Vom Agens zur Krankheit - Interuniversitäres Kolleg für Gesundheit

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Vom Agens zur Krankheit - Interuniversitäres Kolleg für Gesundheit
Vom Agens zur Krankheit –
Vom makrozyklischen Lakton zur
transmissiblen spongiformen
Enzephalopathie?
Erzeugung von Prionen und Prionerkrankungen
durch pharmakologisch bedingte Hyperpolarisation?
Thesis
zur Erlangung des Grades
Master of Science (MSc)
am
Interuniversitären Kolleg für Gesundheit und Entwicklung
Graz / Schloss Seggau ([email protected], www.inter-uni.net)
vorgelegt von
Dr.med.vet. Andreas Becker
Graz, im Juni 2010
1 Becker Andreas, MSc Thesis 2010 Interuniversitäres Kolleg Graz/Seggau Dr.med.vet. Andreas Becker, Möttingen
[email protected]
Hiermit bestätige ich, die vorliegende Arbeit selbstständig unter Nutzung keiner anderen als der
angegebenen Hilfsmittel verfasst zu haben.
Graz, im Juni 2010
Thesis angenommen
Im Sinne fachlich begleiteter Forschungsfreiheit müssen die in den Thesen des Interuniversitären
Kolleg vertretenen Meinungen und Schlussfolgerungen sich nicht mit jenen der Betreuer/innen und
Begutachter/innen decken, sondern liegen in der Verantwortung der Autorinnen und Autoren.
2 Becker Andreas, MSc Thesis 2010 Interuniversitäres Kolleg Graz/Seggau INHALTSVERZEICHNIS
INHALTSVERZEICHNIS ...................................................................................................................... 3 ZUSAMMENFASSUNG ........................................................................................................................ 4 EINLEITUNG ....................................................................................................................................... 10 Aktuelles zur Thematik ..................................................................................................................... 10 BSE-Update ................................................................................................................................... 10 Synthetisches Prion ....................................................................................................................... 10 Protein- only-Hypothese ................................................................................................................ 11 Ist die Alzheimer-Erkrankung kontagiös? ..................................................................................... 11 Rückblick .......................................................................................................................................... 11 Grundlagen der eigenen Hypothese .................................................................................................. 14 Makrozyklische Laktone, Avermectine, Ivermectin ......................................................................... 17 Chemie ........................................................................................................................................... 17 Pharmakologie .............................................................................................................................. 17 Pharmakokinetik ............................................................................................................................ 18 Toxizität ......................................................................................................................................... 20 Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) .................................................................................... 22 Avermectine und Benzodiazepine .................................................................................................. 24 Bluthirnschranke ............................................................................................................................... 25 BSE-Tests .......................................................................................................................................... 25 Milchaustauscher und Tiermehl ........................................................................................................ 26 Forschungsfrage ................................................................................................................................ 27 METHODIK .......................................................................................................................................... 27 ERGEBNIS ........................................................................................................................................... 27 DISKUSSION ....................................................................................................................................... 29 QUELLENVERZEICHNIS .................................................................................................................. 32 3 Becker Andreas, MSc Thesis 2010 Interuniversitäres Kolleg Graz/Seggau ZUSAMMENFASSUNG
www.inter-uni.net > Forschung
Vom Agens zur Krankheit – Vom Makrozyklischen Lakton zur Transmissiblen Spongiformen
Enzephalopathie?
Zusammenfassung der Arbeit
Andreas Becker
Jens Türp
Einleitung
Transmissible spongiforme Enzephalopathien (TSE) oder Prionerkrankungen sind tödlich verlaufende,
mit schwammartiger Degeneration von Nervenzellen einhergehende genetisch bedingte Erkrankungen
bei Mensch (z.B. Creutzfeldt-Jakob-Krankheit) und Tier (Traberkrankheit der Schafe bzw. Scrapie
und Bovine Spongiforme Enzephalopathie [BSE]). Im Jahre 1982 entdeckte der amerikanische
Biochemiker und Mediziner Stanley B. Prusiner den Pathogenitätsmechanismus eines in der
Zellmembran vorkommenden Proteins: Sein „Prion“ (Prionprotein Scrapie, PrPSc, Sc für Scrapie)
genannter „infektiöser“ Partikel reproduziert sich in einer Art Kettenreaktion aus zellulärem
Prionprotein (Prionprotein cellular, PrPc, c für cellular = zellulär) allein durch Konformationswechsel,
d.h. Änderung der räumlichen Struktur von einer α-Helixstruktur in eine ß-Faltblattstruktur.
Experimentell können durch Injizieren von Prionen ins Gehirn oder durch orale Übertragung von
Prionen TSE ausgelöst bzw. angeregt werden, d.h. der „Erreger“ besteht nur aus einem Protein und
enthält keine Nukleinsäuren, wie Viren oder Bakterien (Prusiner, 1982).
Diese zunächst umstrittene „Protein only“-Hypothese wurde nicht zuletzt durch die Verleihung des
Nobelpreises 1997 an Prusiner zur mittlerweile anerkannten wissenschaftlichen Ausgangsbasis für
weitere Forschungen. Der Frage, ob der Konformationswechsel auch ohne Anwesenheit von Prionen
ausgelöst werden könnte, wurde nicht nachgegangen. Daran änderten auch zwei Außenseitertheorien
nichts: Zum einen die des englischen Biolandwirtes Mark Purdey, der als Ursache die seit 1985
zweimal jährlich angeordnete staatliche Dasselfliegenbekämpfung bei Rindern mit dem Pestizid
Phosmet sieht und darüber hinaus glaubt, dass Kupfermangel bzw. Manganvergiftung den
Konformationswechsel zum Prion beschleunigt (Purdey, 1996a, b), zum anderen eine
Vererbungshypothese, bei der ein genetischer Defekt oder eine Mutation in dem Gen vorliegt, welches
das BSE-disponierende Membranprotein kodiert (Scholz, 2002, Scholz and Lorenzen, 2005).
Anfang des Jahres 2001, als die ersten BSE-Fälle in Deutschland aufkamen, wies ich als praktischer
Tierarzt ebenfalls darauf hin, dass BSE nicht von Rind zu Rind übertragbar sei, es sei denn, infektiöses
Material werde direkt ins Gehirn injiziert (Becker, 2001b, a, c, 2002). Als Ursache hatte ich ebenso
4 Becker Andreas, MSc Thesis 2010 Interuniversitäres Kolleg Graz/Seggau wie Purdey (Purdey, 1996a, b) ein Antiparasitenmittel in Verdacht, aber kein Organophosphat, wie
von ihm postuliert, sondern ein Avermectin. Die antiparasitäre Wirkung von Avermectinen beruht auf
chloridioneneinstrombedingter Hyperpolarisation über die nur bei Wirbellosen vorkommenden
Glutamat-aktivierten Chloridkanäle (Jagannathan et al., 1999, Kane et al., 2000, Wolstenholme and
Rogers, 2005). Bei Konzentrationen oberhalb der chemotherapeutisch relevanten findet zusätzlich eine
Bindung an GABA(Gamma-Amino-Buttersäure)-abhängigen Rezeptoren statt. An GABAvermittelten Chloridkanälen kommt es durch die Avermectine zur Potenzierung der Wirkung der
Gamma-Amino-Buttersäure (GABA). GABA spielt eine wichtige Rolle als inhibitorischer
Neurotransmitter in peripheren Unterneuronen von Nematoden und in den neuromuskulären Synapsen
von Arthropoden, aber auch im Gehirn von Säugern (Pong et al., 1980). GABA ist für die
Übermittlung inhibitorischer Signale von den Interneuronen zu den Motorneuronen in Nematoden und
von den Motorneuronen zu den Muskelzellen in Arthropoden verantwortlich. Als inhibitorischer
Neurotransmitter reguliert GABA den Chlorid-Ionen Einstrom in die Zelle (Campbell et al., 1983).
Avermectine stimulieren die präsynaptische Freisetzung von GABA und erhöhen die Affinität der
postsynaptischen GABA-Rezeptoren für GABA. Durch diese prä- und postsynaptische Wirkung auf
das GABA-System kommt es zu einer längerfristigen Öffnung der Chloridkanäle der Membranen der
Nervenzellen und somit zur Blockierung der Erregungsüberleitung (Tranquilli et al., 1987, Sutherland
and Campbell, 1990). Da GABA auch im Gehirn von Säugern vorkommt, wird die Bindung an
GABA-Rezeptoren auch als Ursache für die toxischen Wirkungen der Avermectine angesehen (Kane
et al., 2000).
Da auch die biologische Funktion der Prione damals nicht geklärt war und bis heute nicht geklärt ist,
entwickelte ich eine Hypothese, die besagt, dass in der Evolution Prione bei der zielgerichteten
Zerstörung einzelner Zellen zur Optimierung eines räumlich begrenzten Gewebes eine entscheidende
Rolle spielen. Dabei entstehen Prione allein durch erhöhten Druck auf die Zellmembran infolge
Einstroms von Chlorid-Ionen.
Daraus leitet sich dann wie von allein die Forschungsfrage ab: Kann der Konformationswechsel und
damit die Bildung von Prionen durch Intoxikation mit hyperpolarisierenden Stoffen ausgelöst werden?
Wenn ja, warum ist dieser Zusammenhang nicht längst erkannt worden?
Im Jahr 1982 wurde Ivermectin, ein Avermectingemisch aus der Gruppe der Makrozyklischen
Laktone (ML), europaweit eingeführt. ML sind heute die am häufigsten eingesetzten antiparasitären
Mittel, obwohl ihre Rückstandsproblematik äußerst bedenklich ist. Bei der Zulassung durch die
Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) wurde nur auf Rückstände in Muskulatur, Fett, Niere und
Leber untersucht. Das Vorliegen eventueller Rückstände im Nervengewebe wurde nicht überprüft, da
Nervengewebe nicht als essbares Gewebe betrachtet wurde. Außerdem lag der Schwerpunkt der
Untersuchungen von Nebenwirkungen auf der durch Überdosierung verursachten akuten Vergiftung.
Die beim einzigen Langzeitversuch (53 Wochen) bei drei von acht Hunden aus der Gruppe mit der
höchsten Dosierung aufgetretene fokale Degeneration im Areal der Pons (Stammhirnbrücke) und in
Kerngebieten des Kleinhirns wurde nicht weiter verfolgt (Kloss et al., 1994). Dabei ist die Vergiftung
von Hunderassen mit MDR1-Defekt (Avermectine können die Blut-Hirn-Schranke auf Grund eines
genetischen Defektes passieren) die bekannteste akute Form der Ivermectin-Intoxikation; BSE und
atypische Scrapie wären zwei Beispiele für chronisch verlaufende Formen. Ivermectin gelangt
aufgrund seiner extremen Fettlöslichkeit in die Nahrungskette. Laut der Bayerischen Risikoanalyse zu
BSE aus dem Jahr 2004 erreichen Milchaustauscher die höchste Wertigkeit der gemeinsamen
Eigenschaften aller BSE-Betriebe in Deutschland. Nicht die Reduzierung der Prozesstemperatur von
135°C auf 85°C bei der Herstellung von Tiermehl in Großbritannien war entscheidend für das
seuchenhafte Auftreten von BSE, sondern der aus Kostengründen durchgeführte Verzicht auf den
Restfettentzug mit Hilfe von Lösungsmitteln. Dadurch erhöhte sich die Möglichkeit der
Toxinaufnahme über Ivermectin-haltiges Tiermehl in Mischfuttermitteln für die gesamte
Rinderpopulation entscheidend. Mit aus Schlachtbetrieben und Tiermehlfabriken stammenden
tierischen Fetten gelangte Ivermectin auch in Milchaustauscher.
Die im Jahr 1985 in Großbritannien staatlich angeordnete Dasselfliegenbekämpfung mit organischen
Phosphaten (Phosmet) könnte dann über den zusätzlichen oxidativen Stress zu gehäuftem Auftreten
von BSE geführt haben. Die kritiklose Übernahme der entwickelten BSE-Tests und ihre fehlerhafte
5 Becker Andreas, MSc Thesis 2010 Interuniversitäres Kolleg Graz/Seggau Interpretation – Betrachtung der nachgewiesenen Prione als Erreger und damit „Beweis“ für das
Vorliegen von BSE anstatt Bewertung der Prionbildung als Folge einer chronischen Vergiftung mit
ML - führten zur BSE-Krise in Europa. Die Potenzierung der Wirkung von Avermectinen durch das
im Jahr 1989 zugelassene Benzodiazepin Brotizolam stellt eine zusätzliche Möglichkeit dar für die
Entstehung von klinischen BSE-Fällen.
Methodik
Um zu Überprüfen, ob bereits in wissenschaftlichen Publikationen der Zusammenhang zwischen
Ivermectin und BSE (direkter Zusammenhang) bzw. GABA-Rezeptor und BSE (indirekter
Zusammenhang) beschrieben wurde, erfolgte eine Suche in den Datenbanken PubMed, Medpilot und
PLoSone. Die Recherche fand letztmalig am 6.Juni 2010 statt. Wenn immer möglich wurden die
Begriffe als MeSH(Medical Subject Headings)-Begriffe gesucht.
Suchstrategie:
1. Schritt: Suchbegriffe >BSE< und >Ivermectin< ,
2. Schritt: Suchbegriffe >BSE< und >GABA-Rezeptor< und
3. Schritt: Suchbegriffe >Prion< und >GABA-Rezeptor<
Ergebnisse
Das Suchergebnis in Treffern wird in den Tabellen 1, 2 und 3 im Einzelnen dargestellt
Tabelle 1
Datenbank
Treffer
Relevante Treffer
Kumulativ rel. Treffer
Pubmed
0
0
0
Medpilot
0
0
0
PLoS.ONE
1
0
0
Treffer je Datenbank mit Suchwörter und –Kombination „BSE und Ivermectin“
Es wurden keine relevanten Treffer gefunden.
Tabelle 2
Datenbank
Treffer
Relevante Treffer
Kumulativ rel. Treffer
Pubmed
1
1
1
Medpilot
5
4
4
PLoS.ONE
1
1
4
Treffer je Datenbank mit Suchwörter und –Kombination „BSE und GABA-Rezeptor“
Vier kumulativ relevante Treffer: Eine abgeschwächte GABAA–Rezeptor-vermittelte schnelle
Hemmung bei Fehlen von PrPc (Collinge et al., 1994), keine Beteiligung von PrPc an der GABA- und
Glutamat-Rezeptor-vermittelten synaptischen Funktion (Herms et al., 1995), therapeutischer Einsatz
von GABA-Agonisten zur Milderung von Krankheitssymptomen (Vamvakides, 1998) und Zerstörung
des Neurotransmitter-Systems GABA durch TSE (Ledoux, 2005).
