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W E LT A M S O N N TA G N R . 9 T T T KULTUR 67 4. MÄRZ 2007 In einem kleinen, fensterlosen Raum im Kölner Hotel „Hilton“. Die französische Sängerin und Schauspielerin Françoise Hardy, 63, wippt in ihrem Drehstuhl ungeduldig hin und her und spielt mit ihrer Silberkette, die sie über einem schwarzen Kaschmirpullover trägt. Hardy ist berühmt für ihren schlichten Stil. Mit 18 sang sie in „Tous les garcons et les filles“ von dem Problem, als einsames Mädchen in einer Welt aus frisch verliebten Pärchen bestehen zu müssen. Über 40 Jahre später strahlt sie eine beherzt elegante Entschlossenheit aus, wie sie nur französischen Frauen zu eigen ist. Was ist Ihnen besonders wichtig, wenn Sie singen? Hardy: Der Text ist unwichtig, die Melodie geht mir über alles. Meist bin ich enttäuscht, aber ich bin eben auch überkritisch. Auf meinem aktuellen Album gibt es ein einziges Stück, das mir wirklich gefällt. Und das ist auf Englisch gesungen. Pop zum Lesen: Das Magazin „Spex“ wurde erfolgreich renoviert Schöner lesen, besser denken Gab es mal ein ganzes Album, das Sie gelungen fanden? Hardy: Vor einigen Jahren habe ich eine CD mit Iggy Pop aufgenommen. Das war nicht nur gut, das war perfekt. Iggy Pop singt wie ein Gott. Aber man sollte nicht zu oft mit denselben Duettpartnern singen, sonst wird es langweilig. Der einzige, mit dem ich drei Duette eingespielt habe, ist Jacques Dutronc – und der ist mein Mann. Anzeige SIE SCHREIBEN? Erst kürzlich trat der kluge, kultivierte Sänger Morrissey aus Manchester wieder vor sein Berliner Publikum. Das Bühnenbild war mit Bedacht gewählt. Es zeigte Pier Paolo Pasolini vor dem Kreuzigungshügel seines Films zum Evangelium nach Matthäus. Obwohl Morrissey den Künstler explizit im Lied erwähnte, wurde rundherum gebrüllt: „Was is’n das für’n Typ?“ Das hätte es während der 80er- und frühen 90er-Jahre nicht gegeben. Damals lieferte die Zeitschrift „Spex“ die wesentlichen Beiträge zur Aufklärung der Popkultur in Deutschland. Nun hat sich das Magazin die längst fällige Erneuerung Senden Sie Ihr Manuskript mit Rückporto an August von Goethe Literaturverlag Welt am Sonntag: Bonjour, Ma… Françoise Hardy: Sie sind die zehn- te Journalistin heute. Machen Sie schnell, sonst verpasse ich meinen Zug. Ich muss zurück nach Paris. Bonjour, Madame. Man sagt, Sie sprechen großartig deutsch. Hardy: Non, non, non. Bei manchen Ihrer Kollegen habe ich nicht einmal die Fragen verstanden. Wir sprechen französisch. Ausgerechnet melodischer? Macht auch auf dem Motorrad eine gute Figur: Françoise Hardy in den 60erJahren ULLSTEIN BILD Schnell und französisch – in Ordnung. Aber früher haben Sie sogar auf Deutsch gesungen. Hardy: Ja. Früher. Ich höre auch gern Deutsch, die Sprache ist nämlich wunderschön. Sie ist viel melodischer als Französisch. Hardy: Natürlich! Französisch hat Kann deutsche Musik etwas ausdrücken, das französische nicht kann? Hardy: Dafür kenne ich sie zu wenig. Die klassische deutsche Musik ist mir ein Begriff, sonst höchstens die Musik der 50er. Auf Ihrem neuen Album „Parenthèses“ gibt es ein Stück, in dem Sie die Ausnahmepianistin Hélène Grimaud begleitet. Hardy: Ich verehre diese Frau in jeder Hinsicht. Eine gemeinsame Freundin hat uns einander vorgestellt, vor sieben Jahren. Ich wollte schon immer mit ihr arbeiten. Aber ich konnte mir beileibe nicht vorstellen, dass es etwas an meiner Arbeit gibt, das sie interessiert. Wie kam es dann doch zur Zusammenarbeit? Hardy: Hélène schrieb mir eine kurze Mail, doch ich war voller Selbstzweifel. Ich konnte sie doch nicht einfach so anrufen – wie irgendeine beliebige Studiopianistin! Sie