Günther Schwarz | Das älteste Evangelium - Jesus
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Günther Schwarz | Das älteste Evangelium - Jesus
Günther Schwarz | Das älteste Evangelium 2 Günther Schwarz Das älteste Evangelium Nach den Spruchquellen des Matthäusund des Lukasevangeliums 3 Die Deutsche Bibliothek – CIP Einheitsaufnahme [Fertiggestellt wurde dieses Manuskript von Günther Schwarz vermutlich im August 2005. Anmerkung Herausgeber.] 4 Zugedacht ist dieses Buch solchen Leserinnen und Lesern, denen daran gelegen ist, den Urklang der Botschaften des Täufers und Jeschus zu vernehmen, unvermischt und unverändert: so, als stünden oder säßen sie inmitten ihrer Augen- und Ohrenzeugen. Wie das möglich sein kann? Nicht auf dem üblichen Wege durch eine unmittelbare Übersetzung aus dem neutestamentlichen Griechisch, in dem ihre Botschaften uns vorliegen. Sondern nur durch eine Rückübersetzung aus ihm ins jüdisch-palästinische Aramäisch, die Ursprache der Jeschuüberlieferung; und – danach erst – durch eine formal und inhaltlich angemessene Übertragung: aufgrund jener poetischen Regeln, deren der Täufer und Jeschu sich bedienten, während sie ihre Botschaften vortrugen. 5 Abkürzungen und Zeichen ASE C EÜ H LB MNT NTG P PS Q Q-Mt Q-Lk RÜ ZB S * ° […] Altsyrische Evangelien, steht für S und C. Syrus Curetonianus, eine Übersetzung aus dem Griechischen ins Syrische. Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, Gesamtausgabe, 1. Auflage 1999, in neuer Rechtschreibung. Syrus Harklensis, eine Übersetzung aus dem Griechischen ins Syrische. Lutherbibel, revidierte Fassung von 1984. Münchener Neues Testament, erarbeitet vom „Collegium Biblicum München e. V.“, 1. Auflage 1988. Novum Testamentum Graece, der „Standard-Text“ des griechischen Neuen Testaments, 27. revidierte Auflage, 6. Druck 1999. Peschitta, die im syrischen Bereich am stärksten verbreitete Übersetzung des Neuen Testaments. Ein palästinisch-syrisches Lektionar, übersetzt aus dem Griechischen in einen aramäischen Dialekt, der in den ersten Jahrhunderten gesprochen wurde. Steht für „Das älteste Evangelium“, wie zum Beispiel Mt für das Matthäusevangelium. Steht für die Spruchquelle Q nach Matthäus. Steht für die Spruchquelle Q nach Lukas. Rückübersetzung ins Aramäische, nach Vorlagen aus den ASE und dem NTG, anschließend ins Deutsche übertragen. Zürcher Bibel, 1907 bis 1931 neu übersetzt, 1955. Syrus Sinaiticus (älter als Syrus Curetonianus), eine Übersetzung aus dem Griechischen ins Syrische. Zeigt an, dass dieser Q-Text bereits in meinem Buch „Worte des Rabbi Jeschu“ kommentiert ist (hier oft überarbeitet und ergänzt). Zeigt an, dass dieser Q-Text die Variation eines anderen ist. In ihnen stehen Feststellungen grundsätzlicher Art. 6 INHALT VORWORT 9 EINFÜHRUNG 11 Begriffsbestimmung 22 TEXTTEIL 23 KOMMENTARTEIL 75 Vorbemerkungen Ein persönliches Nachwort 76 313 ANHANG 315 ZUR RHETORIK JESCHUS 317 Gleichnisse Lehrgedichte Dreiungen Amenworte Menschensohnworte Variationen 317 318 318 319 319 320 EXKURSE 321 1. Die Gottesanrede Abba 2. Die Weisung Gottes 3. Bewusste Textänderungen? 7 321 322 323 Quellen Hilfsmittel und Monographien Abkürzungen biblischer Bücher 326 326 329 NACHTRÄGE 331 1. Zu dem Täuferwort Q 1,6 2. Zu dem Jeschuwort Q 12,5 Umschrifttabelle 331 334 343 8 VORWORT Die einleitende Täufer-Überlieferung und die Summe der Jeschu-Überlieferungen die das Matthäus- und das Lukasevangelium gemeinsam haben, werden nach der Namensgebung der neutestamentlichen Wissenschaft „Spruchquelle“ (Siglum Q = Quelle) genannt. Doch wie die Arbeit an diesem Buch ergeben hat, ist ihre Summe keineswegs nur das Ergebnis einer Reihung lose zusammenhängender Sprüche. Vielmehr erwiesen sie sich, nachdem sie aus ihren Evangelien herausgelöst und miteinander verbunden worden waren, als ein literarisches Werk, das zu Recht „Evangelium“ genannt werden kann. Mit größerer Berechtigung als das Thomasevangelium, das 1945 in der Nähe von Nag Hammadi (Oberägypten) gefunden wurde. Denn es beginnt, wie das Markus- und das Johannesevangelium (abzüglich Prolog), mit dem Auftreten Johannes des Täufers; und es endet – ohne die Passion Jeschus auch nur anzudeuten – mit einem „Schlusswort“ Jeschus, das zweifelsfrei in die Situation seines letzten Mahles mit den Zwölf gehört (Rückübersetzungstext): Wie Abba schloss einen Bund mit mir, so schließe ich einen Bund mit euch. Doch wenn es so ist, wovon die Leserinnen und Leser dieses Buches sich leicht selbst überzeugen können (die Seiten 25 bis 74 bieten den gesamten Text in einem Block), dann ist es gerechtfertigt, d i e s e n Text „Das älteste Evangelium“ zu nennen und nicht mehr, wie bisher, das Markusevangelium. 9 „Das älteste Evangelium“, wie es in diesem Buch vorliegt, ist nach meinem Urteil das sprachlich und inhaltlich ursprünglichste Evangelium, das es gibt. Es handelt kurz vom Auftreten und von der Verkündigung des Propheten Johannes der Täufer und ausführlich vom Auftreten und Handeln sowie von der Verkündigung und Lehre des Propheten Jeschu (so die galiläische Aussprache). Von dem, was – später und bis heute – für das Wesen und die Lehren der Kirche charakteristisch ist, findet sich in ihm überhaupt nichts, nicht einmal der Titel „Messias“ (der Gesalbte = Christus); stattdessen lediglich der Begriff „der auserlesene Sohn (Gottes)“. * Damit kein Missverständnis aufkomme: Dieses Buch soll keinen Beitrag zur Q-Forschung liefern. Wie zum Beispiel das Buch „Die Spruchquelle Q, Studienausgabe Griechisch und Deutsch“, das 2003 erschienen ist, herausgegeben und eingeleitet von P. Hoffman und Chr. Heil. Ein Buch, das auf der Rekonstruktion des International Q Projekt (IQP) basiert, an dem 42 Forscher aus Europa und Nordamerika mitgewirkt haben. Denn verglichen mit der IQP-Rekonstruktion der QÜberlieferungen, ist meine Rekonstruktion so anders, dass es sich nicht empfiehlt, sie als einen Beitrag zur Q-Forschung zu verstehen und zu werten. Der Hauptunterschied ist: Die Vorlagen der IQP-Arbeit waren die NTG-Texte. Die Vorlagen meiner Arbeit waren die ASE-Texte, die auf zuverlässigere Quellen zurückgehen als die NTG-Texte, die ich nebenher benutzt habe (zu den Abkürzungen siehe Seite 6). Hinzu kommt noch meine andere Arbeitsweise; vor allem mein Rückgriff auf das Aramäische Jeschus. Mehr dazu in der folgenden Einführung. 10 EINFÜHRUNG Zunächst zu meiner Arbeitsweise: Seit Jahren werde ich immer wieder – mal von Interessierten, mal von Kritikern – gefragt, wie ich zu meinen oft verblüffenden, manchmal aber auch irritierenden Ergebnissen gekommen bin. Und weil ich meine, auch den so fragenden Leserinnen und Lesern dieses Buches eine Antwort schuldig zu sein, soll es mir in dieser Einführung zunächst darum gehen, meine Arbeitsweise so darzustellen, dass sie nachvollziehbar ist. Und zwar, wie es sich gehört, durch die Bearbeitung eines Q-Textes im Vollzug. Nicht irgendeines Textes, sondern des Vaterunsers, bei dessen Bearbeitung ich im Wintersemester 1966/67 meine Arbeitsweise entwickelt habe. Es folgen Mt 6,9-13 und Lk 11,2-4 (hier aber nicht, wie sonst, nach dem NTG, sondern nach der LB), jedoch so in Sinnzeilen gesetzt, dass ihre poetischen Formen unmittelbar erkennbar sind [Was in beiden Fassungen ( ! ) klein gesetzt ist, wurde von Textbearbeitern, die von der Poesie Jeschus keine Ahnung hatten, hinzugefügt. Dadurch zerstörten sie die poetischen Formen seines Schülergebets]: Unser Vater im Himmel! (Mt) Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. 11 Vater! Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. ............... Unser tägliches Brot gib uns Tag für Tag. Und vergib uns unsere Sünden, (Lk) denn auch wir vergeben allen, die an uns schuldig werden. Und führe uns nicht in Versuchung. Erster Befund: Dass Jeschu sein Gebet seinen Schülern in nur einer Fassung vorgetragen haben wird, ist sicher. Dass es dennoch zwei verschiedene Fassungen gibt, lässt erkennen (in diesem Fall durch die Art ihrer Unterschiede): erstens, dass beiden Wiedergaben dieselbe aramäische Urfassung zugrunde gelegen haben muss; zweitens, dass deren Wortlaut teils verschieden ins Griechische übersetzt, teils anders ergänzt worden sein muss; drittens, dass Matthäus die sechste Bitte – wegen der Zahl sieben, der Symbolzahl der Vollständigkeit – in zwei Bitten zerlegt und dass Lukas die dritte Bitte (scheinbar) ausgelassen haben muss. Zweiter Befund: Wie nicht anders zu erwarten, war das Vaterunser ursprünglich nach den poetischen Regeln geformt, aufgrund deren Jeschu alle seine Worte zu formulieren pflegte. Eingeleitet war es mit der für ihn typischen Gottesanrede Abba! „Papa!“. So zum Beispiel bei Lukas und in Mk 14,36. Darauf folgten eine Dreiung von DeinBitten und auf sie eine Dreiung von Unser-Bitten. Zum Beweis für bewusste poetische Formung aller seiner Worte sei auf die Seiten 25 bis 74 dieses Buches verwiesen. Also auf den gesamten Textteil! Dritter Befund: In der Matthäusfassung ist die DeinBitten-Dreiung unversehrt erhalten geblieben. Wenn auch in der dritten Bitte willkürlich ergänzt. In der Lukasfassung 12 ist sie es (scheinbar) nicht. Scheinbar deswegen, weil Lukas die dritte Dein-Bitte „Dein Wille geschehe!“ im so genannten Getsemanigebet (Lk 22,42, gegen Matthäus und Markus!) nachholt. Vielleicht, um Theophilus, den ersten Empfänger seines Evangeliums (siehe den Prolog Lk 1,1-4), für den der Wille des römischen Kaisers höchste Autorität hatte, nicht in Verlegenheit zu bringen? Vierter Befund: In der Matthäus- und in der Lukasfassung der Unser-Bitten-Dreiung sind die beiden ersten Bitten, abgesehen von den Zusätzen, korrekt überliefert. Die dritte Bitte ist es nicht. Sie lässt sich aber, wenn man intensiv forscht, sicher rekonstruieren. Und zwar aus den größer gesetzten Textteilen und einem zu ergänzenden unserer: Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse = rette uns von = aus dem Bösen. Miteinander verbunden, folgerichtig wiedergegeben und um das entscheidende Wort unserer ergänzt, ergibt sich daraus: Rette uns aus unserer Versuchung! Dazu ist anzumerken: erstens, dass der griechische Textteil rhysai hemas „rette uns“ bedeutet und nicht „erlöse uns“; zweitens, dass das aramäische min unter anderem auch die Bedeutungen „von“ und „aus“ abdeckt. Fünfter Befund: Wird das, was oben nicht beanstandet wurde, mit dem vereint, was soeben rekonstruiert wurde, so entsteht folgender Wortlaut des Herrengebets: Vater! Dein Name werde geheiligt! Dein Reich komme! Dein Wille geschehe! Gib uns unser Brot! Vergib uns unsere Schuld (Mt) / Sünden (Lk)! Rette uns aus unserer Versuchung! 13 Sechster Befund: Die einzige Schwachstelle dieser Wiedergabe ist das Gegeneinander von Schuld (Mt) und Sünden (Lk). Was ist richtig? Mit der Antwort auf diese Frage lässt sich zugleich auch die uralte Streitfrage zumindest ansatzweise klären, in welcher Sprache Jeschu verkündigt und gelehrt hat. In Hebräisch oder in Aramäisch? Und zwar zugunsten des Aramäischen. Denn nur das aramäische Wort hôba’ kann Schuld und Sünde bedeuten. Eine hebräische Entsprechung, die das auch könnte, gibt es nicht. Siebenter Befund: Jetzt steht nur noch eines aus: zu erklären, auf welche Weise ich den aramäischen Wortlaut des Vaterunsers rekonstruiert habe. Wie das möglich war, dazu empfiehlt es sich, einige Vorbemerkungen voranzustellen. Seit 1969 arbeite ich an einem Äquivalenzwörterbuch Griechisch-Deutsch / Aramäisch-Deutsch zu den Evangelien und zu Apostelgeschichte 1-15. Bis 1988 neben meinem Pfarramt her. Was mir inzwischen davon vorliegt, ist der vollständige griechische und der fast vollständige aramäische Wortschatz: aus Wörterbüchern herausgeschnitten beziehungsweise abgelichtet und auf Einzelblätter aufgeklebt (derzeit noch in Karteikästen, der aramäische Wortschatz nach dem deutschen Alphabet geordnet). Während meiner Arbeit daran entstanden ungezählte aramaistische Aufsätze und unter anderen drei aramaistische Bücher: „Und Jesus sprach“ (2. Auflage 1987), „Jesus ‘der Menschensohn’“ (1986) und „Jesus und Judas“ (1988). Als die Arbeit daran vorläufig abgeschlossen war, entstand noch ein viertes Buch: „Worte des Rabbi Jeschu“ (2003). Die bisherige Summe aller Erfahrungen aus allen diesen Arbeiten liegt in diesem Buch vor. Es folgt ein deutscher Rückübersetzungstext zu Mt 6,913 / Lk 11,2-4, der den von Jeschu beabsichtigte Sinn auch 14 und gerade da widerspiegelt, wo er bis zur Unkenntlichkeit verfremdet zu sein scheint: Abba! – Lass geheiligt werden deine Gegenwart! Lass sich ausbreiten deine Herrschaft! Lass geschehen deinen Willen! Lass uns geben unsere Nahrung! Lass uns vergeben unsere Sünden! Lass uns retten aus unserer Versuchung! Die Begründungen im Einzelnen liefere ich im Kommentarteil dieses Buches (Seiten 176 bis 185). Achter Befund: Es folgt der aramäische Originalton des Vaterunsers in Umschrift (siehe die Tabelle auf Seite 343): ’abba’ jitqaddaš šemak 2 tisgê malkûtak 2 e e t hê s bûtak 2 hab lan lahman 3 e š bôq lan hôbênan 3 šêzêb lan minnisjônan 3 Die Ziffern am rechten Rand geben den Rhythmus an: rhetorische Sinneinheiten, in denen je eine Silbe den Ton trägt. Mehr dazu weiter unten. Nachdem das Vaterunser so wiederhergestellt worden war, wurde nachdrücklich offenbar (was zunächst durch die mangelhafte Übersetzung ins Griechische verborgen blieb und danach in allen davon abhängigen Übersetzungen, die es gibt), dass es eine Perle der Dichtkunst Jeschus ist. Es besteht aus zwei Dreiungen von Dein-Bitten mit Endreim auf -ak in allen drei Zeilen sowie mit Stabreim auf t- in der zweiten und dritten Zeile und aus einer Dreiung von Unser-Bitten mit Endreim und Binnenreim auf -an in 15 allen drei Zeilen sowie mit Stabreim auf š- in der zweiten und dritten Zeile. Dass das so wiederhergestellte Schülergebet Jeschus unmöglich das Ergebnis einiger Auslassungen und Textänderungen sein kann, bedarf keines weiteren Beweises. Richtig ist vielmehr, dass seine poetische Form durch die jetzt ausgelassenen Textteile und die jetzt rückgängig gemachten Textänderungen zerstört worden war. Fest steht: In einem Gebet aus nur 16 Wörtern ist ein Mehr an Poesie kaum möglich. Ihre Summe für puren Zufall zu halten, geht nicht an. Hinzu kommt noch: Das Vaterunser enthält unüberbietbar knapp – zusammen mit der Gottesanrede Abba! – die sieben Hauptthemen seiner Verkündigung und Lehre. Wichtige Ergänzungen Zu diesem Buch. – Es ist eine Ergänzung zu meinem Buch „Worte des Rabbi Jeschu“. Was ich darin – in den Vorbemerkungen und im Kommentarteil jenes Buches – beschrieben habe, ist hier vorausgesetzt und kann in ihm nachgelesen werden. Und worum geht es in diesem Buch? In ihm geht es darum, den Originalton der Johannes- und der Jeschu-Überlieferungen wiederherzustellen, die in den Anfängen der galiläischen Gemeinden Jeschus von seinen dortigen Schülern (vielleicht aus den Siebzig?) zu aramäischen ( ! ) Spruchsammlungen zusammengestellt worden sind. Und zwar aus Worten Johannes des Täufers, aus Worten Jeschus (einschließlich seiner Lehrgedichte und Gleichnisse) und aus Erzählungen über sein Wirken. 16 Es ist mehr als wahrscheinlich, dass es solche Spruchsammlungen gewesen sind, aus denen die Sendboten Jeschus bei ihrer Verkündigung seiner Botschaft und bei ihrer Unterweisung neuer Jeschu-Schüler geschöpft haben weren. Und es ist so gut wie sicher, dass dies der Hauptgrund war, warum wir je eine von ihnen im Matthäus- und im Lukasevangelium vorfinden; und zwar in jedem der beiden Evangelien sprachlich und inhaltlich eine andere. Dass beiden Evangelisten dieselbe, schon ins Griechische übersetzte Spruchsammlung als Quelle vorgelegen habe (so die derzeit herrschende, aber keineswegs unbestrittene Meinung der Q-Forscher), ist sehr unwahrscheinlich. Denn wäre es so, dann müssten sich beide Fassungen, wenn sie ins Aramäische rückübersetzt werden, durchweg ( ! ) als Wiedergaben desselben aramäischen Wortlauts erweisen lassen. Doch das ist nicht der Fall. Es gibt etliche Beispiele dafür, dass beide Evangelisten Variationen von Worten Jeschus benutzt haben, die er selber formuliert und wiederholt verwendet hat. Hinzu kommt noch: Es ist keinesfalls auszuschließen, dass der nicht jüdisch orientierte Lukas kleinere oder größere Textteile allein deswegen ausgelassen hat, weil er wähnte, sie seien für Nichtjuden von zu geringem oder gar keinem Interesse (zum Beispiel Mt 6,2-6.16-18). Umgekehrt mag der jüdisch orientierte Evangelist Matthäus solche Textteile gerade deswegen aufgenommen haben, weil er meinte, sie seien für Juden von besonderem Interesse. Letzte Sicherheit ist natürlich weder für diese noch für irgendeine andere Einschätzung dieses Problems zu gewinnen. Wenn aber nicht, dann reicht die Tatsache, dass (zum Beispiel) der Textteil Mt 6,2-6.16-18 im Lukasevangelium fehlt, keineswegs aus, ihm die Q-Zugehörigkeit grundsätz- 17 lich abzusprechen. Dieser Tatbestand wird sich für den Textteil dieses Buches als bedeutsam erweisen. Zu den griechischen Textvorlagen. – Als Übersetzungsvorlage für die Rückübersetzung aller Textteile des ältesten Evangeliums ins Aramäische diente neben dem ASE-Text der moderne „Standard-Text“ des griechischen Neuen Testaments (27. revidierte Auflage, 6. Druck 1999). Sein inzwischen verstorbener Herausgeber K. Aland urteilte über ihn (in seiner Broschüre „Das Neue Testament – zuverlässig überliefert“ [1986!], Seite 31): Er „bietet die Gestalt dar, die die Schriften des Neuen Testaments nach allen unseren Kenntnissen und Erkenntnissen besaßen, als sie von ihren Verfassern in die Kirche und die Welt hinausgingen“. Dieses Urteil Alands suggeriert – leider! – eine falsche Sicherheit in Bezug auf die Zuverlässigkeit des unter anderen von ihm herausgegebenen „Standard-Textes“. Eine Sicherheit, die er selbst (aaO, Seite 9) durch ein überzeugendes Argument in Frage gestellt hatte: „Eine neutestamentliche Textkritik, die sich auf den griechischen Sektor beschränkt und nicht mindestens den syrischen, koptischen und lateinischen Bereich zugleich im Blickfeld hat, gerät in die Gefahr, Entscheidendes zu übersehen.“ Was Aland mit dem syrischen, koptischen und lateinischen Bereich meinte, das sind Übersetzungen in Sprachen, deren griechische Vorlagen großenteils älter und zuverlässiger sind als die, aus denen er (genauer: das Institut für neutestamentliche Textforschung an der Universität Münster) seinen „Standard-Text“ zusammengestellt hat. Und zwar überwiegend nach dem Mehrheitsprinzip. Als ob unbezweifelbar feststünde, dass (neben dem Alter von Handschriften neutestamentlicher Texte oder Textteile, die diese oder jene 18 Lesart bezeugen) vor allem deren Mehrheit eine Garantie für ihre Zuverlässigkeit böte. Zum Textteil des ältesten Evangeliums. – Er ist durchgehend in Sinnzeilen gesetzt. Auch seine nicht poetischen Textteile sind es, weil allein dies seiner Form und seinem Inhalt entspricht und gerecht werden kann. Dabei sind die poetischen Textteile, um sie von den nicht poetischen abzuheben, kursiv gesetzt; und zwar so, dass die poetischen Formen unmittelbar erkennbar sind, unterstützt durch Ziffern am rechten Rand, die den Rhythmus angeben. Hierbei steht die 2 (zwei betonte Silben je Sinnzeile) für den Zweiheber, die 3 (drei betonte Silben je Sinnzeile) für den Dreiheber, die 4 (vier betonte Silben je Sinnzeile) für den Vierheber und die 3 + 2, selten 2 + 3, für den Fünfheber (fünf betonte Silben je Langzeiler). Weitere Informationen zur Poesie Jeschus finden sich in „Worte des Rabbi Jeschu“, Seiten 151 bis 160. Diese Rhythmen, an die sich nicht nur Jeschu, sondern auch Johannes der Täufer gehalten hat (und an die sich bereits die alttestamentlichen Weisheitslehrer, Psalmisten und Propheten gehalten haben), ermöglichen es, Auslassungen, Umstellungen und Zusätze der Übersetzer oder Bearbeiter, die den Wortlaut des ältesten Evangeliums auf irgendeine Weise verändert haben, mühelos als solche zu erkennen. Das ist, wie sich am Textteil dieses Buches (Seiten 25 bis 74) erweisen wird, ein sehr wichtiger Tatbestand. Abschließend vier Nachträge. – Erstens: Zitate aus dem Alten Testament sind nicht nach dem oft fehlerhaften Wortlaut des NTGs zitiert, sondern stets nach dem hebräischen Bibeltext. Zweitens: Etliche sprachliche Begründungen, die den Wortlaut des ältesten Evangeliums betreffen, stehen im Kom- 19 mentarteil dieses Buches, der ebenso nach Kapiteln und Versen geordnet ist, wie der Textteil. Jedoch alle Begründungen zu bieten, hätte seinen Rahmen gesprengt. Weitere wichtige Informationen finden sich im Anhang. Drittens: Dass die Worte Johannes des Täufers und Jeschus im folgenden Textteil dieses Buches vielfach anders lauten, als in den herkömmlichen Übersetzungen des Neuen Testaments, hat einen sprachlichen und einen poetischen Grund. Der sprachliche Grund ist, dass ihnen Rückübersetzungen ins Aramäische zugrunde liegen. Und der poetische Grund ist, dass ihnen poetisch geformte Texte zugrunde liegen, wie sie so von Johannes und Jeschu selbst geformt worden sind. Siehe zum Beispiel die Seiten 11 bis 16. Viertens: Zu den Rückübersetzungen selbst ist anzumerken, dass sie nur über folgende Arbeitsschritte zu gewinnen waren: Beim ersten Schritt ging es darum, den NTG-Text in Sinnzeilen zu zerlegen, um – leichter als es sonst möglich wäre – Fehler, Fehldeutungen und absichtliche Textänderungen zu entdecken, die von ur- und frühchristlichen Übersetzern und Bearbeitern beim Übertragen aus dem Aramäischen ins Griechische gemacht worden waren. Beim zweiten Schritt galt es, schon am „Standard-Text“ des NTGs die für Jeschus Redeweise typischen poetischen Formen zu ermitteln, die von jenen Übersetzern und Bearbeitern, weil sie keine Ahnung davon hatten, zerstört worden waren. Auch dazu siehe „Worte des Rabbi Jeschu“, Seiten 151 bis 160. Beim dritten Schritt ging es darum, durch einen Rückgriff auf die altsyrischen und syrischen Übersetzungen der Evangelien festzustellen, wie deren Verfasser ihre griechischen Textvorlagen wiedergegeben haben. – Als Basistext 20 diente dabei: G. A. Kiraz „Comparative Edition of the Syriac Gospels“ (Gorgias Press, 2002). Beim vierten Schritt galt es, die aramäischen Entsprechungen des griechischen Wortbestandes von Q-Mt und QLk zu ermitteln und in poetisch angemessenen Formen ins Deutsche zu übertragen. Im Deutschen unübliche Wortfolgen ließen sich dabei nicht immer vermeiden. * Es ist anzunehmen, dass wissenschaftlich orientierte Leserinnen und Leser dieses Buches sowohl in dieser Einführung als auch im Kommentarteil Auseinandersetzungen mit Q-Forschern und deren Gegenpositionen vermisst haben beziehungsweise vermissen werden. Den primären Grund dafür habe ich bereits im Vorwort (Seite 10) genannt: „Denn verglichen mit der IQP-Rekonstruktion der QÜberlieferungen, ist meine Rekonstruktion so anders, dass es sich nicht empfiehlt, sie als einen Beitrag zur Q-Forschung zu verstehen und zu werten. Der Hauptunterschied ist: Die Vorlagen der IQP-Arbeit waren die NTG-Texte. Die Vorlagen meiner Arbeit waren die ASE-Texte, die auf zuverlässigere Quellen zurückgehen als die NTG-Texte, die ich nebenher benutzt habe. Hinzu kommt noch meine andere Arbeitsweise; vor allem mein Rückgriff auf das Aramäische Jeschus.“ Der sekundäre Grund leitet sich aus dem primären Grund her: Gegenpositionen, die derart verschieden sind, pflegen unüberbrückbar zu sein. Sie überbrücken oder auch nur einander annähern zu wollen, hieße, aus Sand einen Strick drehen zu wollen. 21 Begriffsbestimmung Was im Vorwort bereits skizziert ist, sei hier, anders formuliert, noch einmal wiederholt: „Das älteste Evangelium“ ist kein bisher unbekanntes Evangelium. Es ist auch kein Objekt von Vermutungen. Denn: Es existierte nachweislich vor den Evangelien nach Markus, Matthäus und Lukas. Und nicht nur das. Je eine anders lautende Fassung davon liegt vor im Matthäus- und im Lukasevangelium: Ebenso in ihnen verborgen, wie das Markusevangelium. Bisher nannte man sie zusammen „Die Spruchquelle“; oder kurz: „Q“ (= Quelle). Doch dieser Name wird ihrer Bedeutung nicht gerecht. Denn werden sie sachgerecht miteinander verbunden – wie in diesem Buch geschehen –, dann ergeben sie ein literarisches Werk, das ohne Abstriche „Das älteste Evangelium“ genannt zu werden verdient. Der nun folgende Textteil zeugt für sich selbst. Ohne Anspruch auf Unfehlbarkeit! 22 TEXTTEIL 23 Die ebräische (= aramäische) Sprache ist … schlecht (= schlicht) und wenig von Worten, aber da viel hinter ist; also daß es ihr keine nachtun kann … Wenn ich jünger wäre, so wollte ich diese Sprache lernen, denn ohne sie kann man die h. Schrift nimmermehr recht verstehen. Denn das neue Testament, obs wohl griechisch geschrieben ist, doch ist es voll von … ebräischer (= aramäischer) Art zu reden. Darum haben sie recht gesagt: Die Ebräer (= Aramäer) trinken aus der Bornquelle; die Griechen aber aus den Wässerlein, die aus der Quelle fließen; die Lateinischen aber aus den Pfützen. Martin Luther: Werke, Gesamtausgabe, Tischreden I (1912), S. 524f. Zur Zeit Luthers wurde noch nicht zwischen Hebräisch und Aramäisch unterschieden. 1895 forderte der Göttinger Theologieprofessor Julius Wellhausen: „Wer die Reden Jesu wissenschaftlich erklären will, muss im stande sein, sie nötigenfalls in die Sprache zurückzuübersetzen, die Jesus gebraucht hat.“ Der syrische Evangelienpalimpsest vom Sinai, Nachrichten der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Philologischhist. Klasse, Heft 1 (1895), S. 11. 1927 klagte der Marburger Theologieprofessor Karl Bornhäuser: „Die Schwierigkeit, die darin besteht, daß Jesus (in der Regel wenigstens) aramäisch gesprochen und wir seine Worte griechisch haben, ist wohl gesehen, aber zu ihrer Überwindung ist das Mögliche noch nicht getan.“ Die Bergpredigt, Versuch einer zeigenössischen Auslegung (21927), S. 24. 24 1. Kapitel 1 Es erging das Wort Gottes an Johannes, den Sohn des Zacharias, in der Wüste. Danach kam er in die ganze Umgebung des Jordans, um eine Taufe der Reue auszurufen. 2 Damals gingen zu ihm hinaus: Bewohner Jerusalems und ganz Judäas und des ganzen Ostjordanlandes; und er taufte sie am Jordan. 3 Zu den Leuten, die zu ihm gekommen waren, sagte er: Otternbrut! – Wer hat euch unterwiesen, vor dem zu fliehen, was bestimmt ist? 4 5 6 Bereut! – Denn die Gottesherrschaft ist da! Schafft Tatfolgen, die eurer Reue angemessen sind! Und vertraut nicht darauf, zu euch selber zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater! Denn ich soll euch sagen: Gott ist imstande, aus diesen Steinen dem Abraham Kinder erstehen zu lassen. 1 Lk 3,2.3 2 Mt 3,5.6 3 Lk 3,7 / Mt 3,7 4 Mt 3,2 5 Lk 3,8 / Mt 3,8.9 6 Lk 3,8 / Mt 3,9 25 3 3 3 4 4 4 3 3 3 7 8 9 10 11 12 13 14 15 Schon liegen die Äxte an den Wurzeln der Bäume. 3 Jeder Baum nun, der keine Früchte trägt – er wird abgehauen und fällt ins Feuer. 3 Da fragten ihn die Leute: Was sollen wir denn tun? 3 3 3 3 Er begann und sprach: Jemand, der zwei Hemden hat – er soll dem eines geben, der keines hat! Und jemand, der Nahrungsmittel hat – er soll ebenso handeln! Es kamen auch Zollpächter, um sich taufen zu lassen. Sie sagten zu ihm: Und was sollen wir tun? Er sagte zu ihnen: Ihr sollt nicht mehr eintreiben, als euch festgesetzt ist! 4 4 3 2 2 3 3 Auch Soldaten fragten ihn: Und was sollen wir tun? Er sagte zu ihnen: Ihr sollt niemanden erpressen! Euer Sold sei euch genug! 2 3 3 7 Lk 3,9 / Mt 3,10 8 Lk 3,9 / Mt 3,10 9 Lk 3,10 10 Lk 3,11 11 Lk 3,11 12 Lk 3,12 13 Lk 3,13 14 Lk 3,14 15 Lk 3,14 26 16 17 Dann sagte er zu allen: Ich taufe euch im Wasser. – Er, der nach mir kommt, er ist mächtiger als ich; und ich bin nicht würdig, die Riemen seiner Sandalen zu lösen. – Er wird euch taufen im Feuer. Er, der die Worfschaufel in seinem Arm hat, um seinen Ausdrusch zu worfeln. Das Getreide wird er sammeln in seinen Vorratsbehälter; die Spreu aber wird er verwehen lassen. 2. Kapitel 1 Damals kam auch Jeschu aus Galiläa an den Jordan zu Johannes, um sich von ihm taufen zu lassen. 2 Als Jeschu getauft worden war – in dem Augenblick, da er heraufgestiegen war aus dem Wasser –, siehe! – da öffneten sich die Himmel, sodass [Johannes] den Geist Gottes sah, der geradewegs auf ihn herabkam und auf ihm blieb. 16 Lk 3,15.16 / Mt 3,11 17 Lk 3,17 / Mt 3,12 1 Mt 3,13 / Lk 3,21 2 Mt 3,16 / Lk 3,21.22 27 4 3 3 3 3 4 3 2 3 2 3 Und siehe! – Eine Himmelsstimme ließ sich hören, die zu ihm sagte: Du bist mein Sohn, mein Auserlesener. Du, an dem mein Selbst Wohlgefallen hat. 4 Darauf wurde Jeschu vom Geist fortgeführt in die Wüste und – wurde vom Satan auf die Probe gestellt. 5 Und nachdem er gefastet hatte, – vierzig Tage und vierzig Nächte –, war er hungrig. 6 Da näherte sich ihm der Satan und sagte zu ihm: Wenn du der Auserlesene Gottes bist – befiehl diesem Stein, dass er zu Brot werde! 7 8 Da begann Jeschu und sprach: Es steht geschrieben: Nicht vom Brot allein lebt der Mensch. 4 4 3 2 [5Mo 8,3] Dann entführte ihn der Satan und stellte ihn auf eine Schulter des Tempels und sagte zu ihm: Wenn du der Auserlesene Gottes bist – stürze dich hinab von hier! 3 Mt 3,17 / Lk 3,22 4 Mt 4,1 / Lk 4,1.2 5 Mt 4,2 / Lk 4,2 6 Mt 4,3 / Lk 4,3 7 Lk 4,4 / Mt 4,4 8 Lk 4,9 / Mt 4,5.6 28 4 3 2 4 3 2 9 Da sagte Jeschu zu ihm: Es steht geschrieben: Ihr sollt nicht auf die Probe stellen den Ewigen euren Gott! 10 Wieder entführte ihn der Satan und stellte ihn auf einen sehr hohen Berg. 11 Dann ließ er seinen Geist austreten, zeigte ihm in einem Augenblick alle Reiche der Welt und sagte zu ihm: Alle diese Macht werde ich dir geben, wenn du dich vor mir niederwerfen wirst und mir dienen wirst. 12 13 [5Mo 6,16] 3 2 3 2 3 2 Denn mir wurde sie übergeben! Und ich übergebe sie, wem ich will! 2 2 2 Da begann Jeschu und sprach: Es steht geschrieben: Dem Ewigen, deinem Gott, sollst du Ehrfurcht zollen; und ihm sollst du dienen! 14 Darauf ließ der Satan zeitweilig von ihm ab. Dann nahten sich Engel und bedienten ihn. 15 Danach kehrte Jeschu zurück nach Galiläa und lehrte in ihren Synagogen. [5Mo 6,13] 9 Mt 4,7 / Lk 4,12 10 Mt 4,8 11 Lk 4,5-7 / Mt 4,8.9 12 Lk 4,6 13 Lk 4,8 / Mt 4,10 14 Mt 4,11 / Lk 4,13 15 Lk 4,14.15 / Mt 4,12,23 29 3 2 3. Kapitel 1 In jenen Tagen ging Jeschu hinaus auf den Berg und übernachtete dort im Gebet. 2 Bei Tagesanbruch rief er seine Schüler herbei und erwählte aus ihnen die Zwölf, die er Sendboten nannte. 3 Dann richtete er seine Augen auf sie und sagte zu ihnen: Wohl euch, die ihr jetzt arm seid! Denn ihr werdet reich werden. 4 5 6 7 3 2 Wohl euch, die ihr jetzt hungrig seid! Denn ihr werdet gesättigt werden. 3 Wohl euch, die ihr jetzt traurig seid! Denn ihr werdet getröstet werden. 3 Wohl euch, sooft sie euch schmähen werden! Denn ebenso taten ihre Vorfahren den Propheten. Aber wehe euch, sooft sie euch loben werden! Denn ebenso taten ihre Vorfahren den Lügenpropheten. 4 Sooft sie euch hassen und verachten werden und euch in schlechten Ruf bringen werden – freut euch und frohlockt in jenen Tagen, denn seht! – eure Belohnung ist groß in den Himmeln. 4 1 Lk 6,12 / Mt 5,1 2 Lk 6,13 / Mt 5,1 3 Lk 6,20 4 Lk 6,21 5 Lk 6,21 6 Lk 6,22.23.26 / Mt 5,11.12 7 Lk 6,22.23 / Mt 5,11.12 30 2 2 4 4 4 4 4 4 8 9 Erbarmt euch über die, die euch anfeinden, sodass ihr euch als Kinder Abbas erweist, der gütig ist auch zu den Bösen! 4 4 4 Dann stieg er mit seinen Schülern hinab von dem Berg und setzte sich auf einen Sitz. 10 Viele Leute waren gekommen, um ihm zuzuhören. Als er die vielen Leute sah, öffnete er seinen Mund, lehrte sie und sagte: 11 Wohl denen, die arm sind! Denn sie werden reich werden. 2 Wohl denen, die hungrig sind! Denn sie werden gesättigt werden. 2 Wohl denen, die traurig sind! Denn sie werden getröstet werden. 2 Erbarmt euch über die, die euch anfeinden! Tut Gutes denen, die euch hassen! Segnet die, die euch verfluchen! Betet für die, die euch Böses antun! 4 Tut Gutes und leiht! – Ihr sollt nicht abschneiden die Hoffnung eines Menschen! 2 Dem, der dich auf deine Wange schlägt – reich ihm hin auch deine andere! 4 12 13 14 15 16 2 2 2 4 4 4 2 2 4 8 Lk 6,35 / Mt 5,44.45 9 Lk 6,17 / Mt 5,1.2 10 Mt 5,1.2 / Lk 6,17-19 11 Mt 5,3 12 Mt 5,6 13 Mt 5,4 14 Lk 6,27.28 / Mt 5,44 15 Lk 6,35 16 Mt 5,39 / Lk 6,29 31 17 18 19 20 Und dem, der dein Hemd pfänden will – lass ihm auch deinen Mantel! 4 Und dem, der dich eine Meile fronen lässt – begleite ihn zwei Meilen! 4 Dem, der von dir geliehen nimmt – gib ihm leihweise! Und dem, der dein Eigentum wegnimmt – hindere ihn nicht! 3 Und wie ihr wollt, dass die Menschen euch tun sollen, so sollt ihr ihnen tun! 3 4 4 2 3 2 3 3 4. Kapitel 1 2 3 Er, Abba, lässt seine Sonne aufgehen über Guten und über Bösen. Er, Abba, lässt seinen Regen herabkommen auf Gerechte und auf Ungerechte. 4 Wenn ihr die liebt, die euch lieben – tut ihr etwa etwas Besonderes? Handeln die Huren nicht ebenso?! 4 Und wenn ihr denen Gutes tut, die euch Gutes tun – tut ihr etwa etwas Besonderes? Handeln die Zollpächter nicht ebenso?! 4 4 4 4 4 4 4 4 17 Mt 5,40 / Lk 6,29 18 Mt 5,41 19 Lk 6,30 / Mt 5,42 20 Lk 6,31 / Mt 7,12 1 Mt 5,45 / Lk 6,35 2 Mt 5,46.47 / Lk 6,32 3 Lk 6,33 32 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Und wenn ihr denen leiht, die euch leihen – tut ihr etwa etwas Besonderes? Handeln die Nichtjuden nicht ebenso?! 4 Wie Abba barmherzig ist, so sollt ihr barmherzig werden! 3 Wie Abba vollkommen ist, so sollt ihr vollkommen werden. 3 Wenn du Wohltätigkeit üben willst, sollst du nicht sein, wie die Heuchler, die die Posaune blasen lassen vor sich her, damit sie gesehen werden von den Menschen! 3 Ich sage dir: Sie haben ihre Belohnung empfangen! 4 4 3 3 3 4 4 3 Du aber, sooft du Wohltätigkeit übst, soll deine Linke nicht wissen, was deine Rechte tut, damit deine Wohltätigkeit heimlich sei! 4 Und Abba, der auf dich achten lässt – heimlich wird er dir vergelten lassen. 3 Und wenn du ein Fasten halten willst, sollst du nicht sein wie die Heuchler, die Asche auf ihre Köpfe streuen, damit sie gesehen werden von den Menschen! 3 Ich sage dir: Sie haben ihre Belohnung empfangen! 4 Lk 6,34 5 Lk 6,36 6 Mt 5,48 7 Mt 6,2 8 Mt 6,2 9 Mt 6,3.4 10 Mt 6,4 11 Mt 6,16 12 Mt 6,16 33 3 3 3 3 3 4 4 3 13 14 15 16 17 18 19 20 21 Du aber, sooft du ein Fasten hältst, sollst du dein Gesicht waschen und sollst deinen Kopf salben, damit dein Fasten heimlich sei! 4 Und Abba, der auf dich achten lässt – heimlich wird er dir vergelten lassen. 3 Und wenn du ein Gebet sprechen willst, sollst du nicht sein wie die Heuchler, die es lieben, an den Straßenecken zu beten, damit sie gesehen werden von den Menschen! 3 Ich sage dir: Sie haben ihre Belohnung empfangen! 3 3 3 3 3 4 4 3 Du aber, sooft du ein Gebet sprichst, sollst du für dich in deine Kammer gehen und sollst die Tür hinter dir zuschließen damit dein Gebet heimlich sei! 4 Und Abba, der auf dich achten lässt – heimlich wird er dir vergelten lassen. 3 Ihr sollt nicht verurteilen, sodass ihr nicht verurteilt werdet. 2 Verzeiht! – So wird euch verziehen werden. Schenkt! – So wird euch geschenkt werden. 3 Wenn ein Blinder einen Blinden führen wird – werden nicht beide in eine Grube fallen?! 4 13 Mt 6,17.18 14 Mt 6,18 15 Mt 6,5 16 Mt 6,5 17 Mt 6,6 18 Mt 6,6 19 Lk 6,37 / Mt 7,1 20 Lk 6,37.38 21 Mt 15,14 / Lk 6,39 34 3 3 3 3 2 3 4 22 23 24 25 Es ist unmöglich, dass ein Schüler größer ist als sein Rab. Aber es ist möglich, dass ein Schüler werde wie sein Rab. 3 (Lehrer) 3 3 3 Warum schaust du auf den Splitter im Auge deines Bruders? Erkennst du nicht den Balken in deinem eigenen Auge? 3 Oder: – Wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Gestatte! – Ich werde den Splitter herausziehen aus deinem Auge, obwohl du den Balken in deinem eigenen Auge nicht erkennst? 3 Splitterrichter! – Zieh zuerst den Balken heraus aus deinem Auge! Und danach magst du den Splitter herausziehen aus seinem Auge! 2 3 2 2 3 2 3 2 3 2 3 2 5. Kapitel 1 Es gibt keinen guten Baum, der schlechte Früchte trägt. Und es gibt keinen schlechten Baum, der gute Früchte trägt. 3 3 3 3 22 Mt 10,24.25 / Lk 6,40 23 Lk 6,41 / Mt 7,3 24 Lk 6,42 / Mt 7,4 25 Lk 6,42 / Mt 7,5 1 Lk 6,43 / Mt 7,17.18 35 2 3 4 5 6 7 8 Jeder Baum wird erkannt an seinen Früchten. 3 Schneidet man etwa Weintrauben von Disteln? Oder pflückt man Feigen von Dornbüschen? 3 Der gute Mensch lässt Güte hervorsprudeln aus dem guten Überfluss seiner Gesinnung. Und der böse Mensch lässt Bosheit hervorsprudeln aus dem bösen Überfluss seiner Gesinnung. 4 Aus dem Überfluss der Gesinnung redet der Mund. 3 2 2 3 2 4 4 4 2 Amen! Amen! – Ich soll euch sagen: Nicht jeder, der Abba! gesagt hat, darf eingelassen werden in die Himmelsherrschaft! Nur der, der den Willen Abbas getan hat, darf eingelassen werden in die Himmelsherrschaft! Warum nennt ihr mich Maran, Maran? Obwohl ihr das, was ich euch gebiete, nicht tut. 4 4 4 3 (Unser Herr) Jeder, der meine Worte gehört hat und sie befolgt hat, mit ihm wird es sein, wie mit einem vernünftigen Mann, der sein Haus auf Fels baute: 2 Lk 6,44 / Mt 12,33 3 Mt 7,16 / Lk 6,44 4 Lk 6,45 / Mt 12,35 5 Lk 6,45 / Mt 12,34 6 Mt 7,21 7 Lk 6,46 8 Mt 7,24 / Lk 6,47.48 36 4 2 3 2 3 2 3 3 9 10 11 12 13 Und die Winde wehten, und der Regen fiel, und die Fluten kamen und stürzten sich gegen das Haus. 2 Und es stürzte nicht ein, weil es gegründet war – auf Fels. 2 Jeder, der meine Worte gehört hat und sie nicht befolgt hat – mit ihm wird es sein, wie mit einem unvernünftigen Mann, der sein Haus auf Sand baute: 3 Und die Winde wehten, und der Regen fiel, und die Fluten kamen und stürzten sich gegen das Haus. 2 Und es stürzte vollständig ein, weil es gegründet war – auf Sand. 2 2 2 2 3 2 3 3 2 2 2 3 6. Kapitel 1 Nachdem Jeschu diese Worte vor den Ohren des Volkes gelehrt hatte, ging er hinein nach Kafarnaum. Dabei näherte sich ihm ein gewisser Zenturio, bat ihn inständig und sagte: 9 Mt 7,25 / Lk 6,47.48 10 Mt 7,25 / Lk 6,48 11 Mt 7,26 / Lk 6,49 12 Mt 7,27 / Lk 6,49 13 Mt 7,27 / Lk 6,49 1 Lk 7,1.2 / Mt 7,28; 8,5.6 37 Mein Herr! – Mein Sohn liegt krank danieder, gelähmt und in großer Qual. 2 3 4 5 6 7 Da sagte Jeschu zu ihm: Ich soll kommen und ihn heilen? Der Zenturio begann und sprach: Mein Herr! – Bemühe dich nicht! Denn ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach trittst. 3 3 3 3 3 3 Sondern befiehl mit einem Wort, so wird mein Sohn geheilt werden! 3 Denn auch ich bin ein Mann, der Befehlsgewalt hat. Und befehle ich diesem: Geh! Dann geht er. Und befehle ich einem anderen: Komm! Dann kommt er. Und befehle ich meinem Sklaven: Arbeite! Dann arbeitet er. 3 Als Jeschu das hörte, wunderte er sich und sagte zu denen, die ihm folgten: Bei keinem Israeliten habe ich gefunden – solch ein Vertrauen! Dann sagte er zu dem Zenturio: Wie du vertraut hast, wird dir geschehen. 2 2 3 2 3 2 3 2 3 2 3 2 2 Mt 8,7 / Lk 7,2 3 Mt 8,8 / Lk 7,6.7 4 Mt 8,8 / Lk 7,7 5 Mt 8,9 / Lk 7,8 6 Mt 8,10 / Lk 7,9 7 Mt 8,13 38 8 Und in dem Augenblick wurde sein Sohn geheilt. 9 Als Johannes im Kerker von den Taten Jeschus hörte, schickte er zwei seiner Schüler zu ihm, um ihm sagen zu lassen: Bist du der Kommende, oder sollen wir einen anderen erwarten? 10 11 12 13 14 Da begann Jeschu und sprach: Geht! – Und sagt dem Johannes, was ihr hört und seht! Und: Wohl dem, der nicht – zu Fall kommt – durch mich! Als jene weggegangen waren, sprach Jeschu zu den Leuten über Johannes: Um was zu sehen, seid ihr hinausgegangen? Einen Eiferer? – Geistig verwirrt? Wenn aber nicht: Um was zu sehen, seid ihr hinausgegangen? Einen Mann? – Gekleidet in Byssus? Seht! – Die in Byssus gekleidet sind – sie sind in den Palästen der Könige. Wenn aber nicht: Um was zu sehen, seid ihr hinausgegangen? Einen Propheten? – Gekleidet in ein Fell? 3 3 3 2 3 2 3 3 3 3 3 3 3 3 8 Mt 8,13 / Lk 7,10 9 Mt 11,2.3 / Lk 7,18-21 10 Mt 11,4.6 / Lk 7,22.23 11 Mt 11,7 / Lk 7,24 12 Mt 11,8 / Lk 7,25 13 Mt 11,8 / Lk 7,25 14 Mt 11,9 / Lk 7,26 39 15 Ja! – Mehr als einen Propheten! 16 Dieser ist er, über den geschrieben steht: Seht! – Ich sende meinen Boten, damit er den Weg freiräume vor mir her. 17 18 19 20 21 22 23 4 [Mal 3,1] 3 3 Es erstand kein Prophet unter von Frauen Geborenen, der größer war als Johannes. 3 Aber der Kleinere als er – in der Himmelsherrschaft ist er größer als Johannes. 3 Johannes ist zu euch gekommen mit der richtigen Lehre, und ihr habt ihm nicht vertraut. 3 Aber die Zollpächter und Huren – sie haben ihm vertraut. 3 Doch ihr – nicht einmal, als ihr dies gesehen habt, habt ihr bereut, sodass ihr ihm vertraut. 3 Zollpächter und Huren, die Johannes zuhörten – sie wurden freigesprochen vor Gott, weil sie sich taufen ließen von Johannes. 4 Aber Pharisäer und Schriftgelehrte, die Johannes zuhörten – sie wurden nicht freigesprochen vor Gott, weil sie sich nicht taufen ließen von Johannes. 4 15 Mt 11,9 / Lk 7,26 16 Mt 11,10 / Lk 7,27 17 Mt 11,11 / Lk 7,28 18 Mt 11,11 / Lk 7,28 19 Mt 21,32 20 Mt 21,32 21 Mt 21,32 22 Lk 7,29 23 Lk 7,30 40 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 24 25 26 Wem soll ich diese Menschenart vergleichen? Sie ist Kindern vergleichbar, die auf den Straßen spielen, wobei sie einander anschreien und sagen: 4 Wir haben für euch geflötet! – Aber ihr habt nicht getanzt! Und wir haben für euch gewehklagt! – Aber ihr habt nicht getrauert! 2 Johannes kam, aß nicht und trank nicht; da sagten sie: In ihm ist ein Dämon! ICH kam, esse und trinke, da sagen sie: Seht! – Der Fresser und Säufer! 4 4 4 2 2 2 4 4 4 7. Kapitel 1 2 Ein Schriftgelehrt[enschül]er näherte sich Jeschu und sagte zu ihm: Rabbi! – Ich werde dir folgen, wohin du gehst. Da sagte er zu ihm: Die Füchse – sie haben Baue, und die Vögel – sie haben Nester. Aber ICH habe keinen Ort, wo ICH MEINEN Kopf hinlegen kann. 24 Mt 11,16 / Lk 7,31.32 25 Mt 11,17 / Lk 7,32 26 Mt 11,18.19 / Lk 7,33.34 1 Mt 8,19 / Lk 9,57 2 Mt 8,20 / Lk 9,58 41 3 3 4 4 4 4 3 4 5 6 Jeschu sagte zu einem seiner Schüler: Folge mir! Der begann und sprach: Erlaubst du mir, zuerst hinzugehen und meinen Vater zu bestatten? Da sagte er zu ihm: Überlass deinen Toten dem Totengräber! Aber du! – Ruf aus die Gottesherrschaft! Ein anderer sagte zu ihm: Rabbi! – Ich werde dir folgen. Aber erlaubst du mir, zuerst hinzugehen, um mich segnen zu lassen von meinen Hausgenossen? Da sagte Jeschu zu ihm: Jemand, der seine Hand auf den Pflugsterz gestemmt hat und dann zurückkehrt in sein Haus – er ist untauglich für die Gottesherrschaft. 2 3 2 4 4 3 4 4 4 4 4 7 Dann rief Jeschu seine Schüler zusammen und gab ihnen Vollmacht, unreine Geister auszutreiben und Krankheiten zu heilen. 8 Darauf sagte er zu ihnen: Die Ernte ist groß, aber Schnitter gibt es wenige. Erbittet vom Herrn der Ernte, er möge Schnitter in seine Ernte senden! 9 Geht nicht in Richtung Nichtjuden! Betretet auch nicht die Provinz Samaria! Geht nur zum Stamm Israel! 3 Lk 9,59 / Mt 8,21 4 Lk 9,60 / Mt 8,22 5 Lk 9,61 6 Lk 9,62 7 Mt 10,1 / Lk 9,1 8 Lk 10,2 / Mt 9,37.38 9 Mt 10,5.6 42 4 4 4 4 4 4 10 Und wo ihr hingeht, da ruft aus: Die Gottesherrschaft ist da! 3 11 Heilt Kranke! – Treibt Dämonen aus! 4 12 Nehmt kein Silbergeld mit! Und kein Kupfergeld in euren Gürteltüchern! Und keinen Ranzen für die Reise! Und keine zwei Hemden! Auch keine Sandalen! 3 Fragt unterwegs niemanden nach seinem Wohlergehen! 3 Wenn ihr in ein Haus kommt, sagt: Heil diesem Haus! 4 Wenn dort ein Gesinnungsgenosse ist, wird euer Heilsgruß auf ihm ruhen. Aber wenn dort kein Gesinnungsgenosse ist, wird euer Heilsgruß auf euch zurückkehren. 4 Bleibt in demselben Haus! Und wechselt nicht in ein anderes! 3 Esst und trinkt von dem Ihren! Denn der Arbeiter ist seiner Nahrung wert. 4 Wenn ihr in eine Ortschaft kommt, und sie nehmen euch in sie auf – heilt die Kranken in ihr und sagt: Die Gottesherrschaft ist zu euch gelangt! 4 13 14 15 16 17 18 3 3 3 3 3 2 10 Mt 10,7 11 Mt 10,8 12 Mt 10,9.10 / Lk 10,4 13 Lk 10,4 14 Lk 10,5 / Mt 10,12 15 Lk 10,6 / Mt 10,13 16 Lk 10,7 17 Lk 10,7 / Mt 10,10 18 Lk 10,8.9 / Mt 10,8 43 4 4 4 4 3 4 4 4 4 19 20 21 22 23 24 25 Und wenn ihr in eine Ortschaft kommt, und sie nehmen euch nicht in sie auf – geht hinaus auf ihre Straßen und sagt: Auch den Staub, der an unseren Füßen hängt, schütteln wir ab zum Belastungszeugnis gegen euch. 4 Aber dies sollt ihr wissen: Die Gottesherrschaft ist da! 3 Jeder, der euch aufnimmt – er nimmt mich auf. Und jemand, der mich aufnimmt – er nimmt den auf, der mich gesandt hat. 3 Jeder, der auf euch hört – er hört auf mich. Und jemand, der auf mich hört – er hört auf den, der mich gesandt hat. 3 Jeder, der euch verwirft – er verwirft mich. Und jemand, der mich verwirft – er verwirft den, der mich gesandt hat. Geht hin! – Seht! – Ich sende euch wie Lämmer unter die Wölfe. Seid vorsichtig wie Hornschlangen! Seid lauter wie Turteltauben! 19 Lk 10,10.11 / Mt 10,14 20 Lk 10,11 21 Mt 10,40 22 Lk 10,16 23 Lk 10,16 24 Lk 10,3 / Mt 10,16 25 Mt 10,16 44 4 4 4 4 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 4 4 4 4 8. Kapitel 1 2 3 4 5 Zu jener Zeit begann Jeschu und sprach: Ich danke dir, Abba, Herr der Himmel und der Erde, dass du dies den Gelehrten verborgen sein lässt und es den Ungelehrten offenbar sein lässt. Ja! – Abba! – Heiliger! – Weil es so dein Wille war. 3 3 3 3 3 3 Kein Mensch weiß, wer ICH bin; und kein Mensch weiß, wer Abba ist – außer ICH will es ihm offenbaren. 3 Wohl ihnen, euren Augen, weil sie sehen! Und wohl ihnen, euren Ohren, weil sie hören! 2 Denn viele Propheten und Gerechte begehrten, zu sehen, was ihr seht, und sahen es nicht, und zu hören, was ihr hört, und hörten es nicht. 4 2 3 2 3 2 2 2 2 Einer seiner Schüler sagte zu Jeschu: Maran! – Lehrst du uns ein Gebet, wie Johannes seine Schüler gelehrt hat? 4 (Unser Herr!) 1 Mt 11,25.26 / Lk 10,21 2 Lk 10,22 / Mt 11,27 3 Mt 13,16 / Lk 10,23 4 Mt 13,17 / Lk 10,24 5 Lk 11,1 45 4 3 3 6 7 8 9 10 11 12 Da sagte er zu ihnen: Wenn ihr betet, sprecht: Abba! – Lass geheiligt werden deine Gegenwart! Lass sich ausbreiten deine Herrschaft! Lass geschehen deinen Willen! 3 2 2 2 Lass uns geben unsere Nahrung! Lass uns vergeben unsere Sünden! Lass uns retten aus unserer Versuchung! 3 Bittet ihr, so wird euch gegeben werden. Sucht ihr, so werdet ihr etwas finden. Klopft ihr an, so wird euch geöffnet werden. 3 Welcher Vater unter euch, den sein Sohn um ein Brot bittet, würde ihm einen Stein geben? 3 Und welcher Vater unter euch, den sein Sohn um einen Fisch bittet, würde ihm eine Schlange geben? 3 Und welcher Vater unter euch, den sein Sohn um ein Ei bittet, würde ihm einen Skorpion geben? 3 Wenn sogar ihr wisst, euren Kindern gute Gaben zu geben – um wie viel mehr weiß Abba, seinen Kindern gute Gaben geben zu lassen! 4 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 4 4 4 6 Lk 11,1.2 / Mt 6,9.10 7 Lk 11,3.4 / Mt 6,11-13 8 Mt 7,7 / Lk 11,9 9 Mt 7,9 10 Mt 7,10 / Lk 11,11 11 Lk 11,12 12 Mt 7,11 / Lk 11,13 46 9. Kapitel 1 Sie brachten einen Stummen zu Jeschu, in dem ein Dämon war. Und er heilte ihn, sodass der Stumme redete. 2 Da staunten die Leute, und zwei Schriftgelehrte sagten: Dieser! – Er treibt keine Dämonen aus! Außer durch den Beelzebub, den Anführer der Dämonen. 3 4 5 6 Darauf sagte Jeschu zu ihnen: Jede Herrschaft, die gegen sich selbst streitet, wird verwüstet. 4 3 2 2 2 2 Und keine Familie, die gegen sich selbst streitet, kann bestehen. 2 Und wenn der Satan den Satan austriebe, wie könnte dann seine Herrschaft bestehen? 4 Und wenn ich Dämonen austriebe durch den Beelzebub, durch wen werden sie ausgetrieben von euren Schülern? 3 2 2 4 2 3 2 1 Mt 12,22 / Lk 11,14 2 Lk 11,14.15 / Mt 12,23.24 3 Lk 11,17 / Mt 12,25 4 Mt 12,25 / Lk 11,17 5 Lk 11,18 / Mt 12,26 6 Lk 11,19 / Mt 12,27 47 7 8 9 10 11 12 13 Wenn ich aber Dämonen austreibe durch einen Finger Gottes, dann ist sie zu euch gelangt – die Gottesherrschaft. 3 Es ist unmöglich, dass jemand eindringen kann in den Palast des Mächtigen und seine Waffen rauben kann – außer er hat vorher den Mächtigen gefesselt. 4 Solange der Mächtige bewaffnet seinen Palast bewacht, ist sein Besitz in Sicherheit. 3 Wenn aber jemand kommt, der mächtiger ist als er und ihn besiegt, nimmt er ihm alle seine Waffen weg. 3 Jemand, der nicht mit mir sammelt – er zerstreut gegen mich! 3 Wenn ein unreiner Geist ausgetrieben wurde aus einem Menschen, durchstreift er zerstörte Orte, um einen Ruheplatz für sich zu suchen. 3 Und wenn er keinen findet, dann sagt er zu sich selbst: Ich werde zu meiner Behausung zurückkehren, von wo ich vertrieben wurde. 3 7 Lk 11,20 / Mt 12,28 8 Mt 12,29 9 Lk 11,21 10 Lk 11,22 11 Lk 11,23 / Mt 12,30 12 Lk 11,24 / Mt 12,43 13 Lk 11,24 / Mt 12,43.44 48 2 3 2 4 4 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 14 15 16 17 Und wenn er kommt und findet sie leer und warm und geschmückt, dann geht er hin und bringt mit sieben andere Geister. 3 Und die sind böser als er; und sie dringen ein und wohnen in ihr, sodass der spätere Zustand jenes Menschen schlimmer ist als der frühere Zustand. 3 Als Jeschu dies gesagt hatte, sagte eine gewisse Frau aus der Menge mit lauter Stimme zu ihm: Wohl dem Mutterschoß, der dich getragen hat und den Mutterbrüsten, von denen du gesogen hast! Da sagte er zu ihr: Nein! – Sondern: Wohl jenen, die das Wort Gottes hören und befolgen! 3 3 3 3 3 3 3 3 4 4 10. Kapitel 1 2 Einer von den Pharisäern sagte zu Jeschu: Rabbi! – Wir fordern, dass du uns sehen lässt, irgendein Zeichen. Da begann er und sprach: Diese Menschenart ist böse! Sie fordert ein Zeichen. 3 2 3 2 14 Lk 11,25.26 / Mt 12,44.45 15 Lk 11,26 / Mt 12,45 16 Lk 11,27 17 Lk 11,28 1 Mt 12,38 2 Mt 12,39 49 3 4 5 6 7 8 Aber ihr wird kein Zeichen gegeben werden! – Außer das Warnzeichen des Propheten Jona. 4 Wie Jona gewesen ist ein Warnzeichen für die Niniviten, ebenso bin ICH es für diese Menschenart. 3 Wie Jona gewesen ist im Innern des Fisches, ebenso werde ICH sein im Innern der Erde. 3 Die Königin von Saba wird auftreten beim Rechtsspruch gegen diese Menschenart. Denn sie kam von den östlichen Gegenden der Erde, um die Weisheit Salomos zu hören. Und seht! – Ein Größerer als Salomo ist hier! 3 Männer aus Ninive werden auftreten beim Rechtsspruch gegen diese Menschenart. Denn sie bereuten in Sack und Asche auf das Ausrufen Jonas hin. Und seht! – Ein Größerer als Jona ist hier! 3 Kein Mensch zündet eine Lampe an und stellt sie unter ein Hohlmaß. Sondern er stellt sie auf einen Leuchter, sodass sie allen leuchtet, die im Haus sind. 4 4 2 3 2 2 3 2 3 Mt 12,39 / Lk 11,29 4 Lk 11,30 5 Mt 12,40 6 Lk 11,31 / Mt 12,42 7 Lk 11,32 / Mt 12,41 8 Mt 5,15 / Lk 11,33 50 3 4 3 4 3 4 3 4 4 4 4 9 10 11 12 13 Die Lampe des Körpers ist das Auge. 4 Wenn dein Blick wohlwollend ist, wird dein ganzer Körper gesund werden. Wenn aber dein Blick übelwollend ist, wird dein ganzer Körper krank werden. 4 Wenn dein Licht finster wurde durch dich – wie groß wurde deine Finsternis! 4 Nimm dich in acht, damit dein Licht nicht finster werde! 2 Solange dein Licht hell ist, erleuchtet es dich. Aber sobald dein Licht finster wird, verfinstert es dich. 3 4 4 4 4 2 2 11. Kapitel 1 Ein gewisser Pharisäer erbat von Jeschu, dass er bei ihm speise. Da trat er ein und legte sich zu Tisch. 2 Der Pharisäer aber war entsetzt, dass er nicht vor dem Mahl seine Hände abgespült hatte. 9 Mt 6,22 / Lk 11,34 10 Mt 6,22.23 / Lk 11,34 11 Mt 6,23 12 Lk 11,35 13 Lk 11,36 1 Lk 11,37 2 Lk 11,38 51 2 3 2 3 4 5 6 7 8 Da sagte Jeschu zu ihm: Ihr Pharisäer! – Ist nicht, wie das Innere beschaffen ist, auch das Äußere beschaffen?! Reinige auch dein Inneres, nicht nur dein Äußeres, sodass du ganz rein wirst! Wehe euch Pharisäern, die ihr reinigt das Äußere des Bechers und der Schüssel, während ihr Inneres voll ist von Geraubtem und Besudeltem! Wehe euch Pharisäern, die ihr den Zehnten verzehntet von Minze, Dill und Kümmel, während ihr die Summe der Weisung weglasst: Recht, Barmherzigkeit und Treue! Dies habt ihr nicht getan! Und jenes habt ihr nicht weggelassen! Wehe euch Pharisäern, die ihr Gräbern vergleichbar seid, die von außen geweißt sind, drinnen aber voller Gebeine und allerlei Unreinem! 3 Lk 11,39.40 4 Lk 11,41 / Mt 23,26 5 Mt 23,25 / Lk 11,39 6 Mt 23,23 / Lk 11,42 7 Mt 23,23 / Lk 11,42 8 Mt 23,27 / Lk 11,44 52 3 3 3 3 3 3 2 3 2 3 3 3 3 3 3 3 2 3 2 9 10 11 12 13 14 Wehe euch Schriftgelehrten, die ihr die Menschen belastet mit schweren Lasten, ohne dass ihr sie anrührt mit einem eurer Finger! 3 2 3 2 Wehe euch, die ihr gebaut habt die Gräber der Propheten, die eure Vorfahren ermordet haben! 2 Damit habt ihr bezeugt und habt euch bekannt zu den Taten eurer Vorfahren, die die Propheten ermordet haben. 2 Wehe euch, die ihr gebaut habt die Grabanlagen der Propheten die eure Vorfahren ermordet haben! 2 Und die ihr sagt: Wenn wir gelebt hätten in den Tagen unserer Vorfahren, wären wir nicht beteiligt gewesen an ihrer Blutschuld. Dadurch bezeugt ihr gegen euch selbst, dass ihr die Nachkommen derer seid, die die Propheten ermordet haben. 9 Lk 11,46 / Mt 23,4 10 Lk 11,47 11 Lk 11,48 12 Mt 23,29 13 Mt 23,30 14 Mt 23,31 53 2 2 2 2 2 2 2 2 2 4 4 3 2 3 2 15 Wehe euch Schriftgelehrten, die ihr die Gottesherrschaft verschließt vor den Menschen! Denn ihr tretet nicht ein, und die Eintretenden hindert ihr. 3 2 3 2 12. Kapitel 1 2 3 4 5 Es gibt nichts Verborgenes, das nicht entdeckt werden wird. Und es gibt nichts Geheimes, das nicht bekannt werden wird. 3 Was ich euch im Dunkeln sage, sollt ihr im Licht sagen! Und was ich euch ins Ohr flüstere, sollt ihr auf den Dächern ausrufen! 3 Nicht vor denen sollt ihr Ehrfurcht haben, die den Leib töten können! 2 Sondern vor dem sollt ihr Ehrfurcht haben, der das Selbst töten kann! 2 Werden nicht verkauft zwei Sperlinge für ein As?! – 2 2 3 2 2 3 2 2 2 2 2 2 2 15 Mt 23,13 / Lk 11,52 1 Lk 12,2 / Mt 10,26 2 Mt 10,27 / Lk 12,3 3 Mt 10,28 / Lk 12,4 4 Mt 10,28 / Lk 12,5 5 Mt 10,29 / Lk 12,6 54 6 7 8 9 2 Fürchtet euch nicht! Ihr seid wertvoller als Sperlinge. 2 Auch die Haare eures Kopfes – sie alle sind zugeteilt. 3 2 2 2 2 Amen! Amen! – Ich soll euch sagen: Jeder, der sich zu mir bekennen wird vor den Menschen – zu ihm werde ICH MICH bekennen vor den Richterengeln. 10 11 12 Dennoch wird von ihnen keiner vergessen von Abba! 3 3 2 3 2 Aber jemand, der mich verleugnen wird vor den Menschen – ihn werde ICH verleugnen vor den Richterengeln! 3 Jeder, der etwas gegen MICH redet – ihm kann vergeben werden! 2 Aber jemand, der etwas gegen den Geist redet – ihm kann nicht vergeben werden! 2 6 Mt 10,29 / Lk 12,6 7 Mt 10,31 / Lk 12,7 8 Mt 10,30 / Lk 12,7 9 Lk 12,8 / Mt 10,32 10 Lk 12,9 / Mt 10,33 11/12 Lk 12,10 / Mt 12,32 55 2 3 2 2 2 2 2 13 Wenn sie euch ausliefern werden in die Gewalt der Synagogen, dann seid nicht besorgt, was ihr reden sollt! Denn nicht ihr seid es, die reden werden, sondern der Geist. 3 2 3 2 3 2 13. Kapitel 1 Seid nicht besorgt um euer Selbst, was ihr essen werdet! Und seid nicht besorgt um euren Körper, was ihr anziehen werdet! 3 Ist nicht das Selbst mehr als die Nahrung?! Und ist nicht der Körper mehr als die Kleidung?! 3 3 Warum seid ihr besorgt wegen der Nahrung? 4 4 Beobachtet die Raben, die nicht säen und nicht ernten und nicht einsammeln! 2 Er, Abba, lässt sie ernähren. Seid ihr nicht wertvoller als sie?! 4 2 5 2 3 2 2 3 2 13 Mt 10,19 / Lk 12,11.12 1 Mt 6,25 / Lk 12,22 2/3 Mt 6,25 / Lk 12,23 4 Mt 6,26 / Lk 12,24 5 Mt 6,26 / Lk 12,24 56 2 2 2 4 6 Und warum seid ihr besorgt wegen der Kleidung? 4 7 Betrachtet die Anemonen, die nicht hecheln und nicht spinnen und nicht weben! 2 8 9 10 11 12 2 2 2 Ich sage euch: Auch nicht Salomo war in Gewänder gekleidet, wie eine von ihnen! 3 3 3 Wenn aber das Weidegras – das heute lebt und morgen verdorrt wird und in den Ofen geworfen wird – Abba so kleiden lässt, um wie viel mehr wird er euch kleiden lassen, ihr Vertrauensschwachen! 3 Darum seid nicht besorgt und denkt: Was werden wir essen? Und was werden wir anziehen? 4 Denn er, Abba, weiß, was ihr nötig habt. 3 Wer unter euch kann hinzufügen zu seinem Gebein ein einziges Knöchelchen? 2 2 2 2 3 3 3 2 2 2 2 2 2 6/7 Mt 6,28 / Lk 12,26 8 Mt 6,29 / Lk 12,27 9 Mt 6,30 / Lk 12,28 10 Mt 6,31 / Lk 12,29 11 Mt 6,32 / Lk 12,30 12 Mt 6,27 / Lk 12,25 57 13 14 15 16 Ihr solltet keine Schätze auf der Erde anhäufen, wo Mottenfraß und Wurmfraß verderben und wo Diebe und Einbrecher stehlen! 4 Sondern ihr solltet Schätze in den Himmeln anhäufen, wo Mottenfraß und Wurmfraß nicht verderben und wo Diebe und Einbrecher nicht stehlen! 4 Macht euch Geldbeutel, die nicht morsch werden! Häuft euch Schätze an, die nicht abnehmen! 3 Wo dein Schatz ist, dort wird dein Herz sein. 3 4 4 4 4 2 3 2 3 14. Kapitel 1 2 Wenn der Hausherr gewusst hätte, in welcher Nachtwache der Einbrecher kommt – er hätte nicht zugelassen, dass in sein Haus eingebrochen wird. 3 Darum seid bereit! Denn das Ende wird zu einem Zeitpunkt kommen, zu dem ihr es nicht erwartet. 3 13 Mt 6,19 14 Mt 6,20 15 Lk 12,33 16 Mt 6,21 / Lk 12,34 1 Mt 24,43 / Lk 12,39 2 Mt 24,44 / Lk 12,40 58 2 3 2 3 2 3 3 3 4 5 6 7 8 9 Wer ist der zuverlässige und kluge Sklave, den sein Herr eingesetzt hat über seine Mitsklaven? – Jener, der ihnen die zubereitete Nahrungsration gibt. 4 Wohl jenem Sklaven, den sein Herr, wenn er kommen wird, so handelnd antreffen wird! 3 Ich sage euch: Er wird ihn einsetzen über alles, was er hat. 4 4 3 3 3 2 Aber wehe jenem Sklaven, der böse ist und denkt: Mein Herr kommt später. 3 Und wenn er dann anfängt, die Sklaven und die Sklavinnen zu schlagen und zu essen und zu trinken und sich zu betrinken, 3 dann wird der Herr des Sklaven kommen an einem Tag, den er nicht kennt und wird ihn den Geißlern übergeben zur Züchtigung. 3 Ich bin auf die Erde gekommen, um eine Fackel anzuzünden. Und wie sehr wünsche ich, dass sie schon lodert! 2 3 3 3 3 3 3 2 2 2 3 Lk 12,42 / Mt 24,45 4 Mt 24,46 / Lk 12,43 5 Mt 24,47 / Lk 12,44 6 Mt 24,48 / Lk 12,45 7 Mt 24,49 / Lk 12,45 8 Mt 24,50.51 / Lk 12,46 9 Lk 12,49 59 10 11 12 13 14 15 16 Ich bin nicht gekommen, um Zugeständnisse zu machen! Sondern ich bin gekommen, um Streitgespräche zu führen! 2 Wenn ihr eine Wolke seht, die aus dem Westen aufsteigt, sagt ihr: Es kommt Regen. Und es geschieht so. 3 Und wenn ihr einen Wind seht, der aus dem Süden weht, sagt ihr: Es kommt Hitze. Und es geschieht so. 3 Wolkendeuter! – Das Aussehen des Himmels und der Erde wisst ihr zu deuten. Aber diese Zeit und ihre Warnzeichen wisst ihr nicht zu deuten. 2 2 2 3 3 2 3 3 2 3 2 3 2 Abends sagt ihr: Morgen wird es heiter; denn der Himmel ist rot. 3 Und morgens sagt ihr: Heute wird es stürmisch; denn der Himmel ist rot. 3 Das Aussehen des Himmels wisst ihr zu deuten. Aber die Warnzeichen der Zeit wisst ihr nicht zu deuten. 4 10 Mt 10,34 / Lk 12,51 11 Lk 12,54 12 Lk 12,55 13 Lk 12,56 14 Mt 16,2 15 Mt 16,3 16 Mt 16,3 60 3 3 3 3 4 17 18 19 Wenn du mit ihm vor Gericht gehst, einige dich schnell mit deinem Prozessgegner, während du mit ihm unterwegs bist! 4 Damit er dich nicht vor dem Richter als schuldig erweise, und der Richter dich dem Gerichtsdiener übergebe und der Gerichtsdiener dich ins Gefängnis werfe! 3 Amen! Amen! – Ich soll dir sagen: Du wirst nicht von dort herauskommen, bis du die letzte Kleinmünze bezahlt hast. 4 4 4 3 3 4 4 15. Kapitel 1 2 3 Womit soll ich die Gottesherrschaft vergleichen? Es ist mit ihr, wie mit einem Senfkorn, das ein Mann nahm und auf den Erdboden warf, und das wuchs und zu einem großen Baum wurde. 4 Womit soll ich die Gottesherrschaft vergleichen? Es ist mit ihr, wie mit einem Stück Sauerteig, das eine Frau nahm und mit Mehl verknetete und warm stellte, bis das Ganze durchsäuert war. 4 O wie breit ist der Weg, der in den Tod führt! Und jener gibt es viele, die auf ihm gehen. 3 4 4 4 4 4 4 2 3 2 17 Lk 12,58 / Mt 5,25 18 Lk 12,58 / Mt 5,25 19 Mt 5,26 / Lk 12,59 1 Lk 13,18.19 / Mt 13,31.32 2 Lk 13,20.21 / Mt 13,33 3 Mt 7,13 61 4 5 6 7 8 9 O wie schmal ist der Weg, der ins Leben führt! Und jener gibt es wenige, die ihn finden. 