6 Becker Andreas, MSc Thesis 2010 Interuniversitäres Kolleg Graz/Seggau Tabelle 3
Datenbank
Treffer
Relevante Treffer
Kumulativ rel. Treffer
Pubmed
8
4
4
Medpilot
28
8
8
PLoS.ONE
10
1
8
Treffer je Datenbank mit Suchwörter und –Kombination „Prion und GABA-Rezeptor“
Acht kumulativ relevante Treffer: Keine intermolekulare Verbindung zwischen GABAA und PrPc
(Kannenberg et al., 1995), Verlust des GABA-ergen Systems beim Vorliegen von PrPSc
(Bouzamondo-Bernstein et al., 2004), Co-Regulation des PrPc-transkribierenden Gens mit GABAAUntereinheiten (Rangel et al., 2009), Beteiligung der GABAA-Untereinheit beta1 in Prion-infizierten
Neuroblastom-Zellen (Kimura et al., 2010) und die vier Treffer aus dem 2. Suchschritt.
Diskussion
Das Ergebnis ist eindeutig: Mit der durchgeführten Suchmethode konnte keine wissenschaftliche
Veröffentlichung, die einen direkten Zusammenhang zwischen Ivermectin und dem Auftreten von
BSE beschreibt, gefunden werden, d.h. BSE könnte von Ivermectin verursacht worden sein bzw. ML
müssten als Verursacher von TSE in Betracht gezogen werden.
Der indirekte Zusammenhang über die Ivermectin-Wirkung am GABA-Rezeptor wurde in acht
Publikation nicht entdeckt, wohl aber ein Zusammenhang zwischen GABA-Rezeptor und PrPc bzw.
PrPSc. Die gefundenen Ergebnisse stellen insgesamt eine indirekte Bestätigung der
Intoxikationshypothese dar. Die Veränderung der Suche von >BSE< auf >Prion< im 3. Schritt ergab
zusätzlich vier relevante Veröffentlichungen, ein weiteres Indiz für eine erregerorientierte Sicht.
GABA-Rezeptoren werden in die Untergruppen A, B und C aufgegliedert. In den neueren
Veröffentlichungen erscheint deshalb die genauere Bezeichnung GABAA.
Die wissenschaftliche Erforschung von TSE mit der Gewichtung auf eine infektiöse Genese, die
Nichtbeachtung alternativer Lösungsansätze sowie das vollständige Übersehen eines Neurotoxins in
der Nahrungskette haben zu einer völligen Fehleinschätzung der tatsächlichen Situation geführt. Es
wird daher vorgeschlagen, die dargestellten Ergebnisse unverzüglich wissenschaftlich zu überprüfen.
Dies bietet die Chance, wertvolle Erkenntnisse auch für andere neurodegenerative Erkrankungen zu
gewinnen. Zur Klärung genügt vorerst ein einfach durchzuführender chronischer Intoxikationsversuch
mit ML an transgenen Mäusen (MDR1-/-). Oder wird die Aufdeckung eines Pharma-Skandals
befürchtet, der den Contergan-Skandal bei weitem übertreffen könnte?
Im Buch „Prionen und Prionerkrankungen“ setzten die Herausgeber noch vor die Vorworte und das
Geleitwort des damaligen Gesundheitsministers Horst Seehofer folgende Weisheit von Henri David
Thoreau: „Was hinter uns liegt und was vor uns liegt sind Kleinigkeiten im Vergleich zu dem, was in
uns liegt. Wenn wir das, was in uns liegt, nach außen in die Welt tragen, geschehen Wunder“
(Hörnlimann et al., 2001). Nach außen gebracht habe ich die Intoxikationshypothese vor fast zehn
Jahren; warten wir weiter, dass ein Wunder geschieht.
Literatur
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7 Becker Andreas, MSc Thesis 2010 Interuniversitäres Kolleg Graz/Seggau Becker, A., 2002. Entsteht BSE durch Arzneimittel-Wechselwirkungen? raum&zeit 20, 99-102.
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8 Becker Andreas, MSc Thesis 2010 Interuniversitäres Kolleg Graz/Seggau Rangel, A., Madroñal, N., Massó, A.G.i., Gavín, R., Llorens, F., Sumoy, L., Torres, J.M., DelgadoGarcía, J.M., Río, J.A.D., 2009. Regulation of GABAA and Glutamate Receptor Expression, Synaptic
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9 Becker Andreas, MSc Thesis 2010 Interuniversitäres Kolleg Graz/Seggau EINLEITUNG
Aktuelles zur Thematik
Vom 21. bis 23. Januar 2010 fand der 5. Leipziger und mit fast 3500 Teilnehmern größte deutsche
Tierärztekongress statt. Die Bandbreite reichte von der Auftaktveranstaltung „Wer heilt hat recht? –
Alternative Methoden versus Evidenz-basierte Tiermedizin“
bis hin zu speziellen
Fachveranstaltungen wie zum Themenkreis transmissible spongiforme Enzephalopathien (TSE) in
Veterinary Public Health / Lebensmittelsicherheit. TSE sind stets tödlich verlaufende Erkrankungen,
die mit schwammartigen Veränderungen des Gehirns einhergehen. Zu dieser Gruppe gehören die
Scrapie (auch Traberkrankheit) der Schafe und Ziegen, die seit mehr als 250 Jahren bekannt ist und in
zahlreichen europäischen Ländern endemisch auftritt sowie die bovine spongiforme Enzephalopathie
(BSE), die seit dem Jahr 1985 in Großbritannien und später in fast allen europäischen Staaten
epidemisch auftrat. Bei dieser Fachveranstaltung wurden zwei zum Einstieg in die Thematik
passende Vorträge gehalten, nämlich „TSE: Ein Update“ von Martin Groschup, Greifswald/ Insel
Riems und „Aktuelle Probleme der TSE aus humanmedizinischer Sicht“ von Herbert Budka, Wien.
BSE-Update
Groschup berichtete in seinem speziellen BSE –Update, dass sich die Zahl der BSE-Fälle in
Deutschland seit dem Jahr 2004 jährlich halbiert hat auf jeweils zwei Fälle in den Jahren 2008 und
2009. Auch die mittlerweile in Frankreich (Biacabe et al., 2004) und Italien (Casalone et al., 2004) als
atypische BSE beobachtete Form bei über acht Jahre alten Tieren konnte bei retrospektiver
Untersuchung in zwei Fällen in Deutschland festgestellt werden, und zwar einmal als H-Typ (höheres
Molekulargewicht als ein klassisches Prion) und einmal als L-Typ (niedrigeres Molekulargewicht).
Durch intrazerebrale Injektion in transgene Mäuse, die das Rinder-Prion-Protein exprimieren, zeigte
sich nach der Infektion mit dem H-Typ mit 320 Tagen eine Verlängerung der Inkubationszeit um etwa
90 Tage gegenüber der klassischen BSE-Form (230 Tage), während eine Infektion mit dem L-Typ
bereits nach durchschnittlich 185 Tagen zur Erkrankung der Mäuse führte. Das Bandenprofil im
Immunoblot nach Untersuchung dieser Rinder-PrP-transgenen Mäuse entsprach wieder dem
atypischen Profil. Bei der intrazerebralen Inokulation der beiden atypischen BSE-Formen in Rinder
erkrankten diese klinisch genauso an BSE wie nach Inokulation mit klassischer BSE, aber mit einer
etwa drei Monate längeren Inkubationszeit (Dawson et al., 1990). Eine Untersuchung der Gehirne
dieser Rinder ergab im Immunoblot ebenfalls die jeweils zur Inokulation verwendeten atypischen
BSE-Formen.
Synthetisches Prion
Budka präsentierte die Ergebnisse seiner jüngsten Veröffentlichung (Makarava et al., 2010). Zunächst
zeigte er das Bild eines Gemäldes der Artus-Runde, auf dem der heilige Gral über König Artus
schwebt. Artus trug die Gesichtszüge von Stanley B. Prusiner, dem amerikanischen Chemiker und
Mediziner, der 1997 für die Hypothese des Pathogenitätsmechanismus der TSE mit dem Nobelpreis
für Medizin ausgezeichnet wurde; der Gral symbolisierte das Prion. Im nächsten Bild waren die
Gesichter der Ritter der Tafelrunde durch die Arbeitsgruppe um Budka ersetzt, während der Gral im
höchsten Glanz erstrahlte. Die Arbeitsgruppe konnte erstmalig zeigen, dass synthetisch in Bakterien
(Escherichia coli) hergestellte Prione durch Inokulation in isolierte syrische Hamster vom Wildtyp
eine Prionenerkrankung verursachen, die mehr der menschlichen und Säugetier- als der Nager-Form
ähnelt und somit ein wertvolles neues Modell darstellt. Budka zeigte in einem Videofilm einen
erkrankten syrischen Hamster, der unkontrolliert durch die Einstreu wankte, auf Berührungsreize
schreckhaft reagierte und wegen hochgradiger Körperverfettung (bei unbegrenztem Futterangebot)
nach Verbringung in Rückenlage ohne Hilfe nicht mehr selbstständig in Bauchlage zurück fand.
10 Becker Andreas, MSc Thesis 2010 Interuniversitäres Kolleg Graz/Seggau Protein- only-Hypothese
Für beide Wissenschaftler als Vertreter des vorherrschenden erregerzentrischen medizinischen
Weltbildes ist der Auslöser dieser Erkrankungen die pathologisch veränderte Form eines
körpereigenen Proteins (zelluläres Prionprotein oder PrPc), das in seiner Tertiärstruktur als AlphaHelix vorliegt (Wuthrich and Riek, 2001). Der Kunstbegriff Prion wurde geprägt von Stanley B.
Prusiner. Er leitet sich ab von dem Begriff „proteinaceous infectious particle“ (proteinartiges
infektiöses Partikel), wobei die genaue Abkürzung Proin zugunsten der leichteren Sprechweise in
Prion geändert wurde. Prusiner postulierte mit der Protein-only-Hypothese ein neues
infektionsbiologisches Modell, demzufolge die Hauptkomponente der TSE-Erreger - das fehlgefaltete
Prionprotein (PrPSc, Scrapie Prionprotein, Beta-Faltblatt als Tertiärstruktur) -, das infektiöse Agens
darstellt (Prusiner, 1982) und somit die Anwesenheit von Nukleinsäuren erübrigt. Prione sind noch nie
dagewesene infektiöse Krankheitserreger tödlich verlaufender neurodegenerativer Erkrankungen, die
sich als genetische, infektiöse oder sporadische Funktionsstörungen zeigen (Prusiner, 1998).
Ist die Alzheimer-Erkrankung kontagiös?
„Ansteckende Schlagzeile“ schrieb der Medizinjournalist Harro Albrecht am 10. Juni 2009 in der
Wochenzeitung „Die Zeit“. Im Untertitel erfährt der Leser, dass der Auslöser der AlzheimerErkrankung sich im Gehirn ausbreite wie ein Keim und trotzdem nicht infektiös sei. Albrecht bezieht
sich auf die am 7. Juni 2009 veröffentliche Pressemitteilung „Kann die Alzheimer-Krankheit infektiös
sein?“ (nature cell biology press releases, 2009), mit der die „Nature“-Pressestelle die am selben Tag
in „Nature Cell Biology“ erschienene Veröffentlichung „Übertragung und Verbreitung von
Tautopathien in Gehirnen von transgenen Mäusen“ kommentierte. Abnorm geformte Tau-Proteine,
das sind Proteine, welche in Wirbeltierzellen an stützende Zytoskelett-Proteine binden und deren
Zusammenbau regulieren, sollen für die Entstehung der Eiweißplaques (Amyloid-Ablagerungen)
innerhalb der Neurone verantwortlich sein. Sie sind ähnlich wie die Prione hitze- und säureresistent.
Markus Tolnay vom Institut für Neuropathologie der Basler Universität und Michel Goedert vom
MRC Laboratory of Molecular Biology in Cambridge injizierten humanes mutiertes Tau-Protein eines
transgenen Mäusestammes in Gehirne von Mäusen eines humanen Tau-Wildtyps und übertrugen
damit Alzheimer. Die Krankheit nimmt ihren Ausgang von einigen lokalen Tau-Proteinen, die sich
ausbreiten und dann bald zu sehr toxischen Fasern zusammenballen. „Wenn man versteht, wie sich
diese Proteine ausbreiten“, sagt Goedert, „dann kann man die Ausbreitung vielleicht im
Anfangsstadium unterbinden und damit das Auftreten von Symptomen verhindern“ (Clavaguera et al.,
2009). Es besteht keine Evidenz dafür, dass Alzheimer von Mensch zu Mensch übertragen werden
kann, es sei denn, das Material wird direkt ins Gehirn injiziert. Anfang 2001, als die ersten BSE-Fälle
in Deutschland aufkamen, wies ich als praktischer Tierarzt ebenfalls darauf hin, dass BSE nicht von
Rind zu Rind zu übertragen wäre, es sei denn, infektiöses Material wird direkt ins Gehirn injiziert
(Becker, 2001b, a, c, 2002). Oder sind BSE und Alzheimer doch enger verwandt als bisher
angenommen. Darauf weisen am 5. März 2010 in PlosPathogens veröffentliche Forschungsergebnisse
der Wissenschaftler um Bruce Chesebro hin. PrPc verfügt normalerweise über einen Anker für die
Zellmembran. Transgene Mäuse, die Prion-Proteine ohne diese Haftstruktur bildeten, erkrankten zwar
nach einer Infektion mit Scrapie-Prionen ebenfalls. Die Krankheit verlief aber anders. Statt diffuser
Ablagerungen traten große Amyloid-Plaques auf. Dafür fehlten die schwammartigen Strukturen.
Ungewöhnlich waren auch die Schäden an den Blutgefäßen des Gehirns. Sie ähnelten jenen, die bei
Alzheimer-Patienten vorkommen (Chesebro et al., 2010).
Rückblick
TSE gehen einher mit einer großen Zahl von neurologischen Merkmalen und verhaltensverändernden
Symptomen, wie Ataxie (Störung der Koordination von Bewegungsabläufen) und Demenz. Des
Weiteren charakteristisch für diese Erkrankungen sind eine ungewöhnlich lange Inkubationszeit und
eine fehlende humorale bzw. zelluläre Immunantwort auf das infektiöse Agens, da sich dieses nur in
11 Becker Andreas, MSc Thesis 2010 Interuniversitäres Kolleg Graz/Seggau der Konformation vom körpereigenen Protein unterscheidet. Histologisch sind vor allem eine
Astrozytose, Mikrogliose und die für die Diagnose besonders wichtigen charakteristischen
spongiformen (schwammartigen) Veränderungen und Ablagerungen des infektiösen Prionproteins
PrPSc zu erkennen. Eine Schutzimpfung oder eine kausale Therapie gegen die stets tödlich
verlaufende Erkrankung sind derzeit nicht bekannt. Eine Diagnose kann bisher nur nach der
Schlachtung oder dem Tod gesichert werden.
