Standpunkte - Münchner Forum eV
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Standpunkte 12.2014 FRANZ SCHIERMEIER VERLAG MÜNCHEN Online-Magazin des Münchner Forum e.V. Themenschwerpunkt: Friedhöfe Inhalt: Liebe Leserin, lieber Leser, wir, die wir derzeit in unserer Stadt leben, sind Übergangsexistenzen zwischen den Generationen: Denen vor uns und denen, die uns folgen. Die vergangenen Generationen haben München geformt, verändert und zu dem gemacht, was wir als historisches und kulturelles Erbe bewahren, auf dem wir aufbauen sollen und das wir weiter geben werden. Für die sterblichen Überreste derer, auf die wir uns stützen, gibt es als Orte des Gedenkens zahlreiche Friedhöfe, mitten im Stadtbild des geschäftigen Münchens. Für diese Standpunkte-Ausgabe hat das Redaktionsteam die Münchner Friedhöfe als Schwerpunktthema gewählt. Wir stellen Fragen und suchen Antworten zu diesen Orten, die traditionell von Mauern umgeben, von Trauer beschwert, von Ängsten, Hoffnungen und Fantasien besetzt sind. Wie sind die Orte des Gedenkens an die Toten in die Stadt der Lebenden verwoben, welche Bedeutung haben sie, wie spiegelt sich in ihnen Stadtgeschichte von Jahrhunderten, wie lässt sich an ihnen der gesellschaftliche und religiöse Wandel von heute erkennen? Dem gehen wir nach mit einigen profunden Beiträgen, die zum Entdecken Münchens aus diesem besonderen Blickwinkel einladen. Mit dieser Ausgabe wünschen wir vom Redaktionsteam unseren Leserinnen und Lesern neben Lesevergnügen auch bei ernsten Themen alles Gute und viel Erfolg fürs neue Jahr! Helmut Steyrer 1. Vorsitzender des Programmausschusses des Münchner Forums Die Stadt der Lebenden – Die Stätten der Toten 2 Zur Zukunft der kommunalen Friedhöfe 4 Der Alte und der Neue Israelitische Friedhof 7 Der Alte Südliche Friedhof in München 12 Kunst auf freien Grabflächen – Karlsruhe zeigt einen Weg 19 Literatur zu Münchens Friedhöfen 20 Wie bewältigen München und das Umland das Wachstum? 6 Denkmal-Topographie Maxvorstadt 22 Über Bürgerbeteiligung hinaus 23 Wie dicht soll München werden? 24 Arbeitskreise im Dezember/Januar 25 Leserbrief 26 Impressum 23 Radio Lora 26 Die Stadt der Lebenden – Die Stätten der Toten Wer auf Münchens großen Friedhöfen unterwegs ist, dem fällt die Verwandtschaft der Anlagen auf, sei es der Ost-, der West-, der Nord- oder Waldfriedhof: Die zentrale Trauerhalle, die Wirtschaftsgebäude nebenan und die Gräberfelder, mit einheitlicher Grabgestaltung, die vom Glauben an die Gleichheit aller Menschen nach dem Tod getragen sind. Es sind dies die Planungsideen von Architekt Hans Grässel, der die neuen, dezentralen Friedhöfe der Stadt Ende des 19. Jahrhunderts schuf. Wie Theodor Fischer den Gesamtplan für die Stadt der Lebenden in München zu Beginn des 20. Jahrhunderts formte, so hat Hans Grässel die Stätten der Toten so geplant, dass dieses Konzept heute noch Leitlinie der Friedhofsentwicklung Münchens ist. o bestätigt es mir gegenüber Frau Kriemhild Pöllath-Schwarz, die Leiterin der Städtischen Friedhöfe München. Es ist ein großes Haus mit gediegener Würde im Herzen Münchens, in der Damenstiftstraße 8, wo sie mich im hellen Amtszimmer im 3. Stock empfängt. Ich merke: Wer ständig mit dem Tod zu tun hat, der so elementar zum Leben gehört, vermittelt Klarheit und ernsthafte Gelassenheit, um auch bei den ganz pragmatischen Themen, die wir im Gespräch berühren, immer die Verankerung zum großen Geheimnis Tod erkennen zu lassen. So geerdet wanderten wir im Gespräch über Friedhöfe und durch Jahrzehnte des Wandels. Was hat sich in der Begräbniskultur der letzten Jahrzehnte in München verändert? Frau Pöllath-Schwarz berichtet vom dramatischen Wandel in der Bestattungsart mit Statistiken ab 1990: damals gab es auf den städtischen Friedhöfen 63 Prozent Sarg- und 37 Prozent Urnenbestattungen. 2013 hat sich das Verhältnis umgedreht: 38 Prozent Sarg- und 62 Prozent Urnenbestattungen. Was sagt das über unsere Gesellschaft? Es ist sicher dem Zerfall traditioneller Familienbeziehungen geschuldet, die vor allem in Großstädten rapide voranschreitet. Das Familiengrab verliert seine Bedeutung. Ein Trend geht zur individualisierten Bestattung, wie es z.B. die Bestattungsform ‚Bestattung unter Bäumen‘ anbietet. Laut Frau Pöllath-Schwarz ist die Bestattung unter Bäumen derzeit enorm gefragt. Nähe zur Natur, Entfall von Pflegebedarf, das sind denkbare Gründe, die für Verstorbene und Hinterbliebene gleichermaßen das Baumgrab attraktiv machen. So ist der Wandel in der Bestattungsart ein unmittelbarer Indikator für gesellschaftliche Veränderungen. Ein weiterer Indikator für gesellschaftlichen Wandel: auf dem Neuen Südfriedhof und dem Westfriedhof wurden die muslimischen Gräberfelder erweitert. Die muslimischen Bestattungen in München haben wesentlich zugenommen, immer mehr Muslime werden in der neuen Heimat, die München ist, bestattet und nicht in die alte Heimat überführt, wie es früher üblich war. Die Friedhofsplanung nimmt auf die Anforderungen Rücksicht mit Grabsteinen fürs Totengebet, Waschräumen für rituelle Waschungen und strikter Ausrichtung der Gräber nach Mekka. Feste Regeln wie die Sargpflicht werden in Frage gestellt. Die Landeshauptstadt München setzt sich seit langem dafür ein, dass die Sargpflicht für Muslime aufgegeben wird. Das Bestattungsgesetz steht dem noch entgegen. Ein weiteres Thema ist die Urne von Verstorbenen zu Hause im Bücherregal. Meine Großmutter hatte ihren Bruder so aus Schweden geholt und in den FOTO: Jürgen Betten S Das mächtige Eingangstor mit den zwei Sphinxen – Haupteingang zum Waldfriedhof an der Fürstenrieder Straße 288 Schrank gestellt. Jetzt ist die Urne verschwunden. Zur Urne im Haus hat Frau Pöllath-Schwarz eine klare Meinung: Ein öffentlicher Ort der Trauer ist wichtig, zu dem alle Zugang haben, die trauern wollen. Der Friedhof ist dieser öffentliche Ort, und „es ist auch gut, wenn man die Trauer dort lassen kann“. Schließlich kommen wir zum großen Thema: Die Friedhöfe und die Münchner Stadtentwicklung. Das Konzept von Architekt Grässel aus dem 19. Jahrhun- Standpunkte Dezember 2014 - 2 MÜNCHNER FORUM Übersichtsplan städtischer Friedhöfe München 1. Friedhof Allach (städt.Teil), Eversbuschstraße 16. Friedhof Solln, Friedhofweg 2. Friedhof Aubing, Freihamer Weg 17. Friedhof Untermenzing, Eversbuschstraße 3. Friedhof Bogenhausen, Bogenhauser Kirchplatz 18. Krematorium, St.-Martin-Straße 4. Friedhof Daglfing, Kohlbrennerstraße 19. Neuer Südfriedhof, Hochäckerstraße 5. Friedhof Feldmoching, Am Gottesackerweg 20. Nordfriedhof, Ungererstraße 6. Friedhof Haidhausen, Einsteinstraße 21. Ostfriedhof, St.-Martins-Platz 7. Friedhof Lochhausen, Schussenrieder Straße 22. Parkfriedhof Untermenzing, Obere Mühlstraße 8. Friedhof Neuhausen, Winthirstraße 23.Waldfriedhof – Alter Teil, Fürstenrieder Straße 9. Friedhof Nymphenburg, Maria-Ward-Straße 24.Waldfriedhof – Neuer Teil, Lorettoplatz 10. Friedhof Obermenzing, Bergsonstraße 25.Waldfriedhof Solln,Warnbergstraße 11. Friedhof Pasing, Lampertstraße 26.Westfriedhof, Baldurstraße 12. Friedhof am Perlacher Forst, Stadelheimer Straße 27. Alter Nördlicher Friedhof, Arcisstraße 13. Friedhof Perlach, Putzbrunner Straße 28. Alter Südlicher Friedhof,Thalkirchner Straße 14. Friedhof Riem, Am Mitterfeld 29. Kriegsgräberstätte,Tischlerstraße 15. Friedhof Sendling, Albert-Roßhaupter-Straße dert, die großen, dezentralen Friedhöfe in allen Himmelsrichtungen, trägt immer noch. Es sind wohnortnahe Friedhöfe, mit dem ÖPNV gut erreichbar, über die Stadt verteilt, die, wie Frau Pöllath-Schwarz betont, seit ihrer Gründung Motor der Stadtentwicklung waren: Die Stadt hat sich zu ihnen, die früher außerhalb des Burgfriedens lagen, hin bewegt und sie letztlich umschlossen. So sehr die Bevölkerung Münchens auch wächst, die bestehenden Friedhofsflächen reichen für die Zukunft aus. Die neue Bestattungskultur benötigt weniger Platz, so dass inzwischen 52.000 Gräber auf städtischen Friedhöfen frei sind. Es gibt ein Flächenmanagement für die städtischen Gräberfelder, um größere zusammenhängende Flächen frei zu bekommen, denn die werden auch gebraucht: So wie Standpunkte Dezember 2014 - 3 sich heute Formen der Bestattung ändern, so kann es für die Zukunft Formen der Begräbnisse und des Gedenkens geben, die wir Heutigen nicht kennen. Auch dafür sind Flächen frei zu halten. Eine Leitlinie gilt für München: Es werden keine Friedhofsflächen zu Gunsten anderer Nutzungen aufgegeben. Die Friedhöfe sind Bausteine im Münchner Grünflächensystem. Was spricht dafür, dass die Friedhöfe in öffentlicher Trägerschaft sind? Die Tatsache, dass der Friedhof als Teil der kommunalen Daseinsvorsorge lediglich kostendeckend wirtschaften muss, während die Gewinnorientierung bei privaten Betreibern zu Lasten der Friedhofskultur und des Denkmalschutzes gehen könnte. Das leistet sich die Stadt für ihre Bürger: Große grüne Flächen für Rückzug, Besinnung, Gedenken, seelischer Stärkung an einem Ort, der der Konsumwelt, die rund herum tobt, entzogen ist. Damit eng verknüpft ist der Friedhof als Ort künstlerischer Gestaltung. Mit der aktuell vom Stadtrat zu beschließenden Änderung der städtischen Friedhofssatzung soll eine Liberalisierung bei den Gestaltungsvorschriften erreicht werden, unter Wah- rung der historisch entstandenen Gräberfelder und des historischen Erscheinungsbildes. Das städtische Grabmalbüro berät dabei fachkundig, denn – wie schon von der Architektur für die Lebenden bekannt – führt mehr Freiheit zu neuen Formen der Gestaltung – erwünscht sind die positiven, zu vermeiden die negativen. Auch das Kontrastprogramm zur Gestaltungsfreiheit wird angeboten: Im Westfriedhof entsteht eine Urnenanlage wie „aus einem Guss“, wo man sich den fertigen Grabplatz aussuchen kann, die Pflege liegt in städtischer Hand. „Die Leute werden uns das aus der Hand reißen“, vermutet Frau PöllathSchwarz. Denn eines stellt sie beim Umgang mit den Münchnerinnen und Münchnern fest: Es ist nicht so, dass die Lebenden den Tod tabuisieren und den Umgang damit meiden. Es kommt viel Dankbarkeit und Erleichterung zurück von denen, die sich beraten lassen. Denn es gibt große Unsicherheit beim Umgang mit dem Tod und den „letzten Dingen“ in einer Gesellschaft, die ansonsten auf Leistung, Effizienz und Fitness getrimmt wird. Helmut Steyrer Zur Zukunft der kommunalen Friedhöfe Die Friedhöfe unserer Zeit orientieren sich noch immer weitgehend am Modell der großen gründerzeitlichen Bezirks- und Zentralfriedhöfe des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Damit folgen sie den gesellschaftlichen Bedürfnissen der frühen (industriellen) Moderne, die mit ihren spezifischen Mitteln auch die Bestattungsprobleme der wachsenden Großstädte zu lösen suchte. I n der sich immer rascher industrialisierenden und urbanisierenden Gesellschaft bestand diese Lösung in einer sozialpolitisch-fürsorgenden, andererseits das Wirtschaftsleben wenig störenden Bereitstellung von großen zusammenhängenden Friedhofsflächen an den äußersten Rändern der Städte, für deren Erwerb und Unterhalt freilich nur begrenzte fiskalische Mittel verfügbar waren. Funktionalität und Zweckmäßigkeit standen daher im Mittelpunkt des Friedhofswesens dieser Zeit. Auch damals ging es um menschenwürdiges Bestatten, aber für stärker individuelle, ungewöhnliche Traueräußerungen und Bestattungsformen, wie sie heute von vielen Einzelpersonen und Gruppierungen in der Gesellschaft nachgefragt werden, war kein Spielraum. Lediglich das prosperierende Bürgertum erkaufte sich Freiheitsgrade, die dann im wesentlichen mit monumental überhöhten Zeremonien und Grabmälern ausge- füllt wurden. Friedhof als Ort der Trauer und der Erinnerung Der gesellschaftliche