Wechsel-Jahre
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Wechsel-Jahre
26 › Fort Schritte Wechsel Jahre Mit 42 Jahren beschließt der EnBW-Elektromeister Matthias Schwach von Stuttgart an die Ostsee zu ziehen. Er will den ersten deutschen Windpark im Meer mitaufbauen. Vier Jahre später steht fest: Er und seine Familie haben die beste Entscheidung ihres Lebens getroffen. D er Blick aus dem offenen Fenster verrät, wie sehr sich das Leben von Matthias Schwach verändert hat. Die Luft riecht nach Kiefern, Laubwald und Küste. Auf den Feldern machen die Wildgänse Rast und in der Dämmerung kommen die Rehe zum Äsen. Fünf Autominuten von dieser Idylle entfernt liegt sein Arbeitsplatz. Direkt an dem kleinen Hafen, von dem die Fischerboote hinaus in die Ostsee ziehen. Nach vier Jahren ist er noch immer überzeugt: „Es war absolut richtig, hierherzukommen.“ Fast 1.000 Kilometer von der schwäbischen Heimat entfernt, haben Schwach und seine Familie ein neues Leben begonnen. Seit 2010 wohnen sie nicht mehr in ihrem Reihenhaus in Leinfelden, sondern an der Küste Vorpommerns. Von dem kleinen Ort Barhöft aus leitet die EnBW den Betrieb ihrer Windkraft in der Ostsee. Der 46-jährige Elektromeister ist dafür verantwortlich, dass die Anlagen korrekt überwacht und gewartet werden. Mit den Jahren wächst die Lust, an einem anderen Ort noch mal ganz neu anzufangen. Arbeiten auf See: Matthias Schwach vor dem Einsatz im Windpark Schwach verstand sehr früh, dass den erneuerbaren Energien die Zukunft gehört. Schon als die EnBW Ende der 90er-Jahre begann, ihren ersten Offshore-Windpark zu planen, horchte er auf. 21 Windräder plus eine Umspannplattform, 16 Kilometer von der Küste entfernt. Das faszinierte ihn. Da wollte er mitmachen. Nicht dass er in Stuttgart unzufrieden gewesen wäre. Seit Jahren fuhr er zu seinem Arbeitsplatz ins EnBW-Gaswerk Gaisburg. › Fort Schritte › Wechsel-Jahre Leben am Meer: winterlicher Traumstrand bei Barhöft Ordentlicher Job, nette Kollegen. „Ich habe mich wohlgefühlt“, sagt er. Aber da war auch die Lust, mit Anfang 40 noch mal was völlig Neues zu machen. Besuchern in Barhöft zeigt Schwach gern die Anlegestege neben dem EnBW-Gebäude. Voran die Insel Bock, daneben Hiddensee, in der Ferne schimmert Rügen. Am vorderen Kai liegt das Schiff der EnBW. Der 20 Meter lange Katamaran bringt ihn und seine Monteure zum Windpark, wenn dort Arbeiten anfallen. Eineinhalb Stunden dauert die Überfahrt. Selbst bei Seegang hüpfen die Männer im bunten Overall und mit Schwimmweste unter fachkundigem Blick des Kapitäns vom Boot zu den Windrädern herüber. „Als Mensch aus dem Süden muss man erst austesten, ob man damit zurechtkommt“, sagt Schwach. Training ist Voraussetzung, um hier zu arbeiten. Schwach hat gelernt, wie man Verletzte von der Anlage birgt und sich im Notfall aus 85 Meter Höhe abseilt. Ohne Zweifel, es ist eine andere Arbeit als im Gaswerk Gaisburg. Vor fünf Jahren entdeckte Schwach dort an seinem Schreibtisch die Stellenausschreibung im Intranet. Für den neuen Windpark EnBW Baltic 1 wurde ein Elektriker gesucht. „Warum nicht?“, antwortete ihm seine Frau Birgit. Vor dem Gespräch mit der Personalabteilung gingen ihm viele Fragen durch den Kopf. Zum Beispiel, ob er mit über 40 zu alt für den Wechsel ist und nur Zuschauer bleiben wird beim Ausbau der erneuerbaren Energien, dieser Neuordnung der Branche, bei der die EnBW vorn dabei ist. Überflüssige Sorgen. Gleich am nächsten Tag kam der Anruf vom Personaler: „Wir würden gern. Sie auch?