Zu den am besten untersuchten TSE-Erkrankungen zählt Scrapie bei Schafen und Ziegen. Sie wurde
erstmalig 1732 erwähnt (Brown and Bradley, 1998) und von dem Veterinärmediziner Johann George
Leopoldt als Traberkrankheit beschrieben und veröffentlicht (1759). Die Bezeichnung Scrapie wurde
von einem der klinischen Symptome abgeleitet, nämlich den starken Kratzbewegungen (engl.: to
scrape = sich kratzen). Bereits Mitte des 18. Jahrhunderts ging man davon aus, dass es sich um eine
ansteckende (kontagiöse) Krankheit handelt. 1936 bewiesen Cuillé and Chelle experimentell, dass
Scrapie übertragbar und somit eine Infektionskrankheit ist (Brown, 2009). Die Ausbreitung der
Scrapie erfolgt zum einen vertikal durch Übertragung des Erregers vom Muttertier auf seine
Nachkommen, vermutlich während des Geburtsvorganges, zum anderen horizontal von Tier zu Tier
durch eine kontaminierte Umgebung (Hoinville 1996). Mit Ausnahme von Australien und Neuseeland
ist die Scrapie weltweit verbreitet. Es existieren mehr als 20 verschiedene Stämme des Erregers, die
oft nur durch aufwändige Untersuchungen zu unterscheiden sind.
Ein weiterer Vertreter der TSE bei Tieren ist die bovine spongiforme Enzephalopathie (BSE) des
Rindes, die erstmalig 1986 in Großbritannien diagnostiziert wurde. Die Ursache der BSE liegt
möglicherweise in der Schafscrapie, die seit Jahrhunderten in Großbritannien endemisch vorkommt.
Kontaminiertes Tiermehl, das Scrapie-infiziertes Schafhirngewebe beinhaltete und ungenügend erhitzt
wurde, könnte zur Übertragung des Erregers geführt haben (Wells et al., 1987), der damit letztlich die
Artenschranke zum Rind überwinden konnte. Die Folge war eine BSE-Epidemie in England, die sich
durch den Export von Tiermehl auch auf andere Länder, wie Deutschland, die Schweiz und
Frankreich, ausweitete. Bis heute wurden in England 181.117 Fälle von BSE bestätigt (Department for
Environment Food and Rural Affairs, 2010). In Deutschland wurden laut Bundesministerium für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz allein im Zeitraum von 2001 bis 2009 19.598.556
Rinder untersucht und daraufhin 406 amtlich bestätigte Fälle registriert (2010). Aus experimentellen
Pathogenesestudien ging eine Inkubationszeit von 36±2 Monate hervor sowie der Fakt, dass 0,1
Gramm infektiöses Hirngewebe von BSE-Kühen ausreicht, um Rinder oral zu infizieren (Bradley et
al., 2006, Collee et al., 2006). Um die Ausbreitung der BSE zu verhindern, ist seit 2001 in der
gesamten Europäischen Union die Verfütterung von Tierkörpermehl an alle Nutztiere ausnahmslos
verboten.
Eine andere Ursprungshypothese für BSE geht davon aus, dass schon seit langer Zeit eine
symptomlose BSE-Form vorkommt. Durch eine „Virulenzsteigerung“ des BSE-Erregers und dessen
Rückführung über Tiermehl im Futter konnte sich, so wird hypothetisiert, die BSE-Epidemie
schließlich etablieren (Schreuder et al., 1998).
Eine weitere BSE-Ursprungshypothese besagt, dass schon seit jeher eine sporadische Form von
Prionkrankheit im Rind aufgetreten ist. Aufgrund mangelnder Überwachung sei diese aber durch ihre
geringe Häufigkeit vor der BSE-Epidemie nicht entdeckt worden. Durch die Veränderungen in der
Tierkörperverwertungstechnologie in Großbritannien sei der Erreger der BSE danach innerhalb der
Rinderpopulation rasch rezykliert worden, was zur BSE-Epidemie führte (Eddy, 1995, Chastel, 1996).
Zusätzlich zur infektiös übertragenen BSE ist inzwischen eine weitere, möglicherweise sporadische
Form der BSE entdeckt worden, die sich hinsichtlich des Ablagerungsmusters von der bisher
bekannten unterscheidet und der sporadischen Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (sCJK) ähnelt (Casalone et
al., 2004).
Mit dem Auftreten von BSE kam die Frage auf, ob BSE auch auf Schafe und Ziegen übertragen
werden kann. In Laborversuchen ist Wissenschaftlern eine solche Übertragung schon vor Jahren
gelungen (Foster et al., 1993); im Jahr 2005 wurde BSE erstmals bei einer Ziege in Frankreich
bestätigt (Eloit et al., 2005).
Das erregerzentrische Weltbild der wissenschaftlichen Medizin setzt in der Ursachenforschung der
BSE vor allem auf die Übertragung durch Infektion, was 1997 in der Verleihung des
12 Becker Andreas, MSc Thesis 2010 Interuniversitäres Kolleg Graz/Seggau Medizinnobelpreises an Stanley Prusiner für seine Prionenhypothese gipfelte. Dagegen haben die zwei
wichtigsten Außenseitertheorien zur Infektionshypothese keine Chance:
Zum Ersten die des englische Biolandwirtes Mark Purdey (Purdey, 1996a, b), der als Ursache die seit
dem Jahr 1985 zweimal jährlich angeordnete staatliche Dasselfliegenbekämpfung bei Rindern mit dem
Pestizid Phosmet sieht und außerdem glaubt, dass Kupfermangel bzw. Manganvergiftung den
Konformationswechsel zum Prion beschleunigt (Purdey, 1996a, b, 2000).
Zum zweiten eine Vererbungshypothese, bei der ein genetischer Defekt oder eine Mutation in dem
Gen vorliegt, welches das BSE-disponierende Membranprotein kodiert (Scholz, 2002, Scholz and
Lorenzen, 2005).
Der Vollständigkeit halber sei noch eine Autoimmuntheorie erwähnt, in der postuliert wird, dass es
sich bei BSE um eine Autoimmunerkrankung handeln könnte, verursacht durch Antikörper gegen
Acinetobacterium calcoaceticus, ähnlich wie bei der allergischen Enzephalomyelitis (Ebringer et al.,
1997).
Von keiner Theorie in Frage gestellt wird der eigentliche Pathogenitätsmechanismus der
Weiterübertragung: Ein Prion kommt mit PrPc in Kontakt und bewirkt wie in einer Kettenreaktion,
dass über den dadurch ausgelösten Konformationswechsel aus dem PrPc wieder ein Prion (PrPSc)
entsteht und so weiter. Der Unterschied besteht nur im „Ur-Prion“: In der Wissenschaft herrscht
derzeit die Meinung vor, dass das Scrapie-Prion die Artenschranke überwunden hat, während bei den
Alternativtheorien von Scholz (2002, 2005) und Purdey (1996) das Prion durch Mutation oder andere
Einflüsse im Tier direkt entstehen kann. Dass Prione durch Desinfektion und Erhitzung nur schwer zu
inaktivieren sind, erklärt die orale Verbreitung über verseuchtes Tiermehl. Dieser natürliche
Infektionsweg ist letztlich nie nachgewiesen worden. Die Übertragungsversuche im Labor auf Nager
und andere Tierarten über Injektionen von infektiösem Material direkt ins Gehirn oder durch
Verfütterung von infektiösem Hirngewebe sind künstliche Infektionen. Was dabei nicht berücksichtigt
wird, ist die Penetranz einer Krankheit. Penetranz beschreibt das tatsächliche Auftreten einer
Infektionskrankheit unter den gegebenen Bedingungen. Die Penetranz bei oraler Aufnahme ist sehr
gering (Bhakdi and Bohl, 2002). Der Hauptgrund für das Festhalten an der Infektionstheorie liegt wohl
daran, dass die physiologische Funktion des PrPc bis heute nicht geklärt ist. Die Nobelpreisträger
Stanley Prusiner (Siefer, 2003) und Kurt Wüthrich, Entdecker der Tertiärstruktur des Prions (ETH
Life "wissen was läuft", 2000) bestätigen dies in Interviews ebenso wie der Prionenforscher Aguzzi in
einer aktuellen Veröffentlichung (Aguzzi et al., 2008). Knockout-Mäuse (PrNP-/-), d.h. transgene
Mäuse, denen das PrPc-erzeugende Gen PrNP entfernt wurde und die deshalb nicht mit Prionen zu
infizieren sind, zeigen (außer Störungen im Geruchsinn) keinerlei Einschränkungen (Le Pichon et al.,
2009). Durch eine hoch konservierte Oktapeptid-Repeatsequenz im N-Terminus ist PrPc allerdings in
der Lage, Kupfer zu binden. Daher könnte es möglicherweise für die Regulation des Kupferspiegels in
den Synapsen verantwortlich sein. Ebenfalls käme eine Superoxid-Dismutase-Funktion zum Schutz
vor freien Radikalen in der Zelle in Frage (Kretzschmar et al., 2000). Das PrPc ist also nicht
lebensnotwendig. Folglich ist es schwierig oder wissenschaftlich unmöglich, die eigentliche
Bedeutung dieses Eiweißes herauszufinden.
Für einen spontanen Konformationswechsel könnte laut Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für
Biochemie und der Ludwig-Maximilians-Universität München die Aminosäure Methionin, ein
Bestandteil der Sequenz von PrPc, eine zentrale Rolle zu spielen. Methionin lässt sich durch reaktive
Sauerstoffspezies leicht oxidieren. Normalerweise sind nur Moleküle auf der Oberfläche des PrPc
betroffen. Diese werden durch die Methionin-Sulfoxidreduktase wieder reduziert. PrPc schützt damit
vor reaktiven Spezies wie Wasserstoffperoxid oder freien Radikalen. Ist eine Zelle hohem oxydativem
Stress ausgesetzt oder funktioniert das Reparatursystem - etwa im Alter- nicht mehr richtig, wird auch
Methionin im Innern von PrPc in Mitleidenschaft gezogen. Das hat fatale Folgen: Während Methionin
die Helix-Struktur stabilisiert, unterstützt die oxidierte Form die Bildung von Faltblättern und damit
die Umwandlung zu PrPSc (Wolschner et al., 2009).
Seit dem ersten Auftreten von BSE sind fast 25 Jahre vergangen und die Wissenschaft ist bezüglich
der physiologischen Funktion von PrPc keinen Schritt weiter gekommen. Um die ganze BSEProblematik restlos zu verstehen, müssen wissenschaftliche mit nichtwissenschaftlichen
Erkenntnissen zusammengeführt werden. Der Pathogenitätsmechanismus darf nicht nur in der
13 Becker Andreas, MSc Thesis 2010 Interuniversitäres Kolleg Graz/Seggau Übertragung von Prionen als Krankheitserreger gesehen werden, sondern es müssen darüber hinaus
mögliche Konformationswechsel-auslösende Einflüsse aus dem umgebenden Milieu in Betracht
gezogen oder ausgeschlossen werden. Auch wenn die Übertragung mittels Prion experimentell
gelungen ist, so sagt mir meine Intuition als Tierarzt mit 30 Jahren Rinderpraxiserfahrung, dass die
aktuelle Epidemiologie mit der herkömmlichen Haltung und Fütterung von Rindern praktisch nicht zu
erklären ist. „Wir sollen auf unsere Intuition vertrauen, wenn wir über Dinge nachdenken, die schwer
vorauszusagen sind, und wenn wir wenig Information haben“ (Gigerenzer, 2008: 162).
Was wäre, wenn sich mit Hilfe eines ganzheitlichen Denkansatzes der Pathogenitätsmechanismus
erklären lassen würde ohne auf die Anwesenheit eines Erregers angewiesen zu sein?
Kann BSE auch nicht infektiöse Ursachen haben?
Grundlagen der eigenen Hypothese
Das PrPc ist ein Membranprotein. Es ist mit seiner helikalen Struktur in die Doppelmembran
eingebaut, bildhaft vergleichbar mit einer Kugelschreiberfeder, die zwischen Daumen und
Zeigefinger fixiert wird. Die hohe elektrostatische Feldkraft des Ruhepotentials im Neuron bewirkt ein
starkes Zusammendrücken der Membran, d.h. die Feder ist zusammengedrückt und steht unter
Spannung. Wird die Membran depolarisiert, schnappt sie elastisch in ihre eigentliche Ausdehnung
zurück (Elektrostriktion als piezoelektrisches Moment hörbar), d.h. die Feder wird entspannt
(Warncke, 1997). Diese sprunghafte Ausdehnung startet die mechanische Eigenresonanz der
Membranelemente und emittiert somit eine Schallwelle. Die durch die Depolarisation kohärent
ausgestrahlte elektromagnetische Schwingung schaukelt sich mit einer um die Schallfrequenz
verschobenen elektromagnetischen Streuwelle auf, sodass die Membran des Neurons im
Mikrowellenbereich schwingt (Elbe, 1965). Beim Vorgang der Repolarisation wird das Ruhepotential
wieder aufgebaut. Hierbei wird das Neuron sogar kurzfristig physiologischerweise hyperpolarisiert.
Was passiert aber, wenn ein Neuron statt einer Depolarisation eine übermäßige Hyperpolarisation
erfährt? Um bei unserem Vergleich zu bleiben: Die zwischen den Fingern zusammengedrückte Feder
wird dann noch weiter zusammengedrückt, und sie wird irgendwann nicht mehr zu halten sein und
seitlich herausspringen. Diesen Vorgang setze ich gleich mit dem Konformationswechsel von PrPc zu
PrPSc!
Damit steht der erste Teil meiner Hypothese: Der Konformationswechsel zum Prion wird durch eine
unnatürlich hohe Hyperpolarisation verursacht.
Der zweite Teil der Hypothese setzt voraus, dass das gebildete PrPSc weitere PrPc in einer
Kettenreaktion zum Konformationswechsel anregt. Dies wurde von Prusiner bereits wissenschaftlich
nachgewiesen. Da aber die biologische Funktion von PrPc unbekannt ist, gibt es neben dem
Übertragbarkeitsmechanismus im Sinne eines Erregers bisher keine Begründung für eine zusätzliche
Bedeutung dieser Kettenreaktion. Genau dazu biete ich einen ganzheitlichen Denkansatz: KnockoutMäuse können sehr wohl ohne PrPc leben. Dies wirft die Frage auf, ob in der Evolution PrPc eine
Funktion bei der Entstehung von Zellen oder Geweben gehabt haben könnte.