Wandel in den letzten 200 Jahren von einer wenig differenzierten Agrargesellschaft zur pluralen Zivilgesellschaft unserer Zeit hat die Friedhofs- und Bestattungskultur nicht unberührt gelassen. Mit fortschreitender Säkularisierung der Gesellschaft hat sich ein neues Verständnis von Tod und Sterben und damit auch von den kulturellen Aufgaben des Friedhofs herausgebildet. Immer weniger wird der Friedhof als Stätte der Verstorbenen begriffen, die der Wiederauferstehung harren. Immer mehr entwickelt er sich zu einem Ort der Lebenden, die hier – in welcher Form auch immer – von ihren Toten Abschied nehmen. So ist zu erwarten, dass in Zukunft die fundamentale Funktion der Friedhöfe in der Unterstützung der Trauer- und Erinnerungsarbeit der Standpunkte Dezember 2014 - 4 FOTO: Jürgen Betten Menschen bestehen wird, dass Friedhöfe vor allem als Orte begriffen werden, die den Hinterbliebenen helfen können, mit dem Verlust eines geliebten Menschen zurecht zu kommen. Denn nur über Trauern und Erinnern können Leidtragende jene Kräfte und Energien gewinnen, deren sie bedürfen, um trotz des schmerzlichen Verlustes in einer angemessenen Zeit in das alltägliche Leben zurückzufinden. Kaum eine andere Gefühlsäußerung verdeutlicht so sehr wie die Trauer, dass die Menschen existentiell aufeinander verwiesen sind. Trauer, die helfen soll, bedarf des mitmenschlichen Zuspruchs. Es leuchtet ohne weiteres ein, dass unterstützende Kontakte wesentlich leichter zustande kommen, wenn auf dem Friedhof wie auch zwischen Friedhof und Siedlungsraum überschaubare Alltagsbezüge bestehen. Die meisten Menschen wollen ihre Toten auf Dauer nicht Trauernde Steinfigur an einem Grab im Ostfriedhof außerhalb ihrer gewohnten Lebenswelt und nicht in sozialer Isolierung betrauern. Sie wollen in ihrer Trauer weder allein gelassen noch in eine fremde Umwelt abgedrängt werden. Trauerarbeit, die sich dem alltäglichen Leben nicht völlig verschließt, verlangt daher nach Friedhöfen, die den Bestattungsund Trauergebräuchen der verschiedenen sozialen und ethnischen Gruppierungen entgegen kommen, aber auch gegenüber neuen Wünschen und Vorstellungen offen sind. Unter solchen Bedingungen müssen weder Leidtragende auf Gruppenzugehörigkeit und Mitgefühl verzichten, noch wird das Gemeinwesen in Frage gestellt ist. Gewiss, heute sterben viele Menschen vereinsamt in Krankenhäusern und Altenpflegeheimen, sie besitzen keine Angehörigen mehr, die um sie trauern könnten. Auch ist für viele Hinterbliebene der regelmäßige Grabbesuch ein seltenes Phänomen geworden, sie ersetzen die persönliche Grabpflege durch langjährige Daueraufträge an Pflegebetriebe. Oft tun sie das aber nicht, weil sie unfähig zu trauern wären, sondern weil ihnen vor allem die beruflich geforderte Mobilität kaum Gelegenheiten zu ortsbezogener Trauer lässt. Das alles kann jedoch nicht als Indiz dafür angesehen werden, dass in Zukunft kommunale Friedhöfe als Trauerorte keine Relevanz mehr besitzen würden. Es darf nicht übersehen werden, dass auch heute noch trotz aller Flexibilisierung und Individualisierung der Gesellschaft viele Nachbarschaften in unseren Siedlungsräumen existieren und funktionieren. Das ist schon deshalb der Fall, weil sich viele ältere Menschen nach Jahren der beruflichen Orientierung in festeren Wohnverhältnissen niederlassen. Auch nicht wenige der neuen sozialen Gruppierungen, die unsere heutige plurale Gesellschaft bereichern, leben oft in engen sozialräumlichen Zusammenhängen. Am deutlichsten lässt sich das an Stadtvierteln mit hohem Anteil an Bürgern mit Migrationshintergrund ablesen. Wo Menschen räumlich, sozial und mental nahe zusammenleben, ist die Chance größer, dass die Trauer des Anderen wahrgenommen wird, und mit Verständnis und Hilfe gerechnet werden kann. Auch wenn heute andere Begräbnisorte wie etwa Friedwälder von der Bevölkerung vermehrt in Anspruch genommen werden, so finden sich doch gute Gründe, die den Fortbestand kommunaler Friedhöfe als städtische Einrichtungen nahe legen. Wenn es gelingt, die Friedhöfe gegen zukünftige, gesellschaftlich und kulturell relevante Entwicklungen nicht abzuschotten, besteht Hoffnung, dass sich Bestattungsräume entwickeln, in denen die Menschen ihre Trauer über den Verlust geliebter Verstorbener offen ausleben können als Voraussetzung für eine gelingende Wiedereingliederung in ihr gesellschaftliches Umfeld. Die Zukunft der kommunalen Friedhöfe So werden die großen Kommunalfriedhöfe an der Peripherie der Kernstädte wohl auch in der nächsten Zukunft Bestand haben. Der angesprochene enge, lebensräumliche Zusammenhang von Begräbnisstätte und Hinterbliebenen sollte aber Anlass geben darüber nachzudenken, inwieweit Friedhöfe künftig durch Umstrukturierungen im Sinne einer stärker gruppenorientierten und stadtviertelbezogenen Flächenbereitstellung besser zu einer bedürfnisorientierten Versorgung mit Bestattungsflächen beitragen können. Eine solche Neuorganisation ist ja schon deshalb angesagt, weil derzeit mit der stetig steigenden Kremationsrate der Flächenbedarf in einem solchen Maße abnimmt, dass über kurz oder lang ein Standpunkte Dezember 2014 - 5 durchgreifendes Friedhofsflächenmanagement notwendig wird, zu dessen dringlichsten Maßnahmen möglicherweise auch Teilschließungen und Flächenumwidmungen gehören werden. Auch wenn deshalb die städtischen Friedhöfe bzw. die Belegflächen in ihnen in Zukunft kleiner werden, so wird das ihre Bedeutung als Trauer- und Erinnerungsorte für große Teile der Stadtbevölkerung jedoch nicht in Frage stellen. Es finden sich also gute Gründe, die den Fortbestand kommunaler Friedhöfe als städtische Einrichtungen nahe legen. Die anhaltende Pluralisierung und Individualisierung der Gesellschaft wird bewirken, dass der Partizipations- und Dialoggedanke auch die Friedhofskultur erfassen wird. Die Bürger werden in Zukunft auch bezüglich des Friedhofs mehr an Selbst- und Mitbestimmung interessiert sein als an paternalistischem Verwaltungshandeln, durch das sie sich nicht selten behindert fühlen. Diese Selbstverwaltungsstrukturen werden offen und bürgerfreundlich sein müssen. Denn der große Optionsreichtum, der mit den vielfältigen Lebensformen und Lebensstilen heute verbunden ist, stellt gerade auch mit Blick auf Bestatten und Trauern für viele Menschen einen starken Unsicherheitsfaktor dar und mutet ihnen ein hohes Risiko bezüglich ihrer Entscheidungen zu. Die Einrichtung etwa von (verwaltungs-) unabhängigen, bürgernahen Kulturbeiräten auf den Friedhöfen könnte in dieser Hinsicht von großer Hilfe sein. Diese wären aber auch geeignet, zwischen den verschiedenen Gruppierungen mit ihren unterschiedlichen Auffassungen über Bestatten und Trauern zu vermitteln, und die Gruppen unter Wahrung ihrer Verschiedenheit zu kooperativem und solidarischem Handeln auf dem Friedhof anzuleiten und zu befähigen. Letztlich kommt es darauf an, an einer Entwicklung der Friedhofskultur zu arbeiten, die den Tendenzen der Pluralisierung, der Individualisierung und der multikulturellen Entwicklung in der Gesellschaft nicht ausweicht. Ein solcher „Kulturbegriff der Differenzen“ würde den Friedhof als ein (immer neu) verhandelbares Diskursfeld verstehen, in dem sich die Beteiligten mit ihren verschiedenen kulturellen Normen, Werten, Ritualen und sonstigen Verhaltensweisen immer wieder intensiv auseinander setzen können, um im Dialog die eigene Angst vor der Fremdheit der Kultur der Anderen zu überwinden und so ein facettenreiches, aber gemeinsames Verständnis von Friedhof (und Stadtgesellschaft) einerseits und von Tod und Trauerbewältigung andererseits zu entwickeln. Werner Nohl Prof. Dr.Werner Nohl ist Landschaftsarchitekt und Eigentümer der „Werkstatt für Landschafts- und Freiraumentwicklung“ in Kirchheim b. München, [email protected], www.landschaftswerkstatt.de Zum Weiterlesen: Nohl,W.; Richter, G. (2001): Friedhofskultur und Friedhofsplanung im frühen 21. Jahrhundert. Hg.: Aeternitas Verbraucherinitiative Bestattungskultur e.V. Königswinter Nohl,W. (2011): Bausteine einer Friedhofskultur für die Zweite Moderne. http://www.aeternitas.de/inhalt/forschung/veroeffentlichte_arbeiten/2009_10_31__15_23_42 Wie bewältigen München und das Umland das Wachstum? Streiten über einen gemeinsamen Weg Allein kann München es nicht schaffen. Wohnungsnot und Pendlerströme sind Schattenseiten der Münchner Erfolgsgeschichte, die nur gemeinsam mit der Region bewältigt werden können – davon ist Münchens Stadtbaurätin Elisabeth Merk überzeugt. Viele Umlandgemeinden dagegen fürchten die Verstädterung und die Preisgabe ihrer Identität. Welche Herausforderungen kommen auf München, die Umlandgemeinden und den Großraum zu? Wie könnten gemeinsame Lösungen aussehen, von denen alle profitieren – und wie realistisch ist eine engere Zusammenarbeit? Tag: Di. 20. Januar 2015, 19.00 bis 20.30 Uhr Ort: Volkshochschule Gasteig Rosenheimer Str. 5 Es diskutieren: Christoph Göbel, Landrat des Landkreises München Thomas Herker, 1. Bürgermeister der Stadt Pfaffenhofen a. d. Ilm Prof. Dr. (I) Elisabeth Merk, Stadtbaurätin der LH München Dr. Heike Piasecki, bulwiengesa AG Moderation: Dietlind Klemm, Bayerischer Rundfunk Veranstaltungsnummer: BG 118 E - Podiumsdiskussion Innenstadt Kostenbeitrag pro Veranstaltung: 7,00 Euro bei Anmeldung oder am Veranstaltungsort – auch mit MVHS-Card Eine Veranstaltung der Münchner Volkhochschule und des Münchner Forums Standpunkte Dezember 2014 - 6 Der Alte und der Neue Israelitische Friedhof zu München Den jüdischen Friedhöfen – als Geschichts-Quelle mit kultureller als auch künstlerischer Bedeutung – wird seit geraumer Zeit erhöhtes Interesse entgegengebracht. Dies findet seinen Ausdruck in der regen Anteilnahme an Besichtigungs-Touren und großer Nachfrage an Führungen über die alten, ehrwürdigen Friedhöfe der israelitischen Kultusgemeinden in Deutschland, Österreich sowie in Mittel- und westlichem Osteuropa. Dabei ist jedoch die Vorschrift zu beachten, dass – da es ein religiöser Ort ist – die Herren eine Kopfbedeckung, und die (verheirateten) Frauen ebenfalls ihr Haar bedeckt zu tragen haben. D rig, ist gleichzeitig auch eine entsprechende ‚VisitenKarte‘, ein Status-Schild einer Stadt oder Region. Damit sind nicht die Persönlichkeiten, die auf diesen Orten ihre letzte Ruhe fanden, gemeint, denn dies hat nach jüdischer Tradition ohnehin nur einen sekundären Aspekt, sondern der Friedhof als Ganzes: d.h. je größer er in seiner angelegten Fläche oder je besser er – trotz der tragischen Vergangenheit – unzerstört in seinem Charakter erhalten geblieben ist, spricht viel über den Background der Gesellschaft einer Stadt oder einer Region und ihrem Umgang mit ihren jüdischen Bürgern und deren öffentliches Eigentum ... selbst über den Tod hinaus. Bezüglich der ältesten Niederlassung der Juden in München liefert uns die Geschichte nur karge, lückenhafte Mitteilungen. Der ehrwürdige Münchner RabbinerHenoch Ehrentreu (1854-1927) erwähnt in seiner „ChevraKadischa“-Festschrift, dass im Jahre 1210 den Juden in München gestattet wurde, eine Synagoge im damaligen ‚Juden-Gässlein‘, der späteren Gruftgasse, zu errichten, und sie erhielten 1225 auch die Erlaubnis, einen eigenen Begräbnisplatz anzulegen. Doch schon 1440 wurden die Juden STADTARCHIV MÜNCHEN GEOGRAPHISCHES INSTITUT, WEIMAR as Interesse an der jüdischen Vergangenheit in einzelnen Städten und ländlichen Ortschaften war nicht immer so rege wie in der Gegenwart, zumal es seit der späten Nachkriegszeit doch immer wieder Antisemitismus und vereinzelte Zerstörungswut gab, die das spärlich errichtete Vertrauen regelrecht erschütterte. Ob dies nun als gänzlich überwunden betrachtet werden kann, wird sicherlich die Zukunft beantworten können. Die jüdischen Gottes-Acker waren, bedingt durch die religiöse Vorschrift, schon seit biblischer Zeit zu einer historischen Ausdauer vorbestimmt – die christlichen Grabstätten hingegen haben sich weder in ihrer Existenz noch in einem größerem Umfang über die Zeitspanne seit dem Mittelalter in vielen Regionen erhalten –, und deshalb stellen bis zur Gegenwart die israelitischen Friedhöfe nicht nur eine kulturgeschichtliche, sondern gleichzeitig auch eine werthistorische Einzigartigkeit dar. Heute sind diese jüdischen Stätten sowohl Zeugnisse als auch zugleich Mahnmale jüdischer Geschichte und deren Untergang und Zerstörung. Ein Friedhof, egal welcher Konfession er zugehö- München und Umgebung 1856 Die Flächenerweiterungen 1816-1881 Standpunkte Dezember 2014 - 7 STADTARCHIV MÜNCHEN (vormals Sendlinger Landstraße) umfasste bei seiner Neuanlage eine Fläche von 2,27 Tagwerk. Aus der Broschur „Der Münchner Gottesacker“ (1855) ist zu entnehmen: „Der israelitische Gottesacker ist 220 Fuß lang, 146 Fuß breit, und enthält gegen 1.000 Begräbnisstellen“. Mit der Erschließung des Grundstücks als Friedhof wurde sogleich auch ein entsprechendes Friedhofs-Gebäude errichtet. STADTARCHIV MÜNCHEN unter Herzog Albrecht III aus München und schließlich 1442 aus ganz Bayern vertrieben. Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jhdts. war es wenigen Juden – hauptsächlich jenen, die für den Bayerischen Hof in wirtschaftlichem Zusammenhang von Bedeutung waren – erlaubt, sich auch in München wieder anzusiedeln. Es wurden zwar einige Privilegien gewährt, aber das Verbot der Entbindung und Beerdigung in München blieb lange Zeit bestehen, und so mussten sich die Juden für diese Zwecke nach Kriegshaber (bei Augsburg) begeben. Erst mit dem so genannten „Judenedikt“ von 1813, unter dem Einfluss des Napoleon’schen Codex, verbesserte sich die rechtliche Lage der Juden in München und bald in ganz Bayern. Somit war für die Bildung von Kultusgemeinden nunmehr eine rechtliche und auch geordnete Grundlage gegeben. Immerhin konnte sich aufgrund der gegebenen Gesetzeslage Anfang des Jahres 1815 die „Israelitische Cultusgemeinde München“ konstituieren. Dadurch konnten endlich die wichtigsten Bedürfnisse einer Gemeinde erfüllt werden, indem sie im Frühjahr 1816 einen Friedhof an der Thalkirchner Straße anlegte und 1826 eine Synagoge an der Westenrieder Straße erbauen ließ. Hier also, d.h. im Jahre 1816, beginnt die Geschichte der Israelitischen Friedhöfe zu München. In der „Allgemeinen Zeitung des Judentums“, Trauerhalle um 1870 Seit Mitte des 19. Jhdts. vergrößerte sich nicht nur die Stadt München, sondern gleichzeitig auch die hiesige Gemeinde der Israeliten. 1824 waren bereits 592 Juden sesshaft, 1852 erhöhte sich diese Zahl auf 1.208, 1875 waren es bereits 3.475 und 1890 erreichte die Anzahl schon 6.108 jüdische Bürger. Insofern war es auch nötig, den „Guten Ort“ (so wurde auch der Friedhof von deutschen Juden genannt) entsprechend zu erweitern (siehe Abbildung). Eine weitere Vergrößerung war jedoch nicht mehr möglich, da der umgebene Bereich der Friedhofs-Anlage bereits für landwirtschaftliche Zwecke bestimmt war, die allmählich durch das bereits erwähnte Anwachsen des Stadtgebiets in Wohnflächen umgewandelt wurden. Im Jahre 1880 erfolgte also die letzte Erweiterung mit den restlichen Sektionen, Nr. 2 bis 6, 21 bis 32 und 34. Im Zuge dieser Vergrößerung von 1881 wurde auch eine 2,50 Meter hohe und rund 580 Alter jüdischer Friedhof Meter lange Einfriedungsmauer mit dem erhabenen, Sepia-Aquarell von Carl August Lebschée romantisierenden dreitüriges Hauptportal aus Roheiner frühen jüdischen Presse in Deutschland, liest backstein mit Gitterwerk an der Thalkirchner Straße man (I. Jg., No. 91, 31. Oktober 1837, p.363) u. a.: geschaffen und einen breiten, mit Ornament-Ziegeln „Im Jahre 1816 wurde der jüdische Leichenacker ausgeschmückten Hauptweg angelegt, der direkt eine halbe Stunde unweit München errichtet. Die zum Friedhofsgebäude führt. damaligen Kosten zum Ankauf des Grundes, zur Das Friedhofsgebäude, das 1881-1882 errichtet Erbauung des Leichenhauses etc. erstreckten sich auf wurde, ist im Stil der Neorenaissance konzipiert, mit 12.000 Gulden. – Die Gemeinde scheute kein Opfer; einem erhöhten Mittelschiff, der Trauerhalle. Sie ist in kaum vier Tagen war die Summe zusammengeüber vier Stufen und durch eine dreibogig gestalteschossen, und der erste Schritt zur weiteren, festeren te offene Vorhalle mit Sandsteinummantelung und Begründung der Gemeinde getan.“ einem schwarz-beige gekachelten Klinkerboden zu Dieser, ab 1908 „Alter Israelitischer Friedhof“ erreichen. Der gesamte eingeschossige Komplex ist genannte Begräbnisplatz an der Thalkirchner Straße in Sichtziegelbauweise konzipiert, mit Satteldach Standpunkte Dezember 2014 - 8 STADTARCHIV MÜNCHEN SKIZZE DOKU-ARCHIV Neuplanung des Friedhofs-Areal mit Situation der 1870er Jahre 30 cm geöffnet. Das erfolgte an der Außenseite, zwischen dem Fenster des Hauses und der Stoßecke der Apsis ist ein Metallgriff befestigt, mit dem man das Dach aufschieben konnte. Diesen speziellen Zugang für die Angehörigen des Priesterstammes gibt es auf allen jüdischen Friedhöfen weltweit, gemäß des Verbots für Priester, sich an Toten zu verunreinigen,und des Verbots für Priester, zu Toten ins Haus zu gehen (3. M. Lev. 21, 1.2.11). Im Friedhofsgebäude sind um die Trauerhalle (im Uhrzeigersinn) eine Dienstwohnung, das Büro der Friedhofsverwaltung, der Tahara-Raum, wo der Leichnam nach jüdischem Minhag (Bräuche) für die Beerdigung vorbereitet wurde, sowie ein Raum für die ChevraKaddischa und ein Kondolenz-Raum angeordnet. Auf dem Vorplatz zur Trauerhalle befindet sich das fünfteilige Denkmal zur Erinnerung an jüdische Bürger, die zwischen 1933-1945 in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern ermordet wurden, welches Anfang Juni 2008 mittels einer entsprechenden Gedenkveranstaltung enthüllt wurde. Von hier aus gelangt man zu den einzelnen Sektionen des Friedhofs (mit rund 5.500 Gräbern auf 35 Feldern), der unter vorzüglicher Leitung und Leistung von der hochgeschätzten Frau Angermeier verwaltet und gepflegt wird. Der Name „Angermeier“ ist bereits in mehreren Generationen eng mit dem Alten Israelitischen Friedhof verbunden, die in aufopfernder Treue, Liebe und Mut (!) – auch über die schreckliche NS-Zeit hinweg – den Friedhof STADTARCHIV MÜNCHEN Seit 1881 neue Sektions-Einteilung Plan-Skizze des neuen Hauptportals 1880 und Rundbogenfenstern, wobei die Trauerhalle knapp unter dem Dach kreisrunde Fenster hat sowie an der Südseite ein Doppelfenster in Form der Gesetzestafeln Moses. An der Südseite der Trauerhalle befindet sich eine halbkreisförmige Apsis, die für die Kohanim (Priester) bestimmt ist. Ehe die Kohanim über diesen seitlichen Eingang eintraten, wurde zuvor vom Friedhofspersonal das Dach um einen Spalt von etwa Denkmal von Nikolaus Gerhart mit Widmung und Namen der Ermordeten nach allen Seiten zu schützen versuchten. Die heute vermeintlich freien Stellen sind einerseits durch Verwitterung der Grabsteine, Kriegsschäden, vor allem aber durch Entwendung der Monumente als Baumaterial bzw. Requisiten-Reservoir für andere Friedhöfe während des Dritten Reichs entstanden. Nach der NS-Zeit konnten zwar einige Grabstei- Standpunkte Dezember 2014 - 9 ne wieder aufgefunden und zurückgestellt werden, aber der Verlust der restlichen Monumente bleibt als stummer Zeuge einer mörderischen Zeit bestehen. Als Beispiel dieser „Entwendung“ soll hier das Grabmal des Siegfried Springer gezeigt werden, dessen Monument nicht nur gestohlen, sondern gleichzeitig mit einem unjüdischen Symbol geschändet wurde. Nach jüdischer Auffassung und Rechtslehre darf niemand den Namen eines Menschen tilgen, schon gar nicht an seiner Ruhestätte, und davon abgesehen dürfen auch niemals Grabsteine von der Stelle gerückt oder optisch verändert werden. Jedes Gegensätzliche zählt im Judentum als gravierender Frevel. So ist es denn auch eines der grundlegenden Aufgaben (und Generationen-Auftrag) der israelitischen Kultusgemeinen – weltweit (sic!) – dafür Sorge zu tragen, dass der Friedhof in ihrem Verwaltungsbereich unantastbar bis zum Jüngsten Tage bestehen bleibt. Der älteste Bereich auf dem Alten Israelitischen Friedhof an der Thalkirchner Straße – das kann man auch optisch schon erkennen – ist die Sektion 12. Es ist übrigens das größte Feld und beherbergt den Belegungszeitraum zwischen 1816 bis 1870. Davor befindet sich die Sektion 11, auf der von 1816-1881 das alte Friedhofsgebäude stand. Das größte Monument auf dem Friedhof ist freilich das des berühmten deutschen Dramatikers Michael Beer, der 1800 in Berlin geboren und 33-jährig in München verstarb. Neben „Struensee“ (1829) zählte das von Goethe sehr geschätzte Trauerspiel „Der Paria“ (1828) zu seinen bekanntesten Werken, aber auch als Lyriker erlangte er großes Ansehen. Beers Mutter war Amalie Meyer, die in seiner Geburtsstadt einen bedeutenden „Salon“ führte und viele Künstler Als Michael Beer 1833 in München verstarb, beauftragte der Bayerische König seinen Architekten Leo von Klenze, das Grabmal des Dichters zu entwerfen, welches nach seiner Zeichnung vom Steinmetzmeister Anton Ripfel (Schöpfer der Otto-Säule) gefertigt wurde. Von größtem Wert – insbesondere bezüglich der Geschichte der israelitischen Gemeinde München – ist, ebenfalls auf Sektion 12, der Bereich der ersten Rabbiner. Monument Michael Beer Der erste Rabbiner, der zwar noch nicht als Rabbi fungieren durfte, da es noch keine Synagoge in München gab, war Hesekiel Hessel (17551824) s“l., der bis zu seinem Tode als Lehrer und Vorbeter fungierte. Sein Nachfolger war Hirsch Aub (1795-1875) s“l., der, nachdem 1826 die Synagoge an der WestenriederStraße geweiht war, von der Regierung anerkannter Rabbiner war. Die beiden Rabbiner-Frauen liegen (siehe Abbildung) nebeneinander, da es nach jüdischer Tradition Die ersten Rabbiner: Hesekiel Hessel und Gattin (rechts), Hirsch Aub und Gattin (links) Sektion 11, wo das erste Tahara-Haus stand förderte, , denn ein anderer Sohn war der wunderbare Giacomo Meyerbeer (1791-1864), der zu den erfolgreichsten Opernkomponisten des 19. Jahrhunderts zählte. nicht gestattet ist, „fremde“ Frauen neben andere Männer zu bestatten. Viele Grabsteine, vor allem die Sandsteine aus dem 19. Jahrhundert, wurden jedoch nicht „geschändet“ aufgrund von anti-semitischer Handlung nicht-jüdischer Bürger, sondern wurden in jüngster Zeit schlichtweg „Opfer der Umweltschäden“. Als Beispiel hierfür sollte das Grabmal des geachteten Hoffaktors und Banquier Jakob von Hirsch (17651840) stehen, welches sich ebenfalls auf Sektion 12 befindet, dessen Grabmal aus kunstgeschichtlicher Sicht von Bedeutung war. Standpunkte Dezember 2014 - 10 Jakob von Hirsch war eine bedeutende Persönlichkeit seiner Zeit, der durch redliche Arbeit – trotz der erschwerten Bedingungen, die seinerzeit in Bayern gegen Juden vorherrschten – zu einem gewissen Vermögen, zu Anerkennung und zur Erhebung in den Adelsstand kam, ohne aber, wie etliche seiner Zeitgenossen es aus „modischem“ Motiv taten, dem Judentum abzuschwören. Wie gewichtig seine Persönlichkeit in jenen Tagen war, zeugt auch die Tatsache, dass sein Testament im „Regierungs-Blatt für das Königreich Baiern“, No. 43, vom 9. August 1841 veröffentlicht und bekannt gegeben wurde, dass der Verstorbene „für milde Stiftungen eine Summe von 38.000 fl., als Vermächtnis bestimmte“. Dies ist übrigens keine Ausnahme, sondern war für alle Zeiten und in allen Ländern, wo Juden wohnten, eine „natürliche“ Sache. Viele Bürger nahmen auf der einen Seite diese Almosen an, aber gifteten auf der anderen Seite gegen die Judenheit... Durch Zufall war es dem Autor dieses Artikels möglich, eine alte Broschüre des Architekten und Radierers Rudolf Gottgetreu (1821-1890) ausfindig zu machen, in der das Grabmal des Barons Jakob von Hirsch abgebildet ist. In der Beschreibung heißt es: „Dies äußerst reiche, durch seine Formenbildung überraschende Monument steht auf dem Gottes-Acker der hiesigen Israeliten. Der Künstler hatte sich hier die Aufgabe gestellt, den orientalischen Formencharakter seiner Schöpfung auszuprägen. Der große maurische Bogen, eingefasst von Kristallformen, die sich emporsteigend mit fein ausgearbeiteten Ornamenten vereinigen und in Rosettenformen austönen, als Krone sodann den reichen Blütenstern tragen, ist gewiss Blatt XV. Grabmonument im maurischen Stil, entworfen und ausgeführt von J. B. Schell. der zu erzielenden Wirkung entsprechend.