Therapie Lernen- Zeitschrift für Lehrende und Lernende

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Therapie Lernen- Zeitschrift für Lehrende und Lernende
Therapie Lernen
Ergotherapie
Logopädie
Physiotherapie
November 2014
INHALT
6
Therapie Lernen · · · · · Lehren · Lernen · Forschen · · · · ·
Das Arbeitstypen-Modell in der Logopädieausbildung:
Erste Erfahrungen und Ansätze
Hilke Hansen, Osnabrück. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
Anforderungen an Lehr-Lernarrangements in Gesundheits­fachberufen
Renate von der Heyden, Bielefeld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
E-Learning in der logopädischen Ausbildung
Angela de Sunda, Ferdinand Binkofski, Bernd Kröger,
Peter Aretz, Stefanie Abel, Würzburg, Aachen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
Das Ulmer Kompetenzprofil UKP in der praktischen Logopädieausbildung
Michaela Beyer & Christiane Müller, Ulm. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
Kompetenzmessung in der Logopädieausbildung — konzeptionelle Überlegungen
zur Implementierung von OSCE als Prüfungsinstrument
Denise Stammer, Kiel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
Kompetenzprofil für Lehrende in der Logopädie
Regina Beling-Lambek, Bremen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
56 Therapie Lernen · · · · · Reflexives Lernen in der Praxis · · · · ·
Nutzen von Supervisions­gruppen bei Veränderungs­prozessen in Organisationen —
Empirische Untersuchung im BSc-Studiengang Physiotherapie ZHAW
Daniela Pernici, Zürich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
„Es ist mir ein Anliegen!“ Der Prozess der Anliegenformulierung in der Supervision
im Studiengang Logopädie der Hochschule Fresenius in Hamburg
Stefanie Bühling, Hamburg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
72VAST · · · · · Berufspolitik · · · · ·
Ein Jahr „offiziell“ VAST – Verbund für Ausbildung und Studium in den Therapieberufen – gemeinsam ein Profil bilden
Andreas Pust, Joachim Rottenecker, Vera Wanetschka . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
Zum Beschluss des VAST zur Qualifizierung von Lehrkräften an Schulen für
Therapie­fach­berufe
Christoph Dünnwald, Osnabrück. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
04
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vdes.de
physiotherapievll.de
Logopädie
Ergotherapie
Therapie Lernen
Physiotherapie
November 2014
Wir freuen uns über die Unterstützung der Beiratsmitglieder
Prof. Dr. Heidrun Becker, Winterthur
Prof. Dr. Hilke Hansen, Osnabrück
Ulli Hild, Utrecht
Prof. Dr. Beate Klemme, Bielefeld
82Perspektivwechsel · · · · · Akademisierungsprozess · · · · ·
Primärqualifizierende Akademisierung der Logopädie: Position des dbl . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
Stellungnahme des DVE zum Akademisierungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
Resolution des Deutschen Verbandes für Physiotherapie zum Akademisierungsprozess. . . . . 86
Neue Weiterbildungsangebote für Angehörige der Gesundheitsfachberufe an
der Jade Hochschule in Oldenburg
Frauke Koppelin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
Von der höheren Berufsfachschule zur Hochschule – Gedanken zur Durchlässigkeit
zwischen den Systemen in der Akademisierungsphase der Logopädie
Julia Siegmüller, Katja Becker, Constanze Frenz,
Christina Mainka, Bettina Führmann, Rostock. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
„Chancen und Begrenzungen“ in der Akademisierungs­debatte
Vera Wanetschka, Bremen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
100Vermischtes · · · · ·
Europäische Vergleichsstudie GesinE zur Ausbildung in den Gesundheitsfachberufen . . . . . 100
Empowerment für die Promotion in den Gesundheitsfachberufen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
Kompetenzprofil für die Logopädie
Monika Rausch, Katrin Thelen, Isabelle Beudert. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
Position des BDSL zur klinisch-praktischen Kompetenzentwicklung in der Logopädie
Vera Wanetschka. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
BDSL-Förderpreis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
Rezensionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63, 99
Die Fachartikel 2011 bis 2013 aus der BDSL aktuell und der Therapie Lernen. . . . . . . . . . . . 109
110Regularien · · · · ·
Die Vorstände. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
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Ergotherapie
Logopädie
Physiotherapie
November 2014
Von der höheren
Berufsfachschule zur
Hochschule
– Gedanken zur
Durchlässigkeit zwischen
den Systemen in der
Akademisierungsphase
der Logopädie
Julia Siegmüller, Rostock
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Therapie Lernen
Physiotherapie
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Schlagwörter
Hochschulzugangsberechtigung, Hochschulstudium, Nachqualifizierung, Berufserfahrung
Zusammenfassung
Die Akademisierung der Logopädie ist im vollem Gange.