Leben ist im Wasser entstanden. Einfache lebende Systeme, wie Einzeller, haben sich im Salzwasser
durch eine Membran vom umgebenden Milieu abgetrennt und mit ihrem Energiestoffwechsel ein
Konzentrationsgefälle aufgebaut. So ist die Chloridionen-Konzentration im Milieu höher als innerhalb
der Zelle. Dieses Prinzip setzt sich fort bis in hochspezialisierte Gewebe, wo die Zellen immer noch
von der Grundsubstanz als Milieu umgeben sind. Kann eine Zelle dieses Konzentrationsgefälle nicht
mehr aufrechterhalten, so strömen Chloridionen solange ins Zellinnere, bis die Konzentration
ausgeglichen ist. Dies ist in der Regel mit dem Zelltod gleichzusetzen. Mit dem Einstrom der
Chloridionen ist ein Wassereinstrom verbunden, infolge dessen die Zelle bzw. Zellmembran gedehnt
wird - im Extremfall bis zum Zerplatzen. Bei der Entwicklung von Geweben oder Organen, die durch
Schädel oder Knochen in ihrer räumlichen Ausdehnung begrenzt sind, wie Gehirn oder Knochenmark
- auch dort wurden Prione gefunden (Takakura et al., 2008) -, wird die Leistungskapazität des Organs
sowohl von einer optimalen Größe der Einzelzelle als auch von einer optimalen Gesamtzellzahl
abhängen. Hier wäre es von enormen Vorteil, wenn zu große Zellen rechtzeitig und möglichst
innerhalb einer kurzen Zeitspanne aufgelöst würden um dadurch zusätzlich Platz für eine höhere
14 Becker Andreas, MSc Thesis 2010 Interuniversitäres Kolleg Graz/Seggau Anzahl kleinerer, aber leistungsfähigerer Zellen zu schaffen. In diesen Zusammenhang passen auch
die Ergebnisse einer Forschergruppe der Universität Konstanz: PrPc unterstützt in der
Embryonalentwicklung die Kommunikation zwischen verschiedenen Zellen. Embryonen des
Zebrafisches konnten sich nicht richtig entwickeln, falls das entsprechende Gen, das für PrPc codiert,
ausgeschaltet wurde. PrPc fungiert als eine Art Klebstoff, der an der Ausbildung und am Erhalt von
Zell-Zell-Kontakten beteiligt ist und ohne den einige Proteine ihren zellulären Einsatzort nicht
erreichen (Schrock et al., 2009).Weiterhin ist bekannt, dass bei Säugetieren die Zellteilung aufhört,
wenn sich die Zellen berühren (Ausnahme: Tumorzellen) oder wenn das Membranpotential über
100mV beträgt. Bis auf neuronale Stammzellen teilen sich Neurone normalerweise nicht mehr. Im
menschlichen Gehirn werden in der embryonalen und fetalen Phase 20 bis 100 Milliarden Neurone
angelegt (Warncke, 1997); bereits vor dem Geburtstermin beginnt das Absterben von täglich circa
10000 Neuronen. Durch den aufrechten Gang und der damit verbundenen Verstärkung der
Beckenknochen sowie der wegen der hinzukommenden manuellen Fähigkeiten stark vergrößerten
Großhirnrinde musste in der Evolution zusätzlich das Problem des zu eng werdenden Geburtsweges
gelöst werden. Deshalb dient der durch Größenwachstum des Schädels nach der Geburt gewonnene
Raum nur noch der Vernetzung und der Verkabelung von Neuronen (Koestler, 1989).
Mit dem „PrPc –PrPSc“- System wäre also ein Mechanismus geschaffen, in dem PrPc
(1) im physiologischen Bereich arbeitet (siehe Abb. 1, gelbe Smileys),
(2) in einem Übergangsbereich zwischen einem hochphysiologischen, aber noch nicht
pathologischen Spannungszustand vorliegen könnte (siehe Abb. 1, zwischen gelbem Smiley
Nr. 3 und rotem Smiley), und
(3) in einem pathologischen Bereich in PrPSc umspringen kann, um dann in einer Kettenreaktion
weitere extrem gespannte PrPc aus dem Übergangsbereich zum Konformationswechsel zu
bringen (siehe Abb. 1, vom roten Smiley zum roten Prion).
Wie jede Feder durch mechanischen Verschleiß im Laufe der Zeit einen Spannkraftverlust erfährt
(siehe Abb. 1, Pfeil und gestrichelte Linien in blau), so wird sich auch PrPc mit jeder Depolarisation
allmählich dem kritischen Bereich, d.h. einem mit PrPSc auszulösendem Konformationswechsel
nähern. Die Arbeitsweise eines Neurons besteht in Depolarisation, Repolarisation, Depolarisation usw.
(siehe Abb. 1, gelbe Smileys). Neurone sind untereinander vernetzt, es kommt zu
Depolarisationsketten; Reaktionen und Verhaltensmuster werden gebahnt. Wichtige oder oft genutzte
Bahnungen könnten durch Verschleiß vermehrt Neurone mit PrPc in gespannterem Zustand enthalten.
Die in der evolutionären Entwicklungs- und Optimierungsphase sinnvoll gewesene Entstehung von
PrPSc muss natürlich im Endprodukt verhindert werden. Aber durch spontane Konformationswechsel,
durch Kupfermangel bzw. Manganvergiftung, durch oxydativen Stress infolge Parasitenbehandlung,
durch Mutationen am PrPc transkribierenden Gen, durch Injektion von PrPSc ins Gehirn oder durch
unphysiologische orale Aufnahme von PrPSc kann die Kettenreaktion jederzeit in Gang gesetzt
werden. Dieser Vorgang wird bei älteren Tieren oder Menschen wie eine „slow virus infection“
(Virusinfektion mit langer Inkubationszeit) von statten gehen. Betroffen werden zuerst die wichtigsten
Bahnungen bzw. Programme sein. Dies deckt sich klinisch mit den Erkenntnissen von Scrapie und der
Creutzfeld-Jakob-Krankheit (CJK). Jedoch bei BSE und der neuen Variante der Creutzfeldt-JakobKrankheit (vCJK) treten die Krankheitserscheinungen wesentlich früher auf. Deshalb muss noch
einmal die Frage gestellt werden, ob nicht die Möglichkeit besteht, dass Stoffe mit pharmakologisch
hyperpolarisierender Wirkung die Bildung von Prionen und Prionkrankheiten verursachen könnten.
Wenn ja, warum wurde dieser Zusammenhang bis heute nicht erkannt?
Zunächst müssen Existenz, Eigenschaften und mögliche Intoxikationswege derartiger Stoffe abgeklärt
werden Für Rinder sind Medikamente mit hyperpolarisierender Wirkung an Nervenzellen zur
Behandlung zugelassen, und zwar aus der Klasse der makrozyklischen Laktone und der der
Benzodiazepine.
15 Becker Andreas, MSc Thesis 2010 Interuniversitäres Kolleg Graz/Seggau Abbildung 1
Graphische Gesamtdarstellung von Infektions- und Intoxikationshypothese
16 Becker Andreas, MSc Thesis 2010 Interuniversitäres Kolleg Graz/Seggau Makrozyklische Laktone, Avermectine, Ivermectin
Zeitlich äußerst interessant ist Ivermectin, das 1982 und damit vier Jahre vor Beginn des BSEAusbruches in England europaweit für die Veterinärmedizin zugelassen wurde. Ivermectin ist ein
gegen Fadenwürmer und Ektoparasiten (Milben, Läuse, Zecken) wirksamer antiparasitärer Wirkstoff,
der in der Tiermedizin breite Anwendung findet. In der Humanmedizin wird er unter anderem zur
Therapie der Flussblindheit, bei Fadenwurminfektionen des Darms, gegen Läuse und Krätzmilben
eingesetzt. Ivermectin ist ein makrozyklisches Lakton und gehört zur Gruppe der Avermectine.
Avermectine sind die Fermentationsprodukte des im Boden lebenden Strahlenpilzes Streptomyces
avermitilis. Der Name „Ivermectin“ steht für die vermizide und ektoparasitizide Wirkung des Stoffes.
Chemie
Ivermectin ist ein semisynthetisches Derivat des Avermectins B1 und enthält ein Gemisch aus 80%
22,23-Dihydroavermectin B1a und 20% 22,23-Dihydroavermectin B1b. Es wird durch die selektive
Hydrogenierung der cis-22,23-Doppelbindung des Avermectins B1, wodurch die gleiche
Kettenkonformation wie beim Avermectin B2 entsteht, synthetisiert. Dadurch ist Ivermectin strukturell
ein Hybrid zwischen Avermectin B1 und B2 und vereint biologisch die exzellente Potenz und das
breite Spektrum gegen Parasiten des Avermectins B1 mit der großen Sicherheitsbreite des Avermectins
B2. Ivermectin ist ein weißes, stark lipophiles und hydrophobes Pulver mit nur sehr begrenzter
Löslichkeit in Wasser (4 µg/ml)). In den meisten organischen Lösungsmitteln, wie Chloroform,
Methylenchlorid, Methanol, Ethanol, Toluen, Dimethylsulfoxid, Aceton, Propylenglykol,
Polyethylenglykol und Pflanzenöl, besteht eine sehr gute Löslichkeit. Das Molekulargewicht der B1aKomponente beträgt 874, das der B1b-Komponente 860. In wässriger Lösung bindet Ivermectin schnell
an die Glas- oder Plastikwand des Gefäßes. Ivermectin-Lösungen sind lichtempfindlich und sollten
lichtgeschützt und bei Raumtemperatur (15 - 30°C) aufbewahrt werden. Ivermectin ist in nicht-sauren
Lösungen und bei Raumtemperatur stabil, zerfällt jedoch unter Einfluss von UV-Licht
(Tierarzneimittelkompendium der Schweiz, 2010b). Der Schmelzpunkt von Ivermectin liegt bei
155°C.
Pharmakologie
Avermectine verursachen eine schlaffe Paralyse der Nematoden und Arthropoden durch Störung der
Reizleitungsübertragung im Nervensystem (Campbell, 1993). Der Wirkmechanismus aller
makrozyklischen Laktone (Avermectine und Milbemycine) beruht auf einer Erhöhung der
Membranpermeabilität von Nervenzellen und pharyngalen Muskelzellen der Nematoden und von
Nerven- und Muskelzellen der Arthropoden für Chlorid-Ionen. Molekularer Angriffspunkt sind die nur
bei Wirbellosen vorkommenden Glutamat-aktivierten Chloridkanäle. Diese Kanäle kommen bei
Nematoden in großer Anzahl in der Pharynxpumpe (Wolstenholme and Rogers, 2005) und in den
Muskelzellen der Körperhülle vor. Die Bindung eines Avermectins an einen Glutamat-aktivierten
Chloridkanal führt zu einer langsamen, aber meist irreversiblen Öffnung und somit zum erhöhten
Einstrom von Chloridionen in die Zelle. Dadurch kommt es zu einer sehr lang anhaltenden
Hyperpolarisation oder Depolarisation der Zelle und somit zur Blockierung der Erregungsüberleitung.
Als Folge können keine exzitatorischen Stimuli die Motoneuronen (Nematoden) bzw. die
Muskelzellen (Arthropoden) mehr erreichen, es kommt zu einer schlaffen Paralyse der Pharynxpumpe
und der Muskelzellen. Der Parasit ist unfähig Nahrung aufzunehmen oder sich fortzubewegen und
stirbt ab. In der neueren Literatur wird dieser Mechanismus als hauptverantwortlich für die
anthelminthische und insektizide Wirkung der Avermectine angesehen (Jagannathan et al., 1999, Kane
et al., 2000).
Bei Konzentrationen oberhalb der chemotherapeutisch relevanten findet zusätzlich eine Bindung an
GABA(Gamma-Amino-Buttersäure)-abhängigen Rezeptoren statt. An GABA-vermittelten
Chloridkanälen kommt es durch die Avermectine zur Potenzierung der Wirkung der Gamma-AminoButtersäure (GABA). GABA spielt eine wichtige Rolle als inhibitorischer Neurotransmitter in
17 Becker Andreas, MSc Thesis 2010 Interuniversitäres Kolleg Graz/Seggau peripheren Unterneuronen von Nematoden und in den neuromuskulären Synapsen von Arthropoden,
aber auch im Gehirn von Säugern (Pong et al., 1980). GABA ist für die Übermittlung inhibitorischer
Signale von den Interneuronen zu den Motorneuronen in Nematoden und von den Motorneuronen zu
den Muskelzellen in Arthropoden verantwortlich. Als inhibitorischer Neurotransmitter reguliert
GABA den Chlorid-Ionen Einstrom in die Zelle (Campbell et al., 1983). Avermectine stimulieren die
präsynaptische Freisetzung von GABA und erhöhen die Affinität der postsynaptischen GABARezeptoren für GABA. Durch diese prä- und postsynaptische Wirkung auf das GABA-System kommt
es zu einer längerfristigen Öffnung der Chloridkanäle der Membranen der Nervenzellen und somit zur
Blockierung der Erregungsüberleitung (Tranquilli et al., 1987, Sutherland and Campbell, 1990). Da
GABA auch im Gehirn von Säugern vorkommt, wird die Bindung an GABA-Rezeptoren auch als
Ursache für die toxischen Wirkungen der Avermectine angesehen (Kane et al., 2000).
Pharmakokinetik
Ivermectin ist eine stark fettlösliche Substanz, welche nach oraler, parenteraler und topischer
Applikation gut resorbiert und im Körper verteilt wird. Ivermectin konzentriert sich vor allem im
Fettgewebe, wird von dort aus langsam wieder freigesetzt und in weniger fettlösliche Metaboliten
umgewandelt (Baggot and McKellar, 1994).
Das pharmakokinetische Verhalten von Ivermectin ist abhängig von der Formulierung, der
Administrationsart und der Spezies (Lo et al., 1985, Steel, 1993, Lanusse et al., 1997). Die
Absorptionsgeschwindigkeit nach subkutaner Injektion wird vor allem durch die Formulierung
(Vehikel-Medium) bestimmt. Bei Applikation einer Glycerolformal-Propylenglycol 40:60Injektionslösung (Ivomec®) beträgt die Absorptionshalbwertszeit 39,2 Stunden. Diese langsame
Absorption hat eine verlängerte Halbwertszeit und Persistenz des Wirkstoffes im Körper zur Folge.
Die orale Verabreichung hat keinen solchen Depoteffekt. Die Absorption verläuft schnell, maximale
Serumkonzentrationen werden früher erreicht. Die Bioverfügbarkeit und die Halbwertszeit sind jedoch
geringer (Sutherland and Campbell, 1990). Die Formulierungsart hat bei oraler Gabe im Vergleich zur
subkutanen Injektion weniger Einfluss auf das pharmakokinetische Verhalten von Ivermectin. Eine
Studie mit Schafen zeigte, dass die wässrige Mizellen-Formulierung und die nicht-wässrige
Propylenglykol-Formulierung nach oraler Verabreichung bioequivalent sind (Lo et al., 1985).
Wird Ivermectin beim Schaf in Form einer oralen Lösung verabreicht, verläuft die Absorption im
Vergleich zur Applikation in Form einer Tablette schneller und es werden höhere
Maximalkonzentrationen erreicht. Die Absorptionshalbwertszeiten betragen ca. 10 Stunden (orale
Lösung) bzw. ca. 20 Stunden (Tablette). Die mittleren Residenzzeiten und die
Eliminationshalbwertszeiten sind jedoch identisch (Mestorino et al., 2003).
Nach einer subkutanen Applikation von 0,2 mg/kg Ivermectin an Katzen verläuft die Absorption im
Vergleich zu wiederkauenden Spezies schneller. Die Absorptionshalbwertszeit beträgt 0,27 Tage
(Schaf: 0,73 Tage, Rind: 4,32 Tage) (Chittrakarn et al., 2009).
Ivermectin wird sowohl nach oraler als auch parenteraler Applikation gut in alle Gewebe und
Körperflüssigkeiten, inklusiv Inhalt und Schleim des Magen-Darm-Traktes verteilt, ist jedoch bei
Wiederkäuern nach parenteraler Gabe nicht im Labmageninhalt nachweisbar; Ivermectin ist im sauren
Milieu instabil. Die trotzdem etwas geringere Effizienz gegen Dünndarmnematoden im Vergleich zu
Labmagennematoden ist vermutlich dadurch bedingt, dass die paralysierten Parasiten sich noch vor
der endgültigen Eliminierung von ihrer Prädilektionsstelle genügend erholen, um sich in distaleren
Dünndarmabschnitten reetablieren zu können (Bogan and McKellar, 1988).