“ Der heutige „Zustand“ dieses Grabmals gibt zu bedenken, was in „unserer“ Zeit die Umweltschäden, nicht nur Wind und Wetter, sondern der „saure Regen“, Erzeugnisse unserer Generation, verursachen können. Nicht anders ist es auch mit zahlreichen historischen Baudenkmälern, die unentwegt renoviert und erhalten werden müssen. Grabmäler auf jüdischen Friedhöfen können aber nicht so „einfach“ restauriert werden! Zum einen fehlt das nötige Geld, auch bei den Angehörigen der Verstorbenen, zum anderen – wie bereits erwähnt – dürfen keine Veränderungen an bestehenden Grabmälern vollzogen werden. Das einzige, was getan werden darf – wenn der Name bereits gänzlich verwittert –, ist eine entsprechend wetterfeste Tafel hinzuzufügen, auf der der Name und die Lebensdaten vermerkt sind. Dies kann man auf diesem ehrwürdigen alten israelitischen Friedhof jedenfalls mehrfach vorfinden. Seit 1908, nach der Einweihung des „Neuen“ Israelitischen Friedhofs, wurden in der Thalkirchner Straße nur noch die engsten Verwandten neben den bereits hier beerdigten Angehörigen bestattet. Die letzten Beerdigungen in „jüngster“ Zeit fanden 1983 statt; das war eine Tochter, deren Vater bereits auf dem alten IKG Friedhof lag und deren Mutter von den Nazis ermordet wurde, und schließlich noch im Jahre 2003, ein (einziger) Sohn, dessen Eltern (der Vater wurde in Dachau ermordet, die Mutter, nachdem sie aus der Emigration zurückkehrte und den Lebensabend in München verbrachte) hier bereits bestattet waren. Chaim Frank Fortsetzung folgt in „Standpunkte“ Januar 2015 Chaim Frank, geboren 1955; in Moldavien aufgewachsen; Gymnasium (Wien), 1973 Abitur; Kunst-, Geschichte- und Judaica-Studium (Wien, Gent, Paris) / Lebens-Stationen: Belgien; Frankreich; USA, Israel und München; 1979 – Gründung des »Dokumentations-Archiv für Jüdische Kultur und Geschichte«; Ab 1984 Wohnsitz in München; freier Journalist, Archivar für verschiedene Verlage, freier Mitarbeiter der IKG-München; Referent für Judaistik und Kunstgeschichte; sowie Öffentlichkeitsarbeit zum Verständnis zwischen Juden und Nichtjuden; Jiddisch-Kurse; Jüdischer Friedhof- und Stadtführungen; seit 1997 als Sozialpädagoge an einer Münchner Mittelschule tätig. Zum Weiterlesen: Chaim Frank wird in 2015 ein Buch über die Israelitischen Friedhöfe in München veröffentlichen. Hier der Link zum Portal des „Dokumentations-Archivs für jüdische Kultur und Geschichte“ http://doku-archiv.com Standpunkte Dezember 2014 - 11 Der Alte Südliche Friedhof in München – Begräbnisstätte Erinnerungsort Denkmal Der Alte Südliche Friedhof in der Isarvorstadt ist seit einigen Jahren wieder mehr in das Interesse der Bürgerinnen und Bürger geraten, zum einen durch die Feierlichkeiten anlässlich seiner Gründung vor 450 Jahren im Jahr 1563, durch Veranstaltungen in den Jahren 2008 und 2010, die von Klaus Neumann mit dem Bezirksausschuss 2 und dem Friedhofsamt organisiert wurden, und durch die Restaurierungsmaßnahmen, die seit 2001 im Auftrag des Stadtrats durchgeführt werden. B egleitet werden die Sanierungen durch eine systematische Inventarisierung der beiden Kunsthistoriker Claudia Denk und John Ziesemer im Auftrag der Stadt seit 2003. Unter dem Titel „Kunst und Memoria, Der Alte Südliche Friedhof in München“ ist vor kurzem eine opulente Zusammenfassung der Forschungsergebnisse von diesen beiden Autoren veröffentlicht worden. Die Publikation beschreibt nicht nur die Entstehungsgeschichte des Friedhofs in verwaltungstechnischer und architekturgeschichtlicher Hinsicht, sie liefert vor allem auch wertvolle Beiträge zur Einflussnahme der bayerischen Könige Max I. Joseph und Ludwig I. auf den Ausbau und die Gestaltung der Erweiterungen im 19. Jahrhundert und die Wandlung des Friedhofs von einem Ort der Bestattung zu einem Ort der Erinnerung und der Denkmäler. Exemplarisch werden 186 kunsthistorisch bedeutende Grabmäler im Detail behandelt. Der Alte Südliche Friedhof nimmt auch im europäischen Vergleich einen hohen bau- und kunstgeschichtlichen Rang ein. Seit 1788 war er der zentrale Bestattungsort der Stadt München, daher stellt der Friedhof auch ein steinernes Geschichtsbuch dar – jeder, der in der ersten Hälfte des Jahrhunderts und Pestfriedhof 1563 Als der Friedhof 1563 begründet wurde, lag er deutlich vor der Stadtgrenze, er wurde als „ferterer“, äußerer Friedhof bezeichnet. Anlass war wahrscheinlich eine Pestepidemie, deren Hunderte von Opfern man nicht mehr in den Friedhöfen innerhalb der Stadtmauern bestatten konnte oder auch wollte. Man hat die Seuchenopfer wie auch die Erkrankten als große Gefahr angesehen. Herrschende Meinung war bis ins 19. Jahrhundert die „Miasmen-Theorie“, also die Gefahr von Ausdünstungen und schlechten Gerüchen, die von den Kranken ausströmen und Krankheiten verbreiten würden. Von den beiden Pfarreien der Frauenkirche und St. Peter wurden Grundstücke vor dem Sendlinger FRANZ SCHIERMEIER VERLAG MÜNCHEN FRANZ SCHIERMEIER VERLAG MÜNCHEN darüber hinaus eine wichtige Position in der Stadt eingenommen hat, liegt hier begraben. Vor allem hat sich auch das Selbstverständnis der Bestatteten bzw. ihrer Nachfahren und Familien grundlegend geändert: Der Friedhof wurde zu einem Ort der repräsentativen Monumente der einflussreichen Bürger, Künstler, Politiker und letztlich auch der Bauherren und Auftraggeber. Friedhof vor dem Sendlinger Tor, 1697 Johann Stridbeck Standpunkte Dezember 2014 - 12 FRANZ SCHIERMEIER VERLAG MÜNCHEN 1613 1789 1818 1850 Tor erworben, oberhalb des Glockenbachs. Im April 1563 wurde der Friedhof geweiht und mit Unterstützung des bayerischen Herzogs Albrecht V. eine Kapelle errichtet, die 1576 geweiht wurde. Damit war der Friedhof auch in geistlicher Hinsicht zu einem angemessenen Ort für die Bestattungen geworden. Die Lage des neuen Friedhofs an der Thalkirchner Straße war für die Stadtbürger denkbar schlecht: die Straße führte zu den Thalkirchner Überfällen, zum Abdecker, in der Nähe lag das Brechhaus, in dem Seuchenkranke untergebracht wurden, außerdem lag der Friedhof weit außerhalb des Schutzes der Stadtmauern. Daher wurden zunächst hier nur die Armen bestattet, die sich kein Erbgrab in einem der innerstädtischen Friedhöfe leisten konnten, Heimatlose und Seuchenopfer. Wer es sich leisten konnte, erwarb einen Grabplatz in einem der Kirchhöfe in der Stadt selbst, um die St. Peterskirche, die Frauenkirche bzw. in einer der Friedhofsanlagen um die Kreuzkirche und St. Salvator, die von den beiden Pfarreien dafür angelegt wurden. Eine angesehenere Wahl des Bestattungsorts waren manche Klöster, wie das Franziskanerkloster an der Stelle des heutigen Nationaltheaters, oder in einer (angekauften oder gepachteten) Familiengruft in einer der Kirchen selbst. Ziel war ja, so nahe wie möglich dem Allerheiligsten zu kommen im Hinblick auf eine günstige Entwicklung für den Bestatteten nach dem Tode bis zum „Jüngsten Gericht“. Der beste Ort dafür war direkt unter dem Altar, das gelang aber nur dem Klerus bzw. den Wittelsbacher Fürsten. Als im Dreißigjährigen Krieg die Schweden anrückten, wurde tatsächlich auch der gesamte Friedhof mit Mauern, Grabmälern und der Kapelle geschleift, um dem Feind keine Deckungsmöglichkeiten zu geben. In den folgenden Jahrhunderten kamen weitere Grundstücke im Süden des bestehenden Bereichs hinzu, z.B. erwarb das Heiliggeistspital ein eigenes 1955 2014 Gelände. Das Erscheinungsbild des Friedhofs wird dem Kupferstich von 1691 entsprochen haben, den Johann Stridbeck gefertigt hat. Auflassung der innerstädtischen Friedhöfe Eine grundlegende Änderung des Friedhofswesens in München trat erst Ende des 18. Jahrhunderts ein. Auslöser war die Furcht vor den gesundheitlichen Gefahren der Miasmen, den vermeintlich schädlichen Ausdünstungen der Toten. Schon Kurfürst Max III. Joseph hatte untersuchen lassen, ob eine Erweiterung des äußeren Friedhofs möglich sei. Eine Entscheidung fiel jedoch erst unter seinem Nachfolger, dem Pfälzer Wittelsbacher Karl Theodor, der die Zuständigkeiten für den Friedhof neu regelte und einem kurfürstlichen Geistlichen Rat übergab und damit der staatlichen „Administration des Kultus“. Bis dahin bestand eine Kumulativ-Kommission aus Vertretern der Pfarreien und des Magistrats zur Verwaltung des Friedhofs. Der Kurfürst verbot in einem Spezialreskript am 9. Mai 1788 weitere Beerdigungen auf den innerstädtischen Friedhöfen, das betraf die Friedhöfe bei Unserer Lieben Frau, St. Peter, bei der Kreuzkirche, der Salvatorkirche, im Franziskanerkloster, dem Kapuzinerkloster, dem Rochus-Spital, dem Heiliggeistspital und bei der Theatinerkirche, die Fürstengrüfte waren davon natürlich ausgenommen. Bis Ende März 1789 sollten die Kirchhöfe eingeebnet und Kreuze und Grabmäler entfernt sein. Damit wurde der ehemalige Pest- bzw. Entlastungsfriedhof vor dem Sendlinger Tor zum zentralen Friedhof für die Stadt München. Einzelne Grabstätten wurden transferiert, „Wagenladungen“ von Überresten der Bestatteten wurden in den Südlichen Friedhof verbracht (und v.a. an der westlichen Mauer eingegraben), besondere Grabmäler wurden versetzt bzw. an den Mauern der Stephanskapelle neu montiert oder aufgestellt, wie das Grabmal für den Bildhauer Johann Baptist Straub. Wenn man die Sorge der einzelnen Gläubigen vor Standpunkte Dezember 2014 - 13 Der Südliche Friedhof Wilhelm Scheuchzer, 1831 Südliche Friedhof als einer der ersten in Deutschland ein Leichenhaus. Der Friedhof als repräsentative Aufgabe der Residenzstadt Auch wenn die Verwaltung des Friedhofs und damit auch die Aufsicht und Instandhaltung in städtischer Hand blieb, haben sich die bayerischen Könige direkt mit den notwendigen Erweiterungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts befasst. 