Wie die Analyse der berufsbegleitenden Studierenden an der
EUFH jedoch zeigt, wird die
Möglichkeit zur Weiterqualifizierung aber immer noch vor allem
am Schulabschluss der allgemein bildenden Schulen festgemacht. So studieren wesentlich
mehr Abiturienten nach der Ausbildung als solche, die beruflich
qualifiziert sind und keine formale Hochschulzugangsberechtigung haben. Die Debatte um
Durchlässigkeit zwischen Schulund Hochschulsystem bemüht
sich, diese Bewerbergruppe
stärker in die Studiumsmöglichkeiten zu integrieren. Im folgenden Beitrag wird ein Projekt
dargestellt, in dem diese Bewerbergruppe angesprochen wird.
Einleitung
Das Gesetz zur Einführung
einer Modellklausel in die Berufe der Hebammen, Logopäden, Physiotherapeuten und
Ergotherapeuten wurde am 25.
September 2009 rechtskräftig
(Bundestag der Bundesrepublik
Deutschland, 2009). Seitdem
wurden deutschlandweit insgesamt ungefähr ein Dutzend Studiengänge entwickelt, die diese
neue Möglichkeit der Ausbildung
realisieren. Bei so gut wie allen
Modellkonzepten – bis auf die
Hochschule der Gesundheit in
Bochum –handelt es sich um
Kooperationen zwischen einer oder mehrerer Berufsfachschulen und einer Hochschule.
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Dabei ist die Verknüpfung zwischen den beiden Lehrsystemen unterschiedlich stark. Es
gibt sehr enge Verknüpfungen,
so z.B. beim Modell der Europäischen Fachhochschule am
Studienstandort Rostock, in deren Modellstudiengängen die
Trennung der schulischen und
hochschulischen
Lehranteile
aufgehoben ist und „trotz“ Kooperation ein einheitliches, vollständig hochschulisch ausgerichtetes Curriculum geschaffen
wurde (Rausch & Siegmüller,
2014). Solche Systeme sind jedoch aufwendig in der Schulung
für die Dozenten der Berufsfachschule und bedürfen eines ständigen Evaluationsprozesses, um
die Theorie-Praxis-Brücke, die
Kompetenzorientierung, die Aktualität der Lehrinhalte und das
korrekte Ineinandergreifen der
einzelnen Lehrveranstaltungen
sicherzustellen. Daher ist die
erfolgreiche Umsetzung solcher
Modelle auch von räumlichen
und personellen Schnittstellen
abhängig.
Hinter so manchem erstausbildenden
Modellstudiengang
verstecken sich daher relativ bis absolut pauschale Anrechnungsmodelle,
sodass
die Grenze zwischen einem
grundausbildenden, tatsächlich
kooperierenden
Zusammenarbeiten zwischen Schule und
Hochschule einerseits und dem
additiven Studium (wie es in den
früheren Kooperationen mit holländischen Hochschulen bereits
realisiert wurde) andererseits
verschwimmt. Obwohl als Modellausbildung an sich nicht politisch intendiert (und daher von
Vertretern der Landesregierung
NRW z.B. auch als „Übergangsmodell“ bezeichnet), tragen diese Kooperationen jedoch viel
dazu bei,
physiotherapievll.de
•
•
•
dass
der
nicht-akademische Arbeitsmarkt die
Hochschulausbildung während der Modellklauselphase nicht (mehr) mit allzu
großer Skepsis betrachtet
wird,
dass die praktische Lehre
und die Ausbildung am Patienten sich in einem ausgewogenen Verhältnis zur
theoretischen Lehre befinden,
und dass Übergangsmodelle zur eigenen Weiterentwicklung für Lehrende
an Berufsfachschulen eine
zeitliche Perspektive erhalten.