3 Strengt euch an, eingelassen zu werden durch das schmale Tor! Amen! Amen! – Ich soll euch sagen: Viele werden wünschen, eingelassen zu werden, aber es ist unmöglich! 3 Es gibt Letzte, die Erste sein werden. Und es gibt Erste, die Letzte sein werden. 2 Jeder, der sein Selbst niederdrückt – er wird niedergedrückt werden. Aber jemand, der sein Selbst erhebt – er wird erhoben werden. 3 2 3 2 2 3 2 2 2 2 Jerusalem! Jerusalem! – Du hast Propheten getötet und hast Sendboten gesteinigt! Wie oft wollte ich deine Kinder sammeln – wie eine Glucke ihre Küken sammelt unter ihre Flügel –, obwohl sie nicht wollten! 4 Mt 7,14 5 Lk 13,24 6 Lk 13,30 / Mt 19,30; 20,16 7 Mt 23,12 / Lk 14,11; 18,14 8 Lk 13,34 / Mt 23,37 9 Lk 13,34 / Mt 23,37 62 2 3 2 2 2 2 2 2 2 2 2 10 Seht! – Seht! – Euch – wird zurückgelassen werden! – Euer Tempel! – Zerstört! 2 2 2 16. Kapitel 1 2 3 4 5 6 Ein gewisser Mann wollte ein Gastmahl veranstalten und hatte viele eingeladen. 2 Und zur Stunde des Gastmahls schickte er seinen Sklaven, um den Eingeladenen sagen zu lassen: Kommt! – Denn schon ist alles vorbereitet. 2 Da fingen sie auf einmal an, sich alle zu entschuldigen. 2 2 2 2 2 2 2 2 Der erste ließ ihm sagen: Ich habe einen Acker gekauft; und ich muss hinausgehen, um ihn anzusehen. 2 2 2 Ich erbitte von dir, halte mich für entschuldigt. 2 2 Und ein anderer ließ ihm sagen: Ich habe einen Ochsen gekauft; und ich muss hingehen, um ihn zu prüfen. 10 Lk 13,35 / Mt 23,38 1 Lk 14,16 2 Lk 14,17 3 Lk 14,18 4 Lk14,18 5 Lk 14,18 6 Lk 14,19 63 2 2 2 7 8 9 10 11 12 13 Ich erbitte von dir, halte mich für entschuldigt. 2 2 Und ein anderer ließ ihm sagen: Ich habe eine Frau geheiratet; es ist unmöglich, dass ich kommen kann. 2 2 2 [Ich erbitte von dir, halte mich für entschuldigt.] 2 Da kam der Sklave und berichtete seinem Herrn dies alles. 2 Darauf wurde er zornig und befahl seinem Sklaven: Geh hinaus auf die Straßen und auf die Gassen der Stadt! 2 Und führe hierher die Armen und die Verachteten und die Lahmen und die Blinden und mach, dass sie hereinkommen, damit mein Haus voll werde! 2 Ein Mann wollte ein Gastmahl veranstalten. Da schickte er seinen Sklaven aus und befahl: Sage den zum Gastmahl Eingeladenen: 3 7 Lk 14,19 8 Lk 14,20 9 Dieser Textteil muss versehentlich ausgefallen sein. 10 Lk 14,21 11 Lk 14,21 12 Lk 14,21.23 13 Mt 22,2-4 64 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 3 3 14 15 16 17 Seht! – Mein Mahl ist zubereitet, und alles steht bereit. Kommt zum Gastmahl! 3 Aber sie verachteten ihn. Der eine ging auf seinen Acker, und der andere ging zu seinem Handel. 3 Darauf befahl er seinem Sklaven: Geh hinaus zu den Wegkreuzungen und lade alle ein, die du findest! 3 Da ging er hinaus zu den Wegkreuzungen und versammelte alle, die er fand, sodass das Haus voll wurde von Tischgästen. 3 3 3 3 3 3 3 3 3 17. Kapitel 1 2 3 Wer seinen Vater und seine Mutter liebt mehr als mich – er ist untauglich für mich. 3 Und wer seinen Sohn und seine Tochter liebt mehr als mich – er ist untauglich für mich. 3 Und wer nicht mein Joch tragen und hinter mir hergehen will – er ist untauglich für mich. 3 3 3 3 3 3 3 14 Mt 22,4 15 Mt 22,5 16 Mt 22,8.9 17 Mt 22,10 1 Mt 10,37 / Lk 14,26 2 Mt 10,37 / Lk 14,26 3 Mt 10,38 / Lk 14,27 65 4 5 6 7 8 9 Das Salz ist gut. Wenn aber das Salz salzlos würde, womit würde gesalzen werden? 2 Es ist unmöglich, dass ein Sklave zwei Herren dient! 2 Es ist unmöglich, dass ihr Gott und dem Geld dient! 2 Seit der Zeit des Johannes wird der Gottesherrschaft Gewalt angetan; aber die Gewalttätigen werden überwältigt von ihr. 3 Die Propheten bis zu Johannes haben die Gottesherrschaft prophezeit. Von da ab und bis jetzt wird die Gottesherrschaft ausgerufen. 3 2 2 2 2 2 Amen! Amen! – Ich soll euch sagen: Bis die Himmel und die Erde vergehen, wird kein waw von der Weisung vergehen. 10 3 Amen! Amen! – Ich soll euch sagen: Leichter ist es, dass vergehen werden die Himmel und die Erde, als dass ein waw vergehen wird von der Weisung. 4 Lk 14,34 / Mt 5,13 5 Lk 16,13 / Mt 6,24 6 Lk 16,13 / Mt 6,24 7 Mt 11,12 / Lk 16,16 8 Mt 11,13 / Lk 16,16 9 Mt 5,18 10 Lk 16,17 66 3 3 3 3 3 4 4 3 2 3 2 11 12 13 Amen! Amen! – Ich soll euch sagen: Jeder, der seine Ehefrau entlässt – er ist ein Ehebrecher! 3 2 Wehe der Welt wegen der Verführungen! Es ist unmöglich, dass sie nicht kommen werden. Aber wehe den Menschen, durch die sie kommen werden! 4 Jeder, der ein einziges Kind schändet – er hat einen Mühlstein an seinem Hals! 4 2 2 2 2 4 18. Kapitel 1 2 Welcher Mann ist unter euch, der hundert Schafe hat, und der nicht, wenn er eines von ihnen verliert, die neunundneunzig zurücklässt und hingeht und das verlorene sucht? 3 Und wenn er es gefunden hat, legt er es auf seine Schultern und freut sich und geht nach Haus und ruft seine Freunde herbei und seine Nachbarn und sagt: Freut euch mit mir! Denn ich habe mein verlorenes Schaf gefunden. 3 11 Lk 16,18 / Mt 5,32 12 Mt 18,7 / Lk 17,1 13 Mt 18,6 / Lk 17,2 1 Lk 15,4 / Mt 18,12 2 Lk 15,5.6 / Mt 18,13 67 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 4 5 6 7 8 Und welche Frau ist unter euch, die zehn Drachmen hat, und die nicht, wenn sie eine von ihnen verliert, eine Lampe anzündet und sich grämt und sie sorgfältig sucht? 3 Und wenn sie sie gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen herbei und ihre Nachbarinnen und sagt: Freut euch mit mir! Denn ich habe meine verlorene Drachme gefunden. 3 Wenn dein Bruder sich gegen dich vergangen hat, weise ihn zurecht zwischen dir und ihm allein! 4 Wenn er auf dich hört, wirst du deinem Bruder nützen. Wenn er aber nicht auf dich hört, wird er seinem Selbst schaden. 3 Simon näherte sich Jeschu und sagte zu ihm: Rabbi! – Wenn mein Bruder sich gegen mich vergangen hat – wie viele Male soll ich ihm vergeben? Bis zu siebenmal? Er sagte zu ihm: Ich befehle dir: Nicht bis zu siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal! 3 Lk 15,8 4 Lk 15,9 5 Mt 18,15 / Lk 17,3 6 Mt 18,15.16 7 Mt 18,21 / Lk 17,3 8 Mt 18,22 / Lk 17,4 68 3 3 3 3 3 3 3 3 4 2 3 2 4 4 3 4 4 9 10 11 12 13 Amen! Amen! – Ich soll euch sagen: Wenn euer Vertrauen wäre wie ein Senfkorn, würdet ihr diesem Berg befehlen: Erhebe dich von hier nach dorthin! Und er würde sich von hier nach dorthin erheben. Amen! Amen! – Ich soll euch sagen: Wenn euer Vertrauen wäre wie ein Senfkorn, würdet ihr diesem Maulbeerbaum befehlen: Entwurzle dich und stürze dich ins Meer! Und er würde sich entwurzeln und ins Meer stürzen. Pharisäer fragten Jeschu: Wann kommt die Gottesherrschaft? Er begann und sprach: Die Gottesherrschaft kommt nicht. Denn seht! – Die Gottesherrschaft ist mitten unter euch. Wie es war zur Zeit Noachs – sie aßen und tranken, heirateten und wurden verheiratet, bis zu dem Tag, an dem Noach in die Arche ging und die Sintflut kam und sie alle umbrachte –, ebenso ist es zu MEINER Zeit. 9 Mt 17,20 / Lk 17,6 10 Lk 17,6 11 Lk 17,20 12 Lk 17,20.21 13 Lk 17,26.27 / Mt 24,37.38 69 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 4 4 4 4 2 2 2 2 2 2 4 14 15 16 17 18 19 Und wie es war zur Zeit Lots – sie kauften und verkauften, pflanzten und bauten, bis zu dem Tag, an dem Lot aus Sodom wegging und es Feuer regnete und sie alle umbrachte –, ebenso ist es zu MEINER Zeit. 4 Zwei werden arbeiten auf einem Feld – der eine wird fortgeführt werden, und der andere wird zurückgelassen werden. 2 Zwei werden schlafen auf einem Lager – der eine wird fortgeführt werden, und der andere wird zurückgelassen werden. 2 Zwei werden mahlen an einer Handmühle – die eine wird fortgeführt werden, und die andere wird zurückgelassen werden. 2 Wo das Aas sein wird, da werden sich die Geier sammeln. 3 Wie ein Blitz , aufblitzend und leuchtend, so werde ICH sein an MEINEM Tag. 2 2 2 2 2 2 2 4 2 2 2 2 2 2 2 2 2 3 2 2 2 14 Lk 17,28-30 15 Mt 24,40 16 Lk 17,34 17 Mt 24,41 / Lk 17,35 18 Mt 24,28 / Lk 17,37 19 Lk 17,24 / Mt 24,27 70 19. Kapitel 1 2 3 4 5 6 7 8 Ein Mann, der verreisen wollte, rief seine Sklaven herbei, übergab ihnen Geld [und sagte: Betreibt Handel mit ihm, bis ich wiederkomme!] 4 Dem einen gab er fünf Minen, dem andern zwei, dem dritten eine; jedem einzelnen nach seiner Fähigkeit. 4 Der, der fünf Minen bekommen hatte, ging hin betrieb Handel und erwarb fünf andere. 4 Und der, der zwei Minen bekommen hatte, ging hin betrieb Handel und erwarb zwei andere. 4 Er aber, der eine Mine bekommen hatte, ging hin grub und machte ein Loch in die Erde und verbarg in ihm die Mine seines Herrn. 4 Und nach längerer Zeit kam der Herr jener Sklaven und forderte Rechenschaft von ihnen. 3 Da kam der, der fünf Minen bekommen hatte, brachte fünf andere und sagte: Mein Herr! – Fünf Minen hast du mir gegeben. Sieh! – Fünf andere habe ich mit ihnen erworben. 4 Darauf begann sein Herr und sprach: Wohl dir! – Guter und zuverlässiger Sklave! 4 1 Mt 25,14 2 Mt 25,15 3 Mt 25,16 4 Mt 25,17 5 Mt 25,18 6 Mt 25,19 7 Mt 25,20 8 Mt 25,21 71 4 4 4 4 4 4 4 4 3 3 4 3 2 3 2 4 9 10 11 12 13 14 15 16 Über wenig warst du zuverlässig, über viel werde ich dich einsetzen. 4 Dann kam der, der zwei Minen bekommen hatte, brachte zwei andere und sagte: Mein Herr! – Zwei Minen hast du mir gegeben. Sieh! – Zwei andere habe ich mit ihnen erworben. 4 Darauf begann sein Herr und sprach: Wohl dir! – Guter und zuverlässiger Sklave! 4 Über wenig warst du zuverlässig, über viel werde ich dich einsetzen. 4 Dann kam auch der, der eine Mine bekommen hatte und sagte: Mein Herr! – Ich kenne dich. Du bist ein strenger Mann. 3 Darum fürchtete ich mich und ging hin und verbarg deine Mine in der Erde. Sieh! – Sie gehört dir. 3 Da begann sein Herr und sprach: Wehe dir! – Schlechter und träger Sklave! Du weißt, dass ich ein strenger Mann bin? 4 Und warum hast du meine Mine nicht auf den Wechseltisch geworfen, sodass ich mein Eigentum bei meinem Kommen mit Zinsen wiederbekommen hätte? 3 9 Mt 25,21 10 Mt 25,22 11 Mt 25,23 12 Mt 25,23 13 Mt 25,24 14 Mt 25,25 15 Mt 25,26 16 Mt 25,27 72 4 4 3 2 3 2 4 4 3 3 3 3 3 4 4 3 3 3 17 18 19 20 21 22 23 24 25 [Dann sagte er zu den vor ihm Stehenden:] Nehmt ihm die Mine weg und werft ihn hinaus! 3 Ein Mann wollte in ein fernes Land reisen und rief drei von seinen Sklaven herbei. 4 Dann gab er jedem von ihnen eine Mine und sagte zu ihnen: Betreibt Handel mit ihnen, bis ich wiederkomme! 4 Als er zurückgekehrt war, befahl er, herbeizurufen jene Knechte, denen er die Minen gegeben hatte, damit er von ihnen erfahre, was sie erworben hatten. 4 Da kam der erste und sagte zu ihm: Mein Herr! – Deine Mine hat zehn erworben. 4 Da sagte er zu ihm: Guter Sklave! Weil du über wenig zuverlässig gewesen bist, werde ich dich über viel einsetzten. 4 Dann kam der andere und sagte zu ihm: Mein Herr! – Deine Mine hat fünf erworben. 4 Da sagte er zu ihm: Guter Sklave! Weil du über wenig zuverlässig gewesen bist, werde ich dich über viel einsetzten. 4 Dann kam der dritte und sagte zu ihm: Mein Herr! – Sieh hier! – Deine Mine! 4 17 Mt 25,28.30 18 Lk 19,12.13 19 Lk 19,13 20 Lk 19,15 21 Lk 19,16 22 Lk 19,17 23 Lk 19,18 24 Lk 19,19 25 Lk 19,20 73 3 3 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 26 27 28 29 30 31 32 Sie war bei mir, eingewickelt in ein Schweißtuch. Denn ich fürchtete mich, weil du ein strenger Mann bist. 4 Da sagte er zu ihm: Schlechter Sklave! Du weißt, dass ich ein strenger Mann bin? 4 Und warum hast du meine Mine nicht auf den Wechseltisch geworfen, sodass ich mein Eigentum bei meinem Kommen mit Zinsen wiederbekommen hätte? 3 Dann sagte er zu den vor ihm Stehenden: Nehmt ihm die Mine weg [und werft ihn hinaus!] 3 Amen! Amen! – Ich soll euch sagen: Jedem, der viel hat – ihm wird hinzugefügt werden. Aber jemandem, der wenig hat – ihm wird weggenommen werden. 4 4 3 3 3 3 3 3 2 3 2 Jeder, der sein Selbst verloren hat – er muss es finden! Und jeder, der sein Selbst gefunden hat – er muss es verlieren! 3 Wie Abba schloss einen Bund mit mir, so schließe ich einen Bund mit euch. 3 2 3 2 2 3 2 26 Lk 19,20.21 27 Lk 19,22 28 Lk 19,23 29 Lk 19,24 / Mt 25,30 30 Lk 19,26 / Mt 25,29 31 Mt 10,39 / Lk 17,33 32 Lk 22,29 / Mt 19,28 74 KOMMENTARTEIL 75 Vorbemerkungen Die voranstehende Übersetzung des ältesten Evangeliums ist an ungezählten Stellen anders als die der herkömmlichen Übersetzungen der betreffenden Textteile der Evangelien nach Matthäus und Lukas. Nicht aus Willkür, sondern weil es sich so ergab: erstens durch die Rückübersetzung des NTG-Textes ins Aramäische, zweitens durch deren Formung nach den Regeln der alttestamentlichen Poesie. Nach jenen Regeln also, die für Johannes den Täufer und Jeschu ebenso verbindlich waren, wie sie es für die Propheten, Psalmisten und Weisheitslehrer ihres Volkes gewesen sind. Dem entspricht es, dass auch der nachstehende Kommentar zum ältesten Evangelium an ungezählten Stellen anders ist als die herkömmlichen Kommentare zu den betreffenden Textteilen der Evangelien nach Matthäus und Lukas. Warum anders – nämlich richtig, statt falsch –, davon gilt: Nur dann, wenn ein Text richtig übersetzt ist, kann auch seine Auslegung richtig sein. Immer dann, wenn ein Text falsch übersetzt ist, muss auch seine Auslegung falsch sein. Ich weiß, dass diese Folgerung von vielen gutgläubigen, aber leider schlecht unterrichteten Christenmenschen als unerträglich empfunden wird. Doch was tut’s? Sie ist wahr. Und sie ist beweisbar. Wäre es nicht so, dann wäre es sinnlos gewesen, dieses Buch zu schreiben. 76 Q 1,1 Wie das Markusevangelium mit dem Auftreten Johannes des Täufers beginnt, so auch das älteste Evangelium; und zwar in Q-Mt und in Q-Lk. Was die beiden Fassungen unterscheidet, ist allerdings auffallend: Q-Lk enthält die offizielle Berufungsformel „Es erging das Wort Gottes an“, QMt dagegen hat sie nicht. Warum sie in ihm fehlt, ist jedoch leicht zu erklären: sie passte nicht in das literarische Konzept des Matthäusevangelisten. Die Berufungsformel „Es erging das Wort Gottes an“ setzt eine lange prophetische Überlieferung voraus (Jer 1,4. 11.13; Hos 1,1; Mi 1,1; Jon 1,1; Ze 1,1 u. ö.). Sie bezeichnet den Zugriff Gottes auf einen Menschen, der von ihm ergriffen ist und den er damit zu seinem Propheten macht. Das Verb kam – aus dem Süden, auf den Verfasser von Q-Lk zu – lässt darauf schließen, dass er nördlich der judäischen Wüste lebte; wahrscheinlich in Galiläa. Q 1,2 Dieser Q-Mt-Text ist für den Textzusammenhang von Q unverzichtbar. Denn er allein kann erklären, woher die Menschen kamen, die Johannes am Jordan taufte. In Q-Lk wird er Jes 40,3-5 zuliebe ausgelassen worden sein. Wohlgemerkt: Johannes taufte nicht im Jordan, sondern am Jordan (Jh 3,23). Offenbar hatte er mehrere Taufstellen; und zwar östlich und westlich des Jordans. Da er gesandt war, eine Taufe der Reue (über die Vergangenheit der Angeredeten) auszurufen (siehe Q 1,1), nicht aber eine Taufe zur Sündenvergebung (NTG-Text zu Lk 3,3), ist 77 der Textteil „bekennend ihre Sünden“ zu löschen. Denn für den Täufer gab es weder eine pauschale noch eine kollektive Sündenvergebung (siehe Q 1,5). Q 1,3 Nach Q-Mt sprach Johannes diesen Zweizeiler, zu den Pharisäern und Sadduzäern, nach Q-Lk (korrekt) zu den Leuten, die zu ihm gekommen waren. Also zu allen, ohne Einschränkung. Dass einige von ihnen – schwerlich alle – getauft zu werden wünschten, brauchte nicht erwähnt zu werden und ist demnach mit C zu Q-Mt zu streichen. Was folgt, eingeleitet durch die harsche Anrede Otternbrut!, ist ein hartes Wort, war ursprünglich jedoch ein weniger hartes. Denn in dem NTG-Textteil zukünftiger Zorn ist zukünftig eine Fehlübersetzung, die durch bestimmt zu korrigieren war, und Zorn eine Tonverschärfung, die den Rhythmus zerstört und daher zu tilgen war. Hinzu kommt noch: Zukünftiger Zorn wäre nur dann sinnvoll, wenn man Gottes hinzufügte. Aber das zu wagen, ist schändlich. Denn Zorn und Gott zusammen zu denken, ist ein Ungedanke. Wer ihn denkt, ausspricht oder schreibt, der schreibt Gott einen verderblichen Affekt zu. Der aber ist ihm unangemessen. Und was ist bestimmt? Nach der Grundbedeutung des aramäischen Wortes ‘ atîd ist das bestimmt, was bereitet, bereitgestellt ist. Und zwar durch den Tat-und-Tatfolge-Zusammenhang dessen, was die Menschen fühlen, denken, wollen, reden und tun; nicht etwa durch das, was Gott als Strafe verhängt hätte. – Hierzu sei an Gal 6,7 erinnert: „Was der Mensch sät, das wird er auch ernten.“ 78 Q 1,4 Auch dieser Q-Mt-Text ist für den Textzusammenhang von Q unentbehrlich. Denn ohne sein Bereut! stünde das in Q 1,5 folgende eure Reue völlig beziehungslos da. Überdies ist er kaum zufällig mit Jes 40,3 verbunden; mit jenem Bibeltext also, dem zuliebe der Q-Lk-Text zu Q 1,1 vom Matthäusevangelisten ausgelassen wurde. Was auf das einleitende Bereut! des Täufers folgt (der Einzeiler Denn die Gottesherrschaft ist da!), das war für seine Zuhörer eine Sensation. Wenn auch eine völlig andere, als sie aufgrund ihrer politisch-messianischen Erwartung erhofft und geglaubt hatten. Denn mit diesem Begriff war kein diesseitiges „Reich Gottes“ gemeint, sondern die diesseitig-geistige Gottesherrschaft, deren Da-Sein der Täufer auszurufen hatte und unter deren Segen jeder gelangen konnte, der bereit war, sich fühlend, denkend, wollend, redend und handelnd in Pflicht zu nehmen und seine Selbstverpflichtung durch die Taufe der Reue (über seine Vergangenheit) zu besiegeln. Davon strikt zu unterscheiden ist die jenseitig-geistige Himmelsherrschaft, die war, die ist und immer sein wird. Von ihr ist im ältesten Evangelium nicht die Rede. Sie war ein wichtiges Thema der Schülerunterweisung Jeschus. Von ihr handeln seine so genannten Einlassworte, in denen er die Bedingungen darlegte, die jemand erfüllt haben muss, bevor er in sie eingelassen werden darf (vgl. Mt 5,20; 7,21; 18,3; 19,24 / Mk 10,25 / Lk 18,25, wobei kommen mit eingelassen werden dürfen wiederzugeben ist). [Richtig verstehen, das heißt im Sinn Jeschus verstehen, kann seine Botschaft nur, wer den Unterschied zwischen Gottes- und Himmelsherrschaft erkannt hat.] 79 Q 1,5 In der ersten Zeile dieses Dreizeilers nannte der Täufer den Inhalt der Selbstverpflichtung, zu der die Täuflinge bereit sein mussten, wenn sie wünschten, unter den Segen der diesseitig-geistigen Gottesherrschaft zu gelangen; nämlich: sich selbst – ihrer Reue entsprechend – fühlend, denkend, wollend, redend und handelnd in Pflicht zu nehmen. In der zweiten und dritten Zeile warnte er sie vor dem von den Vätern überkommenen Denk- und Glaubensfehler, sich einzubilden, die Verdienste Abrahams würden ihnen ohne eigenes Zutun angerechnet – ihnen zum Heil. Q 1,6 Abrahamskinder aus Steinen? Ist dieser Dreizeiler des Täufers – er enthält ein Wortspiel zwischen ’abenajja’ und benîn, PS-Text – nicht völlig überspannt?! So könnte es scheinen, wenn man das Wort Steine wörtlich versteht. Doch das wäre widersinnig. Denn Johannes meinte Menschen, als er dies sagte. Freilich Menschen, deren Körper zwar lebendig waren, deren Geist jedoch tot war; ebenso tot, wie es die Steine waren, die überall im Jordantal, in dem er taufte, herumlagen. Diese Deutung erscheint deswegen möglich, weil Johannes bei dem Begriff „Kinder Abrahams“ offensichtlich nicht auf die leibliche Abkunft pochte – genauso wenig, wie später Paulus in Rö 9,6-8. Zu ich soll euch sagen (statt „ich sage euch“, NTG-Text) ist anzumerken: Worte, die Jeschu so eingeleitet hatte, waren durchweg selbständige, durch Inspiration empfangene 80 Offenbarungsworte und zugleich – weit überwiegend – an den inneren Kreis seiner Schüler adressierte Worte. Dies wird auch von dem Täuferwort über die Abrahamskinder aus Steinen gelten. Dann aber hätte Johannes es nicht an die Täuflinge gerichtet (dagegen spricht schon das Demonstrativpronomen diesen), sondern an seine Schüler, jedoch bezogen auf die Täuflinge. [Dass die Q-Bearbeiter diesen Tatbestand ignorierten, lag an ihrer Arbeitsweise: an der so genannten Stichwortverknüpfung.] Q 1,7.8 Dieser Q-Text – ein Zweizeiler und ein Dreizeiler, zugleich ein Doppelbildwort – enthält eine doppelte Drohung, adressiert an die Getauften, wie Q 1,5. Die erste Drohung galt ihrem Menschsein als Ganzem (den Bäumen) und ihren Antrieben (den Wurzeln, pl.). Ohne Bild: Für Gott, von dem der Täufer hier redete, lagen die Getauften und ihre Antriebe, wie sie waren, offen zu Tage: so, als wären ihre Antriebe bereits freigelegt zum Fällen. Nur, wenn es so war, konnten die Äxte (pl.) an ihren Wurzeln liegen – bereit, ergriffen zu werden zum Fällen. Die zweite Drohung zielte auf die Früchte der Getauften, also auf die ihrer Reue angemessenen Tatfolgen, wobei die Taten mitgemeint waren. Und sie zielte darauf, dass jeder Getaufte, der seiner Selbstverpflichtung nicht gerecht würde, die Folgen seiner Taten zu erleiden haben würde: er fällt ins Feuer (S und P in Q-Mt und S, C und P in Q-Lk). Wohlgemerkt: er wird nicht hineingeworfen (zur Strafe, so der NTGText), sondern er fällt hinein (Tat und Tatfolge). 81 Damit aber war nicht das Gott verteufelnde Höllenfeuer gemeint, sondern ein läuterndes Erleiden dessen, was der Getaufte tun und/oder unterlassen würde. – Hierzu sei an 1Ko 3,15 (EÜ-Text) erinnert: „Er selbst aber wird gerettet werden, doch so wie durch Feuer hindurch.“ Q 1,9-11 Dieser Q-Text steht nur im Lukasevangelium. Dass er zu Q-Lk gehört, ebenso wie Q 1,12.13 und Q 1,14.15, dafür spricht vorab die Dreiung Leute, Zollpächter, Soldaten, ein Stilelement prophetischer Rede. Noch entschiedener zeugt dafür, dass er mitteilt, wie die Leute, Zollpächter und Soldaten auf die Worte des Täufers reagierten; nämlich mit der Fra-ge: Was sollen wir tun? (nicht glauben, sondern tun). Dass er in Q-Mt fehlt, ist kein Gegenbeweis. Dieser Tatbestand lässt lediglich den Schluss zu, dass Q-Mt und QLk je selbständige Textsammlungen waren, deren Inhalt und Wortlaut zwar häufig, aber keineswegs immer ungefähr übereinstimmen. In Q 1,10 – einem Zweizeiler – könnte Johannes an die Reisekleidung gedacht haben. Denn während der Nacht zogen Reisende, jedenfalls Begüterte, je nach Jahreszeit, oft zwei Hemden übereinander an (die Nächte in jener Gegend können empfindlich kalt sein). Und in Q 1,11 – einem Langzeiler – könnte er den Reiseproviant gemeint haben. Denn der wird bei etlichen seiner Zuhörer eher ärmlich als reichlich gewesen sein. Jedoch anscheinend nicht bei allen, wie aus dem Text zu erschließen ist. – Wenn es so ist, dann hätte der Täufer Weisungen gegeben, die sofort befolgt werden sollten. 82 Q 1,12.13 Auch dieser Q-Text – in 1,13 ein Zweizeiler, der die Zollpächter unter den Zuhörern des Täufers betraf – ist nur in Q-Lk überliefert. Bemerkenswert ist daran, dass Johannes die Zollpächter nicht von der Taufe ausschloss, obwohl sie von der Mehrheit ihrer Mitbürger als missliebige Lohndiener der verhassten Römer geächtet wurden. Nicht ohne Grund, denn: Die Zollpächter waren Unterpächter von Steuerpächtern, die zu jener Zeit staatliche Beamte waren. Als Unterpächter mussten sie das Zolleinnahmerecht eines Bezirkes meistbietend von ihnen ersteigern. Dadurch waren sie genötigt, an ihren Zollstellen vorab die Ersteigerungssumme einzutreiben. Zugleich waren sie darauf bedacht, und sei es ungesetzlich, möglichst viel in die eigene Tasche zu wirtschaften. Dieser Tatbestand genügte den Extrafrommen ihres Volkes, die Zollpächter pauschal als Sünder zu betrachten und zu behaupten, sie seien von der Teilhabe an der zukünftigen Welt ausgeschlossen. Anders als jene Extrafrommen schloss Johannes sie nicht davon aus, sondern taufte auch sie und nahm sie damit in die diesseitig-geistige Gottesherrschaft auf, deren DaSein auszurufen er gekommen war. Jedoch nicht ohne die ihnen entsprechende zusätzliche Selbstverpflichtung: nicht mehr Zoll einzutreiben, als ihnen festgesetzt war. Q 1,14.15 Dieser Q-Text – in 1,15 ein Zweizeiler, der die Soldaten unter den Zuhörern des Täufers betraf – steht auch nur in 83 Q-Lk. Vermutlich wird es sich bei ihnen um jüdische Soldaten des Herodes Antipas gehandelt haben, des Sohnes Herodes’ d. Gr. und der Samaritanerin Malthake. Er regierte von 4 v. bis 39/40 u. Z. in Galiläa und Peräa. Ist das zutreffend, dann ist nicht auszuschließen, dass zumindest einer von ihnen es Johannes ermöglicht hat (als er in Machärus, der peräischen Festung des Antipas in Kerkerhaft war), den Kontakt zu seinen Schülern aufrecht zu erhalten. Und zwar so weitgehend, dass er zwei von ihnen als Boten zu Jeschu schicken und nach ihrer Rückkehr wieder empfangen konnte (vgl. Q 6,9.10). Doch auch die Soldaten taufte er nicht ohne die ihnen angemessene zusätzliche Selbstverpflichtung: niemanden zu erpressen, sondern sich mit ihrem Sold zu begnügen. Q 1,16 Spätestens an diesem Q-Text – er betraf alle Täuflinge des Johannes – wird unwiderleglich, was schon an den voranstehenden Worten des Täufers zu erkennen war: poetische Redeweise, geformt nach den Regeln hebräischer Poesie. Ein Muss für jede prophetische Rede. Der Text besteht aus einem Zweizeiler (Zeilen 1 und 6), in den ein Vierzeiler eingeschachtelt ist. Besonders diese Kunstform verrät eine hohe poetische Gestaltungskraft. Bei einigen Jeschuworten werden wir ihr wieder begegnen. Die Symbolwörter Wasser und Feuer sind uralt, rund um den Globus bekannt und sehr vieldeutig. Wie das Wasser, so kann auch das Feuer ein Sinnbild des Lebens und des Todes sein. Beide haben u. a. reinigende, Leben spendende und befruchtende Kraft. Wasser spült und Feuer brennt 84 alles Unreine weg. Wasser stellt die vorherige, Feuer stellt die ursprüngliche Reinheit wieder her. Für den Textteil „heiligem Geist und“ bedeutet das: er passt nicht in diese Symbolik, er ist ein Zusatz, er zerstört die poetische Form. Was Johannes seinen Täuflingen sagen wollte, das war hiernach: Die Wassertaufe hat eine bedingte, begrenzte, zeitliche Wirkung; die Feuertaufe hat eine unbedingte, unbegrenzte, ewige Wirkung. Daraus folgt: Johannes der Täufer wusste um die Vorläufigkeit seiner eigenen Sendung und um die Endgültigkeit der Sendung dessen, der nach ihm „kommen“ werde. Ihm gegenüber verstand er sich als Sklave. Das ergibt sich aus dem von ihm selbst kunstvoll in seinen Zweizeiler eingefügten Vierzeiler „Vom Sklavendienst“. Denn: Seinem heimkehrenden Herrn die Sandalenriemen zu lösen, das war Sklavendienst. – Und nicht einmal dafür ( ! ) hielt Johannes sich würdig genug. Q 1,17 Dieser Doppel-Langzeiler knüpfte unmittelbar an den voranstehenden an. Das betonte Er, der wies zurück auf jemand, von dem schon die Rede war: auf den „Kommenden“. Dass der die Worfschaufel nicht schon in seiner Hand (NTG-Text), sondern in seinem Arm hatte, deutet darauf hin, dass er seine Tätigkeit noch nicht begonnen hatte, dass er sie aber beginnen werde, sobald er gekommen sein werde. Seinen Ausdrusch (statt „seine Tenne“, NTG-Text) konnte hier nur den auf der Tenne liegenden groben Häcksel meinen, in dem Spreu, Strohstücke und Getreidekörner miteinander vermengt waren. 85 Das Getreide war der eigentliche Ernteertrag. In der Umwelt des Johannes konnte er nur durch Worfeln (durch Hochwerfen mit der Worfschaufel) und mit Hilfe des Windes von Spreu und Häcksel geschieden werden. Das unmittelbar folgende wird er sammeln in seinen Vorratsbehälter nannte den Zielvorgang der ganzen Ernte: die Einlagerung des Getreides (als Brotgetreide für die Ernährung und als Saatgetreide für die künftige Aussaat). Die Spreu aber wird er verwehen lassen muss es heißen und nicht „wird er mit unauslöschlichem Feuer verbrennen“ (NTG-Text). Denn was der Spreu im Lebensraum des Täufers widerfuhr (wie schon in dem des Alten Testa-ments), das war: verweht zu werden (Hi 21,18; Ps 1,4; 35,5; Jes 17,13; 29,5; 41,15.16.; Dan 2,35; Hos 13,3; Hab 3,14; Ze 2,2). Wie sollte denn auch weggewehte Spreu verbrannt werden können? Noch dazu „mit unauslöschlichem Feuer“? Man bedenke: Spreu, die im Nu verbrennt! Was Johannes seinen Täuflingen sagen wollte, das war hiernach: Er, der „Kommende“, wird, wenn er gekommen sein wird, durch seine Tätigkeit sein Volk scheiden: in Getreide, das er sammeln wird (ein geläufiges Bild der Rückführung zu Gott), und in Spreu, die er verwehen lassen wird (ein ebenso geläufiges Bild des Gerichts). Q 2,1 Auch wenn Q-Lk 3,21 stark verkürzt und dadurch unerträglich entstellt ist, kann nicht zweifelhaft sein, dass das Kommen Jeschus zur Johannestaufe ein fester Bestandteil von Q gewesen ist; vor allem wegen seines fortwirkenden Beispielcharakters. 86 Dass Jeschu aus Galiläa an den Jordan kam, das heißt an eine von mehreren Taufstellen des Täufers im Jordantal (siehe Q 1,2), dieser Tatbestand setzte voraus, dass kurz vorher beide Nachrichten nach Galiläa gelangt sein müssen: die von der Botschaft des Johannes „Die Gottesherrschaft ist da!“ und die von seiner Taufe. Fast scheint es, als sei diese doppelte Nachricht das Signal gewesen, auf das Jeschu gewartet hatte und das ihn veranlasste, seine Tätigkeit als der „Kommende“ aufzunehmen. Q 2,2.3 Dieser Q-Text beschreibt eine der wichtigsten Augenblicke im Leben Jeschus: seine Berufung zum Propheten. Und wie bei allen Propheten Israels vor ihm, so war auch bei Jeschu mit seiner Berufung der Empfang des heiligen Geistes verbunden (wörtlich: des Geistes der Heiligkeit = Gottes). Dieser Geist aber, das ist sicher, war in Israel und war auch für Jeschu nie etwas anderes als der Geist der Prophetie: eine inspirierende „Kraft aus der Höhe = Gottes“, so nach seiner eigenen Definition (Lk 24,49). Doch wenn der heilige Geist in Q 2,2 eine Kraft Gottes ist, worauf zielt dann das Wie in dem Satzteil wie eine Taube? (NTG-Text). Etwa auf die Art, in der Tauben herabkommen? Das ist unmöglich. Denn auf allen Darstellungen des heiligen Geistes wird er selbst als Taube dargestellt. Nach dem Wie in dem Satzteil wie eine Taube zu fragen, führt also in die Irre. Und nicht nur das: Schon das Wort Taube führt in die Irre. Ans Ziel führt nur die folgende Frage: Wie sah die aramäische Buchstabenfolge aus, die als wie eine Taube gelesen und missverstanden werden konnte? 87 Sie kann nur so ausgesehen haben: kjwn. Diese vier Konsonanten können auf zweierlei Weise gelesen und gedeutet werden. Entweder als kejôn „wie eine Taube“, oder als kêwan „geradewegs, direkt“. Und welche der beiden Deutungen trifft das Gemeinte? Da wie eine Taube sinnwidrig ist (siehe oben), kann nur geradewegs, direkt richtig sein. Bestätigt wird dieser Befund durch das Q 2,2 abschließende „und auf ihm blieb“. Denn andernfalls hätte die Taube auf ihm bleiben müssen. Und wer war es, der den Geist Gottes auf Jeschu herabkommen und bleiben sah (vielleicht als ein Lichtstrahl aus geöffnetem, im Übrigen also bewölktem Himmel)? Es war Johannes. Und er bezeugte es so (Jh 1,32, wörtlich übersetzter NTG-Text): „Ich habe geschaut (visionär) den Geist herabkommend … vom Himmel, und er blieb auf ihm.“ [Im SText zu Jh 1,32, dem ältesten Evangelium, das wir haben, fehlt wie eine Taube. Ist das nicht auffällig?!] Was im NTG-Text von Q 2,3 eine Stimme aus den Himmeln genannt wird, das war eine so genannte Himmelsstimme; das heißt jene Art göttlicher Kundgebung, die sich nach dem Erlöschen des prophetischen Geistes eingestellt hatte, der in den Propheten wirksam war. Die NTG-Wiedergabe eine Stimme aus den Himmeln verrät, dass den frühchristlichen Übersetzern von Q 2,3 der Begriff Himmelstimme (aram. berat qala’, wörtl. „Tochterstimme“) unbekannt war. Jene Stimme, ein übersinnliches Phänomen, war nur auf übersinnliche Weise wahrnehmbar. Daher wurde sie allein von Jeschu vernommen. Was sie sagte – mit einem Zweizeiler –, war nicht mein geliebter (NTG-Text), sondern, wie im hebräischen Text von Jes 42,1: mein Auserlesener. Dazu ist zu ergänzen: Die Grundbedeutung des aramäischen Wortes behîr ist erwählt, jedoch 88 im Sinn von sorgfältig prüfend aus einem Ganzen ausgewählt; daher denn auch mein Auserlesener. Das Ich in an dem ich Wohlgefallen habe (NTG-Text) ist, ebenfalls nach dem hebräischen Text von Jes 42,1, durch mein Selbst zu ersetzen. Hierbei gilt: Mein Selbst (mein Geist-Ich, das Zentrum meiner Person / Persönlichkeit) ist weit mehr als ich. Q 2,4 Dieser Q-Text beschreibt die chronologisch erste Wirkung des Geistes auf Jeschu: er führte ihn (weg vom Kulturland) in die Wüste, in der er gänzlich auf sich allein gestellt war und – sich bewahren und bewähren musste. Welch ein Gegensatz! – Hier der heilige Geist: „die (inspirierende) Kraft aus der Höhe = Gottes“ (Lk 24,49), dort der heillose Geist: die (inspirierende) Kraft aus der Tiefe = Satans. Der eine führte ihn fürsorglich fort, wie ein guter Hirte die Schafe führt. Der andere durfte ihn entführen, um ihn auf die Probe zu stellen: durch satanisch-messianische Verlockungen. Q 2,5 In der Umwelt Jeschus hieß fasten, für eine bestimmte Zeit vollständig auf Nahrung zu verzichten. Der Ursprung des Fastens lag wahrscheinlich in der Totenklage. Gewöhnlich dauerte es vom Morgen bis zum Abend (Ri 20,26; 1Sm 14,24; 2Sm 1,12). Es konnte aber auch drei Tage (Est 4,16) oder sieben Tage (1Sm 31,13; 2Sm 3,35), ja sogar drei Wochen dauern (Dan 10,2.3). 89 Es gab vielerlei Anlässe zum Fasten: Gott zum helfenden Eingreifen zu bewegen, Vergebung zu erlangen, Befreiung von Sorge und Not, Abwendung eines Unglücks, Erfüllung einer Bitte und – um für eine Offenbarung Gottes aufnahmebereit zu sein (2Mo 34,28). Und warum fastete Jeschu? Wahrscheinlich, um Klarheit über sein künftiges Wirken zu gewinnen und sich darauf vorzubereiten – durch eine Offenbarung Gottes. Und warum fastete er vierzig Tage und vierzig Nächte? Als ein Zehnfaches von vier symbolisiert die Vierzig die Ganzheit und die Totalität. Überdies ist die 40 die Zahl der Erprobung. Und da ihr Symbolwert die Zeit im Vollzug ist, hatte die Erprobung nach ihrem Vollzug ein Ende. Für Jeschu galt daher: Er sollte nicht nur während einer bestimmten Zeit erprobt werden, er wollte es, und er wollte es ganz und total: um für das, was auf ihn zu kommen werde, gewappnet zu sein. Q 2,6.7 Der Text Q-2,5 endete damit, dass Jeschu nach seinem langen Fasten hungrig war; und zwar ohne Aussicht darauf, seinen Hunger kurzfristig stillen zu können Sicherlich geschah es nicht zufällig, dass der Satan zu genau diesem Zeitpunkt an ihn herantrat, einen Stein ergriff und ihn aufforderte (so Q-Lk 4,3 gegen Q-Mt 4,3): Wenn du der Auserlesene Gottes bist – befiehl diesem Stein, dass er zu Brot werde! Hier gilt: Diese Aufforderung Satans wäre absurd gewesen und Jeschus von Gott gebilligte Erprobung eine Farce, 90 wenn er nicht vermocht hätte, was der Satan als Beweis für seine Auserlesenheit von ihm forderte. Diese erste Verlockung (Q 2,6), eine messianische Verlockung in der Wüste (verbunden mit der Aufforderung Satans, einem Stein zu gebieten, dass er zu Brot werde), bestand darin, dass er das Mannawunder der Wüstenwanderung wiederhole und sich dadurch als zweiter Mose erweise. Jeschus Reaktion darauf (Q 2,7) war kurz: lediglich ein Verweis auf 5Mo 8,3 (hebräischer Text). Q 2,8.9 Was auf die erste Verlockung folgte – dass der Satan Jeschu nach Jerusalem entführte –, auch das geschah nicht zufällig, sondern war eine wohl bedachte Steigerung. Wäre der NTG-Text von Q-Mt 4,5 und Q-Lk 4,9 zuverlässig, dann hätte der Satan Jeschu in Jerusalem auf ein Flügelchen des Tempels gestellt (so die wörtliche Übersetzung). Aber: Was war mit dem Flügelchen gemeint? Über diese Frage ist viel gerätselt worden; ohne dass die Übersetzer und Ausleger dort geforscht hätten, wo sie fündig geworden wären: bei den syrischen Übersetzungen und bei Flavius Josephus („Der jüdische Krieg“ II, 1: Buch V, 207; ed. O. Michel / O. Bauernfeind [1963], Seite 139). Gemeint war danach: das flache Dach einer der beiden Flanken der Vorhalle des Jerusalemer Tempelhauses (von Josephus und syrischen Evangelienübersetzern Schultern genannt). Die richtige Übersetzung wäre also: auf eine Schulter des Tempelhauses. Die Höhe der Schultern betrug, je nach Umrechnung des von Josephus angegebenen Maßes, entweder 52,5 m oder 46,2 m oder 44,4 m. 91 Dieses Mal forderte der Satan von Jeschu als Beweis für seine Auserlesenheit (so Q-Lk 4,9 gegen Q-Mt 4,6): Wenn du der Auserlesene Gottes bist – stürze dich hinab von hier! Das heißt (siehe oben) von einer tödlichen Höhe. Und wieder gilt hier: Diese Aufforderung Satans wäre absurd gewesen und Jeschus von Gott gebilligte Erprobung eine Farce, wenn er nicht vermocht hätte, was der Satan als Beweis für seine Auserlesenheit von ihm forderte. Diese zweite Verlockung (Q 2,8), eine gesteigerte messianische Verlockung auf einer der beiden Schultern des Tempelhauses (verbunden mit der Aufforderung Satans, sich hinunterzustürzen), bestand darin, dass er im religiösen Zentrum seines Volkes ein Schauwunder vollbringe und sich dadurch als der politische Messias Israels offenbare. Und wieder war Jeschus Reaktion darauf (Q 2,9) kurz: lediglich ein Verweis auf 5Mo 6,16 (hebräischer Text). Q 2,10-12 Was auf die zweite Verlockung folgte – dass der Satan Jeschu auf einen sehr hohen Berg stellte –, auch das geschah nicht zufällig, sondern war eine weitere Steigerung. Wäre der NTG-Text von Q-Mt 4,8.9 und Q-Lk 4,5-7 zuverlässig, dann hätte der Satan Jeschu lediglich auf einen sehr hohen Berg entführt (Q-Mt) beziehungsweise hinaufgeführt (ohne den Berg zu erwähnen Q-Lk). Warum? Um ihm (QLk zusätzlich, aber korrekt: in einem Augenblick) alle Reiche der Welt zu zeigen – als ob das im körperlichen Normalzustand des Menschen möglich sei. 92 Ganz anders der S-Text (der Text des viel zu wenig beachteten ältesten Evangeliums, das wir bislang hatten). In ihm lautet der fragliche Textteil von Q-Lk 4,5: er ließ ihn aufsteigen. Das ist zwar nicht richtig, ist aber geeignet, das Richtige zu finden, nämlich: er ließ [seinen Geist] austreten. Die zugrunde liegenden Verben (’assêq „er ließ aufsteigen“ und ’appêq „er ließ austreten“) unterscheiden sich in nur einem Buchstaben. Denn geschrieben wurden nur ’sjq und ’pjq, sodass sich der Fehler im geschriebenen Text auf eine Verwechslung von s und p reduziert. Der Unterschied zwischen dem S-Text von Q-Mt und Q-Lk ist wohl so zu erklären: Der Q-Mt-Übersetzer verstand seine Vorlage gar nicht. Daher übersetzte er sie falsch. Nämlich so, als ob es im körperlichen Normalzustand des Menschen möglich sei, alle Reiche der Welt zu sehen. Der Q-Lk-Übersetzer verstand seine Vorlage zwar auch nicht richtig, beschränkte sich aber darauf, ihn so zu deuten und wiederzugeben, wie er ihn verstand. Und da er sich unter er (Satan) ließ seinen (Jeschus) Geist austreten offensicht-lich nichts vorstellen konnte, ließ er seinen Geist aus und schrieb er (Satan) ließ ihn (Jeschu) aufsteigen. Dass dieses Wort für sich allein keinen annehmbaren Sinn ergibt, ließ er zum Glück unberücksichtigt und ermöglichte so die obige Rekonstruktion seiner Vorlage und dadurch, ergänzt durch seinen Geist, die einzige sinnvolle Wiedergabe des Urwortlauts. Denn soviel ist gewiss: Wenn überhaupt, dann konnte der Satan Jeschu nur außerhalb seines körperlichen Normalzustandes in einem Augenblick alle Reiche der Welt zeigen; das heißt: nachdem sein Geist-Ich aus seinem Körper ausgetreten war. Dass dieser Tatbestand für den frühchristlichen QÜbersetzer nicht nachvollziehbar war, ist nicht verwunder- 93 lich. Denn nachvollziehbar ist er den meisten heutigen Christen ja immer noch nicht. Obwohl sie dieses Phänomen (den auch Paulus rätselhaft geliebenen Zustand der Ausleibigkeit) in 2Ko 12,2-4 nachlesen könnten. Diese dritte Verlockung (Q 2,10-12), eine nochmals gesteigerte messianische Verlockung, vermutlich ( ! ) auf einem der Gipfel des Hermongebirges (verbunden mit der Aufforderung Satans, sich vor ihm niederzuwerfen und ihm zu dienen), bestand darin, dass er auf seinen Vorschlag eingehe, als politischer Messias die Weltherrschaft anzutreten. Wohlgemerkt: An Satans statt, als sein Stellvertreter! Man bedenke dabei: Er hatte zu Jeschu gesagt: „Mir wurde sie (die Macht über alle Reiche der Welt) übergeben! Und ich übergebe sie, wem ich will!“ Und Jeschu hatte ihm nicht widersprochen. – Weil es so war und immer noch so ist. Und wieder war Jeschus Reaktion darauf (Q 2,13) kurz: lediglich ein Verweis auf 5Mo 6,13 (hebräischer Text). Mit dieser letzten messianischen Verlockung hatte Jeschu allen widerstanden. Doch dieses Ergebnis seiner Erprobung stand schon vorher fest. Denn er wusste nur zu gut, dass er andernfalls seinem Selbst, seinem Geist-Ich, geschadet hätte (Mt 16,26 / Mk 8, 36 / Lk 9,25, RÜ-Text): Was würde es MIR nützen, jedermann zu gewinnen (oder: die ganze Welt) und dadurch meinem Selbst zu schaden? Und es war dieser Sieg über den Satan, dem Jeschu seine Macht über die Dämonen zuschrieb (Mt 12,25-29 / Mk 3,23-27 / Lk 11,17-22). Aber: Wenn dies gilt, dann gilt es festzuhalten, dass Jeschu den Satan nicht als eine Verkörperung des Böses erlebte und erlitt, sondern als den Bösen. [Ohne die Anerkenntnis dieser Tatsache war (und ist) es unmöglich, den Sinn seiner Sendung richtig zu verstehen.] 94 Q 2,14 Dass der Satan zeitweilig von Jeschu abließ, zeigte an, dass er sich fürs Erste geschlagen gab. Und dass Engel Jeschu bedienten (hier: mit Nahrung stärkten, so nur Q-Mt, jedoch beglaubigt durch Mk 1,13), ist keineswegs frommes Blattgold, sondern war unbedingt notwendig nach den schweren körperlichen und geistigen Belastungen, denen er sich während seiner Erprobung ausgesetzt hatte. Q 2,15 Diese Q-Notiz ist unverzichtbar; nicht nur als Überleitung zum Folgenden, sondern auch, weil das, was folgt, Jeschus Rückkehr nach Galiläa und sein dortiges Lehren voraussetzt. Woher wären denn sonst seine Schüler und die Hörer seiner so genannten Bergpredigt gekommen? Die ursprüngliche Fassung wird in Q-Lk 4,14.15 enthalten sein. Dass die Fragmente derselben Notiz Q-Mt 4,12 und 23 so weit auseinander liegen, mag befremden, ist aber, bei der Arbeitsweise der Q-Verfasser, nicht auszuschließen. Q 3,1 Im Lukasevangelium ist dieser Q-Text sowohl die Einleitung zur Berufung der Zwölf, des inneren Schülerkreises Jeschus, als auch die Einleitung zur so genannten Feldrede. Es war nicht irgendein Berg, auf den er stieg, sondern der Berg, das heißt ein bestimmter, zur Q-Zeit im Kreis seiner Schüler allgemein bekannter Berg. 95 Dass Jeschu hinausging, meint offenbar, dass er Kafarnaum, seinen Wohnort, verließ. Und dass er auf dem oben erwähnten Berg, unweit Kafarnaums, im Gebet (einschließlich Meditation) übernachtete, lässt darauf schließen, dass er sich – im Einvernehmen mit seinem Gott und Vater – darüber klar werden wollte, welche Zwölf er aus dem Kreis seiner Schüler erwählen solle. Q 3,2 Dass Jeschu die Zwölf aus seinen Schülern erwählte, muss bedeuten, dass er bereits eine größere Anzahl von Schülern hatte; anderfalls hätte er keinerlei Wahl gehabt. Und dass er sie Sendboten nannte (aram. šelîhîn „Gesandte, Sendboten“), sollte bewirken, dass sie künftig ihr Leben mit seinem Leben und ihre Sendung mit seiner Sendung zu verknüpfen hätten. Und es sollte besagen, dass er sie als ihr Lehrer und Meister schulen werde, bis sie imstande seien, seine Sendung in seinem Sinne durch ihre Sendung fortzuführen. Das aber war ein Prozess, der mit seinem Weggang von ihnen noch längst nicht abgeschlossen war. Q 3,3-5° Diese drei Langzeiler – Wohlrufe Jeschus, „Seligpreisungen“ ist ein irreführender Ausdruck – galten ausschließlich den Zwölf, die inzwischen von seinen übrigen Schülern abgesondert gewesen sein werden. Sie galten also seinen jetzt Armen, Hungrigen und Traurigen, wobei das Jetzt einem Von jetzt ab nahe kommt. 96 Denn ihm jetzt zu folgen, bedeutete für sie, dass sie alles, was sie besessen hatten, verlassen mussten. Das aber hieß: von jetzt ab arm zu sein, oft auch hungrig und traurig. Doch dafür verhieß er ihnen, dass sie nach ihrem Sterben (in der „jenseitig-geistigen Himmelsherrschaft“, der geistigen Welt Gottes) reich, gesättigt und getröstet würden. Mehr als das hatte er ihnen nicht in Aussicht zu stellen. Doch er wusste – aufgrund seines vorgeburtlich-jenseitigen Wissens, auf das er Zugriff gehabt haben wird (Jh 7,29; 8, 55.58) –, dass das unendlich viel mehr ( ! ) sein werde, als diesseitig-materielle Menschen sich vorstellen können, und nicht etwa bloß eine billige Vertröstung. Nachtrag: Das gegenwartsbezogene Selig seid ihr! (NTGText) vermittelt einen völlig falschen Sinn. Nach dem Bedeutungswörterbuch (Duden 10) bedeutet es zutiefst beglückt und zufrieden sein. Dass seine Schüler, die damals Armen, Hungernden und Trauernden das unmöglich sein konnten, ist offenkundig. Anders war es um Jeschus zukunftsbezogenes Wohl euch! bestellt. Denn das war seit biblischen Zeiten zugleich auf Gott bezogen und von ihm her zu deuten. Und nur weil es so ist, war es brauchbar für Jeschu. Und da, wo der NTG-Text euer ist das Reich Gottes hat, da lautet der RÜ-Text ihr werdet reich werden. Warum? Der Hauptgrund theologischer Natur war: Das so genannte „Reich Gottes“ (eine fatale Fehlübersetzung; korrekt wäre: „Himmelsherrschaft“) könnte, wenn es das gäbe, nur Gott gehören und niemandem sonst! Dass es Menschen gehören könnte – noch dazu im Plural! –, ist ein unsinniger Gedanke, den man Jeschu nicht unterstellen darf. Der fast ebenso gewichtige Grund sprachlicher Natur war: Im zweiten und im dritten Wohlruf stellte Jeschu einander gegenüber: hungrig sein und gesättigt werden sowie traurig 97 sein und getröstet werden; also jeweils dem diesseitigen Zustand dessen jenseitige Umkehrung. Aus der aber folgt zwingend, dass Jeschu im ersten Wohlruf dem arm sein ein reich werden gegenübergestellt haben muss (vgl. Jak 2,5). Wer auch immer seinen exakt parallel geformten Wortlaut in den Wortlaut veränderte, der im NTG-Text vorliegt, der befürchtete offenbar, dass die Wiedergabe reich werden diesseitig-materiell missverstanden werden könnte. Doch das brauchte Jeschu (schon wegen des einleitenden Wohl euch! und mehr noch wegen dessen Gott- und Jenseitsbezogenheit) nicht zu befürchten. Q 3,6 Dieser Doppel-Zweizeiler ist ein völlig neues Jeschuwort. Dennoch ist es ein Ausspruch, der ihm zuzuschreiben ist. Wiederhergestellt wurde er aus dem NTG-Text von QLk 6,22.23.26 und Q-Mt 5,11.12. Allein aufgrund der Formmerkmale jeschuanischer Poesie; und zwar gestützt auf den Zweizeiler Q-Lk 6,26 (RÜ-Text): Aber wehe euch, sooft sie euch loben werden! Denn ebenso taten ihre Vorfahren den Lügenpropheten. Die poetische Form dieses Zweizeilers, eingeleitet mit Aber wehe euch!, fordert als Entsprechung einen ebenso geformten Zweizeiler, eingeleitet mit Wohl euch! Den galt es zu suchen; und – wie nicht anders zu erwarten war, fand er sich in Q-Lk 6,22.23 (RÜ-Text): Wohl euch, sooft sie euch schmähen werden! Denn ebenso taten ihre Vorfahren den Propheten. Mit diesem Doppel-Zweizeiler sagte Jeschu den Zwölf voraus, dass sie von ihren Mitbürgern wegen ihrer Sendung 98 in seinem Dienst geschmäht würden. Doch das sei (zwischen den Zeilen gelesen) bei seiner Botschaft, die sie in seinem Auftrag zu verkündigen hätten, nicht befremdlich. Denn damit widerfahre ihnen genau das, was den Propheten von deren Vorfahren widerfahren war. Und das quittierte Jeschu mit seinem Wohl euch! Denn wenn sie von ihren Mitbürgern geschmäht würden, lasse das darauf schließen, dass sie seine Botschaft treu bewahrt hätten. Umgekehrt sei es (zwischen den Zeilen gelesen) bedenklich, wenn sie bei der Botschaft, die sie in seinem Auftrag zu verkündigen hätten, von ihren Mitbürgern gelobt würden. Denn damit widerfahre ihnen genau das, was den Lügenpropheten von deren Vorfahren widerfahren war. Und das quittierte Jeschu mit seinem Aber wehe euch! Denn wenn sie von ihren Mitbürgern gelobt würden, lasse das darauf schließen, dass sie seine Botschaft verfälscht hätten. Im Übrigen ist es sehr zu bedauern, dass im NTG-Text zu Q-Mt 5,11.12 nur der Wohlruf Jeschus erhalten geblieben ist; noch dazu entstellt durch die Fehlübersetzung von qammajhôn „ihre Vorfahren“ in qammêkôn „vor euch“. Dieser Fehler lässt sich aber leicht erklären; und zwar als Vertauschung des aramäischen h mit einem k. Q 3,7 Auch dieser Doppel-Zweizeiler ist ein völlig neues Jeschuwort. Dennoch ist es, wie der voranstehende DoppelZweizeiler, ein Ausspruch, der ihm zuzuschreiben ist. Diesmal wurde er herausgelöst aus dem NTG-Text von Q-Lk 6,22.23 und Q-Mt 5,11.12; und zwar wieder allein aufgrund der Formmerkmale jeschuanischer Poesie. 99 Mit dem ersten Zeilenpaar ergänzte Jeschu das Wort schmähen des ersten Zweizeilers von Q 3,6 durch die Dreiung hassen, verachten und in schlechten Ruf bringen. Natürlich wegen seiner Botschaft, die seine Zwölf in seinem Auftrag zu verkündigen hätten. Und mit dem zweiten Zeilenpaar ermunterte er sie zur Freude statt zur Trauer darüber und stellte als Umkehrung dafür eine große Belohnung in den Himmeln in Aussicht; also in der jenseitig-geistigen Himmelsherrschaft, nämlich: nachdem sie gestorben sein werden. Q 3,8 Dieser Dreizeiler ist das Markenzeichen der wahren Schülerschaft Jeschus. Seine poetische Form ist die einer dreistufigen Treppe. Soll das anschaulich werden, so empfiehlt es sich, die Stufenfolge auf den Kopf zu stellen: der gütig ist – auch zu den Bösen! 3 sodass ihr euch als Kinder Abbas erweist, 2 Erbarmt euch über die, die euch anfeinden, 1 Die unterste Stufe nennt die Voraussetzung für die wahre Jeschu-Schülerschaft; die mittlere weist auf deren Ziel hin; die oberste gibt die Begründung für die mittlere und die unterste an. Mit anderen Worten: Nur wer sich über die, die ihn anfeinden, erbarmt, erweist sich als jemand, der Abba nahe steht, wie sein Kind. Und wer das tut, der tut nichts anderes als das, was Abba schon immer getan hat. Übrigens: In einem Dreizeiler trägt immer die dritte Zeile den Ton. Das bedeutet: Nach Jeschus unmittelbarer Kenntnis ist Gott die Güte in Person. Das aber schließt al- 100 les aus, was der Güte widerstreitet; also auch Zorn und Vergeltung, um wie viel mehr dann die ewige Verdammnis! Wer dergleichen lehrt, soviel ist sicher, der kann sich auf Jeschu nicht berufen. Und um dies unmissverständlich einzuprägen und so, dass nicht daran zu rütteln ist, fügte er seinem der gütig ist betont hinzu: auch zu den Bösen. Zur zweiten Zeile ist klarzustellen, dass Jeschu nicht damit gemeint hat, sondern sodass. Denn hätte er damit gemeint, dann hätte er das Erbarmen seiner Schüler einem egoistischen Zweck untergeordnet und dadurch entwertet. Dadurch aber, dass er sodass gemeint hat, verhinderte er den egoistischen Missbrauch des Erbarmens seiner Schüler und gab ihm einen ethisch einwandfreien Impuls – ein immerwährend anzustrebendes Ziel. Und zur ersten Zeile ist es wichtig, zu betonen, dass Jeschu nicht so töricht war, von seinen Schülern zu erwarten, sie seien imstande, ihre Feinde zu lieben (so der NTGText). Das kann nicht nur niemand, sondern das wäre auch unvernünftig, ja selbstmörderisch. Das aber, was er von ihnen erwartete – dass sie sich derer erbarmen, die sie anfeinden –, das war (und ist) die einzige vernünftige Einstellung, solchen Menschen gegenüber (vgl. hierzu „Worte des Rabbi Jeschu“, Seite 109). Denn es könnte sie, wenn auch nicht zu Freunden machen, so doch zumindest entfeinden. Q 3,9 Diese Ortsnotiz über Jeschus Abstieg von dem Berg (auf dem er aus einer größeren Anzahl seiner Schüler die Zwölf erwählt hatte und auf dem er anschließend eine kurze Ansprache an sie gehalten hatte) leitet über zu seiner so ge- 101 nannten Bergpredigt, einer längeren Ansprache an die Vielen, die er nach Q-Mt 5,1 sitzend vortrug. Dass Jeschu unmittelbar nach der Zwölferwahl zwei Ansprachen hielt – eine auf dem Berg, vermutlich stehend, die andere, etwas weiter unten am Berg, sitzend –, ist mehr als wahrscheinlich. Dafür, dass es so ist, gibt es zwei deutliche Anzeichen. Erstens: die im Stopfstil gebündelten Hörerangaben in QLk 6,17.20 und Q-Mt 5,1.2; zweitens: vor allem die Tatsache, dass es zwei verschiedene Fassungen von je drei eng miteinander verknüpften Wohlrufen Jeschus gibt: die Q-LkFassung in Lk 6,20.21, formuliert in der 2. Prs. pl., gerichtet an die Zwölf, und die Q-Mt-Fassung in Mt 5,3.6.4, formuliert in der 3. Prs. pl., adressiert an die Vielen. [Was außer diesen Wohlrufen noch zu den beiden Ansprachen gehört hat, ist ungewiss. Denn das, was uns vorliegt, sind Einzelworte und Spruchgruppen Jeschus etc., die lose miteinander verbunden sind, häufig durch gleich oder ähnlich lautende Stichwörter verknüpft.] Sicher ist jedoch, dass es nicht gerechtfertigt ist, eine der beiden Fassungen seiner Wohlrufe Jeschu abzusprechen und für eine Umformung der anderen zu halten. Das kann nur dem plausibel erscheinen, der es versäumt hat, sich um die poetische Redeweise Jeschus zu bemühen und der daher außerstande ist, zwischen seiner internen Schülerunterweisung und seiner externen Verkündigung an die Vielen zu unterscheiden. Denn: Es sind vor allem poetische Merkmale, durch die sich die Lk-Fassung (Lk 6,20.21) von der Mt-Fassung (Mt 5,3.6.4) unterscheidet; und zwar derart, dass es nicht gestattet ist, eine der beiden als sekundär zu betrachten. Sondern: Beide Fassungen sind Variationen desselben Themas. 102 Sind sie das aber, dann folgt daraus (siehe oben), dass Jeschu zwei Ansprachen gehalten hat: eine kurze, eingeleitet mit drei Wohlrufen in der 2. Prs. pl. (so Q-Lk) und eine längere, eingeleitet mit drei Wohlrufen in der 3. Prs. pl. (so QMt). Dass keiner der beiden Verfasser beide Fassungen bot, ist verständlich. Um so mehr ist es als Glücksfall zu werten, dass beide Fassungen erhalten geblieben sind: als zwei Variationen desselben Themas (siehe Anhang, unter „Variationen“, Seite 320). Nachtrag: Der NTG-Text zu Q-Lk ist ungenau. Statt er stellte sich (Q-Lk), hat Q-Mt er setzte sich. Das wird richtig sein; andernfalls hätte der Verfasser das nicht so betont (Begründung weiter unten). Aber was wird dann aus der Fortsetzung auf einen ebenen Platz (NTG-Text zu Lk 6,17)? Kein Problem! Das aramäische Wort kibša’ kann u. a. „der geebnete Platz“ bedeuten, aber auch „der Schemel“ oder „der Sitz“. Hier wird das Letztere gemeint sein. Zu fragen ist allerdings: Und woher nahm Jeschu den Sitz, auf den er sich setzte? Hierzu findet sich bei J. Levy, „Wörterbuch über die Talmudim und Midraschim“ II (1963 = ²1924), Seite 293, folgende Notiz: „ … der Tritt, Sitz, Schemel, d. h. ein Ggst., worauf man tritt oder sich setzt. Pl. Erub. 34b … gehet und bereitet Sitze (aus Weiden, die ihr mit Steinen belasten sollt) auf der Wiese, damit wir uns morgen daraufsetzen.“ Da Jeschu das, was er für den folgenden Tag vorhatte, offensichtlich sorgfältig geplant hatte (Woher wären denn sonst wohl am nächsten Morgen seine Schüler und die Vielen prompt zur Stelle gewesen?), wird er sicherlich auch an den Sitz gedacht haben, auf den er sich setzen wollte: vor allem, weil es für einen jüdischen Lehrer Brauch war, sitzend zu lehren. 103 Q 3,10 Diese Situationsangabe ist Wort für Wort in Q-Lk 6,1719 und Q-Mt 5,1.2 enthalten; sie ist dessen Kernaussage. Was der Text darüber hinaus zu bieten hat, ist eine Aufreihung von Unwahrscheinlichkeiten und Unmöglichkeiten. Dies betrifft alles: sowohl den Ort und die Gegenden, aus denen, als auch die Gründe, deretwegen die vielen Leute zu Jeschu gekommen sein sollen. Nicht zuletzt auch den unerhörten Tatbestand, dass er ausnahmslos alle Kranken von ihren Krankheiten und Plagen geheilt haben soll. Man bedenke: ganz nebenbei, während und obwohl er auf einem Sitz saß, von dem aus er zu ihnen sprach. Q 3,11-13° Diese drei Zweizeiler, zugleich Wohlrufe Jeschus, galten den Übrigen seiner Schüler und den Vielen, die ihm zuhörten. Was ihre Hauptaussagen und deren Zusagen betrifft, so decken sie sich inhaltlich mit denen seiner drei Wohlrufe an die Zwölf (siehe zu Q 3,3-5). Wenn auch, dem Tat-und-Tatfolge-Zusammenhang entsprechend, auf je verschiedenen Ebenen der jenseitig-geistigen Himmelsherrschaft. Davon also, dass vor Gott alle Menschen gleich seien, kann hiernach keine Rede sein. Er ist zwar gütig, auch gegenüber den Bösen, aber dass Böse den Nicht-Bösen gleich gestellt seien, das ist ein törichter Irrtum und Gott nicht angemessen – weil er eben nicht nur gütig ist, sondern auch in einem wohl ausgewogenen Verhältnis dazu gerecht. Es ist erschütternd, festzustellen, dass Jeschuworte, wie Q 5,6-13, so gut wie vollständig verdrängt werden. 104 Q 3,14* Dieser Q-Lk-Text ist eine hoch brisante Rarität unter den Worten Jeschus. Er ist ein Vierzeiler, adressiert an seine Schüler. Seine poetische Form ist die einer vierstufigen Treppe. Soll das anschaulich werden, so empfiehlt es sich, die Reihenfolge der Zeilen auf den Kopf zu stellen: Betet für die, die euch Böses antun! 4 Segnet die, die euch verfluchen! 3 Tut Gutes denen, die euch hassen! 2 Erbarmt euch über die, die euch anfeinden! 1 Diese vier Imperativsätze verdienten es, in Bronze gegossen und über dem Portal jeder Kirche angebracht zu werden – als ein ebenso hohes wie tiefes Vermächtnis dessen, den die Christenheit ihren Herrn nennt. Der erste (= unterste) nennt die Voraussetzung für die wahre Jeschu-Schülerschaft (siehe zu Q 3,8); der zweite führt über den ersten hinaus, der dritte über den zweiten und der vierte über den dritten. Ihnen entsprechen sowohl die Steigerungen auf der Habenseite (angefeindet werden, gehasst werden, verflucht werden, Böses erleiden) als auch die Steigerungen auf der Sollseite (sich erbarmen, Gutes tun, segnen, beten für). Dieser Forderungen-Katalog Jeschus klingt so aberwitzig, dass es nicht schwer fällt, sich vorzustellen, dass der eine oder andere Mitmensch, sogar der wohlmeinende, sich vor die Stirn tippt und denkt, so etwas zu fordern sei doch utopisch und spinnert. Aber: Gibt es einen anderen Weg, der zuverlässig herausführen könnte aus dem wahnsinnigen Teufelskreis, in dem die Menschheit in immer rasender werdendem Tempo herumrast und in dem sie sich womöglich selber vernichten 105 wird – wenn nicht wenigstens (zuerst!) das so genannte christliche Abendland zur Besinnung kommt und der heillosen und zutiefst unmenschlichen Gier nach mehr und immer mehr abschwört, von der es unterjocht ist, wie von einer Droge? Doch dies ist nur die uns Menschen im Allgemeinen betreffende Perspektive, die sich aus den vier Forderungen Jeschus ergibt. Aus ihnen ergibt sich aber noch eine zweite, alle Kirchen betreffende Perspektive. Und die gipfelt in der Forderung, sie müssen sich endlich und endgültig von ihrer unjeschuanischen Vorstellung verabschieden, der Gott, den Jeschu verkündigt und den er Abba genannt hat, sei zwar ein liebender, sei aber auch ein zürnender, rächender, vergeltender, in die ewige Verdammnis stürzender Gott. Denn wenn Jeschu von uns Winzlingen fordert, dass wir uns derer erbarmen, die uns anfeinden, dass wir denen Gutes tun, die uns hassen, dass wir die segnen, die uns verfluchen und dass wir für die beten, die uns Böses antun – wäre es dann nicht eine Ungeheuerlichkeit uns Winzlin-gen gegenüber, wenn der Gott den er Abba genannt hat, dem obigen Forderungen-Katalog Jeschus nicht auch ge-recht würde?! Wenn er also auf keinen Fall zürnen, rächen, vergelten und in die ewige Verdammnis stürzen würde, wie mehr oder weniger intensiv von allen Kirchen verkündigt und gelehrt wird?! Q 3,15 In diesem Q-Lk-Text – einem Einzeiler, verbunden mit einem Doppel-Halbzeiler, gerichtet an Außenstehende – ist zusammengestellt, was nicht zusammenzupassen scheint: 106 dem Mitmenschen Gutes zu tun und ihm zu leihen, um was er bittet. Doch der Schein trügt; denn zur Zeit Jeschus und in seiner für uns unvorstellbar ärmlichen Umwelt war eine Leihgabe für den, der sie empfing (anders als in unserer Überflussgesellschaft), allemal eine gute Tat. Was hätte der Bittsteller denn tun sollen, wenn er in Not war und wenn er das, was er von seinem Nachbarn geliehen zu bekommen hoffte, nicht bekommen würde? Zu seiner Not wäre dann ja noch der Schmerz über eine enttäuschte Hoffnung hinzugekommen. Und genau das war es, was Jeschu verhindert wissen wollte, als er hinzufügte: Ihr sollt nicht abschneiden die Hoffnung eines Menschen (so S, C und P, der NTG-Text ist verstümmelt). Q 3,16-18* Diese Dreiung von Zweizeilern Jeschus, hat vielerlei Fehldeutungen erlitten. Der Hauptfehler war die Unbekümmertheit der Ausleger, mit der sie diese drei Worte Jeschus, adressiert an einen Außenstehenden, in den Rang allgemeingültiger Weisungen erhoben haben, als seien sie verpflichtend für alle seine Schüler oder gar für jedermann (was einen prominenten deutschen Politiker zu der Aussage bewog: „Mit der Bergpredigt kann man nicht regieren!