semantische funktionen der türkischen -miş- form
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semantische funktionen der türkischen -miş- form
Fırat Üniversitesi Sosyal Bilimler Dergisi Fırat University Journal of Social Science Cilt: 11 Sayı: 2, Sayfa: 43-54, ELAZIĞ-2001 SEMANTISCHE FUNKTIONEN DER TÜRKISCHEN -MIŞFORM UND IHRE ENTSPRECHUNGEN IM DEUTSCHEN Türkçe’de –mIş Ekinin Semantik Fonksiyonu ve Almanca’daki Karşılığı The semantic function of –mIş form in Turkish and its equivalent in German Tahsin AKTAŞ * ÖZET Bu araştırmada Türkçe’de eylem köklerine eklenen “-mIş” morfeminin hangi bağlamlarda kullanıldığı ve kullanıldığı bağlamlarda ne gibi işlevleri olduğu ve hangi anlamları yansıttığı somut örneklerle incelendi. Ayrıca söz konusu morfemle teşkil edilen yapıların Almanca’ya nasıl aktarılabileceği ve bunun için Almanca’da ne gibi dilsel varyasyonların bulunduğu araştırıldı. Anahtar Kelimeler: -mIş-Form, morfem, eylem kökü, kip, yardımcı eylem, ulama ABSTRACT In this study, the morpheme “mIş” added to the root of verbs in Turkish is dealt with using concrete examples as to which context they are used in, which functions they have and what they mean in these contexts. Furthermore, how the structures formed with this morpheme can be translated into German and which morphological and grammatical devices meet the functions of this morpheme are studied. Key words: : -mIş-form, morpheme, root of verbs, mood, auxiliary verb, addition * -Doç Dr. G.Ü.Gazi Eğitim Fakültesi, Alman Dili Eğitimi Anabilim Dalı F.Ü.Sosyal Bilimler Dergisi 2001 11 (2) Einführung Unter der “mIş-Form” verstehen wir in der türkischen Morphologie ein Morphem, d.h. eine kleinste bedeutungstragende Einheit, die nicht selbständig auftritt, sondern zu Verbalstämmen hinzugefügt wird. Die Eigenschaft “bedeutungstragend” verweist auf einen bestimmten Inhalt bzw. eine gewisse Funktion diese Sprachzeichens. Die aus einem Verbalstamm ableitbare “mIş-Form” gibt im Türkischen Nuancen, Schattierungen hinsichtlich der Einstellung des Subjekts zum Eintritt des Geschehens an, die im Deutschen durch verschiedene Zeiten und Modi, durch Hilfs-und Modalverben, Umschreibungen, adverbiale Zusätze oder Partikel ausgedrückt werden. Demnach muss der Sprecher des Deutschen durch eine andersartige Konstruktion realisieren, was der Sprecher des Türkischen durch die Verwendung der “mIş-Form” zum Ausdruck bringen kann. Diese formale Andersartigkeit vergrössert die allgemeine Schwierigkeit beim Erwerb türkischer “mIş-Form” für deutsche Lerner erheblich, umgekehrt aber auch den Erwerb der verschiedenen korrespondierenden Formen des Deutschen für türkische Lerner. Die Problematik erhält dadurch noch besonderes Gewicht, dass das unter der “mIşForm” bezeichnete Element im Türkischen ebenso wie die entsprechenden Formen im Deutschen häufig verwendet werden. Ferner hat es sich bei meinen langjährigen Übersetzungsveranstaltungen für türkische Studenten herausgestellt, dass den türkischen Studenten schwerfällt, eine bestimmte Art der “mIş-Formen” ins Deutsche zu übersetzen. Im allgemeinen brachten Übersetzungsversuche eines türkischen Satzes ins Deutsche, in dem eine deutsche Entsprechung einer “mIş-Form” im Türkischen auftritt, die Studenten in Verwirrung, da ihnen auch ein zweisprachiges Wörterbuch dabei nicht helfen kann. Auch bei der Übersetzungsveranstaltung aus dem Deutschen ins Türkische habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, dass die Übersetzungsversuche der deutschen