haben sich für die Adaption eines Brahms-Stücks entschieden. Hardy: Ich wollte ihr möglichst weit entgegenkommen. Hélène hat das Stück zunächst allein eingespielt, sie ist oft unterwegs. Als ich es mir angehört hatte, zögerte ich erst recht, meinen Gesang darüber „Ich bin überkritisch“ In den 60er-Jahren war Françoise Hardy Frankreichs größter Popstar. Noch heute ist sie eine der wichtigsten Sängerinnen des Landes. Ein Gespräch über das neue Album „Paranthèses“, Mick Jagger und das Gefühl von Glück zu legen. Ich hatte das Gefühl, alles zu verderben, wollte nicht, dass man mich lauter hört als Hélènes wundervolles Klavier. Sind Sie mit dem Resultat etwa nicht zufrieden? Hardy: Ehrlich gesagt habe ich immer noch Komplexe. Aber dass Hélène zur Zusammenarbeit bereit war, betrachte ich als Geschenk. So viel Selbstkritik erwartet man nicht, wenn man bedenkt, dass Sie im Frankreich der 60er-Jahre das Idol einer ganzen Generation waren. Mick Jagger hat damals gesagt, Sie seien die schönste Frau der Welt! Hardy: Das stimmt. Für mich war er der attraktivste Mann der Erde, und er sagte dasselbe von mir. Aber ganz ehrlich: Da war nie was zwischen uns! Warum eigentlich nicht? Hardy: Ach, er lebte in London, ich hat einfach nicht geklappt. Außerdem war ich sehr naiv: Ich wusste doch nicht mal, was Drogen sind! suchte er sich sofort eine andere: Marianne Faithful. Die entsprach ihm offenbar mehr als eine wie ich. Na ja, das hätte man ja leicht herausfinden können. Hardy: Schon. Aber als er sich von seiner Verlobten getrennt hatte, Waren Sie eifersüchtig? Hardy: Er war mehr eine Fantasiefigur für mich, und ich für ihn ebenfalls. Und wenn er sich schon zu Eine französische Diva BIOGRAFISCHES A Die 1944 in Paris geborene Françoise Hardy wurde bereits mit 17 auf einem Talentwettbewerb entdeckt und bei der Plattenfirma Vogue unter Vertrag genommen. 1981 heiratete sie Jacques Dutronc. Mit ihm und ihrem gemeinsamen Sohn lebt sie heute bei Paris. KARRIERE A Die zwischen Schlager, Chanson EMI / VIRGIN keine stimmhaften Akzente, Deutsch dagegen viele Silben, Worte, sogar Sätze, auf denen man sich ausruhen kann. Das gibt der Sprache Rhythmus. Das Französische ist doch kein bisschen rhythmisch! Françoise Hardy heute und Rockmusik wechselnde Sängerin landete 1962 mit der B-Seite „Tous les garçons et les filles“ ihren ersten großen Hit in Frankreich. 1965 wurde sie auch in Deutschland mit „Frag den Abendwind“ berühmt. Ihr Album „Parenthèses“ erscheint in der kommenden Woche. in Paris, wir reisten beide viel. Es meiner Person äußern musste, wäre es mir ohnehin lieber gewesen, er hätte etwas zu meiner Musik gesagt. Zu mir als Künstlerin, nicht als Mädchen. Schönheit vergeht. Waren Sie ein Sexsymbol? Hardy: Nein, ein Sexsymbol provoziert. Wie zum Beispiel Vanessa Paradis, die ich als Sängerin sehr schätze. Sie hat die Karte der sexuellen Provokation voll ausgespielt. Anfangs hingen überall Plakate, auf denen sie mit einem Mikrofon zu sehen war, das eindeutig einen Phallus symbolisieren sollte. Das Problem: Wenn man damit berühmt wird, wird man das nie mehr los. Oder Jane Birkin, die von Serge Gainsbourg dazu gedrängt wurde, sich so zu gebärden! War Jane Birkin Ihre Konkurrentin? Hardy: Mir wäre so was nie, nie eingefallen! Die Birkin – kein bisschen. Birkin hat nur die Lieder ihres Freundes gesungen. Wussten Sie schon immer so genau, was Sie wollten? Hardy: Ich habe mit 16 beschlossen, dass ich mich der Musik widmen möchte. Mit 17 wusste ich: Ich will Platten aufnehmen. Und ich wusste, dass ich ein Kind wollte. In diesen drei Fragen war ich mir mein Leben lang sicher. Der Rest war oft wackelig: Ich musste mich zwingen, nach