“ Dass die EnBW ihre Entscheidung im Hinblick auf die erneuerbaren Energien derart zügig trifft und sich die ende in ihrem Leben deshalb so schnell vollziehen W würde, hätten sie damals nicht erwartet, erzählt Birgit Schwach im Rückblick. Sie sitzt in dem hellen Wohnraum ihres schicken Bungalows. Offene Einbauküche, orangefarbene Polsterstühle und ein grünes Sofa. Vor dem Fenster die vorpommersche Boddenlandschaft. Sie habe vor vier Jahren ebenfalls Lust auf Veränderung gehabt, sagt sie, obwohl es ihr auch wehtat, ihre 82-jährige Mutter allein in der Heimat zu lassen. Plötzlich ist die Gelegenheit da und die Familie muss sich sehr schnell entscheiden. Zuerst überlegte Birgit Schwach, noch so lange in Stuttgart zu bleiben, bis die Tochter Dorina mit der Schule fertig ist. Aber dann fügte sich alles so gut. Ihr Arbeitgeber, die Landesbank Baden-Württemberg, baute gerade P ersonal ab. Nach vielen Jahren in der Depotabteilung schien es der richtige Moment für eine Abfindung zu sein. Die Tochter stand vor der Versetzung in die Oberstufe und hatte Lust, das Gymnasium zu wechseln. Das Schulgebäude in Stralsund strahlte zwar immer noch einen leichten Charme von Plaste und Elaste aus, was der Tochter aber egal war. Sie war sich sicher: Das sollte ihre neue Schule werden. Der Abschluss gelang ihr mit Bravour, heute studiert sie Tiermedizin in Leipzig. Ihre Mutter engagierte sich in der Anfangszeit ehrenamtlich beim Roten Kreuz in Stralsund. Die alte Hansestadt mit ihrem Marktplatz, den bunten Dächern und Türmchen mag sie gern. „Das erinnert mich an Tübingen.“ 27 28 › Fort Schritte Schwäbische Seemacht: Auf der MS Achiever fahren die EnBW-Monteure hinaus zu den Windrädern. Seit Sommer geht Birgit Schwach einer eigenen Tätigkeit nach. Sie fährt im Auftrag der EnBW mit Besuchergruppen im Ausflugsschiff aufs Meer hinaus und erläutert ihnen die Windräder von EnBW Baltic 1. Schließlich ist das EnBW-Projekt der erste kommerzielle Offshore-Windpark Deutschlands und damit etwas Besonderes. Gab es für sie Anpassungsprobleme hier oben? Nein! Die 44-Jährige witzelt: Den ersten und einzigen Kulturschock ihres Lebens habe sie viel früher erlitten, damals, als sie von ihrem Heimatort auf der Alb nach Stuttgart gezogen sei. Ihre Geschwister hätten das schon zu dieser Zeit nicht recht verstanden. „Aber sowohl mein Mann als auch ich, wir haben schon immer Dinge gemacht, die andere nicht verstehen“, erzählt sie. Doch jetzt auch noch an die ferne Ostsee? Zunächst gab es Kopfschütteln unter den Verwandten, aber nur bis zum ersten Besuch. „Denen hat es so gut gefallen, dass sie jetzt regelmäßig kommen“, erzählt Matthias Schwach. Und jedes Mal sind sie aufs Neue begeistert von der Gegend. Des isch so schee dahana. Er und seine Frau haben deshalb erweitert. Als der Nachbar sein Dreizimmerhaus verkaufte, griffen sie zu. Wenn keine Freunde oder Verwandte darin wohnen, vermieten sie die 75 Quadratmeter an Touristen. Von hier oben wegzugehen, das können sie sich nicht mehr vorstellen. Auch weil die erneuerbaren Energien bei der EnBW ein Wachstumsbereich sind und Matthias Schwach das Gefühl hat, gebraucht zu werden. Von der Leitwarte in Barhöft überwachen er und sein Team nicht nur EnBW Baltic 1, sondern sie nehmen auch den neuen, viel größeren Windpark EnBW Baltic 2 in Betrieb, der dieses Jahr ans Netz gehen soll. Auf mehr als 20 Monitoren und vier Riesenbildschirmen kontrollieren sie über 365 Tage im Jahr, wo wie