Konstruktionen, die der türkischen “mIş-Form” entsprechen, den Studenten grosse Schwierigkeiten machen. Die Studenten wiesen mich oft auf die Schwierigkeiten in diesem Bereich hin. Ich konnte ihnen jedoch keine wirksame Hilfe geben. Das war die Anregung zu dieser Arbeit, in der ich den Versuch unternommen habe, von der funktionellen und inhaltlichen Beschreibung der türkischen “mIş-Form” mit jeweils tatsächlichen und verschiedenartigen Verwendungsweisen in unterschiedlichen kommunikativen Situationen ausgehend ihre deutschen Entsprechungen zu ermitteln. Die Beispiele im Türkischen habe ich verschiedenartigen Quellen entnommen. Sie stammen hauptsächlich aus den türkischen Lehrwerken. 44 Semantische Funktionen der Türkischen mIş-Form Zur Funktion und Bedeutung der “mIş-Form” Die “mIş-Form” spielt im Türkischen eine überaus wichtige Rolle, da sie auf der semantischen Ebene ein vielfältiges Inhaltsbündel aufweist und daher mehrere Funktionen erfüllt, die in betreffenden Abschnitten der türkischen Lehrwerke dargestellt werden. Unter bestimmten Verwendungsbedingungen kann sie als der Tempusindikator für unbestimmte Vergangenheit auftreten, aber in einer anderen Verwendungsweise als Partizip, als Substantiv vorkommen. Ülkü (1980:184) bezeichnet sie als ein sehr produktives Suffix der Partizipien der Vergangenheit, das adjektivisch und substantivisch gebraucht wird. Er führt hierfür die Ableitungen an: “yanmış (angebrannt), susamış (durstig), okumuş (gebildet), substantivisch : ein Mensch mit guter Schulbildung alışmış (gewohnt, gewöhnt ).” Aksan (1983:258,236) schreibt ihr nicht nur eine einzige Grundbedeutung, sondern mehrere zu und bemerkt zu Recht, dass sie u.a. “unbestimmte Vergangenheit” zum Ausdruck bringen kann. Darüber hinaus erkennt Aksan in “mIş” eine Idee der “Ferndistanz”. Demnach kann der Sprecher des Türkischen durch die Verwendung der “mIş-Form” seine subjektive Einstellung zum Gesagten ausdrücken. Dagegen muss der Sprecher des Deutschen das gleiche durch eine andersartige Konstruktion realisieren. In bezug auf die Bedeutungsvariante der “mIş-Form” wird bei Ergin (1985:323) darauf aufmerksam gemacht, dass sie neben der Funktion des Vergangenheitsindikators auch adnominale und modale Funktionen aufweist. Er ordnet sie den sprachlichen Mitteln zu, mit denen der assertorische Charakter der Aussage aufgehoben werden kann. Ähnlich fasst Korkmaz (1992:49;132) den Wahrheitsgehalt einer mit der “mIş-Form” ausgedrückten Aussage nicht gesichert auf. Ferner spricht sie von adjektivischen und substantivischen Gebrauchsweisen dieser Form. Von der Funktion ausgehend verzeichnen auch Banguoğlu (1986:460) und Çakır (1992:384), dass die “mIş-Form” nicht von tatsächlich Stattfindendem oder Stattgefundenem Bericht erstatten kann. Die gleiche Auffassung teilt auch Gencan (1979:277), er macht von “mIş” geltend, “sie diene nicht zur Feststellung einer tatsächlichen Handlung.” Nach ihm gibt die “mIş-Form” in einem bestimmten Kontext Gesagtes wieder, stellt es hin, entscheidet aber nicht über wahr oder falsch. Auffällig ist hier, dass die Aussagen über die Funktionen und Inhalte sowie die Gebrauchsvarianten dieser Form in den Darstellungen der verschiedenen Sprachforscher übereinstimmen. Aus ihren Ausführungen ergibt es sich, dass das Verb durch das Morphem “-mIş” neben der temporalen noch zusätzliche Bedeutungen erhält. Damit drückt der Sprecher je nach Diskurstypen folgende Kerninhalte bzw. Funktionen aus: - Nachträgliche Feststellung - Subjektive Einstellung 45 F.