Hohe Ivermectin-Konzentrationen sind auch in der Lunge, Niere, Haut, den Ohren und im Ohrschmalz
zu finden (Scott and McKellar, 1992). Die Konzentrationen in den wichtigen Zielgeweben (MagenDarm-Schleimhaut, Lunge, Haut) sind über mindestens 48 Tage höher als 0,1 ng/ml. Es besteht eine
enge Korrelation zwischen den Wirkstoffkonzentrationen im Plasma und Gewebe. Die Verfügbarkeit
von Ivermectin (AUC – Wert; „area under plasma concentration time curve“) in den Zielgeweben ist
um 45 bis 244% gegenüber den AUC - Werten im Plasma erhöht (Lifschitz et al., 2000).
Ein bedeutender Anteil des Ivermectins wird in die Leber und in das Fettgewebe verteilt, welche als
Depots eine wichtige Rolle spielen (Prichard et al., 1985).
18 Becker Andreas, MSc Thesis 2010 Interuniversitäres Kolleg Graz/Seggau Nach intravenöser Injektion von Ivermectin ist die initiale Verteilungsphase sehr kurz, verläuft aber
schnell. Das Verteilungsvolumen ist aufgrund lipophiler Eigenschaften des Ivermectins in allen
Spezies sehr hoch (Bogan and McKellar, 1988).
Die Exkretion von Ivermectin und seiner Metaboliten erfolgt unabhängig von der Applikationsart und
der Spezies fast vollständig über die Galle mit dem Kot, nur etwa 2% werden mit dem Harn
ausgeschieden (Lanusse et al., 1997). Ivermectin gelangt entweder direkt aus dem Blut oder via
Gallenflüssigkeit in den Gastrointestinaltrakt (Bogan and McKellar, 1988, Scott and McKellar, 1992).
Nach subkutaner Injektion beim Rind werden innerhalb der ersten sieben Tage 62% der Dosis über
den Kot und 1,5% über den Harn ausgeschieden. Nach intraruminaler Verabreichung werden im
gleichen Zeitraum ca. 80% der Dosis über den Kot und 0,5% über den Harn eliminiert (Steel, 1993).
Ivermectin wird über den Kot zu etwa 45% in unveränderter Form und zu etwa 55% als Metaboliten
ausgeschieden. Die wichtigsten Metaboliten des Ivermectins sind die Monosaccharid- und AglyconDerivate und der 24-Hydroxymethyl-Metabolit (Chiu et al., 1987).
Bei oraler Verabreichung von Ivermectin an Pferde werden die maximalen Konzentrationen im Kot
2,5 Tage nach Applikation erreicht. Über 40 Tage bleiben die Wirkstoffkonzentrationen im Kot
oberhalb der Nachweisgrenze (Moxidectin 75 Tage). 90% der gesamten, über den Kot
ausgeschiedenen Wirkstoffmenge werden während der ersten 4 Tage (Moxidectin 8 Tage) nach
Applikation eliminiert (Perez et al., 1999).
Bei laktierenden Tieren wird Ivermectin zu etwa 5% über die Milch ausgeschieden. Die
Konzentrationskurve des Ivermectins in der Milch verläuft in etwa parallel zu der im Plasma, mit
einem Milch-Plasma-Verhältnis von ca. 0,766. Ivermectin erscheint in der Milch 12 Stunden nach
Applikation und ist durchschnittlich 17,8 Tage nachweisbar. Maximalkonzentrationen werden ca.
1,7 Tage nach Applikation erreicht. Eine subkutan verabreichte Dosis von 0,2 mg/kg ergibt bei Kühen
eine Maximalkonzentration in der Milch von 40,5 ng/ml, eine peroral applizierte Dosis in der gleichen
Höhe beim Schaf eine von ca. 10 ng/ml (Bogan and McKellar, 1988, Toutain et al., 1997).
Auch bei Ziegen sind die Konzentrationen von Ivermectin in der Milch geringer als die
Plasmakonzentrationen, wobei die AUC-Werte in der Milch nach oraler und perkutaner
Administration nahezu gleiche Werte erreichen (AUC oral 239 ng•h/ml, AUC perkutan 215 ng•h/ml).
Die höchsten Rückstandswerte werden in der Leber und im Fett, die tiefsten im Gehirn gemessen
(Sutherland and Campbell, 1990, Steel, 1993). Die Halbwertszeiten für die Rückstände betragen
sechs bis acht Tage für das Fettgewebe bzw. vier bis fünf Tage für die Leber.
Hauptrückstandskomponente in der Leber ist unverändertes Ivermectin (Chiu et al., 1987).
Die Art des Futters hat einen Einfluss auf die Bioverfügbarkeit von oral verabreichten Ivermectin. So
waren die AUC-Werte und Maximalkonzentrationen grasender Lämmer niedriger als die aufgestallter,
mit Heu und Konzentrat gefütterter Lämmer. Unterschiede in der Zusammensetzung der Pansenflora
und des Säure- und Basengehaltes im Pansen der unterschiedlich gefütterten Tiere könnten die
Absorptionsrate von Ivermectin in der Pansenflüssigkeit verändern. Außerdem ist die
Passagegeschwindigkeit des Digestas (Inhalt des Verdauungskanals) in grasenden Lämmern höher und
damit die Exkretionsrate des an Digesta-Partikeln gebundenen Ivermectins größer, wodurch ebenfalls
die Absorptionsrate verringert werden kann (Taylor et al., 1992).
Auch die Futtermenge beeinflusst das pharmakokinetische Verhalten von oral verabreichtem
Ivermectin in Schafen. Es wurde festgestellt, dass eine 50%ige Reduzierung der Futtermenge
36 Stunden vor bis 36 Stunden nach der Gabe von Ivermectin zu einer signifikant höheren
Bioverfügbarkeit und verlängerten Residenzzeit führt. Dies erhöhte die anthelminthische Effizienz des
Ivermectins gegen Ivermectin-resistente Haemonchus contortus (roter Magenwurm) von 53% auf 97%
(Ali and Hennessy, 1996). Als Ursache wird die starke Bindung des Ivermectins an Digesta-Partikel
angesehen. Im Pansen binden sich über 99% des Ivermectins und seiner Metaboliten an
Nahrungspartikel. Nach der Bildung der Ivermectin/Digesta-Komplexe hat die Geschwindigkeit, mit
welcher diese Komplexe den Gastrointestinaltrakt passieren, großen Einfluss auf die Pharmakokinetik
des Ivermectins. Eine Reduktion der Futtermenge verlangsamt die Passagegeschwindigkeit und
verlängert somit die für die Absorption zur Verfügung stehende Zeit.
Um die Effizienz oral verabreichten Ivermectins zu erhöhen und die Ausbildung resistenter
Parasitenstämme zu vermeiden, empfehlen die Autoren für die Praxis eine Reduktion der Futtermenge
19 Becker Andreas, MSc Thesis 2010 Interuniversitäres Kolleg Graz/Seggau 24 Stunden vor, bis 12 Stunden nach der Administration von Ivermectin (Ali and Hennessy, 1996). Im
Unterschied zum Schaf konnte bei Ziegen kein Einfluss der Futtermenge auf das pharmakokinetische
Verhalten von oral verabreichten Ivermectin beobachtet werden. Nach einem 36-stündigen Fasten
waren keine signifikanten Veränderungen der pharmakokinetischen Parameter festzustellen.
Toxizität
Ivermectin verfügt über eine sehr gute Verträglichkeit (Campbell and Benz, 1984). Es bestehen jedoch
große spezies- und rassespezifische und individuelle Unterschiede (Paul et al., 1987). Ivermectin ist
toxisch in neonatalen Ratten, wenn an das Muttertier während der Trächtigkeit 0,4 mg/kg/Tag
Ivermectin peroral verabreicht werden. Dies zeigt sich in einer erhöhten Mortalitätsrate bis zum
10.Tag nach der Geburt und einer verminderten Gewichtsentwicklung der überlebenden
Nachkommen. Die neonatale Toxizität wird nicht durch die Exposition in der Gebärmutter, sondern
durch die exzessive Übertragung von Ivermectin über die Milch und die erhöhte Permeabilität der
Blut-Hirn-Schranke in neugeborenen Ratten verursacht. Im Unterschied zu Ratten, die erst in den
ersten Lebenstagen eine voll funktionierende Blut-Hirn-Schranke ausbilden, bildet sich die Blut-HirnSchranke in anderen Säugetierspezies (inklusive Mensch, Schaf, Hase) pränatal aus (Lankas et al.,
1989).
Als besonders empfindlich gelten Hunde, insbesondere Collies, Australian Shepherds, Shetland
Sheepdogs, Bobtails (Old English Sheepdogs), Border Collies, Shelties, Langhaar-Whippets,
Windhunde und Mischlinge dieser Rassen (Nelson et al., 2003, Hugnet et al., 2004, Geyer et al.,
2005).
Während die Gamma-Amino-Buttersäure (GABA) in Parasiten ein peripherer Neurotransmitter ist,
wirkt sie in Säugetieren als Neurotransmitter des zentralen Nervensystems. Im Gehirn vermittelt sie
sowohl die prä- als auch die postsynaptische Hemmung. Für Ivermectin stellt jedoch die
Bluthirnschranke eine natürliche Barriere dar (Campbell and Benz, 1984). Außerdem haben alle
Avermectine zu den Neurorezeptoren der Wirbeltiere eine viel geringere Affinität als zu den
Neurorezeptoren der Invertebraten. Neurotoxische Wirkungen treten somit erst bei sehr hohen
Ivermectin-Dosierungen oder bei Vorliegen eines MDR1-Gendefektes auf (Linek et al., 2007).
Die Ivermectin-Intoxikation wird durch eine erhöhte Konzentration von Ivermectin im zentralen
Nervensystem (ZNS) ausgelöst. Bei den meisten Säugetieren verhindert die Blut-Hirn-Schranke den
Eintritt von Ivermectin in das ZNS. Bei Ivermectin-empfindlichen Tieren wurden jedoch extrem hohe
Ivermectin-Konzentrationen im Hirn gemessen (Mealey et al., 2001).
Die Ursache für eine erhöhte Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke ist ein genetischer Defekt in
Form einer (Verlust-) Mutation am sogenannten multi-drug-resistance-Gen (MDR1). Das
Proteinprodukt dieses Gens, das P-Glycoprotein, ist ein wichtiger Bestandteil der Blut-Hirn-Schranke.
Es kommt in großen Mengen in der apikalen Membran der Endothelzellen der Kapillaren des ZNS vor
und ist eine Efflux-Transportpumpe innerhalb der Blut-Hirn-Schranke. Verschiedene große,
hydrophobe Substrate, wie Ivermectin, Loperamid, Cyclosporin und Digoxin, binden an dieses PGlycoprotein und werden aktiv von den Endothelzellen in das Kapillarlumen zurücktransportiert (van
Asperen et al., 1997).
Bei Hunden und Mäusen fehlt bei Ivermectin-empfindlichen Individuen das P-Glycoprotein in den
Endothelzellen der Hirnkapillaren; sie verfügen somit nicht über diesen Schutzmechanismus.
Ivermectin kann sich durch den fehlenden Auswärtstransport im ZNS anreichern (bis zu 100-fach
höhere Konzentration als im Plasma) und zeigt bereits bei niedriger Dosierung eine neurotoxische
Wirkung (Linek et al., 2007). Die Vererbung dieses genetischen Defektes verläuft beim Hund
autosomal, rezessive. Nur Tiere, welche homozygot für die Mutation sind, gehören zum Ivermectinempfindlichen Phänotyp. Homozygot normale und heterozygote Hunde sind nicht Ivermectinempfindlich (Schinkel et al., 1996, Mealey et al., 2001, Nelson et al., 2003).
In einer französischen Studie wurde die größte Häufigkeit des Defektes am MDR-Gen beim Collie,
gefolgt von Shetland Sheepdog, Australian Sheperd und Border Collie gefunden. In dieser Studie
erwiesen sich 12 von 25 untersuchten Collies als homozygot für den MDR-Defekt und somit
Ivermectin-empfindlich (Hugnet et al., 2004).
20 Becker Andreas, MSc Thesis 2010 Interuniversitäres Kolleg Graz/Seggau In einer in Deutschland durchgeführten Studie betrugt die Häufigkeit des homozygot defekten
Genotyps beim Collie 33%, bei Australian Sheperd 6,9%, beim Shetland Sheepdog 5,7% und beim
Border Collie 0,3%. Die Häufigkeit des heterozygot defekten Genotyps lag bei 43,1% beim Collie,
45,2% beim Australian Shepherd, 48,6% Shetland Sheepdog, 0,6% beim Border Collie, 37,1% beim
Wäller und 12,5% Old English Sheepdog (Geyer et al., 2005).
Akute Toxizität
Bei Hunden ohne MDR1-Gendefekt betragt der S.I. (Sicherheitsindex = Faktor für die maximal über
der therapeutischen Dosierung liegende, noch verträgliche Dosis) vier (Deplazes et al., 1999).
In Tabelle 1 und 2 sind die bei peroraler Verabreichung auftretenden klinischen Symptome bei
unterschiedlicher Dosierung aus verschiedenen Publikationen zusammengefasst (Campbell and Benz,
1984, Lankas and Gordon, 1989, Pulliam and Preston, 1989, Linek et al., 2007).
Tabelle1
2,0 mg/kg
keine klinischen, neurotoxischen Symptome
2,5 mg/kg
Mydriasis
5,0 mg/kg
Mydriasis
10 mg/kg
Mydriasis, schwerer Tremor, Ataxie
40 mg/kg
komatöse Zustände, Todesfälle möglich
Klinische Symptome bei steigender peroraler Einzeldosis
Tabelle 2
0,5 mg/kg/Tag
keine klinischen, neurotoxischen Symptome
1,0 mg/kg/Tag
Mydriasis
Klinische Symptome bei peroraler, täglicher Applikation über 14 Tage
Hunde mit homozygotem MDR1-Defekt sind sehr empfindlich gegenüber Ivermectin. Die niedrigste
orale Einzeldosis, die ohne klinische Symptome bleibt, liegt bei 0,06 mg/kg. Eine Dosis von 0,1 mg/kg
und höher führt bereits zu massiven neurologischen Symptomen wie Mydriasis (Pupillenerweiterung),
Tremor (Zittern), Ataxie und Vomitus (Erbrechen). Bei Dosierungen von mehr als 0,15 mg/kg werden
die Hunde komatös und können versterben (Paul et al., 1987, Linek et al., 2007). Die LD50, das ist die
letale Dosis, bei der 50% der getesteten Tiere sterben, liegt für Hunde mit MDR1-Gendefekt bei 0,2
mg/kg. Die zur Herzwurmprophylaxe empfohlene Dosis von 0,006 mg/kg gilt auch bei Hunden mit
nachgewiesener Ivermectin-Empfindlichkeit als sicher (Fassler et al., 1991, Linek et al., 2007).