draußen zu gehen, Menschen kennenzulernen, ein paar ungewöhnliche Bekanntschaften zu machen. Sie sind seit 40 Jahren eine der erfolgreichsten Musiker und haben einen Sohn, der auf Ihrer aktuellen CD auch zu hören ist. Entspricht das Ihrer Vorstellung vom vollkommen perfekten Glück? Hardy: Es macht Angst, wenn man anfängt zu begreifen, dass man älter wird, die Gesundheit nicht mehr selbstverständlich ist. Solange man jung ist, hält man sich zu viel mit der Liebe auf. Man leidet ständig und ist sehr auf sich selbst zentriert. Sobald man davon befreit ist, kann man endlich sehen, was um einen herum passiert: die Natur. Ich liebe Spazierengehen im Bois de Bologne. Aber am glücklichsten bin ich, wenn ich mit meinem Sohn essen gehe, und eine gute Flasche chilenischen Wein aufmache. Chilenischen Wein? Das sagen Sie? Als Französin? Hardy: Früher habe ich nur Bordeaux getrunken, aber der wird immer schlechter. Ich habe schon oft Flaschen zurückgehen lassen. Gestern hatte ich einen tollen chilenischen Wein, keine Ahnung, wie der hieß, auf jeden Fall habe ich mir zu viel einschenken lassen. Haben Sie Idole? Hardy: Mick Jagger gefiel mir als Mann. Ihn fand ich verführerisch, früher. Heute allerdings – pah! Wenn Sie mich fragen, wen ich für den besten Musiker der Welt halte, ist die Antwort klar: meinen Mann, Jacques Dutronc. Und zu dem fahre ich jetzt auch Das Gespräch führte Johanna Schmeller SPEX Hat Ihr Musikstil sich in den vergangenen Jahren weiterentwickelt? Hardy: Nein, ich glaube nicht. Ich suche immer noch dasselbe: Perfektion. Effizienz – darin habe ich mich vielleicht verbessert. Meine Melodien sind sich immer ein bisschen ähnlich, die Texte meist nicht wirklich herausragend. Aber die Klangfarbe, die Intonation, wird immer perfekter. Abt. 6.0, Großer Hirschgraben 15, D-60311 Frankfurt/M. (069-408940) www.august-von-goethe-verlag.de Das Logo prangt in alter Pracht: Das Cover der rundum erneuerten „Spex“ gegönnt. Zunächst hatte der „Spex“Verlag Piranha Media seiner unglücklich agierenden Kölner Redaktion den Umzug nach Berlin verordnet. Als die Redaktion sich weigerte, wurde sie ausgewechselt, und nach langen Jahren tobte wieder eine „Spex“-Debatte, diesmal um das Heft. Das machte es „Welt am Sonntag“-Autor Max Dax, dem neuen Leiter, leichter. Er versprach die Rückeroberung der Diskurshoheit und ein Comeback von Leidenschaft und Epik. Deshalb startet der Relaunch mit einem zweiseitigen, dicht bedruckten Editorial, das noch einmal den Niedergang des „Magazins für Popkultur“ nachzeichnet und die Popkultur als solche vor den älteren Vordenkern in Schutz nimmt. Diedrich Diederichsen hatte sich bereits 1992 von ihr verabschiedet, weil Neonazis Baseballkappen trugen. Dax: „Die Leugnung der Gültigkeit des eigenen Themas als finale dissidente Geste des Pop-Journalismus“. Ja, so schrieb man „Spex“ in besseren Tagen voll. Das renovierte Magazin wird also den Dienst nach Vorschrift meiden und nicht nach den Veröffentlichungsplänen einschlägiger Plattenfirmen vorgehen, und statt dessen wieder munter theoretisieren und die Themen in Musik, Kunst, Film und Alltag suchen. Mit mehr Text und Atem. Auch das Logo prangt in früherer Pracht und Größe auf dem Titel. Natürlich wird die Post der Plattenlabels abgearbeitet. Aber davor lässt „Spex“ sogar Reporter an so sonderbare Orte wie Georgien oder Houston, Texas reisen. Überraschend wird der tote Künstler Martin Kippenberger interviewt. Vor allem aber schreibt Klaus Theweleit über den unvergessenen Pasolini: Dessen Jesus habe ein Gesicht, „das synthetisiert sein könnte“ aus Elvis und Prince. Konzertbesucher könnten wieder klüger werden. Michael Pilz Anzeige +