Ü.Sosyal Bilimler Dergisi 2001 11 (2) - Distanzierung - Unsicherheit, Unwahrscheinlichkeit - Partizip - Modalität - Irrealität beim Vergleich. Nun wollen wir unter Berücksichtigung der Bemerkungen der türkischen Sprachwissenschaftler die genannten semantischen und funktionellen Merkmale der “mIş-Form” mit deren deutschen Entsprechungen diskutieren. 1. Nachträgliche Feststellung Das Morphem “-mIş ” wird bei der Konjugation dem Bezugswort nachgestellt und mit Personalendungen versehen. Es wird immer häufiger mit Bezugswort zusammengeschrieben und diesem nach der grossen Vokalharmonie angeglichen. Nach vokalischem Auslaut wird ein “ y” als Bindekonsonant eingeschoben. Dieses Morphem fungiert hauptsächlich als ein Tempusindikator, der eine in der Vergangenheit vom Sprecher als abgeschlossen empfundene Handlung bezeichnet. Die betreffende Handlung spielt sich in einer unbestimmten Zeit ab; der Sprecher weiss sie vom Hörensagen und vermittelt weiter (Gencan, 1979:276, 277). In dieser Gebrauchsfunktion des türkischen unbestimmten Vergangenheitsmorphems “-mIş” wird bei der deutschen Wiedergabe oft die Konstruktion “sollen + sein (haben) ” verwendet. Beispiele für Entsprechung von “sollen + sein” Ayten hastaymış. → Ayten soll krank sein (Ayten soll krank gewesen sein) Hasan’ın babası çok zenginmiş. → der Vater von Hasan soll sehr reich gewesen sein Yazın Ankara’da değilmişim. → Im Sommer soll ich nicht in Ankara gewesen sein Babanın hastalığından dolayı dün çok üzgünmüşsün. → Wegen der Krankheit deines Vaters sollst du gestern sehr traurig gewesen sein Bei der Entsprechung der Konstruktion “sollen + haben” mit dem fakultativen Partikel “angeblich ” erhält das “-mIş” kein Suffix für Person. Die Person erkennt man an der Possessivendung am Bezugswort: İki çocuğ-um varmış → Ich soll (angeblich) zwei Kinder haben. Sinem-in parası yokmuş → Sinem soll (angeblich) kein Geld haben. Şehrin kenarında bir villa-mız varmış → Wir sollen (angeblich) am Rande der Stadt eine (hübsche) Villa haben. Im Türkischen wird diese durch das “-mIş” ausgedrückte unbestimmte Vergangenheit auch als Überlieferungsform (rivayet, söylenti) genannt (Aksan, 1983:236). In diesem Fall entspricht sie der Äusserung mit “sollen + Partizip Perfekt mit 46 Semantische Funktionen der Türkischen mIş-Form haben oder sein” im Deutschen, die durch die fakultative Partikel “angeblich ” (sözde, güya) verstärkt wird. Ahmet parayı çalmış → Ahmet soll (angeblich, wie mir berichtet wurde) das Geld gestohlen haben. Selma Almanya’ya gitmiş → Selma soll (angeblich, wie man sagte) nach Deutschland gefahren sein. In diesen Beispielen drückt der Sprecher durch das Morphem “-mIş” etwas aus, was Ahmet und Selma in der Vergangenheit gemacht haben. Er hat selber nicht gesehen, dass Ahmet das Geld gestohlen hat, und dass Selma nach Deutschland gefahren Ist. Durch die Verwendung der “mIş-Form” bringt er in seine Aussage seine Unsicherheit und seinen Zweifel hinein, was im Deutschen durch die oben genannte Konstruktion wiedergegeben wird. 2. Subjektive Einstellung Durch die “mIş-Form” lässt sich eine subjektive Entscheidung über etwas treffen. Diese vom Sprecher getroffene Entscheidung stellt oft eine Milderung bzw. den Ausdruck des Erstaunens dar und bezieht sich auf eine abgeschlossene Handlung, die der Sprecher während des Geschehens nicht oder nicht bewusst miterlebt, aber nachträglich erfahren oder festgestellt hat (Tekinay, 1988:46). Diese Bedeutungsvariante der “mIşForm” vollzieht sich im Deutschen durch das Perfekt, das eine bis zum Moment des Sprechers abgeschlossene und deshalb vollendete Handlung ausdrückt (Eisenberg, 1989:121), zum Teil unter Verwendung von Partikeln wie “wohl, ja, doch, wahrscheinlich”, z.B.: Aaa, kar yağmış! → Ach, es hat (doch) geschneit. In diesem Beispiel gibt der Sprecher des Türkischen durch die “mIş-Form” ein subjektives Urteil ab und bringt sein Erstaunen über eine abgeschlossene Handlung zum Ausdruck. Dass es geschneit hat, ist für ihn eine erstaunliche Begebenheit. Dies sieht er eventuell am Morgen aus dem Fenster und klatscht vor Freude in die Hände und sagt: “ kar yağmış”. Der Sprecher des Deutschen signalisiert durch das Perfekt, dass es einen Zeitpunkt gibt, zu dem es aufgehört hat zu schneien. Er verstärkt auch durch die Partikel “doch ” den Sinn seiner Aussage. Weitere Beispiele: Makina bozulmuş → Die Maschine ist (wohl) kaputtgegangen. Sigorta yanmış → Die Sicherung ist (wohl) durchgebrannt. Çocuk dövülmüş → Das Kind ist (wohl) verhauen. Die angeführten Beispiele, in denen das “-mIş ” als Ausdruck eines subjektiven Urteils des Sprechers erscheint, sind in der Passivform gebildet. Dieser Form entspricht 47 F.Ü.Sosyal Bilimler Dergisi 2001 11 (2) das deutsche Zustandspassiv, in dem die Partikel “wohl ” fakultativ vorkommt. Der perfektive Aspekt dieses Tempus besagt, dass der vom Verb bezeichnete Vorgang abgeschlossen ist (Eisenberg, 1988:145). Die obigen Beispiele können auch mit dem Mophem “dIr ” versehen werden. In Verbindung der dritten Person entspricht es der objektiven mit dem Suffix “dI ” gebildeten Vergangenheit. Makina bozulmuştur. →Die Maschine ist kaputtgegangen. Sigorta yanmıştır.→ Die Sicherung ist durchgebrannt. Çocuk dövülmüştür → Das Kind ist verhauen. Dieses “dIr ” verleiht jedoch den Formen in der 1. und 2. Person (Sing. und Pl.) eine subjektive (von der Person ausgehende) Nachdrücklichkeit, die im Deutschen durch das Zustandspassiv mit einem fakultativen Element wie “auf jeden Fall” bzw. “doch” wiedergegeben wird: gitmişimdir → Ich bin (auf jeden Fall) gegangen. gitmişsindir.→ Du bist (auf jeden Fall) gegangen. gitmişizdir. → Wir sind (auf jeden Fall) gegangen. gitmişsinizdir. → Ihr seid (auf jeden Fall; doch) gegangen. 3. Distanzierung Zu den Funktionen der “mIş-Form” gehört auch die Kategorie der indirekten Rede, in der berichtet wird, was ein anderer gesagt hat. Es handelt sich, wie Banguoğlu (1986: 460) sagt, um die mittelbare Wiedergabe von etwas Gesagtem. Der Berichtende nimmt durch die Verwendung der “mIş-Form” nicht Stellung zu dem, was er gehört hat, obwohl durch den Kontext auch ein Zweifel an der Richtigkeit des Gesagten ausgedrückt werden kann. So kann man also sagen: Nesrin diyorki, Sevim yeni bir araba almış. Nesrin sagt, dass Sevim ein neues Auto gekauft habe. Ali diyorki, Hasan bize telefon etmiş. Ali sagt, dass Hasan uns angerufen habe. Ahmet diyorki, Ayşe Ankara‘ya gelmiş. Ahmet sagt, Ayşe sei nach Ankara gekommen. Die hier durch die “mIş-Form” ausgedrückten Gedanken stellen einen Zweitbericht dar und werden durch einen zweiten Berichter dem Hörer oder Leser nicht in der erstmaligen Form wiederholt, sondern als mittelbar wiedergegebene Rede präsentiert; sie sind nichts anderes als die Projektion des Zweitberichters aus der Vergangenheit auf die Gegenwart. In angeführten Beispielen sind die Angaben des Erstberichters: Sevim yeni bir araba aldı. → Sevim hat ein neues Auto gekauft. Hasan bize telefon etti. → Hasan hat uns angerufen. 