in das Ferienausflugsambiente um sie herum. Er wollte eine Lagerfeuergeschichte hören,
er würde sie bekommen. „May, beziehungsweise May Lynn
Montross ist… nennen wir es eine alte Bekannte, wobei wir uns nie
besonders nahe standen. Eigentlich weiß ich nicht sehr viel über sie,
nur das, was in ihrer Akte stand. Und selbst die kam mir nur unter
die Augen, weil es in ihrer Abteilung Probleme gegeben hat.“
„In ihrer Abteilung?“, fragte Skywalker und seine Stimme klang
nun wieder weich und weniger fordernd als zuvor. Voll aufrichtigem Interesse beugte er sich vor und stützte sich mit einem Arm
auf die Tischplatte ohne dabei das Amulett aus der Hand zu legen.
„Sie war eine Spionin beim Geheimdienst, dem Imperial
Intelligence. Allerdings war sie dort nie ein so großes Licht wie Isard
oder Daala.“
Skywalker gestattete sich ein freudloses Lächeln. „Und da soll
noch einmal jemand sagen, dass Imperium hätte nichts für Frauen
im Militärdienst übrig gehabt.“
„Ganz so einfach war ihr Fall leider nicht. Erinnern Sie sich, wie
Sarzamin erwähnte, sie konnte nicht sagen, ob die Person, die in
ihrem Laden war, männlich oder weiblich war, dass sie irgendwie
androgyn wirkte? In der Tat ist es so, dass May Montross die
Akademie nur bestand, weil man sie damals für einen Mann hielt.
Und nicht nur auf der Akademie, auch eine ganze Weile danach hat
sie es geschafft, ihre Vorgesetzten davon zu überzeugen, dass sie ein
Mann wäre. Allerdings brachte es sie in entsprechend große
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Probleme, als man ihr Täuschungsmanöver durchschaute. Captain
Djae von der Kommission für Interne Personalprüfung und
Qualitätssicherung hat den Vorfall gemeldet, worauf sie wegen
arglistiger Täuschung vor Gericht gestellt wurde.“
„Was geschah dann?“
„Ich weiß nur noch, dass sie unehrenhaft aus dem Dienst
entlassen wurde, was eine ungewöhnliche milde Strafe ist, wenn
man bedenkt, wie schnell manche Herzblut-Imperiale mit einem
Todesurteil bei der Hand waren. Außerdem war Imperial Intel
schon immer für seinen Blutdurst bekannt. In dieser Beziehung
standen sie dem ISB in nichts nach.“
„Klingt ganz so, als hätte jemand einen schützende Hand über sie
gehalten“, kommentierte Skywalker.
„Ja, das glaube ich auch. Nun, ich für meinen Teil bin ihr nur
einmal begegnet. Ich gehörte zu der kleinen Einheit, die sie in ihrer
Wohnung auf Coruscant festnehmen sollte, was wir auch getan
haben. Von der Gerichtsverhandlung habe ich keine wirkliche
Erinnerung und danach hat man auch nichts mehr von ihr gehört.
Zumindest bis jetzt. Es war mir jedenfalls eine zu belanglose
Angelegenheit, als das ich dieser Sache große Beachtung geschenkt
hätte“, schloss Mara.
Wieder lächelte Skywalker knapp: „Dann ist es ein Wunder, dass
Sie sich nach all diesen Jahren noch an ihren Namen erinnern.“
„Ich vergesse niemals ein Gesicht.“
Halb sah sie, halb spürte sie, wie seine Augenbraue für einen
kurzen Augenblick lang nach oben zuckten. Sicherlich erinnerte er
sich daran, wie versessen Mara darauf gewesen war, ihn zu töten.
Sein Gesicht würde sie wohl ihren Lebtag lang nicht mehr
vergessen.
„Zufrieden?“ fragte sie nach einer Weile und lehnte sich auf dem
spartanischen Holzstuhl zurück, die Arme gebieterisch auf die
Lehnen geschmiegt.
„Absolut“, erwiderte Skywalker, legte die flache Münze auf den
Tisch und schnippte sie quer über die Platte in Maras Richtung. Sie
schlitterte die Zentimeter mühelos zu ihr hinüber, blieb dann jedoch
neben ihrer Tasse Kräutertee liegen.
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„Entschuldigen Sie mich bitte einen Moment“, erklärte
Skywalker dann und erhob sich von seinem eigenen Stuhl. „Ich
werde sehen, dass ich R2 auf der Jade’s Fire erreiche. Vielleicht kann
er uns ein paar Informationen darüber beschaffen, was May Lynn
Montross nach ihrer Suspendierung noch so getrieben hat – und
warum sie so versessen darauf ist, mit Ihnen Katz und Maus zu
spielen.“
Ohne ihre Antwort abzuwarten, wandte er sich ab und trat durch
die transparente Tür in das bescheiden eingerichtete Wohnzimmer
von Sarzamin Saias Haus.
„Ja, das wüsste ich auch gern“, murmelte Mara in die Stille,
während ihre Blicke für einige Sekunden an ihm hängen blieben.
Doch der Schein, der auf der Münze lag wie ein milchiger
Nimbus, forderte gleich seinen Tribut und zwang sie dazu, das
Amulett mit fragenden Blicken zu bedenken. Welchen Sinn nur sah
May darin, ihr diesen Nippes zukommen zu lassen?
Sie streckte die Hand nach dem Anhänger aus, konnte das
eingefangene Mondlicht unter ihren Finger spüren, als wäre es ein
lebendes Ding…
… und wurde sogleich von einer Welle der Benommenheit
überrollt, als ihre Haut das Metall berührte. Einen Moment lang
glaube sie sich erbrechen zu müssen, während ihre Sicht immer
weiter davon schwamm und sich farbige Linien in die Dunkelheit
der Nacht mischten. Angestrengt zwang sie ihren Körper dazu, Luft
in ihre Lungen zu pumpen, obgleich ihre Brust wie zugeschnürt
schien. Wenn es sich so anfühlte, wenn Skywalker eine seiner JediAhnungen hatte, wollte sie nicht mit ihm tauschen.
Beinahe zwanghaft klammerten sich ihre Finger um das Amulett,
das plötzlich eine ungewöhnliche Hitze auszustrahlen schien. Doch
selbst die Befürchtung, sich an dem Metall zu verbrennen, konnte sie
nicht dazu bringen, die Münze loszulassen.
Bei allen Sternen…, stöhnte sie stumm und schloss ihre Augen so
fest sie konnte, um wieder Herr ihrer Sinne zu werden. Doch die
Farben tanzten immer noch vor ihr, bildeten zunächst abstrakte
Muster, verwoben sich dann miteinander und begannen ein Bild vor
ihr zu malen, wie ein altes alderaanisches Moos-Gemälde. Und ohne
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zu ahnen, was sie erwartete, ließ sie los, ließ die Macht walten und
gab sie sich der Vision, die ihren Weg aus der Vergessenheit suchte,
voll und ganz hin:
ES WAR KURZ VOR SONNENAUFGANG UND DER ROT STRAHLENDE, MIT
Purpur befleckte Himmel über der weiten Steppe, erweckte den Planeten
zum Leben. Die Luft war erfüllt vom fernen Geheul der Kath-Hunde, als
ein aufgeschrecktes Iriaz sich majestätisch und auf mächtigen Schwingen in
den Himmel erhob. Die Wärme der ersten Sonnenstrahlen streichelte
zärtlich ihr Gesicht, wie aus weiter Ferne. Sie setzte sich langsam auf,
blinzelte gegen das helle Licht an. Dann ließ sie die abdunkelnde Tönung
der Fensterscheiben mit einem Knopfdruck erlöschen, strich sich eine
lockige Strähne aus dem Gesicht und trat ans Fenster, um den neuen Tag
zu begrüßen.
Sie lächelte.
Doch es war ganz so, als wäre sie nicht sie selbst. Maras Seele war nun
gefangen im Inneren eines Gefäßes - eines Körpers - der nicht ihr gehörte.
Jeder Atemzug kam ihr vor, als tät ihn jemand anderes und nicht sie.
„Orianna!”
Die Stimme einer Frau drang an ihr Ohr, gefolgt vom Donnern eiliger
Schritte auf den Treppenstufen.
„Orianna!”
Es war ihre drei Jahre ältere Schwester Casseia, aufgeregt und
stürmisch wie immer. Schwester? dachte Mara, Welche Schwester?
Die Schritte näherten sich, bis die magnetische Versiegelung ihrer
Zimmers klickte und die Tür mit beharrlichen Zischen aufglitt. Casseias
tiefbraunes Haar fiel ihr in voluminösen, fülligen Wellen über die
Schultern und rahmten ihr rundliches Gesicht mit den großen Augen und
den vollen Lippen ein, wie ein antikes Gemälde.
Offenbar war Casseia auch noch nicht lange wach, denn sie trug noch
ihr cremefarbenes Nachtgewand, das im Licht der aufgehenden Sonne
glänzte. Orianna drehte sich zu ihr um, das Lächeln auf ihrem Gesicht
schmolz dahin und erstarb als eine freundliche Maske.
„Orianna!“ keuchte Casseia atemlos, „Oh, wie schön, ich habe dich
nicht geweckt! Ich sage dir, ich konnte kaum schlafen! Ich bin ja so
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aufgeregt!“ Nach Atem ringend sank sie auf Oriannas Bett, den Blick auf
ein altes Hologramm der beiden Schwestern an der Wand gerichtet.
Casseia hatte erst vor kurzem die Volljährigkeit erlangt, um die
Orianna sie täglich beneidete.
„Bithras ist noch gestern Abend mit Vater auf die Jagd gegangen!“
informierte Casseia ihre kleine Schwester, die nach einem Streit mit ihren
Eltern direkt nach dem Abendessen auf ihr Zimmer geschickt worden war.
„Hoffentlich stimmt Vater der Verlobung zu!“
Orianna konnte sich allzu gut vorstellen, wie ihr Vater den jungen
Bithras mit abschätzigen Blicken bedachte und überlegte, welche Mitgift er
ihm zusammen mit seiner Tochter vermachen sollte – und ob sich das
Geschäft lohnen würde.
Bithras Marjumdar, Casseias potentieller Verlobter, war ein Abkömmling der alten Sandral-Familie. Als Orianna und Casseia noch sehr kleine
Mädchen gewesen waren, hatte ihre Mutter ihnen jede Nacht die alte
Geschichte von der viertausend Jahre alten Blutfehde der Sandrals mit dem
ebenso vermögenden Clan der Matales erzählen müssen, die durch eine
geheime Romanze ebenso angefacht, aber schließlich beendet wurde.
Aber Orianna wusste, dass die Zeiten mittlerweile sehr geändert hatten.
Heute fürchtete sich der alte Cailetet Matale kaum davor, Casseia in die
Hände eines Sandrals zu geben.
Mara – oder war es Orianna? – betrachtete ihre Schwester, deren
Wangen sich von Aufregung und Anstrengung rosig färbten. Ihre
Mundwinkel zogen sich freudlos noch oben. Wieso konnte sie sich nicht
einfach auf die beinahe sichere Hochzeit ihrer Schwester freuen?
Da musste noch mehr sein! dachte sie und Mara wusste nicht, ob der
Gedanke ihr selbst entsprang oder der jugendlichen Orianna.
„Sieh nur!“ rief Casseia aus, als sie an Orianna vorbei aus dem Fenster
sag. „Die Sonne steht schon so hoch am Himmel! Lass uns hinunter gehen
und die Droiden das Frühstück zubereiten lassen! Vater und Bithras
werden sich sicher freuen, wenn sie wieder nach Hause kommen!“
Orianna nickte und schloss die Augen für einen Moment.
Plötzlich wurde alles stumm und Mara erfuhr nicht, wie der Tag für
das junge Mädchen weiter ging. Erst als sie wieder die Augen auftat
drangen neue Sinneseindrücke auf sie ein. Leichtes Kopfweh plagte sie und
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wollte einfach nicht weg gehen. Orianna hatte nie viel von Medikamenten
gehalten und würde die Schmerzen tapfer ertragen.
Dumpfes Gemurmel rauschte durch die Korridore, vermischt mit dem
Klang alter Musik. Es klang fast so wie Jizz, aber nicht ganz genau so.
Orianna saß ruhig vor ihrem rahmenlosen Spiegel, das rotblonde
Lockenhaar zu einer komplizierten Frisur aufgesteckt und geschmückt mit
kristallenen Haarnadeln und Perlenketten. Sie war dezent geschminkt, so
zart, dass man es nur erahnen konnte. Viel mehr als das hätten ihre Eltern
ohnehin nicht gestattet.
Prüfend strich sie sich über die Lippen, ihre Finger glitten an ihrem
langen Schwanenhals hinab und berührten das flache Medallion, während
sie ihre kindliche Erscheinung in der spiegelnden Fläche über dem
Schminktisch ihrer Mutter betrachtete.
Sie war schlanker als Casseia und ihr fehlten die rundlichen Züge, die
ihrer Schwester eigen waren. Die weiblichen Rundungen ihrer Taille und
Hüfte ließen sich bisher nur erahnen und ihr Busen würde, wie Orianna
hoffte, in den kommenden Monaten noch ein wenig wachsen. Nur der Ausdruck in ihren dunklen Augen ließ sie älter wirken, als sie war.
Dennoch, trotz all dieser Dinge, fand sich Orianna in ihrem kobaltblauen Gewand an jenem Abend vor langer Zeit wirklich schön und
erwachsen. Möglicherweise schöner als ihre frauliche Schwester. Manche
der Gäste mochten sie vielleicht noch immer für ein kleines Kind halten,
doch sie wollte sich nur an die halten, die sie ihrem Alter gebührend
behandelten. Wie töricht, dachte Mara beinahe belustigt, doch Orianna
nahm keine Notiz davon. Die naiven Träume einer Fünfzehnjährigen.
Die schrille Stimme ihrer Mutter rief sie, sie solle endlich heraus
kommen und sich unter die Gesellschaft mischen. Orianna erhob sich,
öffnete die Tür und trat hinaus auf den Flur zu ihrer Mutter.
„Liebes! Geht es dir etwas besser? Los, komm, deine Tante würde dich
gern sehen!“
Mit wachsendem Desinteresse schüttelte sie alternden Freunden ihrer
Eltern und entfernten Verwandten die Hände. Niemand schien ihr große
Aufmerksamkeit zu schenken. Aber was hatte sie auch anderes erwarten
sollen? Alle waren schließlich wegen der lang ersehnten Verlobung von
Casseia Matale mit Bithras Marjumdar aus dem Haus der Sandrals
gekommen.
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Ihre Schwester strahlte glücklich und ihre pausbackigen Wangen waren
erneut von sanftem Rosa überschattet, während sie ihrem zukünftigen
Gemahl hungrige Blicke zuwarf, die er glühend erwiderte. Doch beide
wahrten höflichen Abstand zu einander und niemand schien die
offensichtliche Liebe zwischen ihnen zu bemerken – außer Orianna.
In ihrem Herzen spürte sie wieder ein diffuses Schmerzen nach dem
Armen eines starken Mannes, der sie beschützte und liebte.
Orianna ahnte nicht, dass eben dieser Mann sie bereits aus den
Augenwinkeln beobachtete. Verzückt von Oriannas lieblicher und
zerbrechlicher Erscheinung wandte er erst den Blick von ihr, als Bithras
ihn mit lautem Gebaren begrüßte.
„Casseia, schau!“ tönte er und führte den Mann hinüber zu seiner
Verlobten, „Das hier ist mein alter Freund Ilya. Wir kennen uns von der
Universität auf Corellia.“
„Ja, und Dantooine ist wahrlich so schön, wie er es mir immer erzählt
hat!“ sagte Ilya mit tiefer, sanfter Stimme, die wie Balsam in Oriannas
Ohren widerklang.
Überrascht sah sie von ihrem Glas Wasser auf, das sie sich gerade an die
Lippen führen wollte, als habe sie der Schlag getroffen.
Sie sah sich um und hörte ihn lachen, als Bithras einen bizarren Scherz
machte und Orianna entdeckte ihn in der Menge,
Er war groß und schlank. Sie reichte ihm vielleicht bis zu Schulter und
sein langes, braunes Haar war schlicht zurück gebunden. Nur eine einzige
Strähne fiel ihm ins Gesicht, im starken Kontrast mit seinen blassgrünen
Augen.
Offenbar bemerkte er Oriannas fasziniertes Starren, denn nun spürte
sie das ganze Gewicht und die Intensität seines Blicks auf sich. Scheu
wandte sich Orianna ab und nippte am Wasserglas. Sie schloss die Augen
so fest sie konnte, ihre Finger spielten wieder mit dem Anhänger um ihren
Hals.
Wenn sich der Augenblick doch nur für immer in ihr Gedächtnis
brennen würde, so dass sie ihn niemals vergessen konnte. Sie wünschte es
sich so sehr, dass es wehtat...
„Mara!“ hörte sie Skywalker überrascht rufen und spürte seine
Hand auf ihrem Oberarm. Er musste zurückgekommen sein, währ97
end sie den machtvollen Bildern erlegen war, die das Medallion
eingegeben hatte. „Mara! Was ist los?!“
Sie riss abrupt die Augen auf und mit einem dumpfen Poltern
fiel der Anhänger aus ihrer Hand rollte klirrend über den Tisch und
fiel schließlich mit einem melodischen Klingen zu Boden. Weder sie,
noch Luke, sahen ihm nach.
„Was ist passiert?“ fragte Luke noch einmal mit milder und
sorgenerfüllter Stimme.
„Ihre Erinnerungen waren so mächtig, dass sie dem Medallion
immer noch anhaften“, sagte Mara ohnmächtig und wunderte sich,
wie schwach ihre eigene Stimme klang. Obwohl sie Oriannas
Gefühle und Erinnerungen wie durch Watte empfunden hatte, war
sie noch immer von den Eindrücken überwältigt.
Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie die Benommenheit
verscheuchen, und sah Luke offen an. Noch immer voller Sorge,
blickte Luke sie mit seinen treuen, blauen Augen an und ihr war
bewusst, dass ihre kurze Antwort ihn nicht zufrieden stellte. Doch
Mara wusste, dass er sie nicht dazu zwingen würde, ihm mehr zu
berichten. Zumindest jetzt nicht.
„Schon gut, Skywalker!“
Ihre Beine zitterten wie bei einem Anfall plötzlicher Schwäche,
als sie sich von ihrem Stuhl erhob und sich dabei Halt suchend auf
den Tisch stützte. Für einen kurzen Moment verschwamm alles in
ihrem Blickfeld und färbte sich an den Rändern schwarz. Die Welt
um sie herum schien sich wie auf einem Karussell zu drehen und sie
fühlte sich wie jemand, der zu schnell zu viel Gizerbier getrunken
hatte.
„Ich… bin müde“, sagte sie schlicht und übte sich darin,
Skywalkers fragenden Gesichtsausdruck zu ignorieren, während sie
sich zur Tür hinüber schleppte. Ihr war immer noch ein wenig übel
und sie wurde von plötzlicher Müdigkeit übermannt, als hätten die
Erinnerung der jungen Orianna ihr alle Kraft entzogen.
Was war der Sinn? Sie verstand es nicht. In der Tat wurde das
Rätsel, das May ihr aufgab, immer komplexer, immer
undurchschaubarer. Vielleicht hatte May sie deshalb für diese
Banthajagd ausgesucht, vielleicht hatte sie gewusst, dass dies
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geschehen würde. Sie musste gewusst haben, dass das Amulett eine
Geschichte in sich trug, eine Geschichte, die sich nur Mara
offenbaren konnte. Doch warum? Zu welchem Zweck?
Und während sie sich auf dem Bett ausstreckte, in dem Zimmer,
dass Sarzamin ihr zur Verfügung gestellt hatte, fühlte sie plötzlich
eine klaffende Leere in ihrem Innern. Eine Leere, die nur darauf
wartete gefüllt zu werden.
Was geschah nur mit ihr?
99
5: DEARLY BELOVED
AM NÄCHSTEN MORGEN FÜHLTE MARA SICH IMMER NOCH EIN WENIG
krank, schwach und von der Vision und der Anstrengung der
Hetzjagd ausgelaugt. Eine Weile blinzelte sie angestrengt gegen das
Sonnenlicht an, das durch die nicht abgetönten Fensterscheiben in
das Gästezimmer flutete. Ihr Kopf fühlte sich seltsam taub an und
die Welt um sie herum schien sich erneut im Kreis zu drehen, als sie
sich mühselig in eine sitzende Position hinauf stemmte. Ruhe, dachte
sie und versuchte ihre Gedanken auf die Macht zu richten, so wie
Skywalker es sie in seinem Praxeum immer wieder gelehrt hatte. Sie
rief die zeitlosen Lebensenergien zu sich und ließ sich von ihnen
durchströmen und reinigen, bis der stumpfsinnige Nebel, der ihre
Wahrnehmung trübte, durch kühle und gläserne Klarheit ersetzt
wurde.
Mit einem langen kontrollierten Atemzug löste sie ihren
mentalen Griff und gestattete es der Macht wieder nach ihrem
eigenen Willen zu fließen, ehe sie an sich hinunter sah und sich
fragte, wann sie in der Nacht ihre Stiefel ausgezogen hatte. Und
während sie so darüber nachdachte, bemerkte sie, dass die
Augenblicke nach ihrer Vision hinter einem dunstigen Schleier
verschwunden waren, der ihr nur wenige, farblose Eindrücke davon
gab, was sie getan hatte.
Zumindest vergewisserten ihr diese kurzen Momentaufnahmen,
dass sie keine allzu großen Dummheiten gemacht hatte.
100
Mit seinem Seufzen schwang Mara ihre Beine über die Bettkante
und spürte den ausgekühlten Keramikboden unter ihren bloßen
Füßen. Vorsichtig betastete sie ihre Schenkel. Die Beinmuskeln
fühlten sich schwer und müde an.
Auf einem Hocker neben dem Nachtisch entdeckte sie ihren
Reisekoffer, von dem sie sich sicher war, ihn an Bord der Jade's Fire
zurück gelassen zu haben, ehe sie am vorherigen Tag zu dieser
neuerlichen Eskapade in der Steppe aufgebrochen waren. Ein
unwillkürliches Lächeln der Dankbarkeit stahl sich auf ihr Gesicht.
Skywalker musste zum Raumhafen zurück gefahren sein, um neue
Kleidung für sie zu holen.
Sie nahm ihren Gürtel samt ihren daran befinden Habseligkeiten
ab und begann sich langsam aus ihrem Bodysuit heraus zu schälen.
Was sie jetzt am dringendsten brauchte, waren Wasser und Seife.
In einen grob gewebten Bademantel gekleidet, den Sarzamin ihr
am Vorabend gegeben hatte, trat Mara aus dem Gästezimmer und
wurde auf dem Flur von dem Geruch gebratener Eier begrüßt, der
sich von der Küche aus im ganzen Haus zu verteilen begann. Sie
hielt inne, lauschte dem leisen Prasseln von Bratfett und schlich
dann beinahe lautlos den Gang hinunter zu einer kleinen
Erfrischungszelle.
Als sie eine Dreiviertelstunde später mit feuchten Haaren zurück
zu ihrem Quartier ging, stieg ihr der rauchig-würzige Duft von
Speck in die Nase und das leise Säuseln eine Entsafters erklang wie
aus weiter Ferne. Interessiert schnupperte sie, sog den appetitlichen
Geruch tief ein und versuchte sich den Geschmack auf ihrer Zunge
vorzustellen. Von ihrem Hunger angetrieben, schlüpfte sie in frische
Unterwäsche, eine dunkelgrüne Hose und streifte anschließend eine
einfache weiße Bluse über.
Dem immer intensiver werden Geruch des Essens folgend,
verließ sie das Gästezimmer, bog am Ende des Ganges nach rechts
ab und durchmaß mit wenigen Schritten die sich dort befindende
Wohneinheit. Als sie schließlich zur Kücheneinheit kam, die
geschickt hinter einen kleinen Durchreiche verborgen lag, entdeckte
sie Sarzamin, die geschäftig in einer Pfanne rührte. Mara musste
101
nicht einmal die Macht einsetzten, um zu spüren, wie sehr sich die
Blumenhändlerin über ihren Besuch freute.
„Guten Morgen“, sagte Mara und schritt zu einer freistehenden
Küchentheke hinüber, vor der zwei Hocker standen. Überrascht
wandte sich Sarzamin nach ihr um, die Stirn vor Verwunderung
gerunzelt.
„Oh, guten Morgen, Miss Jade“, gab sie zurück, „wobei Morgen
in diesem Fall eine gelinde Übertreibung ist.“
Sie deutete mit dem Kinn auf einen digitalen Chronometer, der in
die Wand über der Kocheinheit eingelassen war. Es überraschte
Mara nicht, dass es fast Mittag war.
„Ich hoffe dennoch, dass Sie gut geschlafen haben?“ fuhr
Sarzamin fort und beäugte Mara dabei skeptisch, „Meister Skywalker meinte, Sie hätten sich gestern Abend auf einmal nicht mehr
besonders wohl gefühlt.“
„Gestern war ein langer Tag“, erwiderte Mara schlicht. Sie sah
keinen Grund, die genaue Ursache für ihre vorübergehende
Erkrankung mit der älteren Frau zu diskutieren.
„Dann können Sie eine Stärkung sicherlich gebrauchen, nicht
wahr?“ meinte Sarzamin und schaufelte aus der Pfanne eine große
Portion Rührei auf einen Teller, welchen sie Mara hinschob. Diese
setzte sich auf einen der beiden Hocker und ließ sich von ihrer
Gastgeberin Messer und Gabel reichen.
„Wo ist Skywalker eigentlich? Haben Sie ihn heute Morgen schon
gesehen?“ fragte Mara zwischen zwei hastigen Bissen. Nun, da sie
vor einem gefüllten Teller saß, spürte sie ihren Hunger immer
deutlicher.
„Er war bereits wach als ich heute bei Morgengrauen
aufgestanden bin“, gab Sarzamin zu „Ich bin mir nicht einmal
sicher, ob er überhaupt geschlafen hat. Jedenfalls sagte er nur, dass
er zum Hafen zurückfährt und noch einmal nach Ihrem Schiff,
seinem X-Wing und seinem Astromech-Droiden sieht. Wollen Sie
ein Glas frischen Barabelfruchtsaft?“
„Ja, sehr gern.“
Sarzamin beeilte sich, ein längliches Glas aus einem der Schränke
zu fischen, ehe sie zum Entsafter eilte und eine tief violette, leicht
102
trübe Flüssigkeit in das Glas laufen ließ. Sobald sie das Getränk vor
Mara abgestellt hatte, sah diese ihrer Gastgeberin direkt in die
Augen und fragte: „Müssen Sie heute nicht in Ihren Laden zurück?“
„Dyue und La'mhak kommen auch einen Tag ohne mich
zurecht.“ Sarzamin schaltete die Kocheinheit manuell ab, zog dann
den zweiten Hocker neben der Theke zu sich heran und setzte sich.
Ihre Blicken schweiften eine Weile im Raum umher, sahen alles an,
nur nicht Mara, als wäre es der älteren Frau unangenehm sie
anzusehen.
„Wissen Sie“, begann sie langsam, „Sie erinnern mich an
jemanden. Jemand, den ich sehr gut kannte und der vor sehr langer
Zeit gestorben ist. Eigentlich haben Sie nicht besonders viel
Ähnlichkeit mit ihr, weder vom Aussehen, noch vom Auftreten, und
doch... Es kommt mir vor als wäre eine Ewigkeit vergangen, seit sie
von uns ging. Die Republik ist gestürzt, ebenso das Imperium. Nun
versucht sich die Neue Republik in die Geschichte einzuschreiben.“
Sarzamin seufzte.
Maras Augenbrauche zogen sich verwundert nach oben. „Darf
ich so kühn sein und fragen, an wen ich Sie erinnere?“
Sarzamin lächelte sie für einen Moment voller Traurigkeit an,
dann sagte sie: „Ich habe sie Ihnen gegenüber bereits erwähnt. Ihr
Name war Orianna Matale.“
In Maras Innerem bereitete sich ein Gefühl aus, als hätte sie sich
soeben einen Eimer voll Eiswasser in den Magen geschüttet.
Orianna-Blüten. Orianna Matale. Das alte Anwesen der Matales,
dass Sarzamin von Orianna geerbt hatte. Konnte es sein, dass
Sarzamin ihre alte Freundin in ihr erkannte, weil sie jene Vision
gesehen hatte? War vielleicht ein Teil von Orianna auf Mara
übertragen worden? Eine Art Abglanz oder Aura? Sie machte sich
im Geiste die Notiz Skywalker danach zu fragen, wenn er wieder
auftauchte.
„Sagen Sie“, fragte da Sarzamin und raubte ihr damit die
Möglichkeit zum Nachdenken, "sind Sie auf Dantooine geboren
worden? Oder vielleicht eines ihrer Elternteile?“
„Ich weiß es nicht“, antwortete Mara wahrheitsgemäß und
erstach einen Streifen Speck mit ihrer Gabel. Dies war eines der
103
Mysterien ihrer Vergangenheit, mit denen sie sich nie befasste. Was
kümmerte es sie, wer sie in die Welt gesetzt hatte? „Wie kommen Sie
darauf?“
„Nun, wie Sie schon bemerkt haben, fühlen sich alle Lebewesen
auf Dantooine sehr mit der Natur verbunden. Deshalb geben Eltern
ihren Kindern hier gerne die Namen von einheimischen Gewächsen
– wie Orianna, zum Beispiel.“
„In Ordnung, aber was hat das mit mir zu tun?“
Mara schluckte den letzten Bissen Rührei hinunter und nippte an
ihrem Glas voll violettem Fruchtsaft. Die Kälte in ihrem Inneren
schien sich nur langsam und beschwerlich zu erwärmen.
„Es gibt hier eine Pflanze, die in der restlichen Galaxis als Suyx
bekannt ist. Hier nennen wir sie Mara, was soviel wie Bitterblüte
bedeutet. Sie ist ein Ausdruck tiefer Traurigkeit und großer
Verbitterung. In vielen volkstümlichen Sagen dieses Sektors heißt es,
dass sie mit Vorliebe auf Blut getränkten Schlachtfeldern wuchs und
sich vom Tod ernährte. Man sagt, wer eine Bitterblüte am Revers
trägt, hat vor Kurzem ein geliebtes Familienmitglied in einer
Schlacht verloren.“
Mara lächelte freudlos. „Das klingt ja nicht besonders
erheiternd.“
Sarzamin machte eine wegwerfende Geste. „Oh, ich wollte Sie
nicht beleidigen. Und keine Sorge, das ist alles bloß metaphorischer
Unsinn, den die Mandalorianer über die Jahrhunderte hinweg
immer weiter aufgeblasen haben, bevor sie Dantooine verließen. Im
Bezug auf Kriegsgeschichten hatten die schon immer die blühendste
Fantasie. Trotzdem hält sich dieser Volksglaube seitdem, daher kam
mir irgendwie der Gedanke, dass Sie auch ein Sprössling Dantooines
sein könnten.“
„Mag sein“, sagte Mara bedächtig und strich sanft mit einem
Finger über den dünnen Rand ihres Glases. Sie musste zugeben,
dass ihr Name, Mara, in der Galaxis nicht besonders verbreitet war.
Andererseits war sie auch noch niemandem begegnet, der ebenfalls
Luke oder Lando hieß.
Ein sanftes, tiefes Klingen erfüllte plötzlich das Haus, nur um
dann erneut wieder abzubrechen.
104
„Wenn Sie mich entschuldigen würden“, sagte Sarzamin, „einer
muss ja die Tür öffnen.“
„Warum haben Sie eigentlich keine Droiden hier, wenn Ihr
Geschäft so gut läuft?“ fragte Mara.
„Ich kann sie nicht ausstehen“, antwortete die Blumenhändlerin,
die bereits auf dem Weg zur Tür war. „Sie erinnern mich irgendwie
an die schrecklichen Taten der Handelsförderation. Diese
verfluchten Neimoidianer!“
Mit diesen Worten überließ sie Mara sich selbst. Entfernt hörte
diese, wie Sarzamin Skywalker begrüßte und diesem seinen JediMantel abnahm. R2-D2 ließ sein beinahe vergnügtes Quietschen
vernehmen. Doch Mara blieb stumm sitzen, drehte das Glas mit dem
Barabelfruchtsaft zwischen ihren Fingern und starrte zu einem
Punkt in weiter Ferne, der jenseits der Mauer von Sarzamin Saias
Heim lag. Das Schmerzen ihrer Muskeln lag wie eine Last auf ihr,
die ihr das Atmen schwer werden ließ. Wilde Gedanken und
Erinnerungen drangen an die Oberfläche ihres Bewusstseins.
Sie wurde einfach nicht schlau aus alledem: Meelam, May,
Orianna, Dantooine. Was genau suchte sie an diesem verlassenen
Flecken Galaxis? Alles, was sie gewollt hatte, waren ein paar
Abwehranlagen für die Wild Karrde, mehr nicht! Was für ein
Schlamassel und irgendwie wurde sie das Gefühl nicht los, dass sie
selbst daran Schuld war, schließlich ließ sie sich immer wieder
ablenken. Fokus, Konzentration, Präzision, das war es, was sie
brauchte, doch je mehr sie sich bemühte ihre Gedanken zu ordnen
und ihre Emotionen in den Griff zu bekommen, um so mehr schien
sie sich selbst zu entgleiten – zum Leidwesen ihrer Umwelt. Doch es
gab kein Heilmittel für dieses Chaos, nicht einmal die Macht. Ihre
einzige Hoffnung war die Lösung, das Ende dieses Rätsels.
Schritte näherten sich und sie konnte Skywalker voll aufrichtiger
Höflichkeit lachen hören.
„Ich danke Ihnen sehr, aber ich denke nicht, dass dies nötig sein
wird“, betonte er, „wir Jedi haben unsere eigene Art derartige Dinge
zu regeln.“
Doch dann stockte er und seine Schritte erlahmten. Peinliche und
deplazierte Stille trat ein, als Mara sich auf ihrem Hocker halb
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herumdrehte und Skywalker ein ermattetes Lächeln schenkte. „Ich
habe mich schon gefragte, wo Sie wohl ab geblieben sind.“
Es dauerte eine Weile, bis er in der Lage war, die Begrüßung und
damit Maras Verfassung einzuschätzen und eine Erwiderung zu
formulieren. Sie sah es an der Art, wie er sich bemühte, nicht die
Stirn kraus zu ziehen. „Hallo“, sagte er langsam.
Sarzamin, die halb hinter Skywalker stand, drängte sich nun an
dem Jedi-Meister vorbei und begann das von Mara benutzte
Geschirr beiseite zu räumen, während sie etwas von „das Fleisch
einlegen“ murmelte.
Lukes Blick flackerte einen Moment zu der Blumenhändlerin
hinüber und Mara verstand. Offensichtlich zog er es vor, sich unter
vier Augen mit ihr zu unterhalten, ganz gleich, wie
vertrauenswürdig Sarzamin auch sein mochte.
Mara glitt lautlos von ihrem Hocker herunter, stürzte die Reste
des Fruchtsaftes hinunter und bedeutete Skywalker mit einer Geste
ihr voraus zu gehen. „Ich denke, ein Spaziergang würde mir jetzt
gut tun“, verkündete Mara laut, richtete die Äußerung jedoch nicht
an Skywalker oder Sarzamin persönlich.
Im Wohnbereich war R2 in eine Ecke neben dem CommUnit
gerollt und in einen mechanischen Schlummer gefallen, bis Mara
und Luke ihn auf ihrem Weg passierten. Nun war es Skywalker, der
seinem Astromech mit nur einer Handbewegung mitteilte, dass er
bleiben sollte, wo er war.
Mara fand ihre Stiefel sorgsam neben der Eingangstür aufgestellt
und schlüpfte hinein. Ein Teil von ihr hatte fast schon erwartet, dass
Skywalker die Schuhe auch noch geputzt hatte, doch unter der Sohle
haftete noch immer die rotbraune und fruchtbare Erde Dantooines.
Luke verzichtete darauf, seinen Mantel erneut überzuwerfen,
sondern reichte Mara nur ihre Jacke, ehe sie gemeinsam auf die
Straße vor dem Haus traten. Wobei es sich dabei weniger um eine
Straße, als viel mehr um einen verwilderten Naturpfad handelte.
Steile, fast senkrechte, von Vegetation überfüllte Erdhänge, die
beinahe doppelt so hoch waren wie Mara, begrenzten den Weg
entlang des Südpfades, der zurück in die Stadt führte.
106
Mit großzügigen Schritten marschierten sie durch einen
schmucklosen Vorgarten und traten durch ein einfaches Tor in einer
alten hüfthohen Mauer, die den Garten begrenzte.
„Wie fühlen Sie sich?“ fragte Skywalker behutsam, doch Mara
erahnte, wie lange ihm die Frage wohl schon auf der Zunge gelegen
haben musste.
„Besser“, meinte sie.
„Besser, aber nicht gut, hm?“
Ihre Blicke erforschten Skywalkers Gesicht, das für einen
Augenblick mit einem sehr schmalen und sehr sorgenvollen Lächeln
gezeichnet war. „Ja“, sagte sie mit einem langsamen Nicken.
Ohne genau zu wissen wohin ihre Füße sie trugen, wanderten sie
den Südpfad in Richtung Khoonda City entlang. Die Gegend war
genau so stumm wie am Tag zuvor und nur dass Flüstern der Natur
schien über Fels und Gras zu streichen, wie eine leise behutsame
Melodie. Unter anderen Umständen hätte Mara diesem Lied ewig
lauschen können ohne seiner jemals müde zu werden. Doch ihr
Herz und ihre wirren Gedanken drängten sie weiter, wollten Worte
formen und aus ihr heraus brechen. Wie lange gingen sie nun schon
schweigend nebeneinander her?
„Luke, hören Sie...“
Erst begriff sie nicht, warum er mit einem Male langsamer wurde
und sie mit einem Ausdruck der tiefsten Verblüffung anblinzelte.
Doch dann verstand sie und auch ihre Schritte verlangsamten sich,
bis sie schließlich inne hielt. Mit aller Deutlichkeit konnte sie
beobachten, wie sich ein weiteres Lächeln auf seine Gesichtszüge
stahl, doch dieses Lächeln war warm und gütig. Hatte sich ihr
schlechtes Gewissen bereits ihres Sprachvermögens bemächtigt, dass
sie ihn nun beim Vornamen nannte?
„Offenbar haben wir endlich die feine Grenze zwischen Skywalker
und Luke hinter uns gelassen“, sagte er, während seine Mundwinkel
sich weiter sanft nach oben zogen.
„Provozieren Sie mich nicht!“ raunzte sie, doch sie beide
wussten, dass sie es nicht ernst meinte.
„Entschuldigung“, meinte er vergeblich um ein ernstes Gesicht
bemüht. „Was wollten Sie sagen?“
107
Mara nahm einen langen kontrollierten Atemzug.
„Ich wollte mich bei Ihnen bedanken... und mich entschuldigen.
Ich weiß, wie schwer es Ihnen gefallen ist, sich auf Nam Chorios
endgültig von Callista zu trennen. Nur weil es mir nicht gefällt Herr
der Lage zu sein... Ich wollte Sie nicht kränken.“
Er bedachte sie mit einem fragenden Blick, dann lachte er kurz
und macht eine wegwerfende Geste. „Es gibt nichts zu vergeben.
Immerhin hatten Sie Recht, doch mir geht es wohl nicht anders als
Ihnen: Es ist schwer zu ertragen, wenn einem die eigenen Fehler mit
einem Spiegel vorhalten werden.“
Nun war es an ihr, verwirrt dreinzuschauen: „Was?“
„Lassen Sie uns diese Sache einfach vergessen, in Ordnung?“
wiederholte er und bot ihr eine Hand an.
Zögernd starrte Mara seine behandschuhte rechte Hand an.
„Um des Friedens willen“, sagte Mara und gewährte ihm einen
kurzen Händedruck.
„Um der Freundschaft willen“, korrigierte Luke und seine blauen
Augen glitzerten.
Sie blinzelte perplex, doch das sanfte Lächeln, das seine Lippen
kräuselte, verschwand noch immer nicht.
„Sie irritieren mich, Skywalker“, warf sie ein, doch sie spürte wie
ihre Wangen krampfhaft ein Lächeln zu unterdrücken versuchten.
„Oh, das tut mir leid. Es war keine Absicht“, erwiderte Luke
unverblümt. Die Heiterkeit seines jungenhaften und aufrichtigen
Grinsens ließ die eisige Kälte in ihrem Inneren für einen Augenblick
dahin schmelzen.
Nun gestattete auch Mara sich ein kurzen Lachen, dann entwand
sie ihre Hand vorsichtig seinem Griff.
„Sie sollten häufiger lächeln“, meinte Luke, „das macht Sie
irgendwie aufgeschlossener und freundlicher.“
„Wollen Sie jetzt etwa mit mir flirten?“ fragte Mara ironisch und
stemmte spielerischen die Hände in die Hüften. „Nur, weil ich Sie
einmal Luke genannt habe, heißt das nicht gleich, dass ich Sie
heiraten werde.“
„Das habe ich auch nicht erwartet“, sagte er, doch zu ihrer
Überraschung schlich sich ein Hauch von zarter Röte auf seine
108
Wangen. Es bereitete ihr immer eine diebische Freude, diese peinlich
berührte Miene an ihm zu sehen.
„Was genau ist eigentlich letzte Nacht passiert?“ fragte er dann
sehr beherrscht und lenkte damit ihre Unterhaltung in eine andere
Richtung. „Nachdem ich mit R2 gesprochen hatte und wieder auf
die Veranda kam, waren Sie leichenblass und haben von Kopf bis
Fuß gezittert. Ich dachte, Sie werden gleich ohnmächtig oder
Schlimmeres! Und während der Nacht haben Sie sich ziemlich oft im
Bett herum gewälzt, wie im Fieberwahn gesprochen und...“
„Moment mal“, unterbrach Mara ihn, „soll das heißen, Sie haben
die ganze Nacht neben meinem Bett verbracht?“
„Nicht ganz. Kurz bevor die Sonne aufging, habe ich Ihre
Reisetasche mit der Kleidung geholt und als ich mir später sicher
war, dass Ihre Unpässlichkeit vorüber ist, habe ich R2
eingesammelt.“
Sie beäugte ihn kritisch, doch nichts an seiner Haltung, seiner
Mimik oder seiner schillernden Präsenz in der Macht deutete
daraufhin, dass es nicht so gewesen war, wie er gesagt hatte. Er
hatte also wirklich die ganze Nacht lang über sie gewacht, hatte ihr
die Stiefel und den Gürtel ausgezogen und sie zugedeckt.
„Nun“, begann Mara, „wie viel konnten Sie denn aus dem
schließen, das ich im Schlaf von mir gegeben habe?“
„Nicht besonders viel“, sagte Luke und zuckte mit den Schultern,
„Ilya, das ist das Einzige, das ständig über Ihre Lippen kam. Ist das
ein Name?“
Mara nickte: „Ja, es ist ein Name. Der Name eines Mannes, um
genauer zu sein.“
Skywalkers Augenbrauen zogen sich fragend zusammen.
„Welcher Mann? Hat er etwas mit May Montross zu tun?“
„Nein, leider nicht“, sagte Mara und schüttelte den Kopf, „Ilya ist
Teil einer Erinnerung, einer Vision oder irgendetwas in der Art.“
Und damit begann sie zu erzählen. So gut es ging, versuchte sie
sich aller Details ihrer Vision zu entsinnen und ihm davon zu
berichten, in der Hoffnung, dass er daraus vielleicht schlau werden
würde. Doch sie wurde enttäuscht, denn da war nur ein tiefes
109
Stirnrunzeln auf seinem Gesicht, das nicht gerade Anlass zur
Hoffnung gab.
„Seltsam, dass die Vision sich Ihnen offenbart hat, mir aber
verschlossen blieb, wenn sie doch in dem Amulett abgespeichert
war“, meinte Luke als sie schließlich geendet hatte.
„Das dachte ich auch erst. Nichtsdestotrotz ist es wohl so, dass
May dies gewusst hat. Sie wusste, dass nur ich in der Lage bin die
Erinnerungen zu entschlüsseln und vielleicht will sie, dass ich genau
das tue, damit ihr Plan von Erfolg gekrönt ist. Das Problem ist nur“,
sagte Mara trocken, „dass wir wahrscheinlich diese Erinnerung
entschlüsseln müssen, um ihren Plan zu durchkreuzen.“
„Fühlen Sie sich denn bereit dazu? Würden Sie es noch einmal
versuchen?“
„Ich fürchte, ich habe keine Wahl, oder?“ erwiderte sie mit einem
resignierenden Seufzen.
„Keine Sorge“, meinte Skywalker und zog das silbrige Amulett
aus einer Gürteltasche, „diesmal lass ich Sie nicht damit allein.“
DREI JAHRE LANG HATTE SIE IHN NICHT MEHR GESEHEN UND DAS HERZ
schlug ihr voller Eifer und Aufregung bis zum Hals, als sie am Morgen
hinaus ging und den Flug der Iriaz beobachtete. Drei Jahre erfüllt von
sehnsüchtigem Warten und es war nicht ein Tag vergangen, an dem sie
nicht an Ilya gedacht hatte.
Ob er sich wohl sehr verändert hatte?
Der frische Wind fegte über die weite Steppe hinweg und schob triste
Regenwolken vor die wärmenden Strahlen von Dantooines Sonne, doch
Orianna stand einfach nur da und starrte in den Himmel.
Mara spürte, dass die Zeit Orianna verändert hatte. Nicht nur, dass sie
zu einer jungen Frau geworden war; die tyrannische Herrschaft ihrer
Schwester über das Matale-Anwesen seit dem Tod ihres Vaters hatte sie
härter gemacht und ihr beinahe jedes bisschen kindlicher Naivität geraubt –
beinahe.