1817 befahl König Max I. Joseph, den Kreisbauinspektor und Baurat Gustav Vorherr (23-13-27) mit der Planung und Bauleitung einer Erweiterung und Umgestaltung zu beauftragen. Das Projekt ist im Zusammenhang mit den Generalplanungen Sckells zu den vor der Stadtmauer gelegenen Straßenzügen zu sehen. Da der Magistrat eine finanzielle Beteiligung an den Bauten zunächst ablehnte, wurden dazu Kirchenstiftungsgelder verwendet und Darlehen aufgenommen, die durch deutlich höhere Grabgebühren refinanziert wurden. Erweiterung und Umgestaltung durch Gustav Der Friedhof in staatlicher und städtischer VerVorherr waltung Mit der Planung von Gustav Vorherr wurde der Der Friedhof blieb seitdem in säkularer, staatlicher Friedhof nicht nur erweitert, sondern er erhielt auch Hand bis 1818, als die Stadt mit dem Gemeindeedikt eine besondere Form im Grundriss, nämlich die wieder ihre Selbstverwaltung zurück erhielt. Schon eines Sarkophags (die Form ergab sich allerdings um 1789 wurden die Verordnungen zur Bestattung neu definiert. Es wurde eine Aufbahrung von min. 36 Stunden verordnet zum Schutz vor einem Scheintod. Auch in München soll es Fälle gegeben haben wie die des Pfarrers aus Hiltpoltstein, der nach einem Schlaganfall bestattet wurde. Bei der Exhumierung am nächsten Tag soll er in seinem Sarg auf dem Bauch gelegen haben. Die Angst vor dem Scheintod war durchaus begründet. Wirklich verlässliche medizinische Analysen und Feststellungen des Todes gab es nicht. Teilweise behalf man sich mit auch drastischen Methoden wie glühenden Zangen, oft trat der Tod Plan zur Friedhofsanlage vor dem Sendlinger Tor Gustav Vorherr, 1817; auch erst durch die Öffnung der Abbildung aus: Margret Wanetschek, Grünanlagen in der Stadtplanung von München, Leichen ein. In Österreich hat sich München 2005 bis nach 1900 der sog. Herzstich erhalten, den manche testamentarisch verfügt hatten: in erster Linie aus den topographischen Gegebenmit einem Stilett wurde der zum Tod Erklärte mitten heiten). Vor allem wurde mit der Neugestaltung des ins Herz gestochen. Die Aufbahrung der Leichnagesamten Areals und einer strengen Organisation der me über mehrere Tage in einer Aufbahrungshalle Wege, Grabsektionen und Einzelstandorte eine klarer mit entsprechenden Aufsehern und evtl. Rettungsablesbare Hierarchie der Begräbnisstätten erreicht. möglichkeiten war also notwendig. 1791 hatte der Der gesamte Bereich war in Ränge eingeteilt, also Standpunkte Dezember 2014 - 14 STADTARCHIV MÜNCHEN STADTARCHIV MÜNCHEN einem geistigen Leben nach dem Tode bedenkt, ihr Bemühen um möglichst hilfreiche Grabplätze, aber auch den gesellschaftlichen Anspruch. der damit verbunden war, kann man erahnen, wie das kurfürstliche Verbot aufgenommen wurde. Verbürgt sind die Reaktionen einzelner Adelsfamilien, die sich energisch dagegen gewehrt haben. FRANZ SCHIERMEIER VERLAG MÜNCHEN Umbau zur Gartenanlage Zur angenehmeren Gestaltung der neuen Friedhofsteile wurde der Landschaftsarchitekt Friedrich Ludwig von Sckell vom König beauftragt. Sckell (6-7-34) schlug eine durchgehende Bepflanzung mit Bäumen und Sträuchern entlang der Mauern vor. An den Hauptwegen sollten „Blumen und wohlriechende Gewächse, Rosen, Lavendel, Salbey, Rosmarin u. dgl.“ angepflanzt werden. Geruchsintensive Pflanzen waren auch als Abwehr gegen die „Miasmen“ vorteilhaft. Mit der neuen Friedhofsmauer und vor allem den Arkaden änderte sich auch die Ausführung der Grabmäler. Die vermögenderen Familien suchten nach einer besonderen künstlerischen Gestaltung, die nach den Vorschriften der Friedhofsverwaltung bis zur Höhe der Mauer reichen konnte (mit Ausnahmen). Der Friedhof gewann dadurch sowie durch die besondere architektonische Gestaltung und die gärtnerische Behandlung auch Interesse bei den Touristen und wurde Teil des allgemeinen Besucherprogramms. Münchner Ruhmeshalle Gustav Vorherr schlug den halbrunden Arkadenbau auch als „edlen BestatDenkmal für die Opfer der Sendlinger Mordweihnacht (6-1523/27) Entwurf Friedrich Gärtner tungsplatz“ für die „ersten Familien des Staates“ vor. Ausgeführt wurde schließlich eine Wandgestaltung, bei der über den Grabmälern ein Ring von eingelassenen Nischen vorgesehen wurde, in die Ehrenbüsten verdienstvoller Persönlichkeiten eingestellt werden konnten. Ein erster „Gedenkort“ der kgl. Haupt- und Residenzstadt, wie Denk und Ziesemer schreiben, ist weit vor der Errichtung der Ruhmeshalle über der Theresienwiese, aber möglicherweise auch unter dem Einfluss des Kronprinzen Ludwig entstanden, der sich bereits seit 1809 mit diesem Thema beschäftigte. Bis 1850 wurden auch über 30 Büsten eingestellt, danach übernahm die Ruhmeshalle diese Funktion. Ludwig, bereits König, verhalf auch dem schon 1818 von Westenrieder (Alte Arkaden 92) und Johann Andreas Schmeller (2-7-40) vorgeschlagenen Denkmal für die Opfer der Sendlinger Mordweihnacht (6-15-23/27) zur Ausführung. Es wurde schließlich von Friedrich von Gärtner (Neue Arkaden 175) entworfen und von Johann Baptist Stiglmaier gegossen. MÜNCHENER STADTMUSEUM in „einfachere“ und „bessere“ Standorte, die v.a. entlang der Außenmauern und Hauptwege lagen und einen besonderen Bereich, den Arkadenbereich, der den Friedhof nach Süden hin abschloss. Entsprechend gestaffelt waren auch die Belegungszeiten und die Gebühren. Damit gewann der Südliche Friedhof auch bei den sog. höher gestellten Gesellschaftsschichten mehr Zuspruch. Armengräber waren kostenlos, eine einfache Grabstelle innerhalb einer Sektion kostete zwischen einem und fünf Gulden (für sechs bis sieben Jahre). Am teuersten waren die Familiengrüfte innerhalb der neu gebauten Arkaden (400 Gulden für 100 Jahre), womit man auch die Umgestaltung finanzieren musste. Am 18. Oktober 1819 konnten die neuen Leichensäle eröffnet werden, insgesamt hatten die Kosten für den Umbau 130.000 Gulden betragen. Stadtbaumeister Joseph Höchl (2-7-1) hatte die Bauten ausgeführt. Entwurf zur Erweiterung des Friedhofs vor dem Sendlinger Tor Friedrich von Gärtner, 1842; Abbildung aus: Margret Wanetschek, Grünanlagen in der Stadtplanung von München, München 2005 Der neue Campo Santo Auch die letzte große Erweiterung des Südlichen Friedhofs ging auf eine Epidemie zurück. 1836/37 erkrankten ca. 2.000 Einwohner in München an der Cholera, 915 davon starben, eine Erweiterung des zentralen Friedhofs war auf längere Sicht hin notwendig. Der König, der bei der Bekämpfung bzw. Vorsorge gegen die Cholera noch wenig Energie gezeigt hatte, entwickelte umso mehr, als es darum ging, einen der kgl. Residenzstadt angemessenen Begräbnisplatz zu verwirklichen. Nachdem er 1842 einen vollständigen Neubau an anderer Stelle verworfen hatte, entwickelte Friedrich von Gärtner eine Erweiterung in Form eines Campo Santo, dessen Vorbilder u.a. in Bologna im Friedhof La Certosa zu finden sind. Eine direkte achsiale Erweiterung war Standpunkte Dezember 2014 - 15 FRANZ SCHIERMEIER VERLAG MÜNCHEN Der kgl. Residenzstadt angemessen Die monumentale Gestaltung des neuen Teils geht direkt zurück auf eine gemeinsame Besichtigung des Vorbilds in Bologna durch König Ludwig I. und seinen damaligen Lieblingsarchitekten Friedrich von Gärtner im Jahr 1842. Das „königliche“ Projekt wurde jedoch aus städtischen Mitteln bezahlt, wobei sich Bürgermeister Jakob von Bauer (Neue Arkaden 174) und der Magistrat gegen eine Erhöhung der Baukosten über 300.000 Gulden hinaus wehrten. Bürgermeister Bauer hatte sich bereits mehrfach gegen die Finanzierung der königlichen Bauwünsche gewandt und 1845 eine Zusammenstellung der städtischen Ausgaben für den repräsentativen Ausbau der Residenzstadt durch die bayerischen Könige publiziert, die sofort konfisziert wurde. Als sich der König auch noch die ersten beiden Grabstellen links und rechts des Eingangs zum Neuen Teil für ihm genehme Persönlichkeiten als Ehrengrabmäler sicherte (und bezahlte), behielt sich der Magistrat die nächst gelegenen Grabmalsplätze für verdiente Persönlichkeiten aus dem Bereich der städtischen Verwaltung vor. Als erster wurde schließlich am 27. Februar 1850 Grabmäler Jakob von Bauer und Friedrich von Gärtner (Neue Arkaden 175 und 176) im Neuen Teil der Architekt der Anlage Friedrich von Gärtner rechts vom Eingang bestattet (er war bereits 1848 verstorben und wurde hierher umgebettet), Ludwig von Schwanthaler folgte am 4. März 1850 (auch er wurde umgebettet, er war im November 1848 verstorben). Das erste Bürgermeistergrabmal in den Arkaden neben Gärtner erhielt der mutige Widerpart des Königs, Bürgermeister Jakob von Bauer, er verstarb 1854. Neben der Grabstätte Schwanthalers wurde 1879 für Bürgermeister Kaspar von Steinsdorf (Neue Arkaden 2) ein Ehrengrabmal der Stadt errichtet. STADTARCHIV MÜNCHEN nicht möglich, daher verknüpfte Gärtner die beiden Friedhofsteile mit einer heute noch vorhandenen Säulenhalle, die auch einen West-Ost-Durchgang ermöglichte. Neue Arkaden um 1900 Abbildung aus: Städtische Friedhöfe München (Hrsg.) Wo München Ruhe findet, Festschrift 450 Jahre Alter Südlicher Friedhof, München 2013 Neue Arkaden um 1900 Die Gestaltung der Grabdenkmäler in den Neuen Arkaden in den folgenden Jahren stellte alles in den Schatten, was im alten Friedhofsteil üblich und gesellschaftlich angemessen war. Jetzt konnte sich die Münchner Gesellschaft pompös verewigen. Beispielhaft seien nur genannt die monumentalen Grabmäler der kgl. Leibärzte Franz von Walther (Neue Arkadern 167) und Heinrich von Breslau (Neue Arkaden 7), die als Personen in überlebensgroßen Standfiguren dargestellt sind, beide ausgeführt vom Bildhauer Johann von Halbig, der danach noch zahlreiche weitere Denkmäler im Alten Südlichen Friedhof geschaffen hat. Wer auch nach seinem Tod in einer illustren Nachbarschaft aufgehoben sein wollte, musste vorausblickend sich den Ort und die Nachbarn aussuchen. Als Klenze 1864 starb (der kein Ehrengrabmal vom König erhielt), verkaufte die Familie die bisherige Grabstelle in der Sektion 17 im alten Friedhofsteil und erwarb für 1.000 Gulden eine Gruft an prominenter Stelle in den Neuen Arkaden, vier Positionen neben Gärtner und einiges an Höhenentwicklung mehr. Entworfen wurde das Standpunkte Dezember 2014 - 16 STADTARCHIV MÜNCHEN Friedhofsmauer in der Pestalozzistraße nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg, Abbildung aus: Schiermeier/Scheungraber Alter Südlicher Friedhof Nach dem Ende des Kriegs und angesichts der umfassenden Zerstörungen hat man den Friedhof trotzdem nicht aufgegeben und beschlossen, ihn hinsichtlich seiner stadthistorischen Bedeutung zu schützen und zumindest als Grünanlage zu erhalten. Ab 1949 beseitigte man die Trümmer und verfüllte die eingefallenen Grüfte mit dem Schutt. Wiederaufbau durch Hans Döllgast 1953 wurde der Architekt Hans Döllgast mit dem Wiederaufbau beauftragt. Döllgast hatte bis 1952 bereits den Ostfriedhof wiederhergestellt und 1955 den Alten Nördlichen Friedhof. In ähnlicher Weise wie bei der Wiederherstellung der Alten Pinakothek bediente sich Döllgast seiner Methode „Schöpferischer Wiederaufbau“. Die ohnehin vollkommen zerstörten und funktionslosen Verwaltungs- und Dienstbauten FRANZ SCHIERMEIER VERLAG MÜNCHEN Grabmal vom Bildhauer Anselm Sickinger (neue Arkaden 163) mit einer Büste von Johann Halbig. Die architektonische und künstlerische Qualität der Grabmäler in den Neuen Arkaden ließ den Friedhof endgültig zu einem monumentalen Gedenkort und einem musealen Raum werden, was heute nur noch anhand einzelner Grabmäler bzw. mithilfe historischer Aufnahmen nachvollziehbar ist. Erst mit der Eröffnung des Nördlichen Friedhofs in der Maxvorstadt 1869, der vom Architekten Arnold von Zenetti (4-11-1) entworfen wurde, verlor der Südliche Friedhof seine zentrale Funktion. 1898 folgte schließlich der Magistratsbeschluss zur „Schließung der Älteren Friedhöfe Münchens“ – bis 1924 sollten diese spätestens aufgelassen sein. Im Jahr 1928 wurden allerdings für den Alten Südlichen und den Alten Nördlichen Friedhof Regelungen getroffen für einen Nachkauf der Grabstätten auf 15 Jahre, also bis zum 31. Dezember 1943. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde hier auch (mit Ausnahme eines Säuglings im Januar 1944) offiziell bestattet. Wenige Wochen vor diesem Zeitpunkt wurde der Alte Südliche Friedhof bei einem Luftangriff englischer Flugzeuge schwer getroffen, die Gebäude wurden weitgehend zerstört, auch ein großer Teil der Neuen Arkaden und viele Grabmäler. Vor dem Zweiten Weltkrieg hatte es auch Planungen zur vollständigen Auflassung bzw. zu Straßendurchbrüchen gegeben. Eine Straßenplanung von Theodor Fischer im Stadterweiterungsbüro von 1899 zeigt zwei Straßendurchbrüche durch den alten Teil des Friedhofs in Verlängerung der Waltherstraße und der Rothmundstraße, die nicht ausgeführt wurden. Neue Arkaden 2012 zwischen den beiden Friedhofsteilen entfernte er vollständig bis auf die ehemalige Leichenhalle, die inzwischen als Lapidarium genutzt wird. Die Ruinen der halbrunden Arkaden von Vorherr aus dem Jahr 1819 wurden weitgehend in ihrer Höhe reduziert, viele der darin enthaltenen Grabmäler waren zerstört. Nur vier Steinsäulen der Arkaden von Vorherr bilden jetzt eine Vorhalle des Lapidariums. Erhalten blieb vor allem die Säulenhalle von Gärtner als Verbindungsstück, von den Arkaden des Neuen Teils blieben die Wandflächen bzw. wurden v.a. im östlichen Teil mit Schuttziegeln wieder aufgebaut. Nur der nördliche Abschnitt erhielt eine Überdachung in der Tiefe der ehemalig gemauerten Arkaden, aber als äußerst reduzierte Konstruktion mit schlanken Mannesmann-Stahlrohren und einem Holzdach. Die Wiederherstellung ist sicher den ökonomischen Notwendigkeiten der Nachkriegsjahre geschuldet. Andererseits verstand es Döllgast, den besonderen räumlichen Charakter des Friedhofs zu erhalten und ihn aber auch in einer zeitgemäßen Form als Grünanlage zu beschreiben. So sind die Mauern des Alten und Neuen Teils nicht mehr vollkommen undurchlässig, sondern zeigen einzelne Durchbrüche und einen offeneren Zusammenhang der räumlichen Gegebenheiten. Das Abräumen der zerstörten Grabmäler und die Beseitigung der Einfassungen (die man auch zur Wiederherstellung beschädigter Dammbauten an der Standpunkte Dezember 2014 - 17 Isar verwendet hat) blieb aber auch nicht ohne Kritik in der Bevölkerung und bei Lokalpolitikern. Für berühmte Persönlichkeiten ließ das Bestattungsamt ab den 1950er Jahren Ersatzgräber herstellen, z.B. für Carl Spitzweg (5-17-10), Joseph von Fraunhofer (Alte Arkaden 12), Jakob von Bauer, Georg von Reichenbach (Alte Arkaden 11) und Helene Sedlmayr (38-3-25), die „schöne Münchnerin“. Insgesamt wurden über 300 solcher Ersatzgrabmäler errichtet, teilweise auch finanziert von Hinterbliebenen und Vereinen. Erst 1979 wurde der Alte Südliche Friedhof unter Denkmalschutz gestellt. 1989 erhielt der Friedhof auch einen Landschaftsschutz. Aufgrund der hohen Mauern und des dichten Baumbestands herrscht hier neben der eigenen Atmosphäre ein Mikroklima, in dem sich eine hohe Artenvielfalt an Pflanzen und Tieren zeigt. Nach Angaben des Landesbundes für Vogelschutz brüten hier allein 24 Vogelarten, dazu gibt es Fledermäuse und jede Menge Eichhörnchen. Endemisch war und ist wahrscheinlich noch immer eine Art des Kugelglanzkäfers (ca. 1 mm groß), dessen bevorzugter Lebensraum das Efeu ist, das sich bis vor wenigen Jahren auch flächendeckend im Alten Südlichen Friedhof ausbreiten konnte (auch um den endemischen Käfer zu schützen). Inzwischen wird der Friedhof weit intensiver gärtnerisch gepflegt, zahlreiche überalterte Bäume sind in den letzten Jahren gefällt worden. Der dichte Efeu-Bewuchs, der zahlreiche Grabmäler beschädigt hat, wird großenteils entfernt. Trotzdem bietet der Friedhof zu allen Jahreszeiten ein stimmungsvolles und abwechslungsreiches Bild, u.a. im Frühling, wenn ganze Krokusfelder erblühen oder kurz danach der Bärlauch das Bild und den Geruch bestimmt. Die Sanierungsmaßnahmen und die intensive kunsthistorische Aufnahme und Dokumentation hat eine lange Vorgeschichte, Michael Stephan, der Leiter des Stadtarchivs München, führt dies in seinem Vorwort zur Publikation von Denk und Ziesemer aus. Die Idee zu einer Gesamtsanierung trug der zuständige Referent Dr. Herbert Genzel im Dezember 1978 im Gesundheitsausschuss vor. In den folgenden Jahren führte das Bayerische Nationalmuseum, in dem auch einige wertvolle Kunstwerke des Alten Südlichen Friedhofs aufbewahrt werden, eine erste Bestandsaufnahme durch und begutachtete ca. 1.000 Grabmäler als erhaltenswert. Erst im Februar 1983 bewilligte der Bauausschuss eine jährliche Summe von 500.000 DM zur Sanierung und zum Bauunterhalt. Auf den Stadtratsantrag von Christl PuruckerSeunig und Christine Strobl hin (November 1998: Erhalt des Alten Südlichen Friedhofs als kulturhistorisches Denkmal) wurde schließlich ein Arbeits- kreis gegründet, dem das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege, die städtische Friedhofsverwaltung und u.a. auch das Stadtarchiv angehörten. Es folgte ein Stadtratsbeschluss im Januar 2001 zur jährlichen Instandsetzung von 12 bis 15 Grabmälern und einer Gesamtaufnahme der noch vorhandenen Grabmäler in kunsthistorischer Hinsicht. Diese Dokumentation wurde von 2003 bis 2007 für über 5.000 Grabmäler von den Kunsthistorikern Claudia Denk und John Ziesemer durchgeführt. Die Ergebnisse wurden zum Teil in der erwähnten Publikation herausgegeben. Noch 2007, kurz vor seinem Tod, hat Heinz Koderer, der sich über Jahrzehnte mit dem Alten Südlichen Friedhof beschäftigt hat, eine private Dokumentation verfertigt und u.a. an das Referat für Gesundheit und Umwelt gesandt. Darin listet er Hunderte von Beschädigungen und Mängeln auf, die er über Jahre fotographisch dokumentiert hat. Nach seiner Aussage sind es nicht nur die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs, die den Friedhof elementar getroffen haben, auch danach wurde vieles beschädigt, gestohlen und mangelhaft gepflegt. Inzwischen sind mit erheblichem Aufwand viele kunst- und stadtgeschichtlich bedeutende Grabmäler wieder hergerichtet worden, die es aber weiter zu schützen gilt. Für die Bewohner der Isarvorstadt ist der Alte Südliche Friedhof zudem ein wichtiger Ort der Erholung. Hoffen wir, dass die Bevölkerung diesen großen Wert auch zu schätzen weiß. Franz Schiermeier Franz Schiermeier ist Architekt und Verleger des Franz-Schiermeier-Verlag in München Anm.: Die Zahlenangaben in Klammern beziehen sich auf die Lage der Gräber dieser Personen auf dem Alten Südlichen Friedhof. Zum Weiterlesen: Claudia Denk, John Ziesemer: Kunst und Memoria. Der Alte Südliche Friedhof in München, München 2014 Städtische Friedhöfe München (Hrsg.):Wo München Ruhe findet. Festschrift 450 Jahre Alter Südlicher Friedhof, München 2013 Alexander Langheiter,Wolfgang Lauter: Der Alte Südfriedhof in München, München 2008 Franz Schiermeier, Florian Scheungraber: Alter Südlicher Friedhof in München. Geschichte und Berühmtheiten. Übersichtsplan der Grabmäler, München 2008 Führungen zum Alten Südlichen Friedhof durch den Autor unter: www.muenchen-safari.de Standpunkte Dezember 2014 - 18 Kunst auf freien Grabflächen – Karlsruhe zeigt einen Weg In Karlsruhe werden seit dem Jahr 2000, bedingt durch die heutige Zunahme von Urnenbeisetzungen und die sich verringernde Identifikation der Menschen mit individuellen und dauerhaft angelegten Gräbern, neue Möglichkeiten zur Pflege der Friedhofs- und Bestattungskultur diskutiert und erprobt. D er Karlsruher Hauptfriedhof ist einer der ältesten deutschen kommunalen Parkfriedhöfe. Er wurde im Jahr 1874 von Josef Durm außerhalb der damaligen Stadt angelegt, nachdem der innerstädtisch gelegene Alte Friedhof in der Oststadt zu klein geworden war. Bereits 2002 wurde am Hauptfriedhof ein Info-Center eröffnet, das als Anlaufstelle für Ideen, Fragen und Sorgen der Bürger rund um das Thema Friedhof dient und Führungen – auch für Kinder und Jugendliche – anbietet. Getragen wird diese bürgerfreundliche Einrichtung von einem Verein. Auch gegen das dramatische Anwachsen von Freiflächen in den Anlagen musste etwas geschehen. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft ‚Friedhof und Denkmal‘ lud der Leiter des Friedhofs- und Bestattungsamts der Stadt Karlsruhe, Matthäus Vogel, im Jahr 2010 Gestalter aus Deutschland, Österreich und der Schweiz ein, die freien Flächen künstlerisch und gärtnerisch dauerhaft anzulegen. Inmitten des Parkfriedhofs wurden in räumlich unterschiedlichen Lagen größere und kleinere Freiflächen für Urnengräber und Erdbestattungen markiert, die sich die Gestalter aussuchen konnten, um auf diesen Freiflächen sogenannte „Grabzeichen“ zu gestalten. 60 Bildhauer und Steinmetze sowie 50 Friedhofsgärtner beteiligten sich – ohne Honorar – an dem Projekt und gestalteten und bepflanzten in gemeinsamer Absprache die freien Grabanlagen. Dabei hatten sie größtmögliche Freiheit in Materialwahl und Größe der Grabzeichen – außerhalb der sonst üblichen Friedhofsvorgaben. Die ersten neuen Grabzeichen waren zu Ostern 2011 fertig gestellt. Seit dieser Zeit läuft auch die Dauerausstellung „Aspekte – die Einmaligkeit des Lebens“. Sie ist keine Mustergrabanlage sondern bietet individuelle Anregungen vor Ort. Die geschaffenen Grabzeichen stehen auf Freiflächen Blumen als Zeichen der Vergänglichkeit, der Endlichkeit und der Hoffnung sind Thema der Grabstele. Blütenformen sind aus einer kantigen Säule herausgeschnitten. Sie überziehen die Flächen und brechen die Kanten auf. Licht durchflutet die filigrane Stele. Material: Edelstahl gebürstet. Höhe 200 cm, 40 x 40 cm, Wandstärke 6 mm Sie steht auf einer flachen Platte aus Diabas. Die Grabanlage zwischen zwei alten Bäumen bietet Platz für vier Urnen. Für die Namen der Verstorbenen liegen vier Schrifttafeln aus Diabas. Diese sind mit Reihen aus blühenden Pflanzen fächerförmig mit der Blumenstele verbunden. FOTO: © THILO MECHAU Für die Tafel am Grab: Blütenformen als Zeichen der Vergänglichkeit und der Hoffnung überziehen Flächen und Kanten. Licht durchflutet die filigrane Stele. Blumenstele, Barbara Jäger Barbara Jäger www.jaegerbar.kulturserver.de Standpunkte Dezember 2014 - 19 Eine Wand gebildet aus aufeinander gesetzten quadratischen Profilen ist an zwei Seiten schräg angeschnitten. In der Mitte ist eine Öffnung wie ein Fenster eingearbeitet. Hinter dem Grab bindet eine immergrüne Hecke die benachbarten einzelnen Grabstätten zusammen. Durch die Öffnung der Wand schaut man über die Hecke in die Ferne. Die Wand steht auf einem Sockel aus Diabas. Darauf können die Namen der Verstorbenen stehen. Die diagonale Komposition prägt auch die gärtnerische Gestaltung. Material: Sockel Diabas geschliffen, Höhe 110 cm, 30 x 25 cm Skulptur Aluminiumguss, Höhe 40 cm, Tiefe 10 cm OMI Riesterer www.jaegerbar.kulturserver.de FOTO: © BARBARA JÄGER Für die Tafel am Grab: Schicksalhafte Einschnitte prägen das Leben, wie die Schnittflächen die Wand. Durch die Öffnung erblickt man in das Licht der Hoffnung. Durchblick, OMI Riesterer zwischen bestehenden Gräbern mitten in „Filetstücken“ des Karlsruher Hauptfriedhofs. Auf Hinweisschildern finden interessierte Besucher Angaben zur Gestaltung, zum Material und zum ausführenden Betrieb. Die Grabstätten werden von ausgewählten Friedhofsgärtnern dauerhaft gepflegt und können als persönliche letzte Ruhestätte erworben werden. Ein Ausstellungskatalog – erhältlich im InfoCenter – lädt zu einem Rundgang ein und beschreibt die Grabzeichen. Mit der Dauerausstellung auf dem Hauptfriedhof in Karlsruhe können Interessierte zu unterschiedlichen Jahreszeiten diese besonderen Grabanlagen kennenlernen. Auf der Homepage des Hauptfriedhofs http://www. friedhof-karlsruhe.de/aspekte/index.php können die Arbeiten angesehen werden. Bei den nummerierten Arbeiten sind auch die Namen der Gestalter und der Gärtner der jeweiligen Grabstätte zu finden. Telefonische Auskünfte unter 0721/ 78 20 933. Barbara Jäger und OMI Riesterer Barbara Jäger 1946 geb. und aufgewachsen in Schwäbisch Gmünd, Studium der Malerei an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe, Studium der Kunstgeschichte an der Universität Karlsruhe, mit dem Bildhauer OMI Riesterer verheiratet, drei Kinder; lebt und arbeitet in Karlsruhe. OMI Riesterer 1947 geb. in Freiburg, Zimmererlehre in Freiburg, Studium der Architektur an der Universität Karlsruhe, Diplom, Assistent an der Universität Karlsruhe, seit 1984 freischaffender Bildhauer, lebt und arbeitet in Karlsruhe. Literatur zu Münchens Friedhöfen *Bäuml-Stosiek, Dagmar und Katharina Steiner: Der Friedhof Bogenhausen – Gottesacker für Münchner und Weltbürger. Ein Rundgang zu 60 Gräbern mit Farbfotos von Lioba Betten. München, 2009. 