48 Semantische Funktionen der Türkischen mIş-Form Ayşe Ankara‘ya geldi. → Ayşe ist nach Ankara gekommen. Erst beim Weitergeben an den nächsten Berichter treten diese Angaben in die Vergangenheit und der Zweitberichter projiziert einem Dritten gegenüber wieder durch die “mIş-Form” das vergangene Einmalige auf die vergegenwärtigende Bildfläche. Es ist daraus ersichtlich, dass das Morphem “-mIş” in obigen Belegen über einen Aussagewert verfügt, der das mittelbar Berichtete und das als fremde Meinung wiedergegebene bezeichnet. Der Berichtende schaltet sich als Partei aus und gibt durch dieses Morphem seine Aussage objektiv und neutral wieder, ohne Gewähr für die Richtigkeit zu übernehmen. Mit anderen Worten kennzeichnet das Morphem “-mIş” hier keine urteilende Stellungnahme des Sprechers, noch dient es primär zur Kennzeichnung mittelbarer Kundgabe. Es stellt die Beziehung zwischen Besprochenem und ursprünglichem Sprecher her, weil es die Distanz zwischen dem jetzigen Sprecher und dem Besprochenen kennzeichnet und so das Besprochene einem anderen Sprecher zuweist. Aus diesen Darlegungen geht hervor, dass jeder der oben angegebenen Belege einen neutralen Bericht des Sprechers enthält. Der erwähnte Bericht wird vom Sprecher nur nach Angabe eines anderen ohne Gewähr für die Gültigkeit vermittelt, man nimmt nur an, es sei so. In dieser Gebrauchsfunktion der türkischen “mIş-Form” wird bei der deutschen Wiedergabe stets konjunktivische Form des Verbs herangezogen. Daher kann man die “mIş-Form” eher dem deutschen Modustyp “Konjunktiv” zuordnen. In unseren Beispielen erscheinen die Formen des Konjunktiv I “sei” und “habe” als ein grammatisches Mittel, welches den semantischen Inhalt der türkischen “mIş-Form” ausdrückt. Im Deutschen wird der Konjunktiv I als der einzige reguläre Modus der mittelbaren Rede betrachtet (Drosdowski, 1984:168). Diese Auffassung wird ebenfalls auch von Engel (1988:112) vertreten, welcher die Funktion des Konjunktiv I in indirekter Rede folgendermassen formuliert: “Der Konjunktiv I ist der Normalmodus der indirekten Rede. Er wird als häufigster und typischer Anzeiger betrachtet, der auch für sich allein zur Markierung der indirekten Rede völlig ausreicht. Der Sprecher verbürgt sich durch den Konjunktiv I, der im letzten Satz der einzige Anzeiger für die indirekte Rede ist, nicht für die Wahrheit der Äusserung.” Auch in diesem Zitat wird hervorgehoben, dass der Konjunktiv I als Entsprechung der türkischen “mIş-Form” die Aussage eines anderen oder eine frühere Aussage des Sprechers im Gegensatz zur wörtlichen Rede mittelbar wiedergibt. Ebenso wie die “mIşForm” im Türkischen, die imstande ist, die Gültigkeit der Aussage in Frage zu stellen, 49 F.Ü.Sosyal Bilimler Dergisi 2001 11 (2) besagt der Konjunktiv, dass der Sprechende die Aussage aus seiner Perspektive berichtet und die Verantwortung für die Richtigkeit des Gesagten nicht zu übernehmen gedenkt. 4. Unsicherheit in märchenhaften Texten Neben der Verwendung in der mittelbar wiedergegebenen Rede wird die “mIşForm” in der dritten Person sehr häufig in Märchen, Fabeln, Witzen, auch in kurzen anekdotenhaften Texten gebraucht. In solchen Texten kann sie oft in Verbindung mit dem Morphem “-Ir ” für Aorist, oder mit dem Morphem “-Iyor ” für Präsens vorkommen. In beiden Fällen dient sie zum Ausdruck von Unsicherheiten, Unmöglichen und entspricht dem Imperfekt im Deutschen. Dies wird in folgenden aus einem Märchentext zitierten Belegen beleuchtet: “Vaktiyle bir