Als die ersten Regentropfen zu fallen und das trockene Gras unter ihren
Stiefeln zu tränkten begannen, ging Orianna zurück ins Haus. Bithras saß
im Wohnbereich und hatte sich im Lieblingssessel seines verstorbenen
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Schwiegervaters breit gemacht, um die neusten Wirtschaftsnachrichten aus
dem HoloNet zu studieren. Auf einem Beistelltisch neben dem Sessel
qualmte eine dünne Zigarre fröhlich vor sich hin - eine lästige
Angewohnheit, die er sich mit der Eröffnung seines eigenen Geschäfts in
Khoonda City zugelegt hatte. Und wie jeden Morgen wunderte sie sich, wie
er an die Datacards kam, die er gerade voller Aufmerksamkeit und
Konzentration las, schließlich hatten die immer noch andauernden
Klonkriege viele Welten des Outer und Middle Rim vom HoloNet
abgeschnitten. „Ich habe halt Beziehungen“, rechtfertigte er sich jedes Mal,
wenn sie ihn danach fragte, und die Art wie er das Wort Beziehung
auseinander zog wie klebrige Kaumasse, machten Orianna nur zu deutlich
klar, dass es bei Bithras' Geschäften nicht immer mit rechten Dingen
zuging.
Casseia scheuchte derweil die Droiden durch die Gänge, um alles für
Ilyas Ankunft vorzubereiten. Orianna konnte ihre Schwester in hektischem
Tonfall herum schreien hören, woraufhin Bithras nur genervt die Augen
verdrehte, an seiner Zigarre zog und sich wieder seinem Studium widmete.
Da ihr Schwager sie ohnehin keines Blickes würdigte, beschloss
Orianna nachzusehen, was ihre Schwester schon wieder in helle Aufregung
versetzte. Als sie die Küche betrat, war Casseia gerade dabei einen der
Haushalts-Droiden beiseite zu schubsen und den Speiseprozessor manuell
zu programmieren.
Auch Casseia hatte sich verändert. Seit dem ersten Jahr ihrer Ehe mit
Bithras, in dem sie allen Anscheins nach glücklich gewesen war, versuchte
Casseia unentwegt schwanger zu werden, doch ihre Bemühungen waren
bisher nicht von Erfolg gekrönt gewesen. Voller Frustration und immer
neuen Streitigkeiten mit ihrem Ehemann, hatte sich Casseia ihrem Freund,
dem Essen, zugewandt, und seither deutlich an Gewicht zugelegt. Neben
ihr wirkte Orianna mittlerweile noch zerbrechlicher und feingliedriger, als
sie ohnehin schon war.
„Da bist du ja!“ sagte Casseia in schnarrendem Ton, der Orianna
unentwegt an ihre Mutter erinnerte. „Steh' nicht so unnütz herum,
sondern sieh' zu, dass du dich frisch machst. So kann man dich doch
keinesfalls unter Menschen lassen.“ Sie gestikulierte voller Empörung in
Oriannas Richtung. Diese sah an sich herunter und fragte sich, was
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Casseia an dem cremefarbenen Hosenanzug und den hellbraunen Stiefeln
auszusetzen hatte.
Sie unterdrückte ein genervtes Seufzen und sagte nur: „Mir gefällt es
so.“
Casseia öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch keine der beiden
Schwestern kam dazu einen Streit vom Zaun zu brechen. Mit einem Mal
schlug der Türsummer an und ließ Casseia vor Schreck zusammen zucken.
Einige Sekunden des Schweigens vergingen, dann rief sie Orianna barsch
zu: „Na los, geh' und mach' die Tür auf!“ Diese ließ es sich nicht zweimal
sagen, auch wenn ihr Herz schmerzhaft schnell gegen ihre Rippen schlug.
Der Türmelder summte noch ein zweites Mal, ehe sie die Eingangshalle
durchqueren und ihn mit einem Knopfdruck einlassen konnte.
Ilya hatte sich kaum verändert. Seine Gesichtszüge waren zwar weniger
jungenhaft und weich, sondern von Strenge und Reife gezeichnet, doch
seine grünen Augen waren so schön wie damals. Immer noch stattlich und
hoch gewachsen, sah er verblüfft auf Orianna hinunter und dann, ganz
langsam, zeichnete sich ein Lächeln auf seinen Lippen ab.
„Seid gegrüßt, Mylady“, sagte er und beugte sich vor, um ihre Hand zu
küssen. Ihre Finger kribbelten, als seine Lippen ihre Haut berührten.
„Gleichfalls, Sir“, erwiderte sie ein bisschen zittrig und flatterhaft.
Just in diesem Moment stolperte Casseia um die Ecke und schob sich
unwirsch einige Strähnen ihres Haars aus dem Gesicht. „Hallo, Ilya“,
begrüßte sie ihn im herzlichsten Tonfall, zu dem sie fähig war – was in
Oriannas Ohren immer noch wie eine Verwünschung klang – und
umarmte ihren Gast knapp. „Nur so wenig Gepäck?“ fragte sie und stierte
auf eine gut abgesicherte Aktentasche, die Ilya bei sich trug.
Er lächelte.
„Ich habe mir ein Zimmer in der Stadt gemietet. Ich erwarte heute
Abend selbst noch Besuch.“
„Oh“, machte Casseia mit zerknirschtem Gesichtsausdruck. „Warum
setzt du dich nicht schon mal ins Speisezimmer, Orianna wird dich
hinführen. Ich hole derweil meinen lieben Mann.“
Ilya nickte nur und Casseia verschwand ebenso schnell, wie sie
gekommen war. Schweigend führte Orianna ihn durch die Eingangshalle,
durch den Flur im westlichen Flügel und zum Speisezimmer auf der
Nordwest-Seite des Anwesens mit Blick über die Ebene.
112
„Ein bezaubernder Anblick. Natur ist etwas, dass man auf Coruscant
selten erlebt“, kommentierte er, als er seine Tasche einem Droiden übergab
und den Blick aus dem Fenster wandte. Orianna gesellte sich zu ihm
hinüber.
„Ja, aber leider sind Sie in der Regenzeit hier eingetroffen. Bei
Sonnenschein ist es noch viel schöner.“
Er verzog seine schmalen Lippen zu einem schiefen Lächeln.
„Das kann ich mir denken. Aber tut mir den Gefallen und nennt mich
bei meinem Vornamen, Orianna.“
Sie unterdrückte die plötzliche Hitze auf ihren Wangen. „Gut“,
flüsterte sie. „Wenn du dasselbe für mich tust.“
„Selbstverständlich.“
Wieder verfielen sie in Schweigen und Orianna überlegte fieberhaft, wie
sie die Konversation endlich ins Rollen bringen konnte. Doch es war nicht
sie, die als Erste wieder das Wort ergriff.
„Wie geht es deiner Mutter?“ fragte er mit einer seltsamen
Ernsthaftigkeit. „Ich habe gehört, es ginge ihr seit Cailetets Tod nicht
besonders gut.“
Orianna schüttelte den Kopf. „Wir haben sie in der Siedlung in ein
Med-Zentrum gebracht, wo man sich rund um die Uhr um sie kümmert.
Casseia und ich wären einfach mit ihr überfordert gewesen, mit dem
Haushalt und der Verwaltung des Anwesens. Wir können die Arbeit
gerade so bewältigen und dennoch sieht es nicht gut aus. Ich denke, sie
leidet unter Vaters Tod, immerhin kannten sie sich bereits ein ganzes Leben
lang. Sie waren wie Seelenverwandte.“
„Das sieht man im Tierreich oft. Wenn ein Partner stirbt, wird es der
andere ihm bald nachtun. Solche Dinge sind von niemandem bestimmt, nur
vom Herzen, und dagegen lässt sich leider nichts machen“, erklärte er und
Orianna bewunderte seine weltmännische Art. „Es tut mir leid.“
„Schon gut“, sagte Orianna und machte eine wegwerfende Geste. Auch
wenn sie nie eine besondere Verbindung zu ihrer Mutter gespürt hatte, so
kam sie doch nicht umher Trauer angesichts ihres nahenden Todes zu
empfinden.
Casseias und Bithras' Erscheinen machte weitere Bemerkungen
überflüssig. Ilya half Orianna in den Stuhl und nahm dann links von ihr
am einen Ende der Tafel Platz, direkt gegenüber von Bithras. Casseia setzte
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sich an die übrig bleibende Längsseite des Tisches und starrte ihrer
jüngeren Schwester unmittelbar ins Gesicht. Diese hielt ihren Blick fixiert
auf das Frühstück, dass von den Droiden aufgetragen wurde.
Sie aßen in schweigsamer Atmosphäre und erst nach einer Tasse frisch
gebrühten Kaffees, den Bithras sich immer von Chandrila importieren ließ,
taute die Stimmung ein wenig auf. Ilya machte höfliche Komplimente über
Casseias Äußeres, die Oriannas dickliche Schwester immer wieder erröten
ließen, ehe sie kichernd rief: „So ein Charmeur!“
Doch Oriannas Blicke hingen immerzu an Ilya, an seinen Augen, an
seinem Mund, an seinen Fingern, die immer wieder rhythmisch gegen den
Pokal seines Trinkkelches trommelten, an seinen breiten Schultern und an
seinem Hals. Nach einer Weile fühlte sie sich ganz benommen und versank
ganz und gar in ihrer Fantasiewelt, in der es nur sie und ihn gab. Mehrere
Male bemerkte sie es nicht einmal, dass Ilya sie tatsächlich angesprochen
hatte. Schamröte brannte wie Feuer auf ihren Wange, doch er grinste nur.
Es war bereits früher Nachmittag, als Bithras beschloss seinen alten
Freund in sein Büro zu führen, um sich ums Geschäft zu kümmern und
Orianna sah ihm mit sehnsüchtigen Blicken hinterher.
„Hoffentlich kann Bithras ihn dazu überreden uns zu helfen“,
philosophierte Casseia herum, während sie beobachtete, wie die Droiden das
restliche Geschirr zusammentrugen. Sie machte eine Pause und erwartete
offensichtlich eine Antwort von Orianna, welche jedoch ausblieb.
„Schlag' ihn dir aus dem Kopf!“ schnaubte Casseia da. „Er ist viel zu
alt für dich. Außerdem will ich nicht, dass du Bithras Karriere ruinierst,
nur weil deine Hormone verrückt spielen!“
Oriannas Geist kehrte schlagartig in die Realität zurück. Erst wusste
sie nicht, was sie empfinden sollte: Scham, weil ihre Schwester und
sicherlich auch Bithras und Ilya sie ertappt hatten oder Wut, weil Casseia
ihre Träume auf so rüde und plumpe Art zunichte machen wollte.
„Was geht dich das denn an? Wäre dein Mann nicht so ein Versager,
müsste er nicht seinen alten Kumpel von der Universität beknien, damit
er ihm hilft. Er selbst verqualmt und versäuft doch ohnehin nur unser
Geld. Und du! Nur weil du noch nicht schwanger bist gibt dir das kein
Recht über mich zu bestimmen oder deine Frustration an mir auszulassen!
Ihr seid beide so erbärmlich“, fauchte Orianna zurück und gab sich nicht
114
einmal Mühe, ihre Stimme zu senken, ehe sie sich erhob und schnellen
Schrittes das Zimmer verließ.
Was für eine Familie, dachte Mara nur.
Orianna wanderte zunächst ziellos durch die Gänge des Anwesens,
ging dann in die Küche, um sich einen Trinkschlauch voll Mineralwasser
aus der Kühlanlage zu nehmen, ehe sie hinaus ging.
Er regnete in Strömen und nach wenigen Minuten war sie bis auf die
Haut durchnässt. Der cremefarbene Anzug färbte sich dunkel, ihre Stiefel
versanken in der aufgeweichten Erde und ihre roten Locken klebten an
ihrem Kopf. Doch sie genoss den Regen und hoffte, dass er einen Teil ihrer
Gefühle fortspülen würde.
Sie entfernte sich immer weiter vom Anwesen, passierte die
elektromagnetische Barriere, die das Grundstück abgrenzte und marschierte
immer weiter in Richtung Stadt. Der Südpfad, wie die Einwohner ihn
nannten, war jedoch verwaist. Nur die kleine Sarzamin, die auf einer
niedrigen Mauer nahe ihres Elternhauses saß, schien sich vom heftigen
Regenschauer nicht beirren zu lassen. Orianna sprach eine ganze Weile mit
dem zehnjährigen Mädchen und begann ihren Kummer zu vergessen, bis
sie jäh vom Jaulen der Kath-Hunde in der Ferne unterbrochen wurden. Mit
verängstigten Blicken schaute Sarzamin sich um, rutschte von der Mauer
hinunter und rannte zurück ins Haus und Orianna sollte es ihr gleich tun.
In letzter Zeit waren die Kath-Hunde wieder besonders aggressiv und
schreckten weniger den je davor zurück, jemanden anzugreifen.
Sie ging den Weg, den sie gegangen war, zurück, doch ein Blick auf das
Chronometer sagte ihr, dass mehr Zeit vergangen war, als sie gedacht hatte.
Die zunehmende Dunkelheit hatte sie den immer stärkeren Regenfällen
zugeschrieben, doch in der Tat neigte sich der Tag bereits dem Ende zu und
der Abend war hereingebrochen. Wenn sie nicht vor Einbruch der Nacht
wieder auf dem Grundstück der Matales war, würde sie in gewaltigen
Schwierigkeiten stecken.
Wieder hörte sie erneut die Kath-Hunde jauten und Angst kroch in ihre
Glieder. Unruhig spielte sie mit dem Medallion und der Kette an ihrem
Hals. Ihre Schritte beschleunigten sich und schließlich rannte sie, bis ihre
Lungen rannten und der Regen die Bilder vor ihren Augen verschwimmen
ließ. Es war nicht mehr weit..
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Sie rannte immer weiter, bis schließlich das diffuse blaue Leuchten der
Begrenzungsfelder zwischen dem Grau um sie herum auftauchte. Hastig
passierte sie die Barriere und aktivierte die Verteidigungsdroiden entlang
der Anwesendsgrenze. Dann noch ein letzter Spurt und sie hatte es
geschafft. Erschöpft hielt sie eine Sekunde inne und rang nach Atem. Nun
war sie wieder in Sicherheit.
Überall im Haus brannten die Lichter, um die erstickende Dunkelheit
und den tristen Regen abzuhalten. Von Kopf bis Fuß durchnässt, tropfte es
von ihren Haaren, ihrer Nase und den Fingerspitzen, als durch den
Hintereingang schlüpfte und ihre Stiefel aus zog.
„Wo ist sie nur wieder hingegangen?“ hörte sie Casseia in wütendem
Ton fragen. „Es würde mich nicht wundern, wenn sie eines Tages wirklich
von den Kath-Hunden zerfleischt wird!“ Orianna schnaubte und wandte
sich nach links, weg von der Stimme ihrer Schwester und ihres Schwagers.
Diese beiden waren das letzte, was sie heute sehen wollte. Wieder spielte sie
mit ihrem Anhänger und warf einen Blick über ihre Schulter, ehe sie um
die Ecke ging...
... und gegen jemand stieß.
Erschrocken wich sie zurück und erkannte voller Entsetzen, dass es Ilya
war, dessen Anzug sie mit ihrem nassen Haar beschmutzt hatte. Doch sie
brachte keine Entschuldigung hervor, sondern rief überrascht: „Du bist ja
noch da! Hattest du nicht etwas von einem Termin gesagt?“
Er starrte sie verdutzt an und es war ihr unmöglich seine Mimik zu
deuten. Was dachte er wirklich? Das Einzige, was sie mit Sicherheit
wusste, war, dass ihr Puls erneut in die Höhe schnellte und ihr Körper und
ihre Seele, ihr ganzes Sein, sich nach ihm verzehrten.
Plötzlich packte er ihre Schultern, so fest, dass es wehtat, zerrte sie
weiter von Casseias Stimme fort und presste sie plötzlich gegen die nackten
Korridorwand aus Orange gefärbtem Durastahl. Sie spürte seinen Atem
auf ihrem Gesicht, welcher genauso schnell und stoßartig wie ihr eigener
ging.
„Ich konnte nicht…“, sagte er atemlos. „Ich konnte nicht gehen, ehe du
nicht wieder in Sicherheit bist. Was hast du dir nur gedacht?“
Schmerz jagte durch Oriannas Körper, als ihr Herz in ihren Hals zu
springen schien. Sie zweifelte an der Realität des Augenblicks. Ihr Verstand
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weigerte sich zu glauben, dass dies wirklich passierte, doch der Rest von ihr
wollte nicht, dass dieser Traum endete.
Sie schloss die Augen, legte den Kopf in den Nacken, bot sich ihm an
und lauschte seinem aufgeregten Atmen. Seine Hände zitterten, als er ihre
Schultern losließ und seine Finger über ihren Körper gleiten ließ. Das
Nächste was sie spürte, war, wie seine Arme kraftvoll ihre Taille umfassten
und sich seine Lippen begierig und fordernd auf ihre senkten.
Erst war Skywalkers mentaler Fühler nur ein sanftes Zwicken an
der Oberfläche ihres Geistes, während er sie zurück in das Hier und
Jetzt zu locken versuchte. Ein leises, fast zärtliches Echo aus weiter
Ferne, das sie nach hause rief.
„Ich glaube, Sie brauchen eine Pause, Mara“, hörte sie ihn wie
durch Watte sagen. „Kommen Sie zurück.“
Doch sie konnte nicht. Sie fühlte nur, wie ihr Geist zwischen den
Bildern und Skywalkers Rufen hin und her geworfen wurde wie ein
Boot, das vom Sturmwind erfasst worden war und im Begriff die
Richtung zu verlieren.
Das Zwicken schwoll an zu einem Stechen in ihrem Kopf und
wurde immer lauter und eindringlicher wie ein donnerndes
Stakkato, das unaufhörlich gegen ihre mentalen Barrieren prallte.
„Moment!“ stieß Mara keuchend hervor. Ihr stand Schweiß auf
der Stirn. Sie konnte die Feuchtigkeit an ihren Schläfen spüren.
Atmen, dachte sie, atmen...
Und mit einem Ruck warf sie Oriannas Erinnerung von sich fort,
war sie ab wie einen alten Tarnmantel. Erneut von Schwäche
übermannt, konnte sie an nichts anderes denken, als Luft in ihre
Lungen zu pressen. Hätte Skywalker sie nicht festgehalten, sie wäre
wohl einfach umgefallen. Daher überließ sie sich seinen Armen und
rang einen Moment lang wie eine Ertrinkende um Atem.
„Ganz ruhig“, sagte Skywalker und sie empfand ein warmes
Prickeln als er die Macht um sie herum strömen ließ, damit Mara
sich mit ihrer Kraft stärken konnte.
„Danke“, murmelte Mara, während sich ihre Atemzüge wieder
verlangsamten und der Schweiß auf ihrer Stirn immer kälter wurde.
„Es geht schon wieder.“
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Langsam und zögerlich lockerte Skywalker den Griff um ihre
Schultern und führte seine Hände zurück zu ihren Schulterblättern,
wo sie anfangs geruht hatten.
„Entspannen Sie sich, Mara“, sagte er von hinter ihr. „Ihr Geist ist
ziemlich... nun ja... unstet.“
„Was meinst Sie mit unstet?“ fragte sie und warf sich die Haare
unwirsch über die Schulter, doch ihre Blicke klebten regelrecht an
dem glänzenden runden Ding, das vor ihr, direkt zwischen ihren
Knien im Gras lag.
„Äußerlich betrachtet sind Sie ruhig, entspannt oder zumindest
weniger angespannt als gewöhnlich. Aber in den Bereichen darunter
spüre ich ein hohes Maß an Verwirrung und mentalen Turbulenzen.
Als wollten ihre Gedanken und Gefühle einfach nicht zur Ruhe
kommen.“, erklärte Luke. „Das ist natürlich nur eine oberflächliche
Feststellung, aber wenn Sie Ihre Barrieren für mich senken würden
und mich…“
„Ah!“ machte sie und schnitt ihm mit einer Geste das Wort ab,
„die Tiefen meines Geistes sind kein Ort für Sie, Luke. Keine
Diskussion.“
„Aber wohlmöglich ist das der Grund, warum sie so tief in diese
Visionen hinein gesogen werden. Es fehlt Ihnen an der nötigen
inneren Ausgeglichenheit…“
„Erzählen Sie mir nichts über meine innere Ausgeglichenheit.
Wenn ich mich noch mehr entspanne, lösen sich meine Moleküle in
ihre Bestandteile auf“, erwiderte Mara bestimmt, „und jetzt Schluss
damit!“
„Schon gut!“ gab Skywalker hastig zurück und drückte
besänftigend ihre Schultern. „Also, was haben Sie gesehen?“
Es dauerte einen Augenblick, ehe sie ihm antwortete. Stattdessen
nahm sie noch einige köstliche Züge der süßlichen Luft und ließ ihre
Blicke über die Ebene schweifen. Es war kaum zu glauben, dass
Sarzamin Saias Haus direkt hinter dem Hügel vor ihnen lag, so
unbelebt schien ihr die Gegend. Ihre Knie schmerzten ein wenig von
den alten Grashalmen und Stöckchen, die sich dort und in die
Schienbeine drückten, doch sie würde sich nicht vor Skywalker
darüber beklagen.
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Wieder begann sie zu erzählen und wieder hörte er ihr mit
großer Aufmerksamkeit zu. Es war ihr schon ein bisschen
unheimlich, sogar Karrde lauschte ihr derart angestrengt und
konzentriert.
„Dann war Ilya also Oriannas Geliebter, so weit, so gut“,
wiederholte Luke schließlich. Obwohl sie ihn nicht sah, konnte sie
spüren wie er lächelte. „Ist doch sehr beneidenswert.“
„Wenn Sie meinen“, erwiderte Mara nur, „wir werden ja sehen,
was aus den beiden geworden ist.“
„Was machen Sie denn?“ rief Skywalker als sie sich vorbeugte.
„Mara, ich denke wirklich, dass Sie noch ein wenig Ruhe brauchen.
Wir können später immer noch weiter machen.“
„Versuchen Sie mich aufzuhalten“, meinte sie schnippisch und
streckte die Hand erneut nach dem Amulett aus.
Der Regen prasselte bereits seit Stunden gegen die Scheiben und ließ die
Welt außerhalb des kleinen Herbergszimmers wie einen diffusen Traum
verschwimmen. All das Leid, das die Klonkriege über die Galaxis gebracht
hatten, schienen hier in Raum und Zeit entrückt und Orianna fand es gut
so.
„Sei so gut und schließ das Fenster, ja?“ sagte Ilya mit mürrischer
Stimme. "Dieser Regen macht mich noch wahnsinnig."
Ein wenig widerwillig löste Orianna sich aus seiner Umarmung, warf
die Bettdecke beiseite und eilte, nackt wie sie war, zum Fenster hinüber und
schloss es. Sie beeilte sich, wieder unter die Decke zu huschen und seine
warme Haut an ihrer zu spüren. Begierig kuschelte sie sich an ihn, schlang
einen Arm um seine Brust und Schultern und drückte ihm einen Kuss auf
den Hals.
„In diesem Laden gibt es nicht einmal eine Stimm-Codierung, damit
man die Fenster vom Bett aus schließen kann“, murmelte Ilya genervt und
rieb sich mit zwei Fingern den Schlaf aus den Augen. „Stört dich der
Regen etwa nicht?“
„Nein“, meinte Orianna nur und liebkoste weiter seinen Hals. „Er
erinnert mich immer an den Tag, als wir uns das erste Mal geküsst haben.
Es hat in Strömen geregnet, genau wie heute. Ich war ganz nass, als ich
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nach Hause kam. Und da hast du gestanden, ganz aufgeregt und hast mich
an dich gepresst und geküsst.“
Er lachte freudlos.
„Du redest, als wäre das eine Ewigkeit her, dabei ist seitdem erst ein
Standardjahr vergangen.“
„Aber seitdem hat sich soviel verändert“, sagte sie. „Dantooine ist von
der Außenwelt abgeschnitten und jeden Tag geht es uns hier schlechter.
Und alles nur, weil sich die Separatisten und die Republik nicht einigen
können.“
„Ich weiß, Orianna, ich weiß“, erwiderte er. „Ich lebe auf Coruscant,
schon vergessen?“
Sie wurde still. „Nein, natürlich nicht.“
Warum hatte er es erwähnen müssen? Wann immer etwas mit
Coruscant zu tun hatte, erinnerte es sie unweigerlich daran, dass Ilya nicht
bleiben würde, dass er zurück in die Hauptstadt musste, zu seinen
Geschäften und seinen Pflichten. Sie wusste, nur so konnte er seinen
Lebensunterhalt verdienen und nur so war es ihm möglich ihren Schwager
Bithras monetär zu unterstützen, und doch fand sie es schreiend ungerecht.
Nur etwa alle drei Monate war es ihr vergönnt in seiner Nähe zu sein und
sich ihrer gemeinsamen Liebe hinzugeben. Und selbst dann schrumpfte ihre
Zeit zu wenigen, kostbaren Momenten zusammen.
Nach ihrem ersten verhängnisvollen Kuss hatte Orianna darauf
bestanden, Bithras und Casseia nichts von alle dem zu erzählen. Ilya hatte
nicht protestiert. Es war besser so, schließlich würde ihre Schwester sich
lediglich mit dem Argument brüsten, dass Ilya zu alt für sie sei.
Vermutlich würde sie sogar, im Namen ihres Vaters, anführen, dass Ilya
gefälligst um ihre Hand anzuhalten hatte, bevor er Orianna berühren
durfte. Es war also das Beste für alle Beteiligten und am Einfachsten für die
beiden Liebenden, wenn sie sich heimlich trafen, ohne die kritischen Blicke
irgendwelcher Anverwandten.
Sie spürte, wie er sich neben ihr bewegte und ihr Kinn mit einer Hand
seinem Gesicht entgegen hob. Willig ließ sie es geschehen, als er sie fest
umarmte und ihr einen leidenschaftlichen Kuss auf die Lippen drückte.
„Ich liebe dich“, sagte er dann, als sie bereits mit einem seligen Lächeln
in seinen Armen lag und seinem Herzschlag lauschte. Er strich ihr sanft
durch den dichten Lockenschopf.
120
Orianna wagte nicht, etwas zu erwidern. Ihr war bewusst, dass Ilya
wegen der ernsten Lage in den Kernwelten ziemlich angespannt war und
vielleicht sogar um seine Existenz fürchten musste. Die kritische Lage des
Handels im Middle Rim macht ihm Kopfzerbrechen, wie er ihr immer
wieder in seinen Holonachrichten berichtete. „Es ist nur eine Frage der
Zeit“, hatte er einmal mit ernsthafter Miene gesagt; „bis die Separatisten
Coruscant angreifen. Count Dooku und General Grievous werden sicher
nicht eher ruhen, bis Palpatine und die Republik geschlagen sind. Wenn
das passiert wird meine Firma wahrscheinlich längst pleite sein und ich
werde die Passagen nach Dantooine nicht mehr bezahlen können. Ich
versuche ein paar Credits beiseite zu schaffen, aber es ist nicht einfach.“
Orianna hatte keine weiteren Fragen gestellt, obgleich auch die Zukunft
ihrer eigenen Familie durch den verheerenden Krieg gefährdet war. Wenn
Bithras keine Unterstützung mehr durch Ilya bekam, würde er sein Handel
mit den Kernwelten zum Erliegen kommen. Er würde mit Glanz und
Glorie untergehen und Casseia und Orianna gleich mit. Dennoch galt ihre
ungeteilte Aufmerksamkeit der Aufgabe, Ilya einen Teil seiner Last
abzunehmen oder sie ihn zumindest für ein paar Augenblicke vergessen zu
lassen.
Viele Minuten vergingen, in denen sie bloß schweigend dalagen, den
Körper des anderen zärtlich streichelnd und liebkosend. Erst als es draußen
deutlich dunkler zu werden schien, setzte Orianna sich erneut auf und
blickte auf ihren Chronometer.
„Ich muss gehen“, stellte sie in bedauerndem Ton fest. „Ich habe
Casseia gesagt, ich wäre zum Abendessen wieder zuhause.“
Er rollte sich auf die Seite und spähte über ihre Schulter auf den
Chronometer. Dann schlang sich sein kräftiger Arm um ihre Schultern und
drückte sie zurück in die Kissen. Einen Atemzug später spürte sie das
Gewicht seines Körpers auf ihrem und er küsste sie so lange und intensiv,
als wollte er den Moment anhalten. Seine Hände schienen plötzlich überall
zu sein und sie erwiderte seinen Kuss voll fiebriger Begierde. „Das ist noch
mehr als genug Zeit“, erwiderte er.
Sie wollte ihm widersprechen, wollte ihm sagen, dass sie des Todes
wäre, wenn sie nicht pünktlich käme. All diese Heimlichkeiten wären ganz
umsonst gewesen. Doch sie war völlig machtlos, denn die Bedürfnisse ihres
Körpers ließen keine andere Meinung mehr zu. „Ilya“, keuchte sie atemlos
121
und spreizte die Schenkel, um ihn, wie schon so oft, in ihren Körper
einzulassen...
Mara spürte wie ein unangenehm warmer Schauer ihren Rücken
hinab kroch, während sich ihr Geist erneut mit aller Gewalt zurück
in die Gegenwart kämpfte und die Verbindung zu Skywalker aufs
Neue abbrach. Zitternd drängte sie die Bilder von Orianna und Ilya
zurück und unterdrückte einen Laut der Abscheu, doch sie fühlte
sich nun nicht mehr so schwach und halb erstickt wie eben noch.
„Alles in Ordnung?“ fragte Skywalker, dessen warme Finger
immer noch sacht auf ihren Schultern ruhten.
„Wie man es nimmt", erwiderte Mara und schloss für einen
Moment die Augen, um den Nebel aus Erinnerungen in ihrem Kopf
zu lichten. „Ich glaube, ich muss mich nachher mit Desinfektionsmittel übergießen.“
„Wieso? Was ist denn passiert?“ fragte Skywalker nun und Mara
konnte sich bildlich vorstellen, wie er sie mit einer Mischung aus
Neugierde und Argwohn ansah. Also schilderte sie ihm, was sie
gesehen hatte, doch obwohl ihr keine Schamesröte auf die Wangen
trat, fühlte sie sich schmutzig, als hätte sie diese intime
Liebesszenerie zwischen Orianna und Ilya wie ein Voyeur
betrachtet. Sie selbst wollte nicht, dass irgendjemand solch private
Details aus ihrem Leben kannte, daher war sie auch nicht darauf
erpicht, die Intimitäten anderer zu erfahren.
„Oh“, sagte Skywalker nur, „das muss, in der Tat unangenehm
gewesen sein.“
„Nicht nur das, ich weiß nicht einmal welche Relevanz diese
Erinnerung hat“, betonte Mara.
„Nun, vielleicht war sie für Orianna etwas Besonderes“,
vermutete Luke, „oder sie signalisiert eine Art Wendepunkt in ihrer
Beziehung. Sie haben doch sicherlich auch derartige Erinnerungen
an einen Mann?“
Die Stirn zur fragenden Grimasse verfurcht, drehte sie sich halb
zu ihm um und starrte ihn an. „Nein, aber wenn es so wäre, würde
ich es Ihnen sicherlich nicht verraten.“
122
Seine blauen Augen schienen einen seltsamen Glanz zu
bekommen. War das etwa Mitleid?
„Das tut mir leid“, sagte er nur.
„Wie auch immer“, sagte Mara düster und strich sich erschöpft
übers Gesicht. „Trotzdem werde ich dieses unglaublich miese
Gefühl nicht los, dass uns das Schlimmste noch bevorsteht…“
123
6: CRIES IN THE DARK
GLEICH EINEM FLEDERHABICHT, DER IN DEN UNENDLICHEN STRAßENschluchten Coruscants aus vielen Kilometern Höhe mit scharfem
Blick seine Beute erspäht, starrte May wachsam hinunter auf das
hektische Treiben auf der Hauptstraße, auf der Menschen und
Nichtmenschen gleichermaßen ihre Einkäufe für das bevorstehende
Erntefest tätigten. Alle waren so sehr mit ihren Vorbereitungen oder
freundlichem Geplänkel beschäftigt, dass niemand auch nur im
Entferntesten den bohren Blick Mays eisblauer Augen im Nacken
erahnte.
Sie hatte sich bereits vor zwei Tagen in dem kleinen Motel im
Stadtzentrum, dem Solely Inn, eingemietet, einem Etablissement, das
sich ganz und gar nach den kargen Wünschen der wenigen
Handelsreisenden richtete, die sich hin und wieder nach Dantooine
zu verirren schienen. Die Zimmer und Korridore wirkten so steril
und anonym wie eine Med-Station, nur gelegentlich heiterte eine
farbige Holoprojektion – meist nur Kopien berühmter Kunstwerke –
die grau-weiße Tristesse auf. Es erinnerte sie ein wenig an die guten
alten Zeiten beim Imperial Intelligence. Jedes Hallen ihrer Schritte in
den langen Fluren, jedes reservierte Räuspern, wenn zwei Gäste sich
im Gang begegneten, gefolgt von einem knappen Nicken der
Kenntnisnahme: Es war genau wie in ihrem alten Büro in Imperial
City, bloß, dass hier keine Sturmtruppen patrouillierten.
Inmitten all dieser klinischen Sauberkeit wären Laz und Avarice
aufgefallen wie zwei bunt gescheckte Wompratten. Den anständigen
124
und gutbürgerlichen Siedlern, die idyllische Ruhe Dantooines, all
das machte nur zu deutlich klar, das dies kein Ort für zwei solch
raubeinige Gundarks war. Es war allerdings nicht leicht gewesen,
nach dem Einbruch ins Anwesen der Matales und Jades
anschließendem Auftritt, die beiden dazu zu bewegen, einige
Kilometer südlich des Grundstücks ihr Lager aufzuschlagen, anstatt
mir ihr in die Siedlung zurück zu kehren. In der Tat hatte es
ziemlichen Protest gehagelt, warum sie wie vogelfreie Banditen
zwischen Felsen und Bäumen schlafen mussten, während sich May
ein bequemes Zimmer in der Stadt leistete. „Weil ihr Banditen seid“,
hatte sie gesagt, „und ihr werdet gefälligst hier bleiben und euch
sofort mit mir in Verbindung setzen, sollte Jade noch einmal
zurückkommen, um das Haus zu durchsuchen. Das ist ein Befehl!“
Es war ihr von Anfang an klar gewesen, dass die beiden Männer
ihren Plan nicht verstehen würden, dafür fehlte es ihnen an der
nötigen Finesse, dem Fingerspitzengefühl und der Fähigkeit zum
strategischen Denken. Sie waren es zu sehr gewohnt, nach Belieben
ihre Blaster zu zücken und jeden umzupusten, dessen Gesicht ihnen
gerade nicht gefiel. Es war etwa so als würde jemand versuchen ein
filigranes Ornament mit einem Vorschlaghammer in Durastahl zu
meißeln. Im Grunde hatte sie Laz und Avarice nur mitgenommen,
damit sie ihr beim Anbringen der Bewegungssensoren und der
Thermalsprengsätze halfen und diese Aufgabe hatten sie gemäß
ihren Wünschen erfüllt. Außerdem – so hatte May vermutet – würde
die Vertrautheit ihrer Auren in der Macht Jade sicherlich noch
stärker anziehen als die Präsenzen zweier Fremder. Sie kannte die
angeborene Neugierde der Hand des Imperators, die es ihr gebot,
dieser mehr als heißen Spur nachzugehen.
Und Mara Jade war ihr nachgegangen, ganz so, wie May es
geplant hatte.
Das bewusste Auslösen des Alarms durch den Bewegungssensor
und die anschließende Zündung der Sprengsätze, hatte ihr ganz von
allein verraten, wo Jade genau war und May damit die perfekte
Gelegenheit gegeben, ihr Orianna Matales Amulett in die Hände zu
spielen.
125
Der Gedanke, dass Palpatines gefürchtete Agentin nun im
Beisein von Luke Skywalker und ihrer neuen Freundin Sarzamin
Saia dasaß und mehr und mehr an Mays Geisteszustand zu zweifeln
begann, brachte ihre Lippen zum Kräuseln. Ich bin nicht verrückt,
dachte sie bitter, aber wenn das alles hier vorbei ist, wirst du es sein, Jade.
Dafür werde ich schon sorgen.
Ein Prickeln rann wie ein warmer Schauer ihren Rücken hinab,
während ihre eigenen Gedanken in ihrem Kopf widerhallten und
sich ewig fortzusetzen schienen. Sie schloss die Augen, sperrte das
Licht des Tages und die Stimmen der Lebenden aus und versuchte
die Empfindungen zu erkunden, die plötzlich über sie hinweg zogen
wie eine gewaltige Woge des Ozeans.
Da war wieder diese Erregung. Eine fiebrige heiße Erregung, die
sie immer überkam, wenn sie sich dem Sieg und der Rache so nahe
fühlte. Aber da war auch Furcht, eine elementare Angst vor dem
Versagen und dem Verlust, auch wenn es für sie nichts mehr zu
verlieren gab. Sie war tiefer gesunken als ein Imperialer Agent
jemals hätte sinken können. Sie hatte die tiefen schwarzen Abgründe
ihrer eigenen Seele erblickt und sich ihnen gestellt. Doch wohin
hatte sie dies gebracht? Sie umgab sich mit Abschaum, wertlosem
Piratenpack. Sie selbst war eine Piratin geworden. Und von allen
Emotionen, die nun für den Bruchteil einer Sekunde die Oberhand
über ihr Sein gewannen, war die Sehnsucht nach der Vergebung für
ihre unwürdigen Taten die stärkste. Und mit der Sehnsucht kam die
Bitterkeit und mit ihr wiederum der Schmerz und die Wut... Sein
Gesicht, wie es geisterhaft durch die Dunkelheit ihres Geistes
aufblitzte.
„Nein!“ keuchte sie und riss die Augen auf. Das Sonnenlicht
schlug sie einen Augenblick mit Blindheit, doch sie begrüßte den
Schmerz, der über ihre Sehnerven wie eine Vibroklinge in ihren
Kopf vordrang, denn er vertrieb alle zehrenden Gedanken und
brachte ihre Gefühle zum Schweigen. Sie schluckte, entließ die Luft
in ihren Lungen mit einem langen und kontrollierten Atemzug.
Erinnerungen durften nicht so real und lebendig sein wie die
Wirklichkeit! Und doch war sie wegen eben jener Erinnerungen an
diesen Ort gelangt. Dabei wollte sie nichts weiter, als einen einzigen
126
Moment des Triumphes. Ein Triumph, dessen glückseliger Nachhall
andauern würde, bis sie eines Tages starb. Einen Sieg, denn sie als
May Lynn, nicht als Meelam errungen hätte.
„Manchmal bist du wirklich ein erbärmliches Geschöpf, May
Montross“, ermahnte sie sich selbst und ließ die Anspannung mit
einem freudlosen Lachen ihrer Kehle entweichen.
Ein durchdringendes Zirpen, welches von dem Nachttisch zu ihr
hinüber hallte, tat ein Übriges, um ihre düsteren Gedanken zu
verbannen. Ohne Umschweife trat sie neben das Bett, nahm ihr
persönliches Comlink vom Nachttisch und öffnete die Frequenz.
„Montross“, antwortete sie und zu ihrer Zufriedenheit klang sie
so militärisch-streng wie man es ihr all die Jahre an der Akademie
gezeigt hatte.
„Wir sind im System“, meldete sich eine fiebrig klingende
Männerstimme. „Ich habe gerade alle Daten der Hafenbehörde auf
meinem Schirm.“
„Bist du sicher, dass die Leitung sauber ist?“
„Absolut. Nicht mal der GNR würde die Spur verfolgen können.
Oder das ISB.“
„Gut“, sagte sie und strich sich mit einer Hand den kurzen
schwarzen Schopf zurück, „es reicht mir schon einen Jedi in meine
Planungen mit einzurechnen. Check' alle Landeplätze nach der
Jade's Fire und entriegele die Startrampe, damit wir freien Zugriff
auf das Schiff haben.“
„Nichts leichter als das. Aber was ist mit den internen
Sicherheitsmechanismen? Nicht mal ein tölpelhafter Hinterwäldler
würde hier sein Schiff einfach so stehen lassen.“
„Entriegle die Startrampe der Landebucht und lass' den Rest
meine Sorge sein. Ich will, dass ich ungestört an ihr Schiff komme,
wenn ich beim Raumhafen eintreffe.“ May durchquerte das Zimmer
mit wenigen Schritten, hinüber zu einer Kommode, über der ein
Spiegel in äußerst simplem Design angebracht worden war und
starrte für einen Moment ihr blasses Ebenbild an. „Danach will ich,
dass du auf die Aufzeichnungen der Landungen und Starts der
letzten zwei Wochen zurückgreifst. Irgendwo in den Einträgen ist
die Ankunft der Pride of Vengeance verzeichnet.“
127
Es vergingen einige Momente der vollkommenen Ruhe, dann
gluckste der Mann eine Bestätigung. „Hab' sie gefunden.“
„In Ordnung. In exakt einer Stunde löschst du die
Transpondercodes, die wir von der Pirate aus eingespeist haben.
Zwei Standardstunden später fährst du einen Reset und setzt die
Einstellungen des Transponders zurück.“
„Wie bitte? Aber dann wird der...“
„Tu’ es einfach!“
„J-ja. Verstanden.“
May unterdrückte ein Seufzen. Natürlich wusste sie, was dann
passieren würde. Wenn die gefälschten Transpondercodes des
Schiffes gelöscht wurden, wäre die Pride of Vengeance zwei Stunden
lang ohne Identität. Wenn die Daten des Schiffs das nächste Mal
überprüft wurden – und selbst die Großrechner einer drittklassigen
Hafenbehörde taten dies etwa alle halbe Stunde – würde dies für
genug Verwirrung sorgen, um ihr unbemerkten Zugang zu Jades
Schiff zu verschaffen.
„Sonst noch irgendwelche Anweisungen, May?“
„Bringt die Pirate außerhalb dieses Sektors und wartet bei
Aquilae auf meine Rückkehr“, sagte sie. „Und kümmert euch um
Ersatz für den Twi'lek.“
„Ja, selbstverständlich.“
„Montross, Ende.“
Sie wartete gar nicht auf eine weitere Erwiderung, sondern
schaltete ihr Comlink ab und hakte es wieder in die Halterung an
ihrem Gürtel, dann schritt sie zur Garderobe neben der Zimmertür
und schlüpfte in einen aschgrauen Mantel. Während sie den Kragen
umschlug und ein paar eingeklemmte Strähnen nach außen warf –
sie ermahnte sich, bald wieder ihre Haare kürzen zu lassen – starrte
sie ein kleines rechteckiges Päckchen an, welches auf der Kommode
lag. Sie nahm es in die Hand, starrte es eine Weile gedankenverloren
an, ehe sie es in eine Tasche ihres Mantels gleiten ließ und zur Tür
ging.
Es wurde Zeit, dass Mara Jade erfuhr, wer sich hinter Mays
Geißel Meelam in Wahrheit verbarg.
128
SIE KAM GERADE AUS DER STADT ZURÜCK, ALS ES PASSIERTE.
Droiden halfen Orianna die Einkäufe vom Skipper zu laden und ins
Haus zu bringen. Voller Frohsinn blickte sie auf den vergangenen Tag
zurück, während sie eine Tüte mit neuen Kleidern aus dem Laderaum des
Skippers hob und zum Haupteingang hinüber schlenderte. Nachdem sie
früh am Morgen zum Med-Zentrum gefahren war, um nach ihrer Mutter
zu sehen, mit ihr gemeinsam zu frühstücken und den Medis dabei zu
helfen, sie zu waschen und anzukleiden, hatte sie sich am Mittag mit der
mittlerweile dreizehnjährigen Sarzamin nahe der alten Jedi-Enklave
getroffen. Während sie über die belebte Hauptstraße gewandert und sich die
Auslagen der Händler an den Ständen angesehen hatten, hatten sie sich
über dies und das unterhalten und kindliche Scherze gemacht. Es war für
Orianna eine willkommene Abwechslung gewesen. Keine wilden
Streitereien zwischen Bithras und Casseia, keine angespannten Mienen
wegen neuer Kriegsmeldungen oder abgesprungenen Kunden. Nein, mit
Sarzamin konnte sie vollkommen unbeschwert ihren Tagträumen
nachhängen. Hin und wieder sah Orianna in ihr die Schwester, die Casseia
niemals gewesen war und dank ihr konnte sie sogar ihre Sorge um Ilya
einen Moment lang vergessen.
Sechs Monate waren vergangen seit sie Ilya das letzte Mal gesehen
hatte. Zwar hatte er, um die Zeit und die Distanz zwischen ihnen zu
überbrücken, immer wieder Holonachrichten geschickt, doch seit zwei
Standardwochen fehlte jede Spur von ihm. Er war unerreichbar für sie
geworden, antwortete weder auf ihre, noch auf Bithras' Nachrichten und
Orianna träumte jede Nacht aufs Neue, dass sie ihn nie wieder sehen
würde.
Selbst Casseia und Bithras spürten ihren wachsenden Unmut, auch
wenn sie den Grund dafür nicht kannten. Vielleicht lag es daran, dass sie
ebenfalls in Sorge um Bithras' alten Freund waren, doch vielleicht waren
sie auch einfach selbst in so niedergedrückter Stimmung, weil ihr
gemeinsames Leben nicht den Kurs genommen hatte, den sie sich
gewünscht hatten.
Orianna brachte die Tüte mit den Kleidern in ihr Zimmer, schlüpfte in
ihre Hausschuhe und machte sich auf den Weg in die Küche. Der lange
Einkaufsbummel hatte sie hungrig gemacht. Auf dem Weg dorthin konnte
129
sie eine laute Stimme aus dem Wohnzimmer vernehmen. Einen flüchtigen
Augenblick lang spielte sie mit dem Gedanken, Bithras zu fragen, ob er
langsam schwerhörig wurde, dass er das HoloVid so laut abspielen musste.
Doch dann hörte sie Worte, die ihr wie ein Faustschlag in die Magengrube
schmerzten.
°... sollen Truppen der Separatisten unter dem Kommando des Cyborg
Generals Grievous in die Hauptstadt eingedrungen und den Obersten
Kanzler entführt haben. Das Senatsviertel, Republica 500 und East Port
wurden durch das gewaltsame Eindringen und den Beschuss durch
Kanonenboote teilweise zerstört und unterliegen dem Ausnahmezustand.
Im Orbit bieten sich die planetarischen Streitkräfte eine unerbittliche
Schlacht, während die Armee der Rupublik auf Verstärkung aus dem
Inneren Rand wartet. Die Jedi...°
Weiter konnte sie dem Bericht nicht folgen. Erstarrt stand sie im
Korridor und spürte förmlich, wie ihr die Farbe aus dem Gesicht wich. Ihre
Knie fühlten sich an, als würden sie das Gewicht ihres Körpers nicht mehr
lange tragen können.