48 S. Betten, Lioba: Das Schicksal nennt keine Gründe. Grabsprüche auf Münchner Friedhöfen. Mit 80 Farbfotos. München, 2003. 128 S. *Burchardt, Hans-Peter und Marianne Lengfelder: Im Alten Nördlichen Friedhof. Bildband mit Schwarz-weiß-Fotos und Gedichten. München, 1985. 72 S. Denk, Claudia und John Ziesemer: Kunst und Memoria. Der Alte Südliche Friedhof in München. Mit historischen und aktuellen Farbfotos und einem Friedhofsplan. München, 2014. 543 S. „Hier ruht, was sterblich war“. Der Nymphenburger Friedhof in München – Geschichte und Biografien. Hrsg. von der Neuhauser Geschichtswerkstatt. München, 2004. 216 S. Standpunkte Dezember 2014 - 20 *Hufnagel, Max Joseph: Berühmte Tote im Südlichen Friedhof zu München. 500 Zeugen des Münchner kulturellen, geistigen und politischen Lebens im19. Jahrhundert.Würzburg, 1983. 312 S. Scheibmayr, Erich:Wer? Wann? Wo? Persönlichkeiten in Münchner Friedhöfen. Fortschreibung 1997 - 2002. München, 2002. 252 S. Karl,Willibald: Der Münchner Ostfriedhof.Von den „Auer Leichenäckern“ zum Großstadt-Krematorium. Ein Rundgang zu 50 Gräbern mit Farbfotos. München, 2011. 48 S. Schiermeier, Franz und Florian Scheungraber: Alter Südlicher Friedhof – Geschichte und Berühmtheiten. Übersichtsplan der Grabmäler. München, 2008. „Eine Sehenswürdigkeit für München”. 2 Rundgänge auf dem Waldfriedhof. Hrsg. vom Ludwigsgymnasium München. München, 2011. 48 S. „Um mich ist Heimat“. Der alte Winthirfriedhof in Neuhausen – ein Stück Münchner Kulturgeschichte. Hrsg. von der Geschichtswerkstatt Neuhausen. München, 2000. 200 S. Winterstein, Axel und Isolde Ohlbaum: „Gewesen, nicht vergessen“. Der Alte Nördliche Friedhof in München. Mit Farbfotos und einem Friedhofsrundgang zu 30 Gräbern. München, 2012. 144 S. Langheiter, Alexander und Wolfgang Lauter: Der Alte Südfriedhof in München. Mit historischen und aktuellen Farbfotos und einem Rundgang zu 90 Gräbern. München, 2013. 160 S. *Lieb, Norbert: St. Georg in München-Bogenhausen. Historische Kirche und berühmter Friedhof. Mit Fotos von Monica Matthias. München, 1987. 96 S. Otto-Rieke, Gerd: Gräber in München – Menschen, die uns bewegten. Mit Farbfotos. München, 2008. 104 S. *Rädlinger, Christine: Der verwaltete Tod. Eine Entwicklungsgeschichte des Münchner Bestattungswesens. Mit historischen Fotos. München, 1996. 224 S. Scheibmayr, Erich: Letzte Heimat. Persönlichkeiten in Münchner Friedhöfen. Grundwerk 1784 - 1984. München, 1985. 432 S. Scheibmayr, Erich:Wer? Wann? Wo? Persönlichkeiten in Münchner Friedhöfen. Ergänzung zum Grundwerk und Fortschreibung 1985 - 1989. München, 1989. 508 S. Scheibmayr, Erich:Wer? Wann? Wo? Weitere Persönlichkeiten in Münchner Friedhöfen. Fortschreibung 1990 - 1996. München, 1997. 420 S. *„Wo München Ruhe findet“. Festschrift – 450 Jahre Alter Südlicher Friedhof. Hrsg. vom Referat für Gesundheit und Umwelt. München, 2013. 76 S. *Zuber, Elfi: Der Alte Nördliche Friedhof. Ein Kapitel Münchner Kulturgeschichte. Mit einem Rundgang und Fotos von Walter Zuber. München, 1984. 96 S. Die mit * gekennzeichneten Titel sind derzeit nicht lieferbar, jedoch in Münchner Bibliotheken vorhanden. Zusammengestellt von Lioba Betten (November 2014) Standpunkte Dezember 2014 - 21 Denkmal-Topographie Maxvorstadt Rezension Titelbild der „Denkmaltopografie Maxvorstadt“ Stadtmodell von Johann Baptist Seitz (1841 bis 1863), Bayerisches Nationalmuseum. Copyright: 2. aktualisierte und ergänzte Ausgabe 2014, K önnte man nicht auf die 2009 erschienene Denkmal- und Ensembleliste zurückgreifen, wenn man Information über den Denkmalbestand in der Maxvorstadt als Bürger oder als Mandatsträger im Bezirksausschuss oder Stadtrat erhalten will? Man könnte, aber wer hat schon die dreibändige „Denkmalschutztopographie“ von München-Mitte, die „Ensembles und archäologischen Denkmäler“ greifbar im Bücherschrank und käme damit zurecht? Selbst wenn dies der Fall sein sollte, ist die von Klaus Bäumler mit erarbeitete und redaktionell betreute Zusammenführung nützlich und verdienstvoll. Ein weiterer Pluspunkt ist die aktuelle Überarbeitung der Denkmalschutzliste, die in diesem Band erscheint. Das buchstäblich gewichtige Buch mit 600 Seiten hat auch eine gewichtige politische Intension. Man könnte sie mit dem Begriff „Handlungswissen“ gut kennzeichnen, der in den Beiträgen von Klaus Bäumler in den „Standpunkten“ des Münchner Forums eingeführt ist. Begehrlichkeiten nach Erhöhung der Immobilien-Rendite auf Kosten der Stadtqualität können mit dieser Hilfe auf den informierten Widerstand der Bürger stoßen. Klaus Bäumler schildert die Kämpfe des Bezirksauschusses und legt seine Instrumente offen. Diese sind das Denkmalschutzgesetz des Freistaates von 1973 und die Zweckentfremdungssatzung der Landeshauptstadt München von 1971, aber auch die hart erkämpften Rechte der Bezirksauschüsse, deren beschlossene Anträge inzwischen das gleiche Gewicht wie das eines Stadtrats bekommen haben. Im seinem Beitrag stellt Klaus Bäumler dar, welchen Einfluss (Erfolg und Niederlagen) die Bürgerschaft im vorpolitischen Raum (Aktion Maxvorstadt, Münchner Forum), Bezirksauschuss Maxvorstadt und Stadtrat gegenüber den verborgenen Kräften der Wirtschaft und der Verwaltung genommen haben. Beispiele sind hier die Wohnhäuser Amalienstraße 37 und Türkenstraße 30, in denen dieser ungleiche Kampf von 1972 bis 1992, rekonstruiert aus den BA-Akten, dargestellt wird. Beeindruckend, aber natürlich nicht vollständig, ist die aktive Empathie der Bürger für ihre Stadt, ihr Stadtviertel und für die Erhaltung der Stadtqualität Münchens. In den Anmerkungen stößt man auch auf den engagierten Rechercheur und Publizisten, der auf der Jagd nach Quellen für die Argumentation und das historische Verständnis arbeitet. Eine vertiefende Darstellung des Engagements für München steht noch aus. Klaus Bäumler leistet hier eine bemerkenswerte Vorarbeit für „seinen“ Stadtbezirk Maxvorstadt, dem er so lange vorstand. Zu kurz kamen beispielsweise die „Krimis“ Untertunnelung des Prinz Carl Palais, des Ringens um den Neubau der Staatskanzlei und der Rückbau der Königinstraße. Beispielhaft ist das ehrgeizige Engagement, mit dem der BA Maxvorstadt mit seinem langjährigen Vorsitzenden Klaus Bäumler um seinen Bezirk kämpfte. Der Beitrag von Oskar Holl arbeitet das wünschenswerte Fundament kritischer Einflussnahme von der Seite des Freiraums aus. Dieser ist für Münchens Bild und Selbstverständnis ebenbürtig mit der gebauten Stadt. Gerade die Maxvorstadt hat in ihrem Städtebau durch Friedrich Ludwig von Sckell einen landschaftsgärtnerischen Bezug, der durch das Juwel Englischen Garten gekrönt wird. Unter diesem Blickwinkel aufschlussreiche historische Erkenntnisse dem Publikum und seinen Maxvorstädtern zu geben, ist überzeugend und regt zur Diskussion und kreativer Mitarbeit an. Wolfgang Czisch Mit Beiträgen von Klaus Bäumler und Oskar Holl, Redaktion Klaus Bäumler, Hrsg. Bezirksausschuss Maxvorstadt, 2. aktualisierte und ergänzte Auflage München 2014, 1354 Seiten. Bezug über Digital-Zentrum Design & Druck Services, Barerstraße 71, 80799 München, 29,90 Euro (Grundlage: „Denkmäler in Bayern“ von Heinrich Habel, Johannes Hallinger,Timm Weski sowie „Baudenkmäler, Ensembles, Archäologische Denkmäler“) Standpunkte Dezember 2014 - 22 Über Bürgerbeteiligung hinaus E in umfangreiches Buch, mehr als 500 Seiten. Der Autor empfiehlt, es nicht in einem Zug von vorne bis hinten zu lesen, sondern darin zu blättern und herumzustöbern. Das macht Freude, weil es gut zu lesen ist – durch die verständliche Sprache und durch viele erläuternde Bilder, Fotos, Schemata, die komplizierte Zusammenhänge in der Stadtentwicklung klären. Verfasser ist Klaus Selle, Jahrgang 1949, Professor an der RWTH Aachen; er hat an der dortigen Fakultät für Architektur den Lehrstuhl für Planungstheorie und Stadtentwicklung inne – und ist vielen Münchnern durch sein Wirken auch hier bekannt. Ein wichtiges Buch: Man merkt, dass der Autor Stadtentwicklung und Beteiligungsprozesse nicht aus dem akademischen Elfenbeinturm betrachtet, sondern dass er langjähriger und erfahrener Akteur ist, ein kritischer Begleiter und teilnehmender Beobachter, ein Mitmischer und Aufmischer seines Gegenstandes. Den behandelt er in 14 Texten, die durch neugierig machende Zwischenüberschriften in sich gut gegliedert sind. Das Themenspektrum ist groß und wird sortiert zu drei Themenblöcken, unter drei Wortkombinations-Überschriften: „Geschichte, Begriffe, Diskurse“, „Praxis, Deformationen, Abschied“ und „Klärungsbedarf, Essentials, Nächste Schritte“. Selle verbindet den historischen Blick mit der Diskussion über Stadtentwicklungsfragen, räumt auf mit Missverständnissen und Lebenslügen von Politik, Planung und öffentlicher Meinung, etwa dass Stadtentwicklung ein zentral zu steuernder Prozess sei, dass aufgrund der Vielzahl von Akteuren und äußeren Einflüssen Stadtentwicklung als Ergebnis allein demokratischer Willensbildung zu verstehen sei, dass sich für Stadtentwicklung alle interessieren (müssten) und folgerichtig alle zu beteiligen sind, dass über die Perfektionierung von „Beteiligung“ bereits „Mitwirkung“ entstünde oder dass es verwerflich wäre, in Beteiligungsprozessen eigene Interessen zu verfolgen. Im letzten Beitrag formuliert Selle Leitlinien für die „Bewegung in unübersichtlichem Gelände“, etwa dass Kommunikation und Transparenz im Alltag von Politik und Planung zu verankern sei, dass Beteiligung anzubieten sei, bevor der eigene Meinungsbildungsprozess abgeschlossen ist, dass Bürgerorientierung die ganze Verwaltung durchdringen und Vertrauen gebildet werden müsse – was viel Zeit, einen langen Atem brauche. Mit solchen Korrekturen und Klärungen wird „Über Bürgerbeteiligung hinaus“ im besten Sinne Klaus Selle: Über Bürgerbeteiligung hinaus: Stadtentwicklung als Gemeinschaftsaufgabe? Analysen und Konzepte, Detmold:Verlag Dorothea Rohn, 2013, 528 Seiten, 38,– Euro, ISBN 978-3-939486-73-2 des Wortes ein aufklärerisches Buch. Jedem und jeder, der/die noch ein Geschenk – für Familienangehörige, Freunde oder sich selbst – benötigt, das den Kopfinhalt helfen soll zu trainieren: hier ist Zugreifen nicht nur empfohlen sondern eigentlich unabdingbar. DS IMPRESSUM Standpunkte ISSN 1861-3004 Münchner Forum e.V., Diskussionsforum für Entwicklungsfragen, Schellingstr. 