Es ist gerade die Sicherstellung der Ausbildung am
Patienten, die Hochschulen
dazu bringt, Kooperationen mit
Schulen einzugehen. Die stark
praktische Ausrichtung der klassischen Berufsfachschullehre,
die das „Handwerkliche“ in den
Vordergrund rückt, wird so weiterhin von der Schule, also der
nicht-akademischen Ebene, gelehrt. Ob in einem pauschalen
Anerkennungssystem auf diese
Weise eine sichere Brücke zwischen dem theoretischen und
praktischen Unterricht geschlagen werden kann, sollte diskutiert werden und wird je nach
Ausrichtung der Hochschulinhalte mehr oder weniger gut gelingen.
Ein Aspekt, der durch die Kooperationen in additiv denkenden Systemen weiterhin besteht,
an der Akademisierungsdebatte
jedoch bis heute keinerlei Anteil
nimmt, sind Schüler ohne Hochschulzugangsberechtigung. Diese werden in der Regel in den
gleichen Einrichtungen, oft sogar
in den gleichen Klassen, unterrichtet. Jede Einrichtung hat ihre
89
Therapie Lernen
eigene Politik, wie sie mit dem
Unterricht, der der Hochschule
zugerechnet wird, umgeht. Teilweise werden die Schülerinnen
und Schüler, die nicht studieren,
mit praktischen Übungen versorgt, während die Studierenden
im Wissenschaftlichen Arbeiten
oder Ähnlichem unterricht werden. Teilweise steht dem Hochschulunterricht Freizeit entgegen,
was die Motivation zu studieren
senkt und zu hohen Abbruchquoten in ausbildungsbegleitenden
Konzepten
führen kann.
Die Anforderungsstruktur
ist durch Komplexität und
Jede Dozentin und
häufige Veränderungen
jeder
Dogekennzeichnet
zent mit Erfahrungen
in solchen gemischten Kohorten
weiß, welche atmosphärischen
Störungen und welche Psychodynamik sich durch die Mischung
von studierenden und nicht-studierenden Teilnehmerinnen und
Teilnehmern an einer Ausbildung
entwickeln kann. In Konzepten,
in denen die Verzahnung von
Schule und Hochschule besonders stark ist, werden daher keine Teilnehmer aufgenommen, die
ausschließlich die Fachschulausbildung absolvieren wollen oder
können (z.B. an der EUFH).
Deutscher Qualifikationsrahmen in der Logopädie
Der DQR ist ein Instrument zur
Einordnung der Qualifikationen
des deutschen Bildungssystems.
Er soll zum einen die Orientierung
im deutschen Bildungssystem erleichtern und zum anderen zur
Vergleichbarkeit deutscher Qualifikationen in Europa beitragen.
Um transparenter zu machen,
welche Kompetenzen im deutschen Bildungssystem erworben werden, definiert er acht Niveaus (Arbeitskreis DQR, 2011).
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Ergotherapie
Logopädie
Physiotherapie
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Niveau 1 wird dabei als eine einfache Aufgabe, die unter Aufsicht
ausgeführt wird, definiert. Niveau
8 ist beschrieben als eine Reihe
von Kompetenzen, die zur Gewinnung von Forschungserkenntnissen in einem wissenschaftlichen
Fach oder zur Entwicklung innovativer Lösungen und Verfahren
in einem beruflichen Tätigkeitsfeld benötigt werden (Arbeitskreis
DQR, 2011).
Der berufszulassende schulische Abschluss ist auf Niveau 4
eingeordnet. Er wird als ausführender Beruf beschrieben und
beinhaltet keine besonderen Fähigkeiten zu Teamleitung oder
Anleitung von Lernenden. Dagegen befindet sich das Bachelordiplom auf Niveau 6. Diesem
Niveau werden im DQR folgende
Kompetenzen zugeordnet:
Niveau 6 beschreibt Kompetenzen die zur Planung, Bearbeitung und Auswertung von umfassenden fachlichen Aufgaben- und
Problemstellungen sowie zur
eigenverantwortlichen Steuerung
von Prozessen in Teilbereichen
eines wissenschaftlichen Faches oder in einem beruflichen
Tätigkeitsfeld benötigt werden.