Coruscant stand unter Beschuss. East Port war den Schergen der
Separatisten zum Opfer gefallen. Ilya arbeitete in East Port!
Wie ein Geist, ein Schatten ihrer selbst, folgte sie der Stimme, die weiter
über die Zerstörungen in der Hauptstadt berichtete. Bithras saß vor dem
HoloVid im Sessel ihres Vaters und war ebenso kalkweiß wie sie. Seine
Lippen zitterten und er strich sich fahrig mit den Fingerspitzen übers
Kinn. Erst als Orianna neben ihm stand, bemerkte er ihre Anwesenheit.
„Das... das ist schrecklich...“, brachte sie hervor ohne den Blick von dem
farbigen Hologramm zu nehmen, dass nun über die Peripherie des
Senatsviertels schwenkte und mächtige Rauchsäulen zeigte, zwischen
denen todbringendes Blasterfeuer aufflammte.
Bithras nickte knapp. „Ich habe viele Berichte über die bisherigen
Krisengebiete gelesen, derentwegen die Handelsrouten verlegt wurden,
doch dieser Stich ins Herz der Republik.“ Er seufzte. „Entweder wird der
Senat alle Handelsstraßen in den Kern umleiten oder aber das Chaos, dass
ohne Palpatines Führung entstehen würde, bringt die Wirtschaft außerhalb
der Kernwelten völlig zum Erliegen.“
130
Orianna presste die Lippen zusammen. War das alles, woran er dachte?
Wirtschaft und Geld? Was war mit all dem Leben, dass auf Coruscant
ausgelöscht worden war? Was war mit Ilya?
„Wo ist Casseia?“ fragte sie dann, um sich selbst, als auch Bithras vom
Thema des Krieges weg zu locken.
„Schlafzimmer“, brummte ihr Schwager ohne sie anzusehen. „Offenbar
hat es wieder nicht geklappt mit dem Baby.“
Orianna wusste nicht recht, was sie schlimmer finden sollte: Dass er
keinen Gedanken an Ilya, seinen Partner, verschwendete oder dass es ihm
egal war, ob seine Frau traurig war oder nicht. Wie viele Male hatte
Casseia nun schon versucht Bithras’ Kind zu empfangen? Sie wusste es
nicht mehr. Und obwohl sie keine allzu sanften Gefühle für ihre Schwester
hegte, so bedauerte sie Casseia doch für ihre Kinderlosigkeit, wo sie sich
doch so sehr danach sehnte.
Als Bithras schließlich wieder in Schweigen verfiel, wandte Orianna
sich von ihm ab und verließ das Wohnzimmer. Ihr Hunger war nun
vollkommen verflogen, also beschleunigte sie ihre Schritte, bis sie
schließlich die letzten Meter des Flurs bis zu ihrem Gemach rannte. Sie
verriegelte die Tür hinter sich, stieß die Tüte mit ihren Einkäufen von einer
Kante des Bettes und ließ sich auf die weiche Matratze fallen. Bittere
Tränen überkamen sie, Tränen der Trauer und des Verlustes, und sie gab
sich ihnen willenlos hin. Der Gedanke, dass sie ihren Liebsten wohlmöglich
während der Kämpfe auf Coruscant gefallen war und sie nie mehr
wiedersehen würde, raubte ihr alle Kraft, alle Hoffnung, wenn nicht sogar
ihren Verstand. Und so lag sie auf ihrem Bett, weinte und schrie den
Schmerz in ihrem Inneren heraus, bis irgendwann eine kühle Dunkelheit
Besitz von ihr ergriff...
MIT EINEM SEUFZEN VERSUCHTE MARA SICH ZU ENTSPANNEN UND DIE
ferne Realität der Erinnerung loszulassen. Wie ein stechender
Schmerz hatten sich Oriannas Tränen in ihre eigenes Sein gebrannt,
um dort eine Narbe zu hinterlassen und während die Bilder erneut
an ihrem geistigen Auge vorbeizogen, ließ die Pein Mara zuckend
zusammen fahren. Hastig schloss sie die Augen, konzentrierte sich,
131
lichtete den Nebel, drängte den Schmerz zurück, bis sie ihn fast
gänzlich abgeschüttelt hatte.
Das Gesicht mit einer Hand bedeckend, lehnte sich Mara auf der
Couch zurück und ruhte einen Moment ihre Augen aus. Sie
versuchte sich auf ihre Umgebung zu konzentrieren, auf das Hier
und Jetzt. So sehr Orianna auch nicht vergessen werden wollte,
Mara konnte es sich nicht leisten, in der Vergangenheit zu
verweilen. Und sie wollte es auch gar nicht.
Langsam wurden die mannigfaltigen Eindrücke der Gegenwart
intensiver. Die alte Couch roch nach abgewetztem Leder, ein
lauwarmer Luftstrom strich über die Härchen an ihren Armen und
auch ohne die geräuschverstärkenden Machttechniken, die Palpatine
sie gelehrt hatte, konnte sie Skywalkers R2-Einheit hören, wie sie in
einer Ecke des Zimmers vor sich hin tutete.
Dann hörte sie Skywalker, wie er barfuss ins Zimmer zu
schleichen versuchte. Doch es blieb auch bei dem Versuch.
„Bitte entschuldigen Sie die Kargheit des Frühstücks“, meinte
Skywalker und stellte einen Teller voll belegter Brotscheiben auf den
Couchtisch, „aber ich wollte Sarzamins Vorratskammer nicht wie
ein dreister Dieb plündern.“
Mara warf dem Teller einen fragenden Blick zu. Deshalb war er
also die letzten zwanzig Minuten verschwunden gewesen.
„Wissen Sie noch, was ich Ihnen bezüglich des Verhaltens als
Gouvernante gesagt habe?“ fragte sie, richtete ihre Aufmerksamkeit
wieder auf den Jedi-Meister und schob dabei fragend eine
Augenbraue nach oben. Skywalker zuckte kaum merklich und setzte
sich langsam und mit Bedacht in einen Sessel, den Blick stur
geradeaus gerichtet, wie ein Kind, dass man gerade bei einem
Streich ertappt hatte.
„Ja.“
„Gut. Gleiches gilt jetzt nämlich auch für jede weitere karitative
Handlungen im Bezug auf meine Person“, gab Mara zurück. Dann
beugte sie sich vor und fischte sich eines der Sandwichs vom Teller.
„Trotzdem danke.“
„Keine Ursache.“
Dann verstummte Skywalker erneut.
132
Oh, da ist es wieder, dieses angenehme Schweigen, dachte Mara
ironisch. Warum schien nur immerzu etwas Ungesagtes zwischen
ihnen in der Luft zu hängen?
„Irgendwie fühle ich mich auch nicht wohl dabei, Sarzamins
Mildtätigkeit zu missbrauchen“, knüpfte Mara an seine anfängliche
Bemerkung an, biss in das Sandwich und kaute für eine Weile
genüsslich. „Wobei ich mich immer wieder frage, warum eine so
sanftmütige Frau völlig allein am Rande der Wildnis in diesem
riesigen Haus lebt. Muss ziemlich trostlos sein.“
Skywalker bedachte sie mit einem durchdringenden Blick und
machte ein Gesicht, als läge ihm eine Bemerkung auf der Zunge, die
er nicht wagte auszusprechen. Mara schluckte ihren Bissen hinunter,
hielt dann jedoch inne und sah ihn prüfend an.
„Spucken Sie's aus, Luke“, sagte sie, „bevor Sie noch daran
ersticken.“
Er schluckte, beugte sich dann im Sessel vor und stützte die
Ellbogen auf die Knie. Für einen weiteren Moment studierte er ihr
Gesicht, als legte er sich die richtigen Worte zurecht.
„Finden Sie nicht, dass wir Sarzamin zumindest befragen sollten?
Vielleicht kann sie uns Auskunft darüber geben, was jeweils
zwischen den Erinnerungen passiert ist, die Sie gesehen haben“,
erwiderte er dann. „Immerhin war Orianna ihre beste Freundin.
Eine beste Freundin, die ihr einfach so ein riesiges Anwesen
hinterlassen hat.“
„Damit würden wir sie nur unnötiger Gefahr aussetzen. Denn
wenn wir sie befragen würden, würde sie uns wiederum fragen,
woher wir derart intime Details aus dem Leben ihrer verstorbenen
Freundin kennen. Und damit müssten wir sie auch über May
Montross einweihen und ich möchte nicht das Risiko eingehen, dass
sie das Opfer einer gescheiterten Imperialen Agentin wird, nur weil
sie hilfsbereit war. Diese Leute vom Imperial Intel wollten von jeher
selbst bestimmen, wer ihre wahre Identität kannte und wer nicht.
Außerdem war May schon einmal in ihrem Laden, es wäre also es
leichtes für sie, Sarzamin ausfindig und unschädlich zu machen.“
„Aber...“
133
„Skywalker“, schnitt sie ihm das Wort ab, „ich mag mir zwar in
letzter Zeit einige Fehleinschätzung geleistet haben, aber ich kenne
den Imperial Intelligence und seine Methoden besser, als mir lieb ist.
Vertrauen Sie mir.“
Während er sich über die Lippen leckte und Schweigen einer
Erwiderung vorzog, widmete Mara sich erneut ihrem Frühstück.
Obwohl sie in der vergangenen Nacht sehr lange geschlafen hatte,
fühlte sie sich nicht ausgeruht. Ihre Visionen entzogen ihr mehr
Kraft, als sie in einer Nacht zurück gewinnen konnte. Doch sie
konnte sich nur schwer der Kraft des Medaillons entziehen. Als sie
sich in der Nacht im Bett hin und her gewälzt hatte, war ihr sogar
gelegentlich der Gedanke gekommen, sie würde von einer Art Sog
oder Bann beeinflusst. Und diese Vorstellung missfiel ihr
außerordentlich.
Sie fühlte sich die Stirn, spürte jedoch keinerlei unnatürliche
Wärme, keinen Fieberschub, nur eine unendliche Schwere. Je eher
sie May in die Finger bekam, umso besser.
„Sagen Sie, Luke, was ist aus den Untersuchungen geworden, die
Sie Ihrer R2-Einheit aufgetragen haben? Die über May?“
„Oh“, machte Skywalker und nickte R2-D2 zu, der sogleich an
die Seite seines Sessels gerollt kam. Er öffnete eine kleine,
unscheinbare Klappe an der Kuppel des Droiden und brachte zwei
Datenkarten zum Vorschein. „Die sind hier.“
Er reichte sie ihr, stand erneut auf und eilte aus dem Zimmer, um
ein Datapad zu holen. Wenige Augenblicke später kam er wieder
und übergab ihr auch dies. „Ich habe die Daten nur kurz überflogen,
während sie geschlafen haben. Allerdings war nicht besonders viel
zu finden.“
„Das war zu erwarten. May ist immerhin eine Imperiale Agentin.
Wir sind alle darin ausgebildet worden, wie ein Schatten
aufzutauchen, unsere Arbeit zu erledigen und ohne Spuren zu
hinterlassen wieder zu verschwinden. So waren wir in diesem
Wirken am effizientesten“, erklärte Mara und schob die erste
Datenkarte in das Pad. Dieses erwachte mit einem kurzer Summen
und einem Aufflackern zum Leben. Skywalkers Astromech-Droide
hatte lediglich drei offizielle Einträge in den ihnen zugänglichen
134
Ressourcen finden können, allesamt Überbleibsel der alten
imperialen Archive auf Coruscant. Auch dies war zu erwarten
gewesen. May Montross war zu unbedeutend, um in die Annalen
der Neuen Republik übernommen zu werden.
Mit einem schnellen Tastendruck öffnete sie den ersten Eintrag,
einen Artikel, der vom Imperialen Nachrichtendienst verfasst
worden war. Es genügte ihr, den Artikel nur kurz zu überfliegen, da
er nur vor Propaganda des ISB gegen die Rekrutierungsmethoden
des Imperial Intel voll gestopft war. Eine eher enttäuschende
Ausbeute. Ein paar Klicks später bauten sich die Daten des zweiten
Eintrags vor ihr auf. Dabei handelte es sich offensichtlich um eine
Art Aktennotiz des Imperial Intelligence, die einige Monate vor dem
Artikel des ISB verfasst worden war.
„Das Subjekt May Lynn Montross ist unverzüglich der Imperialen
Gerichtsbarkeit zu überstellen“, las Mara gedankenverloren vor und
studierte das Kürzel unterhalb der Notiz. „Gezeichnet von Ysanne
Isard.“
Auch die nächsten drei Einträge waren nicht weiter hilfreich. Die
einzige Spur, die May in dieser Galaxis hinterlassen hatte, war ihr
recht kurzer Prozess vor dem Imperialen Gericht auf Coruscant. Ihre
gnädige Bestrafung, die sie erhalten hatte, schien jedoch vor der
Öffentlichkeit geschützt und unter den Teppich gekehrt worden zu
sein. In all dieser spärlichen Ausbeute gab es nicht einmal ihre alte
Dienstnummer, das wäre durchaus hilfreich gewesen.
„Dank der Dienstnummer hätte ich vielleicht über die
Schmuggler Allianz an die alten Imperialen Archive gelangen
können“, erklärte sie Skywalker, als sie das Datapad abschaltete und
es neben den nun leeren Teller auf den Tisch stellte. Es fiel er
schwer, ihre Enttäuschung zu verbergen.
„Wäre dies ein einfacherer Weg?“
„Einfacher, als Sie zurück nach Coruscant zu schicken, um dort
Ihren Status in Waagschale zu werfen, um von den örtlichen
Behörden autorisiert zu werden.“
Skywalker nickte zustimmend und seufzte. „Wo Sie Recht haben,
haben Sie Recht.“
135
Dies war der Moment, da ein leises Zirpen die restliche Stille im
Raum unterbrach. Beide blinkten sie sich mit gerunzelter Stirn an,
dann sagte Mara: „Mein Comlink?“
Sie erhob sich und durchquerte das Zimmer, wo auf einer
Kommode ihr Comlink und all die anderen Habseligkeiten lagen,
die sie gewöhnlich am Gürtel trug.
„Mara Jade?“, meldete sie sich, einen fragenden Unterton in der
Stimme.
„Miss Jade“, begrüßte sie eine nervös klingende Männerstimme.
„Hier spricht Captain B’laqua von der örtlichen Sicherheit von
Solely City. Entschuldigen Sie die Störung, doch es hat hier… äh…
einen kleinen Zwischenfall gegeben. Der Leiter der Hafenbehörde
hat mich gebeten Sie zu kontaktieren.“
Ihre Blicke flogen hinüber zu Skywalker, der auf die Kante des
Sessels gerutscht war und sie aufmerksam ansah. Seine Miene
spiegelte ihre eigene Skepsis und Sorge wider.
„Ein Zwischenfall?“
„Ja. Es sieht so aus, als hätte sich jemand unbefugt Zugriff auf Ihr
Schiff verschafft.“
WÄHREND SIE FUHREN VERDUNKELTE SICH DER HIMMEL ZUSEHENDS
und schließlich begann es zu nieseln, als Luke und Mara mit dem
Speeder in Solely City ankamen. Ohne Umschweife steuerte
Skywalker das Fahrzeug durch die engen Gassen der Siedlung. Sie
hatte ihm freiwillig das Steuer überlassen. Nicht nur, dass sie
körperlich ausgelaugt war, nun mischte sich in ihre Frustration auch
noch eine züngelnde Flamme der Wut. War es nicht genug der
Hetzjagd, musste Montross nun auch noch ihr Eigentum
beschmutzen? Damit war ihre Gegnerin eindeutig zu weit gegangen.
Als sie schließlich beim Raumhafen ankamen, herrschte unter
den anwesenden Sicherheitskräften und den Beamten der
Hafenbehörde helle Aufregung. Auf ihrem Weg zum Büro des
Hafenleiters passierten sie einige Zivilisten, die sich mit den
Beamten stritten, während die Polizisten eine Landebucht nach der
anderen untersuchten, ob auch diese von dem Überfall betroffen
136
waren. Handelsvertreter verlangten, wieder zu ihren Schiffen
gelassen zu werden oder über die genaue Lage informiert zu
werden.
„Sir, in diesem Augenblick können wir Ihnen noch nichts
Genaueres sagen.“
„Seien Sie unbesorgt, die Landebuchten werden so rasch wie nur
möglich wieder freigegeben.“
„Ich bedauere, doch ich bin nicht befugt…“
Der Hafenleiter selbst schien nun weniger erfreut, als Skywalker
und sie in das Büro eintraten. Er warf ihnen nur einen raschen,
fahrigen Blick zu, während drei Männer über eine Konsole gebeugt
standen und angeregt über etwas diskutierten. Schließlich drehte
sich einer von ihnen um, ein kleiner, etwas untersetzter Mann, der
bereits im Herbst seines Lebens angekommen war. Seine fliehende
Stirn wurde von einem äußerst hohen Haaransatz abgeschlossen
und sein Haar selbst schien ausgedünnt und verblichen.
„Captain B’laqua, nehme ich an“, sagte Mara, als sie den Mann
erreichte. „Mara Jade.“
„Vollkommen korrekt“, erwiderte der Captain und schüttelte zu
erst ihre, dann Skywalkers Hand. „Ich muss mich bei Ihnen für
diesen Vorfall entschuldigen. Seit Jahren haben wir hier nicht mehr
solche Unannehmlichkeiten gehabt.“
„Das kann ich mir vorstellen.“ Die Kühle in ihrer Stimme wurde
von Skywalker mit einem befremdeten Blick belohnt. „Was ist nun
mit meinem Schiff?“
B’laqua räusperte sich ausgiebig und strich sich dann sein
dünnes Haar zurück. Dann erläuterte in knappen Worten, was den
Aufruhr verursacht hatte: Ein Schiff, dessen Kennung und Daten
einfach so vom Bildschirm und aus dem Sicherheitssystem des
Raumhafens verschwunden war. Dieses ungewöhnliche Ereignis
war zwar vom Computer gemeldet und an die örtliche Polizei
weitergeleitet worden, weil ein Diebstahl oder ähnliches zu
befürchten war.
„Doch erst später, nachdem wir das betroffene Schiff überprüft
hatten, machte sich eine Person auf den Schirmen verdächtigt. Der
Eindringling betrat die von Ihnen angemietete Landebucht, wie wir
137
vermuten ohne Ihre Befugnis. Als wir unsere Männer dorthin
schickten, um den Eindringling zu stellen. Wir konnten jedoch an
keinem der beiden Schiffe einen Schaden entdecken. Natürlich
müssten Sie selbst den Innenraum Ihres Schiffes checken, aber wir
konnten keine Anzeichen für gewaltsames Eindringen von Außen
feststellen. Im Nachhinein zeigte sich dann, dass die Sperre für Ihre
Landebucht durch einen Hacker manipuliert worden war. Man
könnte sagen, die Tür stand sperrangelweit offen“, erklärte er. Mara
starrte ihn einige Atemzüge lang an, ehe er sich zum Hafenleiter
umwandte und diesen heran winkte. Die Männer tauschten etwas
aus. Aus dem Augenwinkel sah es aus wie eine kleine, weiße Karte
aus Flimsiplast.
„Ein Täuschungsmanöver?“, vermutete Luke im Flüsterton.
„Wenn ja, dann ein sehr schlechtes“, meinte Mara trocken. „Hätte
May uns täuschen und über ihre Identität im Unklaren lassen
wollen, hätte sie ihre Schergen angewiesen, sämtliche Landebuchten
zu öffnen. Wahrscheinlich hätte sie auch einige Doppelgänger
angeheuert, um die Aufmerksamkeit von sich fort zu lenken. Sie
wollte, dass wir beide, Sie und ich, sehr wohl wissen, dass sie es
war.“
„Woher wollen Sie das so genau wissen?“ fragte Luke, die Stirn
argwöhnisch in Falten gelegt.
„Imperiale Standardprozedur.“ Sie wandte sich erneut an den
Captain der Hafenaufsicht. „Haben Sie eine Ahnung, wo der
Eindringling sich momentan aufhält?“
„Nein, das wissen wir nicht“, sagte er peinlich berührt. „Als wir
die Landebucht durchsuchten war keine Spur mehr zu sehen. Alles
war wie ausgestorben.“
Mara unterdrückt ein frustriertes Seufzen. Natürlich, die alte
Imperial Intel-Masche. Eigentlich war es nicht verwunderlich, dass
May den Sicherheitsleuten entkommen war, sie war für diese Leute
zu gut ausgebildet. Wenn sie wollte, konnte sie nicht gesehen
werden – zu einem formlosen Schatten werden.
„Allerdings“, betonte er, „fanden wir das hier. Es war an die
Außenhülle des Schiffs geklebt und das nicht einmal sehr
professionell.“
138
Mara zögerte einen Augenblick, dann nahm sie das Kärtchen von
ihm entgegen. Es war auf einer Seite sehr kunstvoll beschrieben
worden. Eine aalglatte Schönschrift, die nichts über die
Persönlichkeit des Schreibenden ausgesagt hätte.
Geboren am Morgen,
Nur Leiden und Sorgen.
Nachmittagskind,
Im Leiden geschwind.
Abends entbunden,
Das Leiden schlägt Wunden.
Geboren zur Nacht,
Wird's wie morgens gemacht.*
_______________
(* aus Gregory Maguires Wicked – die Hexen von Oz)
Mit zusammen gezogenen Augenbrauen starrte sie das Gedicht
an und fragte sich, was May damit wohl wieder bezwecken wollte.
Erquickende Poesie als Ausgleich für die Nerven, die sie Mara
bereits gekostet hatte? Dann drehte sie das Kärtchen und fand zu
ihrem Erstaunen auch auf der Rückseite eine Notiz.
Café „Irinari“, 16 Uhr am morgigen Tag.
IIBS-61 661
„Wenigstens war sie so freundlich, uns ihre Dienstnummer zu
geben“, murmelte Skywalker. Mara war sich nicht ganz sicher, ob er
sie damit aufzuheitern versuchte.
„Wie hieß das Schiff, dessen Kennung der Computer als
fehlerhaft meldete?“ fragte sie aus einer Eingebung heraus.
Daraufhin eilte der Captain hinüber zu einem Datapad und kam
damit zurück zu ihnen.
„Wollen sie den alten oder den aktuellen Namen?“
Sie runzelte die Stirn und wusste, ohne hinzusehen, dass
Skywalker dasselbe tat.
„Wie bitte?“
139
„Nun, vor einer halben Stunde wurden die Daten des Schiffes,
das von unserem Eindringling wohl als Tarnmanöver verwendet
wurde, wieder in das System eingetragen. Vor dieser temporären
Löschung war das Schiff als die Pride of Vengeance registriert.“ Er
machte eine vielsagende Pause. „Nun ist das gleiche Schiff unter
dem Namen Nightflight eingetragen.“
Augenblicklich spürte sie Skywalkers Hand in ihrem Rücken, als
wollte er sie vor einem Sturz bewahren. Doch sie kämpfte gegen das
gefährliche Schwanken an und sprach mit fester Stimme weiter.
„Ich danke Ihnen“, sagte sie zu B’laqua, der den Kopf vor ihr
neigte und sich abwandte. Er bellte bereits zwei junge Polizisten an,
die etwas unkoordiniert in der Gegend umherstreiften, während
Mara erneut das Kärtchen anstarrte und gegen den bitteren
Geschmack in ihrem Mund ankämpfte.
May war schon sehr gerissen, dass musste sie zugeben. Gerissen
und allen Anscheins nach war auch eine Spur wahnsinnig. Der
subtile Hinweis an ihrem Schiff, der Tumult im Hafenbüro, all das
war eine regelrechte Einladung, eine Aufforderung zum Spiel zweier
Schatten. Den Schatten des Imperiums.
Gedankenverloren wandte sie den Blick ab, ließ ihn hinüber zu
einem Fenster auf der anderen Seite des Büros wandern. Die
Peripherie des kleinen Raumhafens und die Welt dahinter war nun
vollständig durch einen grauen Schleier verhüllt. Einen Schleier, wie
sie ihn aus Oriannas Erinnerungen kannte. Der Regen fiel
unbarmherzig in großen Tropfen auf die Erde und schien alle
anderen Geräusche zu ersticken. Als gäbe es auf Dantooine nichts
weiter als den Regen und das satte Rot und Grün der Natur...
„Und was jetzt?“ fragte Luke schließlich.
„Was wohl?“, gab Mara zurück, „ich nehme ihre Einladung an.“
ES REGNETE BEREITS SEIT TAGEN, BESTÄNDIG, UNAUFHÖRLICH, UNUNTERbrochen, als würde der Himmel über Dantooine all die Tränen weinen, zu
den Orianna nicht mehr fähig war. Der graue Regenschleier schien die
Leere in ihrem Inneren wie ein bleierner Vorhang zu bedecken.
140
Es war für sie kaum vorstellbar, dass erst vor wenigen Wochen ein
Krieg zu Ende gegangen war, der sie und ihre Familie nicht nur in eine
finanzielle, sondern auch viele Monate lang in eine emotionale Krise
gestürzt hatte. Wenig hatte sich seitdem in Solely City geändert, außer,
dass man nun an jeder Straßenecke von den Neuerungen sprach, die
Palpatine für sein Galaktisches Imperium vorgesehen hatte. Viele der
Händler, deren Geschäfte ebenso schlecht gelaufen waren wie Bithras',
waren deswegen schon in heller Aufregung.
Eine dieser Neuerungen war der neue Ausweis, der in diesem
Augenblick auf Oriannas Schoß ruhte. Ein langweiliges graues Ding, nicht
einmal groß genug, um ihren Handteller auszufüllen und kaum dicker als
ein einfaches Stück Flimsiplast. Gelangweilt betrachtete sie die kleine Karte
und versuchte sich die Markierungen am oberen Rand genau einzuprägen,
was ihr allerdings nicht wirklich gelang. Seit dem Tag, als die Separatisten
über Coruscant hergefallen waren, fiel es ihr schwer, sich auf irgendetwas
zu konzentrieren. Oft bemerkte sie weder das Kommen und Gehen ihrer
Mitmenschen, noch Sonnenauf- oder Sonnenuntergang. Es konnte regnen,
so wie heute, und es war ihr egal.
Mit einem sanften Ruck ließ Bithras den Speeder nach rechts in eine
Seitenstraße abbiegen, während Casseia auf dem Beifahrersitz
gedankenverloren aus dem Sichtfenster in den Regen starrte. Orianna
stemmte sich auf ihrem Sitz hinter Bithras kurz in die Höhe, um ihr
Gewicht zu verlagern. Wenig später wurden sie langsamer und hielten
schließlich an.
„Wir sind da“, informierte er die beiden Schwestern und klang dabei,
als würde er sich nicht ganz trauen, überhaupt etwas zu sagen. Orianna
verübelte es ihm nicht; Casseia konnte in letzter Zeit öfters der
Geduldsfaden reißen.
Ohne große Eile löste sie die Sicherheitsgurte und stieg aus dem
Speeder, das Gesicht unter einer schützenden Kapuze verborgen. Auf der
anderen Seite tauchte Casseias Kopf auf. Auch sie beeilte sich, ihre Kapuze
überzustreifen, um nicht weiter durchnässt zu werden. Ausdruckslos
starrte Orianna die dicken Regentropfen an, die vom Wasser abweisenden
Mantel ihrer Schwester perlten. Bithras sicherte das Fahrzeug, während die
beiden Schwestern bereits die Treppenstufen vor dem Haupttor des Med-
141
Zentrum empor klommen. Es war kein fröhlicher Tag, selbst wenn Ilya
daheim auf die Rückkehr der Familie gewartet hätte.
Denn endlich, nach mehr als vier langen Jahren des Leidens, war ihre
Mutter auf die andere Seite der Macht übergetreten. Anfangs hatte
Orianna sich gefragt, was sie wohl nun mit all der freien Zeit anstellen
sollte. Sie war bereits so sehr daran gewöhnt jeden zweiten Tag – immer im
ständigen Wechsel mit Casseia – in die Siedlung zu fahren, um ihrer
Mutter dabei zuzusehen, wie sie langsam vor sich hin gestorben war, dass
es ihr abwegig vorkam, die alte Frau könnte wirklich aus dem Leben
geschieden sein. Nun gab es für Orianna nichts mehr, um das sie sich
scheren musste. Das Anwesen – und damit ihr ganzes Leben – war nun so
gut wie sicher in Bithras und Casseias Händen. Alles was ihr blieb waren
wohl Sarzamins Besuche, wenn sie mit ihrem Vater am Ende der Woche
zum Anwesen kam, um den Garten zu pflegen. Sie war ihre einzige
Verbindung zu den Dingen außerhalb ihrer beschränkten kleinen Welt.
Sarzamin schien manchmal aus einem anderen Universum zu stammen,
aus einer wunderlichen Galaxis weit jenseits der blauen Energiebarrieren,
die das Anwesen schützten.
Und doch glaubte Orianna bereits das Getuschel der Siedler hören zu
können, wie sie sich beim Einkaufen darüber unterhielten, was aus dem
Hause Matale geworden war, der stolzen Familie, die sich seit mehr als
4000 Jahren in die Geschichte Dantooines einschrieb.
„Die Marjumdars sind nur ganz entfernt mit den Sandrals verwandt",
hörte sie die Leute sagen. „Eine ganz dünne und schwache Blutlinie. Frex
Sandral wird alles von seinem Vater erben, die Marjumdars sehen von dem
Geld kein Stück.“
„Natürlich nicht, darum haben sie ja auch den alten Cailetet dazu
überredet, mit der älteren Matale-Tochter anzubandeln.“
„Ja, und jetzt kann sie keine Kinder kriegen und wirft das Geld ihres
toten Vaters zum Fenster raus. Erst neulich hat sie eine Bestellung für
sündhaft-teure Rinkenseide bei uns in Auftrag gegeben. So treiben sie sich
langsam in den Ruin.“
„Nun, die Jüngere ist mir auch nicht geheuer. Die wandelt umher wie
ein lebendiger Geist.“
Voll Bitterkeit dachte Orianna daran, welches Loblied die Siedler von
Solely City noch auf die Heirat zwischen Bithras und Casseia gesungen
142
hatten. Wie sie alle angekrochen waren, die Kusinen dritten Grades oder die
um viele Ecke angeheirateten Tanten und Onkel. Wie viele Siedler hatten
sich vor 7 Jahren noch an eine alte, entfernte und längst vergessene
Verwandtschaft erinnert, nur um als Gast zur Hochzeitsfeier eingeladen zu
werden?
Andererseits kam Orianna nicht umhin ihnen zuzustimmen, was
Casseias Betragen betraf. Nachdem sie sich vom Essen abgewandt hatte, um
nicht die Maße eines Hutts anzunehmen, war sie stattdessen dazu
übergegangen, ihrem Unglück mit teuren Kleidern, Schmuck und
sonstigen Luxusgütern entgegenzuwirken. Ganz gleich, ob ihr Mann
angesichts der eingehenden Rechnungen kalkweiß im Gesicht wurde und
zu überlegen begann, welches Erbstück sie am besten versetzen sollten, um
nicht durch Casseias Konsum dem Bankrott anheim zufallen. Sie hatte eine
Sucht durch eine andere ersetzt.
Orianna hatte selbstverständlich keinen Einfluss auf derartige Dinge.
Der Kampf um das Erbe, das Anwesen, das Geld, einfach alles war schon
vor ihrer Geburt beigelegt worden. Casseia war nun einmal als Erste
geboren worden und hatte stets das Wohlwollen und die Aufmerksamkeit
der Eltern ganz für sich allein beansprucht. Schon früh hatte Orianna
keinen Sinn darin gesehen, mit Casseia um die Gunst von Vater und
Mutter zu wetteifern. Und nun war es ohnehin zu spät dafür...
Im Inneren des Med-Zentrums schloss Bithras wieder zu ihnen auf, wo
sie vom kühlen Durastahl und dem Geruch von Desinfektionsmittel
begrüßt wurden. Überall in der Eingangshalle strömten Reinigungsdroiden
umher und polierten den weißen Boden auf Hochglanz; der verzweifelte
Versuch, die ärmliche Ausstattung der Behandlungsräume und den
Mangel an Medikamenten und qualifizierten Arbeitskräften zu vertuschen.
Würde Orianna hier nicht ein und ausgehen, hätte sie vielleicht noch einen
Gedanken für diese sinnlose Effekthascherei übrig gehabt.
Ihre Füße trugen sie beinahe automatisch zu den Turboliften hinüber.
Bithras hielt Casseias Hand, sagte jedoch nichts. Auch die Schwestern
schwiegen, während der Lift zur fünften Ebene aufstieg. In der Abteilung
für Innere Medizin wurden sie sogleich von einer kleinwüchsigen
Pflegerein empfangen und in das Büro des leitenden Arztes geführt. „Der
Leichnam ihrer Mutter befindet sich im Augenblick noch in der Pathologie.
143
Aber wir können Ihnen versichern, dass Sie nicht gelitten hat“, sagte die
Pflegerin.
Bei dem Wort „Leichnam“ ließ Casseia ein zunächst trockenes
Schluchzen hören, als bräche ihre Trauer endlich aus ihr heraus, und sank
dann ermattet auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch des Arztes. Doch
während Bithras sich beeilte, die Hand seiner Frau zu drücken und ihr
beruhigende Worte ins Ohr zu flüstern, damit sie nicht in einen
hysterischen Weinkrampf ausbrach, stand Orianna am Fenster und starrte
teilnahmslos aus dem Fenster. Casseia weinte zu oft, um noch glaubhaftes
Mitleid in ihr erwecken zu können.
Die Pflegerin verließ das Zimmer. Wenig später erschien dann der
behandelnde Arzt und begrüßte die Familie. Kaum hatte er das Wort an
Casseia gewandt, gab es für diese kein Halten mehr. Hemmungslos
schluchzend warf sie sich in die Arme ihres Ehemannes und ließ ihren
Verstand mit ihren Tränen davon schwimmen. Bithras und der Arzt
wechselten verdatterte Blicke. Mit einem „Vielleicht wäre es besser,
wenn...“ schob der Arzt das Ehepaar langsam zurück zur Tür und riet
ihnen, sich an die Pflegerin zu wenden, damit sie Casseia ein
Beruhigungsmittel verabreiche. Er würde sich inzwischen mit Orianna
unterhalten.
Diese stand noch immer ungerührt am Fenster und starrte in den
Regennebel, als der Mann schließlich zurückkam. Dennoch entging ihr
nicht die Erleichterung auf seinem Gesicht, als er sich hinter seinen
Schreibtisch setzte und ein paar Tasten an der Konsole bediente.
„Möchten Sie etwas trinken?“ fragte er.
„Nein, danke.“
„Möchten Sie sich nicht setzen?“
Orianna antwortete nicht.
„Eigentlich ist es ganz gut, dass Ihre Schwester nicht hier ist“, gestand
der Arzt und überging damit Oriannas Mangel an Reaktion, „immerhin ist
manches von dem, was ich Ihnen nun anvertrauen werde, nicht gerade
leicht zu verdauen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Es wäre ihrem
seelischen Zustand nicht zuträglich.“
„Sie ist ein schwacher Mensch“, sagte Orianna schlicht.
„Vielleicht“, erwiderte der Arzt. Seine Finger huschten flink über ein
Flüssigkristalldisplay, das in die Tischplatte eingelassen war. Aus dem
144
Augenwinkel entdeckte sie einige Akteneinträge und Befunde. „Wie dem
auch sei, Ihre Mutter ist in der vergangenen Nacht zwischen 1.15 und 1.30
Uhr gestorben. Ihr Herz hat einfach aufgehört zu schlagen, während sie
geschlafen hat. Ein sehr gnädiger Tod, wenn man bedenkt, wie lange sie
nun schon bei uns war.“
„Warum sollte dies meine Schwester so sehr entsetzen? Uns war klar,
dass sie eines Tages stirbt“, sagte Orianna sachlich.
„Das schon. Allerdings war nicht ihr Herzkreislaufsystem belastet,
sondern ihre Nervenleitbahnen. Hätte sie einen Schlaganfall gehabt oder
eine andere Störung im Zentralen Nervensystem, wäre sie eine
schockartigen, schmerzhaften Tod gestorben. Sie waren ja dabei, als sie
ihren ersten Anfall hatte.“ Er berührte einige Elemente auf dem Display
mit einem dünnen Stift und blätterte durch die Patientenakte, die man für
Oriannas Mutter angelegt hatte. Es dauerte eine Minute, ehe er langsam
weiter sprach. „Das Besondere an ihrem Tod ist, dass sie eben nicht ihrer
Krankheit erlag.“
„Worauf wollen Sie hinaus?“
„Wissen Sie“, sagte er langsam, „ich habe in den vergangenen 4 Jahren
einige Theorien über den Zustand ihrer Mutter aufgestellt. Die meisten
davon musste ich wieder verwerfen, weil ihre Beschwerden sich einfach
nicht damit in Einklang bringen ließen. Eines machte mich immer stutzig.
Ich glaube, Ihre Mutter war im Inneren zerrissen. Einerseits sehnte sie
sich nach der Wiedervereinigung mit ihrem Ehemann, andererseits
klammerte sie sich an einen Gedanken, der sie aufrecht hielt, der sie davor
bewahrte zu sterben. Das allein ist, denke ich, der Grund dafür, dass sie
einerseits so bald nach dem Tod ihres Mannes erkrankte und doch so lange
weiterleben konnte.“
Langsam drehte der Arzt den dünnen Stift zwischen den Finger und
starrte ihn an, damit er Orianna nicht ansehen musste, welche nun ihre
Blicke vom Regen jenseits des Zimmers abwandte.
„Ihre Schwester selbst hat mir den Beweis dafür geliefert, wissen Sie.
Als sie vor kurzem hier war wegen einer Untersuchung. Als man ihre
Unfruchtbarkeit diagnostizierte, muss das irgendwie seinen Weg in das
Krankenzimmer Ihrer Mutter gefunden haben. Zumindest würde es mit
einem zusammenpassen.“
„Und was soll das sein?“ fragte Orianna, die nun aufmerksam zuhörte.
145
„In ihren klaren Momenten sprach Ihre Mutter oft von Casseia und
Bithras. Sie sprach sogar ungewöhnlich oft davon, wie sehr sie sich einen
Enkel wünsche und manchmal – so haben es mir zumindest die Pfleger
gesagt – beschimpfte sie Casseia, dass sie sich nicht genug anstrenge, um
ein Kind zu bekommen.“
„Und als sie dann erfuhr, dass meine Schwester aus medizinischer
Hinsicht keine eigenen Kinder empfangen kann...“, führte Orianna finster
fort. „Ich verstehe schon.“
„Und leider haben wir hier auf Dantooine oder in den umliegenden
Systeme nicht die medizinischen Fähigkeiten, um ihre Schwester zu heilen,
dafür ist ihr Problem zu selten und zu speziell. Eigentlich ist der ganze
Sektor medizinisch unterentwickelt. Die wenigen modernen Einrichtungen,
die wir haben, wurden entweder durch separatistische Streitkräfte zerstört
oder werden weiterhin von den Kernwelten beansprucht. Ganz zu
schweigen davon, dass dort exorbitante Behandlungskosten erhoben
werden“, bemerkte er mit einem freudlosen Lächeln. „Daran merkt man
wieder einmal, wie zurück geblieben dieser Planet eigentlich wirklich ist.“
Orianna nickte bloß. Was sollte sie dazu schon sagen? So, wie er es
dargelegt hatte, ergab es durchaus Sinn. Manches hatte sie sich selbst
bereits gedacht, jedoch nicht so konkret in Worte fassen können.
Es vergingen einige Augenblicke voll unbehaglichem Schweigen, bis
Orianna sich von ihm abwandte und langsam zur Tür hinüber ging.
„Wenn das alles ist, bitte ich Sie, mich zu entschuldigen. Ich muss nach
meiner Schwester sehen und dann die weiteren Formalitäten in Angriff
nehmen.“
„Warten Sie!“ Er stand so schnell aus seinem Sessel auf, dass er schon
ein wenig hektisch wirkte. „Da ist noch etwas!“
Mit fragendem Blick kehrte Orianna noch einmal der Tür den Rücken
zu. „Wie bitte?“
„Vor einer Woche kam ein Versorgungsschiff von Garos IV nach
Dantooine. Abgesehen von den Medikamenten, die wir bestellt hatten,
brachten sie auch einen neuen Patienten, einen Mann. Menschlich, 31
Standardjahre alt“, begann er zu erklären und berührte mit dem Stift
erneut die interaktive Fläche seines Schreibtischs. „Seine Verletzung waren
wohl recht arglistiger Natur, nun ja..“ Bei seiner Einlieferung wurde uns
mitgeteilt, dass er vehement darauf bestanden hatte, nach Dantooine
146
verlegt zu werden. Er war wohl fast einen Monat auf Aquilae im
Bactatank, hat zwei weitere in der stationären Behandlung verbracht und
wurde dann erst nach Garos IV und anschließend hierher verlegt. Er wäre
sicherlich schon früher zu uns überwiesen worden, aber der lästige
Papierkrieg dank Palpatines 'Neuer Ordnung'... Sie wissen schon...“
„Worauf wollen Sie hinaus?“ fragte Orianna, die Augenbrauen so dicht
und konzentriert zusammen gezogen, dass sich auf ihrer Stirn eine
senkrechte Falte bildete.
„Ich wollte Sie fragen, ob Sie ihn kennen. Er ist leider noch nicht
vollständig mobil, deswegen konnte ich ihn von der chirurgischen
Abteilung nicht herbestellen. Aber er hat nach Ihnen gefragt.“
Der Arzt deutete mit dem Kinn auf das Flüssigkristalldisplay seines
Tisches, auf dem nun das Bild eines Mannes zu sehen war. Während
Orianna sich langsam dem Tisch näherte, schien ihr Herz mit jedem Schritt
ein bisschen lauter zu schlagen.
„Er hatte keinen Ausweis bei sich. Meinte, er hätte ihn bei den Kämpfen
auf Coruscant verloren.“
„Ilya“, flüsterte Orianna atemlos. „Sein Name ist Ilya.“
„Dann kennen Sie ihn wirklich?“
Es fiel ihr schwer, ihre Blicke, die hypnotisch auf der Projektion auf dem
Display hafteten, auf den Arzt zu lenken.
„Wo, sagten Sie, wird er behandelt?“
„Chirurgische Abteilung“, antwortete der Arzt knapp und starr vor
Verwunderung. „Ebene 1.“
Aufregung pulsierte durch ihre Adern, heiß, brennend, wie damals, als
sie vor den Kath-Hunden davon gelaufen war. Wie damals, als sie in seinen
Armen geendet hatte.
„Entschuldigen Sie mich“, rief sie auf dem Weg zur Tür. Sie entfernte
sich so schnell, dass sie nicht mehr seine Entgegnung hörte.
Vor dem Büro saßen Bithras und Casseia auf zwei Schalensitzen aus
Spritzgussplastik. Sie hatte den Kopf in seiner Schulter vergraben und
schluchzte noch immer herzerweichend, während er weiterhin scheu ihr
Haar und ihre Schultern tätschelte. Erst als Orianna im Laufschritt an
ihnen vorbeihastete und die Absätze ihrer Schule ein donnerndes Traben
von den Wänden hallen ließen, schreckten sie auf und sahen ihr bestürzt
nach. „Orianna?“
147
Sie war bereits bei den Turboliften und wartete auf den Aufzug, als sie
hörte, wie die beiden sich erhoben und ihr langsam folgten.
“Orianna, was ist los? Was hat man dir gesagt? Orianna!?“
Der Lift kam und sie schlüpfte hinein. Sie konnte noch für einen
Augenblick Bithras und Casseia erspähen, ehe sich die Türen wieder
schlossen. Sie beschleunigten nun ihre Schritte, erreichten den Turbolift
jedoch nicht mehr rechtzeitig. „Orianna!“
Ihre Sicht verschwamm. Ihre Erinnerung zerbrach in matt graue
Scherben, die wie ein Nebel die Wirklichkeit verschleierten. Nur ihre
Lungen brannten, doch es störte sie nicht. Sie lief nur, stieß Tür um Tür
auf, suchte ihren Weg zu ihrem Liebsten – und fand ihn schließlich.
Das Zimmer war karg, noch leerer als das, in dem ihre Mutter die Jahre
der Krankheit verbracht hatte. Das matte Licht des Regens fing sich auf den
weißen Wänden und schien sie erdrücken zu wollen. Und doch blühte sie,
so wie es die Blumen taten, nach denen man sie benannt hatte. Sie war kalt
und hart wie Stein gewesen, nur um nun wieder zu kehren, als ein neuer
Mensch.
Ilya lag auf einer Pritsche unterhalb des Fensters, den rechten Arm in
einer provisorischen Schlinge. Narben musterten seine Wangen; eine strich
scharf über seine Nasenwurzel, direkt unterhalb seiner Augen. Und zu
ihrem Bedauern hatte man sein Haar geschoren, denn es war kaum länger
als ein paar Millimeter. Doch er lebte, atmete und starrte fragend in den
endlosen Regen.
Orianna ließ die Woge aus Gefühlen über sich hinweg ziehen, rief
seinen Namen, warf sich in weinend in seine Arme.
„Gib' acht!“, rief er und verzog das Gesicht vor Schmerz. „Die Prothese
ist noch nicht ganz angewachsen.“
Sie hielt inne, starrte ihn an. Trotz des Schmerzes lächelte er, seine
grünen Augen schimmerten freundlich und warm.
„Orianna! Du dumme Kinrath, wirst du wohl...“, hörte sie Casseia nun
auf dem Gang schimpfen. Ihre Stimme kam näher, ebenso ihre Schritte und
kaum einen Atemzug später, erschienen ihre Schwester und ihr Schwager
im Patientenzimmer. Wie vom Donner gerührt stand das Ehepaar da,
starrte Ilya und Orianna mit großen Augen an.
„Bei allen Sternen...“, flüsterte Bithras atemlos.
148
Was auch immer sie nun sagten, Orianna hörte es nicht mehr. Alles,
was nun noch zählte war, dass ihr Liebster am Leben und zu ihr
zurückgekehrt war. Immer wieder küsste sie seinen Mund, seine Wangen,
seine Augenlider, vergaß ihre Schwester und ihren Schwager, vergaß sogar
ganz, warum sie heute eigentlich hergekommen war. Ihr und Ilya war eine
zweite Chance geschenkt worden und dieses Mal würde sie ihn nicht wieder
gehen lassen. Sie lachte und weinte gleichzeitig. Sie war endlich frei.