65, 80799 München fon 089/282076, fax 089/2805532, email: [email protected], www.muenchner-forum.de V.i.S.d.P.: Ursula Ammermann Redaktionsschluss: 25.11.2014 Redaktion: Ursula Ammermann, Helmut Steyrer, Detlev Sträter, Barbara Specht Layout: Barbara Specht Wir verfolgen den Fortgang der von uns aufgegriffenen Themen. Der Inhalt dieses Magazins entspricht daher nicht zwingend dem Diskussionsstand in unseren Arbeitskreisen. Sie können Aussagen gern wörtlich oder sinngemäß mit Quellenangabe zitieren. Sollten Sie unsere Standpunkte nicht mehr erhalten oder sie jemandem zukommen lassen wollen, genügt ein Mail an: [email protected] Standpunkte Dezember 2014 - 23 Wie dicht soll München werden? Streiten über eine städtebauliche Vision Die Zahlen allein vermögen Stadtplanern schon Sorgenfalten auf die Stirn zu zaubern: 4.400 Menschen leben in München durchschnittlich auf einem Quadratkilometer, so viele wie nirgendwo anders in Deutschland. Selbst Berlin ist mit rund 3.900 Einwohnern pro Quadratkilometer nicht so dicht besiedelt wie die bayerische Landeshauptstadt, ganz zu schweigen vom geradezu luftig bebauten Hamburg mit seiner verglichen mit München nur halb so hohen Einwohnerdichte. FOTO: BARBARA SPECHT Zu den Sorgenfalten der Stadtplaner gesellen sich noch ein paar Schweißperlen, wenn sie auf die Bevölkerungsprognosen schauen: München wächst derzeit scheinbar ungebremst, bis zum Jahr 2030 sollen 1,57 Mio. Menschen innerhalb von Münchens Grenzen leben, schätzt das Bayerische Landesamt für Statistik. Noch weiter geht die Schätzung, die die Landeshauptstadt selbst erstellt hat. Danach könnten bis zum Jahr 2030 auch 1,65 Mio. Einwohner in München leben. Podiumsdiskussion (v. l. n. r.): Dietlind Klemm, Rita Ahlers, HansOtto Kraus, Stephan Reiß-Schmidt, Klaus Bäumler Diese Entwicklung geht an der Gestalt der Stadt nicht spurlos vorüber. Auf die Frage „Wie dicht soll München werden – Streiten über eine städtebauliche Vision“ versuchten am 12. November 2014 im Gasteig die Teilnehmer einer Podiumsdiskussion unter der Moderation von Dietlind Klemm Antworten zu finden. Veranstaltet wurde die Diskussion gemeinsam vom Münchner Forum und der Münchner Volkshochschule. Stephan Reiß-Schmidt, Leiter der Stadtentwicklungsplanung der Landeshauptstadt, stellte gleich zu Beginn der Diskussion dar, wie die Landeshauptstadt dem Wachstum begegnen will. Mit dem Konzept Langfristige Siedlungsentwicklung (LaSie) verfolgt das Planungsreferat gleich mehrere Ziele. Ein Weg, wie München wachsen kann, ist Umstrukturierung und qualifizierte Nachverdichtung. Untersuchungen zeigen, dass das größte Potenzial für eine Nachverdichtung in den Wohnsiedlungen aus der Zeit zwischen den 1950er und den 80er Jahren liegt, so Reiß-Schmidt. Daneben wollen die Planer die Stadt weiterbauen und bislang noch unerschlossene Flächen für den Wohnungsbau nutzen. Neben den großen Kasernengeländen sollen so auch die Freiflächen in Freiham und im Münchner Nordosten bebaut werden. Die zunehmenden Verflechtungen zwischen Stadt und Region schließlich sollen mit einer regionalen Verkehrsinfrastruktur im Rahmen der EMM (Europäische Metropolregion München) bewältigt werden. Reiß-Schmidt betonte, dass heute deutlich höhere Dichten angestrebt werden als noch mit der Bauleitplanung der 90er Jahre. In dieser Zeit entstanden der Arnulfpark und Teile der Messestadt Riem, die in ihrer Erscheinung eher vorstädtisch als großstädtisch wirken. Dass hohe Dichte nicht mit einem Verlust an Lebensqualität einhergehen muss, begründete Reiß-Schmidt auch damit, dass sich nur in dicht bebauten Quartieren Straßenbahnlinien und U-Bahnen rentieren, eine gute Nahmobilität ist mit hoher Dichte leichter zu erreichen. Die Rolle der Stadtentwicklung wollte Stephan Reiß-Schmidt gerade in Zeiten sprunghaften Wachstums nicht überschätzen. Wanderungsbewegungen sind nicht planbar, die Landeshauptstadt habe kein Schaltpult und keine Hebel, um den Zuzug nach München zu steuern. Angesichts dieser Entwicklungen werde er sehr bescheiden, fasste Reiß-Schmidt seine Erfahrungen zusammen. Eine höhere Dichte der Bebauung fand auch HansOtto Kraus, Geschäftsführer der Wohnungsbaugesellschaft GWG, unvermeidlich, wenn München das Wachstum bewältigen will. Nur so glaubt er den steigenden Bedarf nach Wohnraum lösen zu können. Die städtische GWG, mit über 25.000 Wohnungen in München einer der ganz großen Akteure am Markt, habe diesen Weg schon längst beschritten. Beim Neubau der Maikäfersiedlung in Berg am Laim sei die Bebauungsdichte gegen große Widerstände aus dem Stadtviertel auf eine GFZ (Geschossflächenzahl) von 1,2 angehoben worden. Im Hasenbergl sei qualifiziert nachverdichtet worden. Hier entstanden auf einem Parkplatz an der Aschenbrennerstraße Standpunkte Dezember 2014 - 24 neue Wohnhäuser. Diese Nachverdichtungen machten es auch möglich, fehlende Einrichtungen zu ergänzen, etwa neue Läden oder Nachbarschaftstreffs einzurichten, so das durchweg positive Fazit von Kraus. Nicht zuletzt zwingen auch die gestiegenen Baukosten die Wohnungsunternehmen dazu, die Dichte zu erhöhen, um überhaupt noch wirtschaftlich arbeiten zu können. Trotz der dramatischen Wachstumsprognose warnte Stephan Reiß-Schmidt vom Planungsreferat vor Aktionismus. Forderungen wie die nach baulichen Dichten, die noch oberhalb der Höchstgrenzen der Baunutzungsverordnung liegen, lehnte er ab. Für ihn ist das bestehende Baurecht eine wirksame Bremse gegen städtebauliche Fehlentwicklungen. Zwar gibt es im Planungsreferat eine interne Checkliste, wie an einzelnen Stellen durch eine weite Ausnutzung des behördlichen Ermessens eine höhere Dichte möglich gemacht würde. Das bestehende Baurecht über den Haufen werfen will Reiß-Schmidt aber nicht. Er hält auch eine stärkere Hinwendung zum Hochhaus für einen Weg, höhere Dichten zu erreichen. Das Obersendlinger Neubaugebiet „Südseite“ zeige, dass Häuser von 40 bis 70 Meter Höhe für das Wohnen geeignet sind und die Wohnungen dort reißenden Absatz finden. Klaus Bäumler, beim Münchner Forum Leiter des Arbeitskreises „Öffentliches Grün“ und ehemaliger Vorsitzender des Bezirksausschusses Maxvorstadt, wies eindringlich darauf hin, dass die Bedeutung der öffentlichen Grünflächen in München noch weiter zunimmt. Denn im Zuge einer ungeplanten Verdichtung sind schon viele private Gärten beim Neubau von Häusern verschwunden. Und er stellte die Frage, wo die Schmerzgrenze für die Reduzierung der Freiräume liegt. Nur eine geplante Verdichtung biete die Chance, trotz eines Verlustes an Freiflächen die Qualität der noch verbliebenen zu erhöhen. Auch die Landeshauptstadt hat die Bedeutung des öffentlichen Grüns in Zeiten von Verdichtung erkannt. Im Auftrag des Referats für Stadtplanung und Bauordnung erstellen mehrere Stadt-und Landschaftsplaner seit einem Jahr ein Konzept für die langfristige Freiraumentwicklung bis 2030. Rita Ahlers vom Büro Hilmer & Sattler, zeigte am Beispiel der Bürgereteiligung zum Wettbewerb Bayernkaserne, dass Bürger durchaus auch höhere Dichten fordern, weil dies an diesem Standort eine bessere Infrastrukturversorgung und ein urbanes Lebensgefühl ermöglicht. Während die Teilnehmer auf dem Podium sich weitgehend einig waren, dass eine Verdichtung Münchens die richtige Antwort auf den steten Zuzug nach München ist, kamen aus dem Publikum sehr viel kritischere Töne. Das Wachstum der Stadt sei nicht gottgegeben, würde die Stadt für Investoren und Großkonzerne unattraktiver gemacht, dann ließe auch der für München zerstörerische Wachstumsdruck nach. Ein anderer Einwand aus dem Publikum traf den Dreh- und Angelpunkt der Verdichtungsdebatte: Können der öffentliche Nahverkehr und die Straßen überhaupt eine noch höhere Dichte bewältigen? Wo ist der Punkt, an dem das Wachstum Münchens an seinen ungelösten massiven Verkehrsproblemen zum Erliegen kommt? Auch vor unkontrollierter Verdichtung in den sog. Gartenstädten wie Trudering und dem damit einhergehenden Verlust an Grün der Stadt warnten einige Zuhörer. Dass diese Einwände aus dem Publikum kamen und nicht vom Podium, zeigt, dass die Debatte um mehr Dichte künftig noch etwas mehr Breite vertragen kann. Michael Schneider Arbeitskreise im Dezember 2014 / Januar 2015 Sie haben Lust, etwas für München zu tun? Unsere Arbeitskreise stehen Ihnen offen. Eine E-Mail an [email protected] genügt. Arbeitskreis Attraktiver Nahverkehr Leitung: Berthold Maier und Matthias Hinzten nächstes Treffen: Do.18. Dezember 2014, 18:30 Uhr Arbeitskreis Öffentliches Grün Leitung: Klaus Bäumler nächstes Treffen: Mi. 10. Dezember 2014, 15:00 Uhr Arbeitskreis Stadt: Gestalt und Lebensraum Leitung: Wolfgang Czisch nächstes Treffen: Mi. 14. Januar 2015, 18:00 Uhr Arbeitskreis Schienenverkehr Leitung: Dr. Wolfgang Beyer nächstes Treffen: Do. 11. Dezember 2014 18:30 Uhr Arbeitskreise Wer beherrscht die Stadt? / Innenstadt Leitung: Dr. Detlev Sträter / Peter Arnold nächstes Treffen: Do. 15. Januar 2015, 17:00 Uhr Arbeitskreis Kulturbauten Leitung: Wolfgang Zimmer nächstes Treffen: Fr. 12. Dezember 2014 17:00 Uhr Standpunkte Dezember 2014 - 25 Leserbrief W ir Altstadtfreunde waren sehr gespannt auf Ihren Artikel zum Bauvorhaben der Bayerischen Hausbau im Kreuzviertel. Schließlich handelt es sich um eines der prominentesten aktuellen Projekte innerhalb der Altstadt. Ihr Artikel ist umfassend und gibt sehr präzise den Abend wieder. Er spart aber leider auch einen wesentlichen Punkt gänzlich aus: Im Zuge der Veranstaltung wurde ausführlich eine mögliche Rekonstruktion der Fassade des historischen Hiltlhauses an der Prannerstraße besprochen. Sowohl Frau Stadtdirektorin Ritter als auch Herr Dr. Büllesbach von der Bayerischen Hausbau signalisierten Offenheit für den Vorschlag und schlossen eine (Teil-)Rekonstruktion des klassizistischen Bürgerhauses zumindest nicht aus. Ein Vertreter der LBK (Lokalbaukommission, d. Red.) hatte sogar angekündigt, sich auf die Spur der verschollenen Schwanthaler-Friese zu begeben, die die Fassade des Hiltlhauses bis 1945 geschmückt haben. In Ihrem Bericht findet sich zu dem gesamten Thema leider nichts. Gerade das Münchner Forum, das für Bürgerbeteiligung und offene Mitsprache steht und dafür auch aus Mitteln der Landeshauptstadt gefördert wird, darf einen für die offene Diskussion um Stadtgestalt so wesentlichen Punkt nicht aussparen. Das ist wichtig für die Glaubwürdigkeit des Forums – nicht obwohl, sondern gerade weil sich das Thema Rekonstruktion in der offiziellen Stadtgestaltungspolitik Münchens nicht des breitesten Zuspruchs erfreut. Hier sollte das Münchner Forum Meinungsvielfalt fördern und für Offenheit im Dialog eintreten. Denn die Bürger haben die (auch kritische) Rekonstruktion längst wieder für sich entdeckt. Viele von ihnen engagieren sich – so wie wir Altstadtfreunde – mittlerweile ehrenamtlich in Gruppen, Initiativen oder Vereinen. Deren Zahl hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Vielleicht ist dem Autoren Ihres Artikels das Thema einfach durchgerutscht. Umso mehr würden wir es begrüßen, wenn das Münchner Forum als etablierter, städtisch geförderter Meinungssucher und Meinungsbildner die Rekonstruktion des Hiltlhauses nachträglich aufgreifen würde. Regen Sie zu einer ehrlichen und (ergebnis-) offenen Diskussion und einem konstruktiven Austausch über die Rekonstruktion an! Denken die Münchnerinnen und Münchner anders über den Wiederaufbau verloren gegangener Bausubstanz als z.B. die Bürger in Dresden, Potsdam oder Frankfurt? Welche Chancen oder welche Risiken sind mit einem Wiederaufbau verbunden? Wovon profitieren die Stadt und die Stadtgesellschaft am meisten? Herr Dr.Büllesbach von der Bayerischen Hausbau brachte auf der Veranstaltung im Literaturhaus seine Überzeugung zum Ausdruck, dass eine breite Mehrheit der Bevölkerung einen Wiederaufbau des Hiltlhauses befürworten würde und das Thema Rekonstruktion mittlerweile auch in München „enttabuisiert“ ist. Man darf also darüber reden. Und das wollen wir – mit Ihrer Unterstützung – gerne zeitnah tun. Der Wettbewerb zur Neugestaltung soll bis Ende des ersten Quartals 2015 beendet sein. Wir freuen uns auf Ihre Antwort und hoffen auf einen lebendigen Austausch. Florian Grüning, Altstadtfreunde München Schalten Sie ein: Radio Lora, am 8. Dezember 2014, 19.00 - 20.00 Uhr, UKW 92,4 In unserer Sendung geht es um die Zukunft des öffentlichen Nahverkehrs in München und Umgebung. Die letzten Flächenreserven in München werden entwickelt, das verschärft den Druck auf den ÖV weiter und verursacht dringenden Handlungsbedarf. Neue Mobilitätskonzepte sind der Schlüssel für eine erfolgreiche Stadtentwicklung der Zukunft. Ursula Ammermann im Gespräch mit Dr. Michael Droß: Wissenschaftlicher Referent an der TU München: Munich Center for Technology in Society, Matthias Hintzen: Leiter des Arbeitskreises Attraktiver Nahverkehr (AAN) des Münchner Forums und Helmut Steyrer: Programmausschussvorsitzender des Münchner Forums. Architekt und ehemaliger Stadtrat. Standpunkte Dezember 2014 - 26