Die Anforderungsstruktur
ist
durch Komplexität und häufige
Veränderungen gekennzeichnet
(Arbeitskreis DQR, 2011). So
umfasst diese Beschreibung viel
eher die alltäglichen Handlungsroutinen von Logopädinnen und
Logopäden in größeren Einrichtungen als die Beschreibungen
von Niveau 4. Es wird konstatiert, dass die Handlungsfelder
der Logopädie sich nur teilweise
im DQR wiederfinden, weil das
Abschlussniveau die Logopädie
auf eine berufsschulische Ebene
führt. Logopädinnen und Logopäden haben aber in der Regel keine typischen rein ausführenden
Positionen inne, die ohne eigene
komplexere Entscheidungskombdsl-ev.de
petenzen (z.B. in Bezug auf die
Behandlung eines Patienten)
vonstatten gehen.
Der DQR birgt daher einiges
Konfliktpotential für die einzelne
Logopädin in ihrem jeweiligen
Arbeitskontext. Für die Berufsgruppe insgesamt ist mit dem
DQR offensichtlicher geworden,
dass die hochschulische Bildung
der Weg in die Besserstellung an
Rechten und mittelfristig auch an
Honorar ist.
Bedarf zur Nachqualifizierung
Je mehr sich der DQR durchsetzt und je weiter die Modellphase voranschreitet, desto häufiger
spüren auch die nicht-hochschulisch ausgebildeten Kolleginnen
und Kollegen den Druck, sich
nachqualifizieren zu müssen. So
besteht aktuell z.B. ein starkes
Bestreben in den drei Fachrichtungen der Gesundheitsberufe,
die Lehre nicht nur an Hochschulen, sondern auch an Fachschulen an einen akademischen Grad
zu koppeln. Ebenso setzen viele
Kliniken die Handlungskompetenzen des Deutschen Qualifikationsrahmens (Arbeitskreis DQR,
2011) um und verbinden die Neubesetzung der Leitung einer logopädischen Abteilung mit mindestens dem Bachelorabschluss.
Nachqualifizieren
innerhalb
von Modellklausel-Studiengängen
ist nicht möglich, da diese für die
Erstausbildung konzipiert sein
müssen, die berufszulassende
Prüfung beinhalten und direkt bis
zum Bachelor studiert werden.
Das bedeutet, dass berufsbegleitende Bachelorstudiengänge
weiterhin Bestand haben werden,
in denen Studierende zusammentreffen, die in verschiedenen
Schulen gelernt haben und mit einer unterschiedlich langen Berufserfahrung das Studium beginnen.
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Ergotherapie
Therapie Lernen
Physiotherapie
November 2014
Es stellen sich folgende Fragen:
• Wie unterschiedlich sind
die
Startvoraussetzungen
von Studierenden mit unterschiedlich langer Berufserfahrung und unterschiedlichem Schulabgangsniveau?
• Kann langjährige Berufserfahrung beim Einstieg ins
Studieren helfen?
• Wie durchlässig ist dieses
System?
• Auf welche Weise können
Absolventen der staatlichen
Prüfung und der mittleren
Reife ebenfalls studieren?
Inwieweit sind außerhochschulisch erworbene Kompetenzen anrechenbar im
Rahmen eines Studiums?
Wird Berufserfahrung anerkannt?
Auf viele der gestellten Fragen
gibt es noch keine Antworten, die
mit Daten belegbar sind. Im berufsbegleitenden Bachelorstudiengang Logopädie an der EUFH
werden die Daten der berufsbegleitend Studierenden analysiert.
In Abbildung 1 wird ausgewertet,
wie viele der berufsbegleitenden
Studierenden (aktuell N=96) das
Studium mit einer beruflichen
Hochschulzugangsberechtigung
beginnen.
Abbildung 1: Verteilung berufsbegleitender Bachelorstudierenden hinsichtlich der Art ihrer Hochschulzugangsberechtigung
bdsl-ev.de
vdes.de
Es zeigt sich, dass die Weiter- und Nachqualifizierung durch
ein Studium fast ausschließlich
durch Studierende mit Abitur bzw.