Als eine Standardwoche später das Testament eröffnet wurde, schien es
ihr fast so, als würde ihre lieblose alte Mutter das ähnlich sehen.
„Hiermit übertrage ich, Timara Jhar Matale, allen Besitz, einschließlich
der Wertpapiere, Grundstücksurkunden, Guthaben bei der Bank von
Chandrila und alle anderen Hinterlassenschaften meines Mannes, Cailetet
Matale, die Eigentum der Matales sind, auf meine Tochter“, sagte die
Hologramm-Aufnahme ihrer Mutter mit sachlicher Stimme und man
konnte hören, wie Bithras und Casseia den Atem anhielten, „Orianna
Matale.“
„FAUGHN? HIER IST JADE. ICH KÖNNTE EINE HELFENDE HAND
gebrauchen“, meldete sich Mara, als der Bursche an der CommEinheit der Starry Ice sie endlich zu seinem Captain durchgestellt
hatte. Sie saß allein im Cockpit der Jade's Fire und wartete darauf,
dass ihre Kollegin sich meldete.
„Jade?“ Shirlee Faughn klang verblüfft. „Mit Ihrem Anruf habe
ich nicht gerechnet. Wo stecken Sie? Wir haben seit Tagen nichts
mehr von Ihnen gehört.“
„Dantooine“, antwortete Mara schlicht. „Unser kleiner Ausflug
nach Ord Mantell hat sich mittlerweile zu einer Art Kreuzzug
ausgedehnt.“
„Was machen Sie denn die ganze Zeit?“ fragte Faughn irritiert.
„Ich meine, Sie sind der Boss, aber Karrde fängt schon an seltsame
Fragen zu stellen.“
„Sagen Sie ihm, ich bin wäre bald fertig, aber ich müsse vorher
noch ein paar Quälgeister aus dem Weg schaffen.“
„Mit der Antwort wird er sich wohl kaum zufrieden geben,
Jade.“
149
„Er wird es müssen“, sagte sie ruhig, aber bestimmt.
Mit einem Seufzen fragte ihre Gesprächspartnerin dann: „Und
wie kann ich Ihnen helfen?“
Mara zeichnete ihr die Ereignisse so grob wie nur möglich nach,
nannte ihr die Dienstnummer, die May auf ihrem Poesiekärtchen
hinterlassen hatte und bat sie, über die geheimen Kanäle der
Schmugglerallianz auf die alten Imperialen Archive zuzugreifen.
„Verstanden“, bestätigte Faughn. „Aber versprechen kann ich
nichts.“
Es dauerte einige Stunden, ehe sie sich wieder meldete.
Skywalker hatte sich die Zeit damit vertrieben, in der Messe der
Jade's Fire Meditationsübungen abzuhalten, während Mara Oriannas
Amulett immer wieder kritisch beäugte und sich auf den nächsten
Schwächeanfall gefasst machte.
„Das ist alles, was wir rausholen konnten“, sagte Faughn in
entschuldigendem Tonfall. „Ich hoffe, es hilft Ihnen weiter.“
„Danke, das wird es“, antwortete Mara. „Guten Flug.“
„Ja, Ihnen auch.“
Mara machte es sich im Pilotensessel bequem, als Skywalker ins
Cockpit kam und sich zu ihr gesellte. „Gute Neuigkeiten?“
„Das werden wir gleich sehen“, murmelte Mara hoch
konzentriert und wühlte sich durch die codierte Datenmenge, die
Faughn ihr geschickt hatte. „Eine Sekunde noch.“
Die bizarren Codes entpuppten sich als eine weitere Aktennotiz
des Imperial Intelligence, doch eine viel informativere als die erste.
Sie war laut Datum wenige Wochen nach der Schlacht um Yavin
angelegt worden.
°INTERNE FAHNDUNGSMELDUNG
Dienst-Nr: IIBS-61 661
Name: Meelam Montross
Spezies: Mensch
Heimatwelt: Sulon
Alter: 25 Standardjahre
Letzter bekannter Aufenthaltsort: Imperial City, Imperiales Zentrum
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„Meelam! Meelam Montross!“, ereiferte sie sich und starrte auf
die Zeile, in der Name eingetragen war. Ihr war, als hätte man ihr
einen Faustschlag in die Magengrube versetzt. „Diese Frau hat nicht
nur das Imperium zum Narren gehalten, sondern die
Schmugglerallianz noch obendrein!“
Und ganz besonders mich, fügte sie in Gedanken hinzu.
Skywalker schien ähnlich verblüfft, zog jedoch nur die Stirn
kraus und sah ungläubig auf das Dokument, während Mara wütend
auf ihre Armlehne einhieb.
„Aber natürlich! M.L.M. Engineering... Ich habe mich schon die
ganze Zeit gefragt, wofür die Abkürzung steht. So einfach, so
simpel, so unglaublich plump! Und ich bin auch noch drauf
reingefallen! Es hat nie einen Ingenieur namens Meelam gegeben,
das war allein sie.“
„Was ist mit dem Mann, den Lando getroffen hat? Was ist mit
dem Verteidigungsnetzwerk, dass man ihm verkauft hat?“
„Vielleicht ein Prototyp, den May mit ihrer Piratenbande auf
ihren Streifzügen über die perlemianische Handelsroute abgegriffen
hat. Es würde mich nicht wundern, wenn nicht sogar sie die
Überfälle auf die Transporter der Schmugglerallianz befohlen hat,
die es nötig gemacht haben, dass Karrde mich überhaupt auf die
Jagd nach neuen Abwehrsystemen schickt. Calrissian hat sie schon
vorher als Kontaktperson in Stellung gebracht und siehe da...“, Mara
fuchtelte mit den Händen in der Luft herum, um einen
Trommelwirbel anzudeuten, „... hat sie mich am Nackenfell!“
„Ganz schön viel Aufwand, um nur einer Person eine Falle zu
stellen, finden Sie nicht?“
„Wer sagt denn, dass May Montross in den Maßstäben eines
Normalsterblichen denkt? Außerdem war Lord Vader auch nicht
gerade klein kariert, als er sein Netz nach Ihnen ausgeworfen hat,
Skywalker.“
Er schürzte die Lippen und eine Spur von Verlegenheit huschte
über sein Gesicht. „Wo Sie Recht haben...“
„Und ich falle auch noch darauf herein!“
151
„Sie konnten ja nicht ahnen, dass Montross noch am Leben war,
geschweige denn, dass sie Ihnen nach dem Leben trachtet oder
warum“, versuchte Luke sie zu beruhigen.
„Es ist trotzdem frustrierend“, grollte sie, ehe sie sich wieder
dem Fahndungsvermerk zuwandte. Sie konnte Skywalkers prüfende
Blicke im Nacken spüren und wünschte sich, er würde stattdessen
verträumt in der Gegend herum schauen oder den Himmel
begutachten. Auf Belderone hatte er das noch so gut gekonnt!
„’Das verdächtige Subjekt ist unverzüglich festzunehmen und
der Gerichtsbarkeit des Imperial Intelligence zu überstellen. Jedem
Agenten ist es gestattet, ihr bei diesem Unterfangen soviel Schaden
wie nötig zuzufügen. Das Subjekt ist lebend in Gewahrsam zu
nehmen. Gezeichnet von Captain Rajasta Djae’“, las Mara vor, deren
Verstand bereits fieberhaft zu arbeiten begann. „Im Auftrag der
Oberkommandantin Ysanne Isard... Rajasta Djae...“
„Kennen Sie ihn?“
„Er hat Montross bei der Leitung des Imperial Intel gemeldet
und war, soweit ich mich erinnern kann, einer der Zeugen in ihrer
Verhandlung. Nicht, dass es ihr irgendetwas genutzt hätte.“ Mara
starrte die Buchstaben auf dem Display konzentriert an.
„Anscheinend war er ihr direkter Vorgesetzter.“
„Sonst noch etwas?“
„Ja, er ist tot.“
Luke runzelte in einer Mischung von Verwirrung und
Verblüffung die Stirn. Wie gut sie diesen schafsköpfigen Blick doch
kannte!
„Ich habe ihn getötet“, fügte Mara mit einem freudlosen Lächeln
hinzu. „Auf Palpatines Befehl hin. Er hat direkte Befehle verweigert
und einige der unbedeutenderen Agenten an die Schwarze Sonne
oder das ISB verkauft, was zu ein paar sehr hässlichen Problemen
nach der Krise auf Teardrop geführt hat.“
„Ich verstehe", sagte Luke schlicht. „Glauben Sie, dass May an
ihm Rache nehmen wollte? Dafür, dass er sie vor das Imperiale
Gericht gezerrt hat?“
„Wozu ich ihr leider die Chance raubte, als ich ihn für Seine
Majestät aus dem Weg geräumt habe?“ führte sie seinen Gedanken
152
weiter vor und gestattete sich ein kurzes Kichern. „Möglich wär's.
Mehr als wahrscheinlich sogar.“
Mara rieb sich mit dem Finger über das Nasenbein und massierte
die inneren Winkel ihrer Augen. Die seltsame Schlaffheit, die sie seit
ihrer Ankunft auf Dantooine, seit den Visionen über Orianna Matale
immer wieder befiel, kam diesmal sehr plötzlich. Ihre Muskeln
schienen mit Gewichten beschwert worden zu sein, als sie sich im
Pilotensessel aufrichtete und aufstand.
„Morgen, wenn ich zurückkomme“, begann sie, „werden wir mit
Sarzamin darüber sprechen. Vielleicht weiß sie mehr.“
Luke sah überrascht auf. „Aber Sie haben doch gesagt…“
„Ich weiß, was ich gesagt habe!“ fauchte sie. „Aber die Dinge haben
sich geändert. Ich glaube, ich weiß jetzt, warum May es auf mich
abgesehen hat. Was ich jedoch noch nicht weiß ist, welche die
Verbindung zwischen ihr und Orianna besteht. Und Sarzamin ist
vielleicht die Einzige, die mir das sagen kann.“
Sie begann ihren Mantel und den Gürtel abzunehmen und ihre
Habseligkeiten sorgsam auf einem Regal zu platzieren. „Und nun
brauche ich etwas Schlaf. Diese Mission ist anstrengender als ich
dachte.“
„Sie werden May doch nicht ernsthaft allein gegenüber treten
wollen?“ fragte Skywalker skeptisch.
„Darauf können Sie Gift nehmen!“
„Aber in Ihrer derzeitigen Verfassung...“
Mara schnitt ihm mit einer heftigen Geste das Wort ab. "Meine
derzeitige Verfassung könnte nicht besser sein!“ beharrte sie und das
Funkeln in ihren Augen verriet ihm, dass die Diskussion damit für
sie beendet war.
Mit müden Knochen und schlaffen Glieder schleppte Mara sich
zu ihrer Kabine und verriegelte die Tür hinter sich. Jede Faser in
ihrem Körper schien erneut nach Schlaf zu schreien. Ihre Augen
brannten, wirkten ein bisschen verquollen, und ihr Kopf lastete
schwer auf ihren Schultern. Selten war ihr die Matratze auf der
einfachen Pritsche so sanft und weich erschienen.
Mara zog die Decke eng um sich, rollte sich wie ein schutzloses
Kind darunter zusammen. Ihr Gesicht, ihre Haut, ihr ganzer Körper
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war vor Kälte fast erstarrt. Sie fühlte sich halb erfroren, wie von
einer undurchdringlichen Schneedecke eingehüllt, dem ewigen,
eisigen Winter des Herzens.
ES WAR KALT, BITTERKALT. JEDER EINZELNE KNOCHEN IN IHREM LEIB
schien bereits zu Eis gefroren zu sein. Hastig warf sich Orianna einen
Mantel aus dünner Wolle über und drapierte ihre Stola so elegant, dass sie
ihre Schultern zusätzlich wärmte.
Überall im Haus verbreiteten die neuen Droiden Geschäftigkeit und
Lärm, doch auch einen Hauch von Luxus und Dekadenz. Sie hatten die
Familie zwar ein kleines Vermögen gekostet, doch die Ausgaben schmerzten
nicht mehr so sehr im Geldbeutel wie zu Kriegszeiten. Wohlstand kehrte
langsam zurück auf das Anwesen und Orianna sonnte sich ein ums andere
Mal in ihrem Glanz als Gutsherrin. Natürlich war sie nicht ungnädig und
überließ Bithras mehr als genug Credits, um sich weiter seinen Geschäften
zu widmen und damit wiederum den Reichtum der Matales zu mehren.
Doch sie musste zugeben, dass sie diese Entscheidung nicht ganz ohne
Hintergedanken getroffen hatte.
Sie fand Casseia im Wohnzimmer, wo sie von der HoloCom-Einheit
hockte und den erloschenen Bildschirm anstarrte. Ihre Schwester war in
Seide und Brokat gehüllt und hatte ihre dunklen, fülligen Locken
kunstfertig nach oben gesteckt. Dennoch waren ihre dunklen Augen leer
und sie kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe herum. Der Ehrgeiz und
die vielen kleinen Süchte, mit denen Casseia sich die Zeit vertrieben hatte,
waren versandet, wie ein Fluss, dem man urplötzlich das Wasser
genommen hatte. Mit einiger Befriedigung stellte Orianna jeden Tag aufs
Neue fest, dass Casseia zum ausdruckslosen Schatten ihres früheren Selbst
zusammengeschrumpft war.
„Irgendwelche Nachrichten?“ erkundigte sie sich sachlich und sank in
den alten Sessel ihres Vaters, in dem sich ihr Schwager sonst so gern
niedergelassen hatte.
„Bithras lässt dir Grüße von Ilya ausrichten. Bisher laufen die
Verhandlungen besser als geplant und sie rechnen damit, mehr als das
Doppelte absetzen zu können. Allerdings zeigen sich die Eriadu wohl nicht
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sehr entgegenkommend, wenn es um die Aushandlung der genauen
Vertragsbedingungen geht.“
„Wann werden sie zurück sein?“
„Er meinte, in drei Tagen. Vielleicht früher.“
Orianna nickte und lehnte sich mit einem zufriedenen Seufzen zurück.
Der Sessel war so groß und sie selbst so zierlich, dass sie sich genüsslich
darin herumräkeln konnte wie in einem Bett.
„Ich kann es kaum erwarten, dass Ilya zurückkommt.“
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie sich Casseias Miene seltsam
verzerrte und ihre Kiefer sich fest aufeinander pressten, als läge ihr wieder
eine ihrer boshaften Bemerkungen auf der Zunge. Das mühsam beherrschte
Missfallen im Gesicht ihrer Schwester bereitete ihr königliches Vergnügen.
„Vielleicht heiraten wir ja schon bald. Wenn die Beziehungen wieder
hergestellt, die Blutkirschen und Perlfrüchte geerntet sind und er und
Bithras nicht ständig quer durch den Sektor reisen müssen, was würde ihn
dann noch davon abhalten.“
Sie formulierte es gezielt nicht als Frage, denn so waren ihre
Provokationen stets am erfolgreichsten. Ganz davon abgesehen hegte sie
keinen Zweifel, dass er sie schon bald fragen würde. Sie hatte schließlich all
die Jahre zu ihm gehalten. Egal, was man ihr sagte, sie wusste, er würde
sie zur Frau nehmen.
„Und wer weiß, in ein oder zwei Jahren, wenn wir uns wieder alles
erlauben können, werden wir süßen, kleinen Matale-Nachwuchs
bekommen.“
„Oh bitte!“ fauchte Casseia. „Kannst du auch an etwas anderes denken,
als daran, ständig mit ihm zu schlafen?“
„Wieso sollte ich?“ Orianna funkelte sie herausfordernd an. „Der Krieg
ist vorbei, ich habe ein Dach über dem Kopf, Essen auf meinem Teller und
Kleidung, die mehr gekostet hat, als sich die meisten Siedler hier im
Standardjahr verdienen. Jetzt sehne ich mich nur noch nach dem Mann in
meinem Bett.“
Casseia erhob sich steif. „Du widerst mich an.“
Die jüngere Schwester richtete sich im Sessel ihres Vaters auf und
beobachtete mit scharfem Blick, wie Casseia wutentbrannt an ihr vorbei
stürmen wollte. Damit bescherte sie ihr keine Heiterkeit, nur Unmut und
155
Missfallen. Eine derart heftige Reaktion hatte sie von ihr gar nicht
erwartet. „Was ist denn?“
„Lass mich in Frieden mit deinen Perversionen!“
Nun flammte echte Wut in Orianna auf und sie erhob sich aus dem
Sessel, Mantel und Stola immer noch eng um ihren Körper geschlungen.
„Wie kannst du es wagen...“
„Nein, Orianna, wie kannst du es wagen?" rief Casseia mit verzerrter
Stimme und deutete mit dem Finger auf sie. "Bei allen Sternen und bei der
Macht, wenn Vater dich nun sehen könnte, das kleine verzogene Gör, das
du geworden bist, dass sich älteren Männern hingibt. Und wenn Mutter
gewusst hätte, dass du Ilyas Loyalität für uns gekauft hast, in dem du in
sein Bett gekrochen bist; sie hätte dir niemals das gesamte Erbe unserer
Familie anvertraut.“
„Ilya hat sich selbst dazu entschieden Bithras zu helfen. Er tut es
bestimmt nicht, weil ich es so wollte. Unsere Liebe hat mit alledem nichts
zu tun.“
„Oh, du bist so unglaublich naiv! Ilya ist ein Geschäftsmann. Glaubst
du ernsthaft, er hätte sich einfach so Hals über Kopf in ein kleines,
unbesonnenes Mädchen wie dich verliebt? Wohl kaum! Die Matales sind
wohlhabend. Vielleicht nicht nach dem Maßstab der Kernwelten, doch in
unserem Sektor sind wir eine reiche Familie, Orianna, sind es schon immer
gewesen. Und wir genossen Einfluss, trotz aller Krisen. Doch letzten Endes
hätte der Krieg deinen Liebsten und damit auch uns beinahe ruiniert! Nun
sind wir der letzte Strohhalm, nach dem er noch greifen konnte, nachdem er
von Coruscant geflohen ist. Es würde mich nicht wundern, wenn er
weniger dich, als vielmehr dein Geld lieben würde.“
„Du! Du bist doch nur verbittert, weil du unfruchtbar bist und dein
Mann nicht mehr mit dir schlafen will!“ Orianna vergaß nun jede
Zurückhaltung und ihr Gesicht war vom Zorn verhärtet. „Das ist der
Grund, warum Mutter mich als Erbin eingesetzt hat, weil ich die Blutlinie
fortführen werde. Und nun kannst du den Gedanken nicht ertragen, dass,
obwohl du immer Mutters Liebling warst, sie am Ende mich ausgewählt
hat. Deine Niederträchtigkeit und dein Selbstwertgefühl verbieten es dir,
mir auch nur einen Hauch von Glück zu gönnen! Nur weil du nicht
glücklich bist, willst du, dass ich es auch nicht bin. Aber du wirst nicht
länger über mein Schicksal bestimmen, Casseia, weder über meines, noch
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über das meiner Kinder! Und nun kannst du dich damit abfinden oder auch
nicht. Die Entscheidung liegt bei dir. Aber verschone mich und uns alle
bitte mit deiner erbärmlichen Selbstgefälligkeit!“
Darauf wusste ihre Schwester nicht mehr zu erwidern. Doch trotz ihrer
Sprachlosigkeit blieb ihre Miene unleserlich, eine Maske aus Kälte.
Den Rest des Tages trafen die Schwestern nicht mehr aufeinander. Als
Orianna am Nachmittag eine kleine, kalte Mahlzeit im Esszimmer zu sich
nahm, teilten ihr die Droiden mit, dass Casseia kurz zuvor das Haus
verlassen hatte. Angeblich wollte sie sich die Pflanzung der neuen
Perlfruchtbäume auf dem Osthang ansehen.
„Selbstverständlich“, sagte Orianna glatt und widmete sich wieder
ihrer Komposition aus Käse, Früchten und Brot. Während sie einen Bissen
Brot in die Sauce tunkte und darauf herumkaute, war sie sich jedoch nicht
sicher, ob sie verärgert oder besorgt sein sollte.
Bald wurde es dunkel, die Droiden beendeten ihre Arbeit und kehrten in
ihre Depots zurück. Nur zwei Service-Droiden blieben aktiv und brachten
ihr eine Flasche saccorrianischen Blauwein. Den Abend vertrieb sie sich
mit alten HoloVids, das meiste davon schlechte Seifenopern. Früher hatten
diese Filme einen viel stärkeren Reiz gehabt, doch mittlerweile wurden sie
ihr öde und plump. Und so sehr sie sich auch auf die Geschichten
konzentrierte, sie konnten nicht die Leere aus dem großen Haus verbannen.
Es war fast Mitternacht, als sie nach einer neuen Flasche Wein
verlangte und ihr Nachtgewand anzog. Einer der Droiden brachte ihr einen
dicken Kamm, damit sie ihre roten Locken entwirren konnte, nachdem sie
ihre Haare so lange am Polster des Sessels platt gedrückt hatte.
„Wo ist meine Schwester?“ erkundigte sie sich aus einer Laune heraus.
„Dies ist uns nicht bekannt, Miss“, antwortete der Droide steif und
wippte mit seinem steifgliedrigen Metallkörper ein wenig vor und zurück.
„Wir sahen nur, wie sie am Nachmittag das Haus verließ, nicht wie sie
zurück gekommen ist.“
Alarmiert sah sie auf.
„Sie ist immer noch da draußen?“ fragte sie entsetzt. „Bist du sicher?
Vielleicht hat sie sich auch nur in ihrem Zimmer eingeschlossen.“
„Nein, Miss“, antwortete der Droide. „Meine Sensoren nehmen keine
Wärmeabstrahlung wahr außer Ihrer.“
„Bring mir meinen Mantel und die Schuhe“, befahl sie. „Schnell!“
157
Eilig rannte sie den Korridor entlang, stolperte um eine Ecke und
schließlich in Bithras' Arbeitszimmer hinein, wo sie aus einem gesicherten
Kästchen eine BlasTech-Pistole nahm. Auf dem Weg zum Haupteingang
stopfte sie die Waffe provisorisch in ihren Hosenbund.
„Miss, es ist kalt draußen, vielleicht...“
„Ich weiß!“ fauchte Orianna den Droiden an, während sie sich ihren
Mantel überwarf und in ihre Stiefel schlüpfte. „Überprüfe die
Sicherheitssysteme des Zauns. Ich will da draußen auf keinen Kath-Hund
oder Dantari treffen. Und schicke zwei Wachdroiden her, sie sollen mir
leuchten und den Rücken decken.“
Draußen erwartete sie ein schneidender Wind, der durch das hohe Gras
strich und es rascheln ließ. Sie unterdrückte das Zittern ihrer Glieder und
wunderte sich, warum es zu dieser Jahreszeit so kalt war. Wenig später
tauchten zwei Wachdroiden aus der Finsternis auf. Es waren zwei ältere
Modelle, die noch von der Technologie Union und der Handelsföderation
vertrieben und den frühen Kampfdroiden nachempfunden worden waren.
Sie folgten Orianna mit ein paar Schritten Abstand, warfen jedoch mit
ihren Glühstäben Licht auf den Weg vor ihrer Herrin, damit sie sich nicht
verirrte oder verletzte.
Orianna lauschte angestrengt in die Nacht hinein und wagte es kaum
zu atmen. Sehr bald spürte sie kalten Schweiß, der ihren Haaransatz
befeuchtete oder zwischen ihren Brüsten zusammenlief. Es war still, viel zu
still. Man hörte nichts außer dem Rascheln des Grases und dem Heulen des
Windes. Keine Kinrath-Spinnen, keine Kath-Hunde, keine Dantari.
Das Gelände stieg stetig an und Orianna wusste, dass sie den Osthang
erreicht hatten. Durch den matten Schein der Glühstäbe zeichneten sich die
Umrisse der Setzlinge, die hier gepflanzt worden waren, gegen den dunklen
Himmel ab. Sie atmete tief durch, und spürte, wie ihr das Herz vor Furcht
gegen die Rippen klopfte.
„Casseia?“ rief sie unsicher in die Stille hinein. „Casseia? Kannst du
mich hören?“
Sie stiegen noch einige Meter weiter auf, erreichten die Hügelkuppe, wo
die Perlfruchtbäume bereits Zeit zum Wachsen und Gedeihen gehabt
hatten. Manche trugen bereits kleine Triebe an den schlanken, weißen
Ästen.
158
Und da lag sie, unter dem größten und majestätischsten Baum. Sie
hatten ihn nach dem Ende des Krieges alle zusammen auf die Hügelkuppe
gepflanzt, als Symbol für ihren gemeinsamen Neuanfang. Casseias Kopf
ruhte auf einer ausgewucherten Wurzel und ihr braunes Haar schien über
die Rinde zu fließen wie dunkles Wasser. Ihre Augen waren geschlossen,
ihre Haltung entspannt und ruhig.
„Casseia?“ rief Orianna nun lauter, um die Aufmerksamkeit ihrer
Schwester zu erregen. Sie war ganz schön töricht, einfach so hier draußen
einzuschlafen!
Ihre Schritte beschleunigten sich, als sie keine Antwort erhielt.
Vielleicht schlief sie so fest, dass man sie wachrütteln musste? Hinter ihr
beeilten sich auf die Droiden, ihrer Herrin zu folgen und ihr den Weg zu
leuchten.
„Casseia, komm schon, wach auf!“ rief sie, als sie nur noch ein paar
Schritte entfernt war. Sie bemühte sich, schnippisch zu klingen, doch in
ihrer Magengrube braute sich ein Übelkeit erregendes Gefühl zusammen.
Das Gesicht ihrer Schwester erschien ihr ungewöhnlich farblos und blass,
als sie neben ihr auf die Knie sank. „Hey! Das ist wirklich nicht mehr
witzig!“
Ungehalten stieß sie Casseia mit einer Hand in die Seite, doch es ging
nur ein Ruck durch ihren Körper und dann rührte sie sich nicht mehr. Ihr
Blick fiel auf ein Glitzern, das sie in der Finsternis bisher übersehen hatte.
Es umschmeichelte Casseia Hals, benetzte ihre Brust, das Gras und die
Baumrinde, ihre Kleidung war voll davon. Sie konnte sehen, wo die letzten
Tropfen der lebensspendenden Flüssigkeit aus einem tiefen Schnitt an ihrer
Kehle gequollen und geronnen waren. Eine Hand umklammerte noch die
Vibroklinge, mit der sie ihr Ende herbeigeführt hatte.
Schrecken ließen die Farbe aus Oriannas Gesicht weichen und einen
Moment lang glaubte sie sich übergeben zu müssen, als sie blauen Lippen
ihrer Schwester sah.
„Casseia“, sagte sie leise und nahm die kalte, leblose Hand ihrer
Schwester in ihre eigene. „Casseia, was hast du nur getan?“
Sie wandte sich ab, doch weniger um ihre Tränen, als viel mehr ihre
Tränenlosigkeit zu verbergen. Ihre Schwester war tot und sie konnte nichts
tun, konnte nicht atmen, konnte nicht weinen.
Nur ihr Schrei zerriss die Dunkelheit.
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7: A FLOWER OF CARNAGE
DIE NACHT ÜBER DANTOOINE HIELT NOCH IMMER AN, ALS MARA SICH,
den Hals von Husten und Galle bereits wund, über das Waschbecken ihrer Erfrischungszelle beugte, um sich den Mund auszuspülen. Doch jedes Mal, wenn Casseias blasser, toter Körper vor
ihrem geistigen Auge erschien und ihr den beißenden Geruch
geronnenen Blutes in die Nase stieg, zermarterte ihr ein stechender
Schmerz den Kopf. Und jedes Mal übergab sie sich von neuem, auch
wenn ihr Magen inzwischen völlig leer war.
Mit zitternden Händen trank sie einen Schluck Wasser und
unterdrückte einen neuerlichen Hustenreiz. Wenn doch bloß die
Magensäure ihren Hals nicht so sehr reizen würde! Und der
Gallengeschmack trug nicht gerade dazu bei, dass sie sich besser
fühlte. Es würde in diesem Sektor sicherlich nicht annähernd
genügend Pflegeprodukte und Duschzellen geben, damit sie sich je
wieder sauber fühlte. Zu ihrem Glück schien Skywalker zur
Abwechslung einmal zu schlafen und ersparte ihr damit ein weiteres
Übel, denn er hätte sicherlich mit höchst besorgtem Blick hinter ihr
gestanden und ihr das Haar zurück gehalten.
Sie wusste nicht, wie lange sie noch über dem Waschbecken
stand und sich immer wieder mit kaltem Wasser übers Gesicht und
durch die Haare fuhr; jegliches Zeitgefühl war ihr wieder einmal
abhanden gekommen. Ihr nach Erholung schreiender Körper und
das Pochen in ihren Schläfen erinnerten sie fortwährend daran, dass
160
ihr Schlaf seit ihrer Ankunft auf Dantooine nicht besonders gut
gewesen war.
Erst als sich der nachtblaue Mantel über der Steppe hob und die
ersten violetten und roséfarbenen Strahlen wie sanfte Schleier den
Horizont bedeckten, ging sie vorsichtig zurück in ihre Kabine und
schlüpfte in frische Kleidung. Sie wollte das Risiko nicht eingehen,
noch einer dieser auszehrenden Visionen zum Opfer zu fallen, auch
wenn sie noch zwischen dem Streben nach Erkenntnis und dem
Streben nach Frieden hin und her gerissen war. Ihr war klar, dass sie
in dieser Nacht keine weiteren Traumbilder mehr ertragen würde.
Stattdessen schlich sie beinahe lautlos aus ihrem Quartier und
den Hauptkorridor der Jade's Fire entlang zur Messe. Dort hatte
Skywalker sich, der Gewohnheit zum Trotz, ein Nachtlager bereitet
und schlief. Und es schien ihr nicht wie eine seiner kurzzeitigen
Jedi-Trancen, sondern wie ein sehr tiefer, natürlicher Schlaf. Sein
Kopf ruhte auf einer zusammen gerollten Jacke und er hatte seinen
braunen Jedi-Mantel wie ein Laken auf dem kühlen Metallboden
unter sich ausgebreitet. Sein Haar war zerzaust, während er einen
Arm um seine eigene Taille gelegt und den anderen zur Seite von
sich gestreckt hatte. Neben seinem provisorischen Kissen lagen noch
ihr Datapad und mehrere DataCards. Allein die Macht wusste, wie
lange er noch die Berichte studiert hatte, die Faughn ihnen
übermittelt hatte.
Sie kniete sich neben ihn und betrachtete die Umrisse seines
Farmjungengesichts im abwechselnd blauen und roten Licht von
R2s Dioden. Einen Moment lang spielte sie mit dem Gedanken ihn
zu wecken und ihm von Oriannas letzter Erinnerung zu erzählen,
aber sie ließ es bleiben. Wenn schon sie nicht genügend Schlaf
bekam, dann sollte dieses Vergnügen zumindest ihm vergönnt sein.
Er würde ohnehin schneller wieder zu Kräften kommen als sie.
Nach einer Weile riss sie sich von seinem ungewohnten Anblick
ab und trat im Cockpit an ein kleines Geheimfach, dass sie nach der
Thrawn-Krise hatte installieren lassen. Sie öffnete es und zog einen
länglichen, silbernen Zylinder heraus. Das Lichtschwert wog
ungewohnt schwer, als sie fest mit der rechten Hand packte. Seit sie
Skywalkers Jedi-Akademie frühzeitig verlassen hatte, war es in
161
diesem Fach verschwunden und in Vergessenheit geraten. Erst May
Lynn Montross hatte ihre Gedanken wieder auf das Schwert von
Anakin Skywalker gelenkt.
Früher, als sie noch die glorreiche Hand des Imperators gewesen
war, hatte sie nicht mehr als ein Lichtschwert gebraucht, um eine
ganze Piratenbasis auseinander zu nehmen. Es war ein nützliches
Werkzeug gewesen, genau wie die Macht, und sie hatte ihre Talente
im Umgang mit diesen Waffen in Palpatines Dienst gestellt. Aber
Palpatine war tot, sein letzter Befehl ausgeführt. Nun benutzte sie
die Macht oder Skywalkers Lichtschwert kaum noch. Der Gedanke,
das Schwert bei sich zu tragen widerstrebte ihr. Sie war keine Jedi.
Doch das bruchstückhafte Wissen, dass man ihr vor langer Zeit
eingetrichtert hatte, mochte sie heute vielleicht schützen.
Behutsam hakte sie das Lichtschwert an ihren Gürtel, versiegelte
das Geheimfach und griff nach ihrer Jacke.
Bei all den Geschichten über Blumen und Gedichtzetteln, die an
ihrem Schiff klebten, begann sie langsam wirklich zu glauben, dass
May Montross genügend Schaltkreise durchgebrannt waren, um
ihre unkontrollierte Wut gegen Mara zu richten, weil sie ihr die
Rache an ihrem Kommandanten geraubt hatte. Ihr Durst nach
Vergeltung war nicht gestillt worden und nun hatte sich der Strom
aus Hass und Verzweiflung einen neuen Weg durch den Stein
gefunden und gelangte endlich ans Tageslicht. Mara erinnerte sich
daran, wie es gewesen war, als die Worte „Du wirst Luke Skywalker
töten!“ sie jede Nacht im Schlaf begleitet und jeden ihrer Schritte
gelenkt hatten. Was hätte sie vor neun Jahren nicht für die
Genugtuung gegeben auf Skywalkers toten Körper herabzublicken
und zu wissen, dass dies ihr Werk war! Alles Denken war im Herzen
auf diese eine Tat bestrebt gewesen und was danach sein würde war
nicht weiter von Belang. Doch vielleicht gab es für May keine
Erlösung, keine Heilung, so wie für sie.
Mit einem sanften Zischen schloss sich die Rampe hinter ihr und
versiegelte das Schiff von außen. Unbeeindruckt entfernte Mara sich
Schritt für Schritt von der Jade's Fire, schloss ihre Jacke und blickte
nicht zurück.
Sie würde es bald herausfinden.
162
OBWOHL ER NOCH VOR DEM ERWACHEN WUSSTE, DASS IRGENDETWAS
nicht stimmte, war es R2-D2, der Maras Verschwinden als Erster
bemerkte. Mit einer langen Reihe trillernder Töne, die sämtliche
bekannten Oktaven durchliefen, riss der Astromech seinen Meister
aus dem Schlaf.
Ein wenig orientierungslos setzte Luke sich auf und strich sich
den Schlaf aus den Augen. Nach und nach stellten sich Gehör,
Geruch und Sehen wieder ein, doch ganz anders als bei einer
Trance. Alle Empfindungen waren wie mit Watte gedämpft. Es war
schon sehr lange her, dass er aus schlichter Müdigkeit eingeschlafen
war.
„Was ist los, R2?“ fragte er, während der Droide aufgeregt aus
seinen Rollen hin und her zu tänzelte. „Warum die Aufregung?“
Wieder sang R2 Tonleitern rauf und runter. Luke nahm einen
tiefen Atemzug und rief die Macht zu sich, um seine Wahrnehmung
zu schärfen und die Aufmerksamkeit auf den Astromech zu richten.
„Deine Sensoren nehmen keine Wärmeabstrahlung war?“
wiederholte er ungläubig. „Du meinst in der näheren Umgebung
des Schiffes?“
R2s Kuppelkopf schwenkte mit einem leisen Hu-hu nach links
und rechts, die Andeutung eines Kopfschüttelns.
„Auch keine biologische Wärmeabstrahlung an Bord der Jade's
Fire – außer meiner?“, korrigierte Luke. „Bist du sicher, dass Mara
ihre Kabine nicht einfach versiegelt und von innen isoliert hat?“
Wieder verneinte der Droide. Er erklärte seinem Meister, dass er
die Kabine schon überprüft, sie jedoch verlassen vorgefunden.
Allerdings waren die Laken in der Koje bereits kalt, was darauf
hindeutete, dass Mara schon eine ganze Weile nicht mehr da war
und Oriannas Kette hatte unnachsichtig auf dem Fußboden neben
ihrer Koje gelegen. Langsam fuhr R2 seinen Greifarm aus und hielt
Luke das Schmuckstück entgegen.
„Ich verstehe.“ Luke legte R2 eine Hand auf den Kuppelkopf und
nahm mit der anderen das Medallion. „Danke, R2.“
163
Er atmete noch einmal tief ein und streckte seine Sinne aus,
tastete überall nach Maras Geist in der Macht. Doch er fand nichts,
sie schien wie vom Erdboden verschwunden. Es war mehr als
wahrscheinlich, dass sie sich wieder hinter ihren mentalen Mauern
versteckte, mit denen sie ihn schon früher abgehalten hatte.
Seine Resignation unterdrückend strich Luke sich mit einer Hand
über das Gesicht und blieb noch einen Moment auf dem Boden der
Messe sitzen. Offensichtlich war Mara zu der Einsicht gekommen,
dass sie dieses Rätsel doch im Alleingang lösen wollte. Er konnte
allerdings nicht abstreiten, dass er dies noch immer für keine gute
Idee hielt. Doch was sollte er tun, er musste Maras Entscheidung
respektieren und den Impuls, ihr zu Hilfe zu eilen, unterdrücken. Es
blieb ihm nichts anderes übrig, als auf Maras Rückkehr zu warten...
Falls sie überhaupt zurückkehrte.
DAS IRINARI LAG NEBEN EINEM GEBÄUDE, DAS WIE EINE BUCHHANDlung aussah, mitten im Zentrum der Siedlung. Es war ein war
kleines, verträumtes Café, dessen Dekor und Mobiliar mit sehr viel
Sorgfalt und Fürsorge ausgesucht worden waren, auch wenn es ein
wenig kitschig wirkte.
Trotz des ungewöhnlich regen Treibens der Siedler in dem Café,
fiel es Mara nicht schwer, ihre Nemesis auszumachen.
May Montross hatte sich an einem der hinteren Tische
niedergelassen und trank mit großer Ruhe einen Becher Klimmenkaffee. Ihre Blicke streiften Mara beinahe zufällig, als sie zur Tür
herein kam, und wanderten dann mit geheucheltem Interesse über
die einheimischen Kunstwerke an den Wänden.
„Sicherheitslevel K-12“, sagte Mara mit gesenkter, doch gefasster
Stimme, als sie an ihren Tisch trat. Mit einer knappen, unauffälligen
Geste tastete sie nach dem Lichtschwert, um sicher zu sein, dass es
noch da war. „Kenncode Hapspir Barrini.”
Mays eisblaue Augen hoben sich und ein fremdartiges Glitzern
spiegelte sich in ihnen. Die dünnen Lippen verzogen sich zu einem
steifen Lächeln.
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„Willkommen, Hand des Imperators. IIBS-61 661. Wie schön,
dass Sie noch immer diese schicklich-imperiale Art der Vorstellung
beherrschen. Ich fürchte, Etikette ist in den letzten Jahren immer
mehr aus der Mode gekommen.“
Mara wartete nicht auf eine Aufforderung sich zu setzen und
überging auch Mays höfliches, nichts sagendes Geplänkel. Mit
flirrenden Nerven nahm sie Platz und fasste ihr Gegenüber fest ins
Auge.
„Wie schön, dass Sie sich für mich Zeit genommen haben,
Montross“, erwiderte sie und ihr Ton triefte vor Sarkasmus. „Ich
dachte schon, ich müsse noch eine Weile auf ein paar Antworten
warten.“
„Keine Sorge, die Antworten werden sich Ihnen schon noch
erschließen“, sagte May kryptisch. „Kaffee?“
Die schwarzhaarige Frau winkte den Kellner heran und bat ihn,
Mara ebenfalls einen Becher zu bringen. Dieser studierte Mays
blasse, kantige und äußerst maskulinen Gesichtszüge für einen
Moment mit größter Sorgfalt.
Nachdem der Kellner schließlich davon geeilt war, um der
Bestellung nachzukommen, erwiderte May ihren prüfenden Blick.
Sie schwiegen und versuchten, das Gesicht, die Augen und den
Geist des jeweils anderen zu lesen. Ohne Erfolg.
Sie sprachen kein Wort, bis schließlich der Kellner mit der
Bestellung zurückkehrte. Ihm schien die eisige Stille zwischen den
beiden Frauen unheimlich, denn sein Gesicht wirkte blass und
beunruhigt, als er sich einem anderen Tisch zuwandte.
„Was wollen Sie, Montross?“ fragte Mara schließlich. Sie sprach
langsam, beinahe gedehnt, um ihrer Frage Nachdruck zu verleihen.
„Was wollen Sie von mir?“
May schmunzelte. „Oh, kommen Sie, Jade, das können Sie doch
sicherlich besser! Beweisen Sie mir, dass all die Jahre, in denen man
Sie als Palpatines kleines Schoßhündchen dressiert hat, nicht ganz
umsonst gewesen sind. Beim Imperial Intel hieß es, dass Sie immer
bekämen, was Sie wollten.“
„Schluss jetzt“, fauchte Mara und beugte sie nach vorne. Woher
kam nur Mays Gelassenheit, die Ruhe? Warum war sie selbst so
165
aufgewühlt? „Ich habe keine Lust mehr auf Ihre kleinen Spielchen,
Montross! Bizarre Beerdigungsriten, Gedichtzettel, verloren
geglaubte Schmuckstücke irgendwelcher toter Frauen, was darf man
als nächstes erwarten?“
Mays Stimme war plötzlich wie gefrorenes Eis. „Wie wäre es
damit?“
Ihre Bewegung war schnell. So schnell, dass Mara gerade noch
genug Zeit hatte, ihre Augen zu schließen und den Kopf zur Seite zu
drehen. Klebriger Speichel klatschte gegen ihre linke Schläfe, tropfte
von ihrer Wange und ihrem Kinn.
Mara schluckte und versuchte, den in ihr aufwallenden Zorn mit
einem kontrollierten Atemzug loszulassen.
„Reizend“, sagte sie ironisch und wischte sich mit einem Ärmel
Mays Speichel aus dem Gesicht. „Sehr reizend.“
„Oh, das war nur ein kleiner Vorgeschmack“, säuselte May mit
einer Unverfrorenheit, die es Mara schwer machten, sich auf die
Gefühle und Gedanken hinter dieser kühlen, unnahbaren Maske
verbargen.
„Sehen wir es doch so“, fuhr May schließlich fort, nachdem sie an
ihrem Kaffee genippt hatte, „Sie haben etwas, das ich will; ich habe
etwas, das Sie wollen.“
„Alles, was ich im Moment von Ihnen will, Montross“, sagte
Mara mit zu Schlitzen verengten Augen, „sind ein paar verflucht
gute Gründe für dieses Theater.“
„Dann bleibt wohl nur noch die Frage“, begann May gedehnt
und nahm noch einen Schluck Kaffee, ehe sie weiter sprach, „wie
viel Ihnen die Antworten auf Ihre Fragen wert sind. Wären Sie bereit
Ihr Leben dafür zu opfern?“
Mara gab sich Mühe, nicht verwirrt zu blinzeln. War die andere
Frau wirklich so sehr von sich selbst überzeugt oder spielte sie ihr
gerade eine gründlich einstudierte Rolle vor? Selbst in der Macht
konnte sie nichts wahrnehmen. Doch vielleicht konzentrierte sie sich
auch nur nicht stark genug auf die Macht, um derartig feine Signale
wahrzunehmen.
„Haben Sie es bei sich?“ fragte May beinahe beiläufig. Als Mara
jedoch nicht antwortete, sagte sie: „Natürlich nicht. Nicht bei dem
166
Effekt, den das Amulett auf Sie hat, nicht wahr? Sicher haben Sie es
bei Skywalker gelassen.“
Mara beobachtete, wie ihr Gegenüber seelenruhig einen weiteren
Schluck Klimmenkaffee nahm und sich diesen auf der Zunge
zergehen ließ. Das Unbehagen in ihr wuchs und ihr Magen begann
zu rebellieren.
„Wissen Sie, es geht hier nicht um Orianna Matale“, fuhr May
mit einem dünnlippigen Lächeln fort. Entweder hatte sie Maras
Gedanken gelesen – was sie für äußerst unwahrscheinlich hielt –
oder sie war so gut über die Mysterien des Amuletts informiert, dass
sie das Thema von ganz allein anschnitt. „Es ging nie um sie. Sie ist
nur ein weiteres Bindeglied zwischen Ihnen und mir. Sie hat mit
ihrem kurzen, bedeutungslosen Leben lediglich ihren Zweck für den
weiteren Verlauf der Geschichte erfüllt. Und wenn Sarzamin Saia
eines Tages das Zeitliche segnet, wird ihr Andenken für immer
vergessen sein. Aber meines nicht.“
„Um wen geht es dann?“ verlangte Mara zu wissen. Es gelang ihr
kaum die Frustration aus ihrer Stimme zu verbannen.
„Strengen Sie Ihr Köpfchen an, Jade. Sie sind ihm schon
begegnet.“ Mays Stimme senkte sich zu einem prophetischen
Flüstern. „In Ihrem Träumen.“
„Lassen Sie doch bitte die kryptischen Sprüche! Oder ist das ein
Hobby, das sie sich beim Imperial Intel zugelegt haben? Vielleicht ist
das ja eine perfide Vorliebe, die Sie sich angewöhnen mussten, als
Sie sich der Galaxis als Mann verkauft haben.“
Mays Züge verfinsterten sich. „Nicht alle von uns sind so
privilegiert geboren wie Sie, Jade!“
„Privilegiert?“ rief sie empört. „Sie finden, mein Leben war
privilegiert? Haben Sie eine Ahnung…“
„Beleidigen Sie mich nicht, Jade!“ May warf ihren Stuhl um, als
sie aufsprang und mit einer Hand nach dem Blaster an ihrer Hüfte
griff. Die beiden Keramiplast-Becher auf dem Tisch kippten um und
verschütteten ihren brühenden Inhalt.
May Montross’ Gesichtszüge waren zu einer grimmigen Maske
erstarrt und ihre eisblauen Augen wirkten plötzlich eher tot als
lebendig.
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Erst jetzt bemerkte Mara, wie still es in dem Café geworden war.
Keiner der Gäste rührte sich. Manche starrten erschrocken zu ihnen
hinüber, andere bemühten sich desinteressiert dreinzublicken. Das
Personal verschanzte sich hinter der Theke und beäugte die
Kontrahentinnen mit ängstlichen Blicken.