adamın bir eşeği varmış. Bu eşek çuvalları bıkmadan usanmadan yıllarca değirmene götürmüş. Fakat artık takatı kalmamış, işe yaramaz bir hale gelmiş. Sahibi onu boş yere beslemek istemiyormuş. Eşek de işlerin yolunda olmadığını sezmiş, başını alıp çıkmış, Bremen yolunu tutmuş. Orada şehir çalgıcısı olabileceğini sanıyormuş. Eşek böylece az gitmiş, uz gitmiş, dere tepe düz gitmiş; yolda boylu boyunca yatan bir av köpeğiyle karşılaşmış. Hayvan koşmaktan yorulmuş köpekler gibi soluyup duruyormuş. Eşek sormuş: Ne soluyup duruyorsun böyle bakayım, bekçi baba? Köpek: sorma, demiş, ihtiyarladım...” (Kaya, 1992:51) Es hatte ein Mann einen Esel, der schon Jahre die Stärke unverdrossen zur Mühe trug, dessen Kräfte aber nun zu Ende gingen, so dass er zur Arbeit immer untauglicher wurde. Da dachte der Herr daran, ihn aus dem Futter zu schaffen, aber der Esel merkte, dass kein guter Wind wehte, lief fort und machte sich auf den Weg nach Bremen; dort, meinte er, könnte er ja Stadtmusikant werden. Als er ein Weilchen fortging, fand er einen Jagdhund auf dem Wege liegen, der jappte wie einer, der sich müde gelaufen hat. “Nun, was jappst du so, Packan? “ fragte der Esel. “Ach ”, sagte der Hund, weil ich alt bin...” (Brüder Grimm, 1969:112) Wie aus diesem Beleg hervorgeht, beschreibt und schildert die Verbalform “-mIş ” auch Handlungen, Vorgänge ebenso wie Zustände, von denen der Sprecher es für unsicher oder unwahrscheinlich hält, dass sie wirklich stattgefunden haben. In dieser Bedeutungsvariante können wir sie als eine Aussageweise des Unmöglichen, Unwirklichen, Phantastischen, bzw. als Ausdruck des nur Vorgestellten definieren. Inhaltsseitig bringt sie also einen unrealisierbaren Charakter des betreffenden Sachverhaltes zum Ausdruck. Aus diesem Grunde verneint der Sprecher die Frage der Tatsächlichkeit des im Grunde enthaltenen Sachverhaltes, unabhängig davon, ob dieser Sachverhalt faktisch möglich ist oder nicht. Daraus ist zu erschliessen, dass die Hauptfunktion der Verbalform “-mIş” vorwiegend darin besteht, ein Verhältnis oder ein Geschehen zu beschreiben, das nicht in völliger Übereinstimmung mit der Wirklichkeit steht. Für die Wiedergabe dieser Bedeutungsvariante der türkischen Verbalform “-mIş” im Deutschen wird das Imperfekt herangezogen, wie es auch in obigen Beispielen der 50 Semantische Funktionen der Türkischen mIş-Form Fall ist. Im Deutschen wird das Imperfekt als das eigentliche Erzähltempus, d.h. das Haupttempus in allen Erzählungen und Berichten betrachtet, die von einem erdachten (fiktiven) oder wirklichen (nichtfiktiven) Geschehen der Vergangenheit handeln. Es besteht also ein Abstand zwischen dem Zeitpunkt des Sprechers und dem Zeitpunkt des Geschehens, wodurch der fiktive Charakter des Sachverhaltes ausgedrückt wird. Daher wird das Imperfekt als das normale Tempus in Erzählungen und Berichten über Vergangenes angesehen (Jude, 1975: 73). Bei der Schilderung von Handlungen und Zuständen verweist dieses Tempus in die Vergangenheit, stellt sowohl das Nacheinander der Geschehnisse als auch Gleichzeitiges dar und ermöglicht so den Eindruck der Stetigkeit in der Vergangenheit (Jung, 1984: 215). 