Die Symptome bei Katzen sind identisch mit denen beim Hund und bestehen zu Beginn in Aufregung,
Lautäußerung, Diarrhö, Anorexie, Miosis oder Mydriasis, Lähmung der Hintergliedmaßen, Ataxie,
Tremor, Desorientierung, Blindheit, verlangsamten, unvollständigen oder fehlenden Reflexen,
Hypothermie, erniedrigter Atem- und Herzfrequenz und Koma. Die neurologischen Symptome
verringern sich in der Regel innerhalb mehrerer Tage und die meisten Tiere erholen sich nach zwei bis
vier Wochen (Rowley, 1988, Frischke and Hunt, 1991). In schweren Fällen können Todesfälle
auftreten (Lewis et al., 1994, Muhammad et al., 2004).
Symptome beim Rind sind ZNS-Depression inklusive Gehörverlust und Ataxie. Bei einigen Tieren
kommt es zum Fortschreiten bis zum Tod, pathologisch und histopathologisch werden jedoch keine
spezifischen Veränderungen gefunden. Kälber sind wesentlich empfindlicher gegenüber Ivermectin als
ausgewachsene Tiere. Ab etwa dreifacher Überdosierung treten beim Kalb Intoxikationssymptome
wie Ataxie, Hypermetrie und Muskeltremor auf. 10 bis 15 Minuten nach intravenöser Injektion von
0,6 mg/kg wurden Depression, Ataxie, profuse Salivation, Tachykardie, Atembeschwerden, Miosis
und Diarrhö beobachtet. Nach 72 Stunden trat eine spontane Besserung ein. Die subkutane Injektion
der gleichen Dosis führte 30 bis 40 min nach Applikation zu den gleichen, jedoch wesentlich milderen
Symptomen. Weitere beobachtete Symptome einer Ivermectin-Intoxikation beim Kalb sind Kolik,
Hyperästhesie und Verlust des Abwehrreflexes der Augen. Todesfälle sind ebenfalls möglich (Button
et al., 1988, Basudde, 1989).
21 Becker Andreas, MSc Thesis 2010 Interuniversitäres Kolleg Graz/Seggau Nach intramuskulärer Injektion von 12,0 mg/kg (60-fache der empfohlenen Dosis) traten in allen
behandelten Pferden Ataxie und Depression auf. Eines von vier Pferden musste euthanasiert werden,
die anderen erholten sich innerhalb von zwei Wochen. Nach intramuskulärer Injektion von 3,0 mg/kg
und 6,0 mg/kg wurde Mydriasis beobachtet (Campbell and Benz, 1984). Versehentliche intravenöse
Injektion der zur intramuskulären Applikation vorgesehenen Zubereitung führte zu plötzlichen
Todesfällen (Campbell and Benz, 1984, Karns and Luther, 1984).
Die subkutane Injektion von 30,0 mg/kg (100-fach empfohlene Dosis) führt bei Schweinen zu
Lethargie und Ataxie. In einer Studie wurden drei von vier Tieren festliegend und zeigten bilaterale
Mydriasis, intermittierenden Tremor und angestrengte Atmung. Bei der pathologischen und
histopathologschen Untersuchung konnten keine spezifischen Veränderungen festgestellt werden. Die
Injektion der 10- bzw. 50-fachen Dosis hat keine Intoxikationserscheinungen zur Folge (Sanford and
Rehmtulla, 1987).
Subchronische und chronische Toxizität
In einer subchronischen Toxizitätsstudie wurden 0.5, 1 oder 2 mg/kg/Tag über einen Zeitraum von
drei Monaten oral an Beagle-Hunde verabreicht. Keine klinischen Effekte zeigten die Tiere, welche
0,5 mg/kg/Tag erhielten. Hunde, denen 1,0 oder 2,0 mg/kg/Tag verabreicht wurden, entwickelten
Mydriasis. Bei Hunden mit einer Dosierung von 2,0 mg/kg/Tag wurden Tremor, Ataxie, Anorexie,
Gewichtsverlust und Dehydration beobachtet (Campbell and Benz, 1984, Lankas and Gordon, 1989,
Pulliam and Preston, 1989). Diese Tiere wurden zwischen der vierten und zwölften Versuchswoche
euthanasiert. Bei der pathologischen und histopathologischen Untersuchung wurden keine
Veränderungen festgestellt (Campbell and Benz, 1984).
Ivermectin ist bei Hund, Rind, Schaf, Pferd, Schwein und Ratte weder embryotoxisch, noch teratogen
(Campbell and Benz, 1984, Manger, 1991).
Umwelttoxizität
Freies Ivermectin ist toxisch für Fische und bestimmte im Wasser lebende Organismen. Es sollte
deshalb nicht in die Gewässer gelangen. Im Boden gebundenes Ivermectin wird nur langsam
freigesetzt und stellt somit keine Gefährdung der Wasserorganismen dar (Ungemach, 1994).
Das im Kot ausgeschiedene Ivermectin hat schädliche Effekte auf verschiedene im Dung brütende
Insekten. Diese Effekte reichen von Interferenz mit der Reproduktion, über Unterbrechung der
Metamorphose, bis hin zur akuten toxischen Einwirkung auf Adulte und Larven (Strong, 1993). Bei
der Verwendung von Ivermectin-haltigen Langzeit-Boli, welche 40 µg Ivermectin pro Tag abgeben,
konnte beobachtet werden, dass es durch die insektizide Wirkung zur Abwesenheit wichtiger
dungzersetzender Insekten und somit zu Störungen im normalen Dungabbau kommt. Breiter Einsatz
von Ivermectin könnte also wichtige Konsequenzen für die Ökologie von Weideland haben (Wall and
Strong, 1987).
Andere Autoren konnten dies in ihren Versuchen nicht bestätigen. So wurde zwar ebenfalls eine
Abnahme der Anzahl der Dungorganismen, wie Zweiflügler-Larven und Dung-Nematoden nach einer
subkutanen Ivermectin-Behandlung von Rindern mit 0,2 mg/kg festgestellt, jedoch hatte dies keinen
signifikanten Einfluss auf die Dungzersetzung (Jacobs et al., 1988, McKeand et al., 1988, Barth et al.,
1994). Die Fütterung der Tiere hat einen Einfluss auf die Ivermectin-Ausscheidung im Kot. Auf der
Weide gehaltene, mit Heu zugefütterte Tiere hatten wesentlich tiefere Ivermectin-Gehalte pro kg Kot
(0,09 mg/kg) als aufgestallte, mit Konzentrat und Heu gefütterte Tiere (0,36 mg/kg Kot). Die Ursache
dafür sind die höheren Kotvolumina geweideter Tiere im Vergleich zu aufgestallten. Dies könnte
einen Einfluss auf das Ausmaß der Schädigung der Dungorganismen haben (Cook et al., 1996).
Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA)
Die EMA in London legt unter anderem die Grenzwerte für Rückstände aller in der EU zugelassenen
Tierarzneimittel in Form des MRL(maximum residue limit)-Wertes fest (European Medicines Agency,
2010). Über den im Literaturverzeichnis angegebenen Hyperlink können die verschiedenen
zusammengefassten Protokolle für die ML Ivermectin, Eprinomectin, Enamectin, Abamectin,
22 Becker Andreas, MSc Thesis 2010 Interuniversitäres Kolleg Graz/Seggau Doramectin und Moxidectin abgerufen werden. Der MRL-Wert wird so festgelegt, dass der ADI
(acceptable daily input) nicht überschritten werden kann. Der ADI gibt die erlaubte Aufnahmemenge
pro kg Körpergewicht und Tag an - wobei die Gesamttagesdosis auf maximal 60 kg Körpergewicht
begrenzt wird - die ein Mensch lebenslänglich täglich verzehren kann ohne gesundheitliche Schäden
davonzutragen. Der ADI wiederum ist um einen Sicherheitsfaktor 10 bis 2000, in der Regel 100 (für
ML 200), kleiner als der NOEL (no observed effect level). Das ist die höchste Tagesdosis im
Tierversuch, bei der noch keine Symptome oder Veränderungen zur Vergleichsgruppe ohne
Medikation beobachtet werden können. Zum besseren Verständnis wird eine Versuchsbeschreibung
für Eprinomectin der JECFA (Joint FAO/WHO Expert Committee on Food Additives, 1989)
angeführt, auf die sich die EMA bezieht:
In einer 53-Wochen-Studie erhalten Gruppen von jeweils vier männlichen und vier weiblichen
Beagle-Hunden Eprinomectin über Magensonde in Dosen von 0, 0.5, 1 oder 2 mg/kg Körpergewicht
pro Tag in 0,5 % wässriger Methylcellulose. Das einzige auf die Behandlung zurückzuführende
klinische Zeichen war Mydriasis bei Hunden mit der Höchstdosis. Ein Tier dieser Gruppe wurde
weniger aktiv, zeigte Speichelfluss und bis in Seitenlage führende fortschreitende
Koordinationsstörungen und wurde aus diesem Grund in der 13.Woche euthanasiert. Dieses Tier
zeigte auch eine geringere Futteraufnahme und Gewichtsverlust, während bei allen anderen
behandelten Hunden keine Veränderungen in Futteraufnahme und Körpergewicht zu sehen waren.
Ophthalmoskopische und elektrokardiographische Untersuchungen, Blutbild, Blutwerte, Urinstatus
und Messungen der Organgewichte zeigten keine medikamentenrelevante Veränderung.
Histopathologische Untersuchungen ergaben sehr leichte fokale Degeneration bei einer von drei
Nervenzellen im Areal der Stammhirnbrücke (Pons) und in Kerngebieten des Kleinhirns bei drei von
acht Hunden der Höchstdosis-Gruppe. Diese degenerativen Veränderungen waren charakterisiert
durch Vergrößerung der Nervenzellen infolge eines vermehrt eosinophilen, vakuolen-bildenden
Zytoplasmas mit Kernverschiebung und wurden bei den anderen behandelten Hunden und der
Kontrollgruppe nicht gesehen. Andere bemerkenswerte histopathologische Befunde wurden in anderen
Geweben inklusive Rückenmark und Ischiasnerv nicht gefunden. Der NOEL war 1 mg/kg
Körpergewicht und Tag auf Basis der Mydriasis und fokaler neuronaler Degeneration im Gehirn
(Kloss et al., 1994).
Aus den NOEL aller relevanten Studien legt die EMA dann den ADI fest, der aktuell bei 10 μg/kg
Körpergewicht und Tag (maximal 600 μg/Person und Tag) liegt. Die Ivermectin-MRL für alle
lebensmittelliefernden Säugetiere sind 100 μg/kg für Fett und Leber, 30 μg/kg für Niere. Die tägliche
Aufnahme aller Rückstände erreicht etwa 15% des ADI.
Die EMA hat bei der Beurteilung des ML Ivermectin Rückstandsuntersuchungen nur in Fett, Leber,
Niere und Muskulatur durchgeführt, nie in Nervengewebe, da es sich hierbei um kein essbares
Gewebe handelt; in Kurzzeitversuchen bis 14 Tagen stand die akute Toxizität im Vordergrund.
Ivermectin darf nicht bei laktierenden Tieren angewendet werden, 60 Tage vor der Geburt dürfen
trächtige Färsen oder trockenstehende Kühe nicht mehr behandelt werden. Deshalb wurde als
Weiterentwicklung Eprinomectin für die Behandlung von Milchkühen zugelassen mit einer Wartezeit
für Milch von null Tagen nach Anwendung und einem MRL-Wert von 20 μg/kg je Kilogramm Milch.
Im Gegensatz zu Ivermectin wurde nun die chronische Toxizität schon stärker berücksichtigt. Mit
jeder weiteren Zulassung moderner ML nehmen die neurotoxischen Erkenntnisse zu. Es ist ersichtlich,
dass mit der Verlängerung der Versuchsdauer (14 Tage; 14, 53 bis maximal 105 Wochen) bei Ratten
und 53 Wochen bei Beagle-Hunden immer kleinere Tagesdosierungen ausreichen um neuronale
Degeneration mit Vakuolen-Bildung in Gehirn, Rückenmark, Seh- und Ischiasnerv zu erzeugen. Für
die Zulassung von Enamectin zur Parasitenbekämpfung bei Lachsen in Fischfarmen wurden in einem
5-Wochen-Versuch bei Beagle-Hunden mit Hilfe von Elektronenmikroskop und monoklonaler
Antikörpertechnik zum Nachweis von phosphorylierten Epitopen an Neurofilamenten nach zwei
Wochen Behandlung Anhäufungen von Neurofilamenten im Perikaryon und nach vier Wochen
Myelin-Anhäufungen festgestellt sowie in einem 53-Wochen-Versuch axonale Degeneration im ZNS
und peripheren Nervensystem und neuronale Vakuolen-Bildung.
23 Becker Andreas, MSc Thesis 2010 Interuniversitäres Kolleg Graz/Seggau Avermectine und Benzodiazepine
Benzodiazepine, eine weitere Medikamentenklasse mit hyperpolarisierender Wirkung an
Nervenzellen, haben im Gegensatz zu ihrer Anwendung in der Humanmedizin in der Veterinärmedizin
nur eine geringe Bedeutung. Veterinärmedizinisch eingesetzt werden von den zahlreichen Präparaten
der Gruppe vor allem Diazepam als Sedativum und zur Narkoseprämedikation, Clonazepam zur
Behandlung des Status epileptikus und Brotizolam als Appetitanreger beim Rind. Zolazepam ist
Bestandteil eines Kombinationspräparates mit Tiletamin zur Allgemeinanästhesie bei Katzen. Im
Vordergrund der Wirkung der Benzodiazepine steht der psychosedative Effekt. Benzodiazepine haben
eine stark dämpfende Wirkung auf Kerne des limbischen Systems, das man mit Angst („anxiolytische
Wirkung“) und Spannungszuständen in Verbindung bringt. Die zentrale Wirkung spielt sich
hauptsächlich am GABAA-Rezeptor ab. Dieser Rezeptorkomplex enthält Bindungsstellen für GABA,
Benzodiazepine, Barbiturate und Alkohol sowie ihre jeweiligen Antagonisten und einen ChloridIonophor, der durch GABA geöffnet wird und eine Hyperpolarisation der Neurone bewirkt.
Benzodiazepine verstärken die GABA-Wirkung, indem sie zu einer Öffnung des Kanals führen.