„Na los, worauf warten Sie denn? Kommen Sie schon, blastern
Sie mich doch einfach um“, sagte sie schnippisch und ignorierte die
Mündung des Blasters, den May nun direkt auf ihr Gesicht gerichtet
hielt. „Dann hätten wir es endlich hinter uns.“
Doch May zögert, scheinbar hin und her gerissen zwischen dem
Gedanken an Vergeltung und dem an den Nutzen, den sie vielleicht
noch aus Maras Überleben ziehen würde. Vielleicht konnte sie ihre
perfide Rache noch ein paar Tage mehr auskosten und damit das
Leiden ihrer Feindin verlängern. Doch ihre Hände zitterten nicht
und ihre Miene war noch immer wie in Stein gemeißelt. Würde sie
jetzt abdrücken, würde sie ihr Ziel sicher nicht verfehlen.
Maras Mund fühlte sich trocken an und ihre Lippen waren
spröde. Sie rief die Macht zur Hilfe, formte mit ihrer Hilfe ein
luftiges Kissen, mit dem sie das Lichtschwert vom Haken an ihrem
Gürtel hol und langsam in Richtung ihrer linken Hand wandern
ließ.
„Ich werde Sie vernichten, Jade“, flüsterte May schließlich ohne
zu blinzeln. „Ich weiß es und Sie wissen es.“
„Aber nicht heute“, erwiderte Mara. Sie packte das Heft des
Lichtschwertes so fest sie konnte, weil sie fürchtete, es könnte ihr
aus der Hand gleiten.
Ein Laut des Entsetzens durchfuhr die Gäste. Viele tauchten nach
Schutz suchend unter ihre Tische. Andere starrten ehrfürchtig auf
die blaue Klinge, die plötzlich aus dem silbernen Schaft in Maras
Hand sprang und das Café mit einem geheimnisvollen Licht erfüllte.
Mit einer katzenartigen Bewegung hatte Mara sich erhoben und
auf die Platte des Tisches gesprungen, das Lichtschwert zur
Verteidigung erhoben. Mit einem kleinen Ausfallschritt hoffte sie,
den Lauf von Mays Blaster abzutrennen.
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Vergebens. Die andere Frau sprang, beinahe zeitgleich, über
ihren umgeworfenen Stuhl hinweg, ließ sich rücklings fallen und
rollte sich ab.
Als sie außerhalb von Maras Reichweite wieder zum Stehen kam,
eröffnete sie das Feuer. Mit hoher Konzentration griff Mara nach der
Macht und überließ ihr die Führung. Zischend prallten die Schüsse,
trotz ihrer tödlichen Präzision, von der Klinge ab und schlugen in
die Decke ein, wo sie keinen Schaden anrichten konnten.
May blinzelte verwirrt. Vielleicht hatte sie Mara doch
unterschätzt.
„Oh, kommen Sie“, sagte Mara spöttelnd. „Das können Sie doch
sicher besser!“
Wut flammte in den Augen ihres Gegenübers auf. Wilde
Entschlossenheit plötzlich aus ihrer Miene.
„Sie werden mich nicht noch einmal brechen!“ rief sie.
Dann geschah etwas, das Mara nicht vorhergesehen hatte: Statt
erneut ihren Blaster zu gebrauchen, griff May an den Gürtel ihres
Anzugs aus Plastahlfaser. Und noch ehe jemand erkennen konnte,
welches Utensil sie sich zur Hilfe nahm, warf eine Detonation Mara
zu Boden. Das Lichtschwert glitt ihr aus der Hand, rollte ein paar
Meter, bis es gegen ein Tischbein prallte und sich selbst deaktivierte.
Überall im Café pressten die Leute ihre Hände auf die Ohren, in
der Hoffnung, das unliebsame Klingeln abzuschirmen. Zwecklos.
Ein hoher, schriller Laut dröhnte Mara plötzlich in den Ohren und
sie wusste, ihr Trommelfeld würde noch eine Weile schmerzen. Als
das schrille Kreischen langsam abklang, sie die Kraft fand sich
aufzurappeln und nach May Ausschau zu halten, nur um
herauszufinden, dass die ehemalige Imperiale Agentin wieder
einmal die Flucht ergriffen hatte.
„Dieser verfluchte Feigling!“ presste sie zwischen zusammen
gebissenen Zähnen hervor. „Das sieht dir ähnlich, Montross.“
Mit Hilfe der Macht befahl sie das Lichtschwert zurück in ihre
rechte Hand, während sie mit der linken nach dem Comlink an
ihrem Gürtel tastete. Sie musste Skywalker verständigen; er sollte
sofort zu Sarzamins Haus kommen.
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Sie sind ihm bereits begegnet, hörte Mara ihre Stimme in ihrem
Kopf. In ihren Träumen.
SARZAMIN ÖFFNETE DAS EINMACHGLAS UND FISCHTE EINE DER BLAUgrünen Gurken heraus. „Sind die nicht ganz schön sauer?“ fragte sie voller
Skepsis, als sie Orianna die Gurke reichte und dabei zusah, wie ihre beste
Freundin sie mit süßem Murkhana-Nougat bestrich.
„Ganz und gar nicht“, antwortete diese und biss genüsslich ein Ende
der Gurke ab. „Das ist jetzt genau das was ich brauche!“
Verwunderung stand Sarzamin ins Gesicht geschrieben, während
Orianna sich eine Scheibe Wurst nahm und die Gurke darin einwickelte.
Oder vielleicht ist es der Ekel, angesichts dieser seltsamen Kombination, dachte Orianna kurz.
„Nochmals danke, dass du diese Samen für mich besorgt hast“, meinte
Orianna und kaute auf ihrer kleinen Zwischenmahlzeit herum. „Wenn es
jetzt schnell geht, könnten wir vielleicht nächstes Jahr schon die ersten
Früchte ernten.“
Als sie keine Antwort mehr bekam, stubste sie Sarzamin am Arm.
„Hey! Alles in Ordnung?“
„Ich denke schon“, sagte sie langsam, starrte aber immer noch
entgeistert auf die ungewöhnlich garnierte Gurke in Oriannas Hand. „Es
ist bloß, wenn ich deine Essgewohnheiten so sehe, dann hoffe ich, dass ich
niemals schwanger werde.“
Das entlockte Orianna ein heiteres Lachen. „Glaub mir, so schlimm ist
es nicht“, rief sie amüsiert. „Ich habe auch erst gedacht, es wäre eine
Katastrophe, aber ist man erst einmal schwanger, bekommen die
seltsamsten Gerichte dieser Galaxis einen unvergesslichen Geschmack, von
dem man nicht genug bekommen kann. Heute sind es Gurken mit
Murkhana-Nougat, morgen ist es der Izzy-Schimmel wie ihn die Twi'leks
zubereiten.“
Sarzamin nickte und ihr Ekel wich einer ruhigen Ernsthaftigkeit. „Weiß
Ilya es eigentlich schon?“ fragte sie. „Ich meine, dass du guter Hoffnung
bist?“
„Dass ich guter Hoffnung bin? Du liebe Güte, Sarza, wie alt bist du?
Du klingst ja fast wie meine Mutter!“ kicherte Orianna. Doch die Miene
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ihrer Freundin blieb unbewegt, daher schlug auch sie nun einen ernsteren
Ton an. „Nein, er weiß es noch nicht. Er ist seit drei Wochen in den
Kernwelten unterwegs und versucht, seine alten Stammkunden zurück zu
erobern oder zumindest was davon noch übrig ist. Dafür braucht er einen
klaren Kopf. Außerdem wollte ich es ihm persönlich sagen, wenn er wieder
heim kommt.“
„Und wann wird das sein?“ fragte Sarzamin und klang dabei schon ein
wenig entnervt, als hielte sie die Gründe für Oriannas Schweigen für
fadenscheinig.
„Heute Abend“, erwiderte diese kühl. „Außerdem habe ich keinen
Grund zur Eile. Ich bin erst in der sechsten Woche und wer weiß, ob mir
nicht das gleich passiert wie Casseia.“
„Verstehe“, sagte Sarzamin entschuldigend. „Tut mir leid, ich wollte
dich nicht kränken.“
„Ah, schon gut“, lächelte Orianna und berührte die Jüngere sanft am
Arm. „Das ist auch so eine Begleiterscheinung: Neben ständigem
Heißhunger ist man nun auch nicht mehr Herr seiner Gefühle. Mach dir
also nichts aus meinem spontanen Stimmungsschwankungen.“
„Bring mir mein Datapad, du verfluchter Droide!“ polterte plötzlich
jemand am anderen Ende des Korridors.
„Oh weh“, machte Orianna und seufzte theatralisch, „da ist aber
jemand mal wieder mit dem falschen Fuß aufgestanden.“
„Was denn, er ist jetzt erst aufgestanden?“ fragte Sarzamin verblüfft
und kontrollierte die Uhrzeit auf ihrem Chronometer.
Orianna nickte knapp. „Er verschläft den halben Tag, bleibt jedoch bis
spät in der Nacht auf. Bisher habe ich aber noch nicht rausgefunden, was er
da treibt. Jedenfalls ist er in letzter Zeit immer ziemlich fies gelaunt, wenn
er dann mal aufsteht. Das geht jetzt schon seit seinem Überfall auf Garlex
Med so.“
„Die Verletzung macht ihm wohl ziemlich zu schaffen, was?“
erkundigte sich Sarzamin mit einem verlegenen Lächeln.
„Nicht mehr als Casseias Tod“, erwiderte Orianna ungerührt.
„DU SOLLST MIR ENDLICH MEIN DATAPAD BRINGEN!“
donnerte Bithras in der Ferne und es folgte ein metallenes Scheppern, als
hätte er den Servicedroiden soeben gegen die Zimmerwand geschmettert.
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„Es ist wohl besser, wenn ich gehe“, sagte Sarzamin und schlüpfte in
ihre Jacke. „Ich hab sowieso noch zutun. Vater will, dass ich noch beim
Umbau des Vivariums helfe.“
Orianna nickte und rutschte von ihrem Hocker hinunter, um sich von
ihr zu verabschieden. Die beiden Frauen schlossen einander in die Arme,
dann drückte Orianna ihrer Freundin noch einen kurzen Abschiedskuss auf
die Lippen.
„Komm gut heim. Gib auf dich Acht.“
„Danke. Du auch.“
Nachdem Sarzamins Silhouette hinter der Hügelkuppe verschwunden
war, beschloss sie ihrem Schwager ein wenig Gesellschaft zu leisten.
Vielleicht würde ihn das auf andere Gedanken bringen.
Sie fand ihn im Wohnzimmer, wo er wieder einmal im Sessel ihres
Vaters saß. Doch diesmal wirkte er weniger wie ein motivierter,
aufstrebender Geschäftsmann, den nur der Geldbeutel ein wenig drückte.
Er saß zusammen gesunken da, hatte das linke Bein auf einem gepolsterten
Schemel ausgestreckt und massierte mit verbitterter Miene seine schlaffe
Oberschenkelmuskulatur.
Seit seinem Unfall auf Garlex Med war sein Bein lahm, doch Bacta und
andere Medikamente behoben diesen Zustand nur temporär. Manchmal
glaubte Orianna, dass Etwas tief in seinem Inneren sich vehement weigerte
zu verheilen. Ein Schatten war auf ihn und die ganze Familie gefallen und
ihr blieb nur zu hoffen, dass er eines Tages vorüber ziehen würde. Der
Gedanke, Casseias Tod markiere den Anfang des Endes, versetzt sie in
panische Angst.
Seit man Bithras aus dem Med-Zentrum entlassen hatte, war er dicker
geworden, ließ sich manchmal wochenlang einen Bart stehen und verendete
vor den HoloNet-Nachrichten, bis Orianna ihn schließlich dazu drängte,
sich ein Bad und eine Rasur zu gönnen. Aber selbst dann, wenn er wieder
wie ein Mensch aussah und nicht mehr wie ein muffiges Iriaz roch, so war
er doch niemals mehr wirklich glücklich.
„Ich hab Ilya gesagt, wir sollten lieber mit den Hutts Geschäfte
machen“, sagte Bithras mit einem bitteren Lächeln und massierte weiter
sein lahmes Bein. „Sie sind vielleicht hässlich und raffgierig, aber das
Imperium hat weit weniger Skrupel.“
172
Er schnalzte verächtlich mit der Zunge. „Palpatine und sein Kampf
gegen die Korruption, dass ich nicht lache. Das Imperium ist nicht weniger
korrupt als die Schwarze Sonne.“
Orianna ließ sich vor der HoloCom-Einheit nieder und betrachtete
Bithras' verhärmtes Gesicht. Alles, was sie sagte, erschien ihr in seiner
Gegenwart bedeutungslos. Wann immer sie bei ihm saß, sei es nur, um ihm
schweigend Gesellschaft zu leisten, fühlte sie sich schrecklich leer und
einsam.
Bithras schenkte ihr einen durchdringenden Blick, als wären seine
Augen ein Durchleuchtungsgerät, das erfassen konnte, was Orianna in
diesem Moment dachte.
„Was nützt es am Leben zu sein, wenn man niemanden hatte, mit dem
man dieses Leben teilen kann, nicht wahr?“ fragte er und seine Miene
verzerrte sich zu einem gequälten Lächeln.
Ilya kehrte erst nach Einbruch der Nacht zurück. Wie ein Dieb schlich
er sich ins Haus, da fast alle Lichter gelöscht waren und eine geisterhafte
Stille über dem Anwesen lag. Nur Orianna, die bei stark gedämpfter
Zimmerbeleuchtung wach gelegen und auf ihn gewartet hatte, bemerkte
sein Kommen. Rasch setzte sie sich auf und legte eine Hand auf ihren
Unterleib.
„Das ist dein Papa“, sagte sie mit einem vergnügten Lächeln.
Sie stand auf und kämmte sich mit den Fingern durch die Haare, als die
Tür zum Schlafzimmer aufglitt und Ilya herein trottete. Er sah müde und
erschöpft aus und ließ seine Reisetasche unwirsch neben seine Seite des
Bettes fallen.
Orianna flog in seine Arme und bedeckte seinen Mund mit
sehnsüchtigen Küssen. „Endlich bist du wieder da. Oh, ich hab dich
schrecklich vermisst.“
„Ich war doch bloß drei Wochen weg“, wandte Ilya ein und schob sie
auf Armeslänge von sich. „Kein Grund nachts wach zuliegen und wie ein
brunftiges Iriaz auf mich zu warten.“
Langsam, als täten ihm alle Glieder weh, schälte Ilya sich aus seiner
Kleidung, während Orianna ihn verletzt und wütend anstarrte. Ein
brunftiges Iriaz? Hielt er sie etwa für promisk, so wie Casseia? Und wenn
ja, seit wann störte er sich daran? Wenn sie sich recht erinnerte, hatte es
genügend Gelegenheiten gegeben, bei denen er es nicht hatte erwarten
173
können, ihr seine Manneskraft zu beweisen. Unwillkürlich glitt ihre Hand
erneut zu ihrem Unterleib, der sich ungewöhnlich warm anfühlte, und sie
warf ihm einen wütenden Blick zu.
„Entschuldige“, sagte Ilya mit einem schlaffen Lächeln, als er ihren
Gesichtsausdruck bemerkte. „Es ist anders heraus gekommen, als wie ich es
sagen wollte.“
„Oh, ich glaube, es ist genauso heraus gekommen, wie du wolltest“,
schnappte Orianna beleidigt und sah mit einiger Zufriedenheit, wie sich
seine Miene verfinsterte.
„Hör zu!“ befahl Ilya streng. „Ich habe drei sehr anstrengende Wochen
hinter mir und ich habe noch viel aufzuarbeiten. Eigentlich hatte ich mich
darauf gefreut, friedlich neben meiner Frau einzuschlafen und noch zwei
schöne und entspannte Tage zu verleben, bevor ich nach Carida fliege, aber
anscheinend wird daraus ja nichts!“
Ein Knoten schien sich in ihrer Kehle zu bilden bei diesen Worten. In
zwei Tagen wollte er schon wieder von hier weg? Am liebsten hätte sie ihm
an den Kopf geworfen, dass er mehr Zeit mit seinen Kunden verbrachte als
mit ihr, dass er häufiger auf außerplanetarischen Reisen war als auf
Dantooine. Doch stattdessen stapfte sie zurück zu ihrer Seite des Bettes.
„Ich bin ja nicht mal deine Frau“, würgte sie hervor und schlüpfte
erneut unter die Laken.
Ilya seufzte frustriert und pfefferte sein Hemd in den Schrank. „Es ist
nur zu unserem Besten“, beharrte er eisig.
„Dann versuch wenigstens zur Geburt unseres Kindes da zu sein“,
sagte Orianna ebenso kühl und zog die Decke bis zu den Schultern herauf.
„Das wird ja nicht zuviel verlangt sein.“
Ilya hielt erschrocken inne. „Wie bitte?“
„Ach, nichts", murmelte sie und drehte sich zur Wand.
LANGSAM ABER SICHER KAM ER ZU DER ERKENNTNIS, DASS SÄMTLICHE
Ausrüstungsgegenstände, die sie bei sich trugen, der reinste Schrott
waren. Hundert Jahre alter, abgenutzter Müll, den irgendein
Imperialer vor der Schrottpresse bewahrt hatte, nur um ihnen jetzt
das Leben schwer zu machen.
174
Kaum etwas funktionierte noch. Die kleinen Kühleinheiten, in
der sie ihre Proteinriegel und sonstige Verpflegung aufbewahrten,
war in der vergangenen Nacht einfach ausgefallen und der Großteil
des Essen inzwischen verdorben. Der Feldgenerator, der sowohl die
im Kreis um ihr Lager aufgestellten Energieschilde als auch den
Frequenzverstärker versorgte, war kurz davor zu verrecken. Drei
der fünf Energiezellen waren einfach so durchgeschmort und hatten
mit ihrem beißenden Ozon-Geruch die Tiere wie magisch
angezogen. Da sie aber nur noch vier, äußerst schwache Schilde im
näheren Umkreis mit Strom versorgen konnten, waren besonders
die Karnivoren gefährlich nah herangepirscht. Es war nur eine Frage
der Zeit, bis die Niederenergieschilde ganz versagten und ihr
einziger Schutz gegen Dantooines Fauna ihre Blaster blieben.
Spätestens seit letzter Nacht hatte er die Schnauze endgültig voll
von diesem Planeten.
„Dieses Zeug war zu Zeiten des Bürgerkriegs nicht mal mehr
aktuell“, moserte Laz und beugte sich über den kniehohen,
rechteckigen Frequenzverstärker, mit dem sie Mays Comlink, als
auch die Pirate selbst anfunken konnten. Oder vielmehr können
sollten. Weniger Energie bedeutete auch weniger Reichweite. "Ganz
offensichtlich hat das Imperiale Militär an den falschen Ecken und
Enden gespart."
„Mach einfach, dass dieses verfluchte Ding wieder funktioniert“,
gab Avarice zurück. „Wenn ich noch einen Tag länger auf diesem
Brocken verbringe...“
Einige sehr unschöne Verwünschungen ausstoßend, wandte Laz
sich seiner Arbeit zu und begann den Verstärker mit dem
Hydrospanner zu malträtieren. Hin und wieder schmetterte er das
Werkzeug wütend ins Gras, wo es dann erst mal mit einem
dumpfen Klonk liegen blieb, während Laz immer wüstere Flüchje
ausspuckte.
Avarice saß auf einem umgestürzten, mit dichten gelbgoldenen
Flechten bedeckten Blba-Baum und reinigte sein Blastergewehr.
Nachdem der Jedi seinen eigenen Repetierblaster auf Belderone mit
dem Lichtschwert zerstört hatte, war er auf dieses – wie sollte es
anders sein – abgehalfterte Modell angewiesen, das er sich aus der
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Waffenkammer der Pirate of the Perlemian geholt hatte. Überall war
der schwarze Tarnlack abgekratzt und kleine Dellen zierten den
Lauf des Gewehrs. Aber es war das Beste, das er hatte kriegen
können. In den vergangenen zwei Tagen hatte er damit mindestens
zehn Kath-Hunde geschossen, die sich zu nah an ihre Schilde
herangewagt hatten. Nun musste er es allerdings reinigen, weil er
nicht das Risiko einer spontanen Ladehemmung eingehen wollte. In
ihrer derzeitigen Situation wäre das äußerst ungünstig.
„Weißt du“, sagte Avarice gedehnt, während er die Gaspatrone
im Gewehr auffüllte, „langsam frage ich mich, was May getan hat,
dass der König ihr diese Sondermission überhaupt genehmigt hat.
Mir kann keiner erzählen, wir würden hier nicht nach Mays
Gutdünken operieren.“
„Du weißt doch wie Frauen sind – sie und ihre schlagfertigen
Argumente“, erwiderte Laz und widmete sich widerwillig einem
Kabelbündel, welches aus dem Verstärker baumelte. „Vielleicht hat
sie ihn mit ihren weiblichen Attributen überzeugt.“
„Pff, das glaubst du doch selbst nicht“, spöttelte Avarice. „May
hat mit einer Frau soviel gemeinsam wie ein Gundark.“
„Was soll sie denn sonst gemacht haben? Ihn gefangen nehmen
und foltern?“
„Zum Beispiel.“
Laz hielt inne und legte den Kopf ein wenig schief, während er
über die unausgesprochene Vermutung seines Kompanions
nachdachte.
„Das ist der größte Haufen Banthamist, den ich je gehört habe“,
sagte er schließlich und fuchelte unwirsch mit dem Hydrospanner
herum.
„Willst du's nicht begreifen?“ blaffte Avarice. „Denk doch mal
nach, hast du den König jemals gesehen? Oder mit ihm persönlich
gesprochen? Oder über den Komkanal? Nein. Man muss doch nur
eins und eins zusammenzählen, Kumpel. Wer richtet uns sämtliche
Befehle aus? Wer bekommt das Kommando im Gefecht
zugesprochen? Wer hat bisher sämtliche Mitglieder der Crew im
Auftrag des Königs rekrutiert? Und wer ist die einzige Person an
Bord der Pirate, die den König jemals gesehen haben soll?“
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Verstehen dämmerte in Laz' Augen. „Ich glaube, mir gefällt
nicht, was du damit sagen willst...“
„Was ist“, fuhr Avarice unbeirrt fort, „wenn es gar keinen König
gibt? Was ist, wenn das alles May war, die uns die ganze Zeit nach
ihrer Pfeife tanzen lässt? Es macht alles Sinn! Und dieses alte,
imperiale Equipment... was ist, wenn May was mit dem Imperium
zu schaffen hat? Die Frau könnte uns alle in große Schwierigkeiten
bringen.“
Nun, da er diesen unausgegorenen Gedanken, der ihm seit
einigen Tagen im Kopf herumspukte, zum ersten Mal in Worte
kleidete, fühlte er sich um so mehr von May Montross benutzt. Er,
Avarice Rinza, war von einer Frau, vielleicht sogar einer Imperialen,
benutzt worden!
„Ich konnte sie sowieso noch nie leiden“, sagte Laz gleichmütig.
„Hätt' man sich eigentlich denken können, dass an der was faul ist.
Obwohl du keine Beweise für deine Anschuldigung hast.“
„Wir sind Piraten! Seit wann brauchen wir einen Grund, um
jemanden abzuknallen?“ Avarice stand auf, schob eine neue
Energiezelle in den Schaft des Gewehrs und entsicherte es mit einem
Klicken, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.
„Ey, Mann!“ brachte Laz in beschwichtigendem Ton hervor.
„Hältst du das für eine kluge Aktion? Denk' dran, was sie mit Enyth
gemacht hat!“
„Ein Grund mehr das alte Miststück abzuknallen. Ich werde mich
bestimmt nicht mehr von ihr herumschubsen lassen und sinnlos in
der Wildnis Wache halten. So was Schwachsinniges. Ich bin nicht
Pirat geworden, um mich von so einer falschen Schlange
herumkommandieren zu lassen, da hätte ich gleich bei meiner Frau
bleiben können. Von so einer werde ich mir meine Freiheit nicht
mehr rauben lassen. May Montross hat uns lang genug für dumm
verkauft.“
Laz schwieg, doch es war schwer zu übersehen, wie angestrengt
er über das soeben Gesagte nachdachte. Fest stand, dass sie es beide
satt hatten, auf dem am meisten zurückgebliebenen Planeten des
Sektors festzusitzen und auf die Befehle ihres ersten Maats zu
warten.
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Ihres vermeintlichen ersten Maats.
Schließlich stahl sich ein öliges Lächeln auf Laz' Gesicht und
Avarice wusste, dass bald wieder jemand durch ihre Hand sterben
würde.
SKYWALKER HOLTE MARA EIN, ALS SIE GERADE DIE ALTEN,
grasbewachsenen Landstraße zu Sarzamins Haus hinunter trottete.
Er hatte noch einmal den A1-Deluxe beim Hafenbüro ausgeliehen
und brache den Speeder einige Meter vor ihr am Straßenrand zum
Stehen. Die Tür auf der Beifahrerseite sprang auf, als sie sich
näherte.
Sie sprachen nicht, wagten es nicht das Wort an den jeweils
anderen zu richten, obgleich sie Skywalker seine Bemühung ansah,
sie nicht mit Fragen zu löchern. Ein Teil von ihr hätte ihm gerne für
seine Nachsicht gedankt, doch sie brachte die Worte nicht heraus.
In Schweigen gehüllt stiegen sie schließlich aus, öffneten das
Gartentor und durchquerten den Vorgarten. Ihre Ungeduld
unterdrückend betätigte Mara den Summer.
Es dauerte einige Sekunden, ehe sie die Verriegelung der Tür
klicken hörten und die Schlossmechanismen aufschnappten. Mit
einem leisen Surren öffnete sich die Tür und gab den Blick frei auf
eine offensichtlich sehr verblüffte Sarzamin.
Mara fühlte sich, als würde sie die ältere Frau nun auf einer ganz
anderen Ebene wahrnehmen. Mit anderen Augen sehen.
Unwillkürlich kehrten Oriannas Erinnerungen an ihre Freundin
zurück in Maras Bewusstsein und sie war sich eine Sekunde lang
nicht sicher, ob sie die jugendliche oder die gealterte Sarzamin vor
sich sah.
„Ich dachte schon, Sie wären abgehauen, ohne Auf Wiedersehen
zu sagen“, meinte Sarzamin in dem Versuch, einen Scherz zu
machen. „Nicht gerade die feine Old Core-Art.“
„Wir müssen mit Ihnen sprechen“, sagte Mara gerade heraus.
Sarzamins Stirn kräuselte sich. „Mit mir? Ich wüsste nicht, was
ich Ihnen noch zu erzählen hätte, so gerne ich Ihnen helfen würde.“
„Sie können“, korrigierte Mara. „Es geht um Orianna Matale.“
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Der Name schien einen emotionalen Schalter im Kopf der
Blumenhändlerin umzulegen. Ihr Blick wirkte ein wenig verklärt
und sie starrte Mara an wie eine Erscheinung.
„Orianna?“ fragte sie.
„Dürften wir eintreten?“ warf Skywalker ein. „Wir sollten dies
vielleicht nicht zwischen Tür und Angel besprechen. Zur
Sicherheit.“
„Oh ja, natürlich. Bitte kommen Sie rein.“
Sarzamin trat beiseite, um sie einzulassen. Da ihre Gäste
inzwischen gut genug mit den Räumlichkeiten vertraut waren,
verzichtete sie darauf, sie in die Wohneinheit zu führen, sondern
verriegelte die Tür hinter ihnen und folgte ihnen anschließend.
Mara nahm erneut auf dem Sofa Platz, Skywalker ließ sich in den
Sessel sinken, indem er schon am Vortag gesessen hatte. Ihre
Gastgeberin nahm Vorlieb mit dem zweiten Sessel, der Luke
gegenüber auf der anderen Seite des Couchtisches stand.
„Nun“, sagte Sarzamin gedehnt und verschränkte die Finger fest
in einander, „wie kann ich Ihnen helfen? Was sind das für Fragen,
die sie Orianna haben?“
Mara warf Skywalker einen Blick zu, den er einen Augenblick
lang erwidert. In ihren Eingeweiden schien sich ein unangenehmer
Knoten zu bilder, der zu zuvor noch nicht da gewesen war.
„Haben Sie es bei sich, Skywalker?“ fragte sie den Jedi-Meister.
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie sich Sarzamins Augenbrauen
fragend nach oben schoben.
Luke nickte, öffnete eine der Taschen an seinem Gürtel und zog
einen kleinen, schwarzen Beutel hervor, aus welchem er dann das
silbrig-weiße Amulett hervor zog, das Mara in letzter Zeit solche
Alpträume bereitete. Er beugte sich vor und legte das
Schmuckstück, das einst Sarzamins bester Freundin gehört hatte, auf
den Couchtisch und schob es in Richtung der Blumenhändlerin.
„Woher“, hauchte diese atemlos, „woher haben Sie das?“
„Das ist nicht weiter wichtig“, sagte Mara. „Sie erkennen es
wieder?“
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„Selbstverständlich erkenne ich es wieder“, gab Sarzamin
zurück. „Es gab nicht einen Tag, an dem Orianna es nicht getragen
hat. Vom Tag ihres Todes einmal abgesehen.“
Mara runzelte die Stirn. „Damals trug sie es nicht?“
„Zumindest fand man es nicht, als man die Überreste des
Anwesens nach Überlebenden durchsuchte“, sagte Sarzamin und in
ihren Augen hatte einen traurigen Ausdruck angenommen. „Nicht,
dass viel übrig geblieben wäre, das man hätte durchsuchen
können.“
„Wodurch haben Sie von ihrem Tod erfahren?“
„Durch die Feuer auf den Feldern. Als die Angreifer abzogen,
steckten sie das gesamte Anwesen in Brand. Es blieb nichts erhalten,
selbst das kultivierte Ackerland und die Obstplantagen waren
unbrauchbar. Alles, das auch nur den Anschein machte, noch ein
paar Credits wert zu sein, wurde von den Nomaden, den Siedlern
oder den Dantari geplündert.“
„Ist das der Grund, warum sie nie wirklichen Anspruch auf das
Anwesen oder die Ländereien erhoben haben?“ fragte Mara. „Außer
um dort Pflanzen anzubauen?“
„Nach Oriannas Tod gab es dort nichts mehr für mich.“ Ein
Schatten huschte über Sarzamins Gesicht. „Es war nichts weiter, als
ein verlassenes, totes Stück Land.“
Mara schluckte. Es war ihr zuwider, die ältere Frau an diese
tragischen Ereignisse zu erinnern und alte Erinnerung hervor zu
locken, die die Händlerin vermutlich tief in sich vergraben hatte.
„Hören Sie“, begann sie langsam. „Die Frau, die damals in Ihren
Laden kam, damit sie Sie zum Anwesen der Matales führen, hatte
das Medallion bei sich. Sie hat mir… uns mehr als genügen
Hinweise hinterlassen, damit auch wir den Weg hierher finden. Sie
hat uns das Medallion wissentlich in die Hände gespielt. Sie wollte,
das wir es finden und es irgendwie benutzen.“
„Benutzen?“ fragte Sarzamin verblüfft. „Wozu sollte es gut sein?
Es ist nichts weiter als eine Kette mit einem teuren Schmuckstück
daran. Und für manche hat es vielleicht einen sentimentalen Wert,
aber mehr nicht.“
180
„Das stimmt nicht ganz“, sprang Skywalker bei. „Es ist so, dass…
nun ja… Oriannas Geist eine Art Spur auf dem Amulett hinterlassen
hat. Eine Spur, die nur durch ein machtsensitives Wesen gelesen
werden kann.“
„Tatsächlich?“
Offensichtlich
wallten
in
Sarzamin
widerstreitende Gefühle auf, als wisse sie nicht so recht, was sie von
dieser seltsamen Entwicklung der Ereignisse halten sollte. „Und was
hat es ihnen so erzählt?“
„Einiges“, sagte Mara und lenkte die Aufmerksamkeit der
Händlerin damit wieder auf sich. „Zum Beispiel, dass Bithras
Marjumdar, Oriannas Schwager, das Geschäft der Matales
übernahm, nachdem Cailetet verstorben war. Dass Orianna nur
durch die Unfruchtbarkeit ihrer Schwester zur Erbin des Anwesens
wurde. Dass ihre Schwester Casseia sich das Leben nahm, weil sie
kinderlos blieb, ein Jahr, nachdem ihre Mutter gestorben war. Soll
ich noch mehr Details hervor graben?“
Mara konnte sehen, wie der anderen Frau ein Schauer über den
Rücken lief. „Nein, schon gut.“
„Besaß Orianna Fähigkeiten in der Macht, von denen die übrigen
Farmern oder ihre Familie nichts wussten?“
„Nein“, sagte Sarzamin. Sie sah aus, als würde sie angestrengt
nachdenken und jeden Moment, den sie mit ihrer Freundin geteilt
hatte, noch einmal durchleben. Verwirrung machte sich auf ihrem
Gesicht breit. „Nein. Und wenn, dann sprach sie jedenfalls niemals
darüber. Obwohl… Vielleicht…“
„Vielleicht was?“ fragte Mara. Ihre grünen Augen versuchten die
äußere Hülle der anderen Frau zu durchdringen und ihre Gedanken
zu lesen, doch ihr eigener Geist war dafür in zu großem Aufruhr.
„Es war so, dass Bithras, ihr Schwager, eines Tages jemand in ihr
Haus brachte“, erklärte die Blumenhändlerin langsam und rutschte
auf dem Polster ihres Sessels herum. „Einen Jedi.“
Wieder wechselten Mara und Luke eilige Blicke. Diese Tatsache
war ihnen bisher verborgen.
„Einen Jedi?“
„Ja. Ein Überlebender der Order 66, glaube ich. Keine Ahnung,
wie und wann Bithras ihn aufgelesen hat, er war eines Tages
181
plötzlich da. Seit dem sah ich Orianna nicht mehr so oft, sie verbat
mir, das Haus zu betreten. Zu meiner eigenen Sicherheit, wie sie
immer wieder betonte.“
„Das ist einleuchtend“, meinte Skywalker. „Selbst in diesem
Sektor fürchtete man die Konsequenzen, die mit einem Verrat an der
Neuen Ordnung des Imperators einhergingen.“
„Das weiß ich!“ rief Sarzamin und durchbohrte Luke mit einem
raschen Blick. „Das hat mir durchaus eingeleuchtet. Dennoch, ich
begann mir Sorgen zu machen. Wir hatten uns zuvor fast jeden Tag
gesehen, zusammen gekocht, ein wenig in der Stadt eingekauft und
die Besorgungen für unsere Haushalte getätigt. Doch als sie sich so
plötzlich zurück zog und den Kontakt nach außen zu scheuen
begann, spätestens da wusste ich, dass etwas nicht stimmte.
Orianna war seit dem Tod ihrer Schwester sehr verändert. Es war
nicht so, als ob sie sich je besonders nah gestanden hätten, wo sie
doch viele Jahre lang wie Rivalinnen gelebt hatten. Und dennoch
hatte Casseias Selbstmord seine Spuren an ihr hinterlassen. Als hätte
es eine Saite in ihr zum klingen gebracht, von der sie selbst nicht
gewusst hatte, das sie existierte. Ich glaube, sie begann zu
realisieren, wie einsam sie wirklich war, wie verlassen. Alle, ihre
gesamte Familie, war inzwischen gestorben und alle die ihr blieben
war Bithras und ein leeres Haus.“
„Was ist mit Ilya?“ fragte Mara. „Sie hat ihn geliebt und er hat sie
auch geliebt. Hat er jemals mit Ihnen über Orianna gesprochen?. “
Sarzamins Augen funkelten. „Also wissen Sie auch über Ilya
Bescheid?“ fragte sie argwöhnisch.
„All ihre Erinnerungen sind in Oriannas Amulett gespeichert“,
erklärte Mara. Sie wollte schon ein „Fragen Sie mich nicht, warum“
hinzufügen, doch sie verkniff sich diesen Ausspruch. Stattdessen
fixierte sie nun Skywalker mit festen Blicken. „Ich denke, Sie können
das am besten erklären.“
Luke blinzelte, schien um eine Antwort verlegen. Es dauerte eine
Weile, eher er seine Worte gewählt und zu einer vernünftigen
Antwort umgewandelt hatte.
„Es gibt Techniken, mit denen die Jedi Erinnerung versiegeln
können, ja“, sagte er langsam. „Sie können entweder in Objekten
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oder in Personen verborgen werden und sie bleiben solange
verschollen, bis Derjenige kommt, dem es bestimmt ist, sie zu
finden. Und vielleicht hat der Jedi, den Bithras und Orianna zu
retten versuchten, dafür gesorgt, dass das Amulett die Erinnerungen
speichert. Warum wissen wir nicht.“
Es gibt so einiges, das wir nicht wissen, dachte Mara frustriert.
„Und Miss Jade hier sollte bestimmt gewesen sein, Oriannas
Erinnerungen zu entdecken?“ hakte Sarzamin nach. „Warum das?“
„Das wüssten wir selbst zu gerne“, sagte Mara. „Deswegen sind
wir zu Ihnen gekommen. Sie sind vielleicht die Einzige, die uns
sagen kann, welche Verbindungen Orianna noch gehabt haben
kann, kurz bevor sie starb. Vielleicht hat der Jedi, den sie erwähnten,
etwas damit zu tun. Wir wissen es nicht.“
„Und jetzt erhoffen Sie sich von mir eine Antwort?“
„Nein.“ Mara schüttelte langsam den Kopf. „Keine Antwort. Nur
ein paar Informationen, die nur eine beste Freundin wissen kann.
Immerhin waren sie Oriannas engste Vertraute.“
„So eng scheinbar auch wieder nicht.“ Sarzamin lehnte sich mit
einem Seufzen in ihrem Sessel zurück.
„Gibt es denn noch irgendetwas Ungewöhnliches, an das Sie sich
erinnern?“ warf Skywalker ein und versuchte somit, die Händlerin
sanft aber bestimmt in die richtige Richtung zu stoßen. „Wer war
der Jedi? Haben Sie ihn je gesehen.“
„Nur einmal“, erwiderte Sarzamin, die plötzlich ziemlich müde
wirkte. „Ich weiß nur noch, wie er ausgesehen hat. Ein Nautolan mit
einer Haut so grün wie die Blätter der Blba-Bäume. Er schien
Orianna sehr zugetan, umschwirrte sie wie eine Motte das Licht.“
Mara biss sich auf die Unterlippe. Konnte May den Nautolan
gemeint haben, der das fehlende Bindeglied zwischen ihr und Mara
darstellte? Es war unwahrscheinlich. Sie haben ihn bereits gesehen,
in ihrem Träumen, wiederholte sie im Kopf die Worte der
Imperialen Agentin. Der Nautolan jedoch war bisher in keiner ihrer
Visionen aufgetaucht. Er musste tatsächlich er kurz vor Oriannas
Tod in ihr Leben getreten sein, war für ihren Tod vielleicht sogar
maßgeblich verantwortlich.
183
„Das Anwesen wurde niedergebrannt, sagen Sie?“ wiederholte
Mara. „Wissen Sie von wem?“
„Nicht genau“, antwortete Sarzamin. „Doch ich glaube, es waren
Imperiale Sturmtruppen.“
Hatte jemand Wind von Oriannas und Bithras geheimen Gast
bekommen und war mit dieser Information an die Imperialen
Behörden heran getreten? Wieder einmal überschlugen sich Maras
Gedanken, bis ihr schwindlig wurde.
Nein, nicht ihre Gedanken verursachten den Schwindel. Es war
etwas Anderes, etwas, das sich weiter übernatürlicherer Kräfte
bediente.
Ihre Sicht schwamm mit einem Male und die Welt war von
schwarzen Schatten umrandet. Eine Ahnung bemächtigte sich ihrer,
eine Ahnung, die ihr die Macht selbst einzugeben schien. Denn,
ohne dass sie das Amulett berührte, zeichneten sich vor ihren Augen
plötzlich die Umrisse des Matale-Anwesens ab. Sie konnte den
Sessel sehen, in dem Bithras so gern zu sitzen pflegte, konnte sehen,
wie Casseia an der HoloComm-Einheit saß und ihrer jüngeren
Schwester vernichtende Blicke zuwarf.
Das Anwesen, dachte Mara und kämpfte gegen die plötzliche
Starre ihrer Glieder an. Dort wird sich alles aufklären.
„Ich danke Ihnen“, würgte sie mit belegter Stimme hervor. Sie
bot alle Konzentration, zu der sie fähig war, auf, um Vision zurück
zudrängen. Ihre Arme und Beine fühlten sich jedoch schwer wie Blei
an, als sie sich von der Couch erhob. Mit Hilfe eines kleinen
Machtstoßes bugsierte sie das Amulett zurück in das Säckchen,
indem Skywalker es hergebracht hatte, und schob dieses dann in
eine ihrer eigenen Gürteltaschen. „Vielleicht kommen wir jetzt
weiter mit unserem Rätsel.“
Einen Augenblick lang herrschte Schweigen und Sarzamin
betrachtete sie prüfend und mit großen Augen. „Ist alles in
Ordnung?“
„Ja“, nickte Mara. „Schon gut. Ich denke, ich sollte jetzt gehen.“
Mit einem Blinzeln erwachte Luke aus dem verwunderten
Starren, mit dem auch er sie bedacht hatte. Mara hatte die
184
Eingangstür schon fast erreicht, bis er ihr eiligen Schrittes
nachfolgte.
„Wo wollen Sie hin?“ fragte Skywalker entgeistert.
„Weg.“
„Was meinen Sie mit weg? Mara!“
„Ich brauche Zeit zum Nachdenken!“ fauchte sie ohne ihn
anzusehen. „Ich muss zurück zum Anwesen der Matales. Allein!"
Sie konnte hören, wie er scharf einatmete und einen Widerspruch
mühselig herunter schluckte.
Im Türrahmen hielt sie inne und wandte sich noch einmal zu
ihm, ein bitteres Lächeln auf den Lippen. Ihr war klar, dass sie ihm
Unrecht tat. Doch sie wusste, das Anwesen barg das letzte
Geheimnis, das Puzzleteil, das ihr zur Lösung des Rätsels noch
fehlte. Dort würde sie es ganz sicher finden, das letzte Bindeglied
zwischen ihr und May Montross.
„So unähnlich sind Montross und ich uns gar nicht“, sagte sie
leise und gedankenverloren. „Beide waren wir Agentinnen des
Imperiums und führten ein Leben im Schatten eines größeren
Mannes. Wir hatten uns einer Sache verschrieben, die weit größer
war als wir selbst. Und am Ende sind wir beide vom Imperium
verraten worden.“
DÜNNE WOLKEN LEGTEN SICH WIE EIN WEICHER SCHLEIER ÜBER DAS BLAU
des Himmels an dem Tag, an dem Casseias Tod sich das zweite Mal jährte.
Es lag der Duft von gemähtem Gras in der Luft und hier und da tanzten
die Pollen der Blba-Bäume in der Luft.
Das schwül-stickige Klima kam Orianna allerdings kaum zu gute. Es
machte ihr das Atmen schwer und ließ sie bei der kleinsten körperlichen
Anstrengung bereits in Schweiß ausbrechen. Selbst wenn sie sich,
kugelrund wie sie inzwischen war, am Morgen aus dem Bett erhob, war ihr
Haaransatz bereits feucht und ihr Hemd durchnässt. Und ihre Laune
wurde damit zusehends zwischen euphorischer Vorfreude und missmutigem Klagen hin und her geworfen.
Seit sich das Baby zum ersten Mal in ihrem Leib gerührt hatte, beschlich
sie jedoch noch ein anderes, unbekanntes Gefühl. Oft schien die Welt um sie
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herum wesentlich intensiver, ihre Eindrücke kräftiger. An dem Tag, als es
in der Siedlungen zu Krawallen wegen ausgebliebener VersorgungsFrachter gekommen war, hatte sie den brodelnden Zorn förmlich spüren
können. Doch nicht nur das, ihre Intuition war seither mehr als verlässlich,
manchmal wusste sie noch vor dem Erwachen, ob es ein guter oder ein
schlechter Tag werden würde, ob die Sonne schien oder Regen fiel oder wie
viele erlegte Iriaz der Schützenkönig in diesem Jahr nachhause bringen
würde.
Nach dem Frühstück nahm sie sich die Zeit, den Droiden ihre Aufgaben
für den Tag zuzuteilen und sich danach ausgiebig zu duschen. Das
Ankleiden nahm inzwischen sehr viel Zeit in Anspruch, da sie etwa so
beweglich war wie ein vollgefressener Hutt – und sie fühlte sich auch
genauso. Das Kind war zu einer undenkbaren Last geworden.
„Wie fühlt Ihr Euch heute, Mylady?“ fragte Eliashar, als Orianna sich
schließlich in der Wohneinheit in den Sessel sinken ließ, eine Hand auf
ihrem geschwollenen Bauch ruhend. Seine hochgesprossene, breitschultrige
Gestalt zeichnete sich wie ein Schemen gegen das Sonnenlicht ab. Seine
grüne Haut wirkte matt, seine schwarzen Amphibienaugen ausdruckslos.
„Dick und fett“, brachte Orianna hervor. „Langsam kann dieses Kind
zusehen, dass es den Weg in diese Galaxis findet. Ich bin es leid, schwanger
zu sein. Sagt, schläft Bithras noch?“
„Ich habe ihn heute noch nicht gesehen“, antwortete Eliashar. „Offenbar
war er wieder sehr lang wach. Ich habe ihn vor dem Schlafengehen wieder
vor der HoloComm-Einheit sitzen sehen.“
„Mit wem er wohl diesmal gesprochen hat“, fragte Orianna, adressierte
die Frage allerdings nicht direkt an den Jedi. Die Luft um Eliashar herum
schien stets zu vibrieren, als wäre er von einer unsichtbaren, warmen Aura
umgeben, und das jagte Orianna Ehrfurcht und Angst gleichermaßen ein.
Bithras sagte immer, er spüre nichts dergleichen, vielleicht bildete sie sich
dies auch nur aufgrund der vielen Heldenmythen ein, die man immerzu um
die Jedi gesponnen hatte. Doch Orianna weigerte sich zu glauben, dass es
bloße Einbildung war. Ein Teil von ihr konnte Eliashar spüren, streckte
sich nach seiner einnehmenden Präsenz aus, ohne dass sie es kontrollieren
konnte.