“). Doch jene drei Zweizeiler so pauschal zu deuten, war ein schwerwiegender Fehler: erstens, weil alle drei im Singular formuliert sind, was Jeschu nur dann tat, wenn er sein Wort an einen Einzelnen richtete; zweitens, weil ihre Formulierung darauf schließen lässt, dass es sich bei ihnen um konkrete Antworten auf konkrete Fragen handelte; drittens, weil Jeschu mit diesen so formulierten Antworten eine 107 pädagogische Absicht verfolgte; nämlich die, den Fragesteller – vermutlich einen starken, oft unbeherrschten Mann – Selbstbeherrschung zu lehren. Denn wäre jener Fragesteller ein schwacher und ängstlicher Mann gewesen, dann hätte Jeschu ihm nicht abzuverlangen brauchen, dem, der ihn auf eine Wange schlägt, auch noch die andere hinzuhalten. Er hätte sich ohnehin nicht gewehrt. Im Übrigen hat es sich in den fast 2000 Jahren nach Jeschu als pure Illusion erwiesen, zu meinen, durch einen bloßen Verzicht auf Gegenwehr ließe sich ein Gewalttätiger oder Prozesssüchtiger oder Rücksichtsloser davon abbringen, gewalttätig oder prozesssüchtig oder rücksichtslos zu sein. Im Gegenteil, wie inzwischen durch unzählige Tatsachen bewiesen worden ist. Und außerdem: Jeschu war viel zu realistisch, um sich in Bezug auf das Unmenschliche am Menschen irgendwelche Illusionen zu machen. Daher kann es ihm unmöglich darum gegangen sein, gänzlichen Verzicht auf Gegenwehr um jeden Preis zu lehren und zu praktizieren. Er tat beides nicht! Davon ausgenommen war allein sein Gang nach Golgolta, der für die Erfüllung seiner irdischen Sendung unerlässlich war. Worum es ihm ging, in seiner Lehre und in seinem Handeln, das war: seine Schüler zu lehren und zu veranlassen, sich mit tauglichen und rechtlichen Mitteln zu wehren, ohne dabei Unrecht zu tun – nämlich mit wohl überlegten Worten! Q 3,19 Dieser Doppel-Langzeiler Jeschus, enthält zwei Antworten, wahrscheinlich an einen Außenstehenden, der ihn 108 fragte, wie er sich verhalten solle. Die erste Antwort betraf sein Verhalten gegenüber einem Bittsteller, der etwas von ihm leihen will. Darauf antwortete Jeschu, er solle es ihm leihweise geben; das heißt so, dass der Leihende erkannte, was er bekommt, ist ihm nur geliehen. Diese Antwort klingt normal. Ganz anders die zweite Antwort. Sie betraf das Verhalten jenes Mannes gegenüber einem Kriminellen, der ihn berauben will. Darauf erwiderte Jeschu, er solle ihn nicht daran hindern. Diese Antwort klingt – jedenfalls zunächst – nicht normal. Was mag Jeschu zu dieser Antwort bewogen haben? Folgende Überlegung lässt den Grund erahnen: Der Leihende war offenbar ein Nachbar, also jemand, dessen Verhalten einschätzbar war. Der Kriminelle dagegen war offensichtlich ein Gewalttäter, also jemand, dessen Verhalten nicht einschätzbar war und der bei handgreiflichem Widerstand unversehens zum Mörder werden konnte. Der zugrunde liegende Gedanke Jeschus war demnach: Wegen materieller Dinge sein Leben aufs Spiel zu setzen und es dadurch dem Dienst Gottes zu entziehen, wäre töricht. Q 3,20 Dieser Dreizeiler, die so genannte Goldene Regel, ist eine weisheitliche Regel für das Verhalten zwischen Mensch und Mitmensch, galt und gilt also für jedermann. In der hier bevorzugten Q-Lk-Fassung (2. Prs. pl.) setzt sie ein beim Wollen zugunsten des eigenen Wohlergehens und zielt ab auf ein Sollen zugunsten des Wohlergehens anderer Menschen; und zwar nach dem wie … so-Zusammenhang, das heißt folgerichtig und gleichgewichtig. 109 In der negativen Fassung (2. Prs. sg.) „Was dir verhasst ist, tue deinem Nächsten nicht!“ war diese Verhaltensregel schon in vorjeschuanischer Zeit in seinem Volk bekannt. Sie stammte von Rabbi Hillel (um 20 v. u. Z.), und es ist nicht auszuschließen, dass Jeschu sie gekannt hat. War es so, dann geschah es nicht zufällig, dass er ihr eine positive Form (2. Prs. pl.) gab. Denn erst dadurch wurde sie geeignet, ihm und seiner Lehre zu dienen; und zwar als ein Kernsatz seiner öffentlichen Verkündigung. Q 4,1* Dieser Doppel-Zweizeiler – ein Wort an Außenstehende und an seine Schüler und zugleich ein Bildwort von hohem symbolischem Gehalt, den es zu entschlüsseln gilt – ist ein Q-Text, auch wenn in Q-Lk 6,35 nur ein Bruchstück davon übrig blieb und in Q-Mt 5,45 nur ein Torso: weil Er, Abba ausgelassen wurde. Ein sicheres Anzeichen dafür ist die Tatsache, dass dieser Q-Text und der Textteil, der ihm voransteht (in Q-Mt 5,45: „damit ihr Söhne eures Vaters (Abbas) in den Himmeln werdet“, in Q-Lk 6,35: „und ihr werdet Söhnes des Höchsten sein“), unmöglich zusammengehören können. Dass Er, Abba bei der Verknüpfung mit diesem Textteil ausgelassen wurde, weil es unnötig geworden war, ist zwar verständlich, war aber für den Spruch insgesamt verheerend. Denn dadurch wurde er, und sei es ungewollt, zur Bedeutungslosigkeit degradiert. Nun, nach seiner Wiederherstellung, ist dieser Ausspruch das schönste der Worte Jeschus, die die herrschende Vorstellung von Gott – als einem zwar liebenden, aber auch 110 zürnenden, rächenden, vergeltenden, in die ewige Verdammnis stürzenden Gott – als eine bösartige satanische Verzerrung erweisen. Man bedenke: Jeschu nannte Gott Abba, in unserer Sprache soviel wie „Papa“. Es scheint so, als habe er mit diesem Wort das falsche Gottesbild, das wie ein tödlicher Tumor in den Gehirnen vieler Menschen wuchert, entfernen wollen. Leider ist ihm das nicht gelungen, weder bei seinen direkten Schülern noch bei seinen indirekten Schülern bis heute. Und das, obwohl die Symbolbegriffe seine Sonne und sein Regen allen seinen Hörern vertraut gewesen sein müssen; und zwar seine Sonne als Sinnbild der Güte Gottes und des Herabkommens himmlischer Kräfte der Erleuchtung, vor allem bei geistiger Offenbarung, und sein Regen als Sinnbild des Segens Gottes und des Herabkommens himmlischer Kräfte der Befruchtung, vor allem bei geistiger Belehrung. Es ging Jeschu bei diesem Bildwort also keineswegs nur um die buchstäbliche Sonne und den buchstäblichen Regen. Das wäre doch banal gewesen. Sondern es ging ihm vor allem darum, seinen Schülern und seinen außenstehenden Zuhörern bewusst zu machen, dass die Güte und der Segen Gottes – gegen ihre bisherige Überzeugung – allen Menschen gilt: Guten und Bösen, Gerechten und Ungerechten; und zwar, so ist zu ergänzen, Juden und Nichtjuden, ohne Bevorzugung und ohne Benachteiligung. Alles andere wäre ja auch mit der Gottheit Gottes und mit seinem Vater-Sein aller Geistwesen (in den Himmeln, auf der Erde und in der Unterwelt) unvereinbar gewesen. Doch da diese Tatsache weder von Jeschus direkten noch von seinen indirekten Schülern bis heute je begriffen wurde, wuchert der Tumor in den Gehirnen der Menschen munter weiter. Und er wird solange weiter wuchern, bis die 111 Kirchenoberen, angewidert von ihrer eigenen Engstirnigkeit, ihr bisheriges Gottesbild verabschieden. Q 4,2-4 In der Q-Lk-Fassung ist dieser Text – eine dreiteilige Spruchgruppe, gebildet aus Dreizeilern – adressiert an Außenstehende. Er handelt vom Lieben, vom Gutestun und vom Leihen; von drei Themen also, über die Jeschu wiederholt gesprochen hat. Wahrscheinlich, weil es im sozialen Umfeld seiner Zuhörer notwendig war. In der Q-Mt-Fassung stehen diesem Text zwei Dreizeiler gegenüber, von denen der erste (der über das Lieben) inhaltlich mit ihm übereinstimmt und der zweite (der über das Grüßen) nur formal, wobei unwahrscheinlich ist, dass er von Jeschu stammt – bis auf den Textteil Was tut ihr Besonderes. Denn der steht bei Justin dem Märtyrer (Apologie 1) sowohl in der Strophe über das Lieben (15, 9, verbunden mit dem Wort Hurer; korrekt: Huren) als auch in der über das Leihen (15,10, verbunden mit dem Wort Zöllner). Daraus ist zu schließen, dass dieser Textteil ursprünglich Bestandteil aller drei Strophen gewesen ist. Das bedeutet: Die unpassenden NTG-Textteile (in Q-Lk dreimal was ist euer Dank?, in Q-Mt einmal welchen Lohn habt ihr?) sind durch was tut ihr Besonderes? zu ersetzen. Genauer: durch tut ihr etwa etwas Besonderes? (RÜ-Text). Jeder Teil dieser Spruchgruppe Jeschus ist ein kleines Kunstwerk für sich, geformt mit sparsamsten Mitteln. Jeder besteht aus einer zweigliedrigen Frage, die seine offenbar frommen Zuhörer schockieren musste, und aus einer eingliedrigen Frage, die zugleich die Antwort enthielt. 112 Die erste Frage nötigte sie mit dem betonten etwa, wenn auch nur indirekt, zu der Erwiderung Nein! Doch noch bevor sie ihr Nein! aussprechen konnten, zwang die zweite Frage sie zu einem Ja! Und die erschreckte sie – wahrscheinlich Pharisäer – in jeder der drei Teile mit einem Wort, das ihnen zuwider war: im ersten Teil mit dem Wort Huren, im zweiten mit dem Wort Zollpächter, im dritten mit dem Wort Nichtjuden. Schon diese gezielte Dreiung von für fromme Juden unreinen Menschen reicht aus, das farblose und monotone die Sünder in allen drei Strophen der Lk-Fassung als sinnentstellende Vereinfachung zu erkennen und zurückzuweisen. Meinte der Q-Verfasser oder der Bearbeiter (Lukas?), der diese Spruchgruppe auch sonst sehr unpoetisch wiedergegeben hat, Jeschus zupackende Redeweise beschönigen zu sollen? Vielleicht mit Rücksicht auf die Gebildeten unter seinen Lesern? Q 4,5.6° In den Evangelien-Synopsen stehen diese beiden Zweizeiler – gerichtet an seine Schüler – einander gegenüber, als seien sie Parallelen. Doch das sind sie nur formal, inhaltlich sind sie es nicht; denn die Adjektive barmherzig und vollkommen bezeichnen je etwas völlig anderes. Gott, der vollkommen ist, ist auch barmherzig; aber ein Mensch, der barmherzig ist, ist damit noch lange nicht vollkommen. Er kann es werden. Und nach dem Jeschuwort Q-Mt 5,48 soll er es werden; nämlich: auf seine Weise vollkommen wie Abba. Wenn das so ist, dann gehören Q-Lk 6,36 und Q-Mt 5,48 zwar zusammen, aber nicht als Parallelen, sondern als 113 zwei selbständige Aussagen, von denen die eine (die über den Begriff barmherzig) die unterste Stufe der Entwicklungsleiter des Menschen zur Vollkommenheit beschreibt und die andere (die über den Begriff vollkommen) deren oberste Stufe. So jedenfalls nach Jeschu – wenn man beide Aussagen zusammenstellt und aufeinander bezieht. Sobald man das tut, wird einem bewusst, dass es ein weiter Weg ist vom Barmherzigwerden und Barmherzigsein, wie Gott es ist, zum Vollkommenwerden und Vollkommensein, wie Gott es ist; anders ausgedrückt: dass es ein weiter Weg ist vom Menschlichsein des Menschen zum Göttlichsein des Menschen. Doch genau das ist es, was Jeschu uns vorgelebt hat und was nachzuleben er in jenen beiden Aussagen von uns gefordert hat – als Ziel, nach einem weiten Weg, der damit beginnt, dass wir barmherzig werden, wie Gott es ist. Q 4,7-18* Dieser Q-Text ist ein dreiteiliges Lehrgedicht Jeschus über Wohltätigkeit, Fasten und Beten. Jeder Teil beschreibt in einem Vierzeiler zuerst die falsche Art, Wohltätigkeit zu üben, zu fasten und zu beten. Ihr folgt sein negatives Urteil, eingeleitet mit „Ich sage dir“. Danach schildert ein Vierzeiler deren richtige Art, ergänzt durch sein positives Urteil. Jeder der drei Teile ist, kunstvoll gefügt, nach demselben Muster geformt – kein Wort zu viel und keines zu wenig. So jedenfalls nach dem obigen RÜ-Text, wie er sich aufgrund einer poetischen Bearbeitung des NTG-Textes ergeben hat; nach einem Wortlaut, der sich eben dadurch selbst bestätigt. Denn das ist gewiss: Die poetische Form 114 dieses Textes muss vorgelegen haben; sie kann sich unmöglich hinterher zufällig eingestellt haben. Dass dieses Lehrgedicht über Wohltätigkeit, Fasten und Beten, das heißt über drei typisch jüdische Frömmigkeitsübungen, in Q-Lk fehlt, muss nicht bedeuten, dass es kein Q-Text sein kann. Wahrscheinlicher ist es, anzunehmen, Lukas habe es mit Rücksicht auf seine nichtjüdischen Leser ausgelassen, weil er meinte, es sei für sie von nur geringem oder gar keinen Interesse. Bestätigt wird diese Annahme dadurch, dass Lukas, vermutlich aus demselben Grund, darauf verzichtet hat, aus seiner Mk-Vorlage folgende Erzählungen in sein Evangelium aufzunehmen: sowohl die über das rituelle Abspülen der Hände (Mk 7,1-23) als auch die über die rituell zu deutende Salbung Jeschus in Betanien (Mk 14,3-9; die in Lk 7, 36-50 erzählte Salbung ist nicht sinngleich). Von umso größerem Interesse war jenes Lehrgedicht für die Sendboten Jeschus, die sich in der Zeit, in der die QTexte zusammengestellt wurden, mit seiner Botschaft und seiner Lehre zuerst an die Juden wandten. Schon, um ihnen mitteilen zu können, wie er über Wohltätigkeit, Fasten und Beten geurteilt hatte. Nämlich, dass er sie völlig anders gewertet hatte, als sie es gewohnt waren. Und dass er deren Entartung verworfen hatte, durch die sie zu bloßen Selbstdarstellungen verkommen waren. Vor allem aber, dass er darauf Wert gelegt hatte, dass sie heimlich geschehen sollten und nicht um des Ansehens bei Menschen und um des Verdienstes vor Gott willen. Gegen den obigen RÜ-Text könnte eingewandt werden, er sei das Ergebnis vieler Eingriffe in den NTG-Text. Das ist richtig. Bedacht werden sollte jedoch, dass jener Text, wie der Vergleich ausweist, keine in allen drei Teilen gleich 115 sorgfältige und richtige Übersetzung ist. Es finden sich Textteile in ihm, die falsch, die richtig, die wörtlich und solche, die frei übersetzt und willkürlich ergänzt worden sind. Doch da alle diese Übersetzungsweisen von Textteil zu Textteil wechseln, ergab sich – ein Glücksfall! – dass alle Textteile durch je ihre Paralleltextteile korrigierbar waren. Hinzu kommt noch: Würde jemand den RÜ-Text genauer untersuchen, so würde er finden, dass nur das fehlt, was entbehrlich ist und was sich, weil es Jeschus Redeweise widerspricht, als sekundär erweist. In Mt 6,2 ist das: in den Synagogen und auf den Gassen, in Mt 6,5 ist das: in den Synagogen etc. Alle diese Wendungen sind nur Füllsel, die die poetischen Formen des Ganzen zerstören und seine Aussagen polemisch belasten. Dass sie nicht von Jeschu stammen, ist offenkundig. Sie entsprechen nicht seinem Stil. Daher werden sie im Verlauf der Auseinandersetzungen zwischen Kirche und Synagoge hinzugefügt worden sein. Im Zusammenhang mit der antijudaistischen Tonverschärfung der sich vom Judentum lösenden Kirche. Typisch für die Zeit nach der Zerstörung Jerusalems und seines Tempels; genauer: für die Zeit, nach der Gamaliel II. (Patriarch von ca. 90-110 u. Z.) die Judenchristen zu Ketzern erklärt hatte. Zur Übersetzung insgesamt ist noch anzumerken: Dass der NTG-Text laufend zwischen der 2. Prs. sg. und der 2. Prs. pl. wechselt, ist unerträglich. Die Frage, was vorzuziehen sei, ist aufgrund der Wortstatistik mit 21 : 7 zugunsten des Singulars zu entscheiden. Folglich hat Jeschu mit diesem Lehrgedicht die dreifache Frage nach Wohltätigkeit, Fasten und Beten eines Einzelnen beantwortet, wahrscheinlich eines Mannes, dem er sehr verbunden war. [Seltsamerweise findet sich diese drei- 116 fache Frage auch im Papyrus Oxyrhynchos 654, 5; und zwar als Frage der Zwölf – ein Plus für die Q-Zugehörigkeit.] Und dass der NTG-Text die drei Schluss-Sätze dieses dreiteiligen Lehrgedichts mit Und dein Vater, der Sehende im Verborgenen, wird dir vergelten wiedergibt, ist sinnwidrig. Denn im Verborgenen bedeutet hier heimlich, nicht nur im Aramäischen, sondern auch im Griechischen. Richtig übersetzt, lauten die drei Schluss-Sätze: Und Abba, der auf dich achten lässt – heimlich wird er dir vergelten lassen. Q 4,19 Der Q-Mt-Text dieses Zweizeilers – eines Jeschuwortes an seine Schüler – betrifft nur das richtet nicht, der Q-LkText dagegen betrifft das richtet nicht und das verurteilt nicht (RÜ-Text: Ihr sollt nicht verurteilen!). Was ist davon zu halten? Wenn man bedenkt, dass richten im Sinn von urteilen, beurteilen ein normales und notwendiges Verhalten aller Menschen ist und dass es, als richterlich urteilen verstanden, die alltägliche, normale und notwendige Tätigkeit aller Richter beschreibt, muss es dann nicht als ausgeschlossen gelten, dass Jeschu Ihr sollt nicht richten! geboten habe?! Überdies ist zu bedenken, dass das NTG-Wort krinein u. a. richten und verurteilen bedeuten kann. Kann es das aber, dann ist nicht auszuschließen, dass es sich bei dem Nebeneinander beider Wörter im Q-Lk-Text um Alternativübersetzungen desselben aramäischen Wortes handelt. Wobei richten die falsche und verurteilen die richtige Wiedergabe ist. [Seltsamerweise ist derselbe Fehler in Rö 2,1 noch einmal passiert. Jedoch nur in den herkömmlichen Übersetzungen; denn Paulus wird verurteilen gemeint haben.] 117 Übrigens: Das ihr sollt nicht Jeschus entspricht genau dem du sollst nicht in einigen der „zehn Gebote“. Und sein sodass ihr nicht verrät seine berechtigte Besorgnis um seine Schüler (und um deren künftige Schüler für alle Zukunft). Denn er wusste um die unselige Neigung der Menschen, andere, vor allem anders denkende Menschen zu verurteilen. Und er wusste um die negativen Folgen dieser Neigung für ihr Leben nach dem Sterben: nicht als Strafe, sondern, nach dem Tat-und-Tatfolge-Zusammenhang, als Ernte. Q 4,20 In der ersten Zeile dieses Zweizeilers – eines Jeschuwortes an seine Schüler –, geht es bei den Verben nicht um losgeben und losgegeben werden (so der NTG-Text), sondern um verzeihen und verziehen werden (so der RÜ-Text). Daraus folgt: Die beiden griechischen Verben sagen weniger aus als deren aramäische Entsprechungen. Denn verzeihen ist zwar auch ein Losgeben, ist es aber auf einer höheren Ebene. Wie ist das zu erklären? Ganz einfach. Das aramäische Verb ist mehrdeutig. Seine Grundbedeutung ist lösen, und eine seiner Nebenbedeutungen ist verzeihen. Wie aber, wenn der frühchristliche Übersetzer nur die Grundbedeutung kannte? Dann konnte er nur sie benutzen und – übersetzte zwangsläufig falsch. Ebendas ist hier geschehen, wie auch in der zweiten Zeile dieses Zweizeilers. Denn in ihr geht es nicht um ein Geben, das gefordert werden kann (so der NTG-Text), sondern um ein Schenken, das freiwillig sein muss (so der RÜText). Die Unterschiede zwischen diesen beiden Wiedergaben sind beachtlich und beachtenswert. 118 Was Jeschu mit diesem Zweizeiler ausdrücken wollte, hatte er hergeleitet aus dem geistigen Grundgesetz über Tat und Tatfolge, die einander – der Qualität, nicht der Quantität nach – entsprechen wie Saat und Ernte. Und es ist dieses Grundgesetz, nach dem seither über die Zukunft jedes Menschen nach seinem Sterben entschieden werden musste und künftig entschieden werden muss. Q 4,21 Dieser Zweizeiler – zugleich ein Bildwort Jeschus an Außenstehende – ist als Suggestivfrage formuliert. Als Frage also, die von jenen, denen er sie gestellt hatte, nicht anders beantwortet werden konnte, als mit einem Ja!, erzwungen durch ihre zwingende Logik. Doch man bedenke hierbei: Ein Bildwort ist ein Bildwort, sodass die Frage, ob der Weg der beiden Blinden wirklich an einer Grube vorbeiführte, gegenstandslos ist. Denn das Bild, so wie Jeschu es in sein Wort gefasst hat, ist an sich schon so schlüssig, dass die Frage danach gar nicht erst aufkommt. Aber was meinte Jeschu mit seiner in das Gewand eines Bildwortes gehüllten Suggestivfrage vom blinden Blindenführer? Ist das auch heute noch hinreichend zuverlässig auszumachen? Durchaus. Wie es Wörterbücher gibt, denen die Bedeutungen von Wörtern zu entnehmen sind, so gibt es Symbolwörterbücher, mit deren Hilfe die Bedeutungen von Bild- und Symbolwörtern zu entschlüsseln sind; in diesem Fall also der Wörter Blindheit und Grube. Eine Durchsicht mehrerer Symbolwörterbücher zu diesen beiden Wörtern ergab als Summe: Der Begriff (geistige) 119 Blindheit ist mehrdeutig. Er kann, passiv verstanden, die Unwissenheit meinen, das Unvermögen, den richtigen Weg zu erkennen; er kann aber auch, aktiv verstanden, auf die Uneinsichtigkeit, auf die Verstocktheit gedeutet werden, den richtigen Weg zu gehen. Dass Jeschu im Blick auf seine Adressaten (vermutlich pharisäische Schriftgelehrte) die zweite Bedeutung im Sinn hatte, ist sicher. Und wie steht es um den Begriff (geistige) Grube? Er ist ein geläufiges Sinnbild für den (geistigen) Tod, also: für die Gottferne. Beide NTG-Fassungen dieses Q-Textes wurden entstellt. Der Q-Mt-Text dadurch, dass er durch die Verknüpfung mit dem Textteil Lasst sie! Sie sind blinde Blindenführer! willkürlich in einen Aussagesatz umformuliert wurde; und der Q-Lk-Text dadurch, dass er durch das vorangestellte kann etwa sinnwidrig in zwei Fragesätze zerrissen wurde. Dabei wurde nicht nur die poetische Form des Zweizeilers zerstört, sondern auch sein Spannungsbogen zerbrochen. Q 4,22 Nach Q-Mt ist dieser Text – ein Jeschuwort an seine Schüler – ein Doppel-Zweizeiler mit sinnentstellenden Zusätzen über einen Sklaven und seinen Herrn. Nach Q-Lk ist er ebenfalls ein Doppel-Zweizeiler; zwar ohne die Zusätze im ersten Zweizeiler, dafür aber mit einem drastisch veränderten zweiten Zweizeiler. An ihm ist die Absicht des Bearbeiters (Lk?) nicht zu übersehen, aus stilistischen Gründen wörtliche Wiederholungen zu meiden. Die Q-Mt-Fassung dieses Jeschuwortes ist mehrfach falsch übersetzt. Offenbar deswegen, weil ihr Übersetzer an 120 der Mehrdeutigkeit eines aramäischen Wortes gescheitert ist. Eines Wortes, dessen besondere, von Jeschu gemeinte Nebenbedeutung er offensichtlich nicht kannte. Das aber ist verständlich. Denn als Adjektiv bedeutet jenes Wort (saggî) viel, zahlreich, groß, mächtig, als Adverb steht es für viel, sehr, genug, genügend, und als Ableitung der aramäischen Entsprechung für Weg, Gang hat es den Sinn angehen, möglich sein. Hiernach konnte die aramäische Wortverbindung la’ saggî beides meinen: im ersten Zeilenpaar er ist nicht über = mehr, größer und es ist unmöglich. Daneben konnte das aramäische Wort saggî für sich allein im zweiten Zeilenpaar es ist genug und es ist möglich bedeutet. Die Sinnverschiebung ist beträchtlich. Beim ersten Zeilenpaar ergab sie: Es ist unmöglich, dass ein Schüler größer ist als sein Rab = Lehrer. Diese Tatsache ist nicht zu bestreiten. Und beim zweiten ergab sie: Aber es ist möglich, dass ein Schüler werde wie sein Rab. Dies ist eine normale Erfahrung, die zahllose Lehrer mit ihren Schülern gemacht haben und die daher nichts Befremdliches an sich hat. Und allein in diesem Wortlaut entspricht dieser Ausspruch (formal und inhaltlich!) der Art, wie Jeschu gedacht und gesprochen hat. [Dies ist das Ergebnis langjähriger Untersuchungen am gesamten Bestand seiner Worte.] Denn hätte Jeschu zu seinen Schülern es ist genug gesagt, so wäre das eine kaum verhüllte Drohung gewesen, die sie ent-mutigt hätte. Dass er stattdessen es ist möglich gemeint hat, das hat sie, ganz in seinem Sinn, er-mutigt, ihm nachzustreben. Welche der beiden Aussagen Jeschu gemäßer ist, darüber kann es keinen Zweifel geben. Über die bereits genannten Korrekturen hinaus ist den Lehrer (Q-Mt 10,24) durch sein Lehrer zu ersetzen; und zwar 121 mit S, C und P. [Übrigens: Die Nominalendungen mein, dein etc. sind im NTG-Text häufig weggelassen worden. Besonders peinlich ist dies bei dem angeblichen Hoheitstitel „Herr“. Denn im Aramäischen stand an den Stellen entweder mein / unser Herr oder mein / unser Rab (Lehrer), wie die syrischen Quellen bezeugen.] Q 4,23-25 Dieses dreistrophiges Lehrgedicht Jeschus ist zugleich ein Bildwort. In ihm geht es offenbar um einen Zwist zwischen zwei Brüdern aus dem Zwölferkreis (entweder um Andreas und Petrus, vgl. Mt 18,21.22; oder, weniger wahrscheinlich, um Jakobus und Johannes). Vermutlich wird jeweils der Jüngere, also Petrus beziehungsweise Johannes, sich bei Jeschu über den älteren Bruder beklagt und ihn gebeten haben, ihr Richter und Schlichter zu sein. Doch statt seinem Wunsch zu entsprechen, trägt Jeschu ihm ein spontan formuliertes Lehrgedicht vor, übertragbar auf jeden vergleichbaren Zwist zwischen Mensch und Mitmensch. In diesem Gedicht, das ist typisch für ihn, verschob er den Akzent: weg vom kritisierten Bruder, hin zum kritisierenden. Er tat es mithilfe von drei Symbolwörtern, die an seinen früheren Beruf erinnern: Splitter, Balken und Auge (zweifellos wusste er aus eigener Erfahrung, wie unangenehm es ist, einen Splitter im Auge zu haben). Es folgt die Deutung der drei Wörter: Das Auge, ein Werkzeug des Geistes, ist ein Sinnbild für die geistige Einstellung, für die Art und Weise zu sehen. Der Splitter diente Jeschu hier zur Veranschaulichung eines 122 leichten, der Balken folgerichtig zu der eines schweren Fehlverhaltens. Diesen beiden Wörtern – an sich waren es keine gebräuchlichen Symbolwörter – verlieh er offenbar selbst einen Symbolsinn. Dass der Angeredete, Petrus oder Johannes, den von Jeschu gemeinten Sinn dennoch begriffen haben wird, ist sicher. Denn in der Geisteswelt, in der seine Schüler damals lebten, waren ihnen Symbolwörter und deren Bedeutungen (auch wenn sie spontan gebildet wurden) ohne weiteres vertraut und verständlich, sodass sie es nicht nötig hatten, ihn eigens darüber zu befragen. Was Jeschu mit dem „Bildwort vom Splitter beziehungsweise Balken im Auge“ erreichen wollte, war demnach: die geistige Einstellung und die Sehensweise seines Schülers zu korrigieren; derart, dass er die Hauptschuld an dem Zwist zwischen sich und seinem Bruder nicht länger ihm zuschob, sondern dass er lernte, sie bei sich selbst zu suchen, damit er sie abstellen könne. Q 5,1 Die poetische Form dieses Doppel-Zweizeilers – eines Jeschuwortes an Außenstehende – ist in beiden Fassungen zerstört. In Q-Lk weniger als in Q-Mt. Das lässt darauf schließen, dass die Mt-Fassung stärker als sonst bearbeitet worden ist. Daher empfahl es sich, der RÜ die Lk-Fassung zugrunde zu legen. Das Ergebnis ist ein Bildwort, das man – egal in welcher Sprache – nur einmal zu hören braucht, um es im Gedächtnis zu behalten. Vor allem deswegen, weil es einfach und knapp formuliert ist und weil es unmittelbar einleuch- 123 tet: guter Baum … gute Früchte / schlechter Baum … schlechte Früchte. Das konnte jeder der Zuhörer Jeschus verstehen. Schade nur, dass weder der Anlass noch der Zusammenhang überliefert worden ist, denen zu entnehmen wäre, was er mit diesem Bildwort gemeint hat. Bedeutet dies, dass es zwecklos sei, nach seinem Sinn zu fragen und zu forschen? Keineswegs! Einige sichere Ansatzpunkte dafür bieten die Symbolwörter Baum und Früchte; denn deren Bedeutung steht zweifelsfrei fest. Wer danach sucht, braucht nicht einmal Symbolwörterbücher, um sie zu finden. Dazu genügen eine Bibelkonkordanz und eine Bibel. Durch sie erfährt er aus Ps 1,1-3, dass mit dem Baum der Mensch gemeint ist. Und durch sie lernt er aus Jes 3,10, dass mit den Früchten die Folgen seiner Taten, die Tatfolgen, gemeint sind. Damit aber ist klar, was Jeschu im Sinn hatte, als er das „Bildwort von den beiden Bäumen und ihren Früchten“ vortrug; nämlich: dass es allein die Tatfolgen sind, die einen zutreffenden Rückschluss auf einen Menschen und dessen Taten ermöglichen. Dann aber ist auch klar, dass er seine Zuhörer mit jenem Bildwort warnen wollte, sich durch das betören zu lassen, was ein Mensch sagt – und sei es noch so überzeugend. Denn ein sicheres Urteil über ihn kann nur der gewinnen, der nach den Folgen seiner Taten fragt und forscht. Q 5,2 Dieser Langzeiler bringt den voranstehenden DoppelZweizeiler auf den Punkt. Gemeint ist: Jeder Mensch wird erkannt an seinen Tatfolgen. Dem ist nur noch hinzuzufügen, 124 dass Frucht durch Früchte zu ersetzen ist. Wie meistens im Aramäischen und wie nicht anders zu erwarten. Denn wo gibt es einen Baum, der nur eine Frucht trägt? Q 5,3 Dieser Doppel-Langzeiler – ein Jeschuwort an seine Schüler – war nur durch eine Kombination beider Fassungen wiederherzustellen. Dabei war die Form der rhetorischen Frage aus Q-Mt zu übernehmen und die poetisch richtigere Form aus Q-Lk; jedoch mit Einschränkungen. Zunächst waren die beiden Ernteverben, weil unpassend, durch andere zu ersetzen. Denn in der Umwelt Jeschus wurden Feigen nicht gesammelt (NTG-Text), sondern gepflückt und Weintrauben nicht gelesen (NTG-Text), sondern geschnitten (3Mo 25,5.11), Zudem sind die Weintrauben den Disteln zuzuordnen und die Feigen den Dornbüschen – schon wegen der Größe der Früchte – nicht umgekehrt (NTG-Text). Einen derartigen Fehler hätte Jeschu, er war ein guter Naturbeobachter, nicht gemacht. Weintrauben und Feigen waren die wichtigsten Früchte im Land Jeschus. Disteln und Dornbüsche dagegen waren die lästigsten Pflanzen darin. Daher wurden Disteln zu einem Sinnbild für Härte, Menschenfeindlichkeit, Rach-sucht, Trotz und Dornbüsche zu einem Symbol für Hass, Lebensfeindlichkeit, Sünde, Unterdrückung. Von beiden, von Disteln und von Dornbüschen, war die Umwelt Jeschus voll; ebenso voll, wie sie von dem war, was diese beiden Pflanzen symbolisierten. Und da Jeschu (siehe zu Q 5,1.2) mit dem Baum den Menschen meinte und 125 mit dessen Früchten seine Tatfolgen, ist es mehr als wahrscheinlich, dass er mit den Disteln und Dornbüschen ebenfalls Menschen meinte, ihnen entsprechende Menschen. Und dass von solchen Menschen keine Früchte = Tatfolgen zu erwarten waren (und sind), die den Weintrauben und den Feigen entsprechen, das schlussfolgernd zu Ende zu denken war leicht. Und weil das so war (und so ist), darum waren (und sind) die Zustände auf der Erde so, wie sie damals waren (und so, wie sie heute sind); das heißt: nicht erfreulich wie Weintrauben und Feigen, sondern unerfreulich wie Disteln und Dornbüsche. Nachtrag: Die NTG-Textteile von einem Dornbusch und eine Traube waren folgerichtig durch Plurale zu ersetzen. Denn würde man sie so übersetzen, wie sie dastehen, so ergäbe das: Und von einem Dornbusch (Singular) sammeln sie (Plural) keine Traube (Singular). – Noch fehlerhafter zu übersetzen, ist kaum möglich. Q 5,4* Der Q-Text dieses Doppel-Zweizeilers – eines Jeschuwortes an seine Schüler – leidet an denselben Mängeln, an denen auch die voranstehenden Q-Texte leiden: die poetische Form wurde willkürlich zerstört; einige Textteile wurden ausgelassen und andere wurden falsch übersetzt, weil den Übersetzern die genaue oder die übertragene Bedeutung der aramäischen Wörter unbekannt war. Was Jeschu mit diesem Doppel-Zweizeiler sagen wollte, davon lässt der Q-Lk-Text so gut wie nichts erkennen und der Q-Mt-Text noch weniger. 126 Dieses hart klingende Urteil ist keine besserwisserische Kritik. Es soll lediglich das beschreiben, was ist und was um der Wahrheit und Wahrhaftigkeit willen nicht verharmlost werden darf! Zum Beweis werden nun der Q-Lk-Text und der RÜ-Text einander gegenübergestellt: Der gute Mensch Der gute Mensch aus dem guten Schatz lässt Güte hervorsprudeln des Herzens aus dem guten Überfluss bringt das Gute hervor, seiner Gesinnung. und der böse Und der böse Mensch aus dem bösen lässt Bosheit hervorsprudeln bringt das Böse hervor. aus dem bösen Überfluss seiner Gesinnung. Man bedenke: Von den acht Textteilen dieses DoppelZweizeilers wurde im Q-Lk-Text nur einer korrekt übersetzt: das einleitende Der gute Mensch, ein Textteil, der unmöglich falsch übersetzt werden konnte. Das ist – mit Verlaub – ein niederschmetterndes Ergebnis. (Eine Gegenüberstellung des Q-Mt-Textes und des RÜ-Textes würde zu einem ebenso schlechten Ergebnis führen.) Und was folgt aus dem wiederhergestellten Wortlaut dieses Q-Textes? – Dass sich in ihm wahrscheinlich persönliche Erfahrungen Jeschus widerspiegeln. Dass er demnach in seiner näheren Umwelt mit beiden Menschentypen zu tun gehabt und sich mit ihnen auseinandergesetzt haben muss, mit bösen und mit guten Menschen. Dabei ist er zu der erstaunlichen Erkenntnis gelangt, dass nicht das, was ein Mensch kontrolliert sagt, Rückschlüsse darüber erlaubt, ob er ein guter oder ein böser Mensch ist, sondern allein das, was er unkontrolliert hervorsprudelt. Denn was ein Mensch bei kontrollierter Gemütsverfassung sagt, das muss zwar nicht, aber es kann Lug und Trug 127 und Heuchelei sein. Doch was jemand bei unkontrollierter Gemütsverfassung hervorsprudelt, das wird im Allgemeinen wahr und zuverlässig und ehrlich gemeint sein. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass Jeschu auf diese Weise zwischen sagen und hervorsprudeln unterschieden hat und dass er seine Schüler auf diesen Unterschied aufmerksam gemacht hat; zweifellos im Blick auf ihren künftigen Auftrag und Dienst. Q 5,5 Wie der Langzeiler Q 5,2, so bringt auch dieser den voranstehenden Doppel-Zweizeiler auf den Punkt. Vermutlich spiegelt auch er Jeschus persönliche Erfahrungen im Umgang mit Menschen wider; hier jedoch umgekehrt: Das, was jemand redet (nicht bloß sagt), lässt auf seine Gesinnung schließen. Q 5,6*° Dieser Doppel-Zweizeiler – formal und inhaltlich als Amenwort Jeschus ausgewiesen, auch wenn die Einführungsformel fehlt – ist keine Parallele zu Q-Lk 6,46 (siehe Q 5,7). Er ist vielmehr eine selbständige und ausführlichere Variation eines inhaltlich verwandten Themas, wie aus jeder Evangelien-Synopse zu erschließen ist. Er enthält eine Aussage von höchster Bedeutung, einen Paragraphen des neuen Gottesrechts. In ihm hat Jeschu, wie in keiner anderen seiner Schülerunterweisungen, die Hauptbedingung formuliert, die jeder Mensch erfüllt haben 128 muss (auch jeder von ihnen), bevor er in die Himmelsherrschaft, die geistige Welt Gottes, eingelassen werden darf. So aber, wie dieses Jeschuwort im NTG überliefert worden ist (als Dreizeiler, statt als Doppel-Zweizeiler und zudem willkürlich verändert) ist er nur mehr eine Verzerrung dessen, was Jeschu wirklich gesagt hat. Denn in diesem Fall handelt es sich nicht nur um Übersetzungsfehler und sonstige Mängel, sondern um eine absichtliche Änderung seines Wortlauts. Denn etwas anderes als Absicht kann es nicht gewesen sein, wenn aus der Abba! gesagt hat, etwas völlig anderes gemacht wurde; nämlich: der Herr! Herr! zu mir sagt. Dass Jeschu das nicht gesagt haben kann, dafür gibt es mehrere Gründe: Erstens, weil die Anrede Herr! zwar im Griechischen korrekt, aber im Aramäischen unmöglich ist. Denn aramäisch korrekt lautete sie mari „Mein Herr!“ und nicht anders, wie alle syrischen Quellen bezeugen. Zweitens, weil das zweite Herr und das folgende zu mir die poetische Form des ganzen Spruches zerstört hätte. Drittens, weil das zu mir überdies auch noch den von Jeschu beabsichtigten Sinn verfälscht hätte. Denn dass Jeschu Abba gesagt haben muss, das ergibt sich zwingend aus dem Textteil den Willen Abbas (statt: den Willen meines Vaters in den Himmeln) in der Parallelzeile, der dritten Zeile des Spruches. Dazu ist anzumerken: Abba bedeutet u. a. auch mein Vater. Und: in den Himmeln ist ein typisch matthäischer Zusatz, der die poetische Form des ganzen Spruches zerstört hätte. Und warum hätte er das? Weil in einem DoppelZweizeiler dieser Art die erste und die dritte Zeile zwangsläufig aufeinander bezogen sind (und im Anschluss daran die zweite und die vierte Zeile). 129 Daraus folgt: Dem Textteil der den Willen Abbas getan hat, so steht er in der dritten Zeile, kann in der ersten Zeile nichts anderes gegenüberstehen als der Abba! gesagt hat. Diese Regel gilt absolut. Aber warum wurde Abba in Herr! Herr! zu mir geändert? Es gibt nur einen Grund, der an etlichen Stellen der Evangelien zu vergleichbaren Textänderungen geführt hat: die nur dogmatisch zu begründende Absicht, Jeschu, den auserlesenen Sohn Gottes, zu Gott dem Sohn zu erhöhen (Gott gleich an Wesen, Ewigkeit und Macht). Doch wenn das gut, richtig und wahr wäre, wäre es dann nötig gewesen, Jeschuworte willkürlich zu verändern? sie – wie hier, durch Löschen von Abba und Hinzufügen von Herr! Herr! und zu mir – so zu bearbeiten, dass sie leisten, was sie sollen? Doch zurück zur Kernaussage dieses Q-Textes – Was bedeutet es im Sinn Jeschus, den Willen Abbas zu tun? Es bedeutet nicht weniger als (siehe zu Q 3,14): Erbarmt euch über die, die euch anfeinden! Tut Gutes denen, die euch hassen! Etc. Das aber heißt, bezogen auf das Verhältnis zwischen Mensch und Mitmensch: im aktiven Lebensbereich gütig miteinander umzugehen und im passiven Lebensbereich vergebungsbereit. Wohlgemerkt: beides gleichgewichtig; weil Jeschu wusste, dass Güte und Vergebungsbereitschaft sich nicht von selbst einstellen, sondern dass sie durch bewusstes Wollen und durch laufende Selbstkontrolle gegen ein mächtiges Ich erworben werden müssen; und zwar während eines längeren Zeitraumes, durch ein Auf und Ab von Gelingen und Misslingen hindurch – mit dem Ziel: Einlass in die Himmelsherrschaft. 130 Q 5,7° Es ist nicht nur die poetische Form, die diesen DoppelLangzeiler von dem voranstehenden Doppel-Zweizeiler unterscheidet. Es ist auch sein Inhalt, der ebendiese Form (diesen Rhythmus) verlangte. Jeschu hatte ihn als Frage und zugleich als Vorwurf formuliert. Und er hatte ihn an Menschen gerichtet, die ihn zwar als Unser Herr! (der NTG-Text hat „Herr, Herr“) angeredet hatten – also als einen Lehrer, der das Recht hatte, ihnen zu gebieten –, die aber offensichtlich nicht daran gedacht hatten, zu tun, was er ihnen geboten hatte. Dadurch aber, das ist die Konsequenz dieses Jeschuwortes, hatten sie ihr Schüler-Lehrer-Verhältnis zwischen sich und ihm einseitig aufgekündigt, waren also nicht mehr seine Schüler – und zwar solange nicht, wie sie bei ihrem Nichttun beharrten. Daraus folgt, auch für heute: Ein Schüler Jeschus (heutzutage Christ genannt) kann nur der sein, der tut, was Jeschu geboten hat. Hat er das nie getan oder hat er irgendwann aufgehört, das zu tun, dann war er nie sein Schüler beziehungsweise hat aufgehört, es zu sein. Und: Wenn dies für einen Menschen gilt, dann gilt es auch für eine Gemeinschaft von Menschen, gleichgültig, wie groß oder mächtig oder altehrwürdig sie ist. Doch damit kein Missverständnis aufkomme: Dies gilt nur von absichtlichem Nichttun, nicht von unabsichtlichem Versagen aus Schwachheit; also von einem Misslingen, das zu tun, was Jeschu geboten hat. Was zählt, gerade in der Beziehung zu ihm, das ist der gute Wille. Denn mit dem Vermögen oder Nichtvermögen der Menschen ist es je und dann verschieden bestellt. 131 Hier gilt ein außerbiblisches Jeschuwort, entdeckt von J. Karavidopulos „in einem liturgischen Text der griechischen Kirche“. Es wird darin, so betonte er, „ausdrücklich Jesus zugeschrieben“. Es lautet (RÜ-Text): Sooft du fällst – steh auf! dann wirst du gerettet werden. Bemerkenswert ist an diesem Langzeiler, dass der dannTextteil wörtlich im Babylonischen Talmud (Ab. sar. 18a) steht. Nach dem Textzusammenhang bezog er sich auf die Rettung von einer Anklage. Q 5,8-13* Dieses Gleichnis „Vom vernünftigen und vom unvernünftigen Bauherrn“ – ein Jeschuwort an seine Schüler – ist ein Musterbeispiel sorgfältig formulierter Poesie Jeschus. Es besteht aus zwei Teilen, die genau gleich geformt sind. So jedenfalls in der Mt-Fassung, in deren Textbestand der ursprüngliche Wortlaut weitgehend erhalten geblieben ist. Im Gegensatz zur Lk-Fassung, in der nicht nur die Sprache ins Griechische übersetzt worden ist, sondern in der sogar die Bautechnik, die Umweltbeschreibung und die des Unwetters an hellenische Verhältnisse angepasst sind. Für die Wiederherstellung dieses Gleichnisses ist der QLk-Text daher völlig unbrauchbar. Vor allem deswegen, weil in ihm wichtige Symbolwörter fehlen. Man braucht sie aber alle, und man muss ihre Bedeutungen kennen, wenn einem daran gelegen ist, es im Sinn Jeschus zu verstehen und zu deuten. Hier sind sie: Das Haus steht für das selbst zu verantwortende Leben, Sein und Geschick des Menschen, die er so, wie sie sind, 132 selber baut; je nachdem, welche Möglichleiten und welche Freiheit er dazu hat. Der Fels ist ein Symbol für Dauerhaftigkeit, Festigkeit, Standhaftigkeit und Zuverlässigkeit. Er diente Jeschu als Bild für einen sicheren Baugrund in den Unsicherheiten dieser Welt und im nachtodlichen Leben. Im Gegensatz zu ihrer je eigenen Symbolik deuten Winde, Regen und Fluten hier auf widerstrebende Kräfte hin; und zwar auf geistige Kräfte (Winde) und auf materielle Kräfte (Regen und Fluten). Der Sand ist ein Sinnbild für Haltlosigkeit. Nachgiebigkeit, Flatterhaftigkeit und Unzuverlässigkeit. Er diente Jeschu als Bild für einen unsicheren Baugrund in den Unsicherheiten dieser Welt und im nachtodlichen Leben. Was er in diesem Doppel-Gleichnis sagte, das durfte er nur wagen, weil er über eine weit größere Vollmacht verfügte, als sie ein Mensch normalerweise haben kann. Denn mit dem, was er damit sagte, beanspruchte er Geltung für und Wirkung auf das künftige Geschick aller Menschen, die seine Worte kannten – über deren Sterben hinaus. Erinnert sei hier an die beiden Textteile mit ihm wird es sein, wie mit einem vernünftigen beziehungsweise wie mit einem unvernünftigen Mann; nämlich: nach seinem Sterben. Nachträge: In der dritten Zeile beider Teile ist er wird gleich oder ähnlich sein (NTG-Text) eine Fehlübersetzung. Denn es geht in ihnen nicht um ein Gleich- oder Ähnlichsein, sondern um einen Tat-und-Tatfolge-Zusammenhang; daher also: mit ihm wird es sein, wie mit. In denselben Zeilen beschreibt das Wort vernünftig einen Menschen, der seinen Verstand in Harmonie mit dem Willen Gottes gebraucht, das Wort unvernünftig dagegen einen Menschen, der seinen Verstand in Disharmonie mit dem 133 Willen Gottes gebraucht. Dieses Wortpaar offenbart, dass Jeschu das nachtodliche Geschick des Menschen auf dessen Vernunft beziehungsweise Unvernunft zurückführt. In den jeweils folgenden Zeilen war die Reihenfolge in der Unwetterbeschreibung wie folgt zu ändern: Wind, Regen, Fluten. Denn nur die Fluten konnten bewirken, dass ein Haus der in Jeschus Umwelt üblichen Flachdach-Bauweise einstürzte; und auch das nur dann, wenn es auf Sand gebaut wäre, der von den Fluten weggespült werden könnte. Der erste NTG-Gleichnisteil endet mit Und es stürzte nicht ein, weil es gegründet war – auf Fels. Der zweite dagegen endet mit und es fiel, und sein Fall war groß (ohne den Grund zu nennen). Das aber widerstreitet dem parallelen Formprinzip Jeschus. Dem entspricht allein (RÜ-Text): Und es stürzte vollständig ein, weil es gegründet war – auf Sand. Q 6,1-8 Dieser Text liegt in Q-Mt in einer geradlinig erzählten Fassung vor: als Dialog zwischen einem in Kafarnaum stationierten Zenturio, dessen Sohn ( ! ) sterbenskrank ist, und Jeschu, der ihn heilt, ohne ihn gesehen zu haben und ohne dass sein Vater ihn direkt darum gebeten hatte. In Q-Lk ist dieser natürliche Hergang in einen völlig unnatürlichen verkehrt worden. Erstens dadurch, dass der Zenturio sich nicht selbst an Jeschu wendet, sondern zunächst „Älteste der Juden“ zu ihm schickt. Zweitens dadurch, dass er ihn durch sie an seiner statt bitten lässt, seinen Sohn zu heilen – mit dem Hinweis darauf, dass er das verdiene, weil er ihr Volk liebe und den Bewohnern 134 Kafarnaums eine Synagoge gebaut habe. Drittens dadurch, dass er, als Jeschu naht, „Freunde“ zu ihm schickt, durch die er ihm (in der 1. Prs. sg.) genau das sagen lässt, was er nach Q-Mt selbst sagt. Unnatürlicher geht es nicht. Damit aber sollte klar sein, dass die Lk-Fassung dieser Erzählung unberücksichtigt bleiben darf. Es folgen Anmerkungen, zu den wichtigsten Aussagen des Q-Mt-Textes. Zu Ich soll kommen und ihn heilen? (RÜ-Text) – Diese Frage Jeschus klingt seltsam: Ich (ein Jude!) soll kommen (in dein Haus, das Haus eines Nichtjuden) und ihn (deinen Sohn, einen Nichtjuden) heilen? War es Befremden oder nur Erstaunen, das ihn so fragen ließ? Möglich wäre beides, wahrscheinlicher ist das Letztere; denn Jeschu hatte keinerlei Scheu, sich kultisch zu verunreinigen. Zu Bemühe dich nicht! Denn ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach trittst. (RÜ-Text) – Hiernach hatte der Zenturio den Unterton in der Frage Jeschus gespürt und ihn als Befremden gedeutet. Vermutlich war er schon längere Zeit im Land und kannte daher die kultisch motivierte Verunreinigungs-Scheu vieler Juden, vor allem der Pharisäer, das Haus eines Nichtjuden zu betreten. Unter anderem die magische Scheu davor, leichenunrein zu werden, falls zum Beispiel im Haus eines Nichtjuden eine Totgeburt begraben war. Zu Befiehl mit einem Wort, so wird mein Sohn geheilt werden. (RÜ-Text) – Diese Aussage des Zenturios ist erstaunlich. Sie zeugt davon, dass er unterstellte, Jeschu verfüge über eine mehr als normale Befehlsgewalt. Aber woher konnte er das wissen? Hatte er ihm zugehört, während er zu den Leuten sprach (vielleicht sogar von seinem Sitz aus, von dem aus er seine Wohlrufe ausrief)? Oder hatte er wahrgenommen, dass Kraft von ihm ausging? Oder beides? 135 Zu Wie du vertraut hast, wird dir geschehen. (RÜ-Text) – Dieser Wie-Satz Jeschus, gerichtet an den Zenturio als den Vater des Kranken, enthält eine unausgesprochene (gesetzmäßige) Bedingung; nämlich: dass die Wunscherfüllung des so Angesprochenen von ihm selbst abhänge, weil sie sich nur in dem Maß erfüllen könne, in dem er vertraut habe. Das bedeutet: Gänzliche Heilung des Sohnes sei nur möglich aufgrund völligen Vertrauens des Vaters. Und genau das widerfuhr dem Zenturio (siehe zu Q 6,8). Nachtrag zu Q 6,6: Der NTG-Text hat: Bei niemandem in Israel habe ich solchen Glauben gefunden. Der RÜ-Text lautet: Bei keinem Israeliten habe ich gefunden – solch ein Vertrauen! Und wie ist die NTG-Fehlübersetzung zu erklären? Offenbar wusste der frühchristliche Übersetzer nicht, dass das hebräische Wort jisrael sowohl Israel (Eigenname und Landesname) als auch Israelit bedeuten kann. Und dass Jeschu hier das Letztere gemeint haben muss, das ergibt sich schon daraus, dass Kafarnaum in Israel lag. Und schließlich (eine grundsätzliche Korrektur): Hêmanûta’, die aramäische Entsprechung für der Glaube, bedeutet das Vertrauen. (Siehe mein Buch: „Das Glaubensbekenntnis auf dem Prüfstand“ [????], Seiten 83 und 84.) Nachtrag zu Q 6,1: Dass der Zenturio „ein gewisser“ genannt wurde, lässt darauf schließen, dass er Christ geworden ist und daher den Q-Gemeinden bekannt war. Q 6,9.10 Dieser Q-Text über eine Anfrage Johannes des Täufers an Jeschu und dessen Antwort an ihn ist im NTG-Text 136 erstens willkürlich verändert, zweitens maßlos übersteigert und drittens falsch übersetzt worden (und zwar in der LkFassung schlimmer als in der Mt-Fassung). Zu erstens: Willkürlich verändert wurde die Taten Jeschus in die Taten des Christus = Messias: gegen den S-Text (er hat die Taten unseres Herrn) und gegen den C-Text (er und einige andere Handschriften haben die Taten Jeschus beziehungsweise Jesu). Und allein das ist richtig. Denn den altsyrischen Evangelien lagen zweifelsfrei ältere griechische Texte zugrunde als dem NTG-Text. Kann es nach diesem Textbefund Zufall sein, dass QMt 11,2 die Taten des Messias hat? Wenn aber nicht, dann muss es Absicht sein. Aber welche? Man bedenke: Im gesamten Q-Material des NTGs ist Mt 11,2 der einzige Beleg, in dem der Begriff der Messias vorkommt. Warum? Sicherlich doch, weil das Wort Taten das einzige ist, an das er überhaupt angeheftet werden konnte. Denn jede andere Wortverbindung, zum Beispiel „und der Messias sprach“, wäre stilwidrig gewesen. Doch wenn der einzige Q-Beleg des NTGs für der Messias seine Existenz einer gezielten Textänderung verdankt, dann muss die Frage erlaubt sein, ob die Gleichung Jeschu = der Messias nicht womöglich jüngeren Datums ist, als es die Q-Sammlungen sind. Doch wenn es so ist, dann folgt daraus: Irgendwann im Verlauf der Q-Überlieferung erschien es einem Kopisten und/oder Bearbeiter wünschenswert, im Q-Material einen Beleg für der Messias zu haben: als Legitimation für die Verkündigung „Jeschu ist der Messias“. Bei seiner Suche nach einem geeigneten Haftpunkt dafür, fand er dann in Mt 11,2, wonach er gesucht hatte. Denn das Wort Taten darin war der einzige Haftpunkt, der in Frage kam. 137 Zu zweitens: Maßlos übersteigert wurde der NTG-Text durch die Aufzählung der Taten Jeschus in Mt 11,5 / Lk 7, 21.22; und zwar so, dass der Eindruck entstand, die Boten des Täufers hätten alle diese Taten als Augen- und Ohrenzeugen beobachten können: Blinde sehen (Jes 29,18; 35,5; 42,7.18), Lahme gehen (Jes 35,6), Aussätzige werden rein, Taube hören (Jes 29,18; 35,5; 42,18), Tote stehen auf (Jes 26,19), und Arme erhalten eine frohe Botschaft (Jes 61,1). Dass die tatsächliche Situation, während der die Boten des Täufers vor Jeschu erschienen, dieser Aufzählung seiner Taten unmöglich entsprochen haben kann, ist offenkundig. Daher empfahl es sich, sie als einen nicht ernst zu nehmenden Einschub zu werten und zu streichen. Und wenn dies für Q-Mt 11,5 gilt, um wie viel mehr dann für Q-Lk 7,21, worin ihre Augen- und Ohrenzeugenschaft vorweg ausdrücklich betont wird. Jedoch ohne dass sie dadurch glaubwürdiger würde. Was nach der Streichung jener Textteile von der Antwort Jeschus an den Täufer übrig bleibt, ist knapp und klar, wie es seiner Redeweise entsprach: Geht! – Und sagt dem Johannes, was ihr hört und seht! Was genau das gewesen ist, können wir nicht wissen. Auf jeden Fall wird dazu gehört haben, dass Jeschu von seinen Schülern umgeben war und dass er, wie der folgende Vers Q 6,11 erkennen lässt, zu den Leuten gesprochen hat. Und was sein Wort an den Täufer betrifft, dazu folgt nun das Wesentlichste. Zu drittens: Wie Q-Mt und Q-Lk Jeschus Antwort an den Täufer wiedergeben (Und selig ist, wer keinen Anstoß nimmt beziehungsweise wer nicht zu Fall kommt an mir, NTG-Text), das ist eher schlecht als recht übersetzt. 138 Denn selig ist trifft zwar den Sinn der griechischen Vorlage, nicht aber den der aramäischen Entsprechung; nämlich: Wohl dem! Und an mir passt im Griechischen wohl zu wer Anstoß nimmt; aber passt es auch zu wer zu Fall kommt? Keineswegs! Denn wie kann jemand an jemandem zu Fall kommen, ohne ihn zu berühren? Da das unmöglich ist, muss eine andere Wiedergabe erwogen werden; und zwar die mit durch. Das ergibt: Und: Wohl dem, der nicht – zu Fall kommt – durch mich! Das kann nur heißen: Wohl dem, der nicht durch Jeschus Reden, Handeln und Verhalten zu Fall kommt. Auf die wahrscheinlich enttäuschten Hoffnungen und Erwartungen des Täufers bezogen, bedeutet das: Er drohte offenbar dadurch zu Fall zu kommen, dass Jeschu anders redete, handelte und sich verhielt, als er erhofft hatte; nämlich nicht wie der von seinem Volk erwartete Messias. Wenn das richtig ist, dann hatte Johannes mit dem Kommenden (gegen Jeschus Schau) den politischen Messias Israels gemeint: den König der Juden, den kriegerischen Befreier vom römischen Joch, der mithilfe des Eingreifens Gottes die Römer aus dem Land jagen und das messianische Reich aufrichten würde: eine irdische Gottesherrschaft zuerst über die Juden und danach über die ganze Welt. Q 6,11-16* Nach der NTG-Vorlage dieses Q-Textes stellte Jeschu den Leuten, die ihm zuhörten, drei rhetorische Fragen. Die erste und die zweite hätten sie nur mit einem Nein! beantworten können und die dritte nur mit einem Ja! Ebendieses 139 Ja! sprach Jeschu jedoch selbst aus, um es anschließend mit einem Hinweis auf Mal 3,1 zu erläutern. Im NTG-Text betrifft die zweite Frage einen Menschen, gekleidet in weiche (Gewänder), und die dritte einen Propheten (also auch einen Menschen). Nach der Regeldetri hätte die erste Frage demnach gleichfalls einem Menschen gelten müssen. Doch stattdessen betrifft sie ein Schilfrohr, geschüttelt vom Wind. Warum? Wie ist das zu erklären? Anhand des NTG-Textes und der griechischen Sprache ist diese Regelwidrigkeit nicht zu erklären. Gleichwohl ist es möglich, dieses Scheinproblem auf eine ganz einfache Weise zu lösen – allein durch eine Rückübersetzung des griechischen Textes ins Aramäische, seine Ausgangssprache. Wie immer in vergleichbaren Fällen, so war es auch hier die Mehrdeutigkeit aramäischer Wörter, an der die frühchristlichen Übersetzer von Q-Mt und Q-Lk gescheitert sind. In diesem Fall waren es Wörter, von denen das erste (nur anders ausgesprochen) ein Schilfrohr und ein Eiferer bedeuten konnte, das zweite geschüttelt und verwirrt, das dritte Wind und Geist (und: im Geist dann auch geistig). Mit den jeweils anderen Deutungen (Eiferer, verwirrt und geistig) lautet Jeschus erste rhetorische Frage dann: Um was zu sehen, seid ihr hinausgegangen? Einen Eiferer? – Geistig verwirrt? Außerhalb des Textzusammenhangs wären beide Übersetzungen gleich sinnvoll: „Ein Schilfrohr? – Geschüttelt vom Wind?“ und „Einen Eiferer? – Geistig verwirrt?“ Aber im Textzusammenhang kann nur die Letztere dem von Jeschu beabsichtigten Sinn gerecht werden. Dann aber ist es mehr als wahrscheinlich, dass Johannes der Täufer von etlichen seiner Zeitgenossen als geistig verwirrter Eiferer verlästert worden ist. Ähnlich, wie später Je- 140 schu von seinen Gegnern als „Fresser und Säufer“ und von anderen als „Beelzebub“ beschimpft worden ist. Dies war schon immer (und ist noch) die bequemste Art, unbequeme Mahner und Warner ins Abseits zu drängen. Und wenn das nicht reichte, dann blieb ja noch, als letztes Mittel, sie umzubringen. Und was wollte Jeschu mit seinem Hinweis auf Mal 3,1 andeuten (im RÜ-Text nach dem hebräischen Wortlaut zitiert)? Zweifellos: dass Johannes der wieder geborene Prophet Elija sei, von Gott gesandt, um den Weg freizuräumen vor ihm selbst her (nicht etwa vor Jeschu her, wie der NTG-Text aus dogmatischen Gründen lautet). Richtig verstanden, war es genau das, was Johannes versucht hatte zu tun; und zwar durch seine Botschaft an sein Volk: „Die Gottesherrschaft ist da!“ Nämlich als diesseitiggeistige Herrschaft, wie die Botschaft Jeschus beweist. [Das aber war etwas, wovon Johannes selbst, offensichtlich gehindert durch seine messianischen Hoffnungen und Erwartungen, keine klare Vorstellung gewinnen konnte]. Doch wenn es ihm gelungen wäre, sein Volk durch seine Botschaft davon abzubringen, seine Hoffnung auf ein irdisches „Reich Gottes“ zu setzen, dann hätte er damit wirklich den Weg freigeräumt vor Gott her – frei für das Vertrauen in die diesseitig-geistige Gottesherrschaft, die da ist, und zugleich frei für die jenseitig-geistige Himmelsherrschaft, die geistige Heimat aller Menschen. Aber leider ist ihm das nicht gelungen. Vermutlich aus zwei Gründen. Erstens, weil sein Volk von einer Gottesherrschaft, die da sei, ohne dass der Messias die messianische Herrschaft aufgerichtet hatte, nichts wissen wollte. Zweitens, weil Johannes selbst darunter litt, dass Jeschu, den er für den Messias Israels hielt, dies gerade nicht tat. 141 Andernfalls hätte er ihn nicht durch zwei seiner Schüler fragen zu lassen brauchen: Bist du der Kommende, oder sollen wir einen anderen erwarten? Gleichwohl beharrte er, hin- und hergerissen, auch während seiner Kerkerhaft bei seiner Botschaft vom DaSein der Gottesherrschaft und galt daraufhin (wohl auch wegen seines ständigen Aufrufs zur Reue) vielen seiner Zeitgenossen als verwirrter Fanatiker. Nachträge: In Q-Mt 11,8 steht in weiche, während Q-Lk 7,25 in weiche Gewänder hat. Gemeint ist Byssus; denn der galt schon für sich allein als Inbegriff eines weichen und zarten Gewandes (vgl. unser in Samt und Seide). In Q-Mt 11,9 / Q-Lk 7,26 muss Gekleidet in ein Fell? (das Elijagewand) ausgefallen sein. Denn ohne diesen Texttteil fehlt der hier rhetorisch unentbehrliche Gegensatz zu Gekleidet in Byssus. Überdies wäre durch sein Fehlen die poetische Form der Zeile zerstört. Q 6,17.18* Nach der NTG-Vorlage dieses Q-Textes hätte Jeschu vor Leuten, die ihm zuhörten, zwei unmögliche Behauptungen geäußert; erstens: Johannes der Täufer sei der bedeutendste aller Menschen gewesen, die je auf der Erde gelebt haben; zweitens: der Kleinste im Himmelreich (Q-Mt) beziehungsweise im Reich Gottes (Q Lk) sei größer als er. Kann das richtig, kann das wahr sein? – Wenn eine ca. 18 Jahrhunderte geltende Übersetzungstradition nicht in Frage gestellt werden dürfte, dann müsste dies richtig und wahr sein. 142 Doch eine sorgfältige Prüfung der Quellen und der poetischen Form ergab: Die erste der beiden Behauptungen ist so nicht Jeschu zuzuschreiben, sondern dem NTG-Text, in dem ein wichtiges Wort ausgefallen oder ausgelassen worden sein muss – das Wort Prophet. Mit diesem Wort reduziert sich, was vorher angeblich von allen Menschen galt, nur mehr auf alle Propheten. Das ist annehmbar und daher Jeschu angemessen. Überdies wird es von S und C, den ältesten Evangelienübersetzungen, die wir haben, sowie von weiteren NT-Handschriften zu Q-Lk 7,28, bestätigt. Und die zweite der beiden (angeblichen) Behauptungen Jeschus? Wie, wenn der Hauptfehler der herkömmlichen Übersetzungen dieses Q-Textteiles diesmal nicht nur dem NTGText anzulasten wäre, sondern auch der Gewohnheit der Übersetzer, diesen Text für unantastbar, ja für den Urtext zu halten? Wie, wenn man den griechischen Text nur richtig zu lesen und sachgemäß zu ergänzen brauchte (der Wortfolge entsprechend, jedoch mit ergänztem als er und Johannes)? Denn das ergäbe: „Aber der Kleinere [als er] – in der Himmelsherrschaft ist er größer als [Johannes].