Fachabitur als Schulabschluss
in Angriff genommen wird. Auch
wenn man die Teilgruppe (N=31)
betrachtet (Abbildung 2), die mit
mindestens 3 Jahre Berufserfahrung das Studium beginnen,
ändert sich das Bild kaum. Auch
besteht die große Mehrheit aus
Studierenden, die ein Abitur bzw.
ein Fachabitur gemacht haben.
Abbildung 2: Bewerber mit mindestens 3 Jahren Berufserfahrung aufgeteilt hinsichtlich eines Abiturs bzw.
Fachabiturs im Bildungsverlauf oder
der beruflichen Hochschulzugangsberechtigung
Warum die Gruppe der Kolleginnen und Kollegen, die über
die berufliche Qualifizierung ihre
Hochschulzugangsberechtigung
erhalten, sich so viel weniger für
ein Studium interessieren, kann
nur vermutet werden. Aus den
Befragungen der Studierenden
an der EUFH lassen sich vorsichtige – wenn auch anekdotische –
Hinweise ablesen. So bezeichnet
der überwiegende Teil der jungen
Logopädinnen und Logopäden,
die sich für ein nachqualifizierendes, berufsbegleitendes Studium
an der EUFH entscheiden, den
Bachelor als „logischen nächsten Schritt“ in ihrer Bildungsbiographie. Warum sie nicht gleich
einen Modellstudiengang studiert
haben, beantworten viele damit,
physiotherapievll.de
den komplizierten, sich gerade
entwickelnden Markt nicht gut
genug verstanden zu haben. Das
Studium zu beginnen, ist für diese
Kolleginnen keine große Hürde.
Diese Gruppe junger Kolleginnen
und Kollegen fühlt sich eigentlich
von Beginn an als studierend. Davon ist die Gruppe der Kolleginnen mit mehr als 10 Jahren Berufserfahrung deutlich zu trennen.
In der Zeit, als sie ihre Ausbildung
absolvierten, war die Akademisierung noch in weiter Ferne und
die Schule bot die einzige Möglichkeit, Logopädin zu werden.
Insofern ist es nur natürlich, dass
diese Gruppe von Kolleginnen es
als wesentlich größeren Schritt
empfindet, ein Studium zu beginnen und sich auch weniger von
ihnen dazu entschließen. Anders
als bei den jungen Kolleginnen,
die in einfacher Weiterentwicklung denken, ist in der älteren
Gruppe die Existenzangst einer
der treibenden Faktoren, warum
sie sich letztendlich für ein Studium entscheiden.
Durchlässigkeit
Durchlässigkeit ist ein Schlagwort in vielen aktuellen Hochschuldebatten. Dabei ist in kaum
einem Feld die Durchlässigkeit
aktuell von so besonderer Bedeutung wie in den Gesundheitsfachberufen. Für die Etablierung
eines weitgehend hochschulisch
gebildeten Arbeitsmarktes muss
Durchlässigkeit speziellere Formen annehmen als in vielen anderen Fachrichtungen. Dies liegt
zum einen an der immer noch
großen Mehrheit nicht-akademischer Therapeutinnen und Therapeuten und zum anderen an
der Tätigkeit der Logopädinnen
und Logopäden, die sich – egal
ob akademisch oder nicht-akademisch – momentan noch nicht
groß unterscheidet. Die Dringlichkeit der Frage der Durchlässigkeit
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Therapie Lernen
an sich wird durch die Hinwendung zum dualen Studium in der
deutschen Hochschullandschaft
noch einmal untermauert.
Allerdings besteht der Grundtenor in der Durchlässigkeitsdebatte in der verbesserten
Durchlässigkeit zwischen Hochschulebenen und in das Hochschulsystem hinein immer auf der
grundlegenden Annahme, dass
alle Kandidatinnen und Kandidaten die Hochschulzugangsberechtigung bereits erworben
haben. Eine Vereinfachung des
Erreichens dieser Grundvoraussetzung wird nicht diskutiert.