Gedankenverloren kaute sie auf ihrer Unterlippe herum. Sie und Bithras
würden in Malaks Küche geraten, sobald Ilya eintraf. Es würde ihn
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sicherlich nicht erfreuen, dass Orianna es Bithras gestattet hatte, einen
flüchtigen Jedi, einen der letzten, in ihrem Haus aufzunehmen. Eliashar
würde ihm anhaften wie ein unheilbarer Makel, der alles zunichte machen
würde, alle Verträge mit dem Imperium, für die er so hart gearbeitet hatte.
Orianna hingegen hatte den Jedi nicht abweisen können. Etwas in ihrem
Inneren hatte es nicht über sich bringen können, den Nautolaner dem Tod
zu überlassen, und sie fühlte sich ohnehin so schrecklich einsam. Wenn nur
endlich ihr Kind geboren würde...
Eliashar bedachte sie mit einem langen, jedoch unleserlichen Blick. Nicht
einmal seine Kopftentakel rührten sich. Er stand einfach in seiner
schlichten Tunika da, die Hände vor der Brust gefaltet, als würde er gerade
sehr intensiv nachdenken.
„Was ist denn?“ fragte Orianna und lehnte sich zurück. Ihr war, als
hätte sie ein entferntes Flimmern seiner Gedanken aufgefangen.
„Mylady...“, begann Eliashar langsam, als hätte er sie die Worte sorgsam
zurecht gelegt. „Wir Jedi waren noch nie die Meister der Geheimniskrämerei, deswegen verzeiht bitte, falls ich etwas zu forsch erscheine. Als
ich hier ankam, war ich dankbar, eine sichere Zuflucht gefunden zu haben,
zumindest für den Moment. Ich wollte nur lang genug bleiben, bis ich
einen anderen Ort gefunden hätte, an dem ich mich für ein oder zwei
Monate durchschlagen könnte. Die Tage vergingen rasend schnell, aber ich
hatte das Gefühl, dass ich nicht weiterziehen konnte, zumindest jetzt noch
nicht, und als ich die Macht um Rat ersuchte, wurde mir klar, dass hier
eine bedeutende Aufgabe auf mich wartet.“
„Eine bedeutende Aufgabe?“ fragte Orianna und versuchte ihren Hohn
zu verbergen. „Auf Dantooine gibt es nur die Ernte und den ewigen
Wechsel der Jahreszeiten. Das hier ist nicht Coruscant. Was also sollte es
für einen Jedi hier zu tun geben? Weswegen sollte die Macht Euch
ausgerechnet hierher geführt haben?“
„Euretwegen, Mylady“, sagte Eliashar, „oder vielmehr wegen Eures
Kindes.“
Oriannas Augenbrauen hoben sich skeptisch, also beeilte der
Nautolaner sich seine Gedanken weiter auszuführen. „Der Tag, an dem
mich Euer Schwager in dieses Haus brachte, wird mir wohl ewig im
Gedächtnis bleiben und damit auch Euer Anblick. Ihr ward, wie sagt man
hier noch, 'eine Blume, die in voller Blüte steht'? Die Einsamkeit und
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die Schwangerschaft machten euch längst nicht so zuschaffen wie heute,
doch je länger ich Euch beobachtete, umso mehr fiel mir eine Veränderung
an Euch auf. Nicht körperlich, sondern mental. Die Spur, die Ihr in der
Macht hinterließt, wurde verschwommener und gleichzeitig auch
intensiver. Auch jetzt spüre ich dieses Pulsieren in der Macht, das von
Euch ausgeht... und doch seid nicht Ihr es, die plötzlich in der Macht
gewachsen ist.“
„Ihr meint“, sagte sie und ihre Kehle war mit einem Mal unendlich
trocken, „dass mein Baby in der Macht begabt ist?“
Der Nautolaner nickte langsam. „Möglich wäre es. Es würde
zumindest den Zustand eines erweiterten Bewusstseins erklären, der Euch
dann und wann zu überkommen scheint. Aber erst nach der Geburt kann
ich Genaueres sagen. Erst dann lässt sich die Midichlorian-Zahl eines
Menschen genau testen.“
„Nein!“ Orianna spürte einen schmerzhaften Kloß, der sich in ihrer
Kehle verdichtete und ihr die Luft abzuschnüren drohte. „Das kann nicht
sein! Es darf nicht sein! Ich will nicht...“
Sie brach ab, wagte es nicht die Befürchtung, die ihr auf der Zunge lag,
auszusprechen, so sehr ängstigte sie der Gedanke. Für die Macht empfänglich zu sein war in diesen Zeiten, selbst an diesem Ort, keine gute Sache!
Doch auch dies hatte der Nautolaner offenbar schon voraus gesehen und er
zwang sich zu einem Lächeln.
„Ihr solltet jetzt das Andenken Eurer Schwester ehren, Mylady“, sagte
er leise. „Sonst wäre Eure harte Arbeit an dem Blumengesteck völlig
umsonst gewesen.“
„Ja, Ihr habt Recht“, murmelte Orianna benommen. „Würdet Ihr mir
den Gefallen tun mich zu begleiten? Ich möchte nicht allein sein.“
„Es wäre mir ein Vergnügen.“
Gemeinsam gingen sie zu dem Hügel und lehnten einen Kranz aus
Bitterblüten und Steinblumen an den Stamm des Perlfruchtbaumes, unter
dem Casseia vor zwei Jahren ihrem Leben ein Ende gesetzt hatte. Die Leere,
die sie beim Anblick ihres Leichnams verspürt hatte, kehrte mit nur
langsam verblassender Deutlichkeit zurück und Orianna stand neben
Eliashar, vom traurigen Andenken ihrer Schwester völlig taub und
benommen.
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„Manchmal vermisse ich sie“, sagte sie leise und lauschte dem Rascheln
des Windes in den jungen Baumkronen. „Es gibt vieles, das ihr hätte sagen
sollen.“
„Wir alle kennen das.“ Der Nautolaner legte ihr besänftigend eine
Hand auf die Schulter. „Worte, die wir nie über die Lippen gebracht haben.
Jedes Lebewesen weiß um diese unausgesprochenen Wahrheiten, nur leider
erkennen wir sie erst, wenn es bereits zu spät. Alles was dann noch bleibt
ist Bedauern.“
Sie blinzelte überrascht und legte behutsam eine Hand auf ihren runden
Leib. „Und was tut Ihr gegen diesen Schrecken? Wie haltet Ihr das
Bedauern und die Verzweiflung in Schach?“
„Ich finde meinen Trost in der Macht. Sie ist der Ursprung und das
Ende, die Quelle und die Mündung, und alles fließt wieder in sie zurück.
Angesichts dessen haben Worte und Taten keine Bedeutung mehr.“
Mehr sagte Eliashar nicht und Orianna fragte sich, wie schon so oft seit
dem Abend, an dem Bithras den Jedi ins Haus geholt hatte, was er wohl
wirklich über sie denken mochte. Über sie und Ilya. Über sie und ihr Baby.
Über das Leben, dass sie sich ausgesucht und in das ihr Jedi-Kind
hineingeboren werden würde. Sie hatte sich die Geburt eines neuen Jedi
immer dramatisch und schicksalhaft vorgestellt, nicht einsam und
verlassen, nur mit Mutter und Onkel als Gesellschaft und einem Vater, der
sich nur gelegentlich versicherte, dass sein Heim noch stand. Warum sollte
die Macht ihre Gabe einem solchen Kind schenken, das nie mehr kennen
würde als die Felder und Wiesen Dantooines?
„Es gibt für alles einen Grund“, sagte Eliashar mit einem angedeuteten
Lächeln, als er sie trotz der Hitze frösteln sah. „Nichts geschieht zufällig.“
Drei weitere Tage kamen und gingen, doch der Fluss der Zeit schien zu
dickflüssigem Schlick geworden zu sein, so unerträglich lang war das
Warten. Zur Abenddämmerung des vierten Tages dann setzte ein
stechender, alles beherrschender Schmerz ein und Orianna wusste, dass der
Zeitpunkt endlich gekommen war.
Die ersten Sterne der Unbekannten Regionen schimmerten bereits am
Firmament, als man der erschöpften, in Schweiß gebadeten, jungen Matale
ein warmes, strampelndes Bündel in die Arme legte und ihr klar wurde,
wie unvorbereitet sie wirklich war. Doch obgleich sie der Gedanke an die
Zukunft noch immer ängstigte, der Anblick ihrer Tochter war ein einziges,
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helles Strahlen, das alles Unheil zu bannen vermochte. Was auch immer
nun kommen sollte, es war ihr gleich, solange sie das Mädchen nur fest im
Arm hielt. Denn es war ihr Mädchen und sie war bereits jetzt
wunderschön und vollkommen, mit ihrem weichen Haarflaum und den
schillernd grünen Augen. Und würde Orianna morgen verarmen, Hunger
leiden oder durch Tod und Krankheit gezeichnet werden – sie hätte ihre
kleine Blume gegen nichts in der Galaxis eingetauscht.
ES DAUERTE NICHT LANGE, BIS SIE DIE BLAU SCHIMMERNDE ENERgiebarriere erreichte, die die Grenze zum Land der Familie Matale
darstellte, und eine Schwachstelle in dem veralteten Zaun fand, die
es ihr leicht machte, die Ländereien zu betreten.
Ihre Beine trugen sie wie auf Befehl eines anderen den flachen
Abhang hinunter und auf das gebrandmarkte Haus zu, das noch
immer mit der stillen Beständigkeit einer Ruine da lag. Seit diese
Jedi-Ahnung über sie gekommen war, fühlten sich ihre Sinne wie
betäubt an. Sie war dafür in gewisser Weise sogar dankbar, denn so
zwang sie keine Müdigkeit und keine Benommenheit dazu über die
letzten Visionen nachzudenken, die Orianna ihr beschert hatte.
Sie wählte den gleichen Weg, den Skywalker und sie schon
einmal zum Haupteingang des Hauses genommen hatte. Noch
immer lag Schrapnell umher, das der von May installierte
Bewegungssensor nach seiner Explosion hinterlassen hatte, doch
Mara störte sich nicht daran, sondern berat nun ohne umschweife
die Eingangshalle des Hauses.
Die verkohlten Überreste von Perlfruchtbäumen zierten sowohl
die Diele, als auch einige der Korridore. Gelbgoldene Moosflechten
wucherten an ihren Wurzel und eroberten langsam die Fugen
zwischen den Durastahlpaneelen, mit denen die Korridore
verkleidet waren. Auch daran störte Mara sich nicht, die sich wie in
einen neuen Traum zurück versetzt sah. Das ramponierte Antlitz
des Hauses vermischte sich mit den Bildern, die sie mit Oriannas
Augen gesehen hatte, und sie hatte das Gefühl, noch die
Anwesenheit der ehemaligen Bewohner zu spüren.
190
Ihr Weg führte sie ohne Umwege in die alte Wohneinheit, wo
Orianna viele Tage ihres Lebens verbrachte hatte. Trotz des
Schadens, den die Einrichtung bei dem Brand genommen hatte,
konnte sie sehen, wie Orianna sich im alten Sessel ihres Vaters
niederließ und gedankenverloren aus dem Fenster sah. Die alte
HoloComm-Einheit in der Ecke war fast vollständig zerstört.
Kabelbündel ragten aus der zertrümmerten Tastatur. Alles war von
einer jahrzehnte alten Staubschicht bedeckt, selbst die großzügig
angelegten Panoramafenster, die einst Ausblick auf eine fruchtbare
Plantage geboten hatten.
Ein Seufzen entkam ihren Lippen, während sie sich in dem
Zimmer umsah und sich vorzustellen versuchte, wie es hier
aussehen mochte, hätte Oriannas Leben nicht ein so unseligen Ende
genommen. Es war seltsam, doch sie spürte eine seltsame
Verbundenheit zu jedem Ding, dass sie in diesem Raum sah, als
würde sie das Grab eines alten Freundes besuchen.
Aber was genau glaubte sie nur hier zu finden? Warum hatte die
Macht sie hierher geführt?
Mit einer Hand brachte sie das Säckchen mit dem Amulett zum
Vorschein und betrachtete es eine Weile.
Sie war fast am Ende angelangt. Nicht mehr viel und alles würde
endlich einen Sinn ergeben.
EIN LETZTES MAL TAUCHTE MARA IN DAS LEBEN ORIANNAS EIN. EIN
Leben, dessen letzte Stunden halb im Dunkel des Vergessens und der
Verdrängung lagen. Und die Dunkelheit war erfüllt von Schreien, von
Schmerz, von Angst und Hass.
Der Hass, der aus Ilyas Augen sprach, als er die Wahrheit über den
Nautolan herausfand. Die Angst, die Orianna lähmte. Der Schmerz, als er
sie packte und seine Wut wie sauren Regen auf sie nieder regnen ließ.
„Wie konntest du es wagen, diese Person ins Haus zu lassen?“
herrschte er sie an. „Willst du uns alle umbringen?“
Oriannas Mund war trocken, ihre Kehle wie zugeschnürt. „Ich... ich...“
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„Hast du eine Ahnung, was das Imperium mit Verrätern anstellt?
Hm? Hast du irgendeine Ahnung, was du getan hast?“ Sein Griff
schloss sich fester um ihren Oberarm.
„Ilya, du tust mir weh!“
„HÖRST DU, WAS ICH SAGE?“
Tränen verschleierten ihre Sicht. Panik schien ihre Innereien zu
verflüssigen. Sie fürchtete sich zu Tode vor dem Mann, den sie liebte.
„LASST SIE GEHEN!“ rief Eliashar und zerrte Orianna vom Vater
ihrer Tochter fort. Entfernt spürte sie, wie Bithras schützend einen Arm
um sie legte.
„EURETWEGEN SIND WIR DEM UNTERGANG GEWEIHT!“
brüllte Ilya ohne seine Wut länger zu zügeln, doch Orianna war sich nicht
sicher, ob er damit sie oder den Jedi meinte. „ICH HABE DIESER FRAU
MEIN LEBEN GEOPFERT. UND WOZU? NICHT, DAMIT SIE ES
EINFACH SO WEGWIRFT! FÜR EINEN JEDI!“
„Du bist doch nicht ganz bei Trost!“ sagte Bithras entgeistert.
„Was weißt du schon, du NICHTSNUTZ!“ blaffte Ilya, der seinen
Zorn nun gegen seinen ehemaligen Freund wandte. „Die letzten zwei Jahre
habe ich damit verbracht, unsere Position innerhalb des Imperiums zu
festigen. Und als Dank fallt ihr beide mir in den Rücken!“
„Oh, natürlich, Geschäfte mit Mördern und Kriegstreibern zu machen
ist ja auch so eine noble Sache!“ gab Bithras zurück.
Selbst durch ihre Tränen hindurch sah Orianna, wie die verzerrte,
wutentbrannte Grimasse auf Ilyas Gesicht erstarrte. Ihr Herz setzte einen
Schlag lang aus. Sie wagte es nicht zu atmen.
Ilya kehrte in dieser Nacht nicht zurück, ganz gleich, dass Orianna
Stunde um Stunde wach lag und auf ihn wartete, so, wie sie es immer
getan hatte. Ihre Tränen kamen und gingen wie der Wechsel von Trockenund Regenzeit in einem Zeitraffer.
„Er wird wiederkommen“, hörte sie jemanden sanft in ihr Ohr flüstern.
„Er wird sich schon wieder beruhigen. Und dann kriegen wir das geregelt.“
Der nächste Tag brach an, immer mehr Zeit verstrich und die Sonne
stand schließlich fast auf dem Zenit, aber Orianna verspürte nicht genug
Kraft in ihren Gliedern, um sich von ihrem Bett zu erheben. Sie wusste, so
musste sich Casseia gefühlt haben. Sie hatte ihren Liebsten noch nie so
192
wutentbrannt gesehen. Sein Zorn war noch heftiger gewesen, als selbst sie
und Bithras hatten vorhersehen können.
Immer wieder wurde sie von der Erschöpfung übermannt und fiel in
unruhigen Schlaf. Irgendwann, als sie gerade genug bei Sinnen war, hörte
sie auf dem Flur leises Raschen und Fußgetrappel, während Bithras und
Eliashar eilige Reisevorbereitungen trafen.
„Der alte Dúlamen ist einer der treusten Freunde der Matales“, hörte
sie ihren Schwager irgendwann einmal flüstern. „Er wird Euch an Bord
der Fortune Weaver bringen. Der nächste Halt ist dann Garlex Med.“
„Wann können wir aufbrechen?“ fragte der Jedi.
„Nicht vor der Abenddämmerung. Nautolaner sind keine oft gesehene
Spezies auf Dantooine. Das allein würde mehr Aufmerksamkeit auf Euch
lenken als gesund ist, Meister Jedi.“
Dann fiel Orianna erneut in die Dunkelheit, die durchzogen war von
grausamen Visionen der Verwüstung und Zerstörung. Die Welt um sie
herum zerfiel, alles lag in Trümmern, und das Schreien eines Kindes
erfüllte die interstellare Nacht.
Das Schreien eines Kindes...
In Angstschweiß gebadet kämpfte sie sich ins Bewusstsein zurück. Das
Schreien hörte nicht auf. Es war laut und schrill. Es war ganz nah.
„Oh Nein!“ stöhnte sie.
Unter Aufbietung aller verbleibenden Kräfte stemmte Orianna sich in
die Höhe, stürzte aus dem Zimmer und rannte den Korridor entlang zum
Kinderzimmer. Die Tür stand offen und sie konnte Bithras' Stimme durch
das gequälte Jammern ihrer Tochter hindurch hören. Die Luft brannte in
ihren Lungen.
Der Jedi hielt das schreiende Mädchen auf den Arm, eine amphibische
Hand auf ihrem Schopf platziert und Bithras beobachtete ihn ungeduldig.
Ihr Atem beschleunigte sich, je mehr sie gegen die erneut aufwallende
Panik ankämpfte.
„Was tut ihr da?“ fragte sie entsetzt.
Sie sah, wie Bithras zusammen zuckte. Offenbar hatte er nicht damit
gerechnet, dass sie aus ihrem Dämmerzustand erwachen könnte.
„Orianna!“ keuchte er, fing sich dann aber. Er kämmte sein Haar
zurück und bemühte sich, einen erklärenden Tonfall anzuschlagen.
193
„Orianna, sie hat sich aus ihrer Wiege hinaus levitiert. Ich habe es selbst
gesehen, wie sie schwebend in der Luft hing...“
„Was?“
„Das sollte Beweis genug für Euch sein, Mylady, dass dieses Mädchen
über die Macht gebieten kann“, sagte Eliashar ruhig, aber bestimmt. Seine
schwarzen Augen schienen sie bis zum Kern ihres Wesens zu
durchleuchten.
„Ich... ich kann nicht denken...“, sagte sie und sank auf einen Hocker
neben der Wiege. Ihr Kopf warf wie leer gefegt. Sie war es müde, sich selbst
einzureden, dass ihr Kind niemand besonderes war.
„Gebt sie mir“, murmelte Orianna schließlich und der Jedi legte das
Mädchen in die Armen seiner Mutter. Diese küsste es auf die Stirn und
flüsterte beruhigende Worte, obwohl ihr eigenes Herz noch immer aufgeregt
pochte. „Hab keine Angst...“, murmelte Orianna leise. Bithras und
Eliashar warteten schweigend.
Der Knall einer Explosion zeriss die Luft. Schreckerfüllt sprang
Orianna auf, ihre Tochter immer noch fest an ihre Brust gedrückt. "Was
war das?" fragte sie die beiden Männer ängstlich. Bithras war jedoch selbst
zu erschrocken, um eine Antwort hervorzubringen.
„Großes Unheil!“ rief Eliashar. „Uns bleibt keine Zeit.“
Das Klappern vieler Fußschritte hallte durch den Korridor.
Mechanische Stimmen, wie von einem Helm gefiltert, rauschten durch die
Gänge des Anwesens. Konnte sie dort etwa hören, wie jemand einen Blaster
aus dem Halfter zog und auflud?
„Sturmtruppen“, bestätigte Eliashar ihre Gedanken.
„Ilya wird doch nicht...?“, hauchte Orianna mit zitternden Lippen. „Er
kann unmöglich...“
„Orianna?“ hörte sie plötzlich jemanden eindringlich rufen. Es klang,
als käme es aus der Wohneinheit. „Orianna?!“
Eliashar schlich vorsichtig zur immer noch offenstehenden Tür hinüber,
presste sich gegen die Wand und spähte vorsichtig um die Ecke. Orianna
warf ihrem Schwager einen Blick zu, während das Mädchen in ihren
Armen unruhig strampelte. Er sah genauso schlecht aus, wie sie sich im
Moment fühlte.
„ORIANNA!“
„Antwortet ihm“, zischte Eliashar leise. „Rasch!“
194
„Ich bin im Kinderzimmer!“ rief sie, das Zittern in ihrer Stimme
unterdrückend.
Sofort rückte das Fußgetrappel näher. Vor ihrem geistigen Auge sah sie
bereits, wie die Sturmtruppler die Korridore sicherten und ihre Waffen zum
Anschlag brachten, bereit alles und jeden zu erschießen. Eliashar zog sich
langsam von der Tür zurück und trat an Oriannas Seite. Bithras beeilte
sich, es ihm gleich zu tun.
Schließlich lösten sich die Geräusche von zwei paar Stiefeln. Das
Geräusch, welches die Sohlen auf dem gefliesten Boden erzeugten, erschien
ihr bereits wie ein Pistolenschuss.
Dann trat Ilya ein, aber er war nicht allein. Neben ihm stand ein
hochgewachsener Mann mit einem kantigen, beinahe grobschlächtigen
Gesicht und kurz geschorenem Haar. Auf seinem grauen Kampfanzug
glänzten mehrere, Imperiale Abzeichen. Der Mann trug eine Miene zur
Schau, die ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Hinter ihnen bezogen
drei Sturmtruppler Position.
„Ist er das?“ fragte der Mann mit rauer Stimme. „Der Nautolan?“
Ilya nickte. Es war Orianna unmöglich, seinen Gesichtsausdruck zu
deuten. Wenn sie ihn ansah, sah sie einfach nichts; sie erkannte ihn nicht
wieder. „Ja, das ist der Jedi.“
Multiples Klicken erfüllte den Raum, als die Sturmtruppler ihre
Blastergewehre auf Eliashar richteten. Auch der Mann zog eine BlasTechPistole hervor und überprüfte die Energiezellen.
„Nein!“ keuchte Orianna. Das Kind auf ihrem Arm gab ein gequältes
Quietschen von sich.
„Nimm das Kind da weg“, blaffte der Imperiale Agent ungehalten in
Ilyas Richtung. „Und nimm dein Frauchen gleich mit. Sie steht eh nur
unnütz in der Gegend herum.“
Orianna kämpfte gegen den Knoten in ihrer Kehle an und Tränen
verschleierten erneut ihre Sicht. Ilya trat vor, legte eine Hand auf Oriannas
Oberarm und führte sie langsam in Richtung Tür. Ihre Beine wurden
weich und sie war so kraftlos und verwirrt, dass sie ihm ohne Widerstand
folgte.
Er führte sie mit großen Schritten auf den Korridor, wo sich zu beiden
Seiten Sturmsoldaten gegen die Wände pressten und abwarteten, ob der
Jedi einen unüberlegten Fluchtversuch wagen würde.
195
„Alles wird gut“, flüsterte er ihr ins Ohr. „Vertrau mir.“
Orianna sah ihn verwirrt an und eine neue Emotion mischte sich unter
ihre Angst: Unbändiger, ungezügelter Zorn.
Wie konnte er sich noch erdreisten von Vertrauen zu sprechen?
Blasterschüsse tauchten den Korridor immer wieder rotes, todbringendes Licht. Bithras' und Eliashars Todesschreie jagten ihr kalte Schauer
über den Rücken, während sie mit zusammen gepressten Lippen lauschte.
Einer der beiden versuchte ein paar letzte Worte hervorzupressen, doch
über den Lärm des Schüsse hinweg konnte sie nicht verstehen, was gesagt
wurde.
Ilya zerrte sie in die Wohneinheit und schloss die Tür hinter ihnen. Die
Geräusche erstarben abrupt. Noch immer wusste sie nicht, ob ihm klar war,
was er soeben getan hatte oder ob er es bereute.
„Sag, wann bist du zu einem Mörder geworden?“ fragte sie kühl. Eine
Sekunde lang wunderte sie sich, welche Intensität die Abscheu ihrer
Stimme verlieh. „Was haben deine neuen Freunde getan, um dich so zu
verderben?“
Eine Ohrfeige war die Antwort.
„Halt den Mund!" fauchte er. „Du hast ja keine Ahnung!“
„Dann erkläre mir doch, wovon ich keine Ahnung habe!“ blaffte sie
zurück, den Schmerz in ihrer Wange ignorierend.
„Ich wollte euch beschützen!“
Für einen Augenblick hing nur das Schreien des Kindes zwischen ihnen
in der Luft.
„Und du erwartest jetzt von mir, dass ich dir glaube und Verständnis
für dich habe?“ fragte Orianna eisig, ehe sie beruhigend den Schopf ihrer
Tochter zurückstrich. Irgendetwas sagte Orianna, dass das Mädchen sehr
genau wusste, was um sie herum passierte. „Tut mir leid, damit kann ich
nicht dienen!“
Mit einem Zischen glitt die Tür auf und der Imperiale Agent trat ein.
Etwas Rötliches schimmerte am Ärmel seines Kampfanzuges,
wahrscheinlich Blut. Orianna wollte sich die Gräuel nicht ausmalen, die er
ihrem Schwager und dem Jedi zugefügt hatte. Seine Pistole hielt er noch
immer fest umklammert und hinter ihm versammelten sich einige
Sturmtruppler auf dem Gang.
196
„Der Jedi hat noch ein paar sehr interessante Dinge erzählt“, begann er,
richtete seine Worte dabei jedoch eher an Ilya, als an Orianna, „bevor er
schließlich abgedankt hat.“
Eine entsetzliche Vorahnung ließ Orianna erzittern.
„Das kleine Mädchen dort“, der Agent nickte in ihre Richtung, „er
schien großes Interesse daran zu haben, dass wir sie nicht in die Finger
kriegen.“
„Wie bitte?“ fragte Ilya verständnislos.
„Wenn ein Jedi Interesse an einem Neugeborenen zeigt“, führte der
Agent weiter aus, ohne auf eines der Elternteile zu achten, „dann beweist
das nur eins: Das Kind hat einen besonderen Wert für den sterbenden
Orden der Jedi. Einen Wert, den andere Kinder nicht haben...“
Jeder Muskel in Oriannas Körper schien wie gelähmt, sie konnte sich
einfach nicht von der Stelle rühren. Nur ihre Augen folgten gebannt, wie
der Mann lässig durch die Wohneinheit schritt und sich in aller Seelenruhe
umschaute. Er nahm die Holoprojektionen an der Wand in Augenschein,
strich mit den Fingern über die Tastatur an der HoloComm-Einheit, seine
BlasTech-Pistole weiterhin fest umschlossen.
„An deiner Stelle würde ich ihr das Kind abnehmen“, sagte er
schließlich an Ilya gewandt. Ein dämonisches Glitzern war in seine Augen
getreten.
Ohne weitere Umschweife – ohne auch nur einmal die Motive des
Imperialen Agenten zu hinterfragen – packte Ilya Oriannas Arm und wand
das Mädchen aus der Umarmung seiner Mutter.
Orianna hätte ihn am liebsten angespukt, doch sie war zu sehr damit
beschäftigt, sich ihre Tochter nicht wegnehmen zu lassen. Er war viel
stärker als sie...
Ein einziger Schuss setzte dem Kampf zwischen Mutter und Vater ein
Ende. Finsternis verschluckte alle Empfindungen.
Einen Moment lang glaubte Mara, sie könnte nicht mehr atmen, würde
in die alles verschlingende Dunkelheit hinab gezogen werden. Doch dann
gab es eine Verzerrung, ein Wechsel in der Perspektive. Und plötzlich sah
sie nicht mehr mit Oriannas Augen, sondern starrte auf sie hinab und sah,
wie die junge Matale regungslos am Boden lag. Der kleine Teil von Mara,
der sich noch nicht ganz den machtvollen Erinnerungen ergeben hatte,
197
wand sich, begehrte auf, sträubte sich gegen die Erkenntnis. Dies waren
nicht länger Oriannas Erinnerungen.
Es waren ihre eigenen.
Rajasta Djae beugte sich über Oriannas Leichnam und warf Ilya die
Kette mit dem Amulett zu. „Hier, nimm’s als Erinnerung an deine kleine
Farmlady. Besser du suchst dir deine Frauen in Zukunft sorgfältiger aus.“
Dann winkte er einem Soldaten zu, der Ilya das schreiende Kind abnahm.
„Man wird sich für diesen Dienst am Imperium noch bei dir erkenntlich
zeigen."
„Was habt ihr mit ihr vor?" fragte Ilya entgeistert und vor Schreck
ganz leichenblass. „Wo bringt ihr sie hin?“
Als Antwort erhielt er das Klicken von Blastergewehren, die von Töten
auf Betäuben umgeschaltet wurden. „Los, Bewegung“, befahl der
Kommandant der Sturmtruppe barsch und stieß Ilya mit der Mündung
seines Gewehrs in den Rücken.
„Was tut ihr mit meiner Tochter?“ verlangte er erneut zu wissen,
diesmal mit mehr Nachdruck und Verzweiflung in der Stimme.
„Wenn sie wirklich in der Macht begabt ist, so wie der Jedi gesagt hat,
dann wird der Imperator ein Auge auf sie werfen wollen“, erklärte Rajasta
kühl. „Und falls sie seine Prüfung übersteht, darf sie weiterleben, anstatt
der Order 66 gemäß exekutiert zu werden. Vielleicht wird Palpatine sogar
Nutzen aus ihr ziehen können. Du selbst wirst Nutzen aus ihr ziehen
können.“
Der imperiale Agent sah auf das strampelnde Bündel auf dem Arm des
Sturmsoldaten hinab und lächelte eiskalt. „Ihre Exekution wäre aber auch
ein Jammer. Sie wird sicher eine Schönheit wie ihre Mutter. Das kupferrote
Haar hat sie jedenfalls schon.“
MIT ALLER KRAFT, DIE SIE NOCH AUFZUBRINGEN VERMOCHTE, SCHLEUderte Mara das Amulett ihrer Mutter von sich. Lautes Klingen
erfüllte das Wohnzimmer, als das Schmuckstück von der Wand
abprallte und irgendwo liegen blieb, doch sie weigerte sich
hinzusehen.
Hier war es passiert. Hier in diesem Zimmer war Orianna Matale
von Rajasta Djae kaltblütig ermordet worden. Hier hatte man ihre
198
Familie endgültig entzwei gerissen. Und nun – endlich – schloss
sich der Kreis.
Dennoch spürte sie keine Wut, nur Verzweiflung. Verzweiflung,
und eine seltsame Traurigkeit, die ihr gewaltsam die Kehle
zuschnürte. Ihr ganzer Körper zitterte und bebte unkontrollierbar.
Mit zusammen gepressten Kiefern und noch fester zusammen
gebissenen Zähnen klang ihr unregelmäßiger, stoßweise gehender
Atem wie ein trockenes Schluchzen.
Mara ballte eine Hand zu Faust und suchte in ihrem Inneren
nach einem Fokus, so wie Skywalker ihr es immer gepredigt hatte.
Es gibt keine Leidenschaft, es gibt Frieden, rezitierte sie in Gedanken
den alten Jedi-Kodex. Denn alles was sie wollte, war ihr eigener
Seelenfrieden, nicht die quälende Erinnerung an die Vergangenheit.
Dort gab es keine Wahrheit zu finden, nur Leid und Schmerz. Vor
neun Jahren hatte sie sich geschworen, diesen Schmerz hinter sich
zu lassen, während der Imperial Intel sie quer durch die Galaxis
gejagt hatte.
Doch nun hatte sie keine Wahl mehr. Sie musste sich der
Vergangenheit erneut stellen, so wie sie sich C'boath, Thrawn und
Palpatines letztem Befehl gestellt hatte. Und sie würde diesem
Wahnsinn ein Ende bereiten, selbst wenn es ihren Tod bedeutete.
Plötzlich hörte sie etwas. Ein leises Scharren auf die Korridor und
ein kaum vernehmbares Atmen. Schritte wirbelten den jahrzehnte
alten Staub auf und zerstörten damit den Zauber der Vergangenheit.
Sie war nicht mehr allein.
199
8: FRAGMENTS OF SORROW
WIEDER WAR SIE FORT UND IHM BLIEB ERNEUT NICHTS ANDERES ÜBRIG,
als mit einem Seufzen zurück ins Haus zu gehen, nachdem sie mit
dem Landspeeder hinter einer Biegung des Pfades verschwunden
war. Langsam begann sich Maras Frustration auch auf ihn
auszuwirken, denn nichts anderes rief ihr Verhalten in ihm hervor.
Sie war störrischer als ein Bantha und er konnte sich nicht erklären,
warum sie seine Hilfe nicht annehmen wollte. Es war ihm ein Rätsel.
Sarzamin saß noch genau da, wo sie vor Maras überstürztem
Abgang gesessen hatte, und wartete geduldig. Ihm entging jedoch
nicht die Nachdenklichkeit, die sich ihrer Gesichtszüge bemächtigt
hatte. Ihre Augen hatten diesen seltsamen Schimmer angenommen,
den menschliche Augen immer bekamen, wenn man mit seinen
Gedanken in weiter Ferne schweifte. Erst, als Luke sich setzte,
erwachte sie aus ihrer Trance.
„Ist sie fort?“ fragte sie ruhig.
„Ja“, war die knappe Antwort. Er biss sich auf die Unterlippe
und strich mit den Fingerspitzen über sein Kinn. Im Augenblick
wusste er nicht, was er sonst noch hätte sagen sollen.
„Ich muss Sie etwas fragen, Master Skywalker“, sagte Sarzamin
und betrachtete ihn mit ernster Miene, „über etwas, das soeben
gesagt wurde.“
„Fragen Sie“, meinte Luke müde.
200
„Sie sagten vorhin, dass nur Miss Jade die Erinnerungen in
Oriannas Amulett wachrufen kann, nicht? Dass sie wie eine Art
Schlüssel funktioniert.“
„Richtig.“
„Und sie vermuten, dass es vielleicht der Jedi gewesen sein
könnte, der Oriannas Erinnerungen speziell für Miss Jade
abgespeichert hat?“
„Möglicherweise, wobei ich das für recht unwahrscheinlich halte.
Erinnerungen in Objekten einzuspeisen ist selbst für einen Jedi eine
schwierige Aufgabe, doch die Informationen dann auch noch so zu
codieren, dass sie von nur einer bestimmen Person gelesen werden
können, die – nebenbei bemerkt – zu diesem Zeitpunkt vermutlich
nicht einmal geboren war, ist eine noch viel größere
Herausforderung“, erklärte Luke.
„Und sehen Sie“, meinte Sarzamin und beugte sich in ihrem
Sessel leicht nach vor, „da glaube ich, irren Sie. Vielleicht ist nicht
Mara der Schlüssel, sondern das Amulett. Vielleicht funktioniert
dieses ganze Modell genau anders herum.“
„Sie meinen, Mara trägt die Erinnerung und das Amulett fördert
sie zutage?“ hakte Luke mit gerunzelter Stirn nach.
„Ganz genau.“
„Wie hätte der Jedi das anstellen sollen? Sie sagten selbst, dass er
am gleichen Tag starb wie Orianna, dass er Dantooine also nie
wieder verlassen hat. Er und Mara hätten zuvor in Kontakt treten
müssen, damit diese Version der Geschichte funktionieren kann.“
Sarzamin setzte ein trauriges Lächeln auf. „Es gibt da eine
Möglichkeit. Eine, die ich für äußerst wahrscheinlich halte.“
Luke warf ihr einen fragenden Blick zu. Er war sich nicht sicher,
worauf sie hinauswollte. „Und die wäre?“
„Sie ist Oriannas Tochter.“
Das Herz sank ihm in der Brust und er konnte spüren, wie ihm
die Farbe für einen kurzen Augenblick aus dem Gesicht wich. Wenn
dem so war, wollte er nicht wissen, was geschah, wenn Mara dies
erfuhr.
„Es würde zumindest erklären, warum sie mich von Anfang an
an Orianna erinnert hat“, fügte die Händlerin mit einem weiteren,
201
traurigen Lächeln hinzu. „Charakterlich sind sie einander wohl
kaum ähnlich, außer dass beide stur wie eine Kinrath sind, aber
manchmal erinnerte mich die Art, wie sie sich bewegte an meine alte
Freundin. Zumal Teint und Haarfarbe sich bis ins Detail gleichen.“
„Das kann nicht sein“, erwiderte Luke, dessen Stimme sich
plötzlich rau und belegt anhörte.
„Anders kann ich es mir nicht erklären“, gab Sarzamin zurück.
Ihre Haltung und Stimme vermittelten eine Sicherheit, an der es
Luke im Augenblick mangelte. „Und Orianna hatte ein Mädchen zur
Welt gebracht, wenige Monate vor ihrem Mord. Ich dachte, man
hätte das Kind ebenfalls exekutiert, bloß, um an dieser Familie ein
Exempel zu statuieren. Anscheinend habe ich mir geirrt...“
Nun, da er darüber nachdachte, ergab Sarzamins Theorie
durchaus Sinn. Es war die bislang schlüssigste Erklärung, die sie zur
Hand hatten, für all die seltsamen Dinge, die mit Mara geschahen.
Es erklärte sogar die tiefen Wunden, die Oriannas Erinnerungen an
ihr hinterlassen hatten. Der ganze Prozess des Schmerzes rief in ihm
die Bilder dessen wach, was einst mit ihm selbst auf Dagobah und
auf Bespin geschehen war, als man ihm eröffnet hatte, wer Darth
Vader wirklich war. Er war damals genauso unvorbereitet gewesen
wie Mara jetzt, doch hatte es einen bezeichnenden Unterschied
gegeben. Seine ganze Jugend hindurch hatte es ihn danach verlangt
zu wissen, wer sein Vater gewesen war. Mara hingegen hatte nie
nach einer Antwort auf die Frage ihrer Herkunft gesucht. Ihr Leben
fing als Hand des Imperators an. Was davor gewesen sein mochte,
war nicht weiter von Belang. Er hatte, im Gegensatz zu Mara, alles
wissen wollen und deshalb traf sie die Wahrheit vermutlich um ein
vielfaches tiefer als ihn.
Seine Frustration wich schlagartig einer tiefschürfenden Sorge.
Ob Mara eine derartige Verbindung zwischen sich und Orianna
Matale bereits erahnte?
„Ich... ich bin sprachlos“, sagte Luke und schüttelte dabei
langsam den Kopf. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“
„Also stimmen Sie mir zu?“
„Ich muss Ihnen wohl zustimmen, weil dies die wohl
plausibelste Erklärung ist, die wir bisher haben“, erwiderte Luke
202
und biss sich erneut auf die Unterlippe. Es fiel ihm schwer, sich auf
Sarzamin zu konzentrieren und ihrem abwartenden Blick zu
begegnen. Seine Augen nahmen einen glasigen Ausdruck an, als
seine Gedanken von dem Hier und Jetzt fort schweiften. Einen
Moment dachte er daran, was wohl gewesen wäre, hätte Sarzamin
ihre Vermutung schon in Maras Beisein vorgebracht. Hätte Mara ihr
Glauben geschenkt? Das Thema war so überaus heikel und sensibel,
dass er selbst es nur ein einziges Mal anzuschneiden versucht hatte,
nur um auf die vehementeste Gegenwehr zu stoßen, die er je bei
einem Menschen erlebt hatte. Daher hatte er es – bis jetzt – vergessen
und diese Dinge sich selbst überlassen, so wie Mara es auch tat.
Doch nun...
„Ich hätte sie nicht gehen lassen dürfen“, murmelte er mehr zu
sich selbst und sobald er diese Worte ausgesprochen hatte, breitete
sich eine Unruhe in ihm auf, die selbst mit Hilfe der Macht nur
schwer zu besänftigen war. „Ich hätte ahnen müssen, dass so etwas
mit ihr passieren würde. Wenn sie doch bloß mit mir darüber
gesprochen hätte. Über alles.“
„Manche Frauen lassen sich nicht so leicht bändigen“, sagte
Sarzamin, „und Jade machte auf mich nicht den Eindruck auf mich,
als ob irgendetwas die Naturgewalten in ihrem Innern zähmen
könnte. Nicht einmal ein Jedi-Meister.“
„Vielleicht“, brummte Luke. „Doch wenn sie wirklich einen
Partner will, dann sollte sie endlich aufhören, solo zu fliegen.“
„Sie ist eine erwachsene, vernunftbegabte Frau. Denken Sie nicht,
dass sie für sich selbst entscheiden kann?“
Luke hielt inne, unterdrückte ein Seufzen. „Eigentlich ja, Mara ist
eine starke Frau. Aber diesmal ist sie an ihre Grenzen gelangt und
hat ihre körperlichen und mentalen Kräfte über die Maßen
strapaziert.“
„Wie meinen Sie das?“
„Sie ist nicht mehr sie selbst. Oriannas Erinnerungen haben sie
verändert, wühlen sie im Innersten auf, bringen ihr mentales
Gleichgewicht vollkommen durcheinander. Ihre Sinneseindrücke
sind von Schmerz überschattet und rauben ihr den Fokus, den sie
203
bräuchte, um ihre Fähigkeiten voll zu entfalten. Ich fürchte, dass sie
diesmal ohne Hilfe nicht gewinnen kann.“
ADRENALIN BREITETE SICH MIT ÜBERLICHTGESCHWINDIGKEIT IN IHREM
Körper aus und ließ ihr Blut durch ihre Adern pulsieren wie die
Lavaflüsse von Mustafar. Sie wagte es kaum zu atmen, damit das
Geräusch nicht die Laute um sie herum übertönte. Das Herz schien
ihr mit einem Ruck in den Hals gesprungen zu sein und pochte
heftig gegen ihren Kehlkopf.
Ihre Muskeln waren bis zum Zerreißen gespannt, während sie in
leicht geduckter Haltung zur noch immer offen stehenden Tür der
Wohneinheit hinüber schlich und sich unmittelbar neben dem
Türrahmen mit dem Rücken gegen die staubige Wand drückte. Sie
lauschte angestrengt in die Stille hinein, eine Hand bereits fest auf
dem Griff des Lichtschwerts an ihrem Gürtel.
Wieder hörte sie ein Scharren, als wenn jemand über Kies oder
Glas ginge und dann unwirsch etwas mit dem Fuß beiseite schob.
Der Moder und der Dreck kratzte über den Durastahl.
Mit Hilfe der Macht versuchte sie das wilde Pochen ihres Herzes
zu beruhigen und ihre Sinneswahrnehmung zu schärfen, doch es
gelang ihr nicht ganz, den notwendigen Fokus zu finden. Ihr Puls
flaute zwar langsam ab, doch sie spürte noch immer das Adrenalin
wie eine Droge durch ihren Körper rauschen. Jede Faser ihres Seins
war in höchster Alarmbereitschaft. Doch die Macht verklärte sich zu
einem verschwommenen Nebel, der ihre Wahrnehmung umgab.
Die ächzenden Schritte wurden lauter, zeichneten sich jedoch
auch durch eine Leichtfüßigkeit aus, die Mara nur einer Person auf
diesem Planeten zutrauen würde, außer sich selbst.
„Machen Sie es sich doch gemütlich, Montross“; sprach sie mit
fester Stimme in die Stille hinein, „und fühlen Sie sich wie daheim.
Schließlich waren Sie ja schon mal hier.“
„Zu gütig“, gab May zurück, „aber warum empfängt mich die
Hausherrin nicht persönlich? Das ist ganz schön unhöflich.“
„Ich erwidere nur die Höflichkeit, die Sie mir vorhin in dem Café
erwiesen haben. Das werden Sie mir wohl kaum verübeln können.“
204
„Ach ja“, säuselte Montross und Mara konnte förmlich sehen,
wie die andere Frau ein aalglattes Lächeln aufsetzte, „das Prinzip
der ausgleichenden Gerechtigkeit. Ich sehe, jetzt wir auf einem
Level, Jade.“
Mara hörte, wie Montross sich im Flur seufzend gegen eben jene
Wand lehnte, auf deren anderer Seite sie selbst sich befand. Von
außen betrachtet, musste die Szenerie den klischeehaften Anklang
eines HoloVids haben: Die beiden Kontrahentinnen, deren Kampf
kurz bevor stand und die nur durch eine einzige Durastahlwand
voneinander getrennt waren. Blieb nur noch die Frage, wer von
beiden den ersten Schritt machen würde.
„Sagen wir, ich sehe die Dinge jetzt klarer“, sagte Mara. „Dafür
haben Sie ja Sorge getragen.“
„Also hat Orianna endlich ihr jämmerliches Leben bis zum
bitteren Ende offenbart?“ fragte May. „Bedanken Sie sich nicht bei
mir für diese segenvolle Erleuchtung. Auch Eliashar Selva und vor
allem Sie selbst haben dazu beigetragen, dass die Geschichte diesen
Lauf genommen hat. Sie hätten nach den Ereignissen auf Belderone
genauso gut zurück nach Ord Mantell oder sonst wo hin fliegen
können, wo sich Talon Karrde und sein Gesindel üblicherweise
herumtreiben. Sie hätten einfach umkehren und die Sache vergessen
können. Niemand hat Sie gezwungen meiner Spur zu folgen. Außer
Sie selbst natürlich.“
Mara knirschte mit den Zähnen. „Ich glaube kaum, dass Sie mich
so einfach hätten gehen lassen, nicht wahr, Montross?“
„Diese Frage habe ich mir gar nicht gestellt“, gab die andere Frau
zurück. „Ich habe Sie studiert, Jade, lange bevor Sie kamen, um mich
im Namen des Imperiums zu verhaften. Ihre Gewohnheiten waren
leicht zu durchschauen, wenn man gewillt war auf Palpatines
pompösen Empfängen einmal genauer hinzusehen. Gouverneure
und einfältige Muftis konnte Sie vielleicht davon überzeugen, dass
Sie eine Mätresse des Imperators waren, doch mich nicht. Mein
Interesse an Ihnen ging weit über das vernünftige Maß hinaus, will
ich meinen, und doch hat es mir bislang nur zum Vorteil gereicht.