“ Dann brauchte man nur noch zu fragen, wer mit dem Kleineren als Johannes gemeint war, der in der jenseitiggeistigen Himmelsherrschaft größer ist als er. Dass das logischerweise nur Jeschu sein kann (so schon einige Kirchenväter), das nicht zu erkennen, ist dann fast unmöglich. Und wenn man dann noch fragt, was Jeschu bewogen haben könnte, eine Aussage zu formulieren, in der er selbst – Johannes gegenüber – als der Kleinere zu gelten schien, dann fällt es nicht schwer, sich vorzustellen, es habe eine Auseinandersetzung zwischen seinen Schülern und denen 143 des Johannes darüber gegeben, welcher der beiden Lehrer der größere sei. Wenn es so war, was mehr als wahrscheinlich ist (vgl. Jh 3,25), dann wäre der obige Q-Text eine feinsinnige Antwort Jeschus, adressiert an beide Schülergruppen, mit der beide leben konnten. Q 6,19-21*° Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Text – ein Jeschuwort zu Pharisäern? – zu Q gehört, ist größer als die, dass er nicht dazu gehört, auch wenn er nicht, wie Q 6,22.23, in QTexte eingebettet ist. Ausschlaggebend für diese Einschätzung war die inhaltliche Nähe zu den übrigen Worten über Johannes den Täufer sowie das Wortpaar Zollpächter und Huren, das Mt 21,32 (= Q 6,19-21) den Rang einer Variation zu der rekonstruierten Fassung von Lk 7,29.30 (= Q 6,22.23) verschafft. Der Text ist sorgfältig durchdacht und formuliert. Er besteht aus zwei Doppel-Dreizeilern, die einen Zweizeiler als ihr Zentrum umklammern. Er handelt vom Kommen = Gesandtsein des Täufers zu seinem Volk und davon, wie seine Botschaft vom DaSein der Gottesherrschaft aufgenommen worden ist. Nämlich: von den Unwissenden (den Zollpächtern und Huren) positiv, von den Wissenden (den Pharisäern und Schriftgelehrten) negativ; also genau umgekehrt, als zu hoffen und zu erwarten gewesen war. Wahrscheinlich deswegen, weil das stroherne Wissen der Wissenden sie taub und stumpf gemacht hatte und daran hinderte, genau hinzuhören und als richtig zu empfin- 144 den, was richtig war und was sich durch den Ausgang des jüdischen Krieges gegen Rom als richtig erwiesen hat. Konkret: Statt der Heilsbotschaft des Johannes vom Da-Sein der diesseitig-geistigen Gottesherrschaft zu vertrauen, wie die Unwissenden es taten, vertrauten die Wissenden – bis zum Scheitern des jüdischen Aufstandes gegen Rom unter Simeon Bar-Kochba (135 u. Z.) – auf die Heilsbotschaft ( ! ) der Zeloten, eine diesseitig-materielle Gottesherrschaft mit Waffengewalt erzwingen zu können. Das Letztere hat sich als die falsche Lehre und der falsche Weg erwiesen; das Erstere wäre die richtige Lehre und der richtige Weg gewesen. Nachtrag: Der NTG-Textteil auf (dem) Weg (der) Gerechtigkeit kann – wörtlich – kaum anders als so übersetzt werden. Wird jedoch die zugrunde liegende aramäische Entsprechung be’ôrha’ disedaqta’ so wiedergegeben, dann ist das eine Fehlübersetzung. Korrekt ist allein mit der richtigen Lehre (einschließlich des richtigen Weges). Übrigens: Das Wort Weg im NTG-Text meint hier die Lehre, zugleich aber auch, als Folge davon, die Denk- und Lebensweise und damit den Lebensweg. Möglich wäre aber auch: be’ôra’ah disedaqta’ „mit der richtigen Belehrung“. Q 6,22.23*° Dieser Doppel-Dreizeiler – ein Jeschuwort an Außenstehende – ist beim Übersetzen aus dem Aramäischen ins Griechische derart ruiniert worden, dass er nur wiederhergestellt werden konnte, nachdem er in Sinnzeilen zerlegt worden war (hier nach dem MNT, einer so griechisch wie möglichen und so deutsch wie nötigen Übersetzung): 145 Und das ganze (es) hörende Volk und die Zöllner sprachen Gott gerecht, sich taufen lassend mit der Taufe (des) Johannes; die Pharisäer aber und die Gesetzeskundigen wiesen den Willen Gottes bei sich selber ab, nicht sich taufen lassend von ihm. Nach der hier geltenden poetischen Regel müssen die erste und die vierte Zeile, die zweite und die fünfte Zeile sowie die dritte und die sechste Zeile einander genau entsprechen. Das aber ist bei keinem der genannten Zeilenpaare der Fall. Dennoch ist es nicht aussichtslos, den ursprünglichen Text rekonstruieren zu wollen – wie sich im Folgenden zeigen wird. Auszugehen ist dabei von den Textteilen, deren Wortlaut sicher oder wenigstens halbwegs sicher ist. Das ist zum Beispiel in der vierten Zeile das Wortpaar die Pharisäer und die Schriftgelehrten (die Gesetzeskundigen ist ein Lk-Begriff). Ihm würde in der ersten Zeile das Wortpaar die Zollpächter und die Huren (Q 6,20) entsprechen. Das ist deswegen sicher, weil keineswegs das ganze Volk, das = jedermann, der Johannes hörte, sich von ihm taufen ließ. Dieser Textteil ist also eine Übertreibung und daher zu streichen. Mit diesem Arbeitsgang wurden zwei sichere Wortpaare gewonnen: der einleitende Textteil des ersten und der einleitende Textteil des zweiten Dreizeilers. Das ist ein wichtiger Befund für alles Folgende. Doch um als zwei vollständige Zeilen gelten zu können, fehlt ihnen das Verb. Zum Glück ist es (nämlich: hörende, im Aramäischen: die zuhörten) in der ersten Zeile erhalten geblieben. Erstes Zwischenergebnis (RÜ-Text): Zollpächter und Huren, die Johannes zuhörten – Aber Pharisäer und Schriftgelehrte, die Johannes zuhörten – 146 Zugehört hatten also beide Hörergruppen: Zollpächter und Huren sowie Pharisäer und Schriftgelehrte. Sie reagierten jedoch verschieden auf das, was sie hörten: Die Ersteren ließen sich von Johannes taufen (mit der Johannestaufe ist ein Lk-Begriff), die Letzteren nicht. Durch diese Folgerung wurden zwei weitere vollständige Zeilen gewonnen. Zweites Zwischenergebnis (RÜ-Text): weil sie sich taufen ließen von Johannes; weil sie sich nicht taufen ließen von Johannes. Und was bewirkte das Getauftwerden für die einen und das Nicht-Getauftwerden für die anderen? Die Antworten auf diese beiden Fragen sind der zweiten und der fünften Zeile zu entnehmen. Doch die sind übel zugerichtet: (Zollpächter und Huren) sprachen Gott gerecht; (Pharisäer und Schriftgelehrte) wiesen den Willen Gottes bei sich selber ab. Einen annehmbaren Sinn ergeben beide Zeilen nicht. Aber während die zweite Zeile völlig sinnlos ist, handelt es sich bei der ersten um eine Fehlübersetzung, die leicht zu korrigieren ist. Denn das ist sicher: Nicht die Zollpächter und Huren sprachen Gott gerecht (aktiv), sondern umgekehrt: sie wurden freigesprochen vor Gott (passiv, zugleich prophetisches Perfekt). Und was geschah folgerichtig mit den Pharisäern und den Schriftgelehrten? Sie wurden nicht freigesprochen vor Gott. Vor Gott, das meint hier: durch Richterengel Gottes. Doch damit kein Missverständnis aufkomme, sei hier an Q 1,5 erinnert und an den Kommentar dazu. Kurzfassung: Ohne entsprechende Früchte = Tatfolgen war (und ist) die Taufe fruchtlos, also keine Wiedergeburt, sondern eine Totgeburt. Es folgt der gesamte RÜ-Text: 147 Zollpächter und Huren, die Johannes zuhörten – sie wurden freigesprochen vor Gott, weil sie sich taufen ließen von Johannes. Aber Pharisäer und Schriftgelehrte, die Johannes zuhörten – sie wurden nicht freigesprochen vor Gott, weil sie sich nicht taufen ließen von Johannes. Bemerkenswert an diesem Jeschuwort ist die Kompromisslosigkeit, mit der es formuliert ist: Wer sich von Johannes taufen ließ, der wurde freigesprochen vor Gott; wer sich nicht von ihm taufen ließ, der wurde nicht freigesprochen vor Gott. Doch halt! Das galt nur für die, die Johannes gehorchten und sich taufen ließen. Und: Der Freispruch hatte keine Geltung für die Zukunft. Er galt nur für die Fehlhandlungen, die vor der Taufe begangen worden waren. Aber schon das war von hohem psychologischem Wert für die Getauften, weil es einen Neuanfang ermöglichte. Q 6,24-26 Dieser Q-Text – das Gleichnis Jeschus „Von den streitenden Kindern“ – betraf diese Art Menschen. Weder dieses Geschlecht (Q-Mt), noch die Menschen dieses Geschlechts insgesamt (Q-Lk). Sondern es zielte auf eine bestimmte Art von Menschen in Jeschus Umwelt. Jene Art Menschen verglich er in seinem Gleichnis mit zwei Gruppen von Kindern, die auf der Straße sitzen (weder auf den Marktplätzen, so nach Q-Mt, noch auf einem Marktplatz, so nach Q-Lk). Zwar kann das aramäische Wort šûqa’ beides meinen: die Straße und der Markt (= Basar), hier aber muss es Straße 148 bedeuten; denn ein Basar war kein Ort, an dem spielende Kinder hätten sitzen können. Dazu herrschte ein viel zu dichtes Gedränge in den schmalen Gängen zwischen den Verkaufständen. Und jene Kinder, so weiter im Gleichnis, waren derart zerstritten, dass sie einander zornig anschrien (nicht friedlich zuriefen, Q-Mt und Q-Lk) und daher gar nicht erst zum Spielen kamen. Bei der Wahl dieses Wortes half ein Blick in die syrischen Textzeugen. Bemerkenswert ist, dass Jeschu bei dem, was er die Kinder schreien ließ, wie von selbst in den Rhythmus und in Reime von Kinderliedchen verfiel, hier sogar eines Wechselgesangs (so ganz deutlich nach dem aramäischen Wortlaut des RÜ-Textes): Wir haben für euch geflötet! – Aber ihr habt nicht getanzt! Und wir haben für euch gewehklagt! – Aber ihr habt nicht getrauert! Poetisch betrachtet, ist dieser Kinder-Wechselgesang im Aramäischen eine Perle. Ihm zufolge waren die Streitenden Jungen und Mädchen. Die einen wollten etwas Fröhliches spielen: Hochzeit mit Musik und Tanz; das war Sache der Jungen. Die andern wollten etwas Trauriges spielen: Bestattung mit Totenklage und Trauer; das war Sache der Mädchen (und ein Hinweis auf die Klagefrauen). Der Q-Text endet mit einem Vierzeiler über eine Kritik jener Art Menschen zuerst an der asketischen Lebensweise Johannes des Täufers, danach an Jeschus ungezwungenem Verhalten bei Festen und Gastmählern. Daraus ist zu schließen, dass es unter jener Art Menschen (wahrscheinlich unter notorischen Miesmachern) zu einer Auseinandersetzung über den Täufer und Jeschu ge- 149 kommen war. Jedoch, das ist verwunderlich: Nicht über deren Botschaft, sondern über deren Essen und Trinken. Q 7,1.2* Nach Q-Lk war es jemand, der Jeschu als Rabbi ansprach und ihm anbot, ihm folgen zu wollen, nach Q-Mt war es ein Schriftgelehrter. Beides ist ungenau. Richtig wird sein: ein Schriftgelehrtenschüler. Warum? Weil ein voll ausgebildeter Schriftgelehrter auf keinen Fall gewünscht hätte, Jeschus Schüler zu werden. Denn dadurch hätte er sich ihm gegenüber zu unbedingtem Gehorsam verpflichten müssen sowie dazu, seine Lehre auswendig zu lernen, ihn mehr zu lieben als seine Angehörigen und an seinem Leben teilzuhaben. Jeschus Antwort an ihn, ein vierzeiliges Bildwort, läuft auf ein striktes Nein! hinaus; zwar unausgesprochen, aber entschieden. Und das aus mehreren Gründen. Erstens: weil Jeschu, anders als die jüdischen Schriftgelehrten, seine Schüler selber zu wählen pflegte. Zweitens: weil er offensichtlich Grund hatte anzunehmen, dass der junge Mann, der ihm angeblich zu folgen wünschte, von seinem bisherigen Lehrer geschickt worden war, ihn auszuspionieren. Drittens: weil Jeschu – er erschloss es aus seinem Äußeren und aus seinem Auftreten – den Eindruck gewonnen hatte, ein bildhafter und unmissverständlicher Hinweis auf ein hartes und entbehrungsreiches Leben als sein Schüler würde ihn am schmerzlosesten abschrecken. Richtig! Der zweite und der dritte Grund sind lediglich Vermutungen und können nichts anderes sein. Aber dass Jeschu seine Ablehnung ausgerechnet in das Gewand des 150 Bildwortes „Von den Füchsen und den Vögeln“ kleidete, weist deutlich in die vermutete Richtung. Denn für das Fuchsbild der Bibel waren bösartige Hinterlist und Schlauheit bestimmend. (Zielte Jeschu mit den Füchsen auf den Lehrer des jungen Mannes?) Und für das Vogelbild der Bibel war u. a. der unstete und gefährdete Mensch bestimmend. (Zielte Jeschu mit den Vögeln auf den jungen Mann?) Beides ist nicht auszuschließen. Falsch ist jedoch, den Schluss dieses Bildwortes auf die Heimatlosigkeit Jeschus zu deuten. Denn heimatlos war er nur während der Zeit, in der er ständig unterwegs war, um sich den Häschern des Antipas zu entziehen – bis er zu seiner letzten Wallfahrt nach Jerusalem aufbrach: von Kafarnaum aus, wo er ein eigenes Haus besaß (Mt 13,36; Mk 2,1; 7,17; 9,33). Leider ist die Bezeugung nur in wenigen griechischen Handschriften und in S zu Mk 9,33 eindeutig. Q 7,3.4* Der Q-Mt-Text ist am Anfang und am Ende verstümmelt. Daher ist der Q-Lk-Text vorzuziehen, auch wenn in dessen erster Zeile seiner Schüler ausgefallen ist. Wird dies (mit Q-Mt) in ihn eingefügt, dann war es einer seiner Schüler aus dem weiteren Schülerkreis der Siebzig, zu dem Jeschu sagte: Folge mir! Ist das zutreffend, dann stand, als er das sagte, seinen Siebzig unmittelbar bevor, von ihm zur paarweisen Sendung in die Mission unter ihren Stammesgenossen ausgesandt zu werden (Lk 10,1). Das war der bis dahin wichtigste Augenblick in ihrer Schülerschaft Jeschus. Der Zweck dieser Sendung war, ihre 151 Landsleute auf die für einige Zeit später angesetzte Tätigkeit ihres Meisters als Dämonenaustreiber, Heiler und Lehrer (in ihrer Mitte) vorzubereiten. Und zwar dadurch, dass sie das Da-Sein der Gottesherrschaft ausriefen und dabei – je nach den eigenen Kräften – als Dämonenaustreiber und Heiler (in ihrer Mitte) tätig waren. Immer paarweise! Nur dann, wenn jemand dies weiß und berücksichtigt, kann er ermessen, was Jeschu empfunden haben mag, als jener Schüler zu ihm sagte (RÜ-Text): Erlaubst du mir, zuerst hinzugehen und meinen Vater zu bestatten? Und nur dann, wenn jemand dies weiß und berücksichtigt, kann er verstehen, warum Jeschu ihm erwiderte (RÜ-Text): Überlass deinen Toten dem Totengräber! Aber du! – Ruf aus die Gottesherrschaft! Dazu ist zu ergänzen: Unter den klimatischen und sanitären Bedingungen der Umwelt Jeschus verweste ein Verstorbener schnell. Darum wurde er zumeist noch am Sterbetag bestattet. Auf ihn folgten sechs Trauertage, an denen die Trauerfamilie die Beileidsbezeigungen entgegenzunehmen hatte. Einen so langen Aufschub konnte Jeschu seinem Schüler nicht gewähren. Denn der wäre für die Übrigen der Siebzig, die auf ihren Einsatz warteten, unzumutbar gewesen. Entscheidend aber war, dass er einen ausgeschiedenen Schüler unmöglich so plötzlich durch einen anderen ersetzen konnte. Denn dazu hätte der ja von ihm hinreichend geschult worden sein müssen. – Dennoch: Jeschus Antwort blieb hart. Gab es pädagogische Gründe dafür? Nachträge: Der NTG-Text Erlaube mir, zuerst hinzugehen und meinen Vater zu bestatten! ist ein Befehlssatz. Der aber war, von einem Schüler an seinen Meister gerichtet, unange- 152 messen. Er war daher durch einen Fragesatz zu ersetzen: Erlaubst du mir …? Völlig unmöglich ist Lass die Toten ihre Toten begraben! (NTG-Text). Denn damit hätte Jeschu die Angehörigen seines Schülers als geistig Tote bezeichnet. Doch zum Glück ist dieser Satz leicht als Fehlübersetzung zu erweisen; ebenso wie deren Folge: die Plurale die Toten und den Totengräbern statt der Singulare deinen Toten und dem Totengräber. Q 7,5.6* Dieser Q-Text ist dem voranstehenden (Q 7,3.4) inhaltlich verwandt. Daher ist es mehr als wahrscheinlich, dass er in dieselbe Situation gehört wie er; das heißt zu der unmittelbar bevorstehenden Aussendung der Siebzig zur Mission unter ihren Stammesgenossen (Lk 10,1). Von ihm unterschieden ist er dadurch, dass dieser Schüler Jeschus einen weniger dramatischen Grund angab als der vorige, um sich von ihm entfernen zu dürfen; nämlich den, sich von seinen Hausgenossen segnen zu lassen. Und wieder blieb Jeschu hart – vermutlich, weil die Zeit ihn drängte (er wollte zu einer Wanderung nach Norden aufbrechen). Denn wieder erlaubte er seinem Schüler nicht, um was er ihn bat. Diesmal jedoch nicht befehlend, sondern mit dem „Bildwort vom Pflüger“. So, wie er dieses Bildwort formuliert hat, beweist sein Wortlaut, dass Jeschu von beidem etwas verstand: sowohl von dem Pflug, der in seiner Umwelt gebräuchlich war, als auch vom Pflügen. Denn nur daher konnte er wissen, dass der Pflüger seine Hand kräftig aufstemmen musste, damit der Pflug tief 153 genug in den Ackerboden eindrang. Und nur daher konnte er wissen, dass der Pflüger seine Hand auf den Pflug-sterz stemmen musste, auf den Führungsgriff am Pflug, um dadurch Richtung und Tiefe zu bestimmen (es ist nicht auszuschließen, dass er selber solche Pflüge gebaut und benutzt hat). Hinzu kam noch, und das war selbstverständlich, dass der Pflüger nicht vor dem Pflügen nach Hause zurückkehren durfte. Denn dadurch hätte er sich als schwankend und damit als für Jeschus Dienst untauglich erwiesen. Denn tauglich für diesen Dienst war nach seinem Urteil nur der, der beständig und zuverlässig war; nur der, der, nachdem er seinen Dienst angetreten hatte, bis zu seinem Ende durchhielt, der sich durch keinerlei Wünsche davon abbringen und durch keinerlei Härten und Schwierigkeiten entmutigen ließ; nur der, der niemals aufgab. Leider hat dieses Bildwort unter seiner Übersetzung ins Griechische so schwer gelitten, dass der von Jeschu beabsichtigte Sinn unkenntlich geworden war. Es liegt also nicht an den heutigen Übersetzern und Auslegern, die den NTG-Text übersetzt und ausgelegt haben, dass sie den ursprünglichen Sinn verfehlt haben, sondern daran, dass der frühchristliche Übersetzer des Bildwortes die Bedeutungen und Nebenbedeutungen der Wörter seiner aramäischen Vorlage nicht genau genug kannte, um sie richtig wiedergeben zu können. Nachtrag: Das, worum der Schüler Jeschu bat, wird im NTG-Text um Abschied zu nehmen genannt. Aber dafür gibt es im Aramäischen keine Entsprechung. Der einzige Begriff, der in Frage kommt, ist um sich segnen zu lassen (den Segen Gottes für sich erbitten zu lassen). Ebendas aber geschah bei dem, was wir „Abschied nehmen“ nennen. 154 Q 7,7-9 Bei Q 7,7 scheinen Q und Mk 6,7 einander zu überschneiden. Was hier geboten wird, kann daher nicht mehr sein, als ein Rekonstruktionsversuch. Ihn zu unternehmen, erscheint deswegen gerechtfertigt, weil an dieser Stelle der Q-Überlieferung, in welcher Fassung auch immer, eine Überleitung zum Folgenden gestanden haben wird. Das Bildwort Q 7,8, ein Dreizeiler, stimmt, bis auf eine Wortumstellung, in beiden Fassungen, Mt 9,37.38 und Lk 10,2, wörtlich überein. Sollte jede der beiden das Werk eines anderen Übersetzers sein? Könnte die sonst rätselhafte Wortumstellung so zu erklären sein? Die im Übrigen wörtliche Übereinstimmung spricht nicht dagegen. Denn der aramäische RÜ-Text ist so beschaffen, dass er kaum anders als so hätte übersetzt werden können. Bis auf das Wort hassôdajja’, das zweimal mit Schnitter statt mit Arbeiter hätte übersetzt werden müssen (vgl. Mt 13,30.39). Wegen des Wortspiels mit hasada’ „die Ernte“. Eines Wortspiel, wie es für Jeschus Redeweise typisch war. Diesem Bildwort zufolge war, als Jeschu es aussprach, Erntezeit; das heißt die Zeit, während der der Ertrag seiner Aussaat (als Sämann seiner Botschaft) durch seine Schüler (als Schnitter) eingebracht werden sollte; also vermutlich gegen Ende der so genannten galiläischen Periode seiner Wirksamkeit. Es ist sehr wahrscheinlich, dass aus dieser Ernte später, nach seinem Weggang, die galiläischen Q-Gemeinden hervorgegangen sind, in deren Bereich die Q-Textsammlungen zusammengetragen worden sind. 155 Denn es geschah sicherlich nicht grundlos, dass Jeschu jene Ernte groß nannte und dass er seine Schüler aufforderte, Gott zu bitten, er möge Schnitter in seine Ernte senden. Mehr Schnitter! Waren das vielleicht die Siebzig? Hätten die Zwölf diese Arbeit ohne sie womöglich nicht termingerecht schaffen können (bis zu Jeschus Rückkehr aus dem Norden, wohin er wandern wollte)? So könnte es gewesen sein. Und damit die Arbeit überhaupt zu schaffen sei, sandte er seine Zwölf und die Siebzig aus und begrenzte ihr Arbeitsgebiet auf den Stamm Israel (nicht auf die verlorenen Schafe des Hauses Israel, NTG-Text); das aramäische Wort bêt kann u. a. „Haus“ und „Stamm“ bedeuten. Gemeint sind ihre Stammesgenossen. Er tat es mit dem Dreizeiler Q 7,9: Geht nicht in Richtung Nichtjuden! Betretet auch nicht die Provinz Samaria! Geht nur zum Stamm Israel! Dass dieser Dreizeiler nicht in Q-Lk steht, braucht nicht zu befremden. Lukas musste ihn als zu einschränkend empfunden haben. Er konnte ja auch nicht ahnen, dass diese Einschränkung eine nur terminbedingte Geltung haben sollte – bis zu Jeschus Rückkehr aus dem Norden. Andernfalls hätte er danach kaum Jakobus und Johannes ausgeschickt, um in Samarien Quartier für ihn und die Zwölf zu machen (Lk 9,51-55). Dass das missglückte, ist kein zwingendes Argument dagegen. Denn das hatte nichts mit Jeschu und seiner Botschaft zu tun, sondern damit, dass er und die Zwölf als Wallfahrer unterwegs waren: nach Jerusalem und zu seinem Tempel, die den Samaritanern verhasst waren – weil die Juden (129 v. d. Z., unter Hyrkan I.) ihren Tempel auf dem Berg Garizim zerstört hatten. 156 Q 7,10-13 Die hier aufgereihten Mt-Textteile werden sehr wahrscheinlich zu Q gehören, obwohl sie nicht alle in Q-Lk bezeugt sind. Denn es ist in der Natur der Sache begründet, dass die Q-Sammler aus dem vorhandenen Q-Material je verschiedene Texte und Textteile ausgewählt und dass sie die je nach ihren Absichten und Neigungen anders zusammengeordnet haben werden. Mehr als geringere oder größere Wahrscheinlichkeit ist daher (hier) in Bezug auf die Zugehörigkeit zu Q weder zu gewinnen noch zu erwarten. Zu Vers 10, einer Weisung Jeschus, ist zu bedenken: Johannes der Täufer hatte das immer wiederkehrende Motiv seiner Botschaft Die Gottesherrschaft ist da! (statt „ist nahe gekommen“, NTG-Text) durch Inspiration empfangen. Von Johannes hatte Jeschu es empfangen. Und von Jeschu haben es, mit dieser Weisung, seine Schüler von ihm empfangen. – Genau dies ist gemeint, wenn von Überlieferung die Rede ist. Zu Vers 11 ist anzumerken: Die Weisung Jeschus Heilt Kranke! – Treibt Dämonen aus! („Weckt Tote auf! Macht Aussätzige rein!“ stammt nicht von ihm!) setzt voraus, dass er seine Schüler zum Heilen und Dämonenaustreiben ausgebildet haben muss. Wäre es nicht so, dann wäre sie leeres Gerede gewesen. Zu Vers 12 ist zu fragen: Warum gebot Jeschu seinen Schülern, auf ihrer Wanderung weder Geld noch Ranzen mitzunehmen und keine zwei Hemden (übereinander) und keine Sandalen zu tragen? Dafür konnte es nur einen Grund geben: Er wollte sie vor räuberischen Überfällen bewahrt wissen. Denn wer so 157 ärmlich daherkäme wie sie (aufgrund seiner Weisung), den zu überfallen lohnte sich nicht. Zu Vers 13 ist es wichtig, zu wissen, dass der NTGText „Grüßt niemanden auf dem Weg!“ eine missverständliche Verkürzung der Weisung Jeschus ist. Denn mit dem, was er auf Aramäisch gesagt haben muss (es gab nur eine Möglichkeit), war keineswegs ein kurzes Grußwort gemeint. Warum hätte er das denn auch verbieten sollen? Sondern es betraf das sehr umständliche und sehr zeitraubende Zeremoniell des Nach-dem-Wohlergehen-Fragens, wobei es, der orientalischen Mentalität entsprechend, um jedes Familienmitglied und um vielerlei gehen konnte. Jeschus Absicht war demnach: zur Eile zu mahnen. Insgesamt betrafen diese Weisungen Jeschus die Wanderungen seiner Schüler in ihre Arbeitsgebiete. Selbstverständlich wird er dabei sorgfältig geplant haben. Zum Beispiel welche Orte von welchen Sendbotenpaaren bearbeitet werden sollten (paarweise Sendung war die Regel). Denn nur so war sicher zu stellen, dass es keine Ausfälle und keine Überschneidungen geben konnte. Und vorweg betrafen sie den Umfang ihrer Tätigkeit; nämlich das Da-Sein der (diesseitig-geistigen) Gottesherrschaft auszurufen, Kranke zu heilen und Dämonen auszutreiben. Von dem NTG-Text Mt 10,7 Hingehend aber, verkündet, sagend: Nahe gekommen ist das Reich der Himmel! gilt: Er ist ganz und gar falsch übersetzt. Stattdessen muss es heißen: Und wo ihr hingeht, da ruft aus: Die Gottesherrschaft ist da! Dass die Gottesherrschaft gemeint sein muss (die diesseitiggeistige Gottesherrschaft, die da ist), ergibt sich schon daraus, dass die Himmelsherrschaft (nach Jeschu) die jenseitiggeistige Gottesherrschaft ist, in die nur der eingelassen werden darf, der die Einlassbedingungen erfüllt hat. 158 Doch diese Unterscheidung Jeschus wurde schon früh verwischt und vergessen. Und zwar dadurch, dass seine Schüler (tragischerweise!) an der überkommenen, aber von ihm verworfenen Vorstellung von einem irdischen „Reich Gottes“ festhielten (Apg 1,6). Einem Widerspruch in sich selbst, der durch alle Jeschuworte, die von einem „Einlass in die Himmelsherrschaft“ handeln, widerlegt wird! Q 7,14-17 Die hier gebündelten Weisungen Jeschus galten dem Benehmen seiner Schüler beim Betreten eines Hauses und ihrem Verhalten seinen Bewohnern gegenüber – wenn sie dem Hausherrn willkommen und von ihm gastlich aufgenommen worden waren. Entscheidend war dabei ihr Heilsgruß und dessen Annahme beziehungsweise Ablehnung durch den Hausherrn: stellvertretend für alle Hausgenossen, wie in der Umwelt Jeschus üblich. Wurde er abgelehnt, dann blieb ihnen nur, das Haus wieder zu verlassen. Wurde er angenommen, dann sollten sie darin bleiben, sollten den Hausgenossen Jeschus Botschaft und deren heilende und befreiende Wirkungen in Wort und Tat mitteilen und sollten dafür – doch das war für jeden Orientalen ein selbstverständliches und unantastbares Gastrecht – an ihren gemeinsamen Mahlzeiten teilnehmen, bis sie ihre Arbeit getan hatten. Zu dem Begriff Heilsgruß ist noch nachzutragen: Für den so genannten modernen Menschen sind Wörter und Worte (auch Grüße) zumeist nur Wörter und Worte, Schall und Rauch. 159 Nicht so für die meisten antiken Menschen, gar noch in Jeschus Umwelt. Für sie bewirkten die Wörter und Worte das, was sie besagten: ein Fluchwort also Fluch, ein Heilsgruß also Heil. Und zwar durchaus wirksam und nachweisbar (wie heute noch bei so genannten Primitiven). Dass dies heutzutage überhaupt nicht mehr gelte, ist ein Irrtum. Es gilt allerdings nur mehr in abgeschwächter, zumeist versteckter Form – weil der so genannte moderne Mensch durch die immer mehr anschwellende Flut der Wörter und der Worte stumpf geworden ist gegenüber ihren Wirkungen. Doch zahllose Neurosen, mit denen zahllose Menschen behaftet sind, bezeugen gleichwohl die abgeschwächten und versteckten Folgen verderblicher Wörter und Worte; und zwar unabhängig davon, ob man das weiß und wahrhaben will oder nicht. Q 7,18-20 Die hier zusammengestellten Weisungen Jeschus führen die voranstehenden Weisungen weiter, bezogen auf das Verhalten seiner Schüler zu Beginn eines Aufenthalts in einer Ortschaft. Wurden sie gastlich in ihr aufgenommen, so sollten sie in ihr bleiben und ihren Bewohnern Jeschus Botschaft und deren heilende und befreiende Wirkungen in Wort und Tat mitteilen. Wurden sie nicht gastlich in ihr aufgenommen, so sollten sie sie wieder verlassen; jedoch nicht, ohne den Staub von ihren Füßen abzuschütteln. Diese in Jeschus Umwelt allgemein bekannte Gleichnishandlung bedeutete, dass seine Schüler ihre Gemeinschaft 160 mit den Bewohnern jenes Ortes abbrechen sollten, noch ehe sie begonnen hatte. Der Spruch, den sie dabei zu sprechen hatten, lautete: „Totenklage mögen die Häuser erheben über die, die sie erbauten.“ Beide, die Handlung und das Wort, würden Wirkung haben auf das künftige Geschick derer, denen sie galten. Denn sie würden den Grund beider (ihre Ablehnung!) nicht leugnen können, und die würde zu einem Belastungszeugnis gegen sie werden beim Urteil der Richterengel Gottes über ihr Leben – nicht lange, nachdem sie, jeder Einzelne von ihnen, gestorben sein würden. Erwähnenswert ist noch: Der Kalkboden in der Umwelt Jeschus war im Sommer überaus staubig. Dass die Füße seiner wandernden Sendboten staubig waren, ergibt sich daraus. Demnach muss es Sommer gewesen sein, als Jeschu sie aussandte. Q 7,21-23 Es kann keinen berechtigten Zweifel daran geben, dass beide Texte (Mt 10,40 und Lk 10,16) zu Q gehören und dass es ursprünglich eine Dreiung von je vierzeiligen Sprüchen (über aufnehmen, hören auf und verwerfen) gewesen ist, die Jeschu seinen Schülern mit auf den Weg gegeben hat. Das ergibt sich nicht nur aus den voranstehenden Weisungen, an denen ebendiese Dreiung abzulesen ist, sondern auch daraus, dass Dreiungen seiner Worte eines der Hauptmerkmale der Poesie Jeschus gewesen ist. Dass im NTG-Text von Q-Mt nur der erste von drei Sprüchen erhalten geblieben ist, könnte daran liegen, dass 161 die beiden anderen nicht in den Stichwortzusammenhang passten, in dem dreimal vom Aufnehmen die Rede ist. Und warum im NTG-Text von Q-Lk der zweite Spruch verstümmelt ist, das ist nur solange rätselhaft, wie man den S-, den C- und den H-Text zu Q-Lk unberücksichtigt lässt. Denn in ihnen ist das fehlende Zeilenpaar Und jeder, der auf mich hört – er hört auf den, der mich gesandt hat völlig unpassend an das Zeilenpaar Und jeder, der mich verwirft – er verwirft den, der mich gesandt hat angehängt worden. Das aber ist ein sicheres Anzeichen dafür, dass der Abschreiber dieser Dreiung seinen Fehler bemerkt hat und dass er – ihm blieb ja auch gar nichts anderes übrig – das fehlende Zeilenpaar an den bis dahin geschriebenen Text angefügt hat. Vielleicht mit einem Korrekturzeichen am Rand des Manuskripts, das anwies, wohin jener Textteil gehört. Ein Zeichen, das ein späterer Kopist, weil er es nicht verstand, unbeachtet ließ. [Dieses Verfahren findet sich wiederholt in der Bibel, sogar bei einem Jeschuwort, wie der Vergleich von Mt 7,6 mit Thomas-Evangelium 93 beweist.] Der äußeren Dreiung dieser Spruchgruppe (aufnehmen, hören auf und verwerfen) entspricht stilgemäß in jedem der drei Sprüche deren innere Dreiung (euch, mich und den, der mich gesandt hat). Hiernach waren Jeschus Schüler seine Sendboten und er selbst der Sendbote Gottes. Aber nicht allein das, sondern: Jener Spruchgruppe zufolge widerfuhr das, was Jeschus Schülern widerfuhr, nicht nur ihm, der sie gesandt hatte, sondern auch Gott, der ihn gesandt hatte. 162 In Jeschus Umwelt entsprach diese Vorstellung dem schon lange vor ihm geltenden Grundsatz: „Der Gesandte eines Menschen ist wie dieser selbst.“ Dann aber hat, Jeschu zufolge, auch dies zu gelten: Der Gesandte Gottes ist wie dieser selbst. Ist er aber nur wie Gott selbst, wie könnte Jeschu dann Gott selbst sein? Nach Jeschus Urteil konnte (und kann) er das ebenso wenig, wie seine Schüler, die ja auch nicht (obwohl sie als seine Boten wie er selbst waren) er selbst sein konnten! Und wie war (und ist) das wie in jenem Grundsatz zu beurteilen? Es betraf ausschließlich die Botschaft, die ein Sendbote mitzuteilen hatte. Gemeint ist also: Was der Sendbote sagte (nur darum musste er ja den Wortlaut der Botschaft auswendig lernen), das galt dem Empfänger ebenso, als hätte es der ihn Sendende selbst gesagt. Daraus folgt: Wäre dem Sendboten irgendwann eingefallen, etwas anderes zu sagen, als der ihn Sendende gesagt hatte, dann hätte er im selben Augenblick verwirkt, dessen Sendbote zu sein. Offensichtlich war den Übersetzern, Bearbeitern und Abschreibern der Jeschu-Überlieferung – die sich nicht scheuten, ihre Vorlagen nach Gutdünken zu verändern – diese erschreckende Konsequenz ihres Tuns unbekannt. Denn wäre sie ihnen bekannt gewesen, dann hätten sie sicherlich nicht gewagt, das zu tun. Mehr dazu im Anhang unter „Bewusste Textänderungen?“ (Seiten 323-325). Dazu ist festzuhalten: In allen drei Jeschuworten bietet der NTG-Text (wörtlich: der Aufnehmende, der Hörende, der Verwerfende) eine verstümmelte Wiedergabe des Sprachgebrauchs Jeschus. Korrekt wäre gewesen: jeder Aufnehmende, Hörende, Verwerfende = jeder, der aufnimmt, hört, verwirft. Hiernach ist, anders als im NTG-Text, durch jeder in allen drei ersten Zeilenpaaren ihre Allgemeingültigkeit betont. 163 Es war also ein dreimal wiederholter Doppelfehler, der im NTG-Text zu dieser Verstümmelung führte: Erstens wurde die aramäische Entsprechung für jeder (wörtlich: jeder jemand) ausgelassen. Zweitens wurde das aramäische Relativpronomen de mit dem Artikel der wiedergegeben, statt mit dem Relativpronomen welcher = der. Etwas abgewandelt wiederholte sich dieser Fehler in allen drei zweiten Zeilenpaaren, in denen nur der Artikel der steht, wo jemand, der hingehört. Durch diese Fehlübersetzungen wurde nicht nur der Sinn dieser Spruchgruppe zerstört, sondern auch ihre poetische Form. Solch eine Häufung von Fehlern in einem so kurzen Text (die oben erwähnten und bereits korrigierten Verstümmelungen des Wortlauts kommen ja noch hinzu) hat nicht nur als Nachlässigkeit im Umgang mit dem geistigen Eigentum Jeschus zu gelten, sondern darüber hinaus als schwerwiegende Sinnverderbnis. Q 7,24.25 In Q-Mt 10,16 stehen zwei Zweizeiler (bildhafte Vergleiche Jeschus); in Q-Lk 10,3 steht nur einer, der erste. Warum? Der Grund für diese Verkürzung war leicht zu erraten: Der NTG-Textteil „Seid klug wie die Schlangen!“ erschien dem Sammler und/oder Bearbeiter von Q-Lk zweifellos anstößig. Zu Recht! Immerhin ist diese Aussage als Befehlssatz, also als striktes Gebot formuliert. Aber kann das wahr sein, dass Jeschu seinen Schülern geboten habe, klug zu sein wie die Schlangen? Ist es auch nur möglich? Nein! Daher gilt: Ihm das zu unterstellen, ist Torheit und Schmähung zugleich. 164 Schon deswegen, weil die Schlange zwar die List und Heimtücke, die Verschlagenheit und Verdorbenheit, das Böse und den Versucher symbolisiert, nicht aber die reine, wahre Klugheit. Wenn aber nicht, welches charakteristische Merkmal der Schlangen könnte Jeschu dann im Sinn gehabt haben (unabhängig von jeglicher Symbolik), als er sie in seinen Vergleich einfügte. Und zwar: um dadurch eine von zwei Verhaltensweisen zu bezeichnen, die er für den künftigen Dienst seiner Schüler für so notwendig hielt, dass er ihr ein striktes Gebot widmete? Es hat ca. zwanzig Jahre gedauert, bis ich nach etlichen Anläufen zu der wahrscheinlich richtigen Lösung dieses Problems gekommen bin. Und auch das eher beiläufig: während ich dabei war, den seit Jahrzehnten erarbeiteten aramäischen Wortbestand der Jeschu-Überlieferung nach dessen deutschen Wortbedeutungen alphabetisch zu ordnen. Dabei standen plötzlich und absichtslos folgende Wörter einander gegenüber: Hornschlangen (šefifonajja) und vorsichtige (zehirin), Turteltauben (šafninajja) und lautere (zakkikin). Man beachte die sicherlich nicht zufälligen Reime: bei den Tiernamen den Stabreim auf š-, den Binnenreim auf -nund den Endreim auf -ja; bei den Verben den Stabreim auf z-, den Endreim auf -in und die Assonanz (bei der nur die Vokale übereinstimmen) auf -i-i-. Purer Zufall kann das alles nicht sein. Folglich muss es Jeschus ( ! ) Absicht gewesen sein, so zu formulieren. Wenn aber seine Absicht, dann spricht Entscheidendes dafür, dass die ermittelten Vokabeln die richtigen sind. Als ich mich nach diesem Arbeitsgang genauer informieren wollte, fand ich in einem Sachbuch über die Tier- 165 welt der Bibel zur Turteltaube die Bemerkung, sie diene als Symbol für die Unschuld, Arglosigkeit, Rechtschaffenheit, (Herzens)einfalt. Dem entsprechen haargenau sowohl das zugrunde liegende griechische als auch das ihm zugrunde liegende aramäische Wort für lauter. Und zur Hornschlange fand ich die Notiz, sie vergrabe sich in den Sand, sodass nur die Augen und die hornartigen Vorwölbungen an ihrem Kopf sichtbar sind. Wenn dann kleine Vögel nach ihnen picken, weil sie sie für Würmer halten, schnelle sie vor und beiße zu. Dieses Verhalten der Hornschlangen lässt sich zwar auch als klug deuten (so nach dem Griechischen), jedoch besser noch als vorsichtig (so nach dem Aramäischen). Für diese beiden Unterarten sowohl von Schlangen als auch von Tauben die richtigen griechischen Namen zu wählen (nämlich kerastës und trygon), damit war der Übersetzer offensichtlich überfordert; vermutlich, weil ihm die genaue Bedeutung ihrer aramäischen Namen unbekannt war. Daher ist es begreiflich, dass er statt der speziellen Begriffe Hornschlange und Turteltaube die allgemeinen Begrif-fe Schlange und Taube wählte und dazu die Adjektive, die ihm am besten zu passen schienen: für die Taube lauter, das richtige, und für die Schlange klug, ein ungenaues. Dass Jeschu bei der Formulierung dieses Spruches das Charakteristische gerade dieser beiden Tierarten im Blick hatte – die offenkundige Vorsicht der Hornschlange (die sich im Sand vergräbt) und die sprichwörtliche Lauterkeit der Turteltaube (deren Symbol sie ist) –, verrät seine scharfe Beobachtungsgabe. Um was es Jeschu ging, als er seine Schüler mit dem Spruchpaar Q 7,24.25 in ihre Sendung entließ, ist nach all dem unmissverständlich: Mit dem ersten Spruch wollte er 166 ihnen bildhaft bewusst machen, dass sie auf ihrem Weg in seinem Dienst ähnlich gefährdet sein würden, wie Lämmer inmitten von Wölfen. Plastischer ging das kaum. Anders ausgedrückt: Er wollte, dass sie von vornherein gewarnt seien vor dem Unmenschlichen in ihren Mitmenschen, sobald es um religiöse Überzeugungen und Interessen ging. Und damit sie dennoch überleben könnten, forderte er im zweiten Spruch von ihnen, ebenfalls bildhaft, vorsichtig zu sein (also: aufmerksam, besonnen und klug bei Gefahr oder in kritischen Situationen), damit sie vor Schaden bewahrt blieben, und lauter zu sein (also: von reiner, makelloser und wahrhaftiger Gesinnung), damit niemand sie berechtigterweise anklagen könne. Nachtrag: wo die NTG-Vorlage Schafe hat, da haben der S-, der C-, der P- und der H-Text Lämmer. Das wird richtig sein, weil es den Gegensatz verschärft. Denn Lämmer sind Jungtiere von Schafen. Wenn aber bereits Schafe ein Symbol für Sanftmut sind, um wie viel mehr dann Lämmer! Im Gegensatz zu ihnen, den völlig wehrlosen, den Opfertieren schlechthin, sind Wölfe wehrhafte Raubtiere. In Jeschus Umwelt waren sie die größten, die es noch gab. Q 8,1* Dieses Dankgebet Jeschus, das er im Gegensatz zu seinem sonstigen Beten öffentlich betete, liegt uns im NTGText in einem trostlosen Zustand vor. Nicht nur, dass es an entscheidenden Stellen falsch übersetzt worden ist. Es ist überdies auch noch entstellt 167 worden: durch einen Zusatz, der im S- und im C-Text zu Q-Mt fehlt, und durch eine Auslassung. Soll dies bewusst werden, so empfiehlt es sich in diesem Fall, den gesamten Text in einer deutschen Übersetzung vorzulegen, der die griechische Vorlage so wörtlich wie möglich wiedergibt (Q-Mt 11,25.26, zitiert nach dem MNT, jedoch in Sinnzeilen gesetzt): Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dieses verbargst vor Weisen und Verständigen und es offenbartest Unmündigen; ja, Vater, weil so es Gefallen fand vor dir. Diese Wiedergabe nach dem NTG-Text erweckt den Anschein, Jeschu habe den Vater dafür gepriesen, dass er dieses (nämlich das Da-Sein der diesseitig-geistigen Gottesherrschaft) den Weisen und Verständigen (den Schriftgelehrten) verborgen habe und zugleich dafür, dass er es den Unmündigen offenbart habe. Wohlgemerkt: Laut jener Wiedergabe wären demnach das Verbergen und das Offenbaren Handlungen Gottes gewesen, hätten in ihr dasselbe Gewicht gehabt und wären in ihr Gegenstand des Preisens Jeschus gewesen. Wenn das richtig wäre, dann hätte Gott nach Jeschus Urteil aus reiner Willkür seinen Gegnern mit der linken Hand ein heilloses Geschenk in den Schoß geworfen und seinen Schülern mit der rechten Hand ein heilvolles. Und nach ebenfalls seinem Urteil sei das eine ebenso preisenswert wie das andere. Aber – wie verträgt sich dieses angebliche Urteil Jeschus mit Q 4,1: Er, Abba, lässt seine Sonne aufgehen über Guten und über Bösen … usw.? 168 Beides kann er ja wohl nicht gesagt haben – außer, er war schizophren. Wenn aber nicht, und das ist sicher, was dann? Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder das obige Dankgebet stammt nicht von Jeschu, oder er hat das, was er gesagt hat, ganz anders gesagt und gemeint, als es im NTG überliefert ist; nämlich Gott gemäß und ihm selbst gemäß, der Gott als die Güte in Person beschrieben hat. Wenn es so ist und wenn aus dem NTG-Text keine Lösung dieses Problems zu gewinnen und zu erhoffen ist, dann hilft allein eine Rückübersetzung der griechischen Vorlage ins Aramäische; und zwar sowohl dem Sprachgebrauch als auch dem Geist und der Poesie Jeschus gemäß. Was dabei schließlich herausgekommen ist – ein viertel Jahrhundert nach dem ersten Versuch, der nur der erste Schritt in die richtige Richtung gewesen ist – das ist erstaunlich einfach: Ich danke dir, Abba, Herr der Himmel und der Erde, dass du dies den Gelehrten verborgen sein lässt und es den Ungelehrten offenbar sein lässt. Ja! – Abba! – Heiliger! – Weil es so dein Wille war. Hiernach war es nicht Gott der dies (das Da-Sein seiner diesseitig-geistigen Herrschaft) den (Schrift)-Gelehrten verborgen hat (er handelt nie selbst, er lässt handeln – beziehungsweise wirksam werden). Sondern: es waren ihre irrigen Vorstellungen über Gott und seine Herrschaft und es waren ihre Überheblichkeit und Unbelehrbarkeit – Jeschu, seiner Botschaft und seiner Lehre gegenüber –, deretwegen ihnen das Da-Sein ( ! ) der diesseitig-geistigen Gottesherrschaft verborgen blieb. 169 Umgekehrt war es die ungezwungene Offenheit der Schüler Jeschus – ihm, seiner Botschaft und seiner Lehre gegenüber –, deretwegen ihnen das Da-Sein der diesseitiggeistigen Gottesherschaft offenbar werden konnte. Und weil Jeschu wusste, dass beides genau so dem Willen Gottes und der Entscheidungsfreiheit aller Geistwe-sen entsprach, darum dankte er Gott öffentlich für das, was man als einen Misserfolg seiner Sendung werten konnte. Nämlich: dass die Schriftgelehrten sein Wirken fast einhellig verwarfen, und dass nur seine Schüler auf ihn hörten und ihm folgten: eine kleine Schar von Ungelehrten, wie er sie nannte – wenn auch ohne ihn völlig zu verstehen. Und wie, wenn es anders gewesen wäre? Wenn die Schriftgelehrten seines Volkes Jeschus Botschaft vom DaSein der diesseitig-geistigen Gottesherrschaft angenommen hätten? Was dann? Zweifellos hätten sie dann kraft ihrer schriftgelehrten Autorität diese Botschaft schon an der Quelle ihren Vorstellungen entsprechend umgebogen und in ein anderes Bett geleitet. Das aber wäre noch katastrophaler gewesen, als es ohnehin schon ist: durch Fehl- und Umdeutungen infolge von Fehlern, die dadurch entstanden sind, dass die Worte Jeschus fehlerhaft aus dem Aramäischen ins Griechische übersetzt worden sind. – Dass es nicht dazu kam, das war und ist trotz allem ein Segen. Nachträge: Vor Weisen und Verständigen war durch den Gelehrten zu ersetzen und Unmündigen (ein Wort, das nur auf Kinder bezogen wurde) durch den Ungelehrten. Zusammen ergeben sie ein Wortspiel zwischen lehaberîn „den Gelehrten“ und lebûrîn „den Ungelehrten“ (Wortspiele dieser Art formulierte Jeschu oft). 170 Hinter Abba! war Heiliger! zu ergänzen. Zu dieser Kombination, ebenfalls in einem Gebet, vgl. Jh 17,11. Fehlte es hier, so wäre die poetische Form der Zeile zerstört. Es einzufügen, war daher nicht nur erlaubt, sondern geboten. Es war Wohlgefallen vor dir (so der NTG-Text) ist zwar gut rabbinisch, war aber nicht Jeschus Redeweise. Die war nicht so umständlich. Dieser Textteil war daher durch es war dein Wille zu ersetzen. Die NTG-Textteile du hast verborgen und du hast offenbart sind nur geringfügig falsch übersetzt, jedoch mit verheerender Wirkung (siehe oben). Und das nur, weil der frühchristliche Übersetzer glaubte, Gott handle selbst. Doch das hat Gott nicht nötig. Entweder er gebietet und es geschieht, oder er lässt handeln – beziehungsweise wirksam werden. So schon bei dem, was man irrigerweise seine „Schöpfung“ nennt. Q 8,2* Diese drei Langzeiler – ein Jeschuwort an seine Schüler – sind so wie sie in Q-Lk und Q-Mt vorliegen, in einem unerträglichen und unjeschuanischen Stopfstil formuliert. Das lässt darauf schließen, dass beide Q-Sammler (und/ oder QBearbeiter?) Übersetzungsnöte mit ihnen oder mit ihren aramäischen Vorlagen gehabt haben müssen. Nicht nur, dass sie ihn an entscheidenden Stellen falsch übersetzt haben (in Q-Lk an einer Stelle sogar aus einem unangemessenen stilistischen Grund verkürzt), sondern dass sie ihn, dem Dogma der Allwissenheit Gottes zuliebe, zuerst um einen und dann – notgedrungen – um einen weiteren unsinnigen Zusatz ergänzt haben. 171 Völlig unnötig! Denn wo der griechische Q-Text niemand weiß hat (sodass Gott eingeschlossen wäre), da ist in der aramäischen Vorlage kein Mensch weiß gemeint (sodass Gott ausgenommen ist). Und als unsinnig erweisen sich jene beiden Zusätze dadurch, dass der sprachliche Missgriff niemand statt kein Mensch auch die einschließt, die sowohl Gott als auch den Sohn = Menschensohn = Jeschu kannten: die Engel, der Satan und die Dämonen (Mk 1,24 / Lk 4,34). Dies war eine schwerwiegende Fehlübersetzung (mit den genannten Zusätzen als unliebsamen Folgen). Die zweite, ebenso schwerwiegende, war die Verkürzung von den Menschensohn zu den Sohn – aus dogmatischen Gründen umgedeutet auf „den Sohn Gottes“. Diese Fehldeutung ist nur so zu erklären, dass die Übersetzer an dieser Stelle mit dem Begriff Menschensohn nichts anzufangen wussten. Vermutlich deswegen nicht, weil sie in ihm einen anderen sahen als Jeschu: einen, der „mit den Wolken des Himmels“ kommen werde (Dan 7,13). War es so, dann blieb ihnen nur ein Ausweg: der Menschensohn auf der Sohn zu verkürzen. Dieser Vorgang ist ein Musterbeispiel dafür, dass falsche Vorstellungen, wie die über „den kommenden Menschensohn“, die Übersetzungen aramäischer Vorlagen verfärbt und dadurch Fehlübersetzungen und Ergänzungen verursacht haben. Werden solche Verfärbungen erkannt und beseitigt, und werden daraufhin auch deren Folgen getilgt – durchweg Zusätze, wie hier, die außerdem auch noch die poetische Form zerstören –, so bleibt in der Regel ein Textbestand übrig, der einfach und klar formuliert und daher auch verstehbar ist. 172 Gleichwohl ist dieser Q-Text eines der sonderbarsten Worte Jeschus, weil der Textteil „kein Mensch weiß, wer ICH bin“, wörtlich verstanden, nicht wahr sein kann. Denn zu der Zeit, da er dieses Wort sprach, gab es viele Menschen, die ihn kannten. Zum Beispiel seine Angehörigen, die Bewohner Nazarets, Kapharnaums und anderer Orte, an denen er als Handwerker gearbeitet hatte. Aber wusste irgendeiner von ihnen damit auch schon, wer er wirklich ist? Nach seinem eigenen Urteil: Kein Mensch, also selbst seine Mutter nicht. Und Abba, den Jeschus Mitmenschen ’ælaha’ (Gott) nannten und über den die Schriftgelehrten, die Pharisäer und andere fromme Zeitgenossen wer weiß was zu wissen wähnten? Nach seinem Urteil wusste keiner von ihnen, wer Abba wirklich ist, trotz Moses und der Propheten. Anders verhielt es sich bei ihm. Er wusste, wer er selbst und wer Abba ist. Denn er kannte ihn (Jh 7,29; 8,55), und er kannte sich selbst; das heißt, er erinnerte sich an sein vorgeburtliches Leben in der jenseitig-geistigen Welt Gottes. Daher konnte nur er offenbaren, wer er und wer Abba wirklich sind: Abba, der Vater aller Geistwesen (Heb 12,9), Menschen eingeschlossen; und er selbst der auserlesene Sohn Abbas, damit zugleich aber auch der Bruder aller Geistwesen, Menschen eingeschlossen (Heb 2,11). Erfahren aber, so Jeschu in dem obigen Q-Wort, kann das nur der, dem er es offenbaren will. Doch gelingen kann das nur bei dem, der offen dafür ist und um Erkenntnis darüber bittet. Nachträge: Die Fehlerhaftigkeit dieses NTG-Textes offenbart überdeutlich, wie schwierig es für die frühchristlichen Übersetzer der Jeschu-Überlieferung gewesen sein muss, ein Q-Wort wie das obige richtig zu übersetzen. 173 Schon die falsche Wiedergabe des einleitenden kein Mensch durch niemand genügte, um beinahe alles falsch zu übersetzen. Ausgenommen war nur das ich weiß in Q-Lk. Dafür hat Q-Mt er erkennt. Die aramäische Entsprechung kann zwar beides bedeuten, aber richtig ist allein er weiß, denn unser er erkennt würde auch für die Zukunft gelten. Erwähnt wurde bereits: erstens, dass der Sohn durch der Menschensohn = ICH zu ersetzen war; zweitens, dass wenn nicht der Vater und wenn nicht der Sohn (dem Dogma der Allwissenheit zuliebe hinzugefügt) zu streichen waren; drittens, dass in Q-Lk und niemand weiß = und kein Mensch weiß aus einem fragwürdigen stilistischen Grund ausgefallen ist Zu ergänzen ist: Den Begriff Menschensohn gebrauchte Jeschu immer dann, wenn er sich scheute, ich zu sagen. Q 8,3.4 Der NTG-Text zu Q 8,3 – vier Halbzeilen – ist zwiespältig überliefert. Korrekt ist weder Q-Mt noch Q-Lk. Also blieb nichts anderes übrig, als die Wahl des kleineren Übels; in diesem Fall die der Mt-Fassung. Warum in ihr euren dem Bezugswort Augen voransteht (Euren wohl Augen!), statt nachgestellt zu sein (nur das ist im Aramäischen möglich), bleibt unergründlich. Wird es nachgestellt (also: Wohl euren Augen!), so ergibt sich ein normaler Wohlruf Jeschus; und zwar nicht an seine Schüler adressiert, sondern an deren Augen (im galiläischen Aramäisch sind sie männlichen Geschlechts). Im NTG-Text soll dieses Wohl! auch den Ohren gelten. So jedenfalls nach dem Übersetzer (oder Bearbeiter?), der sich die Freiheit herausnahm, das Selig! = Wohl! vor den Oh- 174 ren wegzulassen. Das aber war ein Fehler; denn die Ohren sind im Aramäischen weiblichen Geschlechts. Daher musste Jeschu, damit es ihnen gelten konnte, unbedingt ein Wohl! mit weiblicher Endung verwendet haben. Auch um der poetischen Form willen. Von beiden Wohlrufen, sowohl von dem, der den Augen als auch von dem, der den Ohren galt, ist in Q-Lk lediglich ein Torso übrig geblieben, der den sehenden Augen gilt. Das ist, mit Verlaub, eine schwere Fehlleistung. Auch der NTG-Text zu Q 8,4 – einem Dreizeiler – ist zwiespältig überliefert. Der zu Q-Mt ist fehlerfrei, aber der zu Q-Lk enthält einen Fehler, der durch nichts zu rechtfertigen ist. Oder ist es etwa korrekt, dass ein Übersetzer (oder Bearbeiter?) das Wort Gerechte durch Könige ersetzt? Und worauf zielte Jeschu mit diesem absichtlich ungleichen Spruchpaar? – Was die Augen seiner Schüler sahen, steht fest: sie sahen ihn und alles, was er tat. Auch was ihre Ohren hörten, ist sicher: sie hörten seine Worte; solche, die Außenstehenden galten und solche, die nur an sie gerichtet waren. Den Außenstehenden galt seine exoterische Verkündigung. Sie war dem Fassungsvermögen seiner jeweiligen Hörer angepasst. Seine esoterische Lehre trug er nur seinen Schülern vor. Und wann immer sie ihr Fassungsvermögen überstieg, wurde er nicht müde, sie ihnen zu erklären und zu entfalten – häufig ohne bleibenden Erfolg. Beide Arten seiner Rede betrafen die Gottesherrschaft, nicht das fälschlich so genannte „Reich Gottes“! Seine exoterische Verkündigung handelte von der diesseitig-geistigen Gottesherrschaft, die da sei und die sich ausbreiten werde über die Erde, ohne dass die Menschen das bemerken würden (siehe Seite 180). Und seine esoterische Lehre? 175 Sie handelte von der jenseitig-geistigen Himmelsherrschaft, der „Urheimat“ aller Geistwesen, Menschen eingeschlossen (Phl 3,20; 1Pt 1,4). Und sie handelte vom Ziel aller Geistwesen, die noch nicht (wieder) in ihr leben durften, weil sie noch nicht dafür taugten, die aber, wenn sie dafür reif geworden sein würden, (wieder) in sie eingelassen werden – Menschen eingeschlossen, doch Satan und die Dämonen nicht endgültig ausgeschlossen. Und alles, was er tat und was seine Schüler ihn tun sahen: seine Dämonenaustreibungen und Heilungen und seine sonstigen Taten (Demonstrationen, die seine Sendung beglaubigen sollten) – wozu tat er das alles? Er tat es zum Nachweis der Tatsache, dass Gott ihn gesandt hatte und dass die Gottesherrschaft insgesamt, der Gegenstand seiner Verkündigung und Lehre, keineswegs ein frommer Wunsch ist, sondern Realität. Nachtrag: Das Amen, ich sage euch beziehungsweise Denn ich sage euch (so die lukanische Verkürzung) war zu streichen. Denn diese Einleitungsformel (korrekt: „Amen! Amen! – Ich soll euch sagen“) hatte Jeschu nur seinen Offenbarungsworten vorbehalten; Worten also, die er durch Inspiration empfangen hatte. Q 8,5-7* Dieser Q-Text enthält ein Gebet, das Jeschu vor fast 2000 Jahren formuliert hat. Ursprünglich bestand es aus der Gottesanrede Abba und, das war typisch für ihn, aus zwei Dreiungen von Bitten; genauer: aus drei Dein-Bitten, in denen es um Belange Gottes ging, und aus drei Unser-Bitten, in denen es um Belange von uns Menschen ging. 176 Die erste Dreiung war gebildet aus zwei Wörtern je Bitte, die zweite Dreiung aus drei Wörtern je Bitte. Folglich brauchte Jeschu für das ganze Gebet nicht mehr als sechzehn Wörter. Und was ist daraus gemacht worden, schon bald, im CText, einer sprachlich vergleichbaren altsyrischen Übersetzung griechischer Vorlagen? – In Q-Mt wurden bei sieben Bitten (einer Bitte mehr) fünfzehn Wörter hinzugefügt; und in Q-Lk wurden bei fünf Bitten (einer Bitte weniger) neun Wörter ergänzt. Aus purer Willkür! Warum? War denen, die das taten, das sowohl formal als auch inhaltlich vollendet formulierte Gebet Jeschus nicht vollkommen genug? Nämlich: in der ersten Dreiung mit Stabreim in Zeilen zwei und drei sowie mit Endreim in allen drei Zeilen und in der zweiten Dreiung mit Stabreim in Zeilen zwei und drei sowie mit Binnen- und Endreim in allen drei Zeilen (so nach dem RÜ-Text)! Glaubten sie etwa, diese Perle der Dichtkunst Jeschus noch veredeln zu müssen? Welche Hybris gegenüber dem Mann und seinem geistigen Eigentum, den sie scheinbar ehrfürchtig ihren Herrn und Meister nannten! Was davon übrig blieb (formal und inhaltlich entstellt), wird im deutschen Sprachraum „Vaterunser“ genannt. QLk bietet eine Einleitung dazu, in der einer der Schüler Jeschus ihn fragt, ob er sie ein Gebet lehre, „wie Johannes seine Schüler gelehrt hat.“ In Q-Mt fehlt sie. Dass sie dennoch zu Q gehört, ist so gut wie sicher. Denn in den Textzusammenhang, in den das Vaterunser in Q-Mt eingefügt wurde, passte sie nicht. Als Jeschu seinen Schülern vor fast 2000 Jahren ihr Gebet vortrug, war er überzeugt, dass Abba, sein Gott und Vater (Jh 20,17), erhören werde, um was er ihn darin bat. 177 Andernfalls, das ist gewiss, hätte er ihn weder darum gebeten, noch seinen Schülern (einschließlich seiner indirekten Schüler bis heute) geboten, ihn darum zu bitten. Wenn aber nicht, muss es dann nicht erlaubt sein, zu fragen, warum Abba, auch ihr Gott und Vater (Jh 20,17), während fast 2000 Jahren nicht erhört hat, um was er überall auf der Welt von zahllosen Christen mindestens abermilliarden, wenn nicht gar billionen Male gebeten worden ist?! Nämlich (um zunächst nur die ersten drei Bitten in ihrem herkömmlichen Wortlaut zu zitieren): dass sein Na-me geheiligt werde, dass sein Reich komme und dass sein Wille geschehe?! Wer diesen Tatbestand mit wachen Sinnen bedenkt, muss der nicht zu dem Schluss kommen, dass irgendetwas nicht stimmen kann?! Entweder an denen, die so gebetet haben, oder an dem, um was sie so gebetet haben?! Könnte es nicht sein, dass der Wortlaut jener drei Bitten (ja, des Vaterunsers insgesamt) derart falsch ist, dass Gott ihn gar nicht erhören konnte?! Erinnert sei hierzu an Jak 4,3 (leicht abgewandelt): Auch wenn ihr bittet, empfangt ihr nicht, weil ihr falsch bittet. Nämlich anders als Jeschu gebetet hat und zugleich auch um etwas anderes als um das, um was er gebetet hat! Und in der Tat! Es ist falsch! Denn wie die Rückübersetzung ins Aramäische beweist, hat er etwas ganz anderes gemeint (Wortlaut nach Q-Mt und dem RÜ-Text): Nicht: Dein Name werde geheiligt! Sondern: Lass geheiligt werden deine Gegenwart! Nicht: Dein Reich komme! Sondern: Lass sich ausbreiten deine Herrschaft! 178 Nicht: Dein Wille geschehe! Sondern: Lass geschehen deinen Willen! Nicht: Unser tägliches Brot gib uns heute! Sondern: Lass uns geben unsere Nahrung! Nicht: Vergib uns unsere Schuld(en)! Sondern: Lass uns vergeben unsere Sünden! Nicht: Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen! Vielmehr: Lass uns retten aus unserer Versuchung! Das bedeutet: Der herkömmliche Wortlaut dieser sechs Vaterunserbitten – der sich durch seine fast 2000jährige Nichterfüllung als sinn- und zwecklos erwiesen hat –, konnte unmöglich von Gott erhört werden, weil er darin um etwas gebeten wurde, was er nie beabsichtigt hatte beziehungsweise was er nie tun würde. Fest steht, dass Gott nicht selbst handelt, sondern dass er handeln lässt oder wirksam werden lässt; sei es durch Engel oder Menschen, sei es durch Kräfte, Mächte oder Vorgänge, von denen wir nicht die Spur einer Ahnung haben. Doch wenn es so ist, dann sind reine Wunschverben wie werde, komme, geschehe, gib, vergib und rette, die allenfalls einem Kleinkind angemessen sind, gänzlich unangemessen; jedenfalls für reife, selbständige Menschen. Im Aramäischen sind alle Entsprechungen dieser Verben kausativ aufzufassen. Daher Lass! etc. Gemeint ist damit, dass Gott als Gebetener nicht nur handeln lässt, durch wen oder was auch immer, sondern dass die Menschen als Bittende in sein Handeln einbezogen und dadurch gefordert sind, selbst zu handeln. Anders ausgedrückt: nicht nur die Hand aufzuhalten, sondern mit Hand anzulegen. Lass geheiligt werden deine Gegenwart! bedeutet dann: dass Gott uns Menschen seine heilige und daher heiligende Ge- 179 genwart vermitteln lässt und dass wir, damit sie uns heiligen kann, uns zu bemühen haben, unheiliges, das ist unmoralisches Denken, Fühlen, Wollen, Reden und Handeln vermeiden zu wollen; und zwar solange, bis uns das gelingt Worauf es dabei ankommt, ist das ernsthafte Wollen, auch durch ein Auf und Ab von Misslingen und Gelingen hindurch. Eine andere Möglichkeit, dass die Gegenwart Gottes durch uns geheiligt werde, gibt es nicht – weder für Gott, noch für uns Menschen. Und dass hier die Gegenwart Gottes gemeint ist und nicht sein Name, das ist sicher und ist unter šm bei F. V. Reiterer im „Theologischen Wörterbuch zum Alten Testament“, Band VIII, Spalte 153 u. ö. nachzulesen. Lass sich ausbreiten deine Herrschaft! bedeutet dann: dass die diesseitig-geistige Gottesherrschaft, deren Da-Sein zuerst von Johannes dem Täufer, danach aber vor allem von Jeschu und seinen Schülern ausgerufen wurde, durch unser Denken, Fühlen, Wollen, Reden und Handeln als wirksam gegenwärtig zu bezeugen ist. Eine andere Möglichkeit, dass die diesseitig-geistige Gottesherrschaft sich ausbreite, gibt es nicht – weder für Gott, noch für uns Menschen. Und dass hier sich ausbreiten gemeint ist und nicht kommen, ist sicher, ergibt sich bildhaft aus Jeschus „Gleichnis vom Sauerteig“ und aus allen seinen Wachstumsgleichnissen, vor allem aber aus Lk 17,20.21 / Thomasevangelium 113 (RÜ-Text): Die Gottesherrschaft kommt nicht. Denn seht! – Die Gottesherrschaft ist mitten unter euch. Sie breitet sich aus über die Erde, aber die Menschen bemerken sie nicht. Lexikalisch abgesichert ist diese Bedeutung dadurch, dass das mehrdeutige aramäische tisgê (von segî, kausativ) 180 beides bedeuten kann: sowohl lass kommen als auch lass sich ausbreiten. Doch wie häufig in vergleichbaren Fällen haben die Übersetzer hier, beeinflusst durch ihre eigenen Hoffnungen, Erwartungen und Missverständnisse, die falsche Entsprechung gewählt. Nachzutragen ist noch: Die seit fast 2000 Jahren (im doppelten Sinn) unerhörte Bitte „Dein Reich komme!“ ist ein schwerer und schwerwiegender sprachlicher Missgriff, der nur deswegen nicht bemerkt wurde, weil ihr Inhalt nicht genau genug bedacht wurde. Denn abgesehen davon, dass es ein Reich, das kommen kann, unmöglich geben kann, ist die Idee, dass die jenseitiggeistige Himmelsherrschaft (die ihrem Wesen nach geistiger Art ist; vgl. 1Ko 15,50), auf die grobstoffliche Erde kommen könne, unsinnig, weil unstimmig: also ein Widerspruch in sich selbst. Lass geschehen deinen Willen! bedeutet dann: dass der jeden Menschen betreffende Wille Gottes, der seit dem „Urabfall“ in Kraft ist (nämlich: unsere Heiligung, 1Th 4,3), an sein Ziel kommt. Und damit zugleich unsere Rückkehr in die Himmelsherrschaft, die jenseitig-geistige Welt Gottes, unsere „Urheimat“ (Phl 3,20; 1Pt 1,4). Und zwar dadurch, dass wir – jeder für sich – beides, unsere Heiligung und unsere Rückkehr in die Urheimat, als das Ziel seines Willens anerkennen, indem wir sein und unser Wollen zu einem gemeinsamen Wollen verbünden. Eine andere Möglichkeit, dass der uns betreffende ( ! ) Wille Gottes geschehe, gibt es nicht – weder für Gott, noch für uns Menschen. In den drei voranstehenden Dein-Bitten ging es, wie eingangs erwähnt, um Belange Gottes: um seine Gegenwart, 181 um seine Herrschaft und um seinen Willen, die uns Menschen betreffen und die darum unsere freiwillige Mitarbeit fordern und fördern sollen. In den drei folgenden Unser-Bitten geht es, wie ebenfalls eingangs erwähnt, unmittelbar um Belange von uns Menschen: um unsere Nahrung, um unsere Sünden und um unsere Versuchung, die darum erst recht unsere freiwillige Mitarbeit verlangen. Lass uns geben unsere Nahrung! bedeutet dann: dass wir Zeit und Kraft aufzuwenden, dass wir zu planen und zu arbeiten haben, entweder um Nahrungsmittel zu erzeugen oder (gleich gewichtig) um sie von dem erarbeiteten Verdienst kaufen zu können. Und Gottes Anteil daran? Der bestand darin, dass er für die Grundvoraussetzungen (Sonne, Wasser und Luft, für fruchtbaren Boden und dessen Früchte, für Tiere und Bodenschätze etc.) sorgen ließ, und überdies, dass er für die Grundbedingungen sorgen ließ, die es geistigen Wesen, wie wir es sind, gestattete, in einem materiellen Körper zu leben: Nicht etwa durch Schöpfungsakte! Sondern durch planvolle geistige Anstöße zu einem Jahrmillarden dauernden Prozess des Werdens, Wachsens und Sichentwickelns. Erst diese Grundvoraussetzungen und diese Grundbedingungen ermöglichten es uns Menschen, Nahrungsmittel zu beschaffen (so in der Zeit der Sammler und Jäger) beziehungsweise zu erzeugen oder zu kaufen (so, seit es die Ackerbaukultur gibt). Ohne diese Voraussetzungen und Bedingungen, die sich unmöglich von selbst eingestellt haben konnten, gäbe es keine Lebensmittel auf der Erde, also auch uns nicht. Die Bitte „Lass uns geben unsere Nahrung!