Übergang vom Schul- ins
Hochschulsystem
Grundsätzlich ist gesetzlich
eindeutig festgelegt, wann Therapeutinnen und Therapeuten mit
mittlerer Reife eine Hochschulzugangsberechtigung über die Berufserfahrung erhalten. Sie benötigen dazu eine Berufserfahrung
von drei Jahren in dem Beruf,
den sie gelernt haben. Arbeitet
eine Absolventin oder ein Absolvent einer Berufsfachschule nach
dem Abschluss in einem nicht der
Logopädie verwandten Beruf, ist
längere Berufserfahrung notwendig, um eine Hochschulzugangsberechtigung zu erhalten. Ist diese erworben, ist diese genauso
umfassend wie ein Abitur. D.h.,
dass die Studierenden regulär im
ersten Semester des Studiums
beginnen (KMK, 2009).
Es gibt im Moment kein Modell, das einen Präzedenzfall
dafür bietet, dass durch Berufserfahrung mehr als der Zugang
zur hochschulischen Ausbildung
erreicht werden könnte. Eine so
genannte Anerkennungsregelung
wie in Österreich, wo alle dreijährigen Ausbildungen mit einem
Bachelor gleichgesetzt wurden
und zu einem Masterstudium (innerhalb Österreichs) zugelassen
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Ergotherapie
Logopädie
Physiotherapie
November 2014
werden, ist wohl eher nicht zu
erwarten. Da es im Vergleich zu
den anderen Gesundheitsberufen
bereits relativ viele hochschulisch
gebildete Sprachtherapeutinnen
und Sprachtherapeuten auf dem
Arbeitsmarkt gibt (neben denen
aus der Logopädie auch die der
klinischen oder Patholinguistik
sowie die der Sprachheilpädagogik), gibt es keinen Handlungsbedarf in der Logopädie, mit einem
Verwaltungsakt eine erste Gruppe akademischer Therapeutinnen
und Therapeuten zu schaffen.
So lange die Modellphase andauert und wahrscheinlich auch
noch darüber hinaus werden
also hochschulisch und schulisch
ausgebildete Logopädinnen und
Logopäden auf den Arbeitsmarkt
entlassen. Spätestens, wenn die
Handlungsfelder, die für die jeweiligen Abschlussniveaus im
Deutschen Qualifikationsrahmen
beschrieben werden, konsequenter umgesetzt werden, ist zu
erwarten, dass die Schere zwischen hochschulisch ausgebildeten und schulisch ausgebildeten
Logopädinnen und Logopäden in
Aufgaben und wohl auch in Rechten auseinandergeht. Es wird
dann eine vermehrte Nachfrage
nach Nachqualifizierung geben,
wobei die Möglichkeit dazu mit
Vorhandensein einer Hochschulzugangsberechtigung einfacher
ist.
Studierfähigkeit
Studieninteressierte, die über
ihre Berufserfahrung auf der
Basis der mittleren Reife in ein
Studium eintreten, erleben einen
radikalen Wechsel in der Form
und Methodik des Lehrens und
Lernens. Da sie aber mit Studiumsbeginnern mit Hochschulzugangsberechtigung gleichgesetzt
sind, bestehen in der Regel keine
Auffangsysteme an den Hochschulen, um in die neue Lernbdsl-ev.de
welt einzuführen. Hier greift ein
Modellprojekt ein, welches an
der EUFH an ihren Standorten in
Rostock und Brühl durchgeführt
wird. Das Projekt an der EUFH
leistet einen Beitrag zur Verbesserung der Teilhabe berufstätiger
Logopädinnen, Ergotherapeutinnen und Physiotherapeutinnen an
akademischer (Weiter-)Bildung.
Die Semester werden als Zertifikatskurse entwickelt und sollen
insbesondere berufstätigen Frauen, Berufsrückkehrerinnen und
Personen mit Familienpflichten
flexible Studien- und Lehr- bzw.
Lernformate bieten, die eine Vereinbarkeit mit den beruflichen und
familiären Pflichten ermöglichen
(Siegmüller, 2014).
Speziell für Studieninteressierte mit einer Hochschulzugangsberechtigung über die Berufserfahrung wird ein Einstiegssemester
im berufsbegleitenden Format
entwickelt, in dem in die hochschulisch-wissenschaftliche
Lehr- und Lernweise eingeführt
wird, bevor das berufsbegleitende Studium aufgenommen wird
(gefördert vom BMBF, Ausschreibungslinie Offene Hochschule,
Förderkennzeichen OH21029). In
diesem Semester wird folgendes
Curriculum studiert (Tabelle 1):
Nach Abschluss des berufsbegleitenden Zertifikatsstudiums
zur Erlangung der Studierfähigkeit auf Bachelorniveau sollen
die Studierenden die Anwendung
von Strategien zum eigenaktiven
Lernen und zur Strukturierung
von neuem Wissen beherrschen.