5. Partizip Im Türkischen wird mit dem Morphem “-mIş” auch eine indefinite Verbform gebildet, die wir als ein Partizip der Vergangenheit nennen. Im Unterschied zu den finiten Verbformen impliziert diese indefinite Verbform keine von einer Person ausgehenden Bedeutungsnuancen oder subjektiven Feststellungen und entspricht dem deutschen Partizip Perfekt; sie kann als Adjektiv wie das Partizip Perfekt im Deutschen fungieren. In dieser Gebrauchsfunktion steht sie -als Begleiter eines unbestimmten Nomens: Terkedilmiş bir şehir → eine verlassene Stadt Satılmış bir araba → ein verkauftes Auto Tasdik edilmiş bir senet → eine beglaubigte Urkunde -als Begleiter eines bestimmten Nomens. In diesem Fall kann das Partizip Präsens “olan ” oder bei Betonung des Zustandes “bulunan ” hinzutreten: Geçen hafta Almanya‘dan Türkiye‘ye ithal edilmiş olan (bulunan) mallar Die letzte Woche aus Deutschland in die Türkei importierten Waren - mit “olan” als bestimmtes Substantiv: Savaşta şehit düşmüş olanlar → Die im Krieg Gefallenen Polis tarafından yakalanmış olanlar → Die von der Polizei Verhafteten Darüber hinaus dient das “-mIş” Partizip in Verbindung mit dem Hilfsverb “olmak” zur Bildung weiterer Verbformen. Mit diesen zusammengesetzten Verbformen lassen sich Zeitstufen und Handlungsarten in feinsten Abstufungen zum Ausdruck bringen. In diesem Fall geschieht die Wiedergabe im Deutschen durch Futur II: Böylece Istanbul’da Topkapı - müzesini de ziyaret etmiş olacağız. Somit werden wir in Istanbul auch das Topkapı - Museum besichtigt haben Noelde Almanya’ya gitmiş olacak. An Weihnachten wird sie nach Deutschland gefahren sein. 51 F.Ü.Sosyal Bilimler Dergisi 2001 11 (2) 6. Modalität Das Türkische macht besonders reichlichen Gebrauch von dem Vergangenheitsindikator “-mIş,” der mit einem “ Modalität ” enthaltenden Element wie ebil/-abıl, -meli/-malı erscheint. Zum Ausdruck der Modalität verfügt das Deutsche nicht über solche unabhängigen Mittel. Modalität wird im Deutschen vorwiegend mit den selbständig auftretenden Wörtern, d.h. mit den Modalverben ausgedrückt. Die Funktion der “-mIş ” Vergangenheit erfüllt hier das Perfekt oder Imperfekt: Erdal bu metni anlayabilmiş mi? [anla(y): Verbstamm, -abil: Morphem für Modalität, -miş: Vergangenheitsmorphem, -mi: Morphem für Frage] Hat Erdal diesen Text verstehen können? Hayır anlayamamış. [anla(y): Verbstamm, -ama: Negationsmorphem für Modalität, -mış: Vergangenheitsmorphem] Nein, er hat ihn nicht verstehen können. Ayşe dün okula gidebilmiş mi ? Konnte Ayşe gestern in die Schule gehen ? Hayır, gidememiş, çünkü hastaymış. [git: Verbstamm, -eme: Negationsmorphem für Modalität, -miş: Vergangenheitsmorphem] Nein, sie konnte nicht (in die Schule gehen). Denn sie soll krank (gewesen) sein. Wie -ebil / -abıl (können) und -eme / -ama (nicht können) kann auch die Modalität ausdrückendes Morphem -meli/-malı in der Form “ -meliymış / -malıymış” mit dem Morphem -mIş verbunden werden. Es hat aber nicht nur eine reale, sondern auch eine konjunktivische Bedeutung: Selma eve gitmeliymiş. [git: Verbstamm, -meli: Morphem für Modalität (Notwendigkeitsmorphem), -y: Bindekonsonant, -miş: Vergangenheitsmorphem] Selma musste (sollte) nach Hause gehen. (wie ich gehört habe) Selma hätte nach Hause gehen sollen (müssen). Daneben kann das Morphem “-miş” mit dem Hilfsverb “olmak” auch in Modusformen verwendet werden. In diesem Fall wird eine Vermutung ausgedrückt. Die Vermutung wird durch lexikalische Elemente wie “wohl, wahrscheinlich” verstärkt: Derya Turgay’a telefon etmiş olmalı. Derya muss (wohl) Turgay angerufen haben. Sedat bu problemi çözmüş olabilir. Sedat kann (wahrscheinlich) dieses Problem gelöst haben. 