“ ist demnach doppelsinnig. Richtig ist: Ohne unseren Anteil daran 182 gäbe es sie nicht; jedenfalls nicht genug. Doch auch das ist richtig: Ohne Gottes Anteil daran gäbe es sie überhaupt nicht. Es ist beachtens- und bedenkenswert, dass er dafür sorgen ließ, lange bevor es uns als Menschen gab. Lass uns vergeben unsere Sünden! bedeutet dann: dass wir uns so, wie wir nun mal beschaffen sind, unweigerlich an dem einen oder anderen unserer Mitmenschen unabsichtlich und/oder absichtlich versündigen; dass wir also, falls wir davon entlastet zu werden wünschen (das wäre das einzig normale Verhalten), deren Vergebung brauchen und sie daher um Vergebung zu bitten haben (und sei es, wenn es keinen anderen Weg gibt, in Gedanken). Tun wir das nicht, dann bleibt die Belastung an uns haften. Tun wir das und vergeben sie uns, dann bewirkt das unsere Entlastung (auch Gott gegenüber). Verweigern sie uns das, dann haftet die Belastung ihnen an. Und Gottes Anteil daran? Der besteht darin, dass seine Richterengel am Tag des Rechtsspruches – nicht lange, nachdem wir gestorben sind, u. a. auch in Sachen Vergebung beziehungsweise Nichtvergebung, ihr Urteil über uns abzugeben haben; und zwar nach der Wenn-dann-Regel. Das heißt: Wenn wir anderen vergeben haben, dann können sie uns Gottes Vergebung zusprechen; wenn wir anderen nicht vergeben haben, dann müssen sie uns Gottes Vergebung versagen (Mt 6,14.15). Wohlgemerkt: sie! Denn nur sie sind dazu befugt, niemand anders! Lass uns retten aus unserer Versuchung! bedeutet dann: dass wir so, wie wir nun mal beschaffen sind, unweigerlich auf die eine oder andere Weise versuchbar sind; dass uns jeder Reiz, der uns trifft – sei es von außen, sei es von innen – zu einer Versuchung werden kann; ja, dass schon unser Sein in dieser Welt ein Sein in der Versuchung ist. 183 Doch wenn es so ist, was ist dann davon zu halten, dass die indirekten Schüler Jeschus (die Christen) seit fast 2000 Jahren in seinem Namen zu Gott gebetet haben: „Führe uns nicht in Versuchung!“? Haben sie etwa im Ernst geglaubt, dass er uns, die wir ohnehin ständig in der Versuchung leben, obendrein auch noch in Versuchung führen würde, wenn – wir ihn nicht darum bäten, das zu unterlassen? Dem Gott gegenüber, den Jeschu Abba „Papa“ nannte, war diese Bitte seit fast 2000 Jahren eine ungeheuerliche Unterstellung. Besonders deswegen, weil doch jeder lesekundige Christ in seinem Neuen Testament lesen konnte, dass „Gott niemand in Versuchung führt“ (Jak 1,13), sondern dass er stattdessen „aus der Versuchung retten (lassen) kann“ (2Pt 2,9). Genau dies war es, was bei der Rückübersetzung von Mt 6,13 ins Aramäische herauskam; und zwar auf ganz einfache Weise, wie sich aus den im Folgenden unterstrichenen Textteilen ergibt (zitiert nach dem EÜ-Text): Und führe uns nicht in Versuchung, sondern rette uns vor dem Bösen (das ist: Satan). Diese Doppelbitte ist nur so zu erklären, dass der frühchristliche Übersetzer (oder Bearbeiter?) des Vaterunsers aus den ihm vorliegenden sechs Bitten sieben Bitten gewinnen wollte. Wegen der sieben, der Zahl der Vollständigkeit. Die aber konnte er nur dadurch erreichen, dass er die sechste Bitte teilte und beide Teile ergänzte. Zu dem oben unterstrichenen rette uns vor dem Versuchung ist anzumerken: Das aramäische min ist sehr vieldeutig. Es kann u. a. vor, von und aus bedeuten. Wenn es also mit rette uns und Versuchung verbunden wird, so wird daraus zunächst Rette uns aus der Versuchung! 184 Aber: da es in der vierten Bitte um unsere Nahrung geht und in der fünften um unsere Sünden, muss es folgerichtig in der sechsten um unsere Versuchung gehen. Insgesamt lautet die sechste Bitte dann (formal und inhaltlich korrekt): Rette uns (kausativ: Lass uns retten) aus unserer Versuchung! Allein dieser Wortlaut wird beiden gerecht: Dem Gott, den Jeschu Abba „Papa“ nannte, und ihm selbst, der die Versuchungsbitte so formulierte. Übrigens: Nur so ergibt sich die oben erwähnte vollendete poetische Form seines Gebetes, einschließlich aller Reime. Der NTG-Text zu Q 8,5-7 ist ein unrühmliches Beispiel dafür, was aus einem hochpoetischen Gebet Jeschus werden konnte, nachdem es Menschen in die Hände fiel, denen es an Ehrfurcht vor seinem geistigen Eigentum mangelte und an Wissen über die alttestamentliche Poesie. Nachtrag: Die Textteile des Vaterunsers, die zu streichen waren, wurden aus poetischen Gründen gestrichen. Ohne sie (völlig überflüssige Textteile!) ist es im Aramäischen reinste Poesie: eine Perle der Dichtkunst Jeschus. Q 8,8 Dieser Dreizeiler, ist in Q-Mt und Q-Lk völlig gleichlautend überliefert. Sein NTG-Text enthält drei griechische Verben, die durchweg imperativisch (mit bittet, sucht, klopft an) übersetzt werden, obwohl sie auch indikativisch (als ihr bittet, sucht, klopft an) gedeutet werden können. Im Aramäischen liegen ihnen Verben in der 2. Prs. pl. impf. zugrunde (also wörtlich: ihr werdet bitten, suchen, anklopfen), die auch imperativischen Charakter (ihr sollt) haben können. Aber der kann hier nicht gemeint sein. 185 Andernfalls hätte Jeschu seinen Schülern etwas Unsinniges geboten und versprochen. Nämlich: dass sie bitten sollen, und schon würde ihnen gegeben werden; dass sie suchen sollen, und schon würden sie finden; dass sie anklopfen sollen, und schon würde ihnen geöffnet werden: veranlasst von Gott, der geben, finden, öffnen lassen würde – ohne Einschränkung: feenhaft, wie in Feenmärchen. Aber die Wirklichkeit und das, was Jeschu gemeint hat, haben nichts Feenhaftes an sich. Denn, wie eingangs erwähnt, handelte es sich bei jenen Verben nicht um Imperative, also um das, was seine Schüler tun sollten, sondern um Imperfekte, also um das, was sie tun würden, wenn sie reif dafür geworden sind: bitten, suchen, anklopfen. Und was die ihnen entsprechenden Zusagen Jeschus betrifft (dass ihnen gegeben würde, dass sie finden würden, dass ihnen geöffnet würde), so waren sie durch die Lehrinhalte, auf den sie sich bezogen, genau definiert. Ist das sicher? Und sind jene Lehrinhalte noch zu ermitteln? – Es ist so sicher, wie es nur sein kann. Und zu ermitteln sind die Lehrinhalte deswegen, weil Jeschu im letzten Satz seines Dreizeilers ein unmissverständliches Kennwort hinterlassen hat, von dem her es sich erschließt: das Verb anklopfen, das in der Dreiung bitten, suchen, anklopfen zweifellos den Ton trägt. Beim Anklopfen ist – nach der Symbolik, die Jeschu hier anwandte – an das Tor der Gottesstadt zu denken. Das heißt: an den Einlass in die jenseitig-geistige Himmelsherrschaft. Dieses Tor aber darf nur denen geöffnet werden (ohne Bild: dieser Einlass darf nur denen gewährt werden), die – nachdem sie ihren Weg, einen langen und beschwerlichen Weg, gegangen sind – reif dafür geworden sind, in die Himmelsherrschaft eingelassen zu werden. 186 Beim Suchen handelt es sich darum, unter den vielen Wegen, die als der Weg angepriesen werden, den für das eigene Selbst richtigen Weg zu finden, der dorthin führt. Und beim Bitten geht es um den brennenden Wunsch nach Erkenntnis über die Urfragen des Menschen: Woher komme ich? Wozu bin ich auf der Erde? Wohin gehe ich? Anders herum: Wer um jene Erkenntnis gebeten hat, ihm wird Gott sie geben lassen; wer jenen Weg gesucht hat, ihn wird Gott ihn finden lassen; wer ihn gegangen ist und am Tor der Gottesstadt angeklopft hat, ihm wird Gott öffnen lassen – wenn er reif dafür geworden ist, in sie eingelassen zu werden. Das heißt: wenn er den ihn betreffenden Willen Gottes in Bezug auf die allein ihm geltende Heiligung getan hat (Mt 7,21; 1Th 4,3). Dieser Wille Gottes aber wird für jeden Menschen von anderer Art sein. Und überdies auch noch für einen Juden oder Moslem von anderer Art, als für einen Christen. Dabei ist zu bedenken: Die Tatsache, dass jemand als Christ (oder als Jude oder als Moslem) geboren wurde, ist noch kein eigenständiges Qualitätsmerkmal. [Um wie viel weniger dann die Tatsache, dass jemand als Katholik oder als Nichtkatholik geboren wurde!] Q 8,9-12* In dieser Dreiung von Dreizeilern – adressiert an Außenstehende – entfaltete Jeschu das Thema „Der Sohn bittet – der Vater gibt“ anhand von drei rhetorischen Fragen mit sich stetig steigernder Symbolik. Er schloss mit einem Vierzeiler; einem so genannten Schluss vom Kleineren (dem Menschen) zum Größeren (Abba). 187 Der NTG-Text dieser Spruchgruppe, wie er in Q-Mt und Q-Lk vorliegt, ist ein Gemisch von Übereinstimmendem und Verschiedenem. In beiden Q-Fassungen übereinstimmend, wenn auch mit Varianten, sind nur der Dreizeiler über den Fisch und die Schlange und der Vierzeiler über die guten Gaben. Verschieden ist, dass in Q-Mt jenem Dreizeiler ein Dreizeiler über das Brot und den Stein vorangestellt ist und dass ihm in Q-Lk ein Dreizeiler über das Ei und den Skorpion nachgestellt ist. Warum das so ist, lässt sich nur als Willkür im Umgang mit den aramäischen Vorlagen begreifen. Denn anders als der NTG-Text, bieten der C-, der P- und der H-Text zu QLk alle drei Dreizeiler. Warum, wenn auch in ihren Vorlagen der Dreizeiler über das Brot und den Stein gefehlt hätte? Dass umgekehrt in Q-Mt der Dreizeiler über das Ei und den Skorpion weggelassen wurde, weil er allzu grausig erschien, ist nachvollziehbar. Gleichwohl bleibt das Willkür, weil er für die sich steigernde Symbolik, die Jeschu zweifellos beabsichtigt hatte, unentbehrlich war. Dass Q-Mt 7,9 und Q-Lk 11,12 zu Q gehören, obwohl beide Texte in nur einer der beiden Fassungen vorliegen, ist doppelt sicher: erstens durch Jeschus Vorliebe für Dreiungen, zweitens durch die sich steigernde Symbolik, die sich unmöglich zufällig ergeben haben kann, wie der folgende Nachweis lehrt. Danach gilt: Ein Brot als Gabe ist eine gute Gabe. Als Hauptnahrungsmittel steht es für jede materielle Nahrung, die das materielle Leben des Menschen erhalten kann. Ein Stein als Gabe ist eine schlechte Gabe. Wird er anstelle eines Brotes gegeben, so steht er für alles, was das materielle Leben des Menschen zerstören kann. 188 Ein Fisch als Gabe ist eine gute Gabe. Als Beikost zum Brot steht es für jede geistige Nahrung, die das spirituelle Leben des Menschen erhalten kann. Eine Schlange als Gabe ist eine schlechte Gabe. Wird sie anstelle eines Fisches gegeben, so steht sie für alles, was das spirituelle Leben des Menschen zerstören kann. Ein Ei als Gabe ist eine gute Gabe. Es symbolisiert das Leben ohne Einschränkung, die aufbauende Kraft. Ein Skorpion als Gabe ist eine schlechte Gabe. Wird er anstelle eines Eies gegeben, so symbolisiert er den Tod ohne Einschränkung, die zerstörende Kraft. Als Jeschu in Q 8,12 von guten Gaben sprach, die seine Zuhörer ihren Kindern zu geben wüssten, woran mag er da gedacht haben? Zweifellos an solche Güter, die von den Menschen in seiner Umwelt für gute Gaben gehalten wurden: Nahrung und Kleidung und ein Dach über dem Kopf. Alles das aber und vieles mehr konnten seine Zuhörer ihren Kindern nur geben, weil sie es in ihrer Umwelt als gute Gaben Gottes vorfanden, nach denen sie nur zu greifen und die sie nur zu veredeln brauchten: Früchte, Getreide und Gemüse, Honig, Salz und Gewürze für ihre Nahrung und deren Verfeinerung; auch Tiere und deren Produkte als Rohstoffe für Nahrung und Kleidung; dazu Holz und Lehm, Steine und Mineralien für ihre Häuser; darüber hinaus Bodenschätze, wie Metalle und Edelmetalle, für ihre Geräte und Werkzeuge – undsoweiter undsoweiter. Sie alle waren gute Gaben, auch wenn sie nicht ohne Mühe und Arbeit verfügbar waren. Ist es nicht erstaunlich, dass es das alles auf der Erde gibt und dass nichts Wesent-liches zu fehlen scheint?! Schaut das nicht eher nach einem wohldurchdachten Plan aus als nach purem Zufall?! 189 Und die Menschen? Zu allen Zeiten und in allen Zonen! Jeschu nannte sie – alle miteinander, welcher Rasse oder Religion sie auch angehören mochten –, weil er es besser wusste als sie: Gottes Kinder! Ja, und sie, die Menschen? Von seltenen Ausnahmen abgesehen, nahmen sie das alles hin, als sei es selbstverständlich. Obwohl es für jeden von ihnen, der dazu imstande ist und sich die Mühe macht, ernsthaft darüber nachzudenken, nicht anders erklärbar sein kann, denn als Summe einer gezielten und liebevollen Planung. Und auch das nur, wenn er den Mut hat, dem Zeitgeist zu trotzen. Und was taten sie, die Menschen der Gattung homo asapiens? – Sie fielen in ihrer Unvernunft darüber her, wie Feuer über einen Wald, und das heutzutage schlimmer als je zuvor, seit es Menschen auf der Erde gibt. Nachtrag: Ohne die oben vorgenommenen einschneidenden Korrekturen (Streichungen, Einfügungen und Ersetzungen) wäre diese Spruchgruppe geblieben, was sie war: eine Textruine, zerstörte Reste dessen, was Jeschu wohldurchdacht poetisch formuliert und gestaltet hatte, um es für seine Schüler und deren künftige Sendung einprägsam und behältlich zu machen. [Dass die frühchristlichen Übersetzer und Bearbeiter der Jeschuüberlieferung seine Worte erschreckend oft als Textruinen hinterließen, ist nur so zu erklären, dass sie ihren poetischen Charakter überhaupt nicht erkannten.] Q 9,1-7 Dieser Q-Text handelt von einer Dämonenaustreibung Jeschus, von der Reaktion zweier Schriftgelehrter darauf, 190 die ihn eines Paktes mit dem Satan bezichtigten, und von Jeschus dreiteiliger Antwort darauf: einem Doppel-Dreizeiler, einem Zweizeiler und einem Spruchpaar, das aus je zwei Langzeilern besteht. Die beiden Schriftgelehrten (paarweise Sendung war Brauch) waren nach Mk 3,22 „von Jerusalem herabgekommen“ und beschuldigten Jeschu, er treibe Dämonen durch Beelzebub aus (nicht Beelzebul, siehe Seite 192), den Anführer der Dämonen. Ihr barsches Vorgehen lässt auf dreierlei schließen: Erstens, dass die Kunde von Jeschus Wirken und besonders von seinen Dämonenaustreibungen auch in Jerusalem Aufsehen erregt hatte und diskutiert wurde; zweitens, dass der Sanhedrin (der „Hohe Rat“) – die oberste politische, juristische und religiöse Körperschaft der jüdischen Bevölkerung des Landes in griechisch-römischer Zeit – sich veranlasst sah, zwei seiner schriftgelehrten Mitglieder zu beauftragen, dieser Angelegenheit vor Ort auf den Grund zu gehen; drittens, dass jene Schriftgelehrten aufgrund ihrer rabbinischen Ansichten und ihrer Vorurteile gegen Jeschu zu dem Schluss gekommen waren, er müsse einen Pakt mit dem Satan geschlossen haben. Diesen Vorwurf wies er gelassen zurück, rhetorisch meisterhaft; und zwar zunächst dreifach, wie es seiner Vorliebe für Dreiungen entsprach. Er begann mit zwei Behauptungen zum Thema Streiten gegen sich selbst, die so zwingend waren, dass seine Gegner nichts dagegen einwenden konnten. Er fuhr fort mit der Fangfrage, wie Satans Herrschaft bestehen könne, wenn er sich selbst austreibe. Was hätten sie darauf antworten können? Und er schloss mit einem Spruchpaar, mit dem er zum Gegenangriff überging. 191 Der erste Spruch war als eine Frage formuliert, die den Charakter einer Zwickmühle hatte. Mit ihr forderte er seine Gegner auf, zu erklären, durch wen ihre Söhne (= Schüler) Dämonen austreiben, wenn er sie, ihrer irrigen Meinung nach, durch Beelzebub austriebe. Diese Frage, auf die zu antworten ihnen unmöglich war, muss sie in arge Bedrängnis gebracht haben. Und der zweite Spruch, der letzte in Jeschus Antwort an die beiden Schriftgelehrten? Er war zweiteilig. Mit der ersten Hälfte gab er ihnen zu verstehen, dass es Gottes Macht sei, mit deren Hilfe er Dämonen austreibe; und zwar nur eine Winzigkeit seiner Macht – sozusagen ein Finger Gottes. In der zweiten Hälfte zog er aus der Tatsache, dass ihm dies wiederholt ( ! ) gelungen war, ihnen gegenüber einen verblüffenden Schluss, der ihnen sehr peinlich gewesen sein muss: dass die (diesseitig-geistige) Gottesherrschaft zu ihnen gelangt sei, also da sein müsse. Nachtrag: Beelzebub (hebr.: ba‘al zebûb = „Herr der Fliegen“) war in der Umwelt Jeschus ein Spottname für den Anführer der Dämonen. Die Wiedergabe mit Beelzebul (hebr.: ba‘al zebul = „Herr der Wohnstätte (Gottes) = des Tempels“, so der NTGText, beruht auf einem Irrtum. Denn ba‘al zebul hieß der Gott der Philisterstadt Ekron in 2Kö 1, dessen Name im Hebräischen in ba‘al zebûb entstellt worden war. Daraus folgt: Nur wenn die beiden Schriftgelehrten (so zweifellos richtig nach Mk 3,22!) die Form Beelzebub = „Herr der Fliegen“ gebraucht hatten, konnte sie leisten, was sie sollte: Jeschu als Satansdiener zu verunglimpfen, nicht aber in der Form Beelzebul „Herr der Wohnstätte (Gottes) = des Tempels“. 192 Übrigens: In allen syrischen Evangelienübersetzungen steht an allen Stellen, an denen das Wort vorkommt, Beelzebub, wie es sich gehört. Q 9,8° Das Gleichnis Jeschus Mt 12,29 – adressiert an seine Schüler – steht auch in Mk 3,27. Dafür, dass es zu Q gehört, spricht die Tatsache, dass es eine Variation zu dem Gleichnis Q-Lk 11,21.22 ist. Mit diesem Gleichnis „Von der Fesselung des Mächtigen“ bezog Jeschu sich auf seine dreifache Verlockung durch den Satan, nachdem er durch Johannes den Täufer am (nicht im) Jordan getauft worden war. Im Rückblick auf sie deutete er sie so, dass er, als sie sich ereignete und er ihr widerstand, den Satan (für die Dauer seiner Sendung) überwunden und dadurch im übertragenen Sinn gefesselt habe. Für ein Jeschu gemäßes Verstehen dieses Gleichnisses ist der Textzusammenhang wichtig, in dem es steht; nämlich die voranstehende Spruchgruppe Q 9,3-7. Mit dieser Spruchgruppe wies er den unbegründeten Vorwurf zweier Jerusalemer Schriftgelehrten, er treibe Dämonen durch den Beelzebub aus – also durch den Satan –, als widersinnig zurück. Denn: Warum sollte ausgerechnet der Satan, ihm, Jeschu, helfen, seine ihm (also dem Satan) dienstbaren Dämonen auszutreiben? Das wäre doch absurd! Vielmehr: Seine Macht über die dem Satan dienstbaren Dämonen, so fuhr er fort, habe einen anderen Grund; nämlich den, dass er den Satan (für die Dauer seiner Sendung) 193 überwunden und dadurch gefesselt, in seiner Handlungsfreiheit eingeschränkt, habe. Doch wenn es so ist, dann ist unmissverständlich klar, wer wer und was was war: Jemand war dann Jeschu selbst. Und eindringen bedeutete dann: sich machtvoll Zugang verschafft haben. Der Palast war folglich der Machtbereich des Satans. Und der Mächtige war er selbst. Satans Waffen waren demnach von Dämonen besessene Menschen. Und sie rauben bedeutete: die Besessenen durch Austreibung der Dämonen befreit haben. Und fesseln meinte dann: den Satan überwunden haben; und zwar dadurch, dass er, Jeschu, der dreifachen Verlockung widerstanden hatte, als ein politischer Messias – das heißt als ein gewaltbereiter Messias – hervorzutreten. Nachträge: Der NTG-Text zu Q 9,8 beginnt mit einem offenkundigen Fehler: mit einem wie statt eines nicht (so Mk 3,27 und Thomas-Evangelium 35). Denn was mit dem Wie kann jemand ein Fragesatz war, das wird mit dem Nicht kann jemand zu einem Aussagesatz; und zwar zu einer betonten Verneinung. Im Aramäischen: Es ist unmöglich! Weitere Fehler folgen. Erstens: hineinzugehen, als stünde die Tür offen, statt einzudringen, nämlich gewaltsam. Zweitens: in das Haus, das in Jeschus Umwelt zumeist aus nur einem Raum bestand, statt in den Palast, was hier gemeint sein muss. Drittens: des Starken, als gehe es um körperliche Kraft, statt des Mächtigen, an den Jeschu hier dachte. Viertens: seine Habseligkeiten, Geräte, als käme es darauf an, statt seine Waffen, wie hier gefordert. Abgesehen vom ersten, einem willkürlichen Fehler, handelt es sich bei allen übrigen um Fehler, bei denen die 194 Hauptbedeutungen getroffen, die beabsichtigten Nebenbedeutungen jedoch verfehlt worden sind. Das lässt darauf schließen, dass die Sprachkenntnisse des Übersetzers unzureichend waren. Q 9,9.10° Dieses Gleichnis „Vom Zweikampf mit dem Mächtigen“ – adressiert an Außenstehende – knüpfte Jeschu inhaltlich an das voranstehende Gleichnis „Von der Fesselung des Mächtigen“ an, vielleicht auch an Jes 49,24.25 (zitiert nach der Jerusalemer Bibel): Kann man einem Starken die Beute nehmen und einem Gewaltigen die Gefangenen entreißen? Fürwahr, so spricht Jahwe: Auch dem Gewaltigen werden die Gefangenen entrissen, und dem Starken wird die Beute abgenommen. Inhaltlich ging es in beiden Gleichnissen, in dem obigen und in dem voranstehenden, um denselben Tatbestand: um Jeschus Sieg über den Mächtigen, den Satan. Errungen hatte er seinen Sieg dadurch, dass er ihm in der dreifachen Verlockung, als der von den Juden erwartete politische Messias hervorzutreten, widerstanden hatte. Aufgrund dieses Sieges über den Satan gewann Jeschu Macht über dessen Dämonen und deren schädigenden und krank machenden Einfluss auf labile und krankhaft machtgierige Menschen. Das zeigte sich von da ab immer dann, wenn er und überall dort, wo er Dämonen – ohne magische Handlungen und Beschwörungen – allein mit seinem Befehlswort aus etlichen der von ihnen besetzten Menschen austrieb. 195 Damit, dass Jeschu dies gelang, nahm er dem Satan (zeitlich und örtlich begrenzt) alle seine Waffen weg; nämlich: von Dämonen besetzte Menschen, deren sich der Satan bedient hatte, als seien sie seine Waffen; vor allem solche Menschen, durch deren dämonische Wirkung auf andere Menschen es ihm gelungen war, seine satanische Macht zu mehren. Einzelheiten zum Wortbestand: Solange betraf die Zeit vor Jeschus Sieg über den Mächtigen, den Satan. Bewaffnet bezog sich auf die übernatürlichen Kräfte des Satans. Sein Palast war sein Machtbereich. Sein Besitz meint hier: seine Dämonen und alle von ihnen besetzten Menschen. Jemand war Jeschu selbst. Besiegen bedeutete hier: den Satan überwunden haben; in diesem Fall dadurch, dass er, Jeschu, seiner dreifachen Verlockung widerstanden hatte, als politischer Messias hervorzutreten. Seine Waffen waren von Dämonen besetzte Menschen. Wegnehmen meinte dann: die Besessenen durch Austreibung der Dämonen befreit haben. Dazu ist anzumerken: Die Versuche von Medizinern, Psychologen und Psychiatern, alle Fälle von dämonischer Besessenheit als Phänomene psychosomatischer Erkrankungen wegzuerklären, sind kläglich. Jedoch: Angesichts nachprüfbarer Wirkungen dämonischer Besessenheit auf labile und krankhaft machtgierige Menschen und mit Berufung auf Jeschus jenseitiges Wissen sowie auf seine Äußerungen zur Sache, darf man solche Urteile getrost vergessen. Nachtrag: Die Übersetzungsfehler in Q 9,9.10 gleichen denen in Q 9,8. Und wieder lassen diese Fehler darauf schließen, dass die Sprachkenntnisse des Übersetzers unzureichend waren. 196 Q 9,11 Dieser Zweizeiler ist im NTG nicht nur unvollständig überliefert, sondern überdies auch noch mit einem Zweizeiler verbunden, der unmöglich von Jeschu stammen kann (Lk 11,23a / Mt 12,30a; EÜ-Text): Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich. Wer diesen Fanatismus sprühenden Satz (ein profanes Sprichwort) Jeschu in den Mund gelegt hat, der hat sein Andenken geschändet, auch wenn das nicht seine Absicht gewesen sein sollte. Zum Glück gibt es ein vergleichbares Jeschuwort, das zweifelsfrei bezeugt, wie er wirklich dachte, nämlich genau umgekehrt (Mk 9,40; EÜ-Text): Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns. Ist nachzuvollziehen, vielleicht sogar zu ermitteln, wie der Übersetzer (oder Bearbeiter?) von Q-Lk 11,23b / Mt 12, 30b darauf gekommen sein könnte, diese beiden Texte (das profane Sprichwort und das Jeschuwort) miteinander zu verbinden? Offenkundig ist, dass beide formal verwandt sind (wörtlich übersetzter NTG-Text): Der nicht Seiende Der nicht Sammelnde mit mir, mit mir, er ist er zerstreut. gegen mich. Die Verwandtschaft zwischen beiden Texten betrifft jedoch nur drei von vier Textteilen. Warum nicht alle vier? Könnte es nicht sein, dass der vierte Textteil gegen mich in der rechten Spalte unabsichtlich ausgefallen oder absichtlich ausgelassen worden ist? 197 Das ist mehr als wahrscheinlich. Denn an sich hätte es doch genügt, wenn Jeschu gesagt hätte: „Wer (die Schafe) nicht sammelt – er zerstreut (sie)!“? Das nämlich hat er mit diesem Bildwort gemeint. Stattdessen betonte er extra: „mit mir“. Warum? Richtig. Weil es sein Auftrag war, die Gutwilligen seines Volkes zu sammeln, wie ein Hirte Schafe sammelt. Und zu wem sprach er dieses Wort? Aus dem betonten mit mir ist zu folgern, dass er es an einen seiner Schüler (aus dem weiteren Schülerkreis?) richtete, der zögerte, mit ihm (die Schafe) zu sammeln. Das aber bedeutete für Jeschu, dass jener Schüler (die Schafe) gegen ihn, seinen Meister, zerstreute. Und zwar zwingend logisch! Denn, um im Bild zu bleiben: Schafe, die nicht gesammelt werden, zerstreuen sich. Wenn diese Überlegungen zutreffend sind, dann ist der obige Q-Text um den vierten Textteil gegen mich zu ergänzen. Mit ihm lautet er dann (RÜ-Text): Jemand, der nicht mit mir sammelt – er zerstreut gegen mich! Das heißt: Er hat, wenn er bei seiner Haltung beharrt, aufgehört, Jeschus Schüler zu sein. Doch wenn dies der ursprüngliche Wortlaut ist – aus formalen, die Poesie Jeschus betreffenden Gründen ist der Textteil gegen mich sogar unentbehrlich –, dann wäre es diesem Textteil zuzuschreiben, dass das Sprichwort „Wer nicht für mich / mit mir ist, der ist gegen mich!“ in den Q-Text eingefügt wurde. Denkbar wäre auch, dass ein gebildeter Leser es an den Rand seiner Handschrift geschrieben hat und dass es von einem Abschreiber in den Text aufgenommen worden ist. Für diesen Vorgang gibt es etliche Beispiele in der Bibel. 198 Q 9,12-15 Dieses vierteilige Gleichnis Jeschus „Vom Rückfall“ ist im NTG großenteils gleichlautend überliefert. Die Stellen, an denen Q-Mt und Q-Lk mehr oder weniger voneinander abweichen, lassen sich mit Sicherheit als Übersetzungsvarianten einer beiden gemeinsamen aramäischen Urfassung erklären. Das Thema dieses Gleichnisses war nicht nur für Jeschu und seine Schüler aktuell, sondern auch für alle übrigen Zuhörer, denen er es vortrug. Es handelt von der Austreibung eines „unreinen Geistes“ aus einem labilen Menschen; das heißt: des Geistes eines Verstorbenen, der in den Körper jenes Menschen eingedrungen war und sich seiner bemächtigt und ihn dadurch krank (schizophren?) gemacht hatte. Und es handelt davon, dass die gelungene Austreibung eines solchen Geistes (vermutlich durch Jeschu selbst) keineswegs schon die Heilung dessen bedeutete, aus dem er ausgetrieben wurde. Denn was Jeschu in jenem Gleichnis beschrieb, das war – offensichtlich – die Möglichkeit und damit die Gefahr, dass der aus dem Körper eines Menschen ausgetriebene unreine Geist in ihn zurückkehren kann, wenn der von ihm befreite Mensch es unterlässt, einen reinen Geist (eine reine Gesinnung) in ihn einkehren zu lassen, der den Platz des unreinen Geistes einnimmt und besetzt hält. Versäumt er das, so ist vorauszusehen, dass nicht nur sein früherer Besatzer in ihn zurückkehrt, sondern dass der auch noch andere unreine Geister mitbringt, sodass der Zustand des erneut Besessenen schlechter wird, als er vor-her war. 199 Um seinen Zuhörern, und wohl auch dem Befreiten, diese Gefahr plausibel zu machen, verglich Jeschu den Körper des Menschen mit einem Haus. Dass er das tat und wie er das tat, lässt erkennen, dass er meinte, was er sagte; dass es also seine eigenen Erfahrungen waren, die er in seinem Gleichnis „Vom Rückfall“ poetisch gestaltete. Um ein anderes Beispiel zu gebrauchen: Wenn ein Süchtiger, etwa ein Alkoholiker, durch Entziehung „trocken“ geworden ist, dann genügt es nicht, es dabei bewenden zu lassen. Er muss vielmehr seine bisherige Denkweise durch eine andere Denkweise – am besten durch eine völlig andere Gesinnung – ersetzen, wenn er nicht Gefahr laufen will, rückfällig zu werden. Nachträge: Die sieben ist bekanntlich die Zahl der Vollständigkeit. Hier meinte Jeschu mit den sieben anderen Geistern die schlimmste aller denkbaren Besessenheiten. Bei der Ortsbeschreibung haben Q-Mt und Q-Lk wasserlose Orte. Die aramäische Entsprechung kann trockene und zerstörte Orte bedeuten. Hier ist zerstörte Orte gemeint: die traditionellen Aufenthaltsorte von Dämonen. Bei der Zustandsbeschreibung des Hauses (des menschlichen Körpers) hat Q-Mt leer, gefegt und geschmückt, Q-Lk dagegen hat nur gefegt und geschmückt. Was die Dreiung betrifft, ein für Jeschus Redeweise typisches Formmerkmal, so ist Q-Mt vorzuziehen. Allerdings ist gefegt (mit S und P) durch warm zu ersetzen. Denn zum Inneren eines menschlichen Körpers passt gefegt überhaupt nicht. Überdies sind die aramäischen Entsprechungen beider Wörter (hamîm „gefegt“, hammîm „warm“) sehr leicht zu verwechseln. 200 Q 9,16.17 Dieser Q-Text – ein kurzer Wortwechsel zwischen einer gewissen Frau und Jeschu – ist so eng mit seinem voranstehenden Gleichnis „Vom Rückfall“ verknüpft, dass es so gut wie sicher zu Q gehört, auch wenn es in Q-Mt fehlt. Dass es dort fehlt, hat offenbar zwei Gründe: Erstens, weil es nicht in seinen Textzusammenhang passte; zweitens, weil Matthäus Überlieferungen, in denen Frauen eine herausgehobene Rolle spielen, offensichtlich vermied – im Gegensatz zu Lukas (vgl. Lk 7,36-50; 8,1-3; 10,38-42; 13,10-17; 17,32; 23,27-29; 24,22-24). Bemerkenswert ist, dass im NTG-Text zur Stelle die griechische Entsprechung für Frau durch den Begriff eine gewisse stark betont ist (ebenso in den syrischen Evangelienübersetzungen S, C und P). In der Regel wurde diese Betonung nur angewandt, wenn damit angedeutet werden sollte, dass die betreffende Person im Schülerkreis Jeschus so bekannt war, dass sie genau bestimmt und benannt werden konnte. Heute ist das nicht mehr möglich. Das bedeutet jedoch nicht, dass es unerlaubt sei, eine Vermutung zu wagen. Als textinterner Hinweis (er steht in dem voranstehenden Gleichnis „Vom Rückfall“) könnte zum Beispiel der Textteil „sieben andere Geister“ dienen. Warum sieben? Nur, um damit die Vollständigkeit zu bezeichnen? Das wohl auch. Ob aber nur das, ist bei der Eigenart des semitischen Denkens keineswegs sicher. Wenn aber nicht, dann könnte das Wort sieben zumindest auch auf Maria aus Magdala zielen, aus der Jeschu „sieben Dämonen“ (wohl eher: „unreine Geister“) ausgetrieben hatte (Lk 8,2; Mk 16,9), und von ihr dann auf ihre 201 Schwester Martha, die „ihn gastlich aufgenommen“ und persönlich bewirtet hatte (Lk 10,38-42) Könnte nicht sie jene gewisse Frau gewesen sein, von der in Q 9,16 (= Lk 11,27) die Rede ist? Gewiß! Wichtig ist das nicht. Aber auszuschließen ist es auch nicht. Auf jeden Fall wäre Martha – wegen ihrer Schwester Maria – eine kompetente Frau für den Wohlruf über Jeschus Mutter. Schon aus Dankbarkeit! Und bekannt genug war sie damals zweifellos. Nicht zuletzt, weil sie auch die Schwester des Lazarus war, eines Freundes Jeschus. Zu Q 9,16 ist noch anzumerken: Dieses Wort war im ersten Jahrhundert offenbar ein geläufiges Sprichwort. Denn es steht, fast wörtlich übereinstimmend, in drei aramäischen Übertragungen von 1Mo 49,25 (im Targum Pseudo-Jonathan, im so genannten Fragmenten-Targum und im Targum Neofiti 1). Anders sind nur die Reihenfolge der beiden Zeilen und das einleitende Gesegnet! statt Wohl! Es ist also sehr wahrscheinlich, dass dieses Sprichwort jener Frau, die es mit lauter Stimme sprach, bekannt war; und zwar aus einer aramäischen Wiedergabe der Toralesung von 1Mo 49,25 während eines Synagogengottesdienstes. Nur so ist die fast wörtliche Übereinstimmung zwischen beiden Fassungen zu erklären. Und wohl auch die logisch richtigere Umkehrung der beiden Zeilen: erst Mutterschoß, dann Mutterbrüste. Q 10,1-5 Die Situationsangabe Mt 12,38 wird zu Q gehören; jedoch ohne der Schriftgelehrten (vgl. Mk 8,11). Was Q-Lk 11, 202 29a bietet, ist dürftig. Gleichwohl deutet es darauf hin, dass das Folgende mit Situationsangabe überliefert worden ist. Auch Mt 12,40 wird zu Q gehören, obwohl der Text in Q-Lk fehlt. Wahrscheinlich deswegen, weil der Bearbeiter von Q-Lk den Spruch Lk 11,30 an dieser Stelle in seine Sammlung einfügte, während der Bearbeiter von Q-Mt dasselbe mit dem Spruch Mt 12,40 tat. Drei Tage und drei Nächte sind jedoch zu streichen. Denn nach jüdischer Zählung lag Jeschu zwar drei Tage (vgl. „Das Glaubensbekenntnis auf dem Prüfstand“ [????], Seiten 107 und 108), aber nur eine Nacht in der Grabkammer des Josef aus Arimathäa. Was die Pharisäer nach Q-Mt 12,38 von Jeschu forderten, das war ein Vergewisserungszeichen, das ihn als einen Propheten Gottes auswies; ein Wunder also, das sie als Beglaubigung akzeptieren konnten. Und was tat Jeschu? Wie er auf ihre Forderung reagierte, das müssen sie als empörend empfunden haben. Denn was er antwortete – Diese Menschenart ist böse! Sie fordert ein Wunderzeichen! –, das kann er in diesem Wortlaut unmöglich zu ihnen, das muss er zu seinen Schülern gesagt haben. Dann aber, wie beschämend, muss er sich dabei von den Pharisäern abund sich seinen Schülern zugewandt haben. Dasselbe gilt von der Fortsetzung, zunächst als radikale Ablehnung der Zeichenforderung formuliert – Aber es wird ihr kein Wunderzeichen gegeben werden! –, dann aber, sicherlich nach einer die Spannung steigernden Pause, plötzlich einschränkend, wie er das häufiger tat: Außer – das Warnzeichen des Propheten Jona. Wohlgemerkt: Jeschu meinte mit diesen Worten nicht das ganze damals lebende Geschlecht (NTG-Text), sondern 203 diese Menschenart (RÜ-Text), wie sie, ein Wunderzeichen fordernd, an ihn herangetreten war (das aramäische Wort zena’ kann „Geschlecht“ und „Menschenart“ bedeuten). Übrigens: Mit seinem Hinweis auf das Warnzeichen des Propheten Jona endete Jeschus indirekte Antwort an die Pharisäer anlässlich ihrer Zeichenforderung. Die folgenden Worte wird er bei einem anderen Anlass gesprochen haben. Dass sie von beiden Q-Bearbeitern an dieser Stelle eingefügt wurden (vom Q-Mt-Bearbeiter Mt 12,40, vom Q-Lk-Bearbeiter Lk 11,30), ergab sich aus ihrer Arbeitsmethode, die Texte nach Stichwörtern zu ordnen. Hier: Stichwort Jona. Dass die (nicht etwa buchstäblich zu nehmende) JonaErzählung den Schülern Jeschus vertraut war, steht fest. Und worauf es Jeschu mit seinem Hinweis darauf ankam, steht auch fest; nämlich auf die Parallelität zwischen dem, was Jona (literarisch) und dem, was ihm wirklich widerfuhr beziehungsweise widerfahren werde. Kurz: Der Erzählung nach hatte Jona trotz anfänglicher Flucht die Bewohner „der großen Stadt Ninive“ gewarnt, ebenso wie Jeschu die Bewohner seines Landes warnte; Jona als lebendes Warnzeichen mit Erfolg, Jeschu als lebendes Warnzeichen fast ohne Erfolg. Diese Parallelität verstanden Jeschus Schüler ohne Kommentar. Anders war es um die andere Parallelität bestellt. Sie enthielt eine prophetische Voraussage, die sie erst verstehen konnten, nachdem sie sich erfüllt hatte; nämlich: Wie Jona (nach der Erzählung!) trotz des ihm zugedachten Todes am Leben geblieben war, auch im Innern des Fisches (einem Sinnbild der Unterwelt), so werde auch Jeschu trotz des ihm zugedachten Todes am Leben bleiben, auch im Innern der Erde (ebenfalls einem Sinnbild der Unterwelt). 204 Ist diese Folgerung zutreffend, dann hätte Jeschu mit Q-Mt 12,40 sein „Hinabsteigen in die Unterwelt“ prophetisch vorausgesagt (vgl. „Das Glaubensbekenntnis auf dem Prüfstand“ [????], Seiten 105-107). Und was meinte er damit? – Richtig ist, dass die Menschen in seiner Umwelt (und anderswo) sich vorstellten, die Verstorbenen lebten ein Schattendasein in einer unterirdischen Welt, der so genannten Totenwelt. Falsch aber ist der unter Christen weit verbreitete Gedanke, Jeschu habe solche primitiven Vorstellungen geteilt. Denn: Was er über den Einlass in die jenseitig-geistige Himmelsherrschaft gelehrt hat (Mt 5,20; 7,21; 18,3; 19,24 / Mk 10,25 / Lk 18,25) – man könnte sie durchaus Überwelt nennen –, das erzwingt die Folgerung, dass er die Unterwelt als das jenseitig-geistige Gegenstück dazu verstanden hat (vgl. Lk 16,22-26). Und zwar als den Lebensraum Satans und aller geistigen Wesen, die sich durch ihre Ursünde, den „Urabfall“, von Gott getrennt hatten, geistig gestorben sind und zu seinen Sklaven geworden waren. Vor Jeschus Sieg über den Satan (auf Golgolta!) war sie auch der vorgeburtliche und der nachtodliche Lebensraum der Menschen (Heb 2,14.15; 1Pt 3,19 und 4,6). Q 10,6.7 Nach dem NTG-Text dieses zweistrophigen Lehrgedichts – vorgetragen vor Außenstehenden – soll Jeschu in der ersten Strophe das vorbildliche Verhalten der Königin von Saba und in der zweiten Strophe das der Männer von Ninive dem abstoßenden Verhalten des zu seiner Zeit lebenden Geschlechts seines Volkes gegenübergestellt haben. 205 Danach soll das vorbildliche Verhalten der Sabäerin darin bestanden haben, dass sie von weither kam, um der Weisheit Salomos zuzuhören; und das der Niniviten (nach der Jona-Erzählung!) darin, dass sie auf die Verkündigung Jonas hin in Sack und Asche bereuten. Im Gegensatz dazu soll das abstoßende Verhalten der jüdischen Zeitgenossen Jeschus darin bestanden haben, dass sie weder seiner Weisheit zuhörten, noch auf seine Verkündigung hin bereuten, obwohl er mehr war als Salomo und mehr als Jona. Und weil das so war, würden jene Heiden im Gericht gegen jenes Geschlecht aufstehen und es verurteilen. Ist es etwa verwunderlich, dass Juden, wenn sie dieses Lehrgedicht Jeschus gelesen oder davon gehört hatten, sich voller Abscheu von ihm abwandten, ja, abwenden mussten? – Von einem Juden, der (angeblich) so pauschal und radikal über seine jüdischen Zeitgenossen geurteilt hatte. Denn: Dass Jeschu etwas ganz anderes gesagt hat als im NTG überliefert worden ist, dass sein Lehrgedicht an entscheidenden Stellen falsch übersetzt und durch Zusätze entstellt worden ist (vor allem, weil die Sprachkenntnisse der Übersetzer mangelhaft waren, aber auch, weil es ihnen an Ehrfurcht gegenüber dem geistigen Eigentum Jeschus mangelte), das konnten sie ja nicht wissen. [Besonders an einem Beispiel wie diesem müsste jedermann bewusst werden, wie wichtig es ist, sich zu vergewissern – um der Klarheit und um der Wahrheit willen –, ob Jeschu das, was er nach dem NTG gesagt haben soll, auch wirklich gesagt und gemeint haben muss.] Das aber, soviel ist gewiss, kann nur eine Rückübersetzung des NTG-Textes ins Aramäische, seine Lehr- und Verkündigungssprache, leisten. 206 Denn was sich im Aramäischen nicht oder nicht so sagen lässt, wie es im NTG steht, das kann Jeschu auch nicht gesagt haben. Es folgt, Satzteil nach Satzteil, eine Gegenüberstellung von NTG- und RÜ-Text: 1. (Die) Königin (des) Südens wird aufstehen ist eine doppelte Fehlübersetzung. Richtig ist: (a) (vgl. 1Kö 10,1 im hebräischen und im griechischen Alten Testament): (Die) Königin (von) Saba, (b) wird auftreten. Die aramäische Entsprechung des Verbs qûm kann u. a. beides bedeuten: aufstehen und (feindlich) auftreten (gegen). 2. Im Gericht mit diesem Geschlecht (Lk: mit den Männern dieses Geschlechts) ist ebenfalls eine doppelte Fehlübersetzung. Korrekt ist: (a) beim Rechtsspruch. Denn Gericht ist die Grundbedeutung des aramäischen Wortes, Rechtsspruch die beabsichtigte Nebenbedeutung. Und die Entsprechung von im ist sehr vieldeutig. Hier ist beim gemeint. (b) Gegen diese Menschenart. Das zugrunde liegende aramäische Wort zena’ ist mehrdeutig. Es kann das Geschlecht meinen, aber die Hauptbedeutung ist die Art, hier, weil auf Menschen bezogen: die Menschenart. Und mit ist ein sprachlicher Fehlgriff; denn auftreten verlangt gegen, nicht mit (siehe unter 1.). 3. Und sie wird es verurteilen (Lk: wird sie verurteilen) ist ein sinnwidriger Zusatz. Denn die Königin von Saba könnte, wenn überhaupt, allenfalls als Zeugin der Anklage gegen jene Menschenart auftreten, die Jeschu hier im Sinn hatte, auf keinen Fall aber als Richterin. Außerdem zerstört dieser Zusatz die poetische Form. 4. Denn sie kam von den Enden der Erde (NTG-Text) ist eine Fehlübersetzung. Der RÜ-Text hat: denn sie kam von den jenseitigen (östlichen = jenseits des Jordans gelegenen) Gegenden der Erde. [Nach F. Passow, „Handwörterbuch der griechischen Sprache“ II/1 (1983 = 5. Auflage 1852), Seite 817, 207 bedeutet peratos sowohl „am entgegengesetzten Ende als auch jenseitig, von jenseits, gegenüber liegend“ und hä peratä (mit gä oder chora verbunden) „das Land oder die Gegend … gegenüber.“ Im Plural: also: die jenseitigen Gegenden der Erde, wie der RÜ-Text]. Die syrische Entsprechung für die jenseitigen Gegenden der Erde ist bezeugt von S, C, P und H. 5. Die Weisheit Salomos zu hören ist ein wörtliches Zitat aus 1Kö 5,14, jedoch ungenau übersetzt. Genauer wäre: um der Weisheit Salomos zuzuhören. Denn jemandes Weisheit kann nicht reden, sodass man sie hören könnte; sondern wenn ein Weiser redet, kann man, wenn man will, seiner Weisheit zuhören. 6. Mehr als Salomo (ist) hier, wie meistens übersetzt wird, ist eine Fehlübersetzung, diesmal auch des griechischen Wortes pleion. Denn das kann u. a. beides bedeuten: mehr und größer, ein Größerer. Hier, wo es nicht um ein Mehr, eine Quantität, geht, muss demnach das Letztere gemeint sein. Also: Ein Größerer als Salomo ist hier! 7. Denn sie bereuten ist eine Verkürzung dessen, was hier vorauszusetzen ist. Denn es fehlt (Jon 3,6) in Sack und Asche, als äußerlich sichtbares Zeichen der Reue. Ohne diesen Textteil ist die poetische Form zerstört. Alle übrigen Textteile der zweiten Strophe des Lehrgedichts Jeschus Lk 11,31.32 / Mt 12,42.41 wurden bereits aramaistisch untersucht und erklärt. Das Ergebnis dieser Untersuchung und Erklärung insgesamt ist, was die Zuverlässigkeit des NTG-Textes angeht, niederschmetternd. Denn das, was Jeschu danach wirklich gesagt und gemeint hat, galt ausschließlich der Menschenart, die, ein Wunderzeichen fordernd, an ihn herangetreten war (also einer Minderheit) und nicht dem ganzen zu seiner Zeit lebenden Geschlecht seines Volkes. 208 Damit aber ist, was er gesagt und gemeit hat, so anders als das, was im NTG steht, dass kein Jude je Anstoß daran hätte nehmen können. Die Wirkungsgeschichte des Wortlauts solcher und vergleichbarer Texte, die Jeschu von frühchristlichen Übersetzern und Bearbeitern der Evangelien in den Mund gelegt worden sind, ist ungeheuerlich – für Juden und für Christen! Wie kann das je wieder gutgemacht werden? Q 10,8 Dieser Q-Text – in Q-Mt ein Vierzeiler, in Q-Lk ein willkürlich um eine Zeile erweiterter Vierzeiler – ist ein Bildwort, das dem alltäglichen Leben in der Umwelt Jeschus entnommen ist. Adressiert war es an seine Schüler. Die Realien waren: 1. Ein kleines, rechteckiges, einräumiges Bauernhaus mit einer Öffnung für die Tür, oft, aber nicht immer, mit einer kleinen Öffnung für das Fenster und mit einem Flachdach, das über eine Außentreppe erreichbar war. 2. In römischer Zeit: ein etwa kniescheibengroßes, ungefähr taschenuhrförmiges Tonlämpchen mit einem Eingußloch in der Mitte, durch das Olivenöl oder anderes Öl ein- und nachgefüllt werden konnte, und mit einem Schnabel am Rand, in dem ein Hanfdocht steckte. 3. Ein Hohlmaß für Trockenes und Flüssiges, das etwa zwei bis zweieinhalb Liter fasste. 4. Ein Leuchter (eigentlich: Lampenständer), meistens aus Holz gefertigt (metallene Leuchter besaßen nur die Reichen). Häufig stand er, damit er nicht umgestoßen werden konnte, in einer Wandnische. 209 Nur von ihm aus konnte das Licht des Tonlämpchens den ganzen Raum erhellen. Seine Ölfüllung gab Licht für ca. drei bis vier Stunden. Würde es unter ein Hohlmaß gestellt, so würde es erlöschen. Was könnte der Anlass gewesen sein, der Jeschu dazu bewog, das Bildwort „Von der Lampe“ zu formulieren? Es lässt nämlich vielerlei Deutungen zu. Die, die nun folgt, kann daher nur eine Vermutung sein. Vielleicht hat Jeschu mit dem einleitenden Kein Mensch unannehmbare Forderungen seiner Schüler zurückweisen wollen. In diesem Fall womöglich die, sich nicht in Lebensgefahr zu begeben – nämlich dadurch, dass er nach Jerusalem gehe, obwohl er wisse, dass sein Leben dort bedroht sei (Mt 16,22 / Mk 8,31). Wenn diese Folgerung zutreffend ist, dann war er selbst die brennende Lampe; und dann war er selbst es, der sie angezündet hatte, als er sein Wirken begann. Dann aber wäre es widersinnig gewesen, das Licht, das von ihm ausging (= die Erkenntnis, die von seiner Botschaft und seiner Lehre ausgingen) auszulöschen, indem er sich in Sicherheit brachte. Das auf keinen Fall! Stattdessen müsse er es, damit es allen leuchte, die im Haus (Israel!) sind, auf den Leuchter stellen. Das aber hieß: Er musste nach Jerusalem, gerade weil sein Leben dort bedroht war und – weil er auf die Erde gekommen war, um sein „Selbst hinzugeben als Lösegeld für alle“ (Mt 20,28 / Mk 10,45; 1Ti 2,6). Nachtrag: Inhaltlich stimmen die Q-Mt- und die Q-LkFassung mehr oder weniger überein. Formal jedoch weichen sie erheblich voneinander ab. Das Problem, das sich daraus für die Rückübersetzung ergab, war nur durch eine Kombination beider Fassungen zu lösen. 210 Q 10,9 Dieser Q-Text – das einzeilige Bildwort „Vom Auge des Menschen“ – war ein Lehrwort Jeschus, gerichtet an seine Schüler, vielleicht auch an Außenstehende. Was er mit ihm beabsichtigte, lässt sich durch einen einfachen Vergleich bewusst machen. Nämlich: Was die Lampe für das Haus des Menschen ist und bedeutet, das ist und bedeutet das Auge für den Körper des Menschen. Allerdings gilt das nur von der angezündeten Lampe, dem Lampenlicht, wie es nur vom sehenden Auge gilt, vom Augenlicht also. Denn wie es allein das Lampenlicht ist, das dem Haus des Menschen wahrnehmbares Licht spendet; ebenso ist es nur das Augenlicht, das dem Körper des Menschen wahrnehmbares Licht spendet. Wenn auch nur reflektiertes Licht, vor allem Sonnenlicht. Wobei unter Augenlicht die Sehkraft zu verstehen ist. Dass das Bildwort „Vom Auge des Menschen“ im Verlauf der Überlieferung mit dem Vierzeiler „Vom Blick des Menschen“ verbunden worden ist, so als wären beide ein Jeschuwort, das war für dessen Deutung ein sinnentstellender Fehler. Denn in ihm hat das aramäische Wort ‘ajena’ oder ‘êna’ „das Auge“ die Bedeutung der Blick. Q 10,10* Dieses vierzeilige Bildwort „Vom Blick des Menschen“ war ebenfalls ein Lehrwort Jeschus, jedoch gerichtet an einen Menschen, einen Außenstehenden (daher dein Blick etc.). Was Jeschu wahrscheinlich mit ihm sagen wollte, blieb bislang nur deswegen verborgen, weil seine Verknüpfung 211 mit dem voranstehenden Einzeiler „Vom Auge des Menschen“ (Q-Mt 6,22a / Lk 11,34a = Q 10,9) eine Jeschu gemäße und damit sachgemäße Deutung verhinderte. Für sich allein gedeutet, scheint dieser Vierzeiler eine therapeutische Diagnose mit indirekter Therapieempfehlung gewesen zu sein. Vermutlich wandte Jeschu sich mit ihm an einen vorübergehend kranken Menschen; an einen Mann, der missmutig und verbittert war, der es nötig hatte, dass jemand ihm zuhörte. Jemand, der sich in ihn hineinfühlen konnte und der ihm helfen wollte, seinen Missmut und seine Verbitterung als Ursache seiner Erkrankung zu erkennen. Das zumindest ergibt sich aus den beiden Wortpaaren wohlwollend – übelwollend und gesund werden – krank werden. Richtig. Dieser Gedankengang kann nicht mehr sein als eine Vermutung. Dann aber ist er weder beweisbar noch widerlegbar. Auch richtig. Doch darum geht es hier auch gar nicht, sondern darum, diesen sehr seltsamen Text verstehbar zu machen. Seltsam ist er deswegen, weil Jeschu in ihm allein aus dem Blick eines Menschen auf seinen derzeitigen seelischkörperlichen Zustand schloss, gewissermaßen eine Blickdiagnose stellte, aufgrund deren er seinem Patienten empfahl, statt durch übelwollendes Dreinblicken (und Denken) ernstlich krank zu werden, durch wohlwollendes Dreinblicken (und Denken) wieder gesund zu werden. Damit aber wäre er, wenn es denn so war, der Mehrheit aller Ärzte, auch unserer Tage, weit voraus gewesen; und zwar dadurch, dass er wusste, welchen Einfluss das Denken des Menschen auf seinen Körper hat; nämlich wohlwollendes Denken einen aufbauenden und übelwollendes Denken einen zerstörenden Einfluss. 212 Nachträge: Weil die frühchristlichen Übersetzer dieses NTG-Textes das aramäische Wort für Auge wörtlich und damit falsch übersetzten, darum konnten sie gar nicht anders, als fast den ganzen Text falsch wiederzugeben. Zu ersetzen waren daher: lauter durch wohlwollend, wird hell sein durch wird gesund werden, böse durch übelwollend und wird finster sein durch wird krank werden. Oder kann etwa ein Auge lauter beziehungsweise böse sein? Oder kann etwa ein ganzer Leib hell beziehungsweise finster sein? Aus all dem folgt: Viele aramäische Wörter hatten neben ihren Grundbedeutungen oft überraschende Nebenbedeutungen, manche sogar Gegenbedeutungen, die den frühchristlichen Übersetzern offensichtlich unbekannt waren. Dass sie häufig falsch übersetzten, ist daher nicht verwunderlich, wie dieses Beispiel zeigt. Q 10,11* Dieser NTG-Text gehört deswegen zu Q, weil er durch Stichwortverknüpfung an Q-Mt 6,22b-23b = Q 10,10 angefügt wurde. Nach derselben Methode also, nach der Q-Lk 6,35.36 = Q 10,12.13, ein Spruchpaar ähnlichen Inhalts, mit Q-Lk 11,34 = Q 10,10 verknüpft wurde. Was Q-Mt dabei von Q-Lk unterscheidet, sind lediglich deren Verschiedenheit und deren Umfang. Der Zweizeiler Q-Mt 6,23c.d = Q 10,11 war ein Wort Jeschus an einen Außenstehenden. Die Tatsache, dass er so zu ihm sprechen konnte, verrät, dass der Angeredte kein Unwissender war. Denn wäre er unwissend gewesen, dann hätte er mit dem Symbolbegriffen Licht und Finsternis, wie sie hier gemeint sind, nichts anfangen können. 213 Ihr Bedeutungsspektrum ist nämlich sehr umfangreich. Und: Dass Licht hier ein Kennwort für die Fähigkeit ist, Wahres als wahr zu erkennen, und Finsternis ein Kennwort für die Unfähigkeit, Wahres als wahr zu erkennen, das konnte ein Unwissender nicht wissen. Eigentlich gehörte dieser Zweizeiler zur esoterischen Lehre Jeschus, die er nur dem engsten Kreis seiner Schüler, dem Zwölferkreis, mitteilte. Vielleicht auch noch Lazarus. Dass er im Matthäus-Evangelium steht, scheint daran zu liegen, dass sein esoterischer Charakter durch die fehlerhafte Übersetzung aus dem Aramäischen ins Griechische verdunkelt war. Wie fehlerhaft, das zeigt sich an dem wörtlich übersetzten NTG-Text: „Wenn das Licht in dir Finsternis ist, die Finsternis wie groß!“ Der Hauptfehler war, dass der Übersetzer das aramäische Wort hašôk zweimal mit dem Substantiv Finsternis wiedergab, obwohl es im ersten Satzteil ein Verb war, das mit finster werden hätte übersetzt werden müssen. Ohne diese Erkenntnis wäre das, was nun folgt, kaum plausibel zu machen gewesen. Denn es war die dadurch gewonnene Übersetzung mit „Wenn dein Licht finster wur-de durch dich“, die erkennbar machte, dass Jeschu in Mt 6,23c.d = Q 10,11 vom Urabfall sprach. Dieser Begriff meint das Ereignis in der Vorzeit, durch das ein hoher Engel zum Satan wurde und durch das wir, die wir auf der Erde leben müssen, zu Satans Sklaven wurden. Die Hauptursache war, dass sein Licht (seine Fähigkeit, Wahres als wahr zu erkennen) durch ihn und unser Licht durch uns schuldhaft verfinstert wurde. Nachtrag: Es war eine Kettenreaktion von Fehlern, die die Übersetzung des NTG-Textes von Q-Mt 6,23c.d (= Q 10,11) missraten ließ. 214 Denn hätte der urchristliche Übersetzer den beabsichtigten Sinn seiner aramäischen Vorlage richtig erkannt, dann hätte er den entscheidenden Textteil mit es wurde finster übersetzt, statt mit ist Finsternis (das aramäische Wort hašôk kann – siehe oben – finster werden und Finsternis bedeuten). Bei dieser Wiedergabe wäre das Verb, wie im Aramäischen üblich, am Anfang des Satzes stehen geblieben (also: Wenn finster wurde). Das aber hätte zur Folge gehabt: erstens, dass er dein Licht statt das Licht gesetzt hätte und durch dich statt in dir (die aramäische Wortverbindung bak kann beides bedeuten); zweitens, dass er wie groß wurde statt wie groß übersetzt hätte. Damit aber hätte er dem Zweizeiler einen verstehbaren Sinn gegeben. Q 10,12.13 Dieser NTG-Text gehört deswegen zu Q, weil er durch Stichwortverknüpfung an Q-Lk 11,34b-e = Q 10,10 angefügt wurde. Nach derselben Methode also, nach der Mt 6,23c.d = Q 10,11, ein Spruch ähnlichen Inhalts, mit Q-Mt 6,22b-23b = Q 10,10 verknüpft wurde. Was Q-Lk dabei von Q-Mt unterscheidet, sind lediglich deren Verschiedenheit und deren Umfang. Das ungleiche Spruchpaar Q 10,12.13, drei Drittelzeiler und ein Doppel-Langzeiler, war eine Mahnung Jeschus an einen Außenstehenden (10,12), verbunden mit einer zwingend logischen Begründung (10,13). Inhaltlich ist es mit dem voranstehenden Zweizeiler Q 10,11 so verwandt, dass es möglich erscheint, Jeschu könnte es derselben Person vorgetragen haben. Einem Mann also, der wusste, dass Licht (in Zusammenhängen wie diesem) ein 215 Kennwort für die Fähigkeit ist, Wahres als wahr zu erkennen und Finsternis ein Kennwort für die Unfähigkeit, Wahres als wahr zu erkennen. Doch auch wenn es nicht dieselbe Person war, bleibt bestehen, dass der Mann, dem Jeschu dieses Spruchpaar vortrug, ein Wissender gewesen sein muss. Denn andernfalls hätte er die Lehre, die es enthielt, nicht erfassen können. Nämlich die, dass die Fähigkeit, Wahres als wahr zu erkennen, verloren werden kann. Und zwar durch Überheblichkeit, Egoismus und Missbrauch, durch Geld- und Machtgier, durch bewusst begangenes Unrecht und Lügen. Diese sieben können das Licht jedermanns verfinstern. Man bedenke, dass (nach Jeschu!) ein hoher Engel allein durch die Erfindung der Lüge zum Satan wurde (siehe Jh 8,44; RÜ-Text und Kommentar in „Worte des Rabbi Jeschu“, Seite 61). Nachtrag: Auffallend am NTG-Text zu Q 10,12 ist, dass dessen frühchristlicher Übersetzer denselben Fehler machte, der u. a. die Übersetzung des NTG-Textes von Q 10,11 missraten ließ; nämlich, dass er den Textteil, den er mit es werde finster hätte wiedergeben müssen, mit ist Finsternis wiedergab. Zufall? Oder wurden beide Texte vom selben Übersetzer übersetzt? Das Letztere würde auch erklären, warum Q-Lk 11,36 = Q 10,13, statt ein poetisch geformtes Wort Jeschus zu sein, zu einem wirren Gestammel missraten ist. In den herkömmlichen Übersetzungen zur Stelle wird dieser Tatbestand dadurch verschleiert, dass die Wirrnisse weggeglättet werden. Allerdings mit mäßigem Erfolg. Hilfe bei der Rückübersetzung ins Aramäische war allein bei den syrischen Evangelienübersetzungen S, C, P und H zu finden. Bemerkenswert ist daran: Obwohl sie so weit 216 auseinander gehen, dass man folgern muss, ihre griechischen Vorlagen seinen hochgradig verdorben gewesen, war es möglich, vor allem anhand der Eigenheiten der Poesie Jeschus, den Originalton zu rekonstruieren. Da es sich empfiehlt (besonders in diesem Fall), das Ergebnis durch einen unparteiischen Vergleich zu beglaubigen, folgt erst die Wiedergabe des MNT, einer möglichst wortgetreuen Übersetzung aus dem Griechischen, dann der EÜ-Text und danach der RÜ-Text (und zwar nicht, um zu karikieren, sondern um zu demonstrieren, dass es nur über den Rückgang auf das Aramäische gelingen konnte, den Originalton Jeschus wiederzugewinnen: „Wenn nun dein ganzer Leib licht (ist), nicht habend einen finsteren Teil, wird er sein ganz licht, wie wann die Leuchte mit (ihrem) Strahl dich erleuchtet.“ (MNT) „Wenn dein ganzer Körper von Licht erfüllt und nichts Finsteres in ihm ist, dann wird er so hell sein, wie wenn die Lampe dich mit ihrem Schein beleuchtet.“ (EÜ-Text) Solange dein Licht hell ist, erleuchtet es dich. Aber sobald dein Licht finster wird, verfinstert es dich. (RÜ-Text) Zur Erinnerung: Licht ist in diesem Zusammenhang ein Kennwort für die Fähigkeit, Wahres als wahr zu erkennen. Eine Fähigkeit, die verloren werden kann. Q 11,1-4 Dieser NTG-Text – eine kurze Erzählung über eine an Jeschu ergangene Einladung eines Pharisäers, bei ihm zu speisen etc. – gehört insgesamt zu Q. Das ist sicher. Denn 217 eine sorgfältige Untersuchung der sprachlichen Merkmale dieses Textes gestattet keinen Zweifel daran, dass er vollständig der Q-Überlieferung zuzuweisen ist. Wahrscheinlich war es ein Sabbatmahl, zu dem der Pharisäer Jeschu einlud. Vielleicht hatte er ihn reden hören und hoffte auf ein anregendes Gespräch mit ihm (und sicherlich mit anderen pharisäischen Tischgästen). Doch als Jeschu sich zu Tisch legte, ohne sich vor dem Mahl die Hände abgespült zu haben (dabei ging es um eine kultische, nicht um eine wirkliche Reinigung), da war der Hausherr entsetzt; denn ihm galt das Reinigen der Hände vor dem Mahl als eine kultische Pflicht ersten Ranges. Aber da er nichts sagte, wird Jeschu an dem Mahl teilgenommen haben, obwohl er das Entsetzen seines pharisäischen Gastgebers bemerkt hatte. Irgendwann im Verlauf des Mahles kam er denn auch darauf zurück. Von dem, was er dabei sagte, hat der Erzähler nur wenig festgehalten. Nur einen Doppelspruch Jeschus an den Hausherrn. Der erste Spruch war eine zweizeilige rhetorische Frage, die nur mit Ja! beantwortet werden konnte (RÜ-Text): Ist nicht, wie das Innere beschaffen ist, auch das Äußere beschaffen?! Der zweite Spruch war eine dreizeilige Belehrung über die vollständige Reinigung eines Menschen (RÜ-Text): Reinige auch dein Inneres, nicht nur dein Äußeres, sodass du ganz rein wirst! Mit ihm fasste er das Kernproblem des Pharisäismus in ein einprägsames Wort: die Kluft zwischen Schein und Sein bei etlichen, keineswegs bei allen Pharisäern. Worum es Jeschu bei diesem Doppelspruch ging, war demnach: seinem Gastgeber bewusst zu machen, dass Gott 218 (vor allem) auf die Reinigung des Innern, der Gesinnung des Menschen, Wert lege und dass die nicht schon dadurch zu erlangen sei, dass er seine Hände abspüle. Die auf diesen Dreizeiler folgenden Auflistungen von Weherufen Jeschus über die Pharisäer und über die Schriftgelehrten sind das Ergebnis von Stichwortverknüpfungen einzelner Worte, die über das Stichwort Pharisäer mit dem Voranstehenden verbunden worden sind. Und zwar durch die Sammler und Bearbeiter der Q-Überlieferung. Nachtrag: Bei diesem NTG-Text überwiegt das, was falsch übersetzt wurde, das, was richtig übersetzt wurde, bei weitem. Dies alles auflisten und aramaistisch begründen zu wollen, würde die Leserinnen und Leser dieses Buches jedoch eher langweilen als erfreuen. Wichtig ist nur dies: Die Rückübersetzung von Q-Lk 11,41 / Mt 23,26b.c = Q 11,4 hat bewiesen, dass beide NTG-Fassungen, obgleich ihr Wortlaut völlig verschieden ist, Wiedergaben derselben aramäischen Urfassung sind. Es ist so, auch wenn es kaum nachzuvollziehen ist! Offenkundig wird dies freilich erst durch den vollständigen aramäischen Wortlaut der Rückübersetzung (siehe G. Schwarz, in Biblische Notizen 75; Literaturverzeichnis, Seite 328). * Die folgenden Q-Texte sind so genannte Weherufe Jeschus. Sie sind durch sein Wehe als prophetische Worte ausgewiesen. In diesem Fall heißt das: Sie sind Androhungen, die einen negativen Tat-und-Tatfolge-Zusammenhang androhen, der sich an den Angeredeten vollziehen wird. Eingeleitet aber wird er am Tag des Rechtsspruches über ihr Leben – nicht lange, nach dem sie gestorben sind, außer, sie würden den Anlass der Androhung bereuen und durch eine Korrektur ihres Tuns nachhaltig beseitigen. 219 Q 11,5 Mit diesem Doppel-Langzeiler – eingeleitet durch „Wehe euch Pharisäern!“ – warf Jeschu den angeredeten Pharisäern vor: erstens, dass ihre Trinkgefäße und ihre Essgefäße gefüllt seien mit Geraubtem (gewaltsam Angeeignetem) und Besudeltem (hier: durch Sünde oder Blutschuld Verunreinigtem); zweitens, dass sich ihre Reinlichkeit auf deren unwichtigere Außenseite beschränke, also Täuschung und Selbsttäuschung sei. Demnach ging es Jeschu in diesem Weheruf wieder um die Kluft zwischen Schein und Sein. Und was er den angeredeten Pharisäern darin androhte, das war: nachdem sie gestorben seien, würden sie sich ihrer Torheit bewusst werden und die Folgen ihres Tuns erkennen, anerkennen und erdulden müssen – nicht von außen, als Strafe Gottes etwa (das wäre eine primitive Pädagogik), sondern von innen, durch peinvolle Reue und Selbstvorwürfe. Q 11,6.7 Dieser Q-Text besteht aus zwei Teilen: einem DoppelZweizeiler – eingeleitet durch „Wehe euch Pharisäern!