Dazu werden die in Tabelle 1 aufgeführten Module aufgesetzt.
vdes.de
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Logopädie
Ergotherapie
Therapie Lernen
Physiotherapie
November 2014
Modul Lernziel, Inhalte
1
Anwendung theoretischen Wissens auf die
Praxis: Wissenschaftliche Themenerarbeitung
2
Formales wissenschaftliches Arbeiten
3
Einführung in und
Anwendung von Standardsoftware für wissenschaftliches und digitales
Arbeiten
4
Umgang mit Fachliteratur
5
Angewandtes Therapiepraktikum mit wissenschaftlicher Reflexion
Tabelle 1: Die fünf Module des Einstiegssemesters zur Erleichterung
des Studieneinstiegs
Gleichzeitig wird im Rahmen
des Projektes ein familienfreundlicheres Studienformat entwickelt
und erprobt, welches E-learningPhasen in das Lehrformat integriert und damit ein Studieren
von zu Hause für einzelne Themenstrecken ermöglicht. Chancen und Grenzen dieser neuen
medien-orientierten Konzepte im
spezifischen Setting „Nachqualifizierung – Berufsumfeld/eigenes
Unternehmen – Familie in den
therapeutischen Gesundheitsberufen“ werden projektbegleitend
evaluiert. Bis 2018 ist das Projekt
angesetzt und enthält mehrere
Erprobungsphasen, in denen an
dem Angebot ohne weitere Verpflichtungen teilgenommen werden kann (www.babi-projekt.de).
bdsl-ev.de
vdes.de
Neue Form der Zusammenarbeit zwischen Schule und
Hochschule?
Die Gruppe der ehemaligen
Realschulabgängerinnen und Realschulabgänger rückt durch die
Bemühungen, niedrigschwellige
Angebote für den Eintritt in das
nachqualifizierende Studium zu
etablieren in den Fokus der Hochschule. Dabei ist es ein Bestreben, die Phase des Erwerbs der
Hochschulzugangsberechtigung
bereits zu begleiten. Angestrebt
sind Workshops, Symposien und
Schnuppertage, um dem Studium
ein möglichst transparentes Gesicht zu geben und die hochschulische Nachqualifizierung auch
für die Gruppe der Kolleginnen
und Kollegen mit mittlerer Reife
einfacher zu machen und als normalen
Weiterentwicklungsweg
zu ebnen. Als Beiprodukt dieser
Vorgehensweise wird der Spaltung der Logopädie in eine nichtakademische und akademische
Fraktion aktiv entgegengetreten.
Literatur
ɶɶ Arbeitskreis DQR. (2011).
Deutscher Qualifikationsrahmen für
lebenslanges Lernen. http://www.
deutscherqualifikationsrahmen.de.
ɶɶ Bundestag der Bundesrepublik
Deutschland. (2009). Gesetz zur
Einführung einer Modellklausel in
die Berufsgesetze der Hebammen,
Logopäden, Physiotherapeuten und
Ergotherapeuten vom 25. September
2009. Bundesgesetzblatt Jahrgang
physiotherapievll.de
2009 Teil I Nr. 64, ausgegeben zu
Bonn am 2. Oktober 2009, 3158–
3160.
ɶɶ KMK. (2009). Hochschulzugang
für beruflich qualifizierte Bewerber
ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung. Berlin: Beschluss
der Kultusministerkonferenz vom
6.3.2009.
ɶɶ Rausch, M., & Siegmüller, J.
(2014). Das Kompetenzmodell der
Studiengänge im Fachbereich Angewandte Gesundheitswissenschaften
an der EUFH als strukturierende
Kraft für Curriculum, Didaktik und
Prüfungssystem. Rostock: Arbeitspapier des FB Angewandte Gesundheitswissenschaften 1/2014.