Dieser Mechanismus ist für sehr niedrige Benzodiazepin-Konzentrationen (0,3-3,0 ng/ml)
nachgewiesen, die in freier Form nach normaler Dosierung vorkommen (Ebert et al., 2002). Bei Ratten
wurde mit Ivermectin eine angstlösende Wirkung erzielt, die der von Diazepam gleichkommt (Spinosa
Hde et al., 2002). ML und Benzodiazepine verstärken sich gegenseitig in ihrer Wirkung (ChloridIoneneinstrom) am GABA-Rezeptor (Pong et al., 1981, 1982, Williams and Risley, 1982, 1984,
Tranquilli et al., 1987, Estambale and Howells, 1989). Zum besseren Verständnis erfolgt eine an Linek
et al. angelehnte Beschreibung eines Fallberichts (2007):
Eine 2-jährige Collie-Hündin mit homozygotem MDR1-Gendefekt nahm eine unbekannte Menge
einer Ivermectin-Wurmpaste für Pferde auf. Bereits eine Stunde später zeigte sie typische
Vergiftungserscheinungen wie Apathie, Tremor und Hypersalivation. Nach weiteren zwei Stunden
wurden eine beidseitige Mydriasis, Sehunvermögen, Bewegungs- und Koordinationsstörungen,
Somnolenz, Hypersalivation, generalisierter Tremor, Tachykardie und Dyspnoe beobachtet. Die
Notfallmaßnahmen bestanden in einer Infusionstherapie mit Ringer-Laktat-Lösung, der oralen Gabe
von Paraffinöl und Kohle und der Applikation von Diazepam nach Wirkung. In der Folgezeit
verschlimmerten sich die Symptome massiv. Die Hündin lag komatös in Seitenlage und zeigte
zeitweise heftige Krämpfe, die von Schreien begleitet waren. Zwischen den Schreikrampfphasen kam
es immer wieder zu komatösen Zuständen.
Durch die symptomatische Gabe von Diazepam in den Krampfphasen wurde die GABA-erge Wirkung
verstärkt und der Hund fiel jedes Mal wieder in den komatösen Zustand. Bei Vergiftungen mit ML
sind Benzodiazepine und Barbiturate kontraindiziert; es werden Anästhetika mit anderen
Wirkmechanismen empfohlen, z.B. Propofol (Yen and Lin, 2004, Snowden et al., 2006).
Die appetitsteigernde Wirkung der Benzodiazepine ist eine allgemeine Eigenschaft der Klasse; von ihr
macht man bei Brotizolam therapeutischen Gebrauch. Die Wirkung wird durch eine direkte
Stimulierung des Appetitzentrums im Hypothalamus erzielt. Sie tritt bei intravenöser Injektion nach
ein bis zehn Minuten ein und hört bereits während der Verteilungsphase von Brotizolam auf. Bei
schweren Erkrankungen kann mit Brotizolam keine Steigerung des Appetits erwartet werden.
Indikationen sind Anregung der Fresslust bei Rindern entweder als Alleintherapie bei Anorexie (z.B.
nach Futterumstellungen) und nach chirurgischen Eingriffen oder als Zusatztherapie bei der
Acetonämie der Milchkuh (Tierarzneimittelkompendium der Schweiz, 2010a). Die Acetonämie ist
eine Stoffwechselstörung vor allem der Hochleistungskuh, bei der es innerhalb kurzer Zeit zu einem
Abbau von bis zu 150 Kilogramm Körperfett kommen kann. Dabei könnten im Fett gespeicherte ML
in toxischen Mengen freigesetzt und in ihrer Wirkung durch die gleichzeitige therapeutische
Verabreichung von Brotizolam potenziert werden. Für den BSE-Ausbruch in Großbritannien kommt
diese Option nicht zum Tragen, da Brotizolam erst im Jahr 1989 für die Anwendung bei Rindern
zugelassen wurde, wohl aber für das spätere Auftreten von BSE mit klinischen Symptomen bei
Einzeltieren. ML werden auch als Pestizide im Pflanzenbau eingesetzt, Diazepam ist eines der meist
verschriebenen Medikamente in der Humanmedizin: Besteht deshalb für Vegetarier, die Diazepam
einnehmen, ein erhöhtes Risiko an vCJK zu erkranken?
24 Becker Andreas, MSc Thesis 2010 Interuniversitäres Kolleg Graz/Seggau Bluthirnschranke
Mit den Avermectinen wurden hoch toxische Medikamente zur Parasitenbekämpfung zugelassen. Die
allgemein gute Verträglichkeit dieser Substanzen in Säugetieren erklärt sich allein dadurch, dass
Säuger keine Glutamat-Rezeptoren an Chlorid-Ionenkanälen besitzen und die Affinität der
makrozyklischen Laktone gegenüber dem GABA-Rezeptor
bei Säugern in therapeutischen
Dosierungen um mehrere Größenordnungen geringer ist als bei den Parasiten. Die intakte
Bluthirnschranke ist für ML im Allgemeinen kaum permeabel wegen des Vorhandenseins von PGlycoprotein. Beim Fehlen von P-Glycoprotein (MDR1-Defekt) oder bei Überlastung in Folge
Überdosierung treten akute Vergiftungserscheinungen auf. Neugeborene Ratten sind gefährdet, weil
sich die Bluthirnschranke erst in der ersten Lebenswoche schließt; dies geschieht bei Säugetieren
bereits pränatal. Im Einzelnen können Störungen der Bluthirnschranke auch bei Entzündungen und
Tumoren nicht ausgeschlossen werden. Zumindest angesprochen werden muss die zunehmende
Belastung durch Mobilfunkstrahlung. Das schwedische Forschungsteam um den Neuropatholgen Leif
Salford konnte zeigen, dass es bei Ratten unmittelbar und 14 Tage nach einer zweistündigen
Mobilfunkbestrahlung (GMS Handy) infolge einer geschädigten Bluthirnschranke zur Bildung von
Ödemen und Austritt von Albumin kommt (Eberhardt et al., 2008, Grafstrom et al., 2008, Nittby et al.,
2009). Wie die wenigen Langzeitversuche bei verschiedenen Tierarten zeigen, können ML in nicht
akut toxischen Dosen Veränderungen an Ischias- und Sehnerv, Rückenmark, Stammhirnbrücke
(Pons) und Kleinhirn (Cerebellum) verursachen, d.h. ML müssen auf Grund ihrer extrem lipophilen
Eigenschaft über die Myelinscheiden des peripheren Nervensystems unter Umgehung der
Bluthirnschranke bis zum Gehirn gelangen können (siehe Abb. 2). Bei oraler Gabe von ML wären
besonders die Nerven Splanchnikus (Eingeweide) und Vagus betroffen, beim Aufgießen auf den
Rücken (Pour- on-Verfahren) die Rückenäste der Spinalnerven. Bei Kälbern wurden genau in diesen
Nerven Prione nach experimenteller oraler Infektion mit BSE-Material nachgewiesen (Hoffmann et
al., 2007).
BSE-Tests
Der Beginn der BSE-Epidemie stellte die britische Veterinärpathologie vor eine große
Herausforderung. Die Zahl der Untersuchungsaufträge zur Diagnose und Differentialdiagnose von
Rindern mit zentralnervösen Störungen stieg rasant an. Die Diagnose „schwammartige Degeneration
des Gehirns“ wurde anfangs durch komplett durchgeführte Sektionen gestellt, wozu das Aufsägen des
Schädels nötig war. Dann traten die ersten Fälle von vCJK auf, eine Gefährdung des
Untersuchungspersonals mit infektiösem Material musste verhindert werden. Hier kamen die
entwickelten speziellen Testverfahren zum Nachweis von PrPSc gerade gerecht; außerdem hatte sich
herauskristallisiert, dass die Obex-Region des Stammhirns (enthält die Vagus-Kerne) immer verändert
war. Diese charakteristische Stelle konnte als BSE-Probe zur Untersuchung gefahrlos mit einem
scharfen Löffel durch das Hinterhauptsloch entnommen werden. Die Einführung der BSE-Tests führte
zu einer in der Geschichte der Veterinärmedizin beispiellosen Massenvernichtung von Rindern, da zu
Beginn infolge der BSE-Hysterie bei Vorliegen eines positiven Tests sämtliche Rinder des
Herkunftsbetriebes gekeult wurden („apocalypse cow“). Die Durchführung von BSE-Tests bei
Schlachttieren ab einem Alter von 24 Monaten wurde gesetzlich angeordnet. Klinisch gesunde Rinder
bis 2 Jahre, darunter alle Schlachtbullen, wurden nicht untersucht; bei allen älteren gesunden Tieren
entschied ein einziger Test zwischen Lebensmittelmitteltauglichkeit und Verwerfung. Es wäre
katastrophal, wenn BSE-Tests durch andere Faktoren falsch positiv beeinflusst werden könnten.
Ungefähr zeitglich mit der Markteinführung von Ivermectin im Jahr 1982 wurde in Großbritannien bei
der Herstellung von Tiermehlen auf die Extraktion des Restfettes verzichtet. Das extrem fettlösliche
Ivermectin gelangt so durch orale Aufnahme über Mischfuttermittel und Milchaustauscher sowie
parenterale Applikation und Pour-on-Verfahren in die Rinderpopulation. In einer chronischen
Intoxikation über ca. drei Jahre entstanden axonale Degenerationen in ZNS (vor allem Pons und
Cerebellum) und peripherem Nervensystem sowie neuronale Vakuolen-Bildung, ohne mit sichtbaren
klinischen Symptomen einherzugehen. Mit der im Jahr 1985 beginnenden staatlich angeordneten
25 Becker Andreas, MSc Thesis 2010 Interuniversitäres Kolleg Graz/Seggau Dasselfliegenbekämpfung mit dem Organophosphat Phosmet entwickelte sich dann infolge des
zusätzlichen oxydativen Stresses sehr schnell das Vollbild der BSE.
Das Stammhirn ist phylogenetisch der älteste Hirnabschnitt. Hier erfolgt die Grundregulation
lebenswichtiger Funktionen wie Atmung, Herz-Kreislaufsystem, Nahrungsaufnahme, Bewegung und
Fortpflanzung. Mittel- und Großhirn übernehmen die Feinabstimmung; für die Dämpfung ist in erster
Linie das inhibitorische GABA-Neurotransmitter-System verantwortlich. Die Intoxikation mit ML
verursacht einerseits zunächst über die GABA-erge Stimulierung eine Steigerung der Inhibition, wobei
Symptome wie Somnolenz bis hin zu komatösen Zuständen überwiegen und andererseits über die
fortlaufende Zerstörung des GABA-Systems den Verlust der dämpfenden Wirkung auf die
Stammhirnfunktionen, wobei jetzt die Störungen des Bewegungsapparates mit Ataxie im Vordergrund
stehen. Nur so ist zu erklären, dass Rinder mit hochgradig ausgebildeten klinischen BSE-Symptomen
im BSE-Test negativ reagieren können: Nicht der Ort der Probenentnahme (Stammhirn) ist verändert,
sondern die Regionen im Gehirn, die für die Dämpfung verantwortlich sind. Dies und die Tatsache,
dass bis heute noch keine verlässlichen Tests für die Erkennung von BSE am lebenden Tier entwickelt
wurden, müssten zu einer mangelhaften Gesamtbewertung dieses diagnostischen Verfahrens führen.
Milchaustauscher und Tiermehl
In der „Risikoanalyse im Zusammenhang mit dem Auftreten von BSE einschließlich einer
Untersuchung zum Vorkommen von vCJD in Bayern“ des Bayerischen Staatsministeriums für
Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz (2004) stehen Milchaustauscher mit Abstand an erster
Stelle der Faktoren, die bayerische BSE-Betriebe gemeinsam hatten. Wilesmith et al. (1988) fanden in
Großbritannien, dass der Einsatz von kommerziellem Mischfutter der größte gemeinsame Nenner aller
BSE-Fälle war. Auf Grund der – nicht näher erläuterten – geographischen Verbreitung von BSE,
schlossen sie dabei Fett als möglichen Trägerstoff der Infektion aus, was Tiermehl als einzigen Vektor
übrig ließ. In dieser Erhebung wurden Milchaustauscher oder Mineralfutter nicht in Erwägung
gezogen. Der entsprechende Fragebogen, anhand dessen die Erhebungen vorgenommen wurden,
enthielt keine Frage nach Milchaustauschern (Wilesmith et al., 1988). Allerdings fiel im Rahmen einer
Fallkontrollstudie, die das hohe BSE-Risiko auf Grund der Verfütterung tiermehlhaltigen,
kommerziellen Kraftfutters in Großbritannien belegte (Wilesmith et al., 1992), auf, dass BSE auch bei
Tieren auftrat, die in den ersten Lebensjahren kein kommerzielles Kraftfutter erhalten hatten
(Wilesmith et al., 1992, Dahms et al., 2001). Später spekulierten die Autoren (Dahms et al., 2001)
explizit, ob auch durch Fette kontaminierte Milchaustauscher verantwortlich gewesen sein könnten.
Auf ähnliche Weise konstatieren Hörnlimann und Infanger (2001), dass über Milchaustauscher
aufgenommene, kontaminierte tierische Fette zu BSE-Infektionen führten (ohne dafür Daten zu
nennen). Auch in den Untersuchungen zur Risikoverteilung auf deutsche Futtermittel wurde die
vernachlässigte Bedeutung von Milchaustauschern angemahnt (Kamphues et al., 2001, Zentek et al.,
2002). Die Autoren betonen dabei ausdrücklich, dass für die Herstellung von Milchaustauschern noch
bis Ende der 90er Jahre auch unraffinierte Fette eine größere Bedeutung hatten. Verlässliche Angaben,
ob in bayerischen Milchaustauschern raffinierte oder nicht-raffinierte Fette verwendet wurden, waren
nicht zu erhalten. Auch Paisley und Hostrup-Pedersen (2004) demonstrierten auf Grund von
Modellrechnungen, dass kontaminierte Fette in Milchaustauschern potentielle Vektoren für BSE sein
könnten. Nicht die Verringerung der Erhitzungstemperatur von 135°C auf 85°C bei der Produktion
von Tiermehlen, sondern lediglich die Tatsache, dass der Einsatz von Lösungsmitteln zur Extraktion
von Restfett im Tiermehl (und damit auch die anschließende Extraktion des Lösungsmittels durch
Hitze) im entsprechenden Zeitraum (Anfang der 80er Jahre) eingestellt wurde, lassen Wilesmith et al.
(1991) als möglichen produktionstechnischen Grund für eine Verschlechterung der Dekontamination
potentiell infektiösen Materials gelten.
Mit der Annahme, dass für die Verursachung von BSE kein infektiöses Protein, sondern ein extrem
fettlösliches Neurotoxin verantwortlich ist, können die oben diskutierten Ungereimtheiten auf einen
Schlag erklärt werden. Mit der Aufgabe der Restfett-Extraktion verbleibt Ivermectin im Tiermehl. Die
bei der Produktion von Milchaustauschern benötigten tierischen Fette stammten aus Schlachtbetrieben
(Körper- und Bauchfette, zum Teil Rückenmark) und aus Tiermehlfabriken (Gesamtfett incl.