“ – und einem lehrhaften Zweizeiler. Mit dem Doppel-Zweizeiler Q 11,6 warf Jeschu den angeredeten Pharisäern vor: erstens, dass sie im Umgang mit ihren Mitmenschen, das Wichtige (die Summe der Weisung, nicht „des Gesetzes!“), das Recht, die Barmherzigkeit und die Treue, wegließen; zweitens, dass sie bei den Zehntabgaben selbst das verzehntet hätten, was nach den Weisungen der Schriftgelehrten gar nicht verzehntet zu werden brauchte 220 (Minze, Dill und Kümmel). Dass sie also, wo es um Unwichtiges ging, mehr taten, als nötig gewesen wäre. Demnach ging es Jeschu in diesem Weheruf um eine angemessene Unterscheidung zwischen dem, was vor Gott wichtig und dem, was vor ihm unwichtig ist. Damit zugleich aber wieder um die Kluft zwischen Schein und Sein. Zu dem, was er den angeredeten Pharisäern darin androhte, siehe oben, unter Q 11,5. In dem lehrhaften Zweizeiler Q 11,7 zog Jeschu die Summe aus dem voranstehenden Doppel-Zweizeiler und entlarvte damit das Verhalten der Pharisäer als unangemessen und daher sinnwidrig. Q 11,8 Mit diesem Doppel-Langzeiler – eingeleitet durch „Wehe euch Pharisäern!“ – warf Jeschu den angeredeten Pharisäern vor, dass ihr äußerer Schein und ihr inneres Sein (gekoppelt mit ihrem öffentliches Ansehen und ihrem geheimen Zustand) einander ebenso widerstreiten, wie das reine Äußere von Gräbern ihrem unreinen Inneren widerstreitet. Dies war wohl der schärfste Vorwurf Jeschus gegen gewisse (nicht gegen alle) Pharisäer. Denn Leichenunreinheit galt den Pharisäern als der höchste Grad von Unreinheit überhaupt. Und wem man in der Umwelt Jeschus Leichenunreinheit (im übertragenen Sinn) nachsagte, dem sagte man nach, lebendig tot zu sein, wie ein Aussätziger. Zu dem, was er den angeredeten Pharisäern darin androhte, siehe oben, unter Q 11,5. Nachtrag: Die jüdischen Gräber wurden zu jener Zeit mit gelöschtem Kalk getüncht (geweißt), um Vorüberge- 221 hende durch das leuchtende Weiß (die Farbe der Knochen) vor ritueller Verunreinigung zu warnen. Der Kalkanstrich musste alljährlich im Frühjahr, nach dem Ende der Regenzeit, erneuert werden. Q 11,9 Mit diesem Doppel-Langzeiler – eingeleitet durch „Wehe euch Schriftgelehrten!“ – warf Jeschu den angeredeten Schriftgelehrten vor: erstens, dass sie ihren Mitmenschen mit einer Fülle ausgeklügelter Einzelvorschriften zu den biblischen „Geboten“ (die sie als verbindlich betrachtet wissen wollten) unerträgliche Lasten aufgebürdet hätten; zweitens, dass sie selbst sich dem strengen Befolgen ihrer eigenen Vorschriften dadurch entzögen, dass sie sich durch haarspalterische Umdeutungen Erleichterungen zu verschaffen wüssten. Demnach ging es Jeschu in diesem Weheruf um den hohen Anspruch der angeredeten Schriftgelehrten, dem sie als „Lehrer Israels“ zu entsprechen hätten, und zugleich darum ihnen bewusst zu machen, dass sie verantwortungslos handelten, wenn sie ihrer Verpflichtung zur Wahrhaftigkeit spotteten. Damit aber ging es ihm auch um die Kluft zwischen Anspruch und Sein. Zu dem, was er den angeredeten Schriftgelehrten darin androhte, siehe oben, unter Q 11,5. Nachtrag: Brauchbar für die obige Rekonstruktion dieses NTG-Textes, und damit für seine Rückübersetzung ins Aramäische, war nur Q-Lk 11,46b-f. Denn wie der Vergleich mit der Q-Lk-Fassung ergibt, wurde der Wortlaut von Q-Mt 23,4, damit er in den Mt-Zusammenhang passe, 222 in die 3. Prs. pl. umformuliert und gewann dabei einen anderen Rhythmus. Dass die Q-Mt-Fassung eine Variante zur Q-Lk-Fassung sein könnte, ist unwahrscheinlich. Q 11,10.11° Mit diesem Doppel-Spruch aus je vier Halbzeilen – eingeleitet durch „Wehe euch!“ – warf Jeschu den angeredeten Bauherren vor: erstens, nicht etwa, dass sie ProphetenGrabanlagen an sich gebaut hatten, sondern dass sie das den Propheten zu Ehren getan hatten, die ihre Vorfahren ermordet haben – ganz so, als könnten deren Morde durch ihre Grabbauten wieder gutgemacht werden; zweitens, dass diese Vorstellung irrig sei, denn die sei eher ein Belastungszeugnis und ein Bekenntnis gegen als für sie. Demnach ging es Jeschu in diesem Weheruf darum, den angeredeten Bauherren bewusst zu machen, dass die Prophetenmorde ihrer Vorfahren nicht dadurch aus der Welt zu schaffen seien, dass sie den Propheten zu Ehren und ihren Vorfahren zur Entlastung Grabanlagen bauten. Zu dem, was er den angeredeten Bauherren darin androhte, siehe oben, unter Q 11,5. Q 11,12-14° In diesem Spruch aus vier Halbzeilen, einem Zweizeiler und einem Doppel-Langzeiler – eingeleitet durch „Wehe euch!“ – warf Jeschu den Bauleuten dasselbe vor, das er ihnen in Q 11,10.11 vorgeworfen hatte. Hier jedoch um den Vorwurf ergänzt, sie hätten zu behaupten gewagt, dass sie 223 sich nicht, wenn sie damals gelebt hätten, an der Blutschuld ihrer Vorfahren beteiligt hätten. Als ob das wirklich so sicher wäre, wie sie versichert hatten. Zu dem, worum es Jeschu in dem Weheruf Q 11,12-14 ging und zu dem, was er den angeredeten Bauherren darin androhte, siehe oben, unter Q 11,10.11 und Q 11,5. Sein Inhalt und seine Form weichen im zweiten und im dritten Teil so stark von Q 11,10.11 ab, dass er als eine Variation zum selben Thema zu werten ist, auf keinen Fall aber als Parallele. Folglich wird dieser Weheruf einer anderen Q-Sammlung angehören. Q 11,15 In diesem Doppel-Langzeiler – eingeleitet durch „Wehe euch Schriftgelehrten!“ – warf Jeschu den angeredeten Schriftgelehrten vor: erstens, dass sie die diesseitig-geistige Gottesherrschaft (durch ihre ablehnende Haltung ihm gegenüber und durch dementsprechende Äußerungen) vor ihren Mitmenschen verborgen hätten; zweitens, dass sie selbst (gestützt auf ihr rabbinisches Bibelstudium und auf ihr theojuristisches Lehramt) nicht nur abgelehnt hätten, in sie einzutreten, sondern dass sie zudem auch noch Menschen, die in sie eintreten wollten, daran gehindert hätten. Demnach ging es Jeschu in diesem Weheruf um den hohen Anspruch der angeredeten Schriftgelehrten, dem sie als „Lehrer Israels“ zu entsprechen hätten, und zugleich darum, ihnen bewusst zu machen, dass sie verantwortungslos handelten, wenn sie ihrer Verpflichtung zur Wahrhaftigkeit spotteten. Damit aber ging es ihm auch um die Kluft zwischen Anspruch und Sein. 224 Zu dem, was er den angeredeten Schriftgelehrten darin androhte, siehe oben, unter Q 11,5. Nachtrag: Keine der beiden NTG-Fassungen von Q 11,15 gibt auch nur annähernd zuverlässig wieder, was Jeschu gesagt hat. Ihr Wortlaut nach Q-Mt und Q-Lk unterscheiden sich derart voneinander, dass sie unvereinbar sind. Den korrekten Wortlaut daraus zu rekonstruieren, war daher nur durch eine Kombination beider Fassungen möglich. Dabei wurden die Anrede und der zweite Langzeiler aus Q-Lk entnommen und der erste Langzeiler aus Q-Mt. Q 12,1* Dieser Doppel-Langzeiler war ein Wort Jeschus an Außenstehende. Mit ihm wollte er sie warnen, sich selbst etwas vorzumachen. Würde diese Warnung auf die materielle Welt bezogen, in der wir als materielle Wesen vor unserem Sterben leben, dann wäre sie leicht als unwahr zu erweisen. Denn in ihr gibt es vieles, das verborgen ist und nicht entdeckt wird, und vieles, das geheim ist und nicht bekannt wird. Wenn es aber auf die geistige Welt bezogen wird, in der wir als geistige Wesen nach unserem Sterben leben werden, dann wird sie sich nachdrücklich als wahr erweisen. Denn dann, am Tag des Rechtsspruches über unser kurz vorher beendetes Leben, werden wir erleben können oder erleiden müssen, dass es unmöglich ist, den Richterengeln Gottes etwas vormachen zu wollen, die „im Namen Gottes“ über den Ertrag unseres Lebens zu urteilen haben. Dabei wird sich dann zeigen, dass sie mehr über uns wissen als wir selber; schon deswegen, weil wir uns an vieles 225 nicht mehr erinnern können oder wollen, weil es uns unangenehm ist. Vermutlich wird es so sein, dass alle Daten über uns, wie wir das von unseren Computern her kennen, aufgezeichnet und gespeichert sind, also zu jeder Zeit abgerufen werden können; allerdings nicht auf so primitive und grobstoffliche Weise wie bei uns. Wenn es aber so ist, und das hat Jeschu in seiner obigen Warnung vorausgesetzt, dann ist es zwecklos, unsere Schuld oder unsere Verantwortung zu leugnen. Da bleibt dann nichts anderes übrig, als darauf zu vertrauen, dass unsere Richter grundsätzlich wohlwollend und barmherzig sind – weil auch Gott wohlwollend und barmherzig ist. Q 12,2 Dieser Q-Text – in der Mt-Fassung ein Doppel-Langzeiler, in der Lk-Fassung bis zur Unkenntlichkeit zerredet – war eine Weisung Jeschus an die Zwölf, seinen engsten Schülerkreis. Ihr ist zu entnehmen, dass es in seiner Schülerunterweisung beides gegeben hat: ein Sagen im Dunkeln (in der Nacht) und ein Flüstern ins Ohr (unter dem Siegel der Verschwiegenheit). Beide Begriffe betreffen seine esoterische Unterweisung – etwas, das nicht (beziehungsweise noch nicht) für die Menge bestimmt war –; und zwar von Anfang an. Von ihr fernzuhalten ist jedoch, was man heutzutage vielfach unter Esoterik versteht. „Sagen im Dunkeln“ ist ein seltsamer Begriff. Was meinte Jeschu mit ihm? Ist das noch aufzuhellen? Mit Sicherheit, wie aus Folgendem zu erschließen ist: 226 Von Nikodemus, einem Pharisäer und „Lehrer Israels“ galiläischer Herkunft, heißt es zweimal (Jh 3,2 und 19,39), wenn nicht sogar dreimal (in etlichen Handschriften auch noch in Jh 7,50), dass er bei Nacht zu Jeschu gekommen sei. Warum? Aus Furcht vor seinen Kollegen? Das ist unwahrscheinlich (siehe 7,50 und 19,39). Warum dann? Zu bedenken ist: Er kam als Lehrer zu einem Lehrer, weil er etwas von Jeschu wollte. Was? Zweifellos hoffte er, aufgrund dessen, was er mit eigenen Ohren von ihm selbst gehört hatte, eine hohe Offenbarung von ihm zu empfangen – nach Jh 3,1-4.7.9-11 eine ihm unbekannte Enthüllung über den Einlass in das „Reich Gottes“ (besser: in die jenseitig-geistige Himmelsherrschaft). Dafür aber war ein „Sagen im Dunkeln“ traditionell vorgeschrieben. Und worum ging es beim Flüstern ins Ohr? Es ging darum, dass Jeschu, wie die jüdischen Schriftgelehrten, Lehraussagen, die nur für die Zwölf als Geheimnisträger bestimmt waren, flüsternd vortrug, das heißt unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Insgesamt signalisiert dieser Spruch ein Vorher und ein Nachher. Was Jeschu vor jenem Termin nur seinem engsten Schülerkreis mitgeteilt hatte (symbolhaft: im Dunkeln oder ins Ohr), das sollten sie nach jenem Termin öffentlich bekannt machen (symbolhaft: im Licht, das heißt am Tag, und von den Dächern, genauer: von Flachdächern, das heißt von Orten, von denen es weithin zu hören war). Mit dieser Weisung hob Jeschu die anfangs notwendig gewesene zeitliche Beschränkung auf. Und an welchen Termin dachte er dabei? Richtig. Einen Zweifel daran, dass er dabei an Ostern gedacht haben wird, kann es nicht geben (Mt 17,9 / Mk 9,9). Denn von keinem anderen Termin hing soviel für ihn ab, wie von Ostern. 227 Q 12,3.4* Diese Paarung aus je drei Drittelzeilen – in Q-Mt mehrfach willkürlich entstellt, in Q-Lk bis zur Unkenntlichkeit verdorben – war eine Weisung Jeschus an seine Zwölf. Sie gehörte zu seinen Mahnworten an alle seine Schüler, also auch an seine Schülersschüler bis heute. Mit ihr wies er auf Gefahren hin, denen sie in seinem Dienst ausgesetzt sein würden, sogar dem Martyrium. Beide Spruchhälften waren ursprünglich genau gleich geformt und sind es jetzt wieder. In der ersten Hälfte ermahnte er sie, keine Ehrfurcht vor Menschen zu haben, in diesem Fall vor solchen, die ihnen, seiner Botschaft wegen, feindlich gesonnen sein würden; denn die könnten schlimmstenfalls ihren Körper töten. In der zweiten Hälfte ermahnte er sie, stattdessen Ehrfurcht vor Gott zu haben; denn er allein sei imstande, ihr Selbst zu töten, ihr Geist-Ich, das Zentrum ihrer Persönlichkeit auszulöschen. Jedoch nur als Möglichkeit verstanden, nicht als mögliche Wirklichkeit. Wie Jeschu in seiner Weisung an seine Zwölf die Menschen und Gott in scharfem Gegensatz einander gegenüberstellte, so auch ihren Körper und ihr Selbst (ihr Geist-Ich); und folglich, da sie Menschen waren, den Körper und das Selbst aller Menschen. Dies ist ein Tatbestand, der es verdient, von allen Humanwissenschaften beachtet und ernst genommen zu werden. Dabei werden inzwischen tief eingewurzelte materialistische Denkfehler korrigiert werden müssen: unter dem Druck der Sterbeforschung, der Hirnforschung und der theoretischen Physik. Vor allem auch der Irrtum, dass der Mensch, wenn er sterbe, ganz und gar sterbe. 228 Dies für richtig und wahr zu halten, ist ein Glaube, keine Wissenschafr. Es verlangt nämlich, viele Phänomene, die es unleugbar gibt, zu leugnen, ohne sie ernsthaft untersucht zu haben. Das aber ist unwissenschaftlich. Q 12,5-7* Diese Dreiung von je drei Drittelzeilen – in beiden Fassungen willkürlich geändert – ist ein Wort Jeschus an seine Schüler. Gesprochen hat er es vielleicht in der Nähe des Jerusalemer Tempels. Es ist charakteristisch für sein Denken und Empfinden. Die ersten drei Drittelzeilen bekunden sein Mitleid, auch mit etwas so unbedeutend Erscheinendem, wie es Sperlinge sind. Die zweiten offenbaren seine grenzenlose Hochachtung vor Gott, den er liebevoll Abba „Papa“ nannte und von dem er zu sagen wagte, dass sein gütiges Gedenken auch den Sperlingen gelte, den geringsten Opfertieren, die im Jerusalemer Tempel geopfert werden durften. Es waren die Ärmsten der Armen, die sie darbrachten. Sie konnten sie im Nichtjudenvorhof des Tempels kaufen, das Paar für ein As. In Jeschus Umwelt war das As die gängigste römische Kupfermünze. Ihr Wert entsprach dem 16. Teil eines Denars. Zu jener Zeit war er der übliche Tageslohn eines Arbeiters, bei einer Arbeitszeit von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr abends, im Winter bis Sonnenuntergang.. Diesen unbedeutenden Wert eines Sperlings muss man sich bewusst machen, wenn man erfassen will, wie hoch Jeschu die Güte Gottes einschätzte. Hätte er sonst wohl zu sagen gewagt, nicht einmal Sperlinge seien davon ausge- 229 nommen? Dass die Erde gleichwohl, auch damals, alles andere war als ein Paradies, wusste er sehr wohl. Doch er war nicht so kindisch, Gott für den Wahnwitz von Menschen verantwortlich zu machen. Und die letzten drei Drittelzeilen? In ihnen zog er aus den beiden voranstehenden den so genannten „Schluss vom Kleineren zum Größeren“ (hier: von den Sperlingen als den Kleineren, zu seinen Schülern als den Größeren); mit dem Ergebnis: Wenn Gott schon die Sperlinge für so wertvoll hält, dass er ihrer gütig gedenkt, um wie viel mehr wird er dann ihrer, seiner um vieles wertvolleren Schüler, gütig gedenken! Doch wenn es so ist, so folgerte er, dann hätten sie keinen Grund, sich zu fürchten. Denn von allem, was ihnen von und durch Menschen widerfahren könnte, würde absolut nichts ihrem Selbst, ihrem Geist-Ich, schaden können (außer – sie täten es sich selbst an). Nachträge zu den willkürlichen Änderungen am Wortlaut von Q-Lk 12,6.7a-c / Mt 10,29.31: In Mt 10,29a-c hat der NTG-Text: „Werden nicht verkauft zwei Sperlinge für ein As?!“ Und in Lk 12,6a-c hat er: „Werden nicht verkauft fünf Sperlinge für zwei As?!“ Warum? Was ist richtig, zwei Sperlinge oder fünf? Zwei Sperlinge wird richtig sein. Denn wahrscheinlich dachte Jeschu, als er diesen Dreizeiler formulierte, an jene zwei reinen Vögel, die ein rein gewordener Aussätziger von einem Priester als Reinigungsopfer darbringen lassen musste (3Mo 14,1-7). In diesem Fall wäre der Verkauf der Sperlinge im Nichtjudenvorhof des Jerusalemer Tempels hinreichend erklärt. Und wie ist die willkürliche Änderung in fünf Sperlinge zu erklären? Zweifellos durch den Rückgang des Preises für 230 Kleinvögel zur Zeit des Plinius (23/24 bis 79 u. Z.). Veranlasst durch das Gerücht, sie fräßen Giftkörner. Dieser unbedeutend erscheinende Tatbestand hat weitreichende Konsequenzen. Denn er erlaubt einen sicheren Rückschluss auf die Abfassungszeit der beiden Evangelien. Danach wäre nämlich die des Lukasevangeliums in das Jahrzehnt zwischen 50 und 60 anzusetzen und die des Matthäusevangeliums in das Jahrzehnt zwischen 40 und 50 (zwar gegen die herrschende Auffassung, dafür aber an einem historischen Faktum festgemacht; vgl. O. Roller: „Münzen, Geld und Vermögensverhältnisse in den Evangelien“ [1929], Seiten 6-8).“ Aber weiter: In Q-Mt 10,29d-f liest der NTG-Text: „Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater.“ Und in Q-Lk 12,6d-f hat er: „Dennoch ist keiner von ihnen vergessen vor Gott.“ Das ist, wer wollte das bestreiten, ein so krasser Unterschied, dass er nur durch eine willkürliche Textänderung erklärt werden kann. Dazu sollte man sich bewusst machen, dass kein Sperling auf die Erde fallen kann, außer – er ist tot: entweder gestorben oder getötet worden. Das aber würde bedeuten (wenn Jeschu das gesagt hätte): Wann immer ein Sperling starb oder getötet wurde, hätte Gott seinen Tod gewollt, also verursacht haben müssen. Doch das ist ein unmöglicher Gedanke, der, wenn man ihn zu Ende denkt, zu lauter Unsinnigkeiten führt. Überdies setzt er eine Vorstellung von Gott voraus – der Güte in Person –, die Jeschus jenseitigem Wissen über Gott, wie er es gelehrt hat, genau entgegengesetzt ist. Ist es das aber, dann ist zu fragen: Und warum steht diese unjeschuanische Vorstellung von Gott dennoch in der Mt-Fassung zur Stelle? Und zwar so, als hätte er sie formu- 231 liert? Es gibt nur eine richtige Antwort auf diese Frage: Aus dogmatischen Gründen; um neben anderen einen (ähnlich gefälschten) „Beleg“ dafür zu gewinnen, dass die Lehre vom allmächtigen Gott „vom Herrn selbst“ gelehrt worden sei. Eine Lehre, die zu nichts anderem getaugt hat als dazu, den Atheismus zu befördern. Q 12,8 Dieser Zweizeiler – durchweg falsch gedeutet, weil falsch übersetzt – war ein Wort Jeschus an seine Zwölf. Es wurde im Verlauf der Überlieferung zwischen dem zweiten und dem dritten Drittel des voranstehenden Textes eingefügt und zerstörte dadurch dessen Sinnzusammenhang. Folglich war es aus ihm herauszulösen und als selbständiges Wort zu betrachten und zu deuten. Einzusetzen hat seine Deutung bei den Symbolbedeutungen des Wortes Haar. Dabei ist sicher: Das Haar galt seit Urzeiten als Sinnbild der Lebenskraft, der Energie, auch der körperlichen Stärke. Jemandem das Haar zu stehlen oder abzuschneiden, bedeutete, ihn seiner Kraft zu berauben (erinnert sei an Simson, Ri 16,17). Was vom Haar im Allgemeinen galt, das galt besonders von den „Haaren des Kopfes“. Sie symbolisierten vor allem die höheren Kräfte und die Inspiration. An diesen beiden Begriffen wird deutlich, dass das im NTG-Text überlieferte „sie sind alle gezählt“ unmöglich richtig sein kann. Oder könnte es bei ihnen etwa um zählbare Mengen gehen? Wenn aber nicht, um was dann? Die Antwort auf diese Frage ist einer der Nebenbedeutungen des aramäischen 232 Wortes mannî zu entnehmen (das mit menê „zählen“ verwechselt wurde; beide wurden mnj geschrieben); nämlich: zuteilen. Bezogen auf die Haare eures Kopfes = „die höheren Kräfte und die Inspiration“ (siehe oben) bedeutet das: Was Jeschu seinen Zwölf mit dem obigen Zweizeiler zusichern wollte, war demnach: dass ihnen allen die für sie richtigen und wichtigen höheren Kräfte zugeteilt seien – auf Weisung Gottes, versteht sich –, dass sie also in ihnen seien und zur rechten Zeit aktiviert würden. Erinnert sei hierzu an die Weisung Jeschus Lk 24,49 (RÜ-Text): Seht! – Ich werde auf euch senden, was Abba zugesagt hat. Und ihr! – Bleibt in der Stadt, bis ihr ausgerüstet werdet mit Kraft aus der Höhe! Das heißt: Was bis dahin verborgen in ihnen steckte, an Pfingsten wurde es aktiviert. Übrigens: Die Kraft aus der Höhe ist Jeschus Definition des Begriffes der heilige Geist. Q 12,9.10* Dieses Spruchpaar – inhaltlich gegensätzliche DoppelLangzeiler, eingeleitet durch ein Amen! Amen! – Ich soll euch sagen – war eine prophetische Voraussage Jeschus an seine Schüler. Mit ihr wollte er sie auf einen Tat- und-TatfolgeZusammenhang hinweisen, der speziell für sie weitreichende Bedeutung haben werde. Wer ermächtigt war, so zu sprechen, wie Jeschu in dieser Voraussage sprach, der musste Gott (auch in Bezug auf 233 seine Macht und die sich daraus ergebenden Vollmacht) sehr nahe stehen, jedoch ohne Gott gleich zu sein. Denn wenn er Gott gleich gewesen wäre, dann hätte er die Vollmacht von Richterengeln nicht anzuerkennen brauchen, denen er als Anwalt seiner Schüler behilflich sein sollte; und zwar dadurch, dass er sich (gemäß Tat und Tatfolge) zu denen bekannte, die sich zu ihm bekannt hatten, und dass er die verleugnete, die ihn verleugnet hatten. War er demnach zwar nicht Gott gleich, stand ihm aber sehr nahe, dann muss er nach dem Zeugnis von Simon / Petrus, Jakobus und Johannes der gewesen sein, von dem die Himmelsstimme sagte (Mt 17,5; 16,18; RÜ-Text): Dies ist Er, mein Sohn, mein Auserlesener, Er, an dem mein Selbst Wohlgefallen hat. Gehorcht ihm! – Denn er ist der Fels! Auf diesem Felsen werde ich meinen Tempel bauen. Ihn können sie nicht überwältigen, die Torhüter der Unterwelt. [Diesem Basistext zufolge war und ist Jeschu der auserlesene Sohn Gottes, nicht aber: Gott der Sohn!] Nachträge: In Q-Lk 12,8 war zu ersetzen: Ich sage euch aber durch Amen! Amen! – Ich soll euch sagen. Diese Einleitungsformel wurde willkürlich geändert; wahrscheinlich mit Rücksicht auf nichtjüdische Hörer oder Leser, die das Wort amen nur als Gebetsschluss kannten. Das betonte ich soll sagen bedeutet darin, dass Jeschu hier nicht in eigener Vollmacht sprach, sondern als „Bote Gottes“. Und in Q-Mt 10,32.33 war (zweimal) zu ersetzen: vor meinem Vater in den Himmeln durch vor den Richterengeln. Der Zweck dieser zweifellos dogmatisch bedingten Textänderung ist offenkundig: 234 Sie sollte die Tatsache verschleiern (und verschleiert sie immer noch), dass Jeschu nach seiner eigenen Voraussage den Richterengeln Gottes als Anwalt seiner Schüler nicht übergeordnet, sondern unterstützend und klärend zur Seite gestellt sein werde. Und zwar nicht beim so genannten Endgericht, sondern bei deren persönlichem Gericht – nicht lange nachdem sie gestorben seien. Wobei jene Richterengel „im Namen Gottes“ über den Ertrag ihres Lebens ein Urteil zu fällen hätten. Doch diese Tatsache wollte oder sollte der Endbearbeiter von Mt 10,32.33 vertuschen. Denn die wäre ja mit Jeschus angeblichen „Gottsein“ unvereinbar. Q 12,11.12 Diese Paarung von je drei Drittelzeilen – in den NTGFassungen teils übereinstimmend, teils verschieden formuliert – war eine prophetische Voraussage Jeschus über Außenstehende, gerichtet wahrscheinlich an seine Schüler. In der ersten Hälfte spiegelt sich, was ihm offenbar häufig widerfuhr: dass jemand gegen ihn redete. Das geschah immer dann, wenn das, was er gesagt hatte, dem, was jener für richtig und wahr hielt, widersprochen hatte. Bei dem, was jener Mann dann gegen Jeschu vorbrachte, muss es sich um eine verletzende, ja lästernde Beschimpfung gehandelt haben. Sonst hätte Jeschu in diesem Zusammenhang kaum gesagt: „ihm kann vergeben werden“ (so muss das aramäische Imperfekt hier übersetzt werden). Aber was mag Jeschu veranlasst haben, in der zweiten Hälfte hinzuzufügen, wer etwas gegen den Geist rede, dem könne nicht vergeben werden? 235 War jener Mann etwa so weit gegangen, nicht nur Jeschu lästernd zu beschimpfen, sondern auch den Geist, der ihn zu seiner Aussage inspiriert hatte (nach seiner eigenen Definition: die Kraft aus der Höhe = die inspirierende Kraft Gottes; Lk 24,49)? Wenn ja, und es scheint so, dann war er zu weit gegangen. Denn das, so Jeschu, kann nicht vergeben werden – nach der Mt-Fassung überdies auch noch mit deren tonverschärfendem Zusatz: „weder in dieser Welt noch in der zukünftigen“, also nie! Bedeutet das etwa für jeden, der den Geist gelästert hat, die ewige Verdammnis, wie es danach scheinen könnte? Keineswegs! Denn nach dem Gesetz des Tat-und-Tatfolge-Zusammenhangs, einem Grundgesetz der geistigen Welt Gottes, gibt es keinerlei Verdammnis, weder eine zeitliche noch eine ewige. Stattdessen fordert es für den Fall der Geistlästerung, weil sie nicht vergeben werden kann (denn der Geist ist keine Person, die vergeben könnte), strikte Wiedergutmachung durch Lernen aus Leiden. Q 12,13 Dieser Q-Text – ein in Q-Mt etwas weniger, in Q-Lk durch unjeschuanische Vielwörterei völlig zerredeter Dreifach-Langzeiler – war eine prophetische Voraussage Jeschus an seine Zwölf. Im ersten Langzeiler sagte er ihnen voraus, dass sie nach seinem Weggang von seinen und damit von ihren Gegnern ausgeliefert werden würden (in Jerusalem an die Tempelpolizei, in den übrigen Orten des Landes an die Synagogen). 236 In diesem Zusammenhang rechnete Jeschu damit, dass seine Schüler besorgt sein würden, was sie ihren schriftgelehrten Richtern antworten sollten. Dies war der Grund, warum er ihnen vorweg ihre Besorgnis nehmen wollte. Er tat es im zweiten Langzeiler durch die Zusage, dass ihnen im rechten Augenblick die richtige Antwort gegeben, das heißt eingegeben werden würde. Der aus formalen Gründen hier unentbehrliche dritte Langzeiler stammt aus Mk 13,11. Er wurde anstelle von QLk 12,12 an die beiden voranstehenden Langzeiler angehängt. Und zwar deswegen, weil die Begründung der Zusage Jeschus in ihm knapper und klarer formuliert ist und zudem auch noch im selben Rhythmus wie sie. Dass diese Zusage kein leeres Versprechen war, beschrieb Lukas anschaulich in Apg 4,1-22 (in dem Abschnitt „Petrus und Johannes vor dem Hohen Rat“) und in Apg 5,21b-33 (in dem Abschnitt „Die Apostel vor dem Hohen Rat“) u. ö. Und da es sich bei den genannten Belegen um nachpfingstliche Ereignisse handelte, ist daraus zu schließen, dass Jeschu den so genannten Pfingstgeist im Sinn hatte, als er seinen Zwölf die obige Zusage machte. Q 13,1-11* Dieser Q-Text – in Q-Mt und Q-Lk teils übereinstimmend, teils verschieden formuliert, gebildet aus zehn Textteilen gemischter Rhythmen – ist das wohl schönste Lehrgedicht Jeschus. Er trug es seinen Schülern wahrscheinlich nur ein einziges Mal vor, unmittelbar bevor er sie zur Mission unter ihren Landsleuten aussandte (Mt 10,6). 237 Es besteht aus vier Teilen. Der erste und der vierte Teil enthalten Weisungen, mit denen er sie ermahnen und ermutigen wollte, sich keine Sorgen zu machen wegen ihrer Nahrung und ihrer Kleidung. Mit dem zweiten und dem dritten Teil verwies er sie auf die Raben (auch im Aramäischen männlichen Geschlechts) und auf die Anemonen (auch im Aramäischen weiblichen Geschlechts) als natürliche Beispiele dafür, dass Gott sie ernähren beziehungsweise bekleiden lässt. Aus diesen beiden Beispielen zog Jeschu den Schluss, folglich werde Gott sie, seine Schüler, erst recht ernähren und bekleiden lassen; und zwar von den Menschen, an die sie sich als Boten Gottes in seinem Auftrag wenden würden. Im Übrigen war dies bei der sprichwörtlichen Gastfreundschaft der Morgenländer gar keine Frage, zumal den Schülern eines inzwischen geachteten und noch nicht geächteten Lehrers gegenüber. Dass diese Fürsorge Gottes jedoch nur für die Zeit gelten werde, in der er unter ihnen weilte (gleichgültig, ob er bei ihnen oder abwesend war), das ist dem Weggespräch auf seinem Weg vom Abendmahlssaal nach Getsemani zu entnehmen (Lk 22,35-38). Nachtrag: Bemerkenswert an diesem Lehrgedicht ist, dass die unterschiedlichen Rhythmen die Leserinnen und Leser geradezu zwingen, jeweils, dem Rhythmus entsprechend, das Lesetempo zu wechseln. Q 13,12* Dieser Spruch aus vier Viertelzeilen war ein Wort Jeschus an Außenstehende. Er sprach es, das ist so gut wie si- 238 cher, zu seinen schriftgelehrten (?) Gegnern. Denn Worte, die er mit einem „Wer unter euch?“ einleitete, verwendete er mit Vorliebe in Streitgesprächen mit ihnen. Immer dann, wenn er das tat, wollte er sie nötigen, zuzugeben, dass das, worum es in seiner Auseinandersetzung mit ihnen ging, unmöglich sei. Vielleicht hatten sie ihm eine absurde Frage gestellt, um ihn öffentlich bloßzustellen, sodass er sich veranlasst sah, sie mit einer Gegenfrage stumm zu machen, die keine andere Antwort zuließ als: „Das kann kein Mensch!“ Leider ist diese Gegenfrage Jeschus ohne Situationsangabe überliefert worden, sodass die Frage, auf die er mit ihr antwortete, unbekannt ist. Dennoch! Schon ihr Wortlaut an sich reicht aus, um erkennen zu können, dass sie genial formuliert ist. Denn es wird nie möglich sein, dem Skelett eines Menschen ein Knöchelchen hinzuzufügen, weil es so, wie es ist, vollständig und vollkommen ist. Jedes weitere Knöchelchen wäre überflüssig, ja krüppelhaft. Aber wer kommt auf solch einen Gedanken? Noch dazu spontan, während eines Streitgespräches? Weil es diesmal besonders lehrreich ist, sollen nun eine wörtliche Übersetzung der griechischen Vorlage und die Einheitsübersetzung des obigen Jeschuwortes folgen, damit deutlich wird, dass beide sinnlos sind: Wer von euch sorgend kann hinzufügen zu seiner Länge eine Elle? (NTG-Text) Wer von euch kann mit all seiner Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Zeitspanne verlängern? (EÜ-Text) Urteil: Der NTG-Text ist eine sinnlose Übersetzung dessen, was dasteht. Der EÜ-Text dagegen ist eine unehrliche und sinnlose Wiedergabe dessen, was nicht dasteht. 239 Q 13,13.14*° Dieser Doppel-Dreizeiler, im NTG überwiegend falsch übersetzt, war ein Wort Jeschus an Außenstehende. Mehr als jedes andere seiner Worte war es dies, das nahezu wirkungslos verhallt ist. Abgesehen von Einsiedlern und Klostergemeinschaften, bei denen es Gehör fand, wenn auch nicht in dem Sinn, in dem Jeschu es gemeint hatte. Wahrscheinlich lag das auch daran, dass es missverstanden wurde. Denn das konnte leicht geschehen, weil nicht mitbedacht wurde, dass Jeschu es zu einer Zeit und in einer Umwelt vortrug, in denen die Mehrheit der Menschen kaum mehr als das Allernötigste hatte und in der nur eine dünne Oberschicht in pompösem Reichtum schwelgen und sich enorme Schätze anhäufen konnte. Daraus ergibt sich: Zu den oft notleidenden Menschen, die das ohnehin nicht konnten, hätte Jeschu unmöglich sagen können: „Ihr sollt euch keine Schätze anhäufen!“ Das wäre lachhaft gewesen. Folglich muss er es zu solchen Menschen gesagt haben, die das konnten, zu den Reichen also. Und es denen zu sagen, war nur zu berechtigt, denn die hatten ihren Überfluss den Notleidenden weggenommen oder vorenthalten. Allein das war der Grund, warum Jeschu zu einem Reichen sagte: „Geh, verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen; so wirst du einen bleibenden Schatz im Himmel haben“ (Mt 19,21 / Mk 10,21 / Lk 18,22, EÜ-Text); gemeint ist: in der Himmelsherrschaft. Und wie reagierte der Reiche auf diesen Vorschlag? Wie nicht anders zu erwarten war: Er ging betrübt von dannen; denn er hatte viele Güter. Und das ist heute kaum anders, von wenigen Ausnahmen abgesehen. 240 Und wie wollte Jeschu seine Forderung an die Reichen ihr sollt Schätze in den Himmeln anhäufen verstanden wissen? – Fast scheint es, als sei 1Ti 6,18.19 als Antwort auf diese Frage formuliert worden (EÜ-Text): Sie sollen wohltätig sein, reich werden an guten Werken, freigebig sein und, was sie haben, mit anderen teilen. So sammeln sie sich einen Schatz als sichere Grundlage für die Zukunft, um das wahre Leben zu erlangen. Q 13,15° Dieser Doppel-Langzeiler, im NTG überwiegend falsch übersetzt, war ein Wort Jeschus an Außenstehende. In den Evangeliensynopsen wird es als Parallele zu Q-Mt 6,19.20 = Q 13,13.14 geführt. Vor allem wegen des willkürlich angehängten „in den Himmeln, wo kein Dieb sich nähert und keine Motte vernichtet“ (wörtlich übersetzter NTG-Text). Aber die formal und inhaltlich völlig andere Aussage dieses Spruches beweist, dass er das nicht ist, sondern lediglich eine Variation des gleichen Themas. Gleichwohl ist es mehr als wahrscheinlich, dass Jeschu sich mit ihm, wenn nicht an dieselben, so doch zumindest an ähnlich geartete Adressaten gewandt haben wird. An Reiche also, deren Geschäfte es ihnen ermöglicht hatten, Schätze anzuhäufen. Schätze, deren Menge jedoch durch ihr luxuriöses Leben dahinzuschwinden drohte und deren Geldbeutel von langjährigem ausgiebigem Gebrauch so morsch geworden waren, dass sie aus den Nähten zu 241 platzen drohten – ohne dass sie sich von ihnen trennen mochten. Dass Jeschu nicht mehr als einen Doppel-Langzeiler brauchte, um dieses Szenario in ein einprägsames Bildwort zu fassen, beweist seinen scharfen Blick für das Wesentliche und für das Charakteristische auch jener Menschenart, deren Gott ihr Geld und deren Geld ihr Gott zu sein pflegt. Dass er dennoch so zu ihnen sprach, so zupackend und doch ihnen ganz zugewandt, lässt darauf schließen, dass es ihm nicht in den Sinn kam, irgendjemand, an den er sein Wort richtete, als einen hoffnungslosen Fall zu betrachten. Nicht einmal solche Menschen, deren Reichtum die Kehrseite der Armut vieler anderer war. Denn selbst zu ihnen sagte er, was er zu sagen hatte, auch wenn er vorerst nicht einmal hoffen durfte, Gehör zu finden. Vermutlich, weil er voraussah: irgendwann, und sei es in ferner Zukunft, würde der Augenblick kommen, an dem sie sich an sein Wort erinnern würden. Dazu, wie Jeschu seine Forderung an die Reichen verstanden wissen wollte, siehe unter Q 13,13.14 (Ende). Q 13,16 Dieser Zweizeiler war ein Wort Jeschus an einen Außenstehenden, jedoch gültig für jedermann. Nach der Form des Spruches geurteilt, war er eine Antwort. Und nach seinem Inhalt geurteilt, antwortete Jeschu mit ihm auf die Frage jenes Mannes, wo er nach seinem Sterben sein werde. Doch weil es typisch war für seine Antworten, gab er dem Fragesteller keine Auskunft, der er hätte entnehmen können, wo er sein und wie es dort sein werde. 242 Nein! So einfach, als wäre das längst entschieden, etwa durch die Verdienste „der Väter Israels“, machte er es niemandem. Stattdessen verwies er jenen Mann kurz und bündig auf sich selbst und sein eigene Verantwortung: Wo dein Schatz ist, dort wird dein Herz sein. So knapp diese Antwort ist, war damit offenbar alles gesagt, was zu sagen nötig war. Wenn auch nicht für uns, so doch im Zusammenhang alles dessen, was ihr an Worten Jeschus vorausgegangen sein wird und was aus den Symbolwörtern Schatz und Herz zu erschließen war. Andernfalls hätte er mehr gesagt. Und was ist aus ihnen zu erschließen? Etwa Folgendes: Mit dem Schatz eines Menschen ist das gemeint, was er am meisten schätzt; das, wonach ihn verlangt, was er zu erringen oder zu gewinnen sucht; das, wofür er alles andere dranzusetzen und hinzugeben bereit ist, sogar sein Selbst. Und mit dem Herzen eines Menschen ist das Zentrum aller geistigen Regungen gemeint: sein Fühlen, Wollen, Denken, Reden und Handeln; also sein Selbst, sein GeistIch, das Zentrum seiner Persönlichkeit. Daraus folgt: Nach dem Jeschuwort Q 13,16 wird das Selbst jedes Menschen nach seinem Sterben in dem geistigen Bereich sein, für den er es hingegeben hat. Welcher das sein wird, das entscheidet er selbst. Klar sein sollte jedoch, um nur die beiden Gegenpole zu nennen: war es das Geld, dann wird es ein anderer Bereich sein, als es sein wird, wenn es Gott war. Denn der Unterschied zwischen beiden Bereiche wird ebenso groß sein, wie der zwischen Gott und dem Geld. Doch damit kein Irrtum aufkomme: Die so genannte Hölle ist allenfalls auf unserem Planeten installiert. Nirgendwo sonst! 243 Q 14,1.2 Dieser Q-Text – das Gleichnis „Vom nächtlichen Einbrecher“ mit Weckruf – war ein Wort Jeschus an Außenstehende. Es ist so gut wie sicher, dass es widerspiegelt, was sich in seiner näheren Umgebung wirklich ereignet hatte: ein nächtlicher Einbruch in ein Haus, der deswegen gelingen konnte, weil der Hausherr nicht damit gerechnet hatte und daher nicht darauf vorbereitet sein konnte. Dieses die ganze Nachbarschaft schockierende Ereignis nahm Jeschu zum Anlass, seine Zuhörer vor einer weit größeren Katastrophe zu warnen, die er kommen sah, weil viele Anzeichen darauf hindeuteten: der militärische „Einbruch“ der Römer in das „Haus Israel“ und damit das Ende des Jerusalemer Tempels und die Zerstörung der Stadt. Doch ernst genommen wurde Jeschus Weckruf nur von wenigen: allein von seinen Schülern, die seinem Wort vertrauten. Dadurch konnte die judenchristliche Gemeinde Jerusalems kurz vor Ausbruch des jüdischen Krieges gegen Rom (66 u. Z.) dem Unheil entkommen, indem sie nach Pella aussiedelte, einer Stadt im mittleren Ostjordanland (so Eusebius von Caesarea, „Kirchengeschichte“, ed. H. Kraft [³1989], III, 5,3 = Seite 154). Nachtrag zu dem Begriff Nachtwache: In alttestamentlicher Zeit war die Nacht in drei Nachtwachen eingeteilt. Sie wurden von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang gerechnet, waren also, je nach Jahreszeit, verschieden lang. Die Römer dagegen teilten die Nacht in Nachtwachen von je drei Stunden ein: am Abend (18 bis 21 Uhr), um Mitternacht (21 bis 24 Uhr), zum Hahnenschrei (0 bis 3 Uhr), am Morgen (3 bis 6 Uhr). Diese Einteilung war seit Herodes dem Gr. auch in der Umwelt Jeschus gebräuchlich. 244 Wichtige Feststellung: Der Menschensohn ist durch das Ende zu ersetzen. Allein das passt hier. Denn Jeschu gebrauchte den Ausdruck der Menschensohn mit einer Ausnahme (Mk 2,28, wo er „der Mensch“ bedeutet) nur als verhüllende Umschreibung für ICH. Und damit kein Missverständnis entstehe: Das Wort Ende betrifft nicht etwa das Ende der Welt, wie häufig angenommen wird, sondern das Ende des Jerusalemer Tempels und die weitgehende Zerstörung der Stadt. Q 14,3-8 In seinem Gleichnis „Vom Tun und Ergehen zweier Sklaven“ thematisierte Jeschu die religiöse Verantwortung der Schriftgelehrten. Gerichtet war es an Außenstehende. So wie es im NTG überliefert ist, enthält es Zusätze, die nicht ursprünglich sein können. Denn sie deuten auf kirchliche Lehrinhalte hin, die man Jeschu nicht unterstellen darf, weil sie seinem Lehren, Handeln und Sein widerstreiten. Nämlich: seine so genannte Wiederkunft zum Weltgericht und deren plötzliches Eintreffen, bei dem er als Richter die Guten belohnen und die Bösen zur Höllenstrafe verdammen wird – wohlgemerkt: nachdem er sie entzweigeschnitten hat (vgl. dagegen Mt 5,45 = Q 4,1). Werden jene Zusätze gestrichen und werden absurde Textteile inhaltsgerecht korrigiert, so ergibt sich ein Wortbestand, der einfach, klar und folgerichtig ist und – poetisch geformt, wie es der Redeweise Jeschus entsprach: zweiteilig konstruiert, gebildet aus je drei Dreizeilern. Mit dem ersten zielte er auf alle Schriftgelehrten als „Sklaven = Knechte Gottes“ und auf deren religiöse Ver- 245 antwortung für ihre „Mitsklaven = ihr Volk“, nämlich: ihnen die ihnen zustehende geistige Nahrung zu geben. Mit dem zweiten Dreizeiler rief er ein „Wohl!“ aus über solche Schriftgelehrten, die im Augenblick ihres Sterbens als „Knechte Gottes“ angetroffen werden, die ihre Verantwortung ernst genommen haben. Mit dem dritten teilte er ihnen mit, was ihnen – nachdem sie gestorben sein werden – aufgrund des Tat-undTatfolge-Zusammenhangs widerfahren werde: vermehrte Verantwortung durch größere Aufgaben. Mit dem vierten und fünften Dreizeiler rief er ein „Wehe!“ aus über solche Schriftgelehrten, die im Augen-blick ihres Sterbens als „Knechte Gottes“ angetroffen wer-den, die ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden sind, sondern ihre Macht missbraucht haben. Mit dem sechsten drohte er ihnen an, was ihnen – nachdem sie gestorben sein werden – aufgrund des Tat-undTatfolge-Zusammenhangs widerfahren werde „Selbstgeißelung“ durch Selbstvorwürfe und Selbstpeinigung. Wohlgemerkt: In diesem Jeschugleichnis ist vom Tun und Ergehen zweier „Knechte Gottes“ (das heißt von zwei Arten von Schriftgelehrten) die Rede. Daraus folgt: Jeschu hat die Schriftgelehrten nicht pauschal angegriffen und verurteilt (den Eindruck vermittelt vor allem das Matthäus-Evangelium), sondern er hat sorgsam unterschieden zwischen solchen Schriftgelehrten, die ihre religiöse Verantwortung ernst nahmen (Apg 5,34-39) und solchen, die ihr nicht gerecht wurden. Allein dies war ihm gemäß und zu seinen Lebzeiten sachgemäß. Nachtrag: Der Schluss des Gleichnisses und er wird ihn den Geisslern übergeben zur Züchtigung ist das Ergebnis einer sorgfältigen Untersuchung aller verfügbaren Möglichkeiten, 246 den aramäischen Originalwortlaut wiederherzustellen. Dazu gehörte auch „er wird geschlagen werden“ (Lk 12,47.48). Entscheidend wichtig war dabei die Tatsache, dass das aramäische Verb mesar sowohl übergeben als auch zersägen (hier jedoch unmöglich) bedeuten kann. Ausschlag gebend aber war der absurde Gedanke, dass „der Herr jenes Sklaven“, nachdem er ihn (angeblich) entzweigeschnitten hatte, ihm auch noch (nachtodlich!) „sein Teil bei den Heuchlern“ (Q-Mt) beziehungsweise „Ungläubigen (Q-Lk) anweisen“ werde. Q 14,9* Dieser Vierzeiler wird zu Q gehören, obwohl er im Matthäusevangelium keine Parallele hat. Warum er in Q-Mt fehlt, wird seinem Wortlaut zuzuschreiben sein. Es folgt der wörtlich übersetzte NTG-Text: Ein Feuer bin ich gekommen zu werfen auf die Erde, und was wünsche ich, wenn es schon entzündet wäre! Aus ungezählten einander widerstreitenden Deutungen dieses Textes ist zu schließen, dass er unverstehbar und daher unerklärbar ist. Wahrscheinlich war dies der Grund, warum er in Q-Mt fehlt. Ihn erklärbar und dadurch verstehbar zu machen, war nur über eine Rückübersetzung ins Aramäische möglich. Es folgt der RÜ-Text: Ich bin auf die Erde gekommen. um eine Fackel anzuzünden; und wie sehr wünsche ich, dass sie schon lodert! 247 Der entscheidende Fehler bei der Formulierung der LkFassung war der, dass der frühchristliche Übersetzer das doppeldeutige aramäische Wort šegar als „werfen“ deutete, obwohl „anzünden“ gemeint war. Denn diese Fehldeutung veranlasste ihn, auf die Erde mit „werfen“ zu verbinden, statt mit kommen und daraufhin „ein Feuer“ (korrekt: eine Fackel) mit „werfen“ statt mit anzünden. [Übrigens: Das griechische Wort pyr kann „Feuer“ und „Fackel“ bedeuten, das aramäische Wort ba‘ôra’ nur „Fackel“.] Der obige Q-Text war ein Sendungswort Jeschus, gerichtet an seine Schüler. Mit ihm wollte er ihnen mitteilen, zu welchem Zweck er auf die Erde gekommen war. Es verrät, dass der mangelnde Erfolg seiner Bemühungen ihn bekümmerte. Soviel lässt sich mit Sicherheit sagen. Unsicher aber scheint die Deutung der Symbolbegriffe eine Fackel anzünden und lodern zu sein. Denn sie lassen mehrere Deutungen zu; wenn aber mehrere, ist es dann nicht aussichtslos, nach der richtigen Deutung fahnden zu wollen?! Keineswegs! In diesem Fall empfiehlt es sich, die biblischen Belege zu dem Wort Fackel zu untersuchen. Tut man das, so kann es nicht ausbleiben, dass man dabei auf Jes 62,1 stößt (ZB): Um Zions willen kann ich nicht schweigen und um Jerusalems willen nicht rasten, bis dass wie Lichtglanz sein Recht hervorbricht und sein Heil wie eine lodernde Fackel. Es kann kein Zufall sein, dass hier dasselbe Bild verwendet wurde, wie in dem obigen Bildwort Jeschus. Wenn aber nicht, dann wäre der Vergleichspunkt lodernde Fackel gleich Heil; und zwar zunächst für Jerusalem und damit für das jüdische Volk, später dann für die nichtjüdischen Völker der Welt. 248 Der von Jeschu beabsichtigte Sinn wäre dann: Er sei auf die Erde gekommen, um durch sein Reden, Handeln und Sein die Fackel des Heils anzuzünden, und nichts wünsche er so sehr, als dass sie schon lodere. Dass dieser Wunsch sich offensichtlich nicht so bald und nicht in dem Umfang erfüllte, wie er gehofft hatte, das war offenbar eine der schmerzlichsten Erfahrungen in seinem Leben. Q 14,10* Diese Paarung von je zwei Halbzeilen – im NTG katastrophal falsch übersetzt – war ein Wort Jeschus an sei-ne Schüler. In ihm ging es nicht um sein Kommen auf die Erde, sondern um sein Kommen zu Streitgesprächen. Es ist anzunehmen, dass seine Schüler schockiert waren, als er so zu ihnen sprach. Wahrscheinlich tat er das deswegen, weil einige von ihnen ihm Vorwürfe gemacht hatten: er solle vorsichtiger sein, er solle seine Gegner nicht noch mehr reizen, als er es schon getan hatte (und zwar während einiger Streitgespräche mit ihnen). Erinnert sei hierzu an die Reaktion seiner Schüler auf seine Absicht, nach Judäa gehen zu wollen (Jh 11,8, EÜText): „Rabbi, eben noch wollten dich die Juden steinigen (hier: Steine nach dir werfen) und du gehst wieder dorthin?“ Doch Jeschu ließ sich nicht von ihnen dreinreden. Er tat, was er tun sollte und tun wollte. Auch dann, wenn er sich wieder und wieder den Hass seiner Gegner zuzog. Selbst dann, wenn er sich dadurch in Gefahr brachte (Lk 4,16-30; Jh 10,39). Dass er Streitgespräche mit seinen Gegnern führte, gehörte zu seiner Sendung, gleichgültig, wohin er kam. Er 249 wich ihnen nicht nur nie aus, er suchte sie sogar. Und er verstand es, seine Gegner allein durch gezielte Fragen stumm zu machen. Das aber war etwas, das sie, je länger, desto mehr gegen ihn aufbrachte. Bemerkenswert ist die gelassene Sicherheit, mit der Jeschu seinen Schülern die obige Erklärung vortrug. Sie offenbart, dass er sich der Konsequenzen seines Tuns voll bewusst war; und dass er weit davon entfernt war, sie zu scheuen. Nachtrag: Befremdend ist, wie zwei Übersetzer bei der Übertragung dieses Jeschuwortes aus dem Aramäischen ins Griechische folgende Wiedergaben gewinnen konnten (zitiert nach dem MNT): Meint nicht, daß ich kam, Frieden auf die Erde zu werfen; Nicht kam ich, Frieden zu werfen, sondern ein Schwert. (Q-Mt 10,34) Meint ihr, daß ich kam, Frieden zu geben auf der Erde? Nein, ich sage euch: sondern Zerteilung. (Q-Lk 12,51) Wie das möglich war, dazu sei hier nur das Wesentliche angemerkt: Es gibt zwei aramäische Wörter, die Friede bedeuten können: šelama’, das bekanntere, bedeutet auch Unversehrtheit, Wohl, Wohlbefinden, Heil (vgl. das hebräische šalôm). Das andere, kaum bekannte, ist šafjuta’. Es bedeutet Vergleich, Zugeständnis und Friede. Vermutlich wussten beide Übersetzer mit dem hier richtigen Wort Zugeständnis nichts anzufangen und entschieden sich darum für das falsche Wort Friede, das die Übersetzung misslingen lassen musste. 250 Denn dieser Missgriff hatte zur Folge, dass Matthäus auf das gänzlich unpassende Gegenwort Schwert verfiel. Anders Lukas, der das Gegenwort Entzweiung wählte, das auch Uneinigkeit, Zwietracht bedeutet. Im Aramäischen entspricht ihm: tigra’ „Hader, Streit, Zwietracht“. Bemerkenswert ist nun, dass dieses Wort, wenn es im Plural steht und mit rema’ „werfen“ verbunden ist, mit Streitgespräche führen wiedergegeben werden muss. Noch bemerkenswerter ist: S, C und Thomas-Evangelium 16 haben den Plural „Entzweiungen“, und in der MtFassung steht „werfen“ zweimal! Davon einmal auch auf „das Schwert“ (korrekt: auf „Entzweiungen“) bezogen. Damit ist die Wiedergabe mit Streitgespräche führen gesichert. [Bei dem katastrophal falsch übersetzten Text Q-Mt 10,34 / Lk 12,51 war der hier gebotene sprachliche Nachweis unerlässlich.] Q 14,11-13*° Dieses dreistrophige Lehrgedicht, war ein Wort Jeschus an Außenstehende. Dass es zu Q-Lk gehört, wird durch QMt 16,2.3 bestätigt: keine Parallele, wie die völlig andere poetische Form verrät, sondern eine eigenständige Variation des gleichen Themas. In der ersten und in der zweiten Strophe griff er volkstümliche Wetterregeln auf, aus denen in seiner Umwelt Wettervorhersagen hergeleitet wurden. Sie beruhten auf Beobachtungen und Erfahrungswerten vieler Generationen. In der Regel waren sie zutreffend und daher vor allem für die Landbevölkerung, zum Beispiel für die Aussaat und die Ernte, wichtig und wertvoll. Ebendies bestätigte Jeschu 251 seinen Zuhörern durch sein anerkennendes „Und es geschieht so.“ Bis dahin werden sie ihm wohlwollend zugehört haben. Jedoch kaum mehr bei dem, was folgte und worauf der Ton lag: Strophe drei. Sie enthält eine prophetische Klage, die beweist, dass es, seit es Menschen auf der Erde gibt, immer und überall auf ihr dasselbe ist: Einige Menschen, die weitsichtiger sind als alle übrigen, warnen sie vor unvernünftigem Handeln und dessen unangenehmen Folgen. Aber die kurzsichtige Mehrheit, nur auf schnellen Vorteil und Gewinn, oft auch nur auf ihre Bequemlichkeit bedacht, schlägt alle wohlgemeinten Warnungen in den Wind. Dass es Jeschu zu seiner Zeit ebenso erging, wie es den Propheten vor ihm zu ihren Zeiten erging, ist daher nicht verwunderlich. Was er sah und erlebte und was er als Warnzeichen deutete, das waren Denk- und Verhaltensweisen, die um 70 u. Z. im jüdischen Krieg gegen Rom mit der Zerstörung des Jerusalemer Tempels und der Stadt an ihr Ziel kamen. Das aber war etwas, das die Wolkendeuter zu seiner Zeit weit von sich gewiesen hätten, wohl gar noch mit dem Hinweis darauf, dass Gott das niemals zulassen werde – eine kindlich unreife Erwartung. Q 14,14-16° Dieser Q-Text – ein dreistrophiges Lehrgedicht, im NTG sehr fehlerhaft übersetzt – war ein Wort Jeschus an Außenstehende. Es ist dem voranstehenden Lehrgedicht (Q-Lk 12,54-56) inhaltlich so verwandt und zugleich so an- 252 ders formuliert, dass es als eine Variation des gleichen Themas zu gelten hat. Ihre Verwandtschaft erübrigt einen eigenen Kommentar. Um die Fehlerhaftigkeit des NTG-Textes zu dokumentieren, genügt der MNT-Text: Abend geworden, sagt ihr: Heiteres Wetter; denn feuerrot der Himmel; und früh(morgens): Heute Sturm; denn feuerrot trüb seiend der Himmel. Zwar das Aussehen des Himmels versteht ihr zu beurteilen, aber die Zeichen der Zeiten könnt ihr nicht? Q 14,17-19 Das Gleichnis „Vom Gang vor Gericht“ war ein Wort Jeschus an einen Einzelnen. Und zwar eine Antwort auf dessen Frage, wie er sich in seinem Rechtsstreit (um eine Geldschuld oder um ein Darlehen?) verhalten solle. Was jener Mann von Jeschu erbat, war demnach ein juristischer Ratschlag, der den Richter gnädig stimmen und ihm einen Zahlungsaufschub verschaffen könne. Doch was er von Jeschu bekam, war ein ganz anderer Rat: Sprich mit deinem Gläubiger! Einige dich mit ihm! Bitte ihn um Nachsicht und Geduld! Noch unterwegs zum Gericht, bevor du mit ihm vor dem Richter stehst, von dem du nichts anderes zu erwarten hast, als deine Verurteilung. Das heißt: Lass es gar nicht erst zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung kommen! Nur wenn dir das gelingt, kannst du der Schuldhaft entgehen. Bedenke! Andernfalls 253 wird es hart und dauert es lange; solange, „bis du die letzte Kleinmünze bezahlt hast!“ Dazu ist anzumerken: Diese Kleinmünze (aram. perîta’ „die Münze, das Kleingeld“), das kupferne Lepton (vom griech. leptos, „klein, fein“), war die einzige jüdische Münze, die im Neuen Testament erwähnt wird. Ihr Wert entsprach der Hälfte eines quadrans (der kleinsten Kupfermünze der römischen Währung), dem 128. Teil eines römischen Denars: des Tageslohnes eines Arbeiters, bei einer Arbeitszeit von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr abends, im Winter bis Sonnenuntergang. Soviel zur Ursituation des Gleichnisses „Vom Gang vor Gericht“ und zu seinem ursprünglichen Adressaten. Doch was für ihn galt, das galt und gilt auch – ohne Abstriche – für jeden Menschen, der je auf der Erde gelebt hat oder leben wird. Also auch für uns. Denn fern von Gott sind wir alle miteinander in der Lage jenes Schuldners, der mit seinem Prozessgegner auf dem Weg vor Gericht ist. Dennoch ist unsere Situation nicht hoffnungslos. Wir können uns mit unserem „Gläubiger“ einigen (gleichgültig, welche Art Forderungen es sein mögen, die er an uns hat). Wir müssen unsere „Schulden“ nur begleichen wollen. Andernfalls, wenn wir versäumen, das zu tun, bleibt uns nur die Schuldhaft, müssen wir unsere Schuld abarbeiten, bis wir den letzten Cent bezahlt haben. Erst dann, nicht vorher, werden wir aus ihr entlassen werden. Und das kann hart werden, kann lange dauern. Von einem „Zuspät!“ aber, einem endgültigen „Aus!“, kann nicht und sollte nie die Rede sein. Und dies aus diesem Gleichnis herauszulesen, obwohl es nicht in ihm steht, ist uns verwehrt durch die Konjunktion bis: ein Wort, 254 das auf einen bestimmten Zeitpunkt im Zeitverlauf zielt; und zwar auf deren Endpunkt, der das Vorher abschließt und das Nachher einleitet. Gänzlich von Gott aufgegeben, sind wir demnach in keinem Fall und werden wir nie sein. Auch nicht nach dem Gleichnis Jeschus „Vom Gang vor Gericht“! Aber es macht einen Unterschied, ob wir der „Schuldhaft“ entgehen können oder sie erleiden müssen. Es liegt allein an uns; daran, ob wir, solange wir leben und Gelegenheit dazu haben, zu einer Einigung mit unserem Prozessgegner bereit sind oder nicht. Wir sollten es sein! Es nicht zu wollen, wäre Torheit, die sich selbst bestraft. Q 15,1.2 Das Gleichnispaar „Vom Senfkorn und vom Sauerteig“, war zunächst ein Doppelwort Jeschus an seine Schüler. Und wenn es das nicht von Anfang an gewesen sein sollte (was keineswegs als erwiesen gelten kann), so ist es das doch sicherlich bald geworden. Spätestens, als er dieses Gleichnispaar auch anderen Zuhörern vortrug und es dabei formal aneinander anglich (so die Q-Lk-Fassung). Es ist mehr als wahrscheinlich, dass Jeschu mit ihm auf die Frage seiner Schüler antwortete, warum die (diesseitiggeistige) Gottesherrschaft immer noch so wirkungslos sei, ja beschränkt sei auf die kleine und geringe Schar seiner Schüler und Freunde. Und das, obwohl schon Johannes der Täufer gesagt hatte, dass sie da sei (Q-Mt 3,2 = Q 1,4) und obwohl er selbst nicht nur dasselbe gesagt hatte (Mt 4,17), sondern sogar geboten hatte, dass sie, seine Schüler, sie öffentlich ausrufen 255 sollten (Mt 10,7 = Q 7,10), ja dass sie – in ihrem Schülergebet, dem Vaterunser – darum beten sollten, dass sie sich ausbreite (Q-Mt 6,10 / Lk 11,2 = Q 8,6; RÜ-Text). Wenn diese Annahme zutreffend ist, dann wird es Jeschus Absicht gewesen sein, seinen Schülern bewusst zu machen, dass die Gottesherrschaft nicht mit Gewaltherrschaften von Menschen über die Körper von Menschen zu vergleichen sei, sondern dass sie eine geistige Herrschaft über die Herzen der Menschen sei und daher im Verborgenen wachse und sich ausbreite – wie das winzige Senfkorn, dass zu einem großen Baum heranwachse (für Staude hat das Aramäische kein Wort), und wie das kleine Stück Sauerteig, dessen Säure sich im ganzen Teig ausbreite. Dass dieses Wachsen und Sichausbreiten nicht wahrgenommen werden könne, liege eben daran, dass es in den Herzen der Menschen (in ihrer Gesinnung), also unsichtbar vor sich gehe und viel Zeit brauche. Das aber solle sie nicht beunruhigen. Es gelte auf die Zukunft und das Ziel zu setzen und sich nicht entmutigen zu lassen, weil es nur langsam vorangehe. Abba habe keine Eile; er habe sie auch nicht nötig. Bestätigt wird diese Deutung durch das 1945 in der Nähe von Nag-Hammadi (in Oberägypten) gefundene Thomasevangelium (und zwar durch Spruch 113). Eine Kombination dieses Spruches mit Lk 17,20.21 ergab nach der Rückübersetzung ins Aramäische folgenden Wortlaut: Die Gottesherrschaft kommt nicht. Denn seht! – Mitten unter euch – ist sie. Sie breitet sich aus über die Erde, aber die Menschen bemerken sie nicht. Nachtrag: Der NTG-Text zu Q 15,2, dem Sauerteiggleichnis, wurde teils verkürzt, teils erweitert. Beides bekam 256 ihm schlecht. Im Folgenden wird die Q-Lk-Fassung bevorzugt (wörtlich übersetzter NTG-Text): … einem Sauerteig, den, genommen habend, eine Frau verbarg in drei Sea Weizenmehl, bis es ganz durchsäuert war. Urteil: Jeschu war ein viel zu guter Beobachter, als dass er die Tätigkeit von Frauen beim Brotbacken so falsch beschrieben haben könnte, wie es in den voranstehenden Textteilen geschehen ist. Denn dass es nicht genügte den Sauerteig lediglich im Mehl zu verbergen, das wusste er seit seiner Kindheit mit Sicherheit. Wie immer in vergleichbaren Fällen, führt der Rückgang auf das Aramäische auch hier zu einer plausiblen Korrektur. Erste Feststellung: Das aramäische Wort temanat „sie verbarg“ kann auch „sie stellte warm“ bedeuten. Zweite Feststellung: Die Fehlübersetzung mit sie verbarg führte dazu, dass ûgebalat „und sie verknetete“ übersprungen wurde. Soviel zur Verkürzung des Textes. Doch nun zu seiner Erweiterung: Drei Sea wären umgerechnet ca. 39,4 Liter = fast 25 Kilogramm Mehl. Diese Menge hätte ausgereicht, eine Mahlzeit Brotfladen für mehr als 100 Personen zu backen. Das aber wäre für den Erzähler Jeschu wie für seine Zuhö-rer eine absolut unrealistische Menge gewesen. In Thomasevangelium 96 fehlt sie denn auch. Sie stammt aus 1Mo 18,6, und sie war schon dort – vor allem wegen der langen Backzeit – unrealistisch. Es empfiehlt sich also, sie zu streichen. Das Ergebis lautet dann: Womit soll ich die Gottesherrschaft vergleichen? – Es ist mit ihr, wie mit einem Stück Sauerteig, das eine Frau nahm und mit Mehl verknetete und warm stellte, bis das Ganze durchsäuert war. 257 Q 15,3.4*° Dieses zweiteilige Bildwort – aus Doppel-Langzeilern gebildet – war ein Wort Jeschus an Außenstehende. Dass es zu Q gehört, wird durch Lk 13,24 bestätigt: keine Parallele, wie die völlig andere poetische Form verrät, sondern eine eigenständige Variation des gleichen Themas. In ihm griff Jeschu das uralte Motiv von den „Zwei Wegen“ auf, von denen der eine in den Tod und der andere ins Leben führt (5Mo 30,19). Er verwendete es als Bild für zwei gegensätzliche Lebenswandel, von denen der eine in die Gottferne und der andere in die Gottnähe führt. Der Ausdruck Gottnähe betrifft das, was Jeschu gewöhnlich mit dem Begriff Himmelsherrschaft bezeichnete. Er meinte damit die jenseitig-geistige Welt Gottes. Nach deren Gesetzen zu leben, fordert und fördert geistiges Lebendigsein, verbunden mit stetiger Entwicklung. In sie aber darf ein Mensch erst dann eingelassen werden, wenn er die Einlassbedingungen erfüllt hat (Mt 5,20; 7,21; 18,3; 19,24 / Mk 10,25 / Lk 18,25). Diesen Weg, weil er schmal und unbequem ist, suchen, finden und gehen in jeder Generation nur relativ wenige Menschen. Der Ausdruck Gottferne betrifft das, was Jeschu gewöhnlich mit dem mehrdeutigen Begriff Finsternis bezeichnete. Hier meinte er damit die diesseitig-materielle Welt. Nach deren Gesetzen zu leben, fordert und fördert geistiges Totsein, verbunden mit stetiger Entartung. In ihr herrschen Egoismus und Rücksichtslosigkeit, Lüge und Betrug, Gier und Geld und der mörderische Wahn, alles, was man tun kann, auch tun zu wollen. Diesen Weg, weil er breit und bequem ist, suchen, finden und gehen in jeder Generation die meisten Menschen. 258 Und weil Jeschu wusste, dass es so ist, darum kann er unmöglich gesagt haben: „Macht alle Menschen zu meinen Jüngern!“ (Mt 28,19, EÜ-Text). Q 15,5*° Dieses Bildwort – ein Doppel-Langzeiler mit eingeschobenem Amen! Amen etc. – war ein Wort Jeschus an seine Schüler. Es ist dem voranstehenden Bildwort (Q-Mt 7,13b14) inhaltlich verwandt und zugleich so anders, dass es als eine Variation desselben Themas zu gelten hat. Auffallend an diesem Jeschuwort ist das einleitende „Strengt euch an!“ So werden in den Stadien seiner nichtjüdischen Umwelt die Trainer zu den von ihnen trainierten Athleten gesprochen haben: Strengt euch an! Holt alles aus euch heraus, damit ihr den Loorbeerkranz erringt! Doch der Unterschied ist beträchtlich. Bei den Athleten ging es um einen Siegeskranz von vergänglichem Wert. Bei den Schülern Jeschus dagegen ging es (und geht es) um den Einlass in die Himmelsherrschaft, einen Siegeskranz von unvergänglichem Wert. Aber warum betonte Jeschu: durch das schmale Tor? Was meinte er damit? Er dachte dabei an jenes kleine Tor, das in antiken Städten entweder in einem der beiden Stadttorflügel oder irgendwo anders in der Stadtmauer angebracht war. Gemeint war das Tor, das bei äußerster Gefahr auch dann noch geöffnet werden konnte, wenn alle Stadttore bereits geschlossen waren. Es wurde jedoch nur denen geöffnet, die den Torhütern bekannt waren oder die sich als Bürger der Stadt ausweisen konnten. 