viel Strom erzeugt wird, welche Wartungsarbeiten anfallen, wann sie das nächste Mal Monteure hinaus auf See schicken müssen oder ob an einer Windkraftanlage eine Tür nicht verriegelt ist. Der Kulturschock bleibt aus. An der Ostseeküste schlagen die Zugereisten schnell Wurzeln. Barhöft ist so etwas wie der Nabel des Erneuerbaren-Universums der EnBW. „Sämtliche Biogas- und Fotovoltaikanlagen überwachen wir ebenfalls von hier oben“, sagt Schwach. In den nächsten Jahren werde es noch mehr Arbeit geben. Umstrukturierung, Stellenabbau – alles das, was Arbeitnehmer so fürchten, bei der EnBW in Vorpommern sind das Fremdwörter. Hier fehlen sogar Arbeitskräfte. Schwach erzählt, dass es offene Stellen auf der Leitwarte gibt. Wenn EnBW Baltic 2 erst einmal läuft, werde es noch mehr Personalbedarf geben. Monteure mit OffshoreErfahrung seien in der ganzen Branche begehrt, sie müssten sich um ihre berufliche Zukunft kaum sorgen. EnBW Baltic 2 entsteht 32 Kilometer vor der Insel Rügen, doppelt so weit draußen wie EnBW Baltic 1. Am selben Tag hin- und herfahren ist nicht möglich. Wer dort als Mon- › Fort Schritte › Wechsel-Jahre Mittlerweile zahle ich dieselben Fischpreise wie Einheimische.“ Matthias Schwach Bildschirmarbeit: In der Leitwarte Barhöft kontrolliert Matthias Schwach den Windpark. teur arbeitet, wird draußen voraussichtlich auf einem Hotelschiff wohnen, zwei Wochen Schicht, zwei Wochen frei. „Das wäre sogar mit Wohnsitz in Süddeutschland machbar“, sagt Schwach. Falls doch jemand mit der Gegend hier nicht zurechtkommen sollte. Dass man zu den Norddeutschen nur schwer Kontakt findet, hält er für ein Vorurteil. „Das hängt von einem selbst ab.“ Die Leute hier behandeln ihn schon lange nicht mehr als Zugereisten. „Mittlerweile zahle ich sogar dieselben Fischpreise wie die Einheimischen“, sagt Schwach und schmunzelt. Der Spaziergang mit Hunden sei ebenfalls eine Gelegenheit, neue Bekanntschaften zu schließen. Die Familie hat vier Cavalier King Charles Spaniels. Die treuherzig blickenden Schlappohrhunde sind ihr Hobby. Zwei der Tiere brachten sie aus Stuttgart mit, jetzt sind es vier. Auslauf haben sie genug. Hier oben in Vorpommern beschwert sich niemand, wenn sie ohne Leine über die Wiesen toben. Der Wechsel nach Barhöft ist also eine einzige Erfolgsgeschichte? Na ja. Bei aller Liebe für Land und Leute – ein Kritikpunkt wiegt doch schwer: Die Brezeln im Ländle schmecken besser, da ist sich das Paar einig. Doch auch dafür fand sich eine Lösung. Die beiden haben gelernt, selber welche zu backen. Mehr zur Arbeitsumgebung der Schwachs: www.enbw.com/baltic1 und www.enbw.com/baltic2 Entwickler auf Zeit Mitarbeiter sind das wichtigste Kapital eines Unternehmens. Deshalb nutzt die EnBW Erfahrung und Kreativität ihrer Beschäftigten ständig für die Erarbeitung neuer Geschäftsmodelle. Gleich mehrere Konzernprogramme ermöglichen es den Mitarbeitern, für begrenzte Zeit nebenher in einem Entwicklungsteam zu arbeiten. Gemeinsam mit Profis bringen sie in mehreren Monaten die von ihnen vorgeschlagenen Produktideen voran. Erste greifbare Ergebnisse gibt es bereits. Eine Crowdfunding-Plattform (siehe S. 15) sowie eine intelligente Straßenbeleuchtung (siehe S. 23) sind zum Beispiel auf diese Weise entstanden. 29 30 › Fort Schritte Persönlicher Einsatz: Nur gelegentlich schaut der 37-jährige Gauthier beim Training zu. Sein Büro befindet sich gleich neben dem Übungsraum, in dem sich die Dance Company auf ihre Auftritte vorbereitet.