Ich konnte Ihre scheinbar angeborene Neugierde und Ihren
Übereifer, der Sie immer weiter antreibt, nach meinem Belieben
205
manipulieren. Sie würden mir folgen, egal wie abstrus meine
Hinweise auch sein mögen, dessen war ich mir sicher.“
„Ich fühle mich geschmeichelt“, brachte Mara in sarkastischem
Ton hervor. „Womit hatte ich nur all die Aufmerksamkeit verdient?“
Sie hörte, wie May verächtlich schnaubte. „Sie sind Ilyas
Tochter.“
„Und womit hatte er Ihr Augenmerk auf sich gelenkt? Waren Sie
sein Schützling, den er in den Imperial Intel hinein geschleust hat,
damit Rajasta Djae ja nicht vergas, dass er ihm noch einen Gefallen
schuldig war?“
„Weit gefehlt“, erwiderte Montross kalt und hielt dann inne.
Traurigkeit und Bedauern verzerrten ihre Worte. „Woher nehmen
Sie sich bloß die Dreistigkeit, ihn für so herzlos zu halten?“
Plötzlich dämmerte es Mara.
„Sie haben ihn auch geliebt, nicht wahr?“ Eine Spur von Mitleid
mischte sich in ihre Stimme. May schwieg, was einer Zustimmung
oder vielmehr einem Bekenntnis gleichkam.
„Dann waren Sie ebenso töricht wie Orianna Matale. Sie hielt ihn
auch für das Zentrum ihres Universums und Sie wissen ja, was es
ihr genützt hat. Offenbar scheint Ilya Jade seinen Frauen kein Glück
zu bringen.“
Obwohl ihre Wahrnehmung in der Macht gedämpft war, so
spürte sie doch die brennende Wut, die in May Montross aufstieg
und an die Oberfläche ihres Bewusstseins kochte. Mara konnte
kaum verstehen, wie sich eine Frau nach all den Jahren des Mühsals
noch solche Illusionen machen konnte.
„Ich war dabei, als er Sie das erste Mal sah“, fuhr May fort. „Er
hatte nie genau gewusst, was mit Ihnen passiert war, nachdem man
Sie an Palpatine übergeben hatte. Vermutlich hoffte er insgeheim,
dass seine letzte Verbindung zu Orianna Matale nicht durchtrennt
worden war, da er auch sonst alles wie einen Schatz hütete, das ihn
an sein altes Leben erinnerte. Vielleicht hoffe er auch auf eine
Chance zur Wiedergutmachung. Ilya sprach niemals über den Tag,
an dem Sie praktisch von den Toten wieder auferstanden sind. Doch
ich wusste genug über ihn und auch über seine erste Geliebte, um
zu wissen, welchen Schaden Sie anrichten konnten.
206
Ziemlich quicklebendig und munter stolzierten Sie eines Tages
einfach so in das Büro des Imperial Intel, als gehörte Ihnen der
ganze Laden. Sie kamen herein, fünf Kohorten von Palpatines besten
Sturmtruppen im Schlepptau, um irgendeinen kleinen Wicht zu
verhören, den wir im Shelsha-Sektor aufgegriffen hatten. Ihre
Selbstsicherheit und ihr Stolz waren Übelkeit erregend.“
„Ich habe aber noch nie von einem Agenten Jade beim Imperial
Intel gehört“, sagte Mara langsam und wälzte in ihrem Gedächtnis.
Kein Gesicht, an das sie sich noch erinnerte, wollte passen. „Was
also hatte er mit dem Geheimdienst zu schaffen?“
„Oh, er war kein Imperialer Agent“, informierte May sie. „Nein,
Sie fortzugeben hat ihm weit mehr eingebracht als einen
militärischen Dienstgrad. Er wurde zu einem anderen Mann mit
einem anderen Namen.“
„Wenigstens hatten Sie darin was gemein“, sagte Mara, die sich
den bissigen Kommentar nicht hatte verkneifen können.
Eine neue Weller der Wut und der Frustration ging über May
hinweg. „Ihnen“, fuhr sie mit beherrschter Stimme fort, „ist er wohl
besser als Fermor Fingal bekannt.“
Mara fühlte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht strömte. Ja, diesen
Namen kannte sie tatsächlich. Zur Zeit des Galaktischen
Bürgerkriegs hatte es nur wenige gegeben, die ihn nicht kannten.
„Der Besitzer der Corleil Corporation?“ hauchte Mara. „Das war
also der Preis für mich?“
„Jedi sind schon eine Menge wert, nicht?“ Schadenfreude verlieh
Mays Stimme neue Kraft. „Djae verschaffte ihm die Aktienmehrheit
über die Firma, und er lebte damit viele Jahre nicht schlecht. Er
zählte zu den reichsten Männern des Inneren Randes und konnte es
auch mit den Tycoons der Kernwelten aufnehmen. Allerdings durfte
er nie wieder er selbst sein.
Doch selbst wenn Sie gewusst hätten, wer er war und was Sie ihm
bedeuteten, Sie hätten vermutlich nicht einmal einen Blick für ihn
übrig gehabt. Er hingegen ließ sie nie wieder aus den Augen. Da
wusste ich, dass Orianna noch immer Macht über ihn hatte... und
dass er nie ganz mein sein würde, solange er sich an sie erinnerte.“
„Das ist doch krank!“ spuckte Mara.
207
„Ihretwegen ließ Djae ihn hinrichten. Ilya wollte Sie wieder
haben, wollte seine kleine Tochter aus den Klauen des Imperiums
entreißen und einen Teil seines alten Lebens zurück gewinnen. Was
für ein törichter Gedanke und er war besessen davon!“ Mays eigener
Zorn nahm ihr den Atem und sie presste die Worte mühsam hervor.
„Djae brauchte nur eine Entschuldigung für Kommandantin Isard,
um einen ihrer wichtigsten Geschäftsfreunde ermorden zulassen.“
„Und den fand er in Ihnen“, vollendete Mara, „weil Sie nicht die
Person waren, die Sie vorgaben zu sein.“
„Oh, ich war genau die Person, die ich vorgab zu sein!“ Ein
bedrohliches, mechanisches Klicken drang an Maras Ohr. Eine
Vorahnung, wie ein eisiger Windhauch, aktivierte ihre Reflexe. „Ich
war nur kein Mann.“
In eben jenem Moment, da May Montross ihren Blaster zückte
und herumwirbelte, drückte Mara sich von der Wand ab und warf
sich Cailetet Matales altem Sessel entgegen. Sie sprang darüber
hinweg und ging Schutz suchend in die Hocke. Tod bringende rote
Laserstrahlen zuckten durch den Raum auf sie zu, schlugen in die
Rückenlehne des Sessel ein und ließen Asche aus dem alten
Polsterbezug bröckeln. Ozon stach ihr in die Nase.
Mara tastete nach dem Lichtschwert. Es würde in dieser Situation
wenig bringen, ihren Blaster aus dem Halfter an ihrem Unterarm zu
ziehen. Beide Frauen waren mit viel zu guten Reflexen ausgestattet,
um mit einem jämmerlichen Fernschuss erledigt zu werden. Es
musste ihr gelingen, so nah wie möglich an ihre Gegnerin
heranzukommen. Montross wäre zwar sicherlich nicht dumm
genug, sich auf einen Nahkampf mit einem Lichtschwertträger
einzulassen. Dennoch musste sich Mara auf den einen
unschätzbaren Vorteil stützen, den sie hatte: Die Macht.
Immer wieder perforierten Blasterschüsse den Sessel und die
Überreste des Teppichs. Für die ehemalige Hand des Imperators
war es nicht schwer, anhand der Streuung der Schüsse und deren
Einschlagwinkel Mays genaue Position zu bestimmen. Montross
stand immer noch im Türrahmen, hinter dem sie zur Sicherheit
verschwinden konnte. Sie wartete nur darauf, Mara mit ihrer
Schießerei endlich hinter dem Möbelstück hervor zu locken. Zum
208
Glück war Montross nie in den Genuss gekommen, Mara während
ihrer Missionen zu studieren, sonst hätte sie vielleicht geahnt, was
nun auf sie zukam.
Unbeirrt vom Jaulen des Blasters, konzentrierte sich Mara auf die
zerstörte HoloCom-Einheit. Mit Hilfe der Macht rüttelte sie an
einem scharfkantigen Stück Metall, das an einer Seite der Konsole
herunter baumelte. Sie versuchte, ihre körperliche und mentale
Erschöpfung beiseite zu schieben. Das kleine Stückchen Durastahl,
das einmal Teil der Tastatur gewesen war, musste zum Zentrum
ihres Universums werden.
Maras Muskeln zitterten, als sich das Bruchstück endlich von der
Konsole trennte. Doch sie gestattete sich keine Erleichterung,
sondern lenkte den Fluss der Macht um, richtete all ihr Denken auf
May, die jenseits des Sessels immer noch wie eine Besessene feuerte.
Sie hatte vermutlich nur einen Versuch.
Mit größtmöglicher Präzision steuerte sie das Bruchstück und
malte vor ihrem geistigen Auge ein genaues Abbild der Flugbahn
aus. Als sie sich ihres Ziels sicher war, schleuderte sie es quer durch
den Raum, direkt auf Mays Kehle zu.
Sie hörte, wie Stoff zerfetzte und May einen spitzen Schrei
ausstieß. Das Blasterfeuer verstummte. Mit Schweiß auf der Stirn
und an den Schläfen gestattete sich Mara einen Blick über die Lehne
des Sessels hinweg, das Lichtschwert mit einer Hand fest
umklammert.
Fluchend griff May nach einem langen Riss in ihrer glänzenden
Jacke knapp unterhalb ihres Schlüsselbeins. Der schwarze Stoff
entlang des Risses nahm in Sekunden eine eher bräunliche Farbe an
und dunkles, dickflüssiges Blut ergoss sich über Mays Hand, als sie
Maras provisorisches Geschoss aus ihrem Fleisch zog.
Mara lag ein Fluch auf den Lippen. Sie hatte sich nur um wenige
Zenitmeter verschätzt. Wenige, jedoch entscheidende Zentimeter.
Plötzlich war sie sich nicht mehr so sicher, ob sie May wirklich
besiegen konnte.
„Nicht schlecht, Jade“, keuchte diese zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Ihr Gesicht hatte sich zu einer Grimasse der
209
Abscheu verzerrt, während sie aufmerksam die Verletzung untersuchte. „Wirklich nicht schlecht.“
Mara tauchte wieder in Deckung. Ihre Gedanken überschlugen
sind. Es wäre das Klügste, sich auf das Raubtier zu werfen, solange
es frisch verwundet war. Doch hatte nicht einst einer ihrer Trainer
zu ihr gesagt, dass der Vorsk, der sein Ende nahen sah, stets der
gefährlichste war?
Ihre Hand umschloss das Heft des Lichtschwertes so fest, dass
ihre Knöchel weiß hervortraten. Sie musste es versuchen.
„Es gibt noch Nachschlag, wenn Sie wollen!“ rief Mara und
hoffte, dass die Drohung nicht so leer war, wie sie klang.
Mit einem Schrei sprang sie auf und wirbelte herum. Wie ein
gleißender Blitz erwachte die Klinge des Schwerts zum Leben. Der
Staub in der Luft verteilte das blaue Licht wie einen Schleier. Sie
sprang behände über den Sessel hinweg, direkt auf die blasse
Gestalt Mays zu. Diese riss ihren Blaster wieder in die Höhe, aber es
war zu spät. Mit nur einen Hieb trennte Mara den Lauf der Waffe
ab, so dass er qualmend zu Boden viel.
Erschrocken warf May die nun nutzlosen Reste des Blasters von
sich und machte einen Satz nach hinten. Ihre rechte Hand zuckte zu
ihrem linken Ärmel hinüber. In dem Moment, da sie mit den Rücken
gegen die vom Ruß geschwärzte Wand des Korridors prallte, zog sie
ein Vibromesser hervor.
Mara hielt inne, starrte erst die makellos polierte Klinge des
Messers an, dann die entschlossene Miene ihrer Gegnerin. Das
Lichtschwert hielt sie in einer niedrigen Standardkampfpose vor
sich.
„Wollen Sie mich etwa mit dem Zahnstocher da ernsthaft
bedrohen?“ fragte Mara ungläubig. Und sie hatte Skywalker immer
für naiv gehalten.
„An Ihrer Stelle würde ich nicht so eine dicke Lippe riskieren,
Jade“, versetzte May ätzend.
Dann kam der Gegenangriff. Jedoch nicht von oben, wie Mara
vermutet hatte. Zu spät sah sie Montross’ Bein hervorschießen. Der
Tritt traf ihr Schienbein so heftig, dass es sie in die Knie zwang. Sie
hatte ihren sicheren Stand aus lauter Arroganz geopfert.
210
Der nächste Tritt traf die Wurzel von Maras Handgelenk und
schickte einen stechenden Schmerz ihren Arm hinauf. Das
Lichtschwert entglitt ihrem Griff und rollte davon. Die Klinge
deaktivierte sich selbst und hinterließ nichts als schummrige
Dunkelheit.
Staub wurde aufgewirbelt, als Mara mit beiden Händen ihren
Sturz abzufangen versuchte. Glücklicherweise entging sie damit
einem Hieb, den May ihr mit dem Vibromesser versetzen wollte. In
einer fließenden Bewegung drückte sie sich erneut vom Boden hoch
und warf sich mit ausgestreckten Gliedern auf ihre Kontrahentin. Sie
konnte Mays Blut riechen, das noch immer ungehindert aus dem
Schnitt in ihrer Brust quoll.
Sie prallten wieder gegen die Wand und tänzelten dann in einem
bizarren Faustkampf den Korridor hinab. Einzig ihr keuchender,
angestrengter Atem lag in der Luft.
Es gelang Mara ihrer Feindin einige Schläge gegen Bauch und
Brust zu versetzen, kassierte allerdings ebenfalls schmerzhafte
Treffer. Ein Fausthieb traf sie in die Magengegend, ein anderer im
Gesicht und riss ein Stück Haut von ihrer Unterlippe. Heißes Blut
benetzte ihren Mund und rann über ihr Kinn hinab. Das
Vibromesser streifte ihren Ärmel und schlitzte den Stoff ihrer Jacke
auf. Ein Prickeln an ihrem Oberarm wies sie darauf hin, dass May
sie auch dort getroffen hatte.
Von Kopf bis Fuß mit Staub und Blut bedeckt gelang es May
Mara erneut gegen die alten Durastahlpaneelen der Wand zu
schmettern. Schmerz marterte von deren Schulterblättern abwärts
durch ihr Rückgrat bis zum Steißbein und trieb ihr den Atem aus
den Lungen. Diese eine Sekunde der Kampfunfähigkeit genügte
May, um in diesem Kampf die Oberhand zu gewinnen. Mit einem
tiefen Schlag schickte sie Mara zu Boden und warf sich dann mit all
ihrem Körpergewicht auf sie.
Mara hatte keine Zeit sich mit der einer Lähmung
gleichkommenden Pein zu beschäftigen. Der Staub, der ihr plötzlich
in die Atemwege geriet, ließ sie heftig husten. Dann spürte sie schon
kühles Metall an ihrer Kehle, als May das Vibromesser gegen Maras
211
Hals drückte. Finger versenkten sich in ihrem Schopf und krallten
sich daran fest. Ihr war, als wollte man ihr den Schädel spalten.
„Na los, kommen Sie schon, Montross“, brachte Mara hervor und
rang mit ihrem Hustenanfall. „Das hier ist es doch was Sie wollten,
oder? Jetzt bringen Sie’s endlich zuende.“
Es folgte ein Ruck, der jeden Haarfollikel bis zum Zerreißen
spannte. Unwillkürlich stellte Mara sich vor, wie May ihr die
Kopfhaut vom Schädel trennte. Dem Stechen und Ziehen in ihrem
Kopf nach zu urteilen konnte es nicht mehr lange dauern, bis May
sie skalpierte.
„Ich entscheide, wann Sie den Löffel abgeben“, zischte diese,
„und noch ist nicht der geeignete Zeitpunkt dafür gekommen.“
„Sie haben mein Leid wohl noch nicht zu genüge ausgekostet,
was?“
„Nicht einmal annähernd, Jade. Nicht einmal annähernd.“
ER SCHALTETE DAS GETRIEBE DES SPEEDERBIKES AUF DIE HÖCHSTE STUFE
und hörte, wie die Repulsoren widerspenstig aufjaulten. Auch der
Motor ächzte sorgenerregend. Hoffentlich würde er noch lange
genug durchhalten. Sarzamin hatte ihm das überholungsbedürftige
Bike angeboten, denn selbst für einen Jedi-Meister war es eine lange
Strecke bis zum Anwesen der Matales. „Wenn Sie es zu Schrott
fahren, soll’s mir auch egal sein“, hatte sie gesagt. „Was will ich
schon mit diesem alten Ding.“
Lukes düstere Vorahnungen verdichteten sich mehr und mehr
und nahmen langsam die Form einer schrecklichen Gewissheit an.
Seine den Lehren der Jedi geschuldete Ruhe konnte er nur mit
größter Anstrengung aufrecht erhalten.
Also donnerte das Speederbike über die Steppe Dantooines
hinweg. Der Wind schnitt ihm hart ins Gesicht und bauschte seine
Jedi-Tunika auf, Luke nahm jedoch keine Notiz davon. Alles was
zählte, war Mara zu helfen. Vielleicht konnte er dann noch das
Schlimmste verhindern, obgleich er noch keine genaue Vorstellung
davon hatte, was dies sein sollte. Er fühlte sich an seine eigene
Machtlosigkeit im Kampf gegen den Geist Exar Kuns erinnert.
212
Das Herz sank ihm in der Brust, als er das Speederbike um eine
Biegung des Pfades steuerte und die Überreste des Energiefelds vor
ihm auftauchte. Er brachte das Bike nahe dem Zaun zum Stehen,
stieg ab und warf einen flüchtigen Blick auf die verwüstete
Energiekupplung des Feldes, die jemand mutwillig mit einem
Blaster zerschossen hatte.
Mara war es jedenfalls nicht gewesen. Sie hatte den Landspeeder
hier zurückgelassen und dann ihren Weg wohl zu Fuß fortgesetzt.
Der Motor war inzwischen völlig erkaltet und hatte sie nichts
Nennenswertes zurück gelassen.
Luke ging neben dem Speeder in die Hocke und untersuchte ihn
auf etwaige Sabotage, die nach Maras Verschwinden an dem
Vehikel vorgenommen worden war. Doch weder so noch mit Hilfe
der Macht ließ sich eine Gefahr ausmachen. Das Einzige, das ihm ins
Auge fiel, als er aufstand, war eine diffuse Spur im Gras. Der
Rückstoß eines Repulsors, wie sie beispielsweise in den alten,
Imperialen Düsenschlitten verwendet wurden, hatte die Halme
unter sich zu Boden gedrückt und eine schmale Schneise
hinterlassen. Aber es war mehr als das. Mit seinen Jedi-Sinnen nahm
er auch die Rückstände einer Präsenz wahr. Einer schrecklich
vertrauten Präsenz...
Hastig wirbelte er herum und sprang zurück auf das
Speederbike. Stotternd kam das Getriebe wieder in Gang und mit
einem Satz nahm das Bike wieder Fahrt auf.
MARAS GEDANKEN ÜBERSCHLUGEN SICH IN SEKUNDENSCHNELLE.
Fieberhaft spielte sie ihm Geiste alle möglichen Szenarien durch, alle
möglichen Wendungen, die dieser Kampf nehmen konnte. Wenn sie
jedoch nicht bald etwas unternahm, tendierten ihre Chancen auf
einen Sieg gegen Null.
Die Klinge des Vibromesser schnitt sauber durch die oberste
Schicht ihrer Haut. Sie konnte spüren, wie ein schmales Rinnsal Blut
langsam ihren Hals hinab lief und lautlos zu Boden tropfte. Mays
heißer Atem strich unangenehm über ihre Wange.
213
Sie leckte sich über die blutigen Lippen. Ihr war klar, sie musste
ihre Gegnerin abschütteln. Es musste ihr gelingen, May abzuwerfen,
zu entwaffnen und unschädlich zu machen. Aber wie?
Immer hübsch der Reihe nach, schalt Mara sich. Ihre Hände
zitterten, während sie sie mit gespreizten Fingern wenige Millimeter
über dem Boden schweben ließ.
„Was meinen Sie, womit sollte ich anfangen?“ fragte May, deren
Stimme ebenso sadistisch klang wie sie sich aufführte. „Einen
sauberen Schnitt durch die Luftröhre, und dann? Vielleicht sollte ich
Ihnen die Daumen abschneiden und noch ein paar andere
unwichtige Körperteile, während ich dabei zusehe, wie Sie langsam
ersticken.“
„Lassen Sie mich raten“, begann Mara mit rauher Stimme. Sie
versuchte so gelassen wie möglich zu klingen, während sie sich zum
Sprung bereitmachte. „Sie haben den Folter-Workshop auf Carida
damals als Klassenbeste abgeschlossen, oder?“
„Mit Auszeichnung“, fügte May hinzu.
Mit dem Rest an Körperkraft, die Mara noch aufbieten konnte,
stemmte sie sich plötzlich in die Höhe. Ehe May sich mit beiden
Armen an ihr festklammern konnte, ließ sie eine Hand in die Höhe
schnellen. Sie schob Mays Hand, welche das Messer hielt, von ihrem
Hals fort. Mit dem Ellbogen hieb sie nach Mays Solarplexus und
versetzte dem Knie ihrer Kontrahentin einen Tritt mit dem Absatz
ihres Stiefels. Montross heulte auf und auch Mara war übel zumute,
als Mays Kniescheibe mit einem Nacken heraussprang.
May war sich auf den Rücken, die blutbespritzten Hände um ihr
Kniegelenk geschlungen. Dies war Maras Gelegenheit und sie nutzte
sie. Ihre Beine schienen weich wie Butter, doch sie hatte genug Zeit
wieder auf die Füße zu kommen und sich mit einem kleinen Sprung
in Sicherheit zu begeben. Ein weiteres, Übelkeit erregendes Knacken
kam ihr zu Ohren, als May die Luxation ihrer Kniescheibe behob
und der Knochen zurück an seine richtige Position schnappte. Bis
May genügend Kraft gesammelte hatte, um sich vom Boden zu
erheben, hielt Mara ihren eigenen Blaster bereits fest in einer Hand.
Mit der anderen wischte sie das kribbelnde Rinnsal an ihrer Kehle
fort.
214
„Okay, jetzt herrscht wieder Chancengleichheit“, sagte sie und
entsicherte die Waffe. May rührte sich nicht, sondern starrte Mara
nur mit regungsloser Miene an.
„Ganz so würde ich das nicht bezeichnen“, schallte plötzlich eine
raue Männerstimme von der rechten Seite her. Das glucksendes
Kichern eines anderen Mannes stimmte ein.
Das Herz rutschte Mara in die linke Stiefelspitze. Sie hatte Mays
Schergen Laz und Avarice ganz vergessen. Verflucht! Wie hatte ihr
nur ein derartigen Fehler unterlaufen können?
Ein selbstgefälliges und selbstsicheres Lächeln umspielte Mays
Mundwinkel, während die beiden Piraten schlurfend näher kamen.
Nur aus dem Augenwinkel erkannte Mara zwei imperiale
Blastergewehre, entsichert und geladen. Vielleicht hatte sie es ja
verdient wie ein reudiges Bantha abgeknallt zu werden, so dumm
wie sie war. May stand geschmeidig wie eine Raubkatze auf und
richtete erneut die Vibroklinge auf Mara.
„Waffe fallen lassen“, bellte Avarice und hob das Gewehr
schussbereit an seine Brust.
Widerwillig ließ Mara ihren Blaster zu Boden fallen und nahm
die Hände hoch. Selbst sie musste es einsehen, wenn eine Situation
ausweglos war.
„Ich sagte Waffe fallen lassen!“ wiederholte Avarice barsch. „Und
zwar alle beide.“
Es war eine Freude zu sehen, wie die Farbe plötzlich aus Mays
Gesicht wich und ihre Selbstsicherheit durch eine Mischung aus
Verblüffung und Verärgerung ersetzt wurde. „Wie bitte?“ blaffte sie.
„Los, runter mit dem Messer!“ brüllte Avarice zurück. „Na,
wird’s bald?“
„Schluss mit dem Unsinn!“ keifte May. „Habt ihr zwei zuviel
Gewürz durch die Nase gezogen und euch dabei das Gehirn
verbrannt oder was?“
Avarice lächelte grimmig. Seine Miene sah im Halbdunkel sogar
für Mara bedrohlich aus. „Wir haben keinen Bock mehr uns von dir
für dumm verkaufen zu lassen, May“, sagte er. „Such dir wen
anderes, den du verarschen kannst.“
215
Verblüffung wurde zu blankem Entsetzen. „Wie könnt ihr es
wagen?“
Avarice deutete mit seinem Kinn in Richtung Mara, woraufhin
Laz sich in Bewegung setzte und sie mit seinem Gewehr ins Visier
nahm. „Lass uns vorgehen, Missy“, sagte er mit einem öligen
Grinsen und drückte die Mündung des Blastergewehrs gegen ihre
Brust.
Mara wollte gerade den Mund öffnen, um etwas zu erwidern, als
wider Erwarten helles, grünes Licht hinter ihr mit einem vertrauten
Summen aufflammte. Ihr Herz machte vor schlagartiger
Erleichterung einen noch größeren Sprung.
„Ich habe da eine bessere Idee“, sagte Skywalker mit hoch
erhobenem Lichtschwert. In den Schein der glühenden Klinge
getaucht sah er wie eine äußerst machtvolle Erscheinung aus. Mit
langen, entschlossenen Schritten kam er zu Maras Linken den Gang
herunter.
„Oh, nee“, stöhnte Laz. „Nicht der schon wieder.“
„Ey, Typ“, fügte Avarice hinzu, „langsam fängst du echt an, mich
zu nerven. Gibt’s nichts anderes, in das du dich einmischen kannst?”
„Ich fürchte nein“, erwiderte Skywalker ruhig. „Aber wir können
diese Angelegenheit auch ohne einen Kampf beenden.“
„Ach ja? Was willst du?“ fragte der Pirat unfreundlich.
„Lassen Sie Mara frei“, erklärte Luke, „dann verschwinden wir
und Sie können tun, wonach Ihnen der Sinn steht. Ich werde Sie
nicht aufhalten.“
Laz und Avarice tauschen einige verwirrte Blicke aus. Dann
zuckte beide nacheinander mit den Schultern. „Von uns aus“,
meinte Laz.
„Nein!“ kreischte May dazwischen. „Noch hab ich das
Kommando, ihr verfluchten Eidechsenaffen! Wenn ihr sie an den
Jedi übergebt, bringe ich euch beide um.“
„Ach, halt doch die Klappe!“ fluchte Avarice.
„Schein so, als gäbe es zwei Interessenten für dich, Missy“, sagte
Laz an Mara gewandt und presste die Mündung des Gewehrs so fest
gegen ihre Rippen, dass es schmerzte. „Mal sehen, wer bereit ist
mehr zu zahlen. Momentan hat der Jedi das höhere Gebot getätigt.“
216
Unkontrollierter Zorn entstellte Mays Gesichtszüge. „Ihr kleinen,
widerlichen...“
„Tja, May, hättest du uns mal unseren Anteil von der Beute
ausbezahlt, als dieser ganze Job losging“, meinte Avarice. „Und
hättest du mal Enyth nicht einfach so umgeblastert.“
„Oh, bitte!“ sagte May. „Ihr seid Piraten. Seit wann schert ihr
euch denn darum, was mit anderen Piraten passiert? Ihr seid nichts
weiter als ehrlose kleine Würmer, die nur auf ihren eigenen Vorteil
bedacht sind.“
„Richtig erkannt, Schätzchen. Und so wie ich das sehe“, fuhr
Avarice fort, „ist Jade hier die einzige Beute, die uns noch geblieben
ist.“
„Ich bin niemandes Beute“, warf Mara ein. „Noch bin ich der
Preis für irgendetwas.“
„Natürlich nicht, Missy.“
Sie spürte Skywalkers durchdringenden Blick auf sich ruhen, wie
er ihre Emotionen behutsam zu ergründen versuchte.
Es war May, die das Handgemenge begann. Wie eine Furie, die
man entfesselt hatte, stürzte sie sich auf Laz und versuchte ihm das
Gewehr zu entreißen. Skywalker als auch Avarice zuckten
zusammen und gingen beinahe automatisch in eine Kampfhaltung
über. Mara duckte sich und ballte die Hände zu Fäusten.
Ein Schuss löste sich und Laz heulte auf, als ihn der rote
Laserstrahl in den Oberschenkel traf. Das Gewehr entglitt seinem
Griff und May bekam es endlich in die Finger. Avarice hob sein
eigenes Gewehr an begann drauf los zuschießen. Die Querschläger
wurden von Skywalkers Lichtschwert abgelenkt und brannten
weitere schwarze Löcher in die Wand, richteten aber ansonsten
keinen Schaden an. Mit dem Griff des Gewehrs versetzte May dem
verwundeten Piraten einen Schlag gegen die Schulter. Laz ließ sich
unvorteilhaft fallen und rammte Mara von der Seite. Sie taumelte.
Auch der nächste Schlag verfehlte sein Ziel nicht. Weißes Licht
schien vor Maras Augen zu explorieren, als May das Gewehr gegen
ihre Schläfe stieß. Allumfassender Schmerz zermarterte ihr das Hirn.
Das nächste, was sie spürte, war, wie sie mit Laz gemeinsam zu
Boden ging. Übelkeit überkaml sie und die Ränder ihres Sichtfelds
217
verschwammen, wurden langsam dunkler. Sie sah nur halb, wie
Skywalker einen Satz auf sie zu machte und dabei Avarices
Blasterfeuer zurückwarf. Dann schmeckte sie nur noch Galle in
ihrem Mund und erbrach sich.
Ein Schrei ließ sie ein letztes Mal aufblicken. Sie sah nur noch,
wie May Montross‘ Gesichtszüge sich plötzlich entspannten und
ihre Augen einen seltsam leeren Ausdruck annahmen, dann wurde
sie von vollkommener Dunkelheit übermannt.
ALLE GERÄUSCHE SCHIENEN SCHLAGARTIG ZUM ERLIEGEN ZU KOMMEN,
als Avarices Schuss May direkt in den Rücken traf. Selbst der
verwundete Laz, der vor Schmerzen gezetert hatte, verstummte.
Dann fiel die ehemalige Agentin des Imperial Intel auf die Knie und
ihr Körper sackte zur Seite weg. Luke spürte, wie ihre Lebensenergie
in der Macht dahin schwand und schließlich vollends versiegte.
Alles war so schnell gegangen, dass er für einen Augenblick lang
vergessen hatte zu atmen.
Avarice starrte Mays tote Gestalt mit einiger Zufriedenheit an,
während Laz sich langsam wieder aufrappelte. Keuchend hielt er
seinen Oberschenkel umklammert und humpelte auf seinen
Kumpan zu.
„Nehmen Sie Ihr Mädchen“, sagte Avarice nur und sicherte sein
Gewehr. „Wir haben, was wir wollten.“ Damit drehte er sich um
und die beiden Piraten marschierten in die Richtung davon, aus der
er und Laz soeben gekommen waren.
Luke hatte keine Zeit, sich über ihre Motive Gedanken zu
machen. Er deaktivierte die pulsierende Klinge in seiner Hand und
hackte das Lichtschwert zurück an seinen Gürtel. Mit nur zwei
Schritten war er bei Mara.
Ihre Stirn war heiß, glühte wie bei einem Fieber. Die Augenlider
waren geschlossen, flatterten jedoch unruhig. Blut tropfte von ihrem
Kinn und rann aus der frischen Platzwunde an ihrer Schläfe.
Vorsichtig rollte er sie zu einer Seite und strich eine blutige Strähne
beiseite, die an ihrer Wange klebte. Alles in allem schien sie nicht
stark verletzt, doch sie war schwach und krank. Ihre Präsenz war
218
nur noch ein dahinschwindendes Flimmern in der Macht. Er musste
sich beeilen.
„BEI ALLEN STERNEN!“ RIEF SARZAMIN AUS UND SCHLUG BEIDE HÄNDE
über dem Mund zusammen, als sie Luke die Tür geöffnet hatte. Der
Anblick von Maras über und über mit Blut und Dreck
beschmutztem Gesicht trieb ihr die Farbe aus dem Gesicht. „Was ist
passiert?“
„Keine Zeit für Erklärungen“, erwiderte Luke kurz angebunden
und drängte an ihr vorbei ins Haus. Beinahe im Laufschritt trug er
Mara zu dem Zimmer, in dem sie in den vergangenen Nächten
geschlafen hatte und legte sie auf das Bett. „Haben Sie ein Medset
im Haus?“ fragte er an Sarzamin gewandt, während der Maras
Verletzungen noch einmal untersuchte. „Wir müssen die Wunden
reinigen.“
Die Händlerin protestierte nicht, sondern verschwand in der
Kücheneinheit, um dann wenige Augenblicke später mit einem
kleinen weißen Kasten zurückzukehren. Gemeinsam desinfizierten
sie die Platzwunde an Maras Schläfe und den Schnitt an ihrem
rechten Oberarm. Die rote Flüssigkeit an ihrer Unterlippe war
inzwischen geronnen.
„Sie ist ganz bleich“, stellte Sarzamin fest und wusch den
Schmutz mit einem feuchten Tuch von Maras Gesicht. „Wir sollten
einen Arzt aus der Siedlung holen.“
Luke schüttelte langsam den Kopf. „Es sind nicht die
Verletzungen, die ihr schaffen machen.“
„Sie meinen“, sagte Sarzamin gedehnt, „es hat was mit diesen
Erinnerungen zu tun?“
„Ich fürchte ja.“
„Und was sollen wir jetzt tun?“
Er wünschte, er wüsste die Antwort auf diese Frage. Was sollte er
schon tun? Der Kampf gegen Montross, diese auslaugende
Schnitzeljagd durch die halbe Galaxis und die ungewollten
Erkenntnisse, die Mara hier auf Dantooine gewonnen hatte, all das
hatte ihrem Geist großen Schaden zugefügt. Es hatte sie für immer
219
verändert. Um den zugefügten Schaden zu reparieren hätte er die
Zeit zurück drehen und all diese Geschehnisse verhindern müssen.
Doch das konnte er nicht. Die Erinnerungen waren in sie
eingebrannt.
Plötzlich rastete ein neuer Gedanke ein. Ihre Erinnerungen…
Vor langer Zeit hatte Palpatine die dunkle Seite benutzt, um
Maras Erinnerung an ihre Kindheit und ihre Herkunft aus ihrem
Gedächtnis zu tilgen. Seine Motive waren damals alles andere als
edel gewesen. Damals hatte der Imperator die Macht benutzt, um
Mara zu seiner loyalen Dienerin zu machen, die ihm allein ergeben
war.
Doch was wäre, wenn er die Macht benutzt, um die jüngsten
Ereignisse in ihrem Gedächtnis zu verwischen? Wenn er Orianna
und Ilya und all die anderen auslöschen würde, wie man mit einem
Kauter eine Wunde ausbrannte? Die Vorstellung jagte ihm ein
eisiges Frösteln den Rücken hinab.
Aber er war nicht Palpatine. Er tat es nicht, um Mara zu
manipulieren oder zu seiner Marionette zu machen. Er wollte bloß
den Schmerz eindämmen, die Erinnerungen wieder in ihr
verschließen, so wie früher. Wenn er es nicht tat, würde sie wohl
möglich nie wieder zu der Stärke zurück finden, die sie sich in all
den Jahren seit dem Fall des Imperiums so hart erkämpft hatte. Es
war ihre einzige Chance.
Vorsichtig ließ er sich auf der Bettkante nieder und berührte mit
den Fingerspitzen seiner linken Hand Maras glühend heiße Stirn.
Ein neuer Schauer ließ ihn frösteln.
„Wenn irgendetwas schief geht“, informierte er Sarzamin, die ihn
mit weit aufgerissenen Augen beobachtete, „rufen Sie einen Arzt.“
Sie nickte nur stumm, und er schloss die Augen. Behutsam
tastete er mit seinen Jedi-Sinnen nach Maras Bewusstsein. Die
granitartigen Barrieren, die ihren Geist sonst so gut abschirmten,
schienen zusammen gestürzt. Keinerlei Widerstand hielt ihn davon
ab in sie einzudringen. Vor einem Monat noch hätte er sich über
diesen Umstand gefreut, doch nun beunruhigte es ihn nur noch
mehr. Also versengte er sich tiefer in die Überreste ihrer Präsenz,
220
stieß immer weiter vor, bis sich seine eigene Bindung zur Realität
vollkommen aufgelöst hatte.
Sein Geist wanderte durch dichten weißen Nebel, der
empfindlichen Grenze zwischen dem Bewusstsein und dem Unterbewusstsein. Ihre Gedanken waren formlos geworden und hallten
nur noch als gedämpftes Echo durch den Äther. Eine seltsame
Beklommenheit lastete ihm schwer auf der Brust und raubte ihm
den Atem. Dennoch setzte er einen Fuß vor den anderen, wanderte
als mentales Abbild seiner selbst durch den Nebel und ließ ihn sanft
zwischen seinen Fingern hindurch gleiten.
Dann – endlich! – klärte sich die Luft, hinterließ nichts als
unbeflecktes Weiß und gab den Blick frei auf etwas, das unendlich
und unergründlich war.
Ein Schritt und dann noch einen. Trockenes ersticktes Schluchzen
lag in der Luft. Es war ein Laut, der ihm sehr vertraut und
gleichzeitig beängstigend fremd vorkam. Hastig blickte er umher,
suchte im unendlichen Weiß um sich herum nach einem Hinweis.
Schließlich entdeckte er die Quelle des Klagens: ein kleines
Mädchen, das sich in weiter Ferne zusammen gekauerte und die
Arme schützend um ihren kleinen Leib geschlungen hatte. Sie
konnte nicht älter als seine Nichte und Neffen sein, vielleicht 5 oder
6 Jahre alt.
Er beschleunigte seine Schritte und lief schließlich so schnell er
konnte auf das weinende Mädchen zu, um die Distanz zwischen
ihnen zu überwinden. Doch obwohl sie seine Gegenwart sehr wohl
spürte, wagte sie es nicht aufzusehen oder sich gar zu bewegen. Das
würde nur noch mehr Schmerz verursachen.
Voller Mitgefühl sank er neben ihr auf die Knie, doch er zögerte
die Hand nach ihren bebenden Schultern auszustrecken oder ihr
kupferfarbenes Haar beruhigend zurückzustreichen.
Dies war der Kern ihrer Seele und der eine Teil von ihr, der dank
Palpatine niemals den Weg an die Oberfläche ihres Bewusstseins
gefunden hatte.
„Mara…“, flüsterte er behutsam. Er wagte es nicht lauter zu
sprechen. „Lass mich dir helfen.“
221
Sie haben mich immer davor gewarnt, hörte er ihre Stimme wie die
eines körperlosen Geistes durch den Äther hallen. Erinnerungen sind
nur Leid und Schmerz, haben sie gesagt. Blicke niemals zurück in die
Vergangenheit, haben sie gesagt. Aber ich hab nicht auf sie gehört…
„Ja, manchmal ist das so“, antwortete Luke. „Aber nicht alle
Erinnerungen sind böse. Wenn wir niemals gelitten hätten, woher
sollten wir dann wissen, wann wir glücklich sind?“
Kannst du machen, dass es aufhört?
„Ich werde tun, was ich kann“, sagte Luke und seine Brust war
wie zugeschnürt, „aber du musst mir den Weg zeigen, Mara. Den
Weg zum Ursprung.“
Stille senkte sich auf sie wie ein Leichentuch. Nur ihr gequältes
Schluchzen hing in der Luft und rührte an sein Herz.
„Mara!“ sagte er noch einmal, lauter diesmal. Und diesmal
blickte das kleine hilflose Kind mit zitternden Lippen zu ihm auf,
während es seine Tränen zurückdrängte.
„Hier“, sagte sie und reichte ihm eine Hand.
Eine überwältigende Energie trieb ihm den Atem aus den
Lungen. Die weißte Leere wurde überflutet mit Bildern, Stimmen
und Empfindungen, die zu lange verschlossen gewesen waren und
brachen über ihm zusammen wie ein Sturzbach. Das Wissen lastete
als bleierne Schwere auf ihm und drückte ihn zu Boden.
„Warte!“
Oriannas Erinnerungen regneten auf ihn herab, entfalteten sich
vor seinen Augen zu voller Blüte, mit all dem Glück und dem Leid,
das sie enthielten.
„Warte!“
Er schloss die Augen und suchte nach einem Fokus. Er musste
den Mahlstrom ordnen und kanalisieren. Er musste eine Ordnung
aus dem Chaos schaffen, um es von Mara fortzulenken. Sie hatte
keine Kraft mehr dazu es selbst zu tun.
Genau da! Er hatte ihn!
Er fand sich selbst wieder, wie er den Strom begradigte und in
eine stetige Bahn lenkte. Dann folgte er dem Fluss aus Bildern bis zu
ihrer Quelle, dem Ort in Maras Geist, dem sie entsprangen. Sie
222
leistete keinen Widerstand, als er die Quelle wie einen Stausee
zurückdrängte und in ihre Schranken wies.
Nach Atem ringend kämpfte er sich zurück in die Wirklichkeit,
bevor er die Verbindung mit Maras Geist nicht mehr lösen konnte
und sie wohl beide wohlmöglich für immer in einer Trance gefangen
blieben. Sarzamins Haus erschien ihm plötzlich grell und laut und er
blinzelte gegen die Sinneseindrücke an. Schweiß stand ihm auf der
Stirn, sammelte sich an seinen Schläfen, rann seinen Nacken hinab.
„Was haben Sie gemacht?“ fragte Sarzamin erschrocken. Sie
stand noch immer am fernen Ende des Bettes und beobachtete den
Jedi-Meister mit großer Furcht.
Es dauerte einige Atemzüge lang, ehe Luke ihr zu antworten
vermochte. „Ich habe die Erinnerungen an Orianna isoliert und tief
in ihrem Inneren verborgen. Sie werden dort verschlossen und
verschüttet sein, bis Mara die Stärke und vor allem den Willen
erworben hat, sie wieder zu entdecken.“
„Aber...“, begann Sarzamin, als wagte sie nicht, ihm diese Frage
zu stellen. „Woran wird sie sich dann erinnern?"
„An eine Rivalin, die Himmel und Hölle in Bewegung versetzen
wollte, um an ihr Rache zu üben. Dafür, dass sie auf Palpatines
Befehl hin den Mörder ihres Liebsten aus dem Weg geräumt hat“,
erklärte Luke und strich sich den Schweiß von der Stirn. Nun hatte
er eine Ahnung davon, wie müde Mara sich durch Oriannas
Erinnerungen gefühlt haben musste. „An mehr braucht sie sich nicht
zu erinnern.“
„Ich hoffe, Sie wissen, was Sie tun.“
Das hoffte er auch. Er hatte gesehen, wie viel Schaden Maras
Geist bereits genommen hatte. Nicht nur wegen May Montross und
all der Dinge, die sie ihr gezeigt hatte. Als er in ihren Geist
eingedrungen war, hatte er auch die entbehrungsreichen Jahre nach
Palpatines Sturz gesehen. Sie hatte einen Überlebenskampf geführt,
ehe Karrde sie gefunden hatte, und sie war siegreich daraus hervor
gegangen.
Nein, Mara brauchte das Wissen um ihre Herkunft nicht, um die
zu sein, die sie war, dessen war er sich sicher. Niemand würde je
erfahren, wer sie hätte sein können, und das war vermutlich besser
223
so. Sie hatte selbst einen Weg gefunden, ein Leben, das sie selbst
gestaltet hatte und das sie ausfüllte. Sie war zu einer besonderen
Persönlichkeit geworden, auch ohne das Wissen über Ilya und
Orianna. Es hatte keinen Sinn in einer Welt des Was wäre, wenn zu
verweilen. Dies war eine der Lektionen, die sie ihn gelehrt hatte.
Trotzdem würde die Zeit allein zeigen, ob er das Richtige getan
hatte.
Mit einem Seufzen ließ Luke der plötzlichen Erschöpfung ihren
Lauf und sank neben dem Bett zu Boden. Voller Mitgefühl sah er,
wie Flüssigkeit unter ihren geschlossenen Lidern hervor perlte und
die silbernen Tränen der Erlösung ihre Wangen benetzten.
ES DAUERTE ZWEI VOLLE TAGE, EHE MARA ZUM ERSTEN MAL AUFwachte. Es kostete sie einiges an Kraft ihre schweren Lider zu öffnen
und sich blinzelnd im taghellen Zimmer umzusehen. Nach und nach
kehrte das Gefühl in ihren Gliedern und in ihrem Kopf zurück. Sie
fühlte sich, als hätte sie wie eine Tote geschlafen. Ihr ganzer Körper
schien und geheuer Schwer, drückte sie in die Kissen und machte es
ihr unmöglich sich zu bewegen. Und dennoch fühlte sie sich von
einer ungeheuren Last befreit, auch wenn ihr nicht einfallen wollte,
um welche Last es sich dabei handeln mochte. Schon bald glitt sie in
einen Dämmerzustand zwischen Erwachen und Schlafen. Sie hörte
entfernt, wie hin und wieder jemand ins Zimmer kam, um nach ihr
zu sehen.
Als sie das nächste Mal die Augen aufschlug, hatten sich die
Lichtverhältnisse im Zimmer verändert. Das grelle Licht der
Mittagssonne war einem sanften Abendrot gewichen, das ihr nicht
so sehr in die Augen stach. Vorsichtig stützte sie sich auf die
Ellbogen und drückte sich in eine sitzende Position hoch.
Es dauerte nicht lange und Skywalker erschien ihm Raum. Er
brachte eine Flasche Wasser und ein Glas und trug eine Miene der
Erleichterung zur Schau, als er diese auf den Nachttisch neben
Maras Bett abstellte.
„Wie fühlen Sie sich?“ fragte er sanft und füllte das Glas mit dem
Wasser. „Besser?“
224
Sie nahm das Getränk und nickte vorsichtig. Ihr Nacken war vom
Liegen ein wenig steif. Vorsichtig führte sie das Glas an die Lippen
und ließ einige Tropfen Wasser in ihren ausgetrockneten Mund
rinnen. „Ich habe bestimmt schon mal besser ausgesehen“, kommentierte sie, „aber ich werde schon wieder.“
„May muss Sie ziemlich erwischt haben“, meinte Skywalker und
deutete auf die Schwellung über ihrer Braue. Unwillkürlich hob sie
eine Hand zu ihrem Gesicht und befühlte die Platzwunde.