26 Becker Andreas, MSc Thesis 2010 Interuniversitäres Kolleg Graz/Seggau Knochenfett, fettlöslicher Anteil der Nervengewebe und Extraktionsfette). Ivermectin mit seinem
Schmelzpunkt von 155°C ist in nicht-raffinierten Fetten auf jeden Fall enthalten. Die bei den
unterschiedlichen Raffinationen von Fett eingesetzten Temperaturen liegen zwischen 100°C und
240°C (max. für 2 Stunden) bzw. 270°C (max. für 30 Minuten) bei Desodorisation; bei welcher
Temperatur es zu einer Inaktivierung von Ivermectin kommt ist nicht bekannt. Das Verbot der
Verfütterung von Tiermehl an Rinder im Jahr 1988 sowie die Erweiterung auf ein EU-weites totales
Tiermehlverbot im Jahr 1994 konnten die Zahl der BSE-Fälle zwar deutlich reduzieren, aber der
entscheidende Schritt für den Rückgang auf jeweils einen Fall in den Jahren 2008 und 2009 in
Deutschland war das nur dort geltende Verbot tierischer Fette in Milchaustauschern vom Dezember
2000. In den anderen EU-Ländern dürfen tierische Fette weiter verwendet werden, wenn sie bei
Temperaturen von über 130°C und einem Druck von drei Bar erzeugt werden. Es ist anzunehmen,
dass diese Bedingungen zur Inaktivierung von ML nicht ausreichen. Die meisten Kälber werden in der
ersten Lebenswoche mit Kolostrum (Biestmilch) ihrer Mütter gefüttert, Kälber bei Mutterkuhhaltung
sowie Lämmer von Schafen und Ziegen saufen bis zum Absetzten direkt am Euter. Die Behandlung
der Muttertiere mit ML führt je nach ML und Behandlungszeitpunkt (während des Trockenstehens
oder während der Laktation) zu MRL-Rückständen im Euter und einer entsprechenden Belastung der
Milch und damit der Jungtiere. Zusammen mit dem üblichen Einsatz von ML zur
Parasitenbekämpfung kann hierin die Ursache für das bei älteren Tieren zunehmende Auftreten von
atypischen BSE- und Scrapie-Formen liegen; auch im bisher Scrapie-freien Australien wurde laut
„The Australian“ Anfang 2010 der erste Fall von atypischer Scrapie diagnostiziert (Minus, 2010).
Forschungsfrage
Mit der Abklärung der Forschungsfrage konnte detailliert gezeigt werden, dass makrozyklische
Laktone unter den gegebenen Umständen den Konformationswechsel zum Prion und damit
spongiforme Enzephalopathien verursachen könnten. Der konzipierte Gesamtzusammenhang wird als
Intoxikationshypothese bezeichnet und gegen die bestehende Infektionshypothese gestellt. Für die
Methodik wird die Forschungsfrage noch präziser formuliert durch Auswahl von Ivermectin als
Vertreter der ML und BSE stellvertretend für TSE:
Kann BSE durch Ivermectin verursacht werden?
METHODIK
Um zu Überprüfen, ob bereits in wissenschaftlichen Publikationen ein Zusammenhang zwischen
Ivermectin und BSE (direkter Zusammenhang) bzw. GABA-Rezeptor und BSE (indirekter
Zusammenhang) beschrieben wurde, erfolgte eine Suche in den Datenbanken PubMed, Medpilot und
PLoS.ONE. Die Recherche fand letztmalig am 6. Juni 2010 statt. Wenn immer möglich wurden die
Begriffe als MeSH (Medical Subject Headings)-Begriffe gesucht.
Suchstrategie:
1. Schritt: Suchbegriffe >BSE< und >Ivermectin< ,
2. Schritt: Suchbegriffe >BSE< und >GABA-Rezeptor< und
3. Schritt: Suchbegriffe >Prion< und >GABA-Rezeptor<
ERGEBNIS
Das Suchergebnis in Treffern wird in den Tabellen 6,7 und 8 im Einzelnen dargestellt. Diese Tabellen
entsprechen den Tabellen 1, 2 und 3 der Zusammenfassung.
27 Becker Andreas, MSc Thesis 2010 Interuniversitäres Kolleg Graz/Seggau Tabelle 6
Datenbank
Treffer
Relevante Treffer
Kumulativ rel. Treffer
Pubmed
0
0
0
Medpilot
0
0
0
PLoS.ONE
1
0
0
Treffer je Datenbank mit Suchwörter und –Kombination „BSE und Ivermectin“
Es wurden keine relevanten Treffer gefunden.
Beim einzigen nichtrelevanten Treffer handelt es sich um eine Studie über die schnelle Entwicklung
einer Pestizid-Resistenz des Fadenwurms Caenorhabditis elegans (Lopes et al., 2008). „BSE“ ist Teil
der Abkürzung eines portugiesischen Stipendiums.
Tabelle 7
Datenbank
Treffer
Relevante Treffer
Kumulativ rel. Treffer
Pubmed
1
1
1
Medpilot
5
4
4
PLoS.ONE
1
1
4
Treffer je Datenbank mit Suchwörter und –Kombination „ BSE und GABA-Rezeptor“
Es wurden vier kumulativ relevante Treffer gefunden: Eine abgeschwächte GABAA-Rezeptorvermittelte schnelle Hemmung in Abwesenheit von PrPc (Collinge et al., 1994), keine Beteiligung von
PrPc an der GABA- und Glutamat-Rezeptor-vermittelten synaptischen Funktion (Herms et al., 1995),
therapeutischer Einsatz von GABA-Agonisten zur Milderung von Krankheitssymptomen
(Vamvakides, 1998) und Zerstörung des Neurotransmitter-Systems GABA durch TSE (Ledoux,
2005).
Tabelle 8
Datenbank
Treffer
Relevante Treffer
Kumulativ rel. Treffer
Pubmed
8
4
4
Medpilot
28
8
8
PLoS.ONE
10
1
8
Treffer je Datenbank mit Suchwörter und –Kombination „Prion und GABA-Rezeptor“
Es wurden acht kumulativ relevante Treffer gefunden: Keine intermolekulare Verbindung zwischen
GABAA-Rezeptor und PrPc (Kannenberg et al., 1995), Verlust des GABA-ergen Systems beim
Vorliegen von PrPSc (Bouzamondo-Bernstein et al., 2004), Co-Regulation des PrPc-transkribierenden
Gens mit GABAA-Untereinheiten (Rangel et al., 2009), Beteiligung der GABAA-Untereinheit beta1 in
Prion-infizierten Neuroblastom-Zellen (Kimura et al., 2010) und die Treffer aus dem 2. Suchschritt.
28 Becker Andreas, MSc Thesis 2010 Interuniversitäres Kolleg Graz/Seggau DISKUSSION
Das Ergebnis ist eindeutig: Mit der durchgeführten Suchmethode konnte keine wissenschaftliche
Veröffentlichung, die einen direkten Zusammenhang zwischen Ivermectin und dem Auftreten von
BSE beschreibt, gefunden werden, d.h. BSE könnte von Ivermectin verursacht worden sein bzw. ML
müssten als Verursacher von TSE in Betracht gezogen werden.
Der indirekte Zusammenhang über die Ivermectin-Wirkung am GABA-Rezeptor wurde in acht
Publikation nicht entdeckt, wohl aber ein Zusammenhang zwischen GABA-Rezeptor und PrPc bzw.
PrPSc. Die Ergebnisse der beiden ältesten Veröffentlichungen aus den Jahren 1994 und 1995
(Collinge et al., Herms et al.) widersprechen sich; PrPc hat einen (Collinge et al.) oder keinen (Herms
et al.) Einfluss auf die GABA-Rezeptor-vermittelte synaptische Funktion; Avermectine stimulieren die
präsynaptische Freisetzung von GABA und erhöhen die Affinität der postsynaptischen GABARezeptoren für GABA und beeinflussen so PrPc. Dass zwischen GABAA-Rezeptor und PrPc keine
intermolekulare Verbindung (Kannenberg et al., 1995) bestehen muss passt ebenso gut zur
Intoxikationshypothese wie die Zerstörung des Neurotransmitter-Systems GABA durch TSE (Ledoux,
2005) oder PrPSc (Bouzamondo-Bernstein et al., 2004) und dessen symptomatische Behandlung mit
GABA-ergen Agonisten (Vamvakides, 1998). Die beiden jüngsten Veröffentlichungen befassen sich
mit GABA-Untereinheiten, deren Co-Regulation vom PrPc-transkribierenden Gen beeinflusst wird
(Rangel et al., 2009) und die durch Verhinderung ihrer Expression in Prion-infizierten NeuroblastomZellen den PrPSc-Anteil verringern bei zunehmendem PrPc-Anteil (Kimura et al., 2010); sie könnten
von Interesse für die Steuerung des Ablaufs der Kettenreaktion („PrPc –PrPSc“- System der
Intoxikationshypothese).
Allein die Veränderung der Suche von >BSE< auf >Prion< im 3.Schritt ergab vier zusätzliche
relevante Veröffentlichungen, ein weiteres Indiz für eine erregerorientierte Sicht; aus der BSEForschung ist eine Prionen-Forschung geworden. GABA-Rezeptoren werden in die Untergruppen A,
B und C aufgegliedert. In den neueren Veröffentlichungen erscheint deshalb die genauere
Bezeichnung GABAA. Als Fazit kann festgehalten werden: Die zusätzlich gefundenen Ergebnisse
bestätigen indirekt die Intoxikation mit Ivermectin und können für die Bestätigung der folgenden
Intoxikationshypothese herangezogen werden.
Transmissible spongiforme Enzephalopathien oder Prionerkrankungen sind tödlich verlaufende
neurodegenerative
Erkrankungen
genetischen
Ursprungs
(siehe
Abb.
1).
Der
Pathogenitätsmechanismus besteht in der Bildung von Prionen (Prionprotein Scrapie; PrPSc), die sich
in einer Art Kettenreaktion nur durch Konformationswechsel aus zellulärem Prionprotein (PrPc)
reproduzieren. Zunehmendes Alter, Kupfermangel, Manganüberversorgung, oxidativer Stress sowie
Medikamente mit hyperpolarisierender Wirkung (ML, Benzodiazepine) beschleunigen den
Konformationswechsel aus PrPc und lösen damit die Bildung von Prionen aus (siehe Abb. 1). Dies
kommt einer Reaktivierung der eigentlichen biologischen oder evolutionären Funktion der Prione
gleich: Die Optimierung der Leistung eines in der räumlichen Ausdehnung begrenzten Gewebes durch
zielgerichtetes Zerstören bestimmter Zellen. Die iatrogene Übertragung von Prionen stellt keine
Infektion dar, genauso wenig wie die Alzheimer Erkrankung durch die experimentelle Übertragung
von Tau-Proteinen kontagiös ist. In Großbritannien haben das zeitgleiche Auftreten mehrerer Faktoren
zum größten Arzneimittelskandal („apocalypse cow“) seit dem Auftreten von Contergan beigetragen,
darunter die Markteinführung der ML mit Ivermectin (1982), die Nichtberücksichtigung der
neurotoxischen Degeneration bei der Zulassung durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA),
die Unterschätzung der Rückstandsproblematik von ML, die verpflichtende Bekämpfung der
Dasselfliege mit Phosmet, die Produktion von Tierkörpermehl ohne Restfettentzug, die Verwendung
von tierischen Fetten in Milchaustauschern sowie die fehlerhafte Interpretation von BSE-Tests. Heute
muss davon ausgegangen werden, dass die Zulassung moderner ML, wie Eprinomectin und
Moxidectin, die Ursache für die atypischen Formen von boviner spongiformer Enzephalopathie und
Scrapie sein könnte.
Die wissenschaftliche Erforschung von TSE mit der Gewichtung auf eine infektiöse Genese, die
Nichtbeachtung alternativer Lösungsansätze sowie das vollständige Übersehen eines Neurotoxins in
der Nahrungskette haben zu einer völligen Fehleinschätzung der tatsächlichen Situation geführt. Die
29 Becker Andreas, MSc Thesis 2010 Interuniversitäres Kolleg Graz/Seggau BSE-Forschung oder genauer gesagt Prion-Forschung läuft mit ihrer erregerzentrischen Ausrichtung
weiter in eine wissenschaftliche Sackgasse mit dem Namen „Protein-only-Hypothese“. Dazu hat die
Verleihung des Nobelpreises an Stanley Prusiner für die Entdeckung des Pathogenitätsmechanismus
„Prion“ genauso beigetragen wie die mit E.coli synthetisch erzeugten Prione und deren erfolgreiche
Übertragung auf Hamster. Die Koch-Henle`schen Postulate zur Anerkennung einer
Infektionskrankheit sind in diesem Fall aber nur erfüllt wenn zur Wiedererzeugung der Krankheit auch
iatrogene Infektionen gezählt und Prione als Organismen betrachtet werden. Mit der Entdeckung des
PrPSc-PrPc-Systems als biologische Funktion der Prione wird die Gültigkeit der „Protein only“Hypothese in Frage gestellt.
Es wird daher vorgeschlagen, die dargestellten Ergebnisse unverzüglich wissenschaftlich zu
überprüfen. Dies bietet die Chance, wertvolle Erkenntnisse auch für andere neurodegenerative
Erkrankungen zu gewinnen, insbesondere für die Alzheimer-Krankheit, das Parkinson-Syndrom und
die amyotrophische Lateralsklerose. Die Entstehung der atypischen Formen von BSE und Scrapie
sowie die vCJK könnten mit einem Anwendungsverbot für ML verhindert werden.
Infektionshypothese versus Intoxikationshypothese – erregerorientierte wissenschaftliche Medizin
versus milieuorientierte komplementäre Medizin: Besser als am Beispiel von BSE können
Unterschiede und Gemeinsamkeiten nicht sichtbar gemacht werden (siehe Abb. 2). Wünschenswert
wäre ein fruchtbarer Dialog hin zu einer integrativen Medizin.
Zur Klärung genügt vorerst ein einfach durchzuführender chronischer Intoxikationsversuch mit ML an
transgenen Mäusen (MDR1-/-), falls die nachträgliche Überprüfung mit BSE-Tests an konservierten
Nervengewebsproben aus Tierversuchen zu ML-Toxizität und MDR1-Defekt nicht mehr möglich ist.
Oder wird die Aufdeckung eines Pharma-Skandals befürchtet, der den Contergan-Skandal bei weitem
übertreffen könnte? Der 5. Leipziger Tierärztekongress wurde großzügig finanziell unterstützt von der
Pharmaindustrie; drei der vier größten Hauptsponsoren vertreiben bzw. stellen ML her, der vierte
Brotizolam.
Im Fachbuch „Prionen und Prionerkrankungen“, in dessen Register die Begriffe „ML, Avermectin,
Ivermectin“ nicht vorkommen, stellen die Herausgeber noch vor die Vorworte und das Geleitwort des
damaligen Gesundheitsministers Horst Seehofer folgende Weisheit von Henri David Thoreau: „Was
hinter uns liegt und was vor uns liegt sind Kleinigkeiten im Vergleich zu dem, was in uns liegt. Wenn
wir das, was in uns liegt, nach außen in die Welt tragen, geschehen Wunder“(Hörnlimann et al., 2001).
Nach außen gebracht habe ich die Intoxikationshypothese vor fast 10 Jahren; warten wir weiter, dass
ein Wunder geschieht.
30 Becker Andreas, MSc Thesis 2010 Interuniversitäres Kolleg Graz/Seggau Abbildung 2
Gegenüberstellung von Intoxikations- und Infektionsweg anhand einer Nobel Preis Illustration
31 Becker Andreas, MSc Thesis 2010 Interuniversitäres Kolleg Graz/Seggau QUELLENVERZEICHNIS
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