259 Jedem Fremden musste der Einlass in sie verwehrt werden. Aus Sicherheitsgründen. Er konnte ja ein Spion sein, der den heranrückenden Feinden eines der Stadttore von innen öffnete. Ihn einzulassen, wäre daher töricht und lebensgefährlich. In diesem Offenbarungswort Jeschus (daher das doppelte „Amen!“) war es der Symbolbegriff schmales Tor, der darauf hinwies, wie schwierig der Einlass in die Himmelsherrschaft sein wird, ja dass es für viele unmöglich sein wird, eingelassen zu werden. Jedenfalls solange, bis sie die Einlassbedingungen erfüllt haben werden (Mt 5,20; 7,21; 18,3; 19,24 / Mk 10,25 / Lk 18,25). Nachtrag: Wo Lukas „sage ich euch“ hat, noch dazu von anderen Textteilen eingeklammert, da gehört nach dem Sprachgebrauch Jeschus Amen! Amen! – Ich soll euch sagen hin. Lukas lässt es oft aus, verkürzt es (wie hier) oder ersetzt es durch sinnverwandte Wörter. Q 15,6 Dieser Vierzeiler – in Q-Lk 13,30 völlig anders formuliert als in Q-Mt 19,30 und 20,16 – war ein prophetisches Wort Jeschus über das gegenwärtig-diesseitige Sein und das künftig-jenseitige Sein von Menschen in seiner Umwelt. Es ist ein Ausspruch jemandes, der nicht nur sah, was ein Mensch gegenwärtig in der diesseitig-materiellen Welt war (ein Erster oder ein Letzter), sondern der auch voraussah, was er künftig in der jenseitig-geistigen Welt sein wird (ein Erster oder ein Letzter). Und zwar deswegen, weil das, was er an einem Menschen sehen konnte, und weil das, was er an ihm voraus- 260 sehen konnte, ihn zu dem Schluss führte, dass beide sehr oft nicht waren, was sie zu sein schienen. Nämlich: dass die einen, die in dieser Welt Erste zu sein schienen, in jener Welt Letzte sein werden, während die anderen, die in dieser Welt Letzte zu sein schienen, in jener Welt Erste sein werden. Und woran konnte er das sehen und voraussehen? Am Selbst eines Menschen; das heißt an der Ausstrahlung seines Geist-Ichs, das er hellsehend schauen konnte. Wäre es nicht so gewesen, dann hätte er kaum bei der Wahl der Zwölf (einschließlich des Judas, der lediglich tat, was Jeschu von ihm gefordert hatte) die richtige Wahl treffen können; und dann hätte er nie auch nur einen Menschen spontan heilen können. Vor allem aber hätte er dann unmöglich erkennen können, dass die Tochter des Jairus, der Jüngling aus Nain und Lazarus aus Bethanien (die von ihren Angehörigen für tot gehalten worden waren) nicht gestorben, sondern nur ausleibig waren (weil deren Geist ihren Körper verlassen hatte, ohne gänzlich von ihm getrennt zu sein). [Übrigens: Inhaltlich ist ausleibig ein Begriff, wie auch Paulus ihn in 2Ko 12,24 in Bezug auf sich selbst gebraucht hat]. Q 15,7* Dieser Doppel-Langzeiler, war eine prophetische Voraussage Jeschus an Außenstehende. Jedoch: In dieser Fassung ist das, was er nach Matthäus und Lukas gesagt haben soll, auf den Kopf gestellt. Denn in ihren Wiedergaben folgt auf die Selbsterniedrigung die Erhöhung und auf die Selbsterhöhung die Erniedrigung. 261 Dass diese Umkehrung falsch sein muss, ergibt sich schon daraus, dass es sein Selbst heißen muss und nicht sich selbst. Denn mit dem Selbst eines Menschen ist sein GeistIch gemeint, das Zentrum seiner Persönlichkeit. Das aber kann unmöglich erhoben werden, wenn jemand es selbst niederdrückt, beziehungsweise niedergedrückt werden, wenn jemand es selbst erhebt. Denn dabei gilt, wie immer und überall in der Welt Gottes (sowohl in der diesseitigen als auch in der jenseitigen), der Tat-und-Tatfolge-Zusammenhang. Hier jedoch, am Tag des Rechtsspruches (nicht lange, nachdem ein Mensch gestorben ist), gilt er erst recht. Wenn aber erst recht, dann ist es ausgeschlossen, dass die Richterengel Gottes einen Menschen erheben können, der sein Selbst niedergedrückt hat. Und umgekehrt. Zu fragen bleibt freilich, wie es zu der widersinnigen Umkehrung in den Wiedergaben nach Q-Mt und Q-Lk gekommen sein kann. Die Antwort auf diese Frage war leicht zu finden. Denn die Belegstellen Q-Lk 14,11 und 18,14 wurden völlig unpassend an je ein Gleichnis angehängt und die Belegstelle QMt 23,12 ebenso unpassend an den Spruch: „Der Größte von euch soll euer Diener sein“ (EÜ-Text). Dabei mussten die betreffenden Satzteile notgedrungen vertauscht werden, damit sie wenigstens scheinbar passten. Q 15,8-10 Dieses kunstvoll geformte dreiteilige Plädoyer gegen Jerusalem als Repräsentantin des ganzen jüdischen Volkes war ein Wort Jeschus an Außenstehende. Es besteht aus ei- 262 ner dreizeiligen Einleitung, einem Hauptteil aus sechs Drittelzeilen und aus einem dreizeiligen Schluss. In der Einleitung wandte sich Jeschu mit einer doppelten Anrede an Jerusalem als kinderreiche Mutter, wobei die Doppelung sowohl ein Ausdruck des Schmerzes als auch der Drohung ist und wobei mit ihren Kindern nicht nur ihre Einwohner gemeint sind, sondern das ganze jüdische Volk (einschließlich der Diasporajuden). Dabei erinnerte er die „Heilige Stadt“ an ihre Vergangenheit, während der sie ihre hervorragendsten Kinder, die Propheten und andere Sendboten Gottes, ermordet hatte, um die Wahrheit Gottes nicht länger hören zu müssen. Im Hauptteil gedachte Jeschu seiner eigenen Bemühungen um Jerusalem, deren Wie oft? an weit mehr denken lässt, als an seine sporadischen Besuche anlässlich seiner Wallfahrten zum Jerusalemer Tempel. Denn: Vermutlich dachte er dabei auch an geistige Bemühungen aus der jenseitiggeistigen Welt, bevor er als Mensch auf die Erde kam. Zu den Symbolwörtern Glucke und Küken ist nachzutragen: Die Glucke ist der Inbegriff geduldiger, fürsorglicher und bei Gefahr schützender und rettender Mütterlichkeit. Dass Jeschu sich nicht scheute, sein Tun mit dem einer Glucke zu vergleichen, zeigt mehr als alles andere, wie sehr es ihn geschmerzt haben muss, dass die Küken, die Kinder Jerusalems, sich nicht sammeln lassen wollten. So kam, was nach dem Tat-und-Tatfolge-Zusammenhang kommen musste: Im jüdischen Krieg gegen Rom, um 70 u. Z., wurden viele von ihnen eine Beute der Adler Roms (dem Symbol auf den Standarten seiner Legionen). Zum Schluss, eingeleitet durch Seht! Seht!, wandte sich Jeschu mit einem prophetischen Ausruf über das Schicksal des Jerusalemer Tempels, unmittelbar an sein Volk: 263 Seht! Seht! – Euch wird – zurückgelassen werden – euer Tempel – zerstört! Hiermit endete das Plädoyer Jeschus gegen Jerusalem. Der Rest von Q 15,10 und das Zitat aus Ps 118,26 hätten es nur abgeschwächt. Es stammt nicht von ihm. Denn er wusste, dass dieser alttestamentliche Segensgruß der Priester, gerichtet an die Festpilger, nicht ihm gelten konnte. Q 16,1-12° Das Gleichnis „Vom Gastmahl (1)“ – gebildet aus zwölf verschieden geformten Redeteilen – war ein Wort Jeschus an seine frommen Kritiker, die Pharisäer, und an seine theojuristischen Gegner, die Schriftgelehrten. Dass es zu Q gehört, wird durch Q-Mt 22,2-10 bestätigt: keine Parallele, wie die völlig andere poetische Form verrät, sondern eine eigenständige Variation des gleichen Themas. Es muss Jeschu wiederholt beschäftigt haben; denn seinen Kritikern und Gegnern wird er immer wieder und überall im Land begegnet sein. Er trug es ihnen vor, um ihnen einen Spiegel vorzuhalten; das heißt, um ihnen bewusst zu machen, dass sie zwar (1.) zu einem Volk gehören, das durch die Propheten und andere Sendboten Gottes eingeladen war, am künftigen „Mahl der Heilszeit“ (in der jenseitig-geistigen Himmelsherschaft) teilzunehmen, dass sie aber (2.) wegen ihrer Ablehnung sowohl der Botschaft des Täufers als auch seiner eigenen Botschaft vom Da-Sein der (diesseitig-geistigen) Gottesherrschaft denen seiner Gleichnisfiguren glichen, die ihre Teilnahme am Gastmahl (einem 264 Sinnbild des Mahles der Heilszeit) aus purer Überheblichkeit abgesagt hatten und (3.) sich darüber lustig machten, dass er, Jeschu, nur die Armen, Kranken, Unwissenden und Unfrommen des Volkes an sich zu ziehen und als Zuhörer seiner Botschaft zu gewinnen vermochte (Jh 7,45-49). Deutlich wurde dieser Tatbestand freilich erst, nachdem der Wortlaut von Q-Lk 14,16-23, von allen Zusätzen gereinigt, ins Aramäische rückübersetzt und anschließend ins Deutsche übertragen worden war. Dadurch und auf dieselbe Weise wurde übrigens auch klar, dass Q-Mt 22,2-10 keine Parallele zu Q-Lk 14,16-23 ist, sondern ein völlig selbständiges, thematisch ähnliches Gleichnis. Der Nachweis folgt im unmittelbar anschließenden Q-Text. Nachtrag: Im NTG-Text zu Q-Lk 14,16 trägt das unbestimmte Pronomen „ein gewisser“ einen eigenen Ton, darf also nicht, wie es meistens ist, unübersetzt bleiben. Denn es weist auf einen bestimmten Mann hin und damit auf einen Vorfall, der sich wirklich ereignet hat, beziehungsweise auf eine Erzählung über solch einen Vorfall. Q 16,13-17° Das Gleichnis „Vom Gastmahl (2)“, gebildet aus fünf Dreizeilern, war ebenfalls, wie das voranstehende Gleichnis, ein Wort Jeschus an seine frommen Kritiker und an seine theojuristischen Gegner. Dass es zu Q gehört, wird durch Q-Lk 14,16-23 bestätigt. Trotz großer formaler Unterschiede, die seine Selbständigkeit beweisen, ist die inhaltliche Verwandtschaft zwi- 265 schen beiden Gleichnissen so groß, dass sich ein eigener Kommentar erübrigt. Bemerkenswert ist: Die wiederhergestellte Fassung des Gleichnisses „Vom Gastmahl (2)“ ist fast vollständig im NTG-Text zu Q-Mt 22,2-10 enthalten. Es brauchten, um sie zu gewinnen, lediglich 79 von 151 griechischen Wörtern gestrichen zu werden. Dieser Tatbestand spricht für sich selbst. Er kann bei sachgerechter Beurteilung nur so gewertet werden, dass der Ur-Textbestand des Gleichnisses gezielt durch allegorisierende Textteile ergänzt worden ist, in denen sich die nachjeschuanische Nichtjudenmission präsentiert. Nachtrag: Dieser Allegorisierung sind hiernach 79 von 151 griechischen Wörtern zuzuweisen. Das ist mehr als die Hälfte! Hinzu kommt noch die numerische Änderung (Singular in Plural) vieler weiterer Wörter. Beide Arten von Eingriffen waren eine unverantwortliche Willkür dem geistigen Eigentum Jeschus gegenüber. Q 17,1-3* Dieser Q-Text – nach Q-Mt eine wohl formulierte, klar gegliederte Dreiung von Dreizeilern, nach Q-Lk unsäglich zerredet – war ein Wort Jeschus an einen oder an mehrere seiner Schüler. Es war (und ist) eine Maximalaussage, mit der er festlegte, wer nach seinem Urteil für ihn tauglich sei und wer nicht. Darf man den ersten und den zweiten dieser drei Sätze Jeschu zuschreiben? Man bedenke: Es sind Sätze, in denen er – von Unverheirateten und von Verheirateten – verlangte, ihn mehr zu lieben als die 266 unmittelbaren Blutsverwandten. Es sind Sätze, die einen Nervenarzt und Jesusbuchautor veranlassten, Jeschu des Ich-Wahns zu bezichtigen! Noch einmal: Darf man diese Sätze Jeschu zuschreiben? Man darf. Denn das Urteil jenes Mannes ist eine Fehldiagnose. Sie ist typisch für Menschen, die wähnen, ihr Sachwissen auf ihrem Fachgebiet reiche aus, auch über andere Fachgebiete sachkundig urteilen zu können. Wie irrig diese Selbsteinschätzung ist, zeigt folgende Überlegung: Selbstverständlich ging es Jeschu in jenen beiden Sätzen nicht um ein Liebesverhältnis, sondern um ein Lehrer-Schüler-Verhältnis. Was er als Lehrer seinen Schülern mitzuteilen hatte, das verlangte von ihm und von ihnen ungeteilte Aufmerksamkeit und Hingabe. Die aber wären ausgeschlossen gewesen, wenn seine Schüler ihre Blutsverwandten mehr geliebt hätten als ihn, ihren Lehrer. Denn damit wäre der geistige Geben-und-EmpfangenZusammenhang ebenso unwirksam geworden wie ein unterbrochener elektrischer Kontakt. Um dies von vornherein zu unterbinden, allein darum formulierte Jeschu jene beiden umstrittenen Sätze. Und der dritte Satz, auf dem nach den Regeln seiner Poesie der Hauptton ruht? Bei ihm hängt alles davon ab, den Begriff mein Joch richtig zu deuten. Woran also mag Jeschu bei dem Wort Joch gedacht haben? Sicherlich nicht an eine zusätzliche Last (Mt 11,28-30). Woran aber dann? Zweifellos an das Joch der Lastenträger; das heißt an eine hölzerne, in der Mitte krumm gebogene Stange, an deren beiden Enden die Träger ihre Lasten verteilt aufhängten, um sie auf einer Schulter tragen zu können und sie sich so erträglicher zu machen. 267 Klar sollte sein, dass Jeschu den dritten Satz seiner Dreiung, den von seinem Joch, in der übertragenen Bedeutung „Verpflichtung“ verstanden wissen wollte. Also im Sinn des rabbinischen „Joch der Gebote“, nämlich der Verpflichtung, die „Vorschriften des Gesetzes“ (besser: der Weisung) zu befolgen. Mit dem Unterschied freilich, dass er die vielen einzelnen Vorschriften durch ein Gebot ersetzte: durch das sie alle umfassende Liebesgebot. Erwähnenswert ist noch: Im NTG-Text zu Q-Mt 10,38 / Lk 14,27 steht sein Kreuz. Der RÜ-Text hat stattdessen mein Joch. Warum? Weil der bildliche Gebrauch des Satzteils wer nicht sein Kreuz nimmt (Mt 10,38; beziehungsweise trägt Lk 14,27) erst aufkam, nachdem Jeschu sein Kreuz nach Golgolta getragen hatte. Und zwar nur unter seinen Schülern, für die das Kreuztragen Jeschus, weil es als Sühneleiden gedeutet wurde, positiv besetzt war und nicht negativ, wie für jeden anderen Juden in ihrer Umwelt. Denn für die galt das Urteil aus 5Mo 21,23: „Ein Verfluchter Gottes ist ein Gehenkter!“ – kein göttliches, sondern ein kultisches Urteil aus einem Text, von dem bekannt ist, dass er im zeitgenössischen Judentum auch auf Gekreuzigte bezogen wurde. Daraus folgt: Erst aus nachösterlicher Sicht war es möglich, den Satzteil wer nicht sein Kreuz tragen will zu formulieren. Hätte schon Jeschu ihn so formuliert, dann hätten seine Schüler ihn unmöglich verstehen können, weil das, worauf er anspielen soll, noch gar nicht geschehen war. Und dass es mein Joch heißen muss statt sein Joch, das ergibt sich nicht nur aus dem unmittelbar folgenden „und nicht hinter mir hergehen will“, sondern auch aus der oben erwähnten übertragenen Bedeutung „Verpflichtung“. 268 Nachtrag: Brauchbar für eine Rekonstruktin des ersten und des zweiten Dreizeilers dieses NTG-Textes war nur QMt 10,37. Denn der zu Q-Lk 14,26 ist durch und durch unjeschuanisch formuliert: völlig unpoetisch, unerträglich fanatisiert, ein ungezügelter Wortschwall, wie man ihn Jeschu auf keinen Fall unterstellen darf. Er kann gänzlich unberücksichtigt bleiben. Q 17,4 Das Bildwort „Vom Salz“ – im NTG-Text sehr fehlerhaft übersetzt, gebildet aus einer Eingangsthese und einem Langzeiler – war ein Wort Jeschus an seine Schüler; und zwar ein Spruch, dessen NTG-Wortlaut ohne Mk 9,50 und ohne Kenntnis des Aramäischen weder richtig verstanden, noch zutreffend gedeutet werden kann. Der erste und entscheidende Grund dafür ist, dass dort, wo die Mk-Fassung es wird salzlos hat, in der Q-Mt- und in der Q-Lk-Fassung es wird töricht steht. Dazu ist zu ergänzen: erstens, dass das griechische Wort nur töricht sein und töricht reden, handeln bedeuten kann; zweitens, dass das zugrunde liegende aramäische Wort tefal beide Bedeutungen abdeckt: salzlos werden und töricht sein, reden, handeln. Es stehen also in der ersten Satzhälfte des Spruches einander gegenüber: Wenn aber das Salz salzlos wird (Mk) und Wenn aber das Salz töricht wird (Q-Mt und Q-Lk). Welche der beiden Wiedergaben (mit einer Einschränkung) die richtige ist, kann nicht zweifelhaft sein. Diese Einschränkung betrifft den zweiten, den grammatischen Grund. Der aber legt nahe, dass der griechischen 269 Entsprechung für es wird salzlos das Verb jittappal zugrunde liegt, das mit es wird salzlos werden wiederzugeben ist. Doch dies ist erst ein Schritt in die richtige Richtung. Der zweite Schritt führt – über die wenn … , womit-Konstruktion und die modale Nuance des aramäischen Imperfekts – zu dem Schluss, dass Jeschu in seinem Bildwort „Vom Salz“ keinen wirklichen Tatbestand meinte (denn Salz kann nicht salzlos werden, das ist chemisch unmöglich), sondern einen nur gedachten Tatbestand; also: Wenn aber das Salz salzlos werden würde, womit würde gesalzen werden? (gesalzen werden nach der Q-Mt-Fassung, die Q-Lk-Fassung liest gewürzt werden; gegen S, C, P und H). Und worauf zielte Jeschu mit diesem Bildwort? Einzusetzen hat seine Deutung bei der Funktion des Salzes, bei der ihm arteigenen natürlichen Wirkung: zu salzen, Fades schmackhaft zu machen. Zwar hat es auch noch andere Funktionen, zum Beispiel: zu reinigen und vor Fäulnis zu bewahren. Aber zweifellos ist dies, Fades zu salzen, seine Hauptfunktion. Und die verliert es nie. „Wenn aber“, Jeschu setzte lediglich diesen an sich unmöglichen Fall: „wenn aber das Salz salzlos werden würde, womit“, so fragte er, „würde (dann) gesalzen werden?“ Diese Frage war berechtigt, jedenfalls zu seiner Zeit und in seiner Umwelt. Doch was wollte er mit ihr andeuten? Oder, da es sich bei diesem Spruch um ein Bildwort handelt: Worin berühren sich Bild- und Sachhälfte in diesem Salzwort? Angenommen, Jeschu habe, als er es aussprach, an die oben erwähnte Hauptfunktion des Salzes gedacht, Fades zu salzen; ist es dann nicht folgerichtig, danach zu fragen, wie das Salz salzt? Vielleicht, dass es dadurch gelingt, dem ur- 270 sprünglichen Sinn des Salzwortes auf die Spur zu kommen: einem Sinn, in dem Bild- und Sachhälfte zwanglos übereinstimmen. Soviel ist sicher: Seine Hauptfunktion, Fades zu salzen, kann Salz nur erfüllen, indem es sich dabei auflöst – eine seit Urzeiten bekannte Tatsache. Sollte Jeschu, als er das Salzwort sprach, diese Tatsache im Blick gehabt haben? Wenn ja, was mehr als wahrscheinlich ist, dann wird es der Gedanke an seine eigene „Auflösung“ gewesen sein, die ihn dazu inspiriert hat. Denn: Jeschu wusste sich von Gott gesandt. Und er wusste, dass diese Sendung in blutigem Leiden enden werde (Mt 20,28 / Mk 10,45). Doch als er dies seinen Schülern mitteilte – in den sogenannten Leidensankündigungen, die in ihren Kernaussagen zweifelsfrei echt sind –, da stieß er auf Unverständnis, ja auf Widerstand (Mt 16,22 / Mk 8,32). Liegt es nicht nahe, dass er sein Salzwort in einer vergleichbaren Situation gesprochen hat?! Oder in einem Lehrgespräch über sein Leiden?! Um seinen Schülern dessen Unausweichlichkeit deutlich zu machen! In dem Fall wäre der Vergleichspunkt, an dem Bildund Sachhälfte übereinstimmen, die Auflösung – beim Salz: um zu salzen, bei ihm: um seine Sendung zu erfüllen. Jeschus rhetorische Frage: „Wenn aber das Salz salzlos werden würde, womit würde gesalzen werden?“ oder, als göttliches Passiv verstanden: „ … womit würde Gott salzen?“, adressiert an seine Schüler, wäre dann so zu deuten: Hätte Jeschu sich von seinem Leiden abbringen lassen, durch wen oder was auch immer, womit hätte Gott dann salzen, mit wem „das Heil“ bewirken sollen? Doch diese Frage war schon irreal, als Jeschu sie stellte. Denn er war entschlossen, sich von niemandem und durch 271 nichts von seiner Sendung abbringen zu lassen. Er war bereit, sein Selbst hinzugeben als Lösegeld für alle (1Ti 2,6). Daraus folgt: Sein Gang nach Golgolta war kein Missgeschick. Er ging ihn, weil er es wollte. Nachtrag: Im NTG-Text ist Mt 5,13a Ihr seid das Salz der Erde zu streichen. Es gehört zu Ihr seid das Licht der Welt (Mt 5,14a), mit dem zusammen es ursprünglich einen Zweizeiler bildete, ein wichtiges Jeschuwort für sich. Ebenso wichtig ist: Die Tatsache, dass Salz unmöglich salzlos werden kann, erzwingt den Schluss, dass Mt 5,13d-f und Lk 14,35a-c nicht von Jeschu stammen können. Denn beide Textteile setzen voraus, dass Salz seine Würzkraft verlieren kann. Damit aber würden sie, wenn man sie beim Salzwort beließe, den Sinn des Bildwortes verderben. Q 17,5.6* Diese Paarung von je drei Drittelzeilen – im NTG-Text von Q-Mt und Q-Lk sehr fehlerhaft wiedergegeben, überdies auch noch durch einen poetisch und inhaltlich unpassenden Einschub verdorben – war ein Wort Jeschus an Außenstehende. Beim ersten Redeteil konnte er ihrer Zustimmung sicher sein. Anders beim zweiten. Denn mit ihm kam er zur Sache: Entweder Gott dienen oder dem Geld. Beiden Herren dienen zu wollen, sei unmöglich. Ist es auch! Dass Jeschu diesen Gegensatz so unerbittlich scharf formulierte, dafür muss es Gründe gegeben haben, wahrscheinlich persönliche Erfahrungen im Umgang mit seinen Mitmenschen. Zweifellos eher im Umgang mit Reichen als mit Armen. 272 Auf jeden Fall aber eine akute Auseinandersetzung mit einigen seiner Zuhörer, die der Auffassung waren, sie könnten Gott und dem Geld dienen: Zuhörer, denen er bewusst machen wollte, dass sie falsch dachten und darum auch falsch handelten. Mit dem entsprechenden unerwünschten Folgen für sich selbst, für ihre Angehörigen, für ihre Mitmenschen und für ihre Umwelt. Selbstverständlich wusste Jeschu um die dämonische Macht des Geldes; dass sie es vermag, jeden Menschen zu versklaven und zu entmenschlichen, der sich ihren drogenähnlichen Wirkungen hingibt. Deren schlimmste ist zweifellos die, dass die Geldgier meistens zusammen mit der Machtgier auftritt. Und da beide unersättlich sind, wird keiner der von ihnen Befallenen innehalten, außer er hat endlich begriffen, dass man Geld nicht essen kann. Q 17,7* Dieser Dreizeiler – in der dritten Zeile des NTG-Textes ganz und gar falsch übersetzt – war ein Wort Jeschus an Außenstehende. Dass es zu Q gehört, wird durch Q-Lk 16, 16 bestätigt: keine Parallele, sondern eine Variation eines ähnlichen Themas. Was Jeschu mit der Zeit des Johannes meinte, ist klar: die Zeit, seit der die diesseitig-geistige Gottesherrschaft da ist, die von Johannes dem Täufer, von ihm selbst und von seinen Schülern ausgerufen wurde. Zugleich auch die Zeit, in der er (nach seinem Sieg über den Satan: Q-Mt 4,1-11 / Lk 4,1-13 = Q 2,4-14) durch Dämonenaustreiben, Heilen und Lehren der Macht Satans entgegentrat. 273 Doch dessen Gegenangriff ließ nicht lange auf sich warten. Sein erstes Opfer war Johannes der Täufer, den er durch Herodes Antipas im Kerker seiner Festung Machärus auf Betreiben seiner Frau Herodias enthaupten ließ. Seinem nächsten Opfer, Jeschu, konnte er nicht so rasch beikommen, weil der sich dem Zugriff durch Antipas’ Häscher immer wieder entzog, bis er selbst den Termin bestimmte, an dem er gefangen genommen werden wollte, um seinen Weg am Römerkreuz auf Golgolta zu vollenden. Diese Aktionen Satans und seiner Helfer (Dämonen und von ihnen inspirierte Menschen) nannte Jeschu „der Gottesherrschaft wird Gewalt angetan“. Aber diese Gewalt bedeutete keineswegs das Ende der diesseitig-geistigen Gottesherrschaft. Im Gegenteil! Sie war der Anfang vom Ende der Herrschaft Satans über die Erde (Q-Lk 4,6 = Q 2,12). Irgendwann in der Zukunft, auch wenn es noch lange dauern mag, wird sie gänzlich verschwunden sein; dann nämlich, wenn Satan und seine Helfer – „die Gewalttätigen“, wie Jeschu sie nannte – von der Gottesherrschaft überwältigt sein werden; und zwar durch geduldiges Zuwarten, bis ihre Gewalttätigkeit sich selbst verzehrt haben wird. Anders geht es nicht, wegen der Entscheidungsfreiheit aller Geistwesen. Nachtrag: Die Wiedergabe aber die Gewalttätigen werden überwältigt von ihr ergab sich durch die Rückübersetzung von Q-Mt 11,12c („und Gewalttätige reißen es an sich“) und QLk 16,16e („und jeder drängt sich in sie hinein“). Und zwar mithilfe einer aramäischen Übersetzung von Jes 21,2 („die Gewalttätigen werden überwältigt werden“), die Jeschu offenbar gekannt haben wird. Offensichtlich wussten beide frühkirchlichen Übersetzer – der von Q-Mt 11,12c und der von Q-Lk 16,16e – mit 274 ihrer aramäischen Vorlage dieses Textteils nichts Rechtes anzufangen. Das ist verständlich, denn ihr aramäischer Wortlaut war nicht leicht zu durchschauen. [Er enthält ein Wortspiel, in das auch das voranstehende Gewalt angetan mit einbezogen ist.] Q 17,8* Dieser Doppel-Zweizeiler – ein Wort Jeschus an Außenstehende – ist weder in Q-Mt noch in Q-Lk fehlerfrei und vollständig wiedergegeben und war nur aus den Wortbeständen beider wiederherzustellen. Es betraf eine Zeitenwende. Mit dem ersten Zweizeiler beschrieb er die Zeit davor als die Zeit des Prophezeiens der diesseitig-geistigen Gottesherrschaft und mit dem zweiten Zweizeiler die Zeit ihres Ausrufens. Die Wende selbst war deren Ankunft und Da-Sein. Kenntlich gemacht war sie durch die Botschaft und die Taufe Johannes des Täufers, deren ernsthafter Vollzug die Aufnahme in sie bedeutete. Während der Zeit des Prophezeiens der Gottesherrschaft war und blieb die Vorstellung davon, welcher Art sie sein werde, unklar und von den Wünschen und Erwartungen der Propheten geprägt und eingefärbt; nämlich nur diesseitig-messianisch und jüdisch-national. Das war verständlich, verfehlte aber ihren geistigen, nicht national beschränkten Charakter, der schon in Jes 42,6 durchscheint. Diesen un-beschränkten Charakter der Gottesherrschaft zu lehren und zu leben, war der Zeit ihres Ausrufens vorbehalten, der Zeit von Jeschu ab und danach also. Doch was geschah? 275 Offensichtlich reichte die Zeit, die er hatte, nicht aus, um die diesseitige messianische Vorstellung von der Gottesherrschaft umzuprogrammieren. Eine eingefleischte Hoffnung, der auch seine Schüler anhingen und an der sie selbst nach seinem Weggang noch festhielten (Apg 1,6). So kam es, dass Jeschus Schau der Dinge auch heutzutage noch unbekannt ist; ja, dass es immer noch so scheinen kann, als habe er sich mit seiner angeblichen Naherwartung des „Reiches Gottes“ geirrt. Was für eine tragische Verkennung des Sinnes seiner Botschaft von der diesseitig-geistigen Gottesherrschaft, die da ist, und der jenseitig-geistigen Himmelsherrschaft, die war, seit Gott ist, und die immer sein wird! Leider haben Jeschus Zuhörer, weder die Außenstehenden noch seine Schüler und Freunde, auch nur annähernd richtig verstanden, wie er diese Doppelbotschaft verstanden wissen wollte. Die Außenstehenden nicht, weil sie als Juden ein diesseitiges „Reich Gottes“ erwarteten, das alle ihre gesellschaftlichen und politischen Nöte beseitigen und heilvolle Zustände herbeiführen werde: zunächst für das jüdische Volk, dann aber auch für alle Nichtjuden, die sich ihm und seiner Gottesverehrung anschließen würden. Und seine Schüler nicht, weil sie zu seinen Lebzeiten durch Fehldeutungen seiner Worte daran gehindert wurden (Lk 24,21). Und später die Schüler seiner Schüler (die Christen) bis heute nicht, weil sie durch Fehlübersetzungen seiner Worte daran gehindert wurden, zu erkennen, dass es eine zweifache Botschaft war, die Jeschu verkündigt hatte: Zuerst die Botschaft von der diesseitig-geistigen Gottesherrschaft, die da ist und später die Botschaft von der jenseitig-geistigen Himmelsherrschaft, die aller Menschen 276 Ursprung und Ziel ist, wenn auch das Letztere, je nach Entwicklungsstand, in näherer oder fernerer Zukunft. Q 17,9° Dieser Zweizeiler – ein Amenwort – war ein Wort Jeschus an seine Schüler. Dass es zu Q gehört, wird durch QLk 16,17 bestätigt, eine Variation des gleichen Themas. Wahrscheinlich war es eine Antwort auf ihre Frage, ob die zehn Gebote (besser: die neun Verbote = die Weisung, nicht: das Gesetz!) aufgehört hatte zu gelten: weil er ja einige von ihnen in der Bergpredigt radikalisiert hatte (siehe „Die Weisung Gottes“, Seiten 322 und 323). Vielleicht hatten sie erwartet, dass Jeschu ihre Folgerung als richtig bestätigen würde. Doch darin hatten sie sich getäuscht. Denn seine Antwort, eingeleitet mit Amen! Amen! – Ich soll euch sagen (dadurch kenntlich gemacht als ein Gotteswort an sie), betonte deren Geltung. Zwingend logisch. Denn die Weisung zu radikalisieren, bedeutete gerade nicht, sie für ungültig zu erklären, sondern – im Gegenteil – sie auf die Spitze zu treiben, ihre Geltung zu verschärfen, das, was sie wirklich meinte, ins Bewusstsein zu rücken. Vor allem seinen Schülern – die seine souveräne Haltung den Reinheitsgeboten gegenüber leicht missdeuten konnten (Mt 15,1-11 / Mk 7,1-15) – musste er die Geltung der neun Verbote einschärfen. Nicht für immer, sondern auf Zeit: bis die Himmel und die Erde (das derzeit existierende Universum) vergehen (2Pt 3,10). Jedoch (und darauf kam es ihm an) in dem von Gott her beabsichtigten Sinn! Nicht im Sinn jener starren Gesetz- 277 lichkeit, zu der ihre Befolgung durch die kasuistischen Auslegungen mancher Schriftgelehrten entartet war. An Jeschus Schüler adressiert, wäre die Konsequenz dieses Spruches etwa so zu formulieren: Wer als sein Schüler (einschließlich seiner Schülersschüler bis heute) den in den neun Verboten ausgesprochenen Gotteswillen missachtet, kann sich auf ihn, Jeschu, nicht berufen. Zu dem Wort waw im RÜ-Text von Q-Mt 5,17 ist noch nachzutragen: Im NTG-Text zur Stelle steht das griechische Wort keraia (wörtlich: „Hörnchen“), hier: „Häkchen“. Es hat sich vielerlei Deutungen gefallen lassen müssen. Aber da keine von ihnen vom Aramäischen hergeleitet war, ist es nicht verwunderlich, dass allesamt falsch waren. Was Jeschu gemeint haben muss, war das aramäische Wort waw. Es bedeutet Haken und ist zugleich der Name des hakenförmigen Buchstabens waw. Bemerkenswert ist, dass dieser Buchstabe zur Zeit Jeschus der kleinste Buchstabe des aramäischen (nicht hebräischen!) Alphabets war und nicht, wie immer wieder behauptet wird, das jod. Q 17,10° Wie der voranstehende Zweizeiler, so war auch dieser Doppel-Langzeiler – gleichfalls ein Amenwort – ein Wort Jeschus an seine Schüler. Dass es zu Q gehört, wird durch Q-Mt 5,18 bestätigt: auch keine Parallele, sondern eine Variation desselben Themas. Gegenüber dem obigen Q-Text ist dieser Q-Text eine enorme Steigerung. Denn während jener ein terminiertes Vergehen von Himmel und Erde voraussetzt (daher bis), gibt dieser an (indirekt), es sei zwar schwierig, dass Himmel 278 und Erde (das derzeit existierende Universum) vergehen, aber es sei noch schwieriger, dass ein waw von der Weisung (von den neun Verboten) vergehe. Im Übrigen ist dieser Spruch dem voranstehenden so verwandt, dass sich ein eigener Kommentar erübrigt. Erwähnenswert ist noch, dass die neun Verbote, reduziert auf ihren Urbestand, neun kurze Sätze sind – alle eingeleitet mit lo’ „nicht“, ohne auch nur ein überflüssiges Wort (siehe „Die Weisung Gottes“, Seiten 322 und 323). Q 17,11 Auch dieser Langzeiler – ebenfalls ein Amenwort, zugleich ein Antwortspruch – war ein Wort Jeschus an seine Schüler. Die Frage, auf die er mit ihm antwortete, muss sich auf das „Recht“ des damaligen jüdischen Mannes bezogen haben, seine Frau zu entlassen. Dazu brauchte er nur vor mindestens zwei Zeugen zu erklären, etwas Schändliches an ihr entdeckt zu haben, dreimal zu ihr zu sagen: „Ich verstoße dich!“ und ihr einen gültigen Entlassungsbrief zu übergeben. Und wenn im Ehevertrag nichts anderes ausgemacht worden war, dann war seine Ehe mit ihr nach geltendem Recht geschieden. Doch das war Willkür. Und dieser Willkür des Ehemannes gegenüber seiner Ehefrau setzte Jeschu ein neues, durch Offenbarung empfangenes Eherecht entgegen: Amen! Amen! – Ich soll euch sagen: Jeder, der seine Ehefrau entlässt – er ist ein Ehebrecher! Damit sollte und damit wollte er die Frau gegen die legale Willkür des Mannes schützen. Wohlgemerkt: Bezogen 279 war dieser Langzeiler nur auf seine Schüler und Schülersschüler, und verbindlich war er nur für sie. Sein Sinn, ebenso knapp wie klar formuliert, war zwingend logisch: Wenn jemand seine Ehefrau „entlässt“, dann zer„bricht“ er die Ehe zwischen sich und ihr. Und zwar völlig unabhängig von geschlechtlichem Ehebruch. Spätere Schüler Jeschus werden diese Konsequenz als zu hart empfunden haben. Um ihr zu entgehen, fügten sie daher entschärfende Klauseln ein. Deren älteste steht in QLk 16,18: „und eine andere heiratet“. Dass diese Klausel wirklich ein Einschub ist, beweist die Tatsache, dass sie die poetische Form zerstört. Raffiniert, wie sie war, erlaubte sie es ihren Erfindern (auch als Schüler Jeschus) ihre Ehefrau zu entlassen, wenn sie wollten und wenn sie es sich finanziell leisten konnten – gegen das von Jeschu verkündete neue Eherecht! Wohlgemerkt: Die obige Weisung Jeschus betraf nur das derzeit geltende Recht des Ehemannes, seine Frau willkürlich zu entlassen. Denn: Eine Ehescheidung zweier vor dem Gesetz gleicher Ehepartner, wie wir sie heute kennen, gab es im Judentum der Zeit Jeschus nicht. Wenn aber nicht, dann ist es durch nichts zu rechtfertigen, Q 17,11, eine zeit- und umweltbedingte Weisung Jeschus, auf die heutige, ganz anders bedingte Ehescheidungspraxis zu übertragen. Und zwar exakt so, als gelte die damalige (offenbar nur selten angewandte) jüdische EhefrauEntlassungspraxis immer noch. Richtig ist: Es kann keinen Zweifel daran geben, dass Jeschu die Ehe so ernst nahm, wie sie es verdient. Gerade darum aber muss er dann auch gewollt haben, dass sich ihr Sinn erfülle, entsprechend dem doppelten Liebesgebot: der Gottes- und der Nächstenliebe. 280 Doch wenn es so ist, dann kann er eine sinnentleerte Ehe ebenso wenig gutgeheißen haben, wie eine sinnentleerte Sabbatheiligung, die er ja bekanntlich wiederholt durch Wort und Tat verurteilt hat (Lk 13,10-17; 14,1-6). Aus all dem folgt: Zweifellos hätte Jeschu (wenn er darüber zu entscheiden gehabt hätte) eher darauf bestanden, eine Ehe für ungültig zu erklären, in der die Frau von ihrem Mann entwürdigt wird, als darauf, dass sie unter unwürdigen Bedingungen bestehen bleibe. Nachtrag: Was in Q-Lk 16,18 folgt (wörtlich übersetzter NTG-Text: „und der eine Entlassene von einem Mann Heiratende bricht die Ehe“), ist unjeschuanisch: erstens, weil es dem Sprachgebrauch und der Poesie Jeschus wiederstreitet; zweitens, weil es vom Heiraten handelt, und nicht vom Entlassen einer Ehefrau; drittens, weil eine bereits gebro-chene Ehe nicht zweimal gebrochen werden kann. Mt 19,6 / Mk 10,9: „Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht trennen“ betrifft nur die beiden Geschlechter, nicht die Ehe. Andernfalls hätte Gott weltweit jedes Ehepaar zusammengefügt – ein unsinniger Gedanke! Zu Q-Mt 5,32 sei nur soviel angemerkt: Sein Wortlaut ist so verklausuliert, dass er es verdient, absurd genannt zu werden. Ihn Jeschu zu unterstellen, wäre schändlich. Q 17,12* Diese Paarung je zweier Halbzeilen – eingeleitet mit einem Weheruf – war eine Voraussage Jeschus, gerichtet an seine Schüler. Sie erfüllt sich vor allem am „christlichen“ Abendland. Erschreckend ist, dass er sie nicht mit „Wehe den Menschen!“ einleitete, sondern mit „Wehe der Welt!“ 281 Sicherlich, weil er voraussah, dass die grenzenlose Gier viel zu vieler Menschen und ihre unverschämte Hybris sie dazu anstacheln würden, alles zu tun, was sie meinen, tun zu sollen. Bedenkenlos und ohne Rücksicht auf mögliche Folgen und ohne auf die dringenden Warnungen von Fachleuten zu hören, die es besser wissen als sie. Nicht minder erschreckend ist, was Jeschu in den folgenden Zeilen voraussagte. Nämlich: So, wie jene von Gier und Hybris getriebenen Menschen beschaffen sind, werde nicht zu verhindern sein, dass sie den Verführungen erliegen, die er kommen sah; schlimmer noch: dass sie sich ihnen hingeben. Mit derart katastrophalen Folgen für die Welt, dass Jeschu nicht umhin konnte, sein „Wehe der Welt!“ auszurufen. Dass jene Menschen, wenn ihre Zeit gekommen sein wird, von dem speziell sie betreffenden Tat-und-TatfolgeZusammenhang eingeholt werden, ist angesichts der Schäden, die sie der Welt und allem Lebendigen auf ihr bis dahin zugefügt haben werden, kein Trost. Und wie kann und wird die Welt von jenen Schäden geheilt werden? Das ist eine Frage, die Jeschu nicht vorausschauend beantwortet hat. Stattdessen sprach er von der Himmelsherrschaft als dem Ziel der Weltgeschichte und vom Einlass in sie als dem persönlichen Ziel aller Menschen. Dass die Mehrheit von ihnen nichts davon weiß, ja, dass sie nicht einmal ahnt, dass dies ihr Ziel ist, ändert nichts an der Tatsache, dass es so ist. Q 17,13* Dieser Zweizeiler betrifft ein garstiges Thema. Er war ein Wort Jeschus an Außenstehende. – Achtung! Die ersten 282 drei Evangelien geben das, was Jeschu wirklich gesagt hat, am Anfang so falsch wieder und am Ende so grausig, dass es ihn mit Schande bedeckt hat (Q-Mt 18,6, EÜ-Text): Wer einen von diesen Kleinen, die an mich glauben, zum Bösen verführt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals im tiefen Meer versenkt würde. Man stelle sich vor: Das soll der Mann gesagt haben, der seinen Schülern gebot (Q 3,14): Erbarmt euch über die, die euch anfeinden! Tut Gutes denen, die euch hassen! Segnet die, die euch verfluchen! Betet für die, die euch Böses antun! Kann man auch nur für einen Augenblick für möglich halten, dass Jeschu den obigen Horrortext so formuliert hat? In einer Zornaufwallung etwa? Derselbe Mann, der nach einem Zornesausbruch von Jakobus und Johannes empört zu ihnen sagte: „Ihr wisst nicht, was für ein Geist aus euch spricht!“? (Anmerkung zu Lk 9,55, EÜ-Text). Muss es nicht jeden normal empfindenden Menschen empören, dass – seit fast 2000 Jahren – alle Übersetzer der Evangelien überall auf der Erde ihrem Heiland ohne weiteres zutrauten, er sei imstande gewesen, einmal dies und einmal jenes zu sagen? So, als sei er schizophren gewesen? Genau das wurde ihm denn auch von mehreren Nervenärzten triumphierend bescheinigt; und zwar allein deswegen, weil es in den herkömmlichen Übersetzungen der Evangelien so zu lesen ist; wenn auch nur aufgrund von griechischen Vorlagen, deren Zusätze und Übersetzungsfehler – zumal bei diesem Text – beispiellos sind! 283 Übrigens: In der Anmerkung zum C-Text zur Stelle ist „er hat einen Mühlstein an seinem Hals“ zweifelsfrei bezeugt. Er beschreibt unüberbietbar plastisch jenen Gemütszustand eines Kindesschänders, dem er spätesten nach seinem Sterben verfallen wird („Evangelion Da-Mepharresche“, F. Crawford Burkitt., Volume I [1904], Seite 100). Nachträge: Dass Jeschu sich veranlasst sah, eine ernste Warnung vor Kindesschändung auszusprechen, lässt darauf schließen, dass auch zu seiner Zeit Kinder geschändet wurden und dass er Kenntnis davon hatte. Richtig: In Q-Mt 18,6 steht (wörtlich übersetzter NTGText): „Wer aber zur Sünde verführt einen dieser Kleinen“ und nicht (so der RÜ-Text): „Jeder, der ein einziges Kind schändet“. Aber: So steht es nur deswegen da, weil der Q-Bearbeiter seine aramäische Vorlage so wiedergab. Wie sie wirklich gelautet haben wird, das ist Mt 18,10 zu entnehmen (wörtlich übersetzter NTG-Text): Nicht verachtet einen dieser Kleinen! [Denn ich sage euch: Ihre Engel in (den) Himmeln durch alle (Zeit) sehen das Angesicht meines Vaters in (den) Himmeln.] Dazu ist anzumerken: Jeschus drohender Hinweis auf die Schutzengel der Kleinen (= der Kinder) steht in keinem realen Verhältnis zu dem Vergehen, das in Mt 18,10 „Verachtet nicht!“ genannt wird. Doch das ändert sich, sobald klar ist, dass „verachtet“ hier durch „schändet“ zu ersetzen ist. Warum? Weil das aramäische Wort beza’ beides bedeuten kann: „verachten“ und „schänden“ (im Sinn von „Blutschande treiben“). 284 Und warum wählte der Q-Bearbeiter gerade das falsche Wort? Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder er kannte nur die Hauptbedeutung „verachten“, oder er bevorzugte sie absichtlich, weil ihm die Nebenbedeutung „schänden“ (= „Blutschande treiben“) allzu widerlich erschien. Und wie verhält es sich mit „zur Sünde verführen“ in Q-Mt 18,6? Die Wortwahl war offensichtlich ebenso motiviert. Denn hier ist zu fragen: Was soll denn „einen dieser Kleinen (= dieser Kinder) zur Sünde verführen“ in seinem Textzusammenhang bedeuten? In einer Umwelt, in der geschlechtliche Verfehlung als die Sünde schlechthin galt, kann die Antwort nur lauten: „zu sexuellem Verkehr verführen“ (= missbrauchen!). Übrigens: „Schänden“ ist hier – grammatisch folgerichtig – auf Vater und Sohn zu beziehen. Das ergibt als Summe: Über jeden Vater, der das getan hatte, urteilte Jeschu: „Er hat einen Mühlstein an seinem Hals!“ Nicht als Strafe Gottes, sondern als Last seiner perversen Lust. Q 18,1-4 Das Gleichnispaar „Vom verlorenen Schaf und von der verlorenen Drachme“ war ein Wort Jeschus an Außenstehende, wahrscheinlich an Pharisäer. Mit ihm reagierte er auf deren Vorwurf (Lk 15,2, EÜ-Text): „Er gibt sich mit Sündern ab und ißt sogar mit ihnen.“ Beide Gleichnisse sind genau gleich konstruiert. Das erste betrifft einen begüterten Mann (er besaß hundert Schafe, die er selbst betreute und die er abends zählte, während er sie in die Hürde trieb), das zweite betrifft eine arme Frau (sie besaß einen Brautschatz, wie hier vorauszuset- 285 zen ist, von nur zehn Drachmen, dem Gegenwert von zehn Arbeitstagen eines Arbeiters: von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr abends, im Winter bis Sonnenuntergang). Jedes der beiden Gleichnisse Jeschus besteht aus zwei gleich geformten Teilen. In jeweils dem ersten Teil beschrieb er einen schmerzlichen Verlust und die Suche nach dem Verlorenen; in jeweils dem zweiten beschrieb er den Fund des Verlorenen und die Freude darüber. Erwähnenswert ist, dass der begüterte Mann nur ein Prozent seiner Herde eingebüßt hatte, während die arme Frau zehn Prozent ihres Brautschatzes verloren hatte. Gleichwohl war die Freude beider darüber, dass sie wiedergefunden hatten, was sie verloren hatten, offenbar gleich groß – unabhängig von dessen realem Wert. Genau darauf liegt der Ton bei beiden Gleichnissen Jeschus. Denn in beiden dramatisierte er beispielhaft, was Abba (dem Vater) widerfahren ist: Trauer über den Verlust vieler seiner Kinder (durch den Urabfall), endlose Mühe bei der Suche nach seinen verlorenen Kindern (durch ungezählte Boten, die er sandte, Jeschu eingeschlossen) und Freude über jedes seiner Kinder, das er (durch ihre Mühe beim Suchen) wiederfand – unabhängig von deren scheinbarem Wert oder Unwert. Mit dieser Schau der Dinge (die er erzählerisch in der Freude Gottes darüber gipfeln ließ, dass er durch seine Art zu suchen vor allem solche Menschen fand, die als Verlorene galten) wies Jeschu jede Kritik an seinem Tun zurück und entlarvte sie als Widerstand gegen den Willen Gottes. Nachtrag: Dass auch das Gleichnis „Von der verlorenen Drachme“ zu Q gehört, obwohl es in Q-Mt fehlt, ist so gut wie sicher. Dafür zeugen vier Gründe: erstens die genau gleiche Konstruktion der beiden Gleichnisse; zweitens die 286 Gegenüberstellung von Mann und Frau; drittens die Gegenüberstellung von wohlhabend und arm; viertens die Tatsache, dass der Evangelist Matthäus (anders als der Evangelist Lukas) Texte, in denen Frauen eine Rolle spielen, weitgehend unberücksichtigt ließ. Es folgen einige wichtige Einzelheiten, die helfen können, Missverständnisse zu vermeiden. 1. zu der … die neunundneunzig zurücklässt: Es ist absolut undenkbar, dass der Besitzer der Herde neunundneunzig Schafe unbewacht zurücklässt. Vorauszusetzen ist vielmehr, dass er sie der Obhut anderer Hirten anvertraut, mit denen zusammen er dieselbe Hürde benutzt. 2. zu legt er es auf seine Schultern: Ein Schaf, das sich verirrt hat, legt sich irgendwo hin und bleibt liegen, selbst wenn sein Besitzer es gefunden hat. Will er es zur Herde zurückbringen, dann muss er dessen Vorder- und Hinterbeine mit je einer Hand packen und es sich um den Nacken legen. 3. zu die zehn Drachmen hat: Ein als Kopfschmuck getragener Brautschatz von nur zehn Drachmen war ein sehr ärmlicher Schmuck, verglichen mit dem Brautschatz reicher oder auch nur wohlhabender Frauen, der aus Hunderten von Gold- und Silbermünzen bestehenden konnte. 4. zu die … eine Lampe anzündet: Eine Lampe zündet die suchende Frau deswegen an, weil ihr schlichtes Haus offenbar fensterlos ist und weil die niedrige Türöffnung zu wenig Licht hereinlässt, um finden zu können, was sie sucht. 5. zu und sich grämt: Im NTG-Text steht dafür „und fegt das Haus“. Doch das ist unmöglich. Denn der Textteil „das Haus“ würde die poetische Form des ganzen Textes zerstören. Überdies wurde er erst nötig, als das aramäische Wort mkbd’ als mekabbeda’ „sie ist fegend = sie fegt“ gedeutet wurde, statt als makebbeda’ „sie ist sich grämend = sie 287 grämt sich“. Dass „sie grämt sich“ besser zu einer armen Frau passt, die eine für sie sehr wertvolle Silbermünze ihres Brautschatzes verloren hat, als „sie fegt das Haus“, lässt sich kaum sinnvoll bestreiten. Q 18,5,6* Dieser Q-Text – gebildet aus einem Zweizeiler und einem Doppel-Langzeiler – ist eine Weisung Jeschus an einen seiner Schüler und zugleich eine Belehrung über den Tatund-Tatfolge-Zusammenhang. In seiner Weisung forderte er von seinem Schüler (autoritativ!), er solle zu seinem Bruder gehen und sich mit ihm versöhnen. Täte er das und wäre sein Bruder gutwillig, so würde es sich erweisen, dass dies der einfachste und kürzeste Weg ist, Zerwürfnisse aus der Welt zu schaffen. Und seine unmittelbar folgende Belehrung über den Tat-und-Tatfolge-Zusammenhang? – Man bedenke: Es ist fast 2000 Jahre her, dass Jeschu sie einem seiner Schüler vorgetragen hat. Dennoch war sie seinen indirekten Schülern (den Christen), bevor es den obigen RÜ-Text gab, gänzlich unbekannt. Denn der Wortlaut, in dem sie in Q-Mt steht (bereichert um einen sinnentstellenden Zusatz aus einer Gemeinderegel der Essener), lässt ihren von Jeschu beabsichtigten Sinn nicht einmal erahnen – um wie viel weniger die völlig verstümmelte Fassung in Q-Lk 17,3 (EÜ-Text): Wenn dein Bruder sündigt, weise ihn zurecht; und wenn er sich ändert, vergib ihm. 288 Dazu ist zu ergänzen: Dass der Angeredete seinem Bruder genützt hat, wenn der auf ihn gehört hat, leuchtet ein. Doch wie ist es damit, dass jener Bruder, wenn er nicht auf ihn gehört hat, seinem Selbst geschadet hat? Das zu begreifen, ist viel schwieriger. Denn das zu erkennen und anzuerkennen, wird nur den Menschen möglich sein, die begriffen haben, dass ihr Selbst etwas anderes ist als ihr Körper, ebenso wie der Dolch etwas anderes ist als die Scheide, in der er steckt. Q 18,7.8 Dieses Zwiegespräch – das wahrscheinlich den Originalton bietet – ist kurz und lehrreich (hier ist es nach Q-Mt 18,22 wiedergegeben, denn in Q-Lk 17,4 ist es bis zur Unkenntlichkeit entstellt). Es besteht aus nur zwei Teilen: aus einer merkwürdig ausführlichen Frage des Sprechers des Zwölferkreises, Simon / Petrus, gerichtet an Jeschu, seinen Meister, und aus dessen kurzer, erstaunlich gebieterischer Antwort. Merkwürdig war Simons Frage deswegen, weil er die Antwort seines Meisters kühn vorwegnahm und ihr mit einem – wie er wohl meinte – hochherzigen Angebot vorwegkam. Mit einem Angebot, von dem er zu erwarten schien, dass Jeschu darauf eingehen und ihm erfreut zustimmen werde. Und erstaunlich war Jeschus Antwort deswegen, weil er weder auf Simons Handel einging, noch ihm erfreut zustimmte, sondern weil er dessen Angebot mit einem scharfen Ich befehle dir! auf das elffache erhöhte. Leider teilte der Chronist nicht mit, wie Simon darauf reagierte. 289 Vermutlich erschrocken und enttäuscht. Denn er hatte doch gemeint, ein lobenswert großherziges Angebot gemacht zu haben, gemessen an dem, was eine volkstümliche Regel gewesen zu sein scheint, so jedenfalls nach dem Talmud: „Begeht ein Mensch eine Sünde, so soll sie ihm das erste, zweite und dritte Mal, aber nicht mehr das vierte Mal vergeben werden.“ Dass Simon sein Angebot auf bis zu siebenmal erhöht hatte, lässt erkennen, dass er um die Bedeutung der Sieben als Symbolzahl der Fülle und Vollständigkeit wusste. Daraus folgt: Er war bereit, großzügig zu vergeben, aber er wollte seine Vergebungsbereitschaft begrenzt wissen. Doch darauf ließ Jeschu sich nicht ein. Mit seiner gebieterischen Forderung siebenundsiebzigmal (das heißt: immer), ließ er nicht zu, dass Simon meinte, er dürfe seine Vergebungsbereitschaft begrenzen. Schließt man von dieser hohen, an einen Menschen gerichteten Forderung Jeschus auf Gott, so folgt daraus, dass es keine ewige Verdammnis geben kann, zu der Gott jemanden verdammt hätte oder verdammen würde. Andernfalls bliebe Gott – ungöttlicher geht es nicht – hinter der Forderung Jeschus an Simon zurück. Das aber kann nicht sein! Jedenfalls kann es nicht für den Gott gelten, den Jeschu Abba „Papa“ genannt hat. Q 18,9.10*° Diese beiden Amenworte – formal gleich konstruiert, aber inhaltlich verschieden formuliert – sind prophetische Worte, Bildworte und zugleich bedingte Zusagen Jeschus an seine Schüler. 290 So wie sie dastehen, sind es Worte, die mit seinem gesunden Wirklichkeitssinn unvereinbar sind. Doch wenn es so ist, folgt dann nicht daraus, dass sie unecht sind?! Daraus noch nicht. Denn dieser Schluss wäre nur dann erlaubt, wenn sicher wäre, dass Jeschu die Wörter Berg und Maulbeerbaum buchstäblich gemeint hat. Das aber ist bei seinem Wirklichkeitssinn auszuschließen. Wie es übrigens auch ausgeschlossen ist, zu erklären, wozu es hätte gut sein sollen, einem Berg zu gebieten, seinen Standort zu wechseln oder einem Maulbeerbaum zu befehlen, sich ins Meer zu stürzen. Ist es das aber, dann bleibt nur noch eines: nach übertragenen Bedeutungen jener beiden Wörter zu suchen; und zwar nach solchen, die einen annehmbaren Sinn ergeben. Zum Glück gibt es sie. Das Wort Berg wäre dann ein Symbolwort für einen Vielwisser und das Wort Baum ein Symbolwort für einen Gelehrten, im zeitgenössischen Judentum also für einen Schriftgelehrten. Daraus ergibt sich: Mit den obigen Amenworten sicherte Jeschu seinen Schülern zu, dass sie den Vielwissern und den Schriftgelehrten ihres Volkes furchtlos entgegentreten und dass sie sie in Streitgesprächen überwinden könnten, wenn ihr „Vertrauen wäre wie ein Senfkorn“ (am Anfang winzig, am Ende riesig). Und die Wendung stürze dich ins Meer? Sie ist ein Sinnbild für Selbstbestrafung. Die bestünde dann darin, sein Wissen preiszugeben für eine bessere Erkenntnis. Hierzu sei an Paulus erinnert. Nachtrag: Dass es sich bei diesen beiden Amenworten (Q-Mt 17,20, mit dem Symbolwort Berg, Q-Lk 17,6, mit dem Symbolwort Maulbeerbaum) nicht um Parallelen, sondern um Variationen handelt, wer wollte das bestreiten? 291 Es ist als Glücksfall zu werten, dass beide Fassungen erhalten geblieben und überliefert worden sind. Denn nur beide zusammen machen den Tatbestand von Variationen offenkundig, ja unwiderleglich. In diesem Fall könnte er darauf zurückzuführen sein, dass die beiden Symbolwörter im Aramäischen einander klanglich nahe stehen: tûra’ bedeutet „der Berg“ und tûta’ „der Maulbeerbaum“. Q 18,11.12* Weil der Begriff „Gottesherrschaft“ (als „Reich Gottes“ missdeutet) bis heute weithin unverstanden geblieben ist, hat dieser Q-Text die wunderlichsten Deutungen über sich ergehen lassen müssen. Auch noch, nachdem 1945 das Thomasevangelium entdeckt wurde, in dem seine Fortsetzung erhalten geblieben ist (Spruch 113, RÜ-Text): Sie breitet sich aus über die Erde, aber die Menschen bemerken sie nicht. Übrigens: Dass dieser Text, Lk 17,20.21, wenn auch fehlerhaft, vollständig (mit der Fortsetzung) im Thomasevangelium steht, ist ein sicheres Anzeichen dafür, dass er zu Q gehört und dass die Fortsetzung, weil man sie nicht verstand, absichtlich ausgelassen worden ist. Er enthält ein kurzes Zwiegespräch zwischen Pharisäern und Jeschu. Sie fragten ihn, wann die Gottesherrschaft komme. Dass sie ihn so fragten, deutet darauf hin, dass sie ihm zugehört und dass sie ihn missverstanden hatten, wie so oft in ihren Auseinandersetzungen mit ihm. Was blieb ihm übrig, als wieder einmal zu betonen, dass es zwecklos sei, auf eine diesseitige messianische Herrschaft zu hoffen. Gelegentlich, wie hier, tat er das in klaren Wor- 292 ten, häufiger jedoch in seinen Gleichnissen. Doch mit dieser als abstoßend empfundenen Behauptung stieß er immer wieder entweder auf Unverstand oder auf Widerstand oder, so bei seinen Schülern, auf taube Ohren (Apg 1,6). Nicht anders erging es ihm mit seiner Schau der Dinge: Dass die Gottesherrschaft, als geistige Herrschaft, mitten unter ihnen sei. Unter den Menschen nämlich, die sich ihr durch eine freie und persönliche Entscheidung, verbunden mit einer Taufe, bewusst anvertraut hatten. Und: dass sie sich ausbreiten werde über die ganze Erde, ohne dass die Außenstehenden dies bemerken würden. Eine stille Revolution also, der jedoch die Kraft des Sauerteigs innewohnt, der unbemerkt, allein durch Kneten und Warmstellen, den ganzen Teig durchsäuert (Mt 13,33 / Lk 13,20.21). Dies jedoch nicht von jetzt auf gleich, sondern in langen Zeiträumen. Denn Gott hat Zeit, von Eile kann bei ihm keine Rede sein. Bedauerlich ist nur, dass Jeschus Schüler es eilig hatten und dass sie dadurch die Schau ihres Meisters verdarben. Q 18,13.14* Dieser ergreifende Doppelspruch – in Q-Lk formal gleich konstruiert, aber inhaltlich verschieden formuliert – ist ein kunstvolles und wohl durchdachtes poetisches Gebilde, bestehend aus je einem Zweizeiler, in den eine Dreiung je zweier Halbzeilen eingeschachtelt ist. Er ist ein Wort Jeschus an Außenstehende. In ihm skizzierte er meisterhaft knapp, eindringlich und charakteristisch die Verderbtheit der Bevölkerung zu den Zeiten Noachs und Lots sowie ihr schreckliches Ende durch die Flut 293 beziehungsweise durch Feuer. Und beide Male schloß er mit dem herben Urteil: ebenso ist es zu MEINER Zeit. Was er sah und hörte und als Warnzeichen deutete, das waren Denk- und Verhaltensweisen, die im ersten jüdischen Krieg gegen Rom um 70 u. Z. mit der Zerstörung des Jerusalemer Tempels und der Stadt an ihr Ziel kamen. Sehr bedauerlich ist, dass dieser Doppelspruch von Anfang an auf die Zeit der so genannten Wiederkunft Christi bezogen wurde und immer noch bezogen wird, statt auf die Zeit Jeschus, worauf er mit Sicherheit zu beziehen ist. Die Hauptursache dafür war die irrige Erwartung seiner Wiederkunft. Und andere Ursachen dafür waren mangelnde Sprachkenntnisse der frühchristlichen Übersetzer, die jenen Doppelspruch entsprechend mangelhaft aus dem Aramäischen ins Griechische übersetzt haben und die völlig fehlende Kenntnis der Poesie Jeschus. Nachtrag: Wo oben MEINER steht, da steht in der Textvorlage der Bescheidenheitsausdruck des Menschensohnes, eine verhüllende Umschreibung für meiner. Und dass Q-Mt nur den Spruch über die Zeit Noachs bietet, ist, wenn überhaupt, nur als versehentliche Auslassung zu erklären. Q 18,15-17 Diese Dreiung von je vier Halbzeilen gehört geschlossen zu Q, auch wenn Q-Mt nur die ersten und die dritten und Q-Lk nur die zweiten und die dritten vier Halbzeilen hat. Warum in Q-Mt die zweiten und in Q-Lk die ersten vier Halbzeilen fehlen, lässt sich nicht einmal vermuten, ist jedoch angesichts der offenkundigen Vorliebe Jeschus für Dreiungen unerheblich. 294 Die ersten vier Halbzeilen handeln von zwei Männern, die auf einem Feld arbeiten; die zweiten von einem Ehepaar, das auf dem gemeinsamen Lager schläft, die dritten von zwei Frauen, die an derselben Handmühle mahlen. Alle drei Menschenpaare tun etwas (auch Schlafen als Tun gewertet), das in der Umwelt Jeschus zum alltäglichen Leben gehört und es erst ermöglicht. Dann aber, urplötzlich, tut sich ein Riß auf mitten durch die beschriebenen Menschenpaare hindurch: der eine von ihnen wird (von Engeln) fortgeführt (wie Lot und seine beiden Töchter aus Sodom), der andere wird zurückgelassen (wie die übrigen Einwohner Sodoms). Und wem von beiden widerfährt was und warum? Fortgeführt wird jeweils, wer reif dafür ist; und zurückgelassen wird jeweils, wer noch nicht reif dafür ist. Reif wofür? Für den Einlass in die jenseitig-geistige Himmelsherrschaft. Wohin denn sonst, als in sie, können Engel fortführen? Eben davon hatte Jeschu ja doch knapp und klar gesprochen (nach Lk 16,9, RÜ-Text): Amen! Amen! – Ich soll euch sagen: Verschafft euch Freunde statt Geld, damit sie euch aufnehmen, wenn ihr sterben werdet, in ihre jenseitigen Wohnungen. Verknüpft man diesen Text vom Aufgenommenwerden in die jenseitigen Wohnungen gedanklich mit den drei obigen prophetischen Voraussagen vom Fortgeführt- beziehungsweise Zurückgelassenwerden, dann ergibt sich daraus: Jeschu wird dabei an das Sterben gedacht haben, durch das hindurch der eine fortgeführt wird, während der andere zurückgelassen wird (vgl. auch Lk 16,19-26). 295 Hat er dabei aber an das Sterben sowohl der Fortgeführten als auch der Zurückgelassenen gedacht, dann muss er folgerichtig an eine (nicht näher zu beschreibende) großräumige Katastrophe gedacht haben, als er jene drei prophetischen Voraussagen formulierte. Nicht an einen Weltuntergang (dagegen sprach er unmissverständlich in Mt 28,20, RÜ-Text: Ich bin mit euch bis zur Vollendung der Welt!), vielleicht aber an eine weltweite Katastrophe. Dann aber (von damals her geurteilt) nicht in naher, sondern in ferner Zukunft. Q 18,18 Dieser Zweizeiler war ein prophetisches Wort Jeschus an Außenstehende. Er war eine sprichwortartige Sentenz und zugleich ein Bildwort, dessen Richtigkeit jeder Wanderer oder Reisende in der Umwelt Jeschus aufgrund eigener Beobachtung und Erfahrung bestätigen konnte. Im jüdischen Schrifttum findet sich offenbar nichts, was inhaltlich auf diesen Zweizeiler hinweisen würde oder sich von ihm herleiten ließe. Daher ist es nicht auszuschließen, dass Jeschu ihn selbst gebildet hat – um ihn seiner Verkündigung dienstbar zu machen. Wie er zu deuten ist, das muss dem Wortpaar Aas – Geier zu entnehmen sein. Und zwar nicht dessen Wortsinn, auch nicht seinen gewöhnlichen Symbolbedeutungen, sondern einer speziellen, zeit- und situationsbedingten Sinngebung, die sowohl Jeschus Sprachgebrauch entsprechen als auch unmittelbar verstehbar sein muss. 296 Was nun folgt, ist lediglich aus diesen Überlegungen erschlossen, kann und soll also nicht mehr sein als ein Deutungsvorschlag. Aas, ein verendetes Tier, könnte von Jeschu als Sinnbild des (geistigen!) Todes gemeint sein, könnte hier also den geistigen Zustand des jüdischen Volkes seiner Zeit symbolisieren – als Ganzheit betrachtet, wobei anders geartete Einzelne, die es ja reichlich gab, nicht berücksichtigt sind. Und der Geier, ein aasfressender Raubvogel, könnte ihm als Sinnbild der Vernichtung gedient haben; konkret: als ein warnender Hinweis auf die Adler an den Standarten der römischen Legionen, deren Versammlung um Jerusalem (und dessen schließliche Vernichtung) er nicht nur kommen sah, sondern mit dem obigen Zweizeiler voraussagte. Dazu ist anzumerken: Das aramäische Wort nišrajja’ ist doppeldeutig: 1. „die Geier“, 2. „die Adler“. Nicht aber das griechische hoi aetoi. Das kann genau genommen nur „die Adler“ bedeuten. Hier ist es eine Fehlübersetzung aus dem Aramäischen. Korrekt wäre hoi gypes „die Geier“ gewesen. Q 18,19 Dieser Q-Text – gebildet aus vier Halbzeilen – war ein prophetisches Wort Jeschus an seine Schüler. Es gehörte zu seiner esoterischen Schülerunterweisung an die Zwölf. Und es ist ein „Menschensohnwort“ = eine ICH-Aussage, die auf das angebliche Kommen des Menschensohnes = die so genannte Wiederkunft Christi gedeutet wurde (und immer noch gedeutet wird). Und worauf zielte Jeschu mit dieser ihn selbst betreffenden Vorhersage? Lässt man sich bei der Suche nach ei- 297 ner Antwort von dem Textteil Wie ein Bltz, aufblitzend und leuchtend leiten, so wird man an die Erzählung „Die Verklärung Jeschus“ (Mt 17,1-8 / Mk 9,2-8 / Lk 9,28-36) erinnert. Es folgt Mt 17,2 (LB-Text): Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. So, wie Jeschus „Verklärung“ (vor Simon / Petrus, Jakobus und Johannes als Zeugen) hier beschrieben wird, kommt sie nahe an die Beschreibung in seiner obigen Vorhersage Q-Lk 17,24 / Mt 24,27 heran (RÜ-Text): Wie ein Blitz, aufblitzend und leuchtend, so werde ICH sein an MEINEM Tag. Doch da jene „Verklärung“ Jeschus, sein Erscheinen in seinem „Lichtglanz“, nur vorübergehender Natur war, hatte sie (für die drei Zeugen Simon / Petrus, Jakobus und Johannes) bloß die Funktion einer Vorbereitung auf das, was sich am Ostersonntagmorgen ereignete: seine endgültige Verklärung und damit verbunden seine Erhöhung über seinen vorherigen Rang hinaus (Phl 2,6-11). Die Summe von all dem, was sich in diesem Zusammenhang an Jeschu ereignet hat, mit dem ganz und gar ungeeigneten Wortfeld auferstehen – Auferstehung bezeichnen zu wollen, war von Anfang an zum Scheitern verurteilt und sollte künftig unterlassen werden. Denn, damit kein völlig unnötiges Missverständnis aufkomme: Ganz und gar ungeeignet ist dieses Wortfeld nur deswegen, weil es viel zu grob-materiell ist, um jenes geistige Phänomen aussagen zu können, das sich an Jeschu am Ostersonntagmorgen ereignet hat. 298 Nämlich: nicht seine grob-materielle „Auferstehung“, sondern (ich wiederhole): seine endgültige Verklärung und damit seine Erhöhung über seinen vorherigen Rang hinaus (Phl 2,6-11). Dass diese Argumentation keineswegs abwegig ist, dafür zeugt die Tatsache, dass sie von Paulus, einem in dieser Hinsicht unverdächtigen Zeugen ( ! ), grundsätzlich bestätigt wird (1Ko 15,51, RÜ-Text nach dem syrischen NT): Ich verrate euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen. Aber wir werden alle verklärt werden. Zur Gegenprobe eine abschließende Frage: Hätte Paulus hier „wir werden alle verklärt werden“ diktieren können (noch dazu als Geheimnis), wenn „wir werden alle auferstehen“ richtiger wäre? Nachtrag: Es folgt Q-Lk 17,24 (wörtlich übersetzter NTG-Text): Wie der Blitz, aufblitzend von dem unter dem Himmel zu dem unter dem Himmel leuchtet, so wird sein der Menschensohn an seinem Tag. Es bedarf keines Beweises, dass das Kleingedruckte eine unmögliche Formulierung ist: erstens ein Einschub, der erkennen lässt, dass der frühchristliche Übersetzer seine aramäische Vorlage nicht verstanden hat (vgl. Q-Mt 24,27); zweitens ein Redeteil, der unmöglich Jeschu zugeschrieben werden kann. Wird er gestrichen und wird der Menschensohn, dem Sprachgebrauch Jeschus entsprechend, mit ICH wiedergegeben, so ergibt sich folgender RÜ-Text: Wie ein Blitz, aufblitzend und leuchtend, so werde ICH sein an MEINEM Tag (an Ostern). 