Ja, richtig. Das war die Stelle, an der May sie mit dem Griff des
Blastergewehrs getroffen hatte. Plötzlich kam ihr das ganze groteske
Szenario wieder in den Sinn.
„Was ist passiert?“ fragte sie und sah Skywalker durchdringend
an. „Ich erinnere mich nur noch, wie es mich erwischt hat und dass
dieser Avarice wie ein Schwachsinniger um sich gefeuert hat.“ Und
da war noch der seltsam leere Ausdruck auf May Montross’ Gesicht,
kurz bevor Mara die Besinnung verloren hatte. „Ist sie tot?“
„Ja“, bestätigte Skywalker. „Einer der Blasterstrahlen traf sie in
den Rücken.“
Was für ein jämmerliches Ende für eine Frau mit solch ambitionierten
Plänen, dachte Mara. Andererseits würde sie die andere Agentin
sicherlich nicht vermissen. Sie hatte Mara lediglich in einen Haufen
unnötiger Probleme verwickelt, die sich letzten Endes in einer
Rauchwolke aufgelöst hatten. Sie freute sich nicht gerade auf den
Moment, da sie Karrde erzählen musste, dass er keine neuen
Verteidigungsanlagen bekommen würde und seine beste
Mitarbeiterin ihre Zeit mit einer sinnlosen Banthajagd vergeudet
hatte.
„Sie sollten sich noch etwas ausruhen“, schlug Skywalker vor.
„Sie sind immer noch ein wenig blass um die Nase.“
„Kein Wunder!“ rief Mara. „Immerhin liege ich seit Stunden,
wenn nicht sogar seit Tagen in diesem Bett und bekomme die Sonne
nicht zu Gesicht. Es wird Zeit, dass ich aufstehe und mich nützlich
machte.“
Skywalker lächelte mild. „Dann machen Sie aber halblang.
Frische Kleidung liegt dort drüben auf der Anrichte. Ich werde dann
in der Zwischenzeit alles für unsere Abreise vorbereiten. Sarzamin
225
wird es sich aber wahrscheinlich nicht nehmen lassen, Ihnen noch
eine vernünftige Mahlzeit zu servieren, ehe wir aufbrechen.“
Sarzamin Saia. Mara musste daran denken, sich bei der älteren
Frau in aller Form und Demut zu bedanken.
„Ja, danke“, sagte sie und schlug die Bettdecke beiseite. Kühle
Luft strich über ihre nackten Beine. Behutsam stellte sie einen Fuß
nach dem anderen auf den Boden und bewegte alle Zehen, um
sicher zu sein, dass sie noch alle vorhanden und funktionstüchtig
waren. „Ich werde duschen und mich anziehen. Ich fühle mich, als
hätte man mich mit Öl übergossen.“
„Sie sind der Boss“, sagte Skywalker. „Sagen Sie einfach
Bescheid, wenn Sie soweit sind und wir brechen auf. Ich werde
Sarzamin bitten uns in die Siedlung zu fahren, da ich den
Landspeeder gestern zurückgebracht habe. Aber es dürfte nicht
allzu lange dauern, die Formalitäten am Raumhafen abzuwickeln
und aus diesem System zu verschwinden.“
„Klingt gut“, stimmte sie zu und rang sich zu einem Lächeln
durch. „So schön es hier auch sein mag, langsam habe ich genug von
diesem Planeten.“
SKYWALKER BEHIELT MIT SEINER VERMUTUNG NICHT GANZ UNRECHT.
Die Unruhe wegen des von May angezettelten Vorfalls am Vortag
hatte sich zwar noch nicht gänzlich gelegt – kleinere Gruppen von
Technikern huschten geschäftig umher und überprüften alle
möglichen Sicherheitslücken im System – doch es gab niemand
behinderte sie auf ihrem Weg zum Büro des Hafenverwalters.
Sarzamin wartete geduldig vor der Tür und hüllte sich in
Schweigen. Seit Maras Erwachen am späten Nachmittag hatte sie
kaum ein Wort gesprochen, sondern lediglich vieldeutige Blicke mit
Skywalker gewechselt. Was auch immer in der älteren Frau
vorgehen mochte, sie wollte es für sich behalten, und Mara war dies
nur Recht.
„Miss Jade! Master Skywalker!“ wurden sie voller Überschwang
begrüßt. „Ich hoffe, Sie sind nicht hier um Anzeige gegen uns zu
erstatten?“
226
Mara warf Luke einen fragenden Blick zu. „Wie kommen Sie
darauf?“ fragte sie.
„Nun, wegen der Unannehmlichkeit, die Sie gestern erdulden
mussten“, sagte der Verwalter mit Entschuldigung heischender
Miene. „Ich bedauere dies zutiefst.“
Mara winkte ab. „Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Wir
sind nur hier, um eine Starterlaubnis einzuholen.“
„Selbstverständlich.“ Er beugte sich über eine der Konsolen und
bediente einige Tasten. „Wissen Sie, gestern ist das Schiff
verschwunden, dessen Transpondercodes verändert worden sind.
Wie vom Erdboden verschluckt! Ich kann nur hoffen, dass dieser
Fall bald aufgeklärt wird. Ich schwöre Ihnen, in den achtundzwanzig Jahren, die ich hier schon tätig bin, ist mir ein derartigen
Vorfall noch nie untergekommen.“
„Ich bin mir sicher, das wird er“, versicherte Mara dem Mann.
„Da würde ich mir nicht allzu viele Gedanken machen.“
Wenige Minuten später verließen sie das Büro mit den besten
Wünschen und weiteren Entschuldigen des Hafenverwalters, sowie
einer gültigen Starterlaubnis. Schweigend begleiteten Sarzamin und
Mara Skywalker zu der Landebucht, in der sein X-Flügler
untergebracht war. Seine R2-Einheit wurde soeben von zwei
Technikern des Raumhafens auf den Sockel hinter der Pilotenkanzel
gehoben.
„Das war’s dann wohl“, sagte Skywalker langsam und drehte
sich zu den beiden Frauen um. Er reichte der Händlerin eine Hand
und schüttelte sie beherzt. „Ich danke Ihnen nochmals für die
Gastfreundschaft.“
„Keine Ursache“, erwiderte Sarzamin. „Jetzt habe ich wenigstens
etwas zu erzählen. Man trifft ja nicht alle Tage einen Jedi-Meister.“
Luke lächelte verschmitzt. „Mir fällt immer wieder auf, wie
ähnlich sich Dantooine und Tatooine doch sind“, stelle er fest.
„Nicht nur des Namens wegen.“
„Passen Sie auf sich auf“, sagte Sarzamin.
„In Ordnung“, nickte Skywalker und warf Mara einen Blick zu.
„Wir sehen uns im Orbit, nehme ich an?“
„Ja, ich werde mich gleich auch auf den Weg machen.“
227
Der Jedi nickte noch einmal, wandte sie dann um und ging in
Richtung seines X-Flüglers fort. R2 begann aufgeregt zu trillern, als
er seinen Herren entdeckte.
„Kommen Sie“, sagte Sarzamin. „Ich begleite Sie auch noch zu
Ihrem Schiff.“
„Nicht nötig“, antwortete Mara. „Sie haben in der vergangenen
Woche schon genug gute Taten für ein ganzes Leben vollbracht –
wofür auch ich Ihnen meine Dankbarkeit aussprechen möchte.“
„Wie schon gesagt, es war nichts“, gab Sarzamin zurück und
machte eine wegwerfende Geste. „Wenn Sie mich fragen, so sollte
man seine Mitmenschen immer so behandeln, wie man selbst von
ihnen behandelt werden möchte.“
„Ein ziemlich noble Einstellung“, meinte Mara mit einem
sardonischen Lächeln. „Ich fürchte, solche Ideale sind inzwischen
aus der Mode gekommen.“
Sarzamin tätschelte Maras Schulter. „Ich hatte noch nie viel für
Mode übrig. Das ist was für die Reichen und Schönen von
Coruscant, nicht für eine kleine Händlerin von Dantooine.“
„Wo Sie gerade von Handel sprechen“, begann Mara und griff
nach einer Tasche an ihrem Gürtel. Sie zog ein kleines Stück
Flimsiplast hervor und reichte es an die ältere Frau weiter. „Dies
hier wollte ich Ihnen noch geben.“
Die Händlerin nahm das Stück Flimsi mit zusammen gezogenen
Augenbrauen an sich und warf einen Blick darauf. „Was ist das?“
„Nur ein paar Adressen, die Sie Ihrem Kundenstamm
hinzufügen sollten“, erklärte Mara. „Diese Herrschaften haben einen
ziemlich extravaganten Geschmack und werden Ihre Dienste
sicherlich ausreichend zu würdigen wissen. Nennen Sie einfach
meinen Namen, wenn Sie anrufen.“
„Herzlichen Dank“, sagte Sarzamin und verstaute das Flimsi in
der Brusttasche ihres einfachen Overalls. „Aber das wäre nicht nötig
gewesen.“
„Ich glaube doch“, entgegnete Mara und nickte in Richtung
Ausgang. „Wollen wir? Die Maschinen er Jade’s Fire brauchen ein
wenig länger zum Hochfahren als Skywalkers kleiner Sternenjäger
und ich will ihn ja nicht im Orbit versauern lassen.“
228
Sarzamin lachte. „Wo Jedi doch einen bekanntermaßen so kurzen
Geduldsfaden haben“, sagte sie ironisch und sie setzen sich in
Bewegung..
„Sie wissen doch was ich meine.“
„Ja, natürlich“, meinte die Händlerin. „Geben Sie gut auf
Skywalker Acht. Er hat ziemlich viel für Sie übrig.“
„Das will jetzt überhört haben!“ rief Mara.
Den Rest der Strecke bis zur Andockbucht der Jade’s Fire legten
sie wieder schweigend zurück. Mit vor der Brust verschränkten
Armen schaute Sarzamin dabei zu, wie Mara noch einmal das Schiff
von außen untersuchte und sich vergewisserte, dass sich seit ihrem
letzten Besuch am Vortag niemand daran zu schaffen gemacht hatte.
„Scheint soweit alles in Ordnung zu sein“, sagte sie, als sie ihre
Inspektion beendet hatte und sich die Rampe des Schiffs langsam
senkte, um sie einzulassen.
„Passen Sie auf sich auf, Jade“, sagte Sarzamin.
„Keine Sorge, das werde ich.“
Mit einem Lächeln wandte Mara sich ab und marschierte die
Rampe hinauf. Gebannt beobachtete Sarzamin, wie die Repulsoren
der Jade’s Fire zum Leben erwachten, die Rampe sich schloss und das
Schiff sanft wie eine Feder vom Boden der Andockbucht abhob. Es
gewann gleichmäßig an Höhe, stieg immer weiter und verschmolz
schließlich mit dem violett schimmernden Abendhimmel über
Dantooine.
„Es ist alles in Ordnung, Orianna“, flüsterte Sarzamin in die Stille
der hereinbrechenden Nacht. „Deinem Mädchen geht es gut.“
ALLEIN IN DER COCKPITKANZEL SEINES X-FLÜGEL-JÄGERS ERSCHIEN
Luke die unendliche Schwärze des Weltalls plötzlich trist und leer.
Es war schon seltsam, wie schnell man sich an die pastellfarbene
Schönheit Dantooines gewöhnen konnte. Und auch an die
Gegenwart einer anderen Person. Auf die ein oder andere Weise
würde er Maras Gesellschaft bestimmt vermissen.
Nun, er war ja nicht ganz allein. R2 war ja noch immer da, um
die Einsamkeit des Fluges zur Jedi-Akademie zu vertreiben.
229
Wie auf Kommando gab er Droide ein Trillern von sich und die
Übersetzung flimmerte in roten Buchstaben über das Display.
„Leg das Gespräch auf den Hauptkanal“, befahl er ihm. „Das ist
nur Mara.“
Knisternd öffnete sich der Komkanal und Maras Stimme drang
durch aus dem mikroskopischen Lautsprecher in seinem Helm. „So,
da bin ich“, sagte sie in beiläufigem Ton. „Wollte nur schnell Auf
Wiedersehen sagen.“
„Das dachte ich mir schon“, erwiderte er. „Vermutlich ist Ihr
Holo-Postfach bereits mit wütenden Nachrichten von Karrde
überschwemmt, wo Sie abgeblieben sind.“
„Ja, so in etwa“, stimmte sie zu. „Aber wollen Sie mal etwas
Interessantes hören?“
„Nur zu.“
„Nach der letzten Übertragung hat Faughn noch einmal etwas
tiefer in die Trickkiste gegriffen und versucht, weitere Informationen
über May Montross zu beschaffen“, informierte sie ihn. „Und raten
Sie mal, was sie dabei entdeckt hat?“
„Eine Auflistungen ihrer Aktivitäten, ehe sie die Pirate of the
Perlemian unter ihre Kontrolle brachte?“ riet Luke.
„So was in der Art, aber Sie waren schon nah dran“, sagte Mara.
„Halten Sie sich fest, das wird ihnen gefallen. Sie hat mehrere
Arztrechnungen und Pharmarezepte gefunden. Einige sind schon
etwas älter und reichen bis zur Schlacht von Yavin zurück. Andere
sind erst vor wenigen Wochen eingelöst worden, eine davon sogar
auf Belderone. Sieht so aus, als wäre Montross medikamentenabhängig gewesen.“
Luke runzelte unwillkürlich die Stirn. „Das ist in der Tat mal was
Neues.“
„Das können Sie laut sagen. Hier mal ein kleiner Abriss ihrer
Hausapotheke: Vicodin, Trilozitin, Lenilium… Das ganze Sortiment
der Corleil Corporation.“
„Das sind alles ziemlich starke Psychopharmaka“, stellte Luke
fest.
230
„Ganz genau“, erwiderte Mara. „Sie litt wohl schon eine ganze
Weile unter Depressionen. Kein Wunder, dass sie irgendwann den
Verstand verloren hat.“
„Die wird sie jetzt wohl kaum noch brauchen“, schloss er.
„Ja, den Sternen sei dank.“
„Es tut mir leid, dass ich Ihnen während dieser Unternehmung
nicht gerade eine große Hilfe war“, gestand Luke. „Ich hätte schon
viel eher eingreifen sollen.“
„Ach, halten Sie die Klappe!“ schalt Mara ihn. „Wären Sie nicht
gewesen, hätte Montross mich vermutlich kalt gemacht. Und Sie
haben dafür gesorgt, dass sich Mays Schläger verzogen haben ohne
weitere Schwierigkeiten zu machen. Dafür schulde ich Ihnen wohl
jetzt etwas. Aber anscheinend stehen Sie ja darauf, dass Ihnen
ständig etwas leid tun muss.“
Ein knappes Lächeln huschte über Lukes Gesicht. „Kann sein.
Aber wenn Sie mir jetzt einen Gefallen schuldig sind, würde ich ihn
auch gerne sofort einlösen.“
„Aha“, machte Mara. „Und was für ein Gefallen soll das sein?“
„Mir wäre es ganz recht, wenn wir endlich einmal zum du
übergehen könnten“, sagte er.
Einen Augenblick lang blieb der Komkanal stumm.
„Wenn das dein Wunsch ist“, erwiderte sie schließlich, „dann
kann ich ihn dir wohl kaum abschlagen.“
„Ich danke dir.“
„Und wohin fliegst du jetzt?“
„Nach Yavin. Zurück zu meinen Pflichten, zurück zu meinen
Schülern und zurück zu einer verlassenen Schlafkammer.“ Er
unterdrückte ein trauriges Lachen. „Ich werde bald sicherlich
wieder genug Zeit für eingehende Meditationen und Schwertkampfübungen haben.“
Selbst durch den Kopfhörer konnte er hören, wie sie sich ein
entnervtes Aufstöhnen verkniff. „Ich kann es nicht oft genug sagen,
Luke: trag die Erinnerung an Callista nicht mit dir herum wie ein
Seelenstigma“, sagte Mara. „Andere Mütter haben auch schöne
Töchter.“
231
Luke lächelte wehmütig. Interessant, dass sie gerade diese Redewendung benutzte. „Ich werde bei Gelegenheit daran denken“,
erwiderte er sanft.
Für eine Weile blieb der Komkanal stumm. „Nichts zu danken“,
erwiderte sie schließlich. Ihre Stimme klang nun anders – weicher,
beinahe zärtlich. „Schließlich sind wir doch so etwas wie Freunde,
nicht wahr? Auch wenn dies wohl die seltsamste und verrückteste
Freundschaft ist, von der ich je gehört habe. Die Ex-Imperiale und
ihr Rebellenfreund.“ Über den Lautsprecher ließ sich ein vages
Kichern vernehmen.
Luke spürte eine sanfte Wärme in seinem Inneren aufsteigen. Es
tat gut wieder ihre Sticheleien zu hören. Das bedeutete, dass es ihr
gut ging und dass sie sich in ihrer Haut wohlfühlte. Sie war nicht
länger der blasse, dem Fieberwahn erlegene Schatten ihrer selbst.
Und er würde lügen, würde er behaupten, dass er nicht erleichtert
war. Es tat gut, die alte Mara Jade wieder zu haben.
„Wirst du mich auf Yavin 4 besuchen?“ fragte er.
„Dich oder die Jedi-Akademie?“ erwiderte sie scharfsinnig.
„Beides, um ehrlich zu sein.“
Er konnte ihr Lächeln in der Macht spüren. „Wer weiß solche
Dinge schon, Skywalker? Wenn es der Wille der Macht ist, wird
mich mein Weg vielleicht des Öfteren mal ins Yavin-System führen.
Und nun sieh zu, dass du zurück zu deinen eifrigen Schülern
kommst. Es liegt noch eine Menge Arbeit vor dir. Und vor mir
auch.“
Nachdem sie ihr Gespräch beendet und sich von einander
verabschiedet hatten, beobachtete Mara, wie Skywalkers X-Flügler
Geschwindigkeit aufnahm und schließlich mit einem kurzen
Aufblitzen in den Hyperraum sprang. Sie ließ den Navcomputer der
Jade’s Fire durch die Astrogationskarten wälzen und die kürzeste
Route in Richtung Coruscant berechnen. Eine Hand um den
Steuerknüppel gelenkt, gab sie Schub auf die Backbordtriebwerke
und brachte das Schiff weiter von Dantooine weg, weiter auf den
Tiefraum zu. Dann wandte sie sich erneut den Nachrichten in ihrem
232
Holo-Postfach zu, die immer noch auf einem Display der
Hauptkonsole angezeigt wurden.
Neben den Informationen von Faughn fanden sich noch einige
andere Nachrichten in dem Postfach. Einige davon waren nichts
weiter
als
Zwischenberichte
einiger
Einheiten
der
Schmugglerallianz, die irgendwo im Inneren und Mittleren Rand
unterwegs waren. Andere kamen aus Karrdes Büro und zeigen eine
höhere Prioritätskennung an.
Sie wusste, sie sollte sich eine gute Erklärung für Karrde
überlegen, warum sie so lange verschollen gewesen war. Immerhin
hatte sie sich seit ihrem Aufbruch von Ord Mantell nicht mehr bei
ihm gemeldet und das war nun schon fast einen vollen Monat her.
War denn wirklich soviel Zeit vergangen, seit Calrissian sie als Gast
auf die Daybreak eingeladen hatte?
Mit einem Piepen beendete der Navcomputer seine
Berechnungen. Mit nur einem Tastendruck speiste sie die
Information in den Hauptrechner ein und steuerte das Schiff auf den
berechneten Sprungpunkt zu. Der Hyperantrieb erwachte mit einem
schwachen Jaulen zum Leben und die Sterne um sie herum
verschwammen zu Linien und wurden schließlich zu der
strahlenden surrealen Welt des Hyperraums. Mit einem zufriedenen
Seufzen lehnte sie sich im Pilotensessel zurück, verschränkte die
Arme hinter ihrem Kopf und betrachtete das abstrakte Farbenspiel
jenseits des Cockpitfensters.
Karrde würde noch ein paar Stunden warten müssen. Sie würde
erst einmal aus diesem Sektor springen und sich danach um neue
Vorräte und eine Ladung Treibstoff kümmern. Bis dahin würde sie
sich in der Messe ein wenig körperlich ertüchtigen.
Sie absolvierte gerade eine Reihe komplexer Dehnübungen, als
der Bordcomputer ein Gespräch über den Hyperwellensender
meldete. Eilig trocknete sie den Schweiß auf ihrer Stirn mit einem
Handtuch und nahm den Anruf dann in ihrem Quartier entgegen.
„Na, endlich“, begrüßte sie die vertraute Stimme Lando
Calrissians. „Ich habe mich schon gefragt, wo Sie wieder stecken.“
„Ich freue mich auch von Ihnen zu hören“, erwiderte Mara
sarkastisch. Gut, dass es sich bei dem Gespräch lediglich um eine
233
Audio-Übertragung handelte, sonst hätte ihr schelmisches Grinsen
sie wohl verraten. „Was kann ich für Sie tun?“
„In erster Linie wollte ich nur nachfragen, ob Sie und Luke bei
ihrer Suche inzwischen Erfolg gehabt haben“, begann Lando. „Man
hat eine ganze Weile nichts mehr von Ihnen gehört.“
„Lassen Sie mich raten“, sagte Mara, „Karrde hat Sie angerufen
und sich über meinen Verbleib erkundigt, nicht wahr?“
„Erkundigen würde ich das nicht nennen“, meinte er. „Aufregen
wäre wohl der bessere Ausdruck dafür. Also hat er mich beauftragt,
weiter nach Ihnen zu forschen und Ihnen ihren nächsten, äh,
Auftrag zu übermitteln. Sie sollen sich aber trotzdem so bald wie
möglich bei ihm melden.“
„Auftrag?“ hakte Mara nach.
„Erinnern Sie sich an die Fernbedienung, die Luke während der
Thrawn-Krise auf Dagobah gefunden hat?“
„Ja, wieso?“
„Es hat neue Entwicklungen in dieser Sache gegeben“, erwiderte
er. „Möglicherweise lässt sich herausfinden, woher die
Fernbedienung stammte und wofür sie bestimmt war. Und die Spur
ist noch heiß, man sollte also keine Zeit verlieren und die
Verfolgung aufnehmen.“
„Interessant“, murmelte Mara. „Und woher hat Karrde diese
Infomation?“
„Von einem meiner Geschäftspartner auf Kalarba“, erklärte
Calrissian. „Das ist auch der Grund, warum er mich ebenfalls in
diese Mission einbeziehen möchte.“
„Und ich dachte schon, Karrde wollte sie als mein neues
Kindermädchen abkommandieren“, versetzte sie. „Kalarba sagten
Sie?“
„Ja, genau.“
„Wann könnten Sie im Doldur-Sektor sein?“
„Wenn ich hier alles stehen und liegen lasse, in drei
Standardtagen“, erwiderte Calrissian. „Was ist mit Karrde? Sollten
Sie sich nicht zuerst einmal bei ihm melden?“
234
„Er hat die ganze Zeit lang gewartet, da kann er sich noch ein
paar Tage länger gedulden. Außerdem weiß er, dass ich am besten
funktioniere, wenn ich dort draußen bin und mich nützlich mache.“
„Verstehe.“ Calrissian war offensichtlich zwischen seinem
geschäftlichen und persönlichen Interesse hin und her gerissen.
„Nun, ich bin immer für ein Abenteuer zu haben, das wissen Sie.“
„Dann schlage ich vor, Sie machen die Lady Luck startbereit und
machen sich auf den Weg in den Doldur-Sektor. Ich werde meine
Vorräte auf Bandomeer auffüllen und komme dann umgehen nach.“
Calrissian schwieg einen Augenblick lang. „In Ordnung“, sagte
er langsam. „Ich werde mich dann bei Ihnen melden und Ihnen
meine genauen Koordinaten geben, damit wir auf dem Planeten
nicht an einander vorbei rennen.“
„Gute Idee“, antwortete sie. „Wir sehen uns dann in ein paar
Tagen, Calrissian.“
„Sehr gerne. Ich freue mich schon darauf.“
Mit einem leisen Knistern riss die Verbindung ab und die
Komkonsole verstummte. Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück,
legte eine Hand in ihren Nacken und drehte den Kopf um etwaigen
Verspannungen vorzubeugen.
Damit ist die Dantooine-Episode wohl endgültig abgeschlossen, dachte
sie. Nun war Schluss mit der sinnlosen Zeitverschwendung.
Sie erhob sich und kehrte ins Cockpit zurück, um den
Navcomputer die neue Route berechnen zu lassen.
235
9: TREASURED MEMORIES
Epilog
8 Jahre später…
SIE KAMEN. AM HORIZONT KONNTE SIE BEREITS DIE ZÜNGELNDEN
Flammen sehen, die der Trupp nach sich zog, während er alles nieder
brannte, das einmal für sie von Bedeutung gewesen war.
Jemand schrie um sein Leben, flehte vergeblich um Gnade. Getrieben
von unendlicher Angst lief sie los. Das Senffarbene Gras und die blutrote
Erde glitten unter ihr hinweg.
„Ich komme!“ schrie sie aus vollem Halse, aber kein Laut kam über ihre
Lippen. Ihre Stimme versagt ihr den Dienst.
„Ich komme!“ versuchte sie es erneut, doch wieder geschah nichts
Die Flammen kamen immer näher, hatten sie schon fast erreicht. Sie
konnte bereits die Hitze des Feuers auf ihrer Haut spüren.
Wieder hörte sie jemanden schreien. Es war die Stimme einer Frau.
„Nein! Nein, nicht sie!“ kreischte die Frau verzweifelt. „Ihr dürft sie
mir nicht wegnehmen! NEIN!“
Lauf, Mara.
„NEIN! BITTE NICHT!“
Lauf, Mara!
Sie konnte nicht laufen. Die Kraft verließ sie, wurde von dem
vernichtenden Feuer aufgesogen, das über die einst so fruchtbaren
Ländereien wütete. Ihre Knie wurden weich und sie stolperte.
Ihre Beine gaben nach. Sie landete mit dem Gesicht im Gras. An der
Wange spürte sie versteinerte Blütenblätter.
236
Das Feuer kam immer näher. Sie waren unaufhaltsam.
Lauf weg, Mara!
„Ich kann nicht!“ würgte sie hervor. Tränen sammelten sich in ihren
Augen und rannen unaufhaltsam über ihre Wangen. „Ich kann nicht
mehr.“
Unbeschreiblicher Schmerz stach von ihren Füßen an ihren Körper
hinauf, als die Flammen über sie hinweg gingen. Ein irres Lachen mischte
sich mit dem Knistern des Feuers.
„Habt ihr mein Leid noch nicht zu genüge ausgekostet?“ presste sie
mühsam hervor, aber es war kaum laut als ein zaghaftes Flüstern.
„Nicht einmal annähernd, Jade. Nicht einmal annähernd…“
MIT EINEM ERSTICKTEN SCHREI AUF DEN LIPPEN UND VON KALTEM
Schweiß überströmt, kämpfte Mara Jade Skywalker sich zurück ins
Bewusstsein. Anfangs spürte sie nur fiebrige Hitze, die ihren Körper
erfasst hatte. Erst nach und nach schärften sich die matten Konturen
im fahlen Licht der coruscantischen Nacht.
Erleichterung ließ einen Großteil ihres Entsetzens augenblicklich
von ihr abfallen. Mit einem leisen Seufzen sank sie zurück in ihr
Kissen und starrte zur Decke hinauf. Die Macht half ihr dabei, isch
zu beruhigen und das Chaos in ihrem Kopf vollends zu vertreiben.
Es war nur ein Traum gewesen. Sie war daheim. Sie lag in ihrem
Bett und war sicher. Der verheerende Brand war nur Einbildung
gewesen, nichts weiter.
Mit einem Blick zur Seite vergewisserte sie sich, dass Luke nicht
aufgewacht war. Völlig ungerührt lag er neben ihr und schlief, das
Gesicht vollkommen entspannt. Eine Weile beobachtete sie, wie sich
sein Brustkorb langsam hob und senkte, und lauschte dem Geräusch
seines friedlichen, ruhigen Atmens.
Was für ein Traum, dachte sie.
Offensichtlich war die Nacht für sie nun zu Ende, denn es wollte
ihr einfach nicht gelingen, erneut einzuschlafen. Selbstverständlich
hätte sie sich durch die Macht in eine Trance zwingen können, so
wie Luke es immer machte, doch sie war in solchen Dingen
237
sicherlich pragmatischer veranlagt als ihr Mann. Also schlug sie die
Bettdecke beiseite und stand auf.
In der Erfrischungszelle beugte sie sich über das Waschbecken
und wusch den Schweiß mit kaltem Wasser von ihrem Gesicht. Sie
nahm sich die Zeit, ihre Erscheinung genau im Spiegel zu
betrachten. Zum ersten Mal fielen ihr die kleine Fältchen, die sich
langsam um ihre Augen und die Mundwinkel herum bildeten,
wirklich auf.
Warum hatte sie gerade heute von Dantooine geträumt? Seit
vielen Jahren hatte sie nicht daran gedacht. Sie hatte niemals wieder
darauf zurück geblickt oder einen Gedanken an die Frau
verschwendet, die damals das Leben zur Hölle machen wollte.
Warum also kehrte die Erinnerung an May Lynn Montross
ausgerechnet in dieser Nacht zurück? Lag es an ihrer Erschöpfung?
Immerhin war dies der erste Abend seit langer Zeit gewesen, den sie
und Luke allein verbracht hatten, ohne irgendwelche Würdenträger
oder Bittsteller, die sie ihm einen Gefallen ersuchten. Noch waren sie
durch ein Problem an der Akademie behelligt worden.
Mit diesem Gedanken schlenderte sie in die Wohneinheit des
Apartments, welches sie und Luke für ihre eher unregelmäßigen
Aufenthalte auf Coruscant gemietet hatten. Auf dem Couchtisch
standen noch zwei halbvolle Gläser Wein, die sie vor dem
Schlafengehen getrunken hatten.
Sie trat an das großzügige Panoramafenster, welches einen
atemberaubenden Blick auf Coruscants Skyline darbot, und
verschränkte die Arme vor der Brust. Endlose Straßenzüge von
Frachtern und Lufttaxen zogen daran vorbei. Und mit einem
wehmütigen Seufzen betrachtete sie die Milliarden Lichter, die die
Nacht erhellten. Sie hörte nur halb, wie Luke sich mit leise
tapsenden Schritten näherte.
„Was ist los?“ fragte er leise in die Stille hinein, als er ins Zimmer
kam. „Ist irgendwas passiert?“
„Es war nichts“, gab Mara zurück ohne den Blick von der
bizarren Schönheit Coruscants abzuwenden. „Nur ein böser
Traum.“
238
Mit nur wenigen Schritten war Luke bei ihr, trat hinter sie und
legte vorsichtig die Hände auf ihre Schultern. „Möchtest du darüber
reden?“ fragte er, während er ihrem Blick mit seinem folgte.
„Ich weiß nicht“, sagte Mara. „Der Traum war ziemlich…
merkwürdig. So voller Schmerz. Ich weiß auch nicht…“
Luke schlang seine Arme fest um ihre Schultern und zog sie
näher an sich. Sie konnte spüren, wie er sein Gesicht in ihrem Haar
versenkte und tief einatmete. Ihr war, als wollte er sie mit seinem
ganzen Sein umfangen und Mara empfand Trost und Erleichterung
in seiner Gegenwart.
„Weißt du noch, was damals auf Dantooine war, Skywalker?“
fragte sie ihn. „Als May Montross es auf mich abgesehen hatte?“
Luke hielt einen Moment inne. „Ja, ich erinnere mich“, sagte er
angespannt. „Hast du etwa von ihr geträumt.“
Mara nickte langsam. „Es ist seltsam. Für gewöhnlich habe ich
ein ausgezeichnetes Gedächtnis, aber in Bezug auf die Zeit auf
Dantooine tun sich vor mir einige Lücken auf. Wie schwarze Löcher,
die alles aufgesogen haben“, sagte sie nachdenklich.
Mara fühlte, wie er ihre Haare küsste und sie sanft an sich
drückte.
„Wenn ich als Jedi eines gelernt habe“, sagte er, „dann, dass man
Träumen nicht immer eine Bedeutung beimessen sollte. Nur wenige
bergen Einsichten oder Wahrheiten in sich. Meist sind es nur kleine
Regungen in der Macht selbst, die einen in eine bestimmte Richtung
zu schubsen versuchen.“
„So wie deine Vision von mir auf Nirauan?“ fragte sie.
„Ja, so in etwa.“
„Aber was sagt mir, dass dieser Traum nichts weiter als ein
Hirngespinst war?“ fuhr Mara fort. „Was ist, wenn da noch mehr ist.
Etwas wichtig. Etwas, das ich tief vergraben liegt und das ich
vergessen habe?“
Luke versuchte zu lächeln, sagte jedoch nichts. Sie wusste
ohnehin, wie er über diese Sache dachte.
„Ach, weißt du was?“ rief seine Frau da und schüttelte energisch
den Kopf. Sie wandte sich in seinen Armen herum und sah ihn offen
239
an. „Ich will es gar nicht wissen. Soll die Vergangenheit doch zum
Teufel gehen.“
Ihr Ehemann blinzelte verblüfft. „Wenn das dein Wunsch ist...“,
erwiderte er vorsichtig, „werde ich nicht versuchen, dich vom
Gegenteil zu überzeugen.“
Mara grinste. „Ah, sieh an, der Meister ist noch lernfähig“, sagte
sie in neckischem Ton und stubste mit ihrem Zeigefinger an seine
Nasenspitze. „Du weißt endlich, was gut für dich ist, Skywalker.“
„Ich hatte eine gute Lehrerin“, gab er milde lächelnd zurück.
Sie legte die Arme um seine Schultern und erwiderte sein
Lächeln. Dann hob sie ihr Gesicht dem seinen entgegen und schloss
die Augen.
Luke akzeptierte die Einladung und küsste sie zärtlich. Fest
umschlungen standen sie da und ließen einander die Zeit vergessen.
Für einen wertvollen Moment lang gab es in diesem Universum nur
sie beide.
Dies waren die Momente, die sie in Erinnerung behalten wollte.
Und wenn sie ihm tief in die Augen sah, wusste sie, dass er Dinge in
den Tiefen ihres Herzens gesehen hatte, von denen sie nicht einmal
selbst Kenntnis hatte. Doch durch die Liebe und all die anderen
kleinen Dinge, die er sie gelehrt hatte, hatte sie erkannt, dass es
keinen Grund gab, die Vergangenheit zu fürchten. Es gab nichts,
weswegen sie sich schämen oder schuldig fühlen musste. Sie war,
wer sie war und die Vergangenheit würde keine Macht mehr über
sie haben.
Nie wieder.
~ ENDE ~
240
~ NACHWORT ~
A FEW WORDS FROM THE AUTHOR
Endlich ist es vollbracht! »What Lies Beneath« hat noch vier endlos
langen Jahren ein Ende gefunden. Erstaunlich, wie sehr sich doch
die Geschichte verselbstständigt und ein eigenes Leben entwickelt
hat. Umso erstaunlicher, dass ich es doch noch zu einem Ende
gebracht habe! Nach der ganzen Arbeit am Plot und dem vielen
Schreiben erscheint es mir noch ein bisschen surreal, am Ziel
angekommen zu sein. Als ich 2004 die ersten Worte für die
Geschichte schrieb – damals noch unter dem Titel »Jade Sabacc«, in
Anlehnung an eine Kurzgeschichte von Maras Schöpfer Timothy
Zahn – hatte ich wirklich nicht geahnt, was einmal für ein Monstrum
aus »What Lies Beneath« werden würde. Und bis zum Schluss hatte
ich nicht wirklich eine Ahnung davon, was genau ich da eigentlich
tue.
Aber ich hatte meinen Spaß und ich liebe die Geschichte, bis hin
zu allerletzten Zeile. Meine Arbeit wird wohl nie ganz beendet sein,
da ich bereits jetzt die erste verbesserungswürdige Passagen in den
Kapiteln 1 bis 4 ausmachen kann, doch alles in allem empfinde ich in
diesem Augenblick nichts weiter als reine Freude.
Gegen Ende der Schreibarbeit kam ich langsam zu dem
Eindruck, dass die ganze Story vielleicht nicht mehr mitreißend und
gut war, wie ich mir das selber ausgemalt hatte. Oriannas Charakter
schien sich mehr und mehr zu verselbstständigen und damit auch
ihre Sidestory. Mir war von Anfang an klar, sie würde nicht zum
Sympathieträger in dieser Geschichte werden, und doch übte sie
eine ungeheure Faszination auf mich aus. Das soll nicht heißen, dass
ich sie als Figur mochte, aber vielleicht war es gerade das, was mich
so ungeheuer fesselte. Ich wollte aus ihr keinen durch und durch
liebenswürdigen Charakter machen, möglicherweise damit Mara
noch besser und positiver zu Geltung kommt. Andererseits auch,
um mich von einfältigen Stereotypen zu entfernen, ich weiß es nicht
mehr. Letzten Endes war ich jedenfalls glücklich, als ich sie
241
umbringen durfte. Das hat mir eine tiefe, innere Befriedigung
verschafft.
Ilya hingegen sah ich als Mischung aus Dorian Gray, J.R. Ewing
und Sweeney Todd (womit May in etwa die Rolle der Mrs. Lovett
zufallen dürfte), leider kam das nicht wirklich zum tragen, wo doch
er und Mara die Dreh- und Angelpunke für das gesamte
Handlungsgefüge sind. Das mag wohl daran liegen, dass ich ihn
stets aus Oriannas oder Mays Sicht charakterisierte, ihn aber niemals
für sich selbst sprechen ließ. Und auch jetzt bin ich mir noch uneinig
darüber, ob ich dies nachträglich tun sollte. Immerhin ist auch May,
genau wie Ilya, für mich eine weit tragischere Figur als Orianna, was
sie um ein vielfaches interessanter macht. Die Skizzierungen und
Notizen zu »A Murder and its Afterlife« (Ein Mord und seine
Folgen) liegen zurzeit sicher verstaut, während ich mit mir selbst
noch im Widerstreit bin, ob ich diese Geschichte ebenfalls erzählen
sollte.
Was Mara angeht, so wird sie auf jeden Fall zur Protagonistin
einer weiteren Story mit dem Titel »Schattenspiele«. Dort gibt es
keinen Luke Skywalker, keine May Montross (?) und ganz
besonders keine Orianna Matale. Nein, mit dieser Geschichte
möchte ich zurück zu dem, was sich in den ersten vier Kapiteln von
»What Lies Beneath« abgezeichnet hat: Etwas mehr Action, etwas
weniger Drama. Stilistische Vorlage und Auslöser für diese
Entscheidung ist der EU-Roman »Treueschwur« von Timothy Zahn.
Demnach ist die neue Fanfiction auch in der Ära der Rebellion
angesiedelt und präsentiert Mara erneut in der Rolle als Hand des
Imperators.
Ein letzter Dank geht an
Sol Deande, meine wundervolle Betaleserin, die sich mit so viel
Hingabe durch die Geschichte gekämpft und mich mit ihren
aufmunternden Kommentaren immer weiter vorangetrieben hat.
Benjamin, für seine Kommentare, die mir ebenfalls gezeigt haben,
dass die Geschichte doch nicht der Unsinn ist, für den ich sie hielt.
Hoffentlich es das bis zum Schluss auch so geblieben.
242
Ayu the Messiah, die zwar nicht so viel für das Star Wars-Fandom
übrig hat wie ich, sich aber trotzdem immer wieder meine
überschwänglichen Ausbrüche zu »What Lies Beneath« angetan hat.
So, und jetzt ist Schluss. Genug Selbstbeweihräucherung, genug
eigennützige Werbung. Ich bin raus aus der Nummer. Vielleicht liest
man sich bei einer der neuen Geschichten, die darauf warten, aus
meinem Kopf und ins nächstbeste Word-Dokument hineinzufließen. Ich hoffe, ihr hattet genauso viel Spaß wie ich.
Ihu la Seraphita, 12. Oktober 2008
243
~ ANHANG ~
DIE CHARAKTERE
Name: Mara Jade
Geburtsdatum: 18:4:27 [NRS]
Geburtsort: Khoonda City, Dantooine
Heimatwelt: Coruscant
Haarfarbe: Rot
Augenfarbe: Grün
Körpergröße: 160 cm
Sprachen: Basic I, Basic II (Huttisch)
Name: Luke Skywalker
Geburtsdatum: 16:5:26 [NRS]
Geburtsort: Polis Massa (Asteroidenkolonie)
Heimatwelt: Tatooine, Coruscant, Yavin 4
Haarfarbe: Dunkelblond
Augenfarbe: Blau
Körpergröße: 172 cm
Sprachen: Basic I, Basic II (Huttisch)
244
Name: May Lynn (Meelam) Montross
Geburtsdatum: 8:10:35 [NRS]
Geburtsort: Abbusyn, Sulon
Heimatwelt: Carida
Haarfarbe: Schwarz
Augenfarbe: Eisblau
Körpergröße: 159 cm
Sprachen: Basic I
Name: Orianna Matale
Geburtsdatum: 958:9:25 [NRR]
Geburtsort: Khoonda City, Dantooine
Heimatwelt: Dantooine
Haarfarbe: Rotblond
Augenfarbe: Braun
Körpergröße: 157 cm
Sprachen: Basic I
Name: Sarzamin Saia
Geburtsdatum: 1:5:11 [NRS]
Geburtsort: Khoonda City, Dantooine
Heimatwelt: Dantooine
Haarfarbe: Dunkelblond
Augenfarbe: Braun
Körpergröße: 162 cm
Sprachen: Basic I, Grundkenntnisse Mandalorianisch
Name: Casseia Matale Marjumdar
Geburtsdatum: 955:3:11 [NRR]
Geburtsort: Khoonda City, Dantooine
Heimatwelt: Dantooine
Haarfarbe: Braun
Augenfarbe: Braun
Körpergröße: 156 cm
Sprachen: Basic I
245
Name: Bithras Marjumdar
Geburtsdatum: 949:5:3 [NRR]
Geburtsort: Östl. Ebene von Khoonda, Dantooine
Heimatwelt: Dantooine
Haarfarbe: Braun
Augenfarbe: Blaugrau
Körpergröße: 175 cm
Sprachen: Basic I, Grundkenntnisse Basic II (Huttisch),
Grundkenntnisse Mandalorianisch
Name: Ilya Fermor Jade / Fermor Fingal
Geburtsdatum: 947:5:9 [NRR]
Geburtsort: Coronet, Corellia
Heimatwelt: Coruscant
Haarfarbe: Dunkelblond
Augenfarbe: Grün
Körpergröße: 180 cm
Sprachen: Basic I, Basic II (Huttisch)
[NRR] = Republikanische Zeitrechnung (Ruusan Reformation)
[NSR] = Republikanische Zeitrechnung (ReSynchronisation)
[NSY] = Zeitrechnung der Neuen Republik (Schlacht von Yavin)
246
Anmerkungen zur Zeitrechnung und Datierung:
Für die Gliederung des Star Wars-Universums in die verschiedenen
Ären hat sich, nachdem eine Weile die Schlacht von Endor der Drehund Angelpunkt aller zeitlicher Berechnung war, die Schlacht von
Yavin – genauer gesagt Star Wars Episode IV: Eine Neue Hoffnung – als
Nullpunkt für die Einteilung der Zeitalter eingebürgert. Daher wird
dort der Einfachheit halber auf die Jahre VSY und NSY datiert (genau
wie v.Chr. und n.Chr.). Diese leicht verständliche und übersichtliche
Einteilung wurde auch für die nachfolgende Timeline beibehalten.
Innerhalb des Universums, betrachtete man dieses so, wie wir unsere
Zeitrechnung betrachten, so ist die genaue Bestimmung eines Datums
nicht ganz so simpel. Zwischen der Zeitrechnung der Alten Republik
und der des Imperiums kann es zu Differenzen bezüglich der
jeweiligen Daten kommen, da die Republik zunächst alle Geschehnisse
auf das Jahr der Ruusan Reformation (1.000 VSY) zurück datierte, bis
im Jahre 35 VSY eine Resynchronisation des Galaktiktischen StandardKalenders durchgeführt wurde. Die Gründung des Imperiums fand
daher im Jahre 16 NRS (Nach der ReSychronisation) statt.
Das Imperium setzte jedoch in weiten Teilen der Galaxis die Datierung
am Tag seiner Gründung komplett auf Null zurück. Die Ausrufung des
Imperiums fällt damit auf den Tag 0:1:1 (JJ:MM:TT) der Imperialen
Zeitrechnung. Dennoch ließ sich das Kalendersystem der Republik
nicht ganz ausmerzen, da es weiterhin für die Datierung historischer
Ereignisse in Gebrauch war.
Die Neue Republik übernahm 25 NSY schließlich den laufenden
Kalender, datierte fortan allerdings ab dem Jahr, in dem der erste
Todesstern bei der Schlacht von Yavin vernichtet wurde (Nach der
Schlacht von Yavin). Daher ist es nötig, dass eine Datierung nach der
vorangegangenen Zeitrechnung zugelassen wird. Aller Ereignisse, die
demnach vor der Schlacht von Yavin (VSY) stattfanden, wurden, genau
wie während der Imperialen Herrschaft, auf die republikanische
ReSynchronisation (NRS) zurückdatiert.
247
D I E T I M E L I NE
248
249
250
Quellen:
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252
Knights of the Old Republic, Knights of the Old Republic: The Sith Lords, The
New Essential Chronology, Wookieepedia, Jedipedia.de
253
WEITERE WERKE DER AUTORIN
~ STAR WARS ~
Onehundred Stars & Skies*
A Murder and its Afterlife*
Days of Calamity*
No Good Deed*
Schattenspiele*
~ WICKED – DIE HEXEN VON OZ ~
In Memoriam
Silent Requiem
Bittersweet Symphony
~ VAMPIRE THE MASQUERADE ~
(BLOODLINES)
Born To Darkness
~ QUEER AS FOLK (US) ~
10 Dinge über Brian Kinney
~ HARRY POTTER ~
D.A.: Dumbledore’s Army*
In Zeiten wie diesen
* work in progress
254
255