7. Irrealität Ausser den oben genannten Bedeutungsvarianten gebrauchen wir das Morphem “mIş” mit der Postposition “gibi” zum Ausdruck eines irrealen Vergleichs am Stamm eines Verbes oder an dem durch “ -yor, -Ir, -EcEk ” erweiterten Verbstamm. Für die 52 Semantische Funktionen der Türkischen mIş-Form Wiedergabe eines solchen irrealen Vergleichs steht im Deutschen ein konjunktivischer Nebensatz mit den Konjunktionen “als ob, als wenn, wie wenn” zur Verfügung. Zur Verdeutlichung der Irrealität kommt am Anfang eines “ -mIş gibi” Satzes die fakultative Partikel “sanki” oder “güya” vor. Letztere ist aber beim heutigen Sprachgebrauch nicht sehr häufig anzutreffen. (Sanki) uyuyormuş gibi gözlerini kapadı. Sie schloss ihre Augen, als ob sie schliefe. (Sanki) bunu bilirmiş (biliyormuş) gibi yapıyor. Er tut so, als ob er es wüsste. (Sanki) bizi tanımıyormuş (tanımıyacakmış) gibi yaptı. Sie tat so, wie wenn sie uns nicht kennen würde . Es ist festzustellen, dass in diesen Beispielen die Konstruktion “ -mIş gibi ” zum Vergleich einer irrealen Aussage dient, für deren deutschen Wiedergabe der Konjunktiv II im Nebensatz steht, der mit den Konjunktionen “als ob, als wenn, wie wenn” eingeleitet wird. Zusammenfassung In vorliegender Arbeit wurde versucht, durch die funktionale Beschreibung des Morphem “-mIş” im Türkischen und seine Entsprechungen im Deutschen beide Sprachen in diesem Teilbereich gegenüberzustellen. Die Ergebnisse dieser Arbeit haben gezeigt, dass das Mophem “-mIş” nicht nur über eine einzige Grundbedeutung, sondern auch über mehrere verfügt. Zu den verschiedenen Bedeutungsvarianten dieses Morphems mit deutschen Entsprechungen zählen wir: 1. Der Sprecher des Türkischen bringt durch die Verwendung des Morphems “mIş” seine subjektive Feststellung über eine Handlung, die er später, d.h. nach dem Zeitpunkt des Geschehens erfahren bzw. gehört hat, oder seine subjektive Einstellung zum Gesagten zum Ausdruck. Für den gleichen Zweck verwendet der Sprecher des Deutschen drei unterschiedliche Konstruktionen : a) das Modalverb “sollen” + Partizip Perfekt mit dem Hilfsverb “haben” oder “sein” und das fakultative Element “angeblich” für die Wiedergabe einer nachträglichen Feststellung. das Perfekt mit dem fakultativen Element “wohl” für die Wiedergabe einer subjektiven Einstellung zum Gesagten. der Konjunktiv in indirekter Rede für die Wiedergabe einer Distanz zu einer Äusserung. 53 F.Ü.Sosyal Bilimler Dergisi 2001 11 (2) 2. Der Sprecher des Türkischen drückt durch das “-mIş” etwas Erdachtes, etwas Fiktives aus, was der Sprecher des Deutschen durch das Tempus “Imperfekt” wiedergibt. 3. Als Partizip erscheint das “-mIş” in einer Nominalphrase und charakterisiert das betreffende Nomen. In dieser Gebrauchsfunktion wird im Deutschen das Partizip Perfekt verwendet. 4. In Verbindung mit dem Hilfsverb “ olmak ” besagt es zeitliche Abstufung einer Handlung und entspricht dem deutschen Futur II. 5. Mit dem Modalelement “-ebil /-abıl” zeigt das “-mIş” an, dass eine abgeschlossene Handlung vom Sprecher vermittelt wird. Mit dem Modalelement “-meli/malı” hingegen kann es nicht nur eine reale, sondern auch eine konjunktivische Bedeutung widerspiegeln, die im Deutschen durch das Modalverb “müssen” oder “sollen” im Perfekt bzw. im Imperfekt mit oder ohne Konjunktiv II wiedergegeben wird. 6. In Verbindung mit der Postposition “gibi” kann das -mIş” dem Sprecher dazu dienen, seine Aussage irreal zu formulieren. Diese Funktion erfüllt im Deutschen ein mit der Konjunktion “als ob” oder “als wenn, wie wenn” eingeleiteter Nebensatz, dessen Prädikat im Konjunktiv II steht. 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