ɶɶ Siegmüller, J. (2014). Berufliche und akademische Bildung in
therapeutischen Berufen durchlässig
gestalten (BABi) – Ein Angebot für
berufstätige Frauen, Berufsrückkehrer/innen und Personen mit Familienpflichten. Rostock: Projektantrag zur
Ausschreibung „Offene Hochschule“
vom BMBF, gefördert unter der Kennziffer OH21029.
Julia Siegmüller
Katja Becker
Constanze Frenz
Christina Mainka
Bettina Führmann
Korrespondenzadresse
Erstautorin:
Europäische Fachhochschule
Fachbereich Angewandte Gesundheitswissenschaften
Studienstandort Rostock
Werftstraße 5
18057 Rostock
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Therapie Lernen
Ergotherapie
Logopädie
Physiotherapie
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BDSL e.V.
Der Vorstand
VDES e.V.
Der Vorstand
VLL e.V.
Der Vorstand
Impressum
Vera Wanetschka, 1. Vorsitzende, [email protected]
Waltraud Kieß-Haag, 2. Vorsitzende, [email protected]
Peter Gramann, Schatzmeister, [email protected]
Katja Meffert, Schriftführerin, [email protected]
Joachim Rottenecker, Vorsitzender, [email protected]
Jürgen Wöber, Stellv. Vorsitzender, [email protected]
Rüdiger-Ingo Pohle, Schatzmeister, [email protected]
Jürgen Fürhoff, Stellv. Schatzmeister, [email protected]
Christine Albrecht, Schriftführerin, [email protected]
Martina Tola, Stellv. Schriftführerin, [email protected]
Andreas Pust, 1. Vorsitzender, [email protected]
Stephanie Rohr, 2. Vorsitzende, [email protected]
Ina-Maria André, [email protected]
Thurid Uelze, [email protected]
Wolfgang Oster, [email protected]
ISSN 2195-058X • Heft 3 • 3. Jahrgang • November 2014
Herausgeber
Bundesverband Deutscher Schulen für Logopädie e.V. – BDSL
Internet: www.bdsl-ev.de
Vertretungsberechtigter Vorstand:
Vera Wanetschka, Waltraud Kieß-Haag, Peter Gramann, Katja Meffert
Verband Deutscher Ergotherapie-Schulen e.V. – VDES
Internet: www.vdes.de
Vertretungsberechtigter Vorstand: Joachim Rottenecker, Hans-Jürgen Wöber, Rüdiger-Ingo Pohle,
Jürgen Fürhoff, Christine Albrecht, Martina Tola
Verband Leitender Lehrkräfte an Schulen für Physiotherapie e.V. – VLL
bdsl-ev.de
Internet: www.physiotherapievll.de
Vertretungsberechtigter Vorstand: Andreas Pust, Stephanie Rohr, Ina-Maria André,
Thurid Uelze, Wolfgang Oster
Redaktion: Vera Wanetschka, [email protected]
Karin Götsch, [email protected]
Sabine Dinger, [email protected]
Verlag: Edition HarVe, Bremen, www.edition-harve.de, [email protected]
Anzeigenanfragen direkt an den Verlag ([email protected])
Manuskriptzusendungen direkt an den Verlag ([email protected])
Es gelten die Manuskriptrichtlinien des Verlages, abrufbar unter www.edition-harve.de
Lektorat:
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Karin Voigt
Bezugspreis: Einzelexemplar 19,50 Euro zzgl. Versand (als Abo ohne Versandkosten)
Pdf zusätzlich zum gedruckten Exemplar 10 Euro f. Mgl., sonst 15 Euro (nur für das Intranet)
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Gestaltung, Illustration, Satz und Layout: Bremer VisKom, www.bremer-vis-kom.de
Druck und Verarbeitung: Frick Kreativbüro & Onlinedruckerei e.K., 86381 Krumbach, Printed in Germany
Fotos: edition-harve.de
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Harald Wanetschka (3, 6, 16, 22, 23, 24, 32, 40, 48, 50, 56, 64, 72, 74, 83, 86, 88, 93, 94, 99, 107),
VAST (73), Porträtfotos privat.
Wir unterstützen den Gender-Gedanken ausdrücklich, aber zur Vereinfachung der Lesbarkeit verzichten
wir in der Zeitschrift auf die Gender-Formulierung.
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