299 Q 19,1-17° Das Q-Lk-Gleichnis „Von der Eignungsprüfung (1)“ war ein Wort Jeschus an seine Schüler. Erstens: nach der Minderung des Geldes von Talent (6000 Drachmen oder Denare) auf Mine (100 Drachmen oder Denare), zweitens: nach dem konsequenten Weglassen aller längst als Zusätze erkannter Textteile, drittens: nach zwei Entlehnungen aus dem folgenden Gleichnis – kurz: nach seiner Rekonstruktion besteht das Gleichnis aus siebzehn Versen, formuliert in drei verschiedenen Rhythmen. [Dies hier zu erwähnen, ist wegen des folgenden Gleichnisses wichtig.] In 19,1.2 erzählte Jeschu, wie ein Großkaufmann, der verreisen will, drei Sklaven verschieden große Geldbeträge anvertraut mit dem Auftrag, damit Handel zu betreiben. Und in 19,3-5 erzählte er, dass zwei von ihnen die empfangenen Geldbeträge verdoppeln, während der dritte den seinen in der Erde verbirgt. In 19,6-12 erzählte Jeschu, dass der zurückgekehrte Herr jener Sklaven Rechenschaft von ihnen fordert, dass er dabei die vom ersten und zweiten erzielten Gewinne mit Lob in Empfang nimmt und dass er die beiden mit größeren Aufgaben und größerer Verantwortung belohnt. Und in 19,13-17 erzählte er, dass der dritte Sklave berichtete, warum er das empfangene Geld seines Herrn vergraben habe, warum er es, ohne Gewinn zu erzielen, an ihn zurückgibt und warum er dafür hinausgeworfen, also sich selbst überlassen wird – alles das, weil er sich fürchtete. Und warum erzählte Jeschu dieses Gleichnis? – Zweifellos, um seinen Schülern durch eine einprägsame und einleuchtende Beispielerzählung den Zusammenhang von Tat und Tatfolge einzuschärfen. 300 Kurz: Wer sich als Jeschuschüler durch verantwortliches Handeln in dieser Welt qualifiziert hat, der darf in die Himmelsherrschaft eingelassen werden. Wer sich durch unverantwortliches Handeln in dieser Welt disqualifiziert hat, der darf noch nicht in sie eingelassen werden: nicht, bevor er gelernt hat, verantwortlich zu handeln oder, anders formuliert: den Willen Gottes zu tun (vgl. Q 5,6). Nachträge: Das Talent und die Mine waren ursprünglich Gewichtseinheiten, später dann Geldbeträge, die die Griechen aus dem Orient übernommen hatten. Fünf, zwei und ein Talent (= 30000, 12000 und 6000 Drachmen oder Denare, der Gegenwert für ebenso viele Arbeitstage eines Arbeiters) waren so extrem hohe Geldbeträge, dass sie den Rahmen des von Jeschu erzählten Gleichnisses sprengen. 500, 200 und 100 Drachmen oder Denare dagegen sind durchaus angemessen. Einen Schatz oder Geld zu vergraben, galt nach damaligem Recht als der sicherste Schutz vor Dieben. Wenn jemand, wie hier der schlechte und träge Sklave, einen ihm anvertrauten Geldbetrag gleich nach dem Empfang vergrub, so war er von der Haftung befreit. Q 19,18-29° Das Q-Mt-Gleichnis „Von der Eignungsprüfung (2)“ war, wie das voranstehende Q-Lk-Gleichnis, ein Wort Jeschus an seine Schüler. Erstens: nach dem Herauslösen des mit ihm verschachtelten Gleichnisses „Vom Thronanwärter“, zweitens: nach dem konsequenten Weglassen aller längst als Zusätze erkannten Textteile, drittens: nach einer Entlehnung aus dem voranstehenden Gleichnis – kurz: 301 nach seiner Rekonstruktion besteht es aus nur zwölf Versen, formuliert in nur zwei verschiedenen Rhythmen. Dieses Gleichnis und das voranstehende Q-Lk-Gleichnis gelten in der Gleichnisforschung als Parallelen desselben Gleichnisses. Aber das ist ein Irrtum. Denn ihre ungleiche Länge (17 : 12 Verse), ihre erzählerischen Unterschiede (zum Beispiel, dass jeder der drei Sklaven nur eine Mine anvertraut bekommt) und die andersartige rhythmische Formung, beweisen, dass das Q-Mt-Gleichnis keine Parallele des Q-Lk-Gleichnisses ist, sondern eine Variation desselben Themas: zu einer anderen Zeit erzählt und wahrscheinlich an einem anderen Ort. In beiden Gleichnissen erzählte Jeschu von einem Großkaufmann, der verreisen wollte und der die Fähigkeiten und die Treue seiner drei offensichtlich unterschiedlich begabten Sklaven dadurch prüfen wollte, dass er ihnen Geld zur Nutzung anvertraute. Er hatte vor, ihnen künftig mehr anzuvertrauen. Aber bevor er das tat, wollte er ihre Eignung prüfen. In zwei Fällen fiel seine Prüfung positiv, im dritten Fall fiel sie negativ aus. Der entscheidende Vorzug der positiv beurteilten Sklaven gegenüber dem negativ beurteilten bestand darin, dass sie aktiv waren, während er passiv war. Und weil sie aktiv waren, belohnte ihr Herr ihren Einsatz dementsprechend. Folglich geht es im Leben der Schüler Jeschus auch darum, die ihnen von Gott anvertrauten Fähigkeiten nicht passiv verkümmern zu lassen, sondern sie in seinem Dienst aktiv zu nutzen. Andernfalls würden sie ihren Einlass in die Himmelsherrschaft nur unnötig verzögern. Dies war die zweite Lehre, die sie neben der über den Tat-und-Tatfolge-Zusammenhang aus den beiden Gleichnissen „Von der Eignungsprüfung“ ziehen sollten. 302 Nachtrag: Dass der schlechte Sklave das ihm anvertraute Geld offenbar gleich nach dem Empfang in sein Schweißtuch gewickelt hatte, lässt erkennen, dass er es als eine Art Geldbörse benutzte. Dann aber war jener Sklave obendrein auch noch leichtsinnig. Denn nach damaligem jüdischem Zivilrecht war er im Fall eines Verlustes ersatzpflichtig. Q 19,30 Dieser Doppel-Langzeiler – zugleich ein Amenwort – war ein Wort Jeschus an seine Schüler. Es ist in Q-Lk und in Q-Mt unmittelbar mit dem je voranstehenden Gleichnis „Von der Eignungsprüfung“ verknüpft worden. Wahrscheinlich, weil es dessen wesentlichen Inhalt in zwei Sätzen zusammenzufassen schien. Leider ist es in einem derart unsinnigen (teils verkürzten, teils erweiterten) Wortlaut überliefert, dass es so auf keinen Fall Jeschu zugeschrieben werden darf (Q-Lk 19,26, wörtlich übersetzter NTG-Text): Jedem Habenden wird gegeben werden, aber von dem nicht Habenden, auch was er hat, wird genommen werden. Dieses Urteil betrifft vor allem das zweiten Zeilenpaar. Dazu ist zu fragen: Warum ist es länger als das erste? Darauf ist zu antworten: Weil ein Bearbeiter dieses Textes den Textteil auch was er hat in ihn eingefügt haben muss. Und zwar deswegen, weil er erkannt hatte, dass der Wortlaut des zweiten Zeilenpaares (aber von dem nicht Habenden wird genommen werden, der ihm bereits in fehlerhafter griechischer Übersetzung vorlag) unsinnig ist. Denn (so wird er 303 gedacht haben): einem nichts Habenden kann auch nichts weggenommen werden. Das war eine zweifellos richtige Folgerung. Aber leider nützte sie dem, der sie hatte, gar nichts. Denn er vergaß zu bedenken, dass von einem nicht Habenden unmöglich gesagt werden kann: auch was er hat. So kam es, dass das zweite Zeilenpaar auch nach diesem Zusatz blieb, was es vorher war: unsinnig. Wäre dies alles, was über den Doppel-Langzeiler Q-Lk 19,26 ermittelt werden kann, so müsste er, weil er Jeschu nicht angemessen ist, aus dem Bestand seiner Worte ausgeschieden werden. Doch zum Glück gibt es ein formal verwandtes Jeschuwort, das so beschaffen ist, dass es nicht nur gestattet, zu erkennen, dass sein Wortlaut verstümmelt ist, sondern auch wie er rekonstruiert werden kann. Es folgt Lk 12,48 (wörtlich übersetzter NTG-Text): Jedem, dem viel gegeben worden ist, viel wird von ihm gefordert werden. Wird dieser Text zu Q-Lk 19,26 in Beziehung gesetzt, und wird dabei berücksichtigt, dass dem dritten Sklaven in beiden Fassungen des Gleichnisses „Von der Eignungsprüfung“ zwar wenig gegeben und wieder weggenommen wird (nämlich nur eine Mine), aber keineswegs nichts, so ergibt sich daraus folgender Wortlaut (RÜ-Text): Jedem, der viel hat – ihm wird hinzugefügt werden. Aber jemandem, der wenig hat – ihm wird weggenommen werden. Erstaunlich an diesem Ergebnis ist, dass sich in ihm genau das widerspiegelt, was in der Welt, in der wir leben, eine alltägliche Erfahrung ist: dass die Reichen immer rei-cher und die Armen immer ärmer werden. 304 Falls Jeschu diese Spiegelung beabsichtigt haben sollte, was sehr wahrscheinlich ist, dann ist nicht auszuschließen, dass es jene alltägliche Erfahrung war, die ihn veranlasste, diesen Doppel-Langzeiler zu formulieren. Jedoch nicht allein dazu, um einen unerträglichen Übelstand (in den diesseitig-materiellen zwischenmenschlichen Beziehungen) in ein einprägsames Wort zu fassen. Sondern vor allem dazu, um damit auszudrücken, dass dem diesseitigen So-ist-es ein jenseitiges So-wird-es-sein entspricht. Und zwar während des persönlichen Gerichts über jeden Menschen – nicht lange, nachdem er gestorben ist. Um welche Art Haben es dabei gehen wird, sollte klar sein: Um ein Getan-Haben des Willens Gottes – entsprechend den von Jeschu formulierten Einlassbedingungen, ohne deren Erfüllung niemand in die Himmelsherrschaft eingelassen werden darf (Q 5,6). Stellvertretend für sie alle kann gelten (Q 3,14): Erbarmt euch über die, die euch anfeinden! Tut Gutes denen, die euch hassen! Segnet die, die euch verfluchen! Betet für die, die euch Böses antun! Wer dies tut, nicht weil es von ihm gefordert wird, sondern weil er nicht mehr anders kann, der hat, was er braucht, damit ihm der Einlass in die Himmelsherrschaft gewährt werden kann. Q 19,31 Dieser Doppel-Langzeiler, scheinbar widersinnig formuliert, war ein Wort Jeschus an seine Schüler. Es ist – allein in den ersten drei Evangelien – fünfmal überliefert und 305 dabei jedes Mal in einem anderen Wortlaut: dreimal im so genannten Markusblock (Mt 16,25 / Mk 8,35 / Lk 9,24, siehe Nachtrag) und zweimal in Q, der so genannten Spruchquelle (Mt 10,39 / Lk 17,33). Warum? Was an seinem NTG-Text gleich oder ähnlich ist, deutet hin auf einen gemeinsamen aramäischen Urwortlaut. Vor allem tën psychën autou, das durchweg (falsch) mit „sein Leben“ wiedergegeben wird. Und was an seinem NTG-Text verschieden ist – sei es absichtlich umformuliert, hinzugefügt oder ausgelassen –, wie ist das zu beurteilen? Will man es nicht aus Gleichgültigkeit verharmlosen, so muss man es Willkür nennen: Willkür gegenüber dem geistigen Eigentum Jeschus. Von dieser Willkür sind mehr oder weniger alle fünf Fassungen betroffen, am wenigsten Q-Mt 10,39 (wörtlich übersetzter NTG-Text): Der gefunden Habende sein Leben wird es verlieren, und der verloren Habende sein Leben um meinetwillen wird es finden. Bei diesem Text genügt es, das unerlaubt einschränkende „um meinetwillen“ zu streichen (es zerstört die poetische Form) und den verbleibenden Text ins Aramäische rückzuübersetzen, um dem Originalton Jeschus ein wenig näherzukommen (vorläufiger RÜ-Text): Jemand, der sein Leben gefunden hat – er wird es verlieren. Und jemand, der sein Leben verloren hat – er wird es finden. Wohlgemerkt: ein wenig näher. Denn der von Jeschu beabsichtigte Sinn war hier (wie auch anderswo) nicht „sein Leben“, auch nicht „sich selbst“, sondern „sein Selbst“ = 306 sein Geist-Ich: das geistige Zentrum sowohl der Person als auch der Persönlichkeit eines Menschen mit ihren (vom Ursprung her) jeweils einmaligen Merkmalen, Möglichkeiten und Fähigkeiten. Dieses Selbst zu finden aber ist schwierig, ist nur dem Menschen möglich, der begriffen hat, dass sein Körper lediglich ein lebendiges Werkzeug ist, das von seinem Selbst zwar benutzt wird, keineswegs aber mit ihm identisch ist. Doch weil diese Identität von viel zu vielen Menschen gedankenlos geglaubt wird, darum kann jenes Selbst weder von ihnen gesucht noch gefunden werden. Und von diesem Selbst soll Jeschu gesagt haben: „Jemand, der sein Selbst gefunden hat – er wird es verlieren. Und jemand, der sein Selbst verloren hat – er wird es finden“? Das ergibt doch keinen annehmbaren Sinn. Wenn aber nicht, was dann? Dann kann und wird er das zumindest nicht so gesagt haben. Wie aber dann? Ganz einfach: In umgekehrter Reihenfolge und, dem aramäischen Imperfekt entsprechend, mit muss statt wird. Also: Jeder, der sein Selbst verloren hat – er muss es finden! Und jeder, der sein Selbst gefunden hat – er muss es verlieren! Und wie wollte Jeschu diesen scheinbar widersinnigen Spruch verstanden wissen? Wahrscheinlich so: Während des Urabfalls von Gott (vor unserer Welt und deren Zeit) hat jeder, der daran beteiligt war, sein (ursprüngliches) Selbst verloren. Während unsere Welt und deren Zeit existieren, muss jeder von ihnen irgendwann sein Selbst (wieder)finden. 307 Hat jeder von ihnen sein Selbst (wieder)gefunden und ist er damit in die vollkommene Einheit mit Gott zurückgekehrt (mit Jeschus Worten: in die Himmelsherrschaft eingelassen worden), dann muss jeder von ihnen sein Selbst (wenn es an sein Ziel gelangt, also vollendet ist) wieder verlieren – hinein in die vollkommene Harmonie mit allen anderen Kindern Gottes. Warum? Damit, wie Paulus formulierte, „Gott alles in allem sei“ (1Ko 15,28). Das aber ist die Vollendung, ist das Ziel des von Gott gesprochenen „Es werde!“ Oder, anders formuliert: ist das Ziel der so richtig verstandenen Evolution. Nachtrag: Der Markusblock ist die Summe aller Teile des Matthäus- und des Lukasevangeliums, die sie mit dem Markusevangelium gemeinsam haben, also aus einer allen dreien zugrunde liegenden Fassung übernommen haben. Q 19,32 Dieser Doppel-Langzeiler – der letzte Spruch des ältesten Evangeliums – ist ein Phänomen für sich. In der Rekonstruktion nach P. Hoffmann / Chr. Heil, „Die Spruchquelle Q“, Seite 113, hat er folgenden Wortlaut: Ihr .., die ihr mir gefolgt seid, werdet .. auf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richten. Diese Fassung des Q-Schlusswortes Jeschus an seine Schüler (wobei die Autoren zwischen Q-Mt 19,28 und QLk 22,28-30 zu wählen hatten) ist so beschaffen, dass es erlaubt sein muss, zu fragen: Kann nach allem, was die Spruchquelle Q zu bieten hat, sein letztes Vermächtnis an seine Schüler wirklich so gelautet haben? 308 Diese Frage wird nur dann sachgemäß beantwortet werden können, wenn zunächst der Text im vollen Wortlaut vorgelegt wird und wenn dabei die Textteile kursiv gesetzt werden, aus denen die Autoren ihre Fassung erarbeitet haben (Q-Mt 19,28 nach dem MNT): Ihr, die mir Nachfolgenden, bei der Wiedergeburt, wann sich setzt der Sohn des Menschen auf den Thron seiner Herrlichkeit, werdet auch ihr sitzen auf zwölf Thronen, richtend die zwölf Stämme Israels. Befund: Was die Autoren ausgelassen haben, das haben sie zu Recht ausgelassen. Denn so, wie es dasteht, widerstreitet es dem Sprachgebrauch Jeschus. – Eindeutig und zweifelsfrei. Und wie steht es um das, was sie stehen gelassen haben? Keineswegs besser! Denn so, wie es dasteht, wiederstreitet es nicht nur der Lehre und der Verkündigung Jeschus von der diesseitig-geistigen Gottesherrschaft die da ist, sondern auch der von der jenseitig-geistigen Himmelsherrschaft, in die selbst die Zwölf nur dann eingelassen werden können, wenn sie die Einlassbedingengen erfüllt haben (um nur eine ausschließlich an sie gerichtete Einlassbedingung zu nennen: Mt 5,20). Es folgt der Alternativtext, den die Autoren Hoffmann und Heil ausdrücklich als Parallele notiert haben (jedoch ohne den für mich unwichtigen Vers 30). Diesmal werden die Textteile kursiv gesetzt, aus denen ich meine Fassung erarbeitet habe (Q-Lk 22,28.29, ebenfalls nach dem MNT): Ihr aber seid die, die durchgehalten haben mit mir in meinen Versuchungen; 309 und ich vermache euch, gleichwie mir vermachte mein Vater ein Königtum. Befund: Wie bei Hoffmann und Heil, so gilt auch hier: Was ich ausgelassen habe, widerstreitet so, wie es dasteht, dem Sprachgebrauch Jeschus. – Ebenso eindeutig und genau so zweifelsfrei. Und wie steht es um das, was ich stehen gelassen habe? Gut, wenn auch mit Einschränkungen – weil die MNTÜbersetzer den verstümmelten NTG-Text weitgehend ungenau übersetzt haben. Es folgt ein wörtlich übersetzter, aber anders lautender NTG-Text): Ich verfüge für euch, wie mein Vater für mich verfügt hat, eine Herrschaft. Dass die erste dieser drei Zeilen unvollständig ist, steht aus poetischen Gründen fest. Ebenso auch, dass „eine Herrschaft“ weder zur zweiten noch zur ersten Zeile passt, die ja mitgemeint ist. Und was passt zu beiden Zeilen? Und zwar so, dass sie zusammen den Originalton wiedergeben. Erstaunlicherweise steht die Antwort auf diese Frage im Kleingedruckten (im textkritischen Apparat des NTG-Textes) zur Stelle. Danach wäre in die erste Zeile, aufgrund mehrfacher Bezeugung, diathëkën „einen Bund“ einzufügen. Und in der zweiten Zeile wäre dann, einmal bezeugt, basileian „eine Herrschaft“ durch diathëkën „einen Bund“ zu ersetzen. Wird der so korrigierte NTG-Text von Q-Lk 22,29 ins Aramäische rückübersetzt und wird er dabei der Poesie Jeschus entsprechend rekonstruiert, so ergibt sich ein Wortlaut, der wirklich als sein letztes Vermächtnis gelten kann – sowohl formal als auch inhaltlich: 310 Wie Abba schloss einen Bund mit mir, so schließe ich einen Bund mit euch. Dass es sich bei dem in diesem Jeschuwort erwähnten Bund um den „Neuen Bund“ handelt, daran kann es keinen berechtigten Zweifel. geben. Mit ihm dehnte Jeschu den Bund, den Abba mit ihm geschlossen hatte – zweifellos, bevor er Mensch wurde –, auf seine Schüler des Zwölferkreises aus. Das heißt auf diejenigen seiner Schüler, die sozusagen seine Rechtsnachfolger sein sollten. Zu fragen ist nun, bei welcher Gelegenheit mag Jeschu sein „Schlusswort“ gesprochen haben? – Wahrscheinlich während des letzten Mahles mit den Zwölf. Denn nach dem Zeugnis der ersten drei Evangelien (Mt 26,28 / Mk 14,24 / Lk 22,20) gebrauchte er das Wort „Bund“ nur dieses eine Mal, bei Lukas sogar die Wendung „der Neue Bund“. Es ist schwer vorstelbar, dass dies lediglich purer Zufall sein sollte oder reine Konstruktion. Denn wenn überhaupt, dann war dies der gegebene Zeitpunkt, das zu tun. Warum? – Weil jeder Bund mit Blut besiegelt werden musste. Und wie war das beim „Neuen Bund“, der durch den Propheten Jeremia (31,31-33) verheißen wurde, der durch die Botschaft Johannes des Täufers vorbereitet und durch Jeschus Verkündigung und Lehre in die Wege geleitet wurde? Er wurde durch das Blut Jeschus besiegelt, „der sein Selbst hingab als Lösegeld für alle“ (Mt 20, 28 / Mk 10,45 / 1Ti 2,5.6). Nachträge: Das auf Seite 310 zweimal zitierte Wort „verfügen“ (griech. diatithëmi) gewinnt, wenn es mit dem Wort „Verfügung, Testament“ (griech. diathëkë) verbunden wird, den Sinn „einen Bund schließen“. Damit ist erwiesen, 311 dass die obige Rekonstruktion – wenn auch schwach – durch das Griechische beglaubigt ist und nicht erst durch die Rückübersetzung ins Aramäische gewonnen wurde. Abschließend ist zu fragen: Welcher Wortlaut von Lk 22,29 wird Jeschu und seiner rhythmisch gebundenen Redeweise eher gerecht? Der dem Sprachgebrauch Jeschus widerstreitende, verstümmelte NTG-Text?: Ich verfüge für euch, wie mein Vater für mich verfügt hat, eine Herrschaft. Oder der wiederhergestellte RÜ-Text?: Wie Abba schloss einen Bund mit mir, so schließe ich einen Bund mit euch. Dazu ist zu ergänzen: Die Handschrift, in der diathëkën „einen Bund“ beide Male belegt ist, trägt die Nummer 579. Sie wird von den Herausgebern des NTG dem 13. Jahrhundert zugeschrieben. Dennoch enthält sie zu Lk 22,29 eine Lesart, die denen einiger Papyri aus dem 3. Jahrhundert und denen der „großen“ Handschriften aus dem 4. Jahrhundert überlegen ist. Daraus folgt: Das höhere Alter einer Handschrift garantiert keineswegs einen durchweg zuverlässigeren Wortlaut, als der einer jüngeren Handschrift. Denn: Auch eine um Jahrhunderte jüngere Handschrift kann – wo immer ihr eine ältere Vorlage zugrunde liegt – einen zuverlässigeren Wortlaut bieten. Entscheidend sind allemal – Textteil für Textteil – textinterne Kriterien, wie zum Beispiel Klarheit, Verstehbarkeit, Sprachgebrauch und (bei den Worten Johannes des Täufers, Jeschus, oft auch des Apostels Paulus!) poetische Form. 312 Ein persönliches Nachwort Dieses Buch habe ich geschrieben, um seinen Leserinnen und Lesern mitteilen zu können, was dabei herauskommen kann, wenn die so genannte „Spruchquelle Q“ (die Summe aller Textteile des Matthäus- und des Lukasevangeliums, deren in Griechisch überlieferter Wortbestand mehr oder minder übereinstimmt) nicht unmittelbar ins Deutsche übersetzt wird, sondern wenn sie nach den Regeln der hebräischen Poesie (an die Johannes der Täufer und Jeschu sich konsequent gehalten haben) erst in Sinnzeilen gesetzt, dann von offenkundigen Zusätzen gereinigt, anschließend ins Aramäische, die Lehr- und Verkündigungssprache beider, rückübersetzt und dabei von allen erkannten ( ! ) Fehlern und Mängeln befreit worden ist. Die Ergebnisse dieser Arbeitsweise liegen den Leserinnen und Lesern dieses Buches in zweifacher Form vor: in einem Textteil, dessen Wortlaut weithin anders ist als der der herkömmlichen Übersetzungen des Neuen Testaments, und in einem Kommentarteil, dessen Formulierungen und Folgerungen – als Folge davon – ebenfalls anders sind als die der herkömmlichen Kommentare. Richtig ist: Diese Arbeitsweise und deren Ergebnisse sind stark subjektiv geprägt; allein dadurch schon, dass sie sich gegenseitig bedingen, fordern und fördern. Dennoch wurden sie nicht in einem weltabgewandten Elfenbeinturm gewonnen. Sondern: Sie sind die Summe von Gedanken aus ungezählten Predigten, Andachten, Vorträgen, Ansprachen, Diskussionen und Gesprächen wäh- 313 rend meines mehr als 20jährigen Dienstes als Pastor der Hannoverschen Landeskirche. Und sie sind die Summe von Gedanken aus etlichen Artikeln, Aufsätzen und Büchern während meiner etwa 40jährigen aramaistischen Studien, deren einziges Ziel es war, herauszufinden, was Jeschu wirklich gesagt und was er mit dem Gesagten gemeint hat. Richtig ist ferner: Diese Arbeitsweise – obwohl keineswegs gänzlich neu – erscheint (in der Konsequenz, in der ich sie betreibe) äußerst befremdlich. Und ihre Ergebnisse erwecken gelegentlich einen derart irritierenden Eindruck, dass sie Widersspruch erzeugen. Vor allem deswegen, so schrieb mir einmal der Cheflektor eines angesehenen theologischen Verlages, weil sie „keine Auseinandersetzung mit der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion“ bieten. Doch das scheint nur so! – Denn ich biete jene Auseinandersetzung sozusagen zwischen den Zeilen: um die Leserinnen und Leser meiner Arbeiten nicht mit langatmigen Argumentationen zu langweilen. Dies ist jedoch ein untergeordneter Grund. Der Hauptgrund ist der, dass die aktuelle wissenschaftliche Diskussion – in diesem Fall über die Spruchquelle Q – in einem völlig anderen geistigen Raum stattfindet als meine aramaistischen Studien. Nämlich in dem sehr beengten und erstarrten sprachlichen Raum, den der „Standard-Text“ des griechischen Neuen Testaments zu bieten hat. Den aber halte ich (notgedrungen!) für einen weithin unzuverlässigen Übersetzungstext – wie ich in diesem Buch darzulegen versucht habe. Im Übrigen weiß ich aus langjähriger und leidvoller Erfahrung, dass zwei gegensätzliche Positionen jede fruchtbare Diskussion ausschließen. Welche die überzeugendere ist, lässt sich nur an den Ergebnissen ablesen. Jenseits aller Diskussionen. 314 ANHANG 315 INHALT Zur Rhetorik Jeschus 317 Gleichnisse Lehrgedichte Dreiungen Amenworte Menschensohnworte Variationen 317 318 318 319 319 320 Exkurse 321 1. Die Gottesanrede Abba 2. Die Weisung Gottes 3. Bewusste Textänderungen? 321 322 323 Qellen Hilfsmittel und Monographien Abkürzungen 326 326 329 Nachträge 331 1. Zu dem Täuferwort Q 1,6 2. Zu dem Jeschuwort Q 12,5 Umschrifttabelle 331 334 343 316 ZUR RHETORIK JESCHUS Was hier mitgeteilt werden soll, sind nur die für Jeschus Lehre und Verkündigung wichtigsten rhetorischen Formen, die im ältesten Evangelium vorkommen. Zur Poesie Jeschus verweise ich auf mein Buch „Worte des Rabbi Jeschu“, Seiten 151 bis 160. Gleichnisse Jeschu war ein Gleichniserzähler von hohem Rang. Wohlgefügt sind die kleinen, anschaulich und spannend sind die großen, poetisch geformt sind sie alle. Er bediente sich ihrer zu verschiedenen Zwecken: um zu belehren, zu veranschaulichen, wachzurütteln; um zu erklären, zu warnen, zur Selbstbesinnung anzuregen und – um seine Botschaft und sein Handeln zu verteidigen. Im ältesten Evangelium gibt es sechzehn Gleichnisse. Es folgen die Belege: Q 5,8-13: Q 6,24-26: Q 9,8: Q 9,9.10: Q 9,12-15: Q 14,1.2: Q 14,3-8: Q 14,17-19: Q 15,1: Q 15,2: Q 16,1-12: Q 16,13-17: Q 18,1.2: Vom vernünftigen und vom unvernünftigen Bauherrn Von den streitenden Kindern Von der Fesselung des Mächtigen Vom Zweikampf mit dem Mächtigen Vom Rückfall Vom nächtlichen Einbrecher Vom Tun und Ergehen zweier Sklaven Vom Gang vor Gericht Vom Senfkorn Vom Sauerteig Vom Gastmahl (1) Vom Gastmahl (2) Vom verlorenen Schaf 317 Q 18,3.4: Von der verlorenen Drachme Q 19,1-17: Von der Eignungsprüfung (1) Q 19,18-29: Von der Eignungsprüfung (2) Lehrgedichte Die Lehrgedichte Jeschus sind wohl anders formuliert als seine Gleichnisse, aber sie sind formal und inhaltlich von ebenso hoher Qualität wie sie. Im ältesten Evangelium gibt es neun Lehrgedichte. Es folgen die Belege: Q 4,7-18: Q 4,23-25: Q 10,6.7: Q 13,1-11: Q 14,11-13: Q 14,14-16: Q 15,3.4: Q 18,13.14: Q 18,15-17: Über Wohltätigkeit, Fasten und Beten Über einen Zwist zwischen zwei Brüdern Über die Königin von Saba und die Männer von Ninive Über die Sorglosigkeit Über Wettervorhersagen (1) Über Wettervorhersagen (2) Über die zwei Wege Über die Zeit Noachs und die Zeit Lots Über Fortgeführt- und Zurückgelassenwerden Dreiungen Unter den Symbolzahlen ist die Drei die Zahl, die dem Wort „alles“ beziehungsweise dem Begriff „das Ganze“ entspricht. In volkstümlichen Erzählungen gab es seit Urzeiten überall auf der Welt drei Wünsche, drei Versuche, drei handelnde Personen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Jeschu – nicht nur als Gleichniserzähler, sondern auch als Verkündiger und Lehrer – Dreiungen formuliert hat. Im ältesten Evangelium gibt es vierzehn Dreiungen. Es folgen die Belege: 318 Q 3,3-5; 3,11-13; 3,16-18; 4,2-4; 4,7-18; 6,11-16; 7,21-23; 8,6.7; 8,9-11; 16,1-12; 17,1-3; 18,15-17; 19,1-17; 19,18-29. Amenworte Amen ist ein hebräisches Lehnwort, das unmittelbar ins Aramäische eingegangen ist und von dort über Jeschu und seine Schüler ins älteste Evangelium. Es bedeutet: „So ist es! So geschehe es!“ Im Talmud heißt es von ihm: „Amen ist Bekräftigung, amen ist Schwur, amen ist Übernahme.“ Jeschuworte, denen ein Amen! Amen! – Ich soll euch sagen voransteht, sind Offenbarungsworte, das heißt Worte, die Jeschu durch Inspiration empfangen hatte. Mit dem ersten Amen! bestätigte er ihren Empfang; und zugleich, dass er den Willen Gottes, der in ihnen ausgesprochen war, als eine Macht anerkannte, die sich von selbst verwirklicht. Und mit dem zweiten Amen! verbürgte er ihre wortgetreue Weitergabe an seine Hörer, weit überwiegend an seine Schüler und Anhänger. Im ältesten Evangelium gibt es neun Amenworte. Es folgen die Belege: Q 5,6; 12,9; 14,19; 17,9; 17,10; 17,11; 18,9; 18,10; 19,30. Menschensohnworte Im Textteil dieses Buches habe ich den NTG-Ausdruck „der Sohn des Menschen“ (= „der Menschensohn“) zehnmal und den NTG-Ausdruck „der Sohn“ (eine Verkürzung von „der Menschensohn“) zweimal mit ICH wiedergegeben. Es folgen die Belege: 319 Q 6,26; 7,2; 8,2; 8,2; 10,4; 10,5; 12,9; 12,10; 12,11; 18,13; 18,14; 18,19. An allen diesen Stellen liegt den beiden NTG-Ausdrücken das aramäische bar naša’ zugrunde. Diesen Begriff mit „der Menschensohn“ zu übersetzen, war an keiner Stelle berechtigt. Denn soviel ist sicher: In allen oben aufgelisteten Jeschuworten – auch in den von frühchristlichen Übersetzern und/oder Bearbeitern veränderten – ist bar naša’ („der Mensch, ein Mensch, jemand“) eine verhüllende Umschreibung für ich. Jeschu gebrauchte sie immer dann, wenn er sich scheute, ich zu sagen. – Aus Bescheidenheit! Variationen Dass Jeschu seine Worte (Gleichnisse eingeschlossen) je nach Anlass und Zuhörern variiert haben wird, sollte als selbstverständlich gelten dürfen. Als so selbstverständlich, wie es dieser Tatbestand verdient. Im ältesten Evangelium gibt es dreizehn Variationen. Es folgen die Belege: Q 3,3-5 // 3,11-13 Q 4,5 // 4,6 Q 5,6 // 5,7 Q 6,19-21 // 6,22.23 Q 9,8 // 9,9.10 Q 11,10.11 // 11,12-14 Q 13,13.14 // 13,15 Q 14,11-13 // 14,14-16 Q 15,3.4 // 15,5 Q 16,1-12 // 16,13-17 Q 17,9 // 17,10 Q 18,9// 18,10 Q 19,1-17// 19,18-29 Bei allen dieses Texten handelt es sich nicht um Parallelen, die lediglich anders wiedergegeben oder umformuliert worden sind. Sondern: Wie ihre jeweils anderen poetischen Formen verraten, sind sie eigenständige Variationen desselben oder eines ähnlichen Themas. 320 EXKURSE 1. Die Gottesanrede Abba Abba (aram. ’abba’, Lallwort der Kleinkindersprache, zu betonen auf der Endsilbe) ist dem deutschen „Papa“ vergleichbar. Mit ihm redete Jeschu Gott immer an. Und mit ihm sprach er fast immer von Gott. Abba war der besondere, so nur Jeschu eigene Ausdruck seines Verhältnisses zu Gott: begründet in seiner innigen Verbindung mit Gott und in seinem unbedingten Vertrauen zu ihm; in der Gewissheit, von Gott eine einzigartige Offenbarung und Vollmacht empfangen zu haben, und in der Erkenntnis, Gott gegenüber zu völliger Hingabe verpflichtet zu sein. Abba kann in den Worten Jeschus, je nach Sinnzusammenhang, „Vater“ und „der Vater“ bedeuten; aber auch „mein, dein, unser, euer Vater“. Da alle diese Bedeutungen von Abba jedes Mal mitschwingen, lässt es sich nirgends mit nur einem deutschen Ausdruck angemessen wiedergeben. Daraus folgt: Wer Jeschus Sprachgebrauch nicht verfremden will, der sollte das Wort Abba unübersetzt lassen. Abba statt „Gott“ sagte Jeschu weder willkürlich noch zufällig, sondern immer ganz bewusst. Damit offenbarte er Gott als liebenden Vater, als die Güte in Person. Warum er das tat, ist offenkundig. – Weil das Wort „Gott“ durch zahllose Kulte und Religionen mit teilweise barbarischen Vorstellungen belastet war und weil er alle Menschen als „Kinder Gottes“ betrachtete, denen seine Liebe gilt. Abba ist der Ausgangs- und der Zielpunkt der Lehre Jeschus. Denn nach ihm kommen wir alle von Gott her und 321 kehren alle zu ihm zurück, wie der „verlorene Sohn“ in einem der bewegendsten seiner Gleichnisse Lk 15,11-24. Doch wenn das so ist, wenn Gott vom Ursprung her unser aller Vater ist, dann ist unsere Zukunft hoffnungsvoll. 2. Die Weisung Gottes Man nennt sie „Die zehn Gebote“. Warum eigentlich? Gerechtfertigt ist das nicht. Denn mindestens acht von ihnen sind keine Ge-bote sondern Ver-bote. Sind sie das aber, dann sollte man sie auch Verbote nennen. Das wäre nicht nur konsequent, sondern das lässt auch darauf schließen, dass die beiden Gebote Gedenke des Tags der Feier, ihn zu heiligen und Ehre deinen Vater und deine Mutter (2Mo 20,8 und 12, zitiert nach M. Buber, „Die Bücher der Weisung“, 9. Auflage 1976) nicht zum Urbestand der Weisung Gottes gehören. Damit soll nicht ihre Daseinsberechtigung an sich angetastet werden, sondern nur ihre Berechtigung, zur Urfassung der Weisung Gottes zu gehören. Denn deren Worte werden im Hebräischen – ursprünglich, aus textinternen Gründen – alle mit lo’ „nicht“ begonnen haben. Es folgen die Präambel und die neun Verbote, die übrig bleiben, nachdem der Textbestand von 2Mo 20,2-17 auf das Ursprüngliche und Wesentliche reduziert worden ist: PRÄAMBEL Ich bin der Ewige, dein Gott, der ich dich aus Ägypten geführt habe, aus der Knechtschaft. 322 DIE VERBOTE Habe keine anderen Götter! Mach dir kein Götterbild! Wirf dich nicht vor ihm nieder! Morde nicht! Hure nicht! Stiehl nicht! Sage nicht aus gegen deinen Nächsten! Begehre nicht das Haus deines Nächsten! Begehre nicht die Frau deines Nächsten! Man bedenke: Das sicher nicht zufällige Ergebnis dieser Rekonstruktion besteht aus zwölf Gliedern. Nämlich: aus einer dreigliedrigen Präambel und aus einer Dreiung von je drei Verboten. Die ersten drei Verbote betreffen Gott. Die zweiten drei betreffen die eigene Person. Die dritten drei betreffen die Person des Nächsten. Diese zwölf Zeilen hätten auf zwei Steintafeln Platz gehabt. Mit ihnen war alles gesagt, was zu sagen Not tat. Kein Wort war zuviel und keines zuwenig. Jedes weitere Wort wäre Gott nicht gemäß gewesen. Es hätte nur zerredet, was zu sagen war! 3. Bewusste Textänderungen? Zu dieser Frage äußerte sich Constantin von Tischendorf, einer der ganz großen Erforscher des Grundtextes zum Neuen Testament, wie folgt (auszugsweise entnommen aus „Haben wir den ächten Schrifttext der Evangelisten und Apostel?“, zweite Auflage 1873): 323 „Bei jedweder Schrift ist ein wesentliches Erfordernis die Aechtheit, die Richtigkeit ihres Textes … jeder Antheil einer fremden Hand daran, sie mag dazu oder davon gethan, oder auch den Ausdruck geändert haben, ist eine unwillkommene Beeinträchtigung der Aechtheit. Wodurch wurde nun die Textesächtheit der alten Schriften gesichert? Sie hing zumeist von den Abschreibern ab, von ihrem Geschick und ihrer Sorgfalt, von ihrer Ehrlichkeit und Gewissenhaftigkeit. Die Aufgabe einer treuen genauen Abschrift war, schon äusserlich betrachtet, nicht leicht. Nach alter Schreibweise lief der Text ohne Trennung der einzelnen Wörter von einander, auch ohne Interpunktion, also in einem Zuge fort: wie nahe lag da, zumal bei schleuniger Arbeit, Irrthum des Auges und Missverständnis. Es konnte sich aber auch Vorwitz und unberufener Eifer am ächten Text vergreifen. Und war eine einzige mehr oder weniger gefälschte, unrichtige Abschrift in den Verkehr gebracht: leicht konnte sie von neuem abgeschrieben und mit ihren Unrichtigkeiten weiter verbreitet werden“ (Seite 7). „Hiernach ist der Neutestamentliche Text schon in den ersten Jahrhunderten seines Bestehens vielfachen Entstellungen verfallen, eine Annahme, die bereits im vierten Jahrhunderte von Hieronymus, dem vom Papste Damasus beauftragten Verbesserer der alten lateinischen Bibeltexte, getheilt und offen ausgesprochen worden ist. Nach meiner eigenen Ueberzeugung gehen diese Entstellungen sogar allermeist aufs erste und zweite Jahrhundert zurück“ (Seite 13). „Legen wir uns hierauf die Frage wieder vor, was die Beeinträchtigung der Textesreinheit unserer heiligen Bücher veranlasst haben mag, so reicht es nicht hin, auf die allgemeinen Ursachen hinzuweisen, deren wir vorher gedacht 324 haben. Vielmehr kommt dazu, dass man diese Schriften von Anfang an nicht als Literaturwerke ansah, deren Buchstäblichkeit den höchsten Wert habe. Sie gingen in die christlichen Gemeinden aus, und mancher glaubte, namentlich bei den Evangelien, seinerseits eine Nachhilfe anwenden zu dürfen, sei es durch Erweiterung und Zusätze oder durch Verbesserungen. Man passte die eine Stelle der anderen an und erlaubte sich ähnliches: alles im vermeintlich frommen Eifer. Auch dogmatische Willkür trat hinzu, sowie die Macht der mündlichen Tradition. Und dies geschah in derjenigen frühen Zeit, wo die junge Kirche bei ihrer Zerstreuung in viele Länder noch keine strengere Controle über dergleichen üben konnte, um so weniger, als die Neutestamentlichen Schriftexemplare sogar Gegenstand feindlicher Verfolgung waren. Als man später Einsicht von der Eigenwilligkeit gewann, die hier obgewaltet, war es zu spät und auch zu schwer, den Scha-den wieder auszugleichen. Durch die Erhebung des Christenthums zur Staatsreligion änderten sich allerdings die Verhältnisse auch in dieser Beziehung. Und es war ein Ergebniss der allmäligen staatsmässigen Organisation der Kirche selbst, dass sie über das heilige Eigenthum, das ihr in den apostolischen Schriften gegeben war, erfolgreicher wachte. Doch wurde der Vielgestaltigkeit der Texte nur insofern entgegengearbeitet, als der kirchlich angewandte Text von da ab eine gewisse Gleichmässigkeit annahm, wie in der griechischen, so in der lateinischen Kirche, ohne dass jedoch gerade für diese Textesform eine besondere wissenschaftliche Berechtigung vorlag“ (Seiten 14 und 15). 325 Quellen Biblia Hebraica Stuttgartensia, ed. K. Elliger et W. Rudolph (1967/77) Comparative Edition of the Syriac Gospels. Aligning the Sinaiticus, Curetonianus, Peshitta and Harklean Versions, Volume I-IV, ed. G. A. Kiraz (Second Edition 2002) Evangelion Da-Mepharreshe, ed. F. Crawford Burkitt, Volume I (1905) Evangeliarium Hierosolymitanum, ed. P. de Lagarde (1892) Nestle-Aland: Novum Testamentum Graece (27. revid. Auflage, nach dem 6. Druck 1999) The New Covenant, Commonly Called The New Testament. Peshitta Aramaic Text with a Hebrew Translation, ed. The Aramaic Scriptures Research Society in Israel (1986) The Palestinian Syriac Lectionary of the Gospels, ed. A. Smith Lewis and M. Dunlop Gibson (1899) Hilfsmittel und Monographien Calwer Bibellexikon I-II, ed. O. Betz, B. Ego und W. Grimm in Verbindung mit W. Zwickel (2003) Das Bedeutungswörterbuch, Duden 10, ed. Dudenredaktion (3. neu bearbeitete und erweiterte Auflage 2002) Die Spruchquelle Q, Studienausgabe Griechisch und Deutsch, ed. P. Hoffmann / Chr. Heil (2002) Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, Gesamtausgabe, in neuer Rechtschreibung (1. Auflage 1999) Evangelium nach Thomas, ed. A. Guillaumont, H.-Ch. Puech, G. Quispel, W. Till und † Yassah ‘Abd al Masîh (1959) Koptisch-gnostische Schriften aus den Papyrus-Codices von Nag-Hamadi, ed. Leipold-Schenke (1960) Münchener Neues Testament, Studienübersetzung, ed. J. Hainz (1. Auflage 1988) Neophyti 1, Targum Palestinense I-VI, ed. Diez Macho (1968-1979) Synopsis Quattuor Evangeliorum, ed. K. Aland (4. revid. Auflage 1967) 326 The Bible in Aramaic I-IV B, ed. A. Sperber (1959-1973) Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament I-VIII, ed. G. J. Botterweck / H. Ringgreen (1973 ff.) Aland, K.: Das Neue Testament – zuverlässig überliefert (1986) Aland, K. / B. Aland: Der Text des Neuen Testaments (1982) Bauer-Aland: Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments (6. Auflage 1988) Beyer, K.: Die aramäischen Texte vom Toten Meer (1984); ders.: Ergänzungsband (1994) Biedermann, H.: Knaurs Lexikon der Symbole (1989) Black, M.: Die Muttersprache Jesu, Das Aramäische der Evangelien und der Apostelgeschichte (1982) Boman, Th.: Die Jesus-Überliefrung im Lichte der neueren Volkskunde (1967) Brockelmann, C.: Syrische Grammatik (12. Auflage 1976) Buber, M.: Die Bücher der Weisung (9. Auflage 1976) Bücher der Kündung (7. Auflage 1978) Burney, C. F.: The Poetry of Our Lord (1925) Casey, M.: An Aramaic Approach to Q (2002) Cooper, J. 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Auflage, 1983) Sokoloff, M.: A Dictionary of Jewish Palestinian Aramaic (2. Auflage 2002) Wellhausen, J.: Einleitung in die drei ersten Evangelien (1905) Zimmermann, F.: The Aramaic Origin of the Four Gospels (1979) 328 Abkürzungen biblischer Bücher (nach dem Calwer Bibellexikon) 1Mo 2Mo 3Mo 4Mo 5Mo Jos Ri Rut 1Sm 2Sm 1Kö 2Kö 1Ch 2Ch Esr Neh Est Hi Ps Spr Pr Hl Jes Jer Kgl Hes Dan Hos Jo Am Ob Jon Mi 1. Mose (Genesis) 2. Mose (Exodus) 3. Mose (Leviticus) 4. Mose (Numeri) 5. Mose (Deuteronomium) Das Buch Josua Das Buch der Richter Das Buch Rut 1. Buch Samuel 2. Buch Samuel 1. Buch der Könige 2. Buch der Könige 1. Buch der Chronik 2. Buch der Chronik Das Buch Esra Das Buch Nehemia Das Buch Ester Das Buch Hiob (Ijob) Das Buch der Psalmen Die Sprüche Salomos Der Prediger Salomo (Kohelet) Das Hohelied Salomos Der Prophet Jesaja Der Prophet Jeremia Die Klagelieder Jeremias Der Prophet Hesekiel (Ezechiel) Der Prophet Daniel Der Prophet Hosea Der Prophet Joel Der Prophet Amos Der Prophet Obadja Der Prophet Jona Der Prophet Micha 329 Nah Hab Ze Hag Sa Mal Der Prophet Nahum Der Prophet Habakuk Der Prophet Zephanja Der Prophet Haggai Der Prophet Sacharja Der Prophet Maleachi Mt Mk Lk Jh Apg Rö 1Ko 2Ko Gal Eph Phl Kol 1Th 2Th 1Ti 2Ti Tit Phm 1Pt 2Pt 1Jh 2Jh 3Jh Heb Jak Jud Off Das Evangelium nach Matthäus Das Evangelium nach Markus Das Evangelium nach Lukas Das Evangelium nach Johannes Die Apostelgeschichte Der Römerbrief 1. Korintherbrief 2. Korintherbrief Der Galaterbrief Der Epheserbrief Der Philipperbrief Der Kolosserbrief 1. Thessalonicherbrief 2. Thessalonicherbrief 1. Timotheusbrief 2. Timotheusbrief Der Titusbrief Der Philemonbrief 1. Petrusbrief 2. Petrusbrief 1. Johannesbrief 2. Johannesbrief 3. Johannesbrief Der Hebräerbrief Der Jakobusbrief Der Judasbrief Die Offenbarung (Apokalypse) 330 NACHTRÄGE 1. Zu dem Täuferwort Q 1,6 Denn ich soll euch sagen: Gott ist imstande, aus diesen Steinen dem Abraham Kinder erstehen zu lassen. Es folgen die ersten beiden Absätze meines Kommentars zu diesem Täuferwort: „Abrahamskinder aus Steinen? Ist dieser Dreizeiler des Täufers – er enthält ein Wortspiel zwischen ’abenajja’ und benîn, PS-Text – nicht völlig überspannt?! So könnte es scheinen, wenn man das Wort Steine wörtlich verstünde. Doch das wäre sinnwidrig. Denn Johannes meinte Menschen, als er dies sagte. Freilich Menschen, deren Körper zwar lebendig war, deren Geist jedoch tot war. Ebenso tot, wie es die Steine waren, die überall im Jordantal, in dem er taufte, herumlagen.“ Ein Leser des fast abgeschlossenen Manuskripts zu diesem Buch schrieb zu diesem Kommentarteil folgende Notiz an dessen Rand, die ich nicht übergehen möchte, weil auch andere Leserinnen und Leser ähnlich empfinden könnten. „Ich glaube, dass es sich bei ‘diesen Steinen’ um ein Bildwort handelt – wie bei dem Kamel, das durch ein Nadelöhr gehen soll. Dann könnte der Täufer ja durchaus auf irgendwelche Steine gezeigt und gemeint haben, Gott könnte selbst aus diesen Kinder Abrahams erstehen lassen.“ Es folgt meine Antwort: Der Übergang von Vers 5 zu Vers 6 Wir haben Abraham zum Vater! könnte Ihnen Recht geben. Und dass die Verfas- 331 ser von Q-Mt und Q-Lk so gedacht haben, glaube ich auch. Aber: Was sie so geschrieben oder abgeschrieben haben, das war kein Redeprotokoll, sondern ein vielleicht schon seit längerem überlieferter Text. Hinzu kommt noch: Die Einleitungsformel Denn ich soll euch sagen verrät eine Naht zwischen zwei verschiedenartigen Texten, markiert also einen Neueinsatz. Hier sogar einen Wechsel der Zuhörer. Was die Verse Q 1,5 und 6 miteinander verbindet, ist allein das Stichwort Abraham. Und dies war dem Sammler oder den Sammlern von Q bereits Grund genug, sie miteinander zu verknüpfen. [Dazu ist anzumerken: Die ganze Bergpredigt (und nicht nur sie) besteht aus Einzelworten, Spruchgruppen und Lehrgedichten Jeschus etc., die nach der Stichwortmethode aneinander gereiht, gelegentlich auch ineinander geschachtelt worden sind.] Liest man nun aufgrund dieser Erkenntnis Q 1,6 als Einzelwort, wie die Einleitungsformel Denn ich soll euch sagen nahelegt, so erinnern das Wort „Steine“ und das Stichwort „Abraham“ an Jes 51,1.2, wo die Stein- beziehungsweise Felssymbolik ebenfalls vorliegt (zitiert nach M. Buber, „Bücher der Kündung“, 7. Auflage 1978): Blicket auf den Fels, daraus ihr wurdet gehauen, auf die Brunnenhöhlung, daraus ihr wurdet erbohrt! Blicket auf Abraham, euren Vater, auf Ssara, die mit euch kreißte! Dass Johannes, der Priestersohn, diesen erwählungsgeschichtlich wichtigen Text kannte, ist gewiss. Dann aber lassen die Steinsymbolwörter beider Propheten (bei Johannes „Steine“ und „Abraham“, bei Deuterojesaja „Fels“ und 332 „Abraham“) keinen anderen Schluss zu als den, dass Johannes mit den Steinen Menschen meinte. Menschen die zu (geistigen) Abrahamskindern erstehen würden. Dafür, dass es so ist, spricht außerdem die Wendung erstehen zu lassen. Denn zu buchstäblichen, also zu leblosen Steinen passt sie nicht. Ich erinnere an Rö 9,7 (EÜ-Text): … auch sind nicht alle, weil sie Nachkommen Abrahams sind, deshalb schon seine Kinder … Und ich erinnere an 1Pt 2,3b-5, einen dreiversigen Fels/ Stein-Hymnus, wiedergegeben nach dem P-Text: Gütig ist er, der Herr, dem ihr euch genähert habt, weil er ein lebendiger Fels ist. Auf ihm werdet ihr aufgebaut als lebendige Steine, sodass ihr ein geistiger Tempel werdet: zur Darbringung geistiger Opfer, die annehmbar sind vor Gott durch Jeschu den Gesalbten. Das Thema dieses Hymnus ist der Bau des geistigen Tempels Gottes, der auf geistige Weise aus lebendigen Steinen auf einem lebendigen Felsen aufgebaut wird. Nämlich auf Jeschu dem Gesalbten. Woran Johannes dachte, als er die in Q 1,6 enthaltene uralte Steinsymbolik benutzte, war natürlich etwas ganz und gar anderes; etwas, das an Jes 51,1.2 anklingt. Aber dass er sie benutzte und nicht etwa meinte, Gott werde aus materiellen Steinen Abrahamskinder erstehen lassen, ist sicher. Und zu erstehen lassen erinnere ich an Mk 12,19. An einen Text, der keinen Zweifel daran zulässt, wie dieser Begriff zu verstehen ist (wörtlich übersetzter NTG-Text): 333 Wenn jemandes Bruder stirbt und eine Frau zurücklässt und kein Kind hinterlässt, soll sein Bruder die Frau nehmen und soll seinem Bruder Nachkommenschaft erstehen lassen. 2. Zu dem Jeschuwort Q 12,5 Werden nicht verkauft zwei Sperlinge für ein As?! Es folgt der dieses Jeschuwort betreffende Teil meines Kommentars: „In Q-Mt 10,29a-c hat der NTG-Text: ‘Werden nicht verkauft zwei Sperlinge für ein As?!’ Und in Q-Lk 12,6a-c hat er: ‘Werden nicht verkauft fünf Sperlinge für zwei As?!’ Warum? Was ist richtig, zwei Sperlinge oder fünf? Zwei Sperlinge wird richtig sein. Denn wahrscheinlich dachte Jeschu, als er diesen Dreizeiler formulierte, an jene zwei reinen Vögel, die ein rein gewordener Aussätziger von einem Priester als Reinigungsopfer darbringen lassen musste (3Mo 14,1-7). In diesem Fall wäre der Verkauf der Sperlinge im Nichtjudenvorhof des Jerusalemer Tempels hinreichend erklärt. Und wie ist die Änderung in fünf Sperlinge zu erklären? Zweifellos durch den Rückgang des Preises für Kleinvögel zur Zeit des Plinius (23/24 bis 79 u. Z.). Dieser unbedeutend erscheinende Tatbestand hat weitreichende Konsequenzen. Denn er erlaubt einen sicheren Rückschluss auf die Abfassungszeit der beiden Evangelien. 334 Danach wäre nämlich die des Lukasevangeliums in das Jahrzehnt zwischen 50 und 60 anzusetzen und die des Matthäusevangeliumss in das Jahrzehnt zwischen 40 und 50 (zwar gegen die herrschende Auffassung, dafür aber an einem historischen Faktum festgemacht; vgl. O. Roller: ‘Münzen, Geld und Vermögensverhältnisse in den Evangelien’ [1929], Seiten 6-8).“ Ein Theologe, Leser des völlig abgeschlossenen Manuskripts zu diesem Buch, schickte mir Ablichtungen von zwei Seiten eines theologischen Lehrbuches zum Neuen Testament, ohne dessen Verfasser (im Folgenden: Autor) und ohne den Titel des Buches zu nennen. Wahrscheinlich wollte er sie geheim halten. Ich binde mich daran. Die Sätze, um die es meinem Kollegen ging, hatte er sauber unterstrichen. Sie betreffen die Abfassungszeit des Matthäus- und die des Lukasevangeliums. Auf der Ablichtung zum Matthäusevangelium (sie trägt die Seitenzahl 261) hatte er folgende Sätze unterstrichen: „Matthäus setzt die Zerstörung Jerusalems voraus (vgl. Mt 22,7; 21,41; 23,38) … Das Matthäusevangelium dürfte somit um 90 n. Chr. abgefasst worden sein.“ Und auf der Ablichtung zum Lukasevangelium (sie trägt die Seitenzahl 285) hatte er folgende Sätze unterstrichen: „Lukas … blickt in Lk 21,24 … auf die Zerstörung Jerusalems zurück … Daraus ergibt sich eine Datierung des Lukasevangeliums in die Zeit um 90 n. Chr.“ Was mein Kollege von mir wollte, ist klar: Eine Erklärung darüber, wie es angehen kann, dass die von mir und die von dem Autor vertretenen Datierungen so weit auseinander klaffen. Nämlich beim Lukasevangelium um mehr als drei und beim Matthäusevangelium um mehr als vier Jahrzehnte. Hier ist meine Erklärung: 335 Vorbemerkung: Bei beiden Datierungen stützte der Autor sein Urteil ausschließlich auf Evangelienbelege. Bei der des Matthäusevangeliums auf Mt 22,7; 21,41 und 23,38; bei der zum Lukasevangelium auf Lk 21,24. Es wird zu prüfen sein, ob diese vier Belege leisten können, was sie sollen. Dabei empfiehlt es sich, alle Belege im vollen Wortlaut zu zitieren und anschließend textkritisch zu untersuchen. Matthäus 22,7 (wörtlich übersetzter NTG-Text): Aber der König wurde zornig, und geschickt habend seine Heere, brachte er jene Mörder um, und ihre Stadt zündete er an. Dieser Vers ist Teil des Gleichnisses „Vom großen Gastmahl“ (Q-Mt 22,1-10), das von der Mehrheit der QForscher der Spruchquelle zugesprochen wird. Wobei sich alle darin einig sind, dass es stark allegorisiert ist, ja dass Vers 7 mit Sicherheit der Allegorisierung zuzuschreiben ist (in meiner Rekonstruktion Q 16,13-17 fehlt er denn auch). Zu fragen ist daher: Wann wurde dieses Gleichnis allegorisiert? Zweifellos nach der Zerstörung Jerusalems. Sonst hätte sie sich nicht (als bereits geschehen) in Vers 7 widerspiegeln können. Richtig ist, dass dieser Vers „die Zerstörung Jerusalems voraussetzt“. Falsch aber ist, aus dieser Tatsache das Pauschalurteil herzuleiten, das ganze Matthäusevangelium ( ! ) müsse um 90 geschrieben worden sein. Dieser Schluss wäre nur dann erlaubt, wenn absolut sicher wäre, dass es bis zum vierten Jahrhundert keinem einzigen Bearbeiter und Kopisten der Evangelientexte (nur 336 um sie geht es hier) eingefallen wäre, kleinere oder größere Textänderungen vorzunehmen und kleinere oder größere Ergänzungen in seine Niederschrift einzufügen. Darauf aber kann und wird nur der bestehen, der sich nicht genau genug auskennt, weil er den Text des NTGs nicht genau genug untersucht hat. [Zu erinnern ist hier an das sogenannte Comma Johanneum, einen ergänzenden Einschub in 1Jh 5,7f., der erstmals in einigen altlateinischen Handschriften des vierten Jahrhunderts auftaucht: ein Extremfall von vielen anderen, auch in griechischen Handschriften.] Wenn es aber so ist – wenn also mehr dafür als dagegen spricht, dass die gesamte Allegorisierung von Mt 22,1-10 der Zeit nach 70 u. Z. zugeschrieben werden muss –, dann kann der Wortlaut von Mt 22,7 nicht leisten, was er soll: ein Beweis dafür zu sein, dass das Matthäusevangelium insgesamt ( ! ) „die Zerstörung Jerusalems voraussetzt“. Matthäus 21,41(wörtlich übersetzter NTG-Text): Als Böse wird er sie böse umbringen, und den Weinberg wird er an andere Winzer verpachten, die ihm die Früchte zu ihren Zeiten abliefern werden. Dieser Vers gehört scheinbar zum Gleichnis „Von den bösen Winzern“ (Mt 21,33-41; vgl. Mk 12,1-9 / Lk 20,9-16). Zu einem Gleichnis also, dessen Allegorisierung Matthäus konsequent zu Ende gegangen ist (J. Jeremias, „Die Gleichnisse Jesu“, Seite 70). Doch wie Thomasevangelium 65 verrät, endete es ursprünglich damit, dass der Erbe des Weingartens ermordet und aus dem Weinberg hinausgeworfen wurde (Mt 21,39; korrekter: Mk 12, 9). 337 Daraus folgt: Und wieder stützt der Autor sein Urteil über die Datierung des Matthäusevangeliums auf einen sekundären allegorisierenden Textteil. Ausgerechnet auf einen Vers, der schon durch seine Tonverschärfung („Als Böse wird er sie böse umbringen“) und durch einen Zusatz („die ihm die Früchte zu ihren Zeiten abliefern werden“; vgl. Mk 12,9 / Lk 20,16) als sehr spät erwiesen ist. Und wieder gilt: Wenn es aber so ist – wenn also mehr dafür als dagegen spricht, dass die gesamte Allegorisierung von Mt 21,33-46 der Zeit nach 70 u. Z. zugeschrieben werden muss –, dann kann der Wortlaut von Mt 21,41 nicht leisten, was er soll: ein Beweis dafür zu sein, dass das Matthäusevangelium insgesamt ( ! ) „die Zerstörung Jerusalems voraussetzt“. Matthäus 23,38 (wörtlich übersetzter NTG-Text): Siehe, öde gelassen wird euch euer Haus. Dieses Jeschuwort gehört zu dem „kunstvoll geformten dreiteiligen Plädoyer gegen Jerusalem als Repräsentantin des ganzen jüdischen Volkes“ (siehe zu Q 15,8-10). Fest steht: Es kann auf keinen Fall – als Beleg für was auch immer – von ihm abgetrennt werden, ohne dass ihm Gewalt angetan wird. Der RÜ-Text von Q-Mt 23,38 / Lk 13,35 lautet: Seht! – Seht! – Euch wird zurückgelassen werden! Euer Tempel! – Zerstört! Dieses Schlusswort des Plädoyers ist ein prophetischer Ausruf Jeschus über das Schicksal des Jerusalemer Tempels, unmittelbar an sein Volk gerichtet. Wobei die Doppelung 338 Seht! – Seht! – sowohl ein Ausdruck seines Schmerzes als auch einer Drohung ist. So sprach Jeschu als Prophet, der kommen sah, was nach dem Tat-und-Tatfolge-Zusammenhang unausweichlich war und was sich im jüdischen Krieg gegen Rom um 70 verwirklicht hat. Es folgt das ganze Plädoyer: Jerusalem! Jerusalem! – Du hast Propheten getötet und hast Sendboten gesteinigt! Wie oft wollte ich deine Kinder sammeln – wie eine Glucke ihre Küken sammelt unter ihre Flügel –, obwohl sie nicht wollten! Seht! – Seht1 – Euch wird zurückgelassen werden! – Euer Tempel! – Zerstört! Darf es wahr sein, dass dieses formvollendete Gedicht Jeschus als Beweis dafür missbraucht wird, dass das Matthäusevangelium insgesamt ( ! ) „die Zerstörung Jerusalems voraussetzt“? – Man vergesse nicht: In seinem Schlussteil geht es um eine prophetische Voraussage Jeschus; und zwar um eine hochbedeutsame! Lukas 21,23b.24 (RÜ-Text, mithilfe des C-Textes): Eine große Hungersnot wird entstehen im Land, und ein starker Zorn über dieses Volk. 339 2 2 2 2 Und sie werden fallen durch die Schneide des Schwertes. 3 Und sie werden gefangen geführt werden zu allen Völkern. 3 Und Jerusalem wird unterworfen werden 2 von a l l e n Völkern, 2 bis zu Ende sein werden 2 die Zeiten der Völker. 2 Dieses Jeschuwort ist ein poetisches (siehe die Ziffern am rechten Rand) und zugleich ein prophetisches Wort, wie aus den durchweg futurischen Verben zu erschließen ist. Vollständig aber ist es nur dann, wenn der Halbvers Lk 21, 23b mit Vers 24 verbunden wird. Dass der Autor das nicht berücksichtigt hat, war ein schwerer und schwerwiegender Fehler. Denn so, wie der vollständige Text jetzt vorliegt, hätte wahrscheinlich auch er erkannt, dass seine Voraussagen viel zu umfassend sind, als dass sie sich darin erschöpfen könnten, lediglich die seit längerem herrschende Lehrmeinung zu stützen, „Lukas blicke auf die Zerstörung Jerusalems zurück“. Und wieder gilt: So sprach Jeschu als Prophet, der kommen sah, was nach dem Tat-und-Tatfolge-Zusammenhang unausweichlich war und was sich (jetzt ergänzt) vor dem, während des und nach dem jüdischen Krieg gegen Rom um 70 verwirklicht hat (man bedenke: von allen Völkern!). Aus all dem ergibt sich: Es reicht nicht aus, wenn ein Autor die gängigen Evangelienbelege (die schon seit längerem für die herkömmliche Datierung des Matthäus- und des Lukasevangeliums benutzt werden) vertrauensvoll wiederholt. Gescheiter wäre es gewesen, er hätte sie sorgfältig daraufhin geprüft, ob sie auch leisten können, was sie sollen. Vielleicht wäre er dann auch darauf gekommen, dass kein einziger von ihnen dafür taugt, die Datierung um 90 n. Chr. aufrecht zu erhalten. 340 Und wie steht es um die Glaubwürdigkeit der Datierungen, die ich nur der Vergessenheit entrissen habe? Datierungen, die O. Roller zu verdanken sind. Es folgt, weil seine Argumentation kaum noch zugänglich ist, der Originalton seiner Entdeckung (aaO, Seiten 7 und 8, gekürzt): „Meines Wissens ist es noch nicht erklärt, warum die Sperlinge bei Lukas entschieden billiger waren als bei Matthäus. Bei diesem erhielt man für zwei Pfennige [As] nur vier, bei jenem fünf Stücke. Daß hier unter den strouthía, den passeres, nicht nur Sperlinge zu verstehen sind, sondern alle häufigen Kleinvögel, ergibt der Zusammenhang. … im ganzen Mittelmeerraum war die Wachtel von altersher geschätzt. Varro stellt sie den Otolanen und anderen gesuchten Vögeln gleich. Zu den Zeiten des Plinius glaubte man zu beobachten, daß sie am liebsten und vorzugsweise giftigen Samen fräßen, dazu auch, wie die Menschen der Fallsucht unterworfen seien (Plin., hist. Nat. X 33 [23], 4), und ihre Beliebtheit sowie ihr Wert sanken seitdem und mit ihnen naturgemäß auch der der übrigen Vögel … In dieser Zeit des beginnenden Preisrückganges fällt die Preisangabe des Lukas, während Matthäus mit seinem höheren Preis noch einen älteren Stand der Preislage dieser Kleinvögel gibt. Da Plinius seine Naturgeschichte etwa 50 n. Chr. schrieb, muß auch Lukas in diese Zeit gehören … Matthäus ist wesentlich früher, wohl noch in das vierte Jahrzehnt zu setzen, erheblich später, näher an Lukas und Plinius heran, geht um dieses Preisansatzes willen nicht.“ In seiner Anmerkung hierzu bemerkte Roller: „Es ist mir wohl bekannt, dass dies mit der herrschenden und festgegründeten Ansicht vom Synoptikerproblem nur schwer zu vereinen ist.“ 341 Recht hat er. Doch worum hat es hier zu gehen? Etwa darum, bei einer Lehrmeinung zu beharren? Selbst nachdem sie sich (siehe oben) als unhaltbar erwiesen hat? Oder darum – hoffentlich! –, um der Wahrheit und Wahrhaftigkeit willen einen Irrtum als Irrtum anzuerkennen? Fest steht jedenfalls: Die oben geprüften Evangelienbelege, die beweisen sollen, dass das Matthäus- und das Lukasevangelium um 90 n. Chr. verfasst worden sind, konnten die Last eines überzeugenden Beweises nicht tragen. Im Gegensatz dazu ist Rollers Datierung (zunächst des Lukasevangeliums) so fundiert, dass es aussichtslos ist, sie zu ignorieren und totzuschweigen. Denn sie hat den Vorzug, nicht bloß erschlossen zu sein, wie die aufgrund der oben als untauglich befundenen Evangelienbelege, sondern durch einen nachvollziehbaren historischen Sachverhalt beglaubigt zu sein. Nicht ganz so exakt ist seine Datierung des Matthäusevangeliums („in das vierte Jahrzehnt zu setzen“, siehe Seite 341). Denn Jeschus Aussage Q 12,5 und deren matthäische Wiedergabe waren ja nicht zeitgleich. Das Matthäusevangelium wird daher (auf jeden Fall vor dem Lukasevangelium, also) in dem Jahrzehnt zwischen 40 und 50 geschrieben worden sein. Doch das ist ein vergleichsweise geringfügiges Fehlurteil. * Dass diese (erstmals 1929 veröffentlichten!) Neudatierungen auch auf die Datierung des Markusevangeliums Einfluss haben – wer könnte das leugnen? Werden die Verantwortlichen sie anerkennen wollen? 342 Umschrifttabelle [Die Umschrifttabelle fehlt in der Datei von GS. In das ausgedruckte Exemplar hat er sie aber eingelegt. Sie wird hier insb. wegen der Darstellungsprobleme bei den aramäischen Quadratbuchstaben weggelassen. Anmerkung Herausgeber.] 343