SPIEL MIR VOM TOD „ “

Transcription

SPIEL MIR VOM TOD „ “
PLAY: Death
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SPIEL MIR
DAS SPIEL
VOM TOD
Text: Ruth Fend
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Business Punk
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FOTO: PAUL PACITTI
Beerdigungen könnten so viel schöner sein, wenn die
Leute vorher über ihr Ableben gesprochen hätten.
RE.DESIGNING DEATH will mit diesem Tabu
brechen. Den Auftakt macht: ein Gesellschaftsspiel
m großen Auditorium der
Innovationskonferenz Lift
turnen wieder irgendwelche
Gründer über die Bühne. Zwei oder drei
Typen in den immer gleichen Hoodies, dazu
die immer gleichen Konferenz-Introbeats,
irgendeine neue App, absolut „Aaaaaaawesome“ natürlich. Nur einen Raum weiter,
eine andere Welt: Hier geht es nicht um
Bumbumhey, sondern um Begräbnismusik.
Oder vielmehr die Frage, welchen Song
Yoshiko Kurisaki für die Gäste ihrer Beerdigung wohl aussuchen wird. „Japanische
Folklore“, da ist sich die Runde einig. Kurisaki
schüttelt den Kopf und wundert sich. Das
Japanische könne ihr gestohlen bleiben.
Lediglich „serene“, also ruhig, heiter, soll
es zugehen, wenn sie in die Erde abgesenkt
wird. Und da kein Mitspieler richtiglag,
kriegt eben niemand ihre Karte.
Gespannt beobachten Virginie Gailing
und Lea Gscheidel, wie fünf einander vor
wenigen Minuten noch unbekannte Menschen Fragen nach dem passenden Beerdigungssoundtrack erörtern. Oder was einem
im Alltag die eigene Sterblichkeit deutlicher
vor Augen führt – Fotos verstorbener Verwandter oder Medikamentenbeipackzettel?
Es entbrennen teils wilde, teils humorvolle,
teils nachdenkliche, dabei ziemlich intime
Diskussionen. Und das um ein Thema, über
das sonst selbst enge Freunde und Familien
kaum sprechen: wie man es eigentlich mit
dem Tod und allem drumherum hält.
Genau das ist
Bube, Dame, Sarg
der Sinn des Spiels,
Per Kartenspiel
das die beiden Mittwollen Innovations­
dreißigerinnen entdesignerin Virginie
wickelt haben: GaiGailing (l.) und
ling und Gscheidel
Bestatterin Lea
Gscheidel, hier in
wollen das Tabutheihrer Pop-up-Kabine,
ma Sterben aufknaden Tod enttabu­
cken, das Trauern
isieren. Sie bilden
neu erfinden – und
die Speerspitze der
nebenbei eine der
Re.Designing-Deatherstarrtesten BranBewegung (#redeath)
chen überhaupt aufmischen: die Bestattungsindustrie. „Es ist
ein Abenteuer“, frohlockt Gailing.
Am Anfang des Abenteuers stand für die
Pariserin ein Schock: die Beerdigung ihrer
Patentante 2007: „Sie war eine kultivierte
Frau, hatte Geld, mit der Kirche nichts am
Hut – und dann war das eine Zeremonie
wie im 19. Jahrhundert!“, empört sich Gailing noch heute. Sterbenslangweilig, steif,
unpersönlich.
Gailing arbeitet für die Marketingberatung Point-Blank International in Berlin.
Darin hat sie The Cookery gegründet, eine
Brutstätte für unkonventionelle Ideen. Findet
sie etwas spannend, kritzelt sie das Gehörte
gleich in Form kleiner Cartoons mit einem
Digitalstift in ihr Tablet – darunter diverse Konzepte rund um den Tod. Und doch
schwant ihr: „Die Bestattungsindustrie wird
sich nie ändern.“ Weil Angehörige schnell
handeln müssen, überfordert sind – und
deshalb immer wieder beim Standardpaket
landen. „Für Designer ist das abstoßend“,
wettert Gailing.
„
BESTATTER
WERDEN
SICH NIE
ÄNDERN
“
Also reift in ihr ein Plan. Schon länger
möchte sie einmal selbst etwas neu erfinden, statt immer nur Probleme der Kunden zu lösen. „How to successfully launch
a product in the face of cultural taboos?“
lautete beispielsweise einmal der Auftrag
der Käsestangenmarke Cheestrings. Gailing
entwickelt die Fragestellung weiter: Was,
wenn das Produkt Tod heißt?
Point-Blank-Mitgründerin und Ethnologin Dörte Töllner, Gailing zufolge ein
„empathischer Wissensfreak“ und selbst „sehr
am Sterbeprozess interessiert“, springt sofort
darauf an. Das Projekt bekommt einen Namen:
Re.Designing Death. Eine Kooperation mit
der schottischen Universität Dundee wird
angeschoben. Designethnografie-Studenten
führen Interviews zum Thema – und halten
Ausschau nach Geschäftschancen. „Wir sagten
uns: Wir wollen diesen Wandel herbeiführen,
aber möglichst nicht gratis.“
Lea Gscheidel treiben zur gleichen Zeit
ähnliche Fragen um. Die 33-jährige Fränkin
ist Tochter eines Bestatters. In früheren Leben war der Vater schon Sozialpädagoge,
Astrologe und Magazinverleger. Ins Trauergeschäft stieg er erst ein, als Gscheidel
18 Jahre alt war. Vorausgegangen war der
Tod ihres Großvaters. Da lief das nämlich so
ab: Besuch beim Bestatter, Gespräch, zwei
Stunden später kommt der Vater mit gedruckten Einladungen in frankierten Umschlägen
raus. „Von einem Servicegedanken her war
es richtig geil organisiert. Ein gut designtes
Produkt. Aber das ist nicht das, was dir in
dem Moment hilft“, so Gscheidel. Das habe
„null“ mit ihrem Opa zu tun gehabt.
Bei Charon, dem Bestattungsgeschäft,
das ihr Vater aus dieser Erfahrung heraus
gründete und in das die Tochter eingestiegen ist, läuft es anders ab. Die meisten der
Charon-Kunden überlassen die Feier nicht
einfach einem Priester, sondern sprechen bei
der Zeremonie selbst über den Verstorbenen.
Überproportional viele von denen sind jung.
Im Trauer-Biz heißt das: unter 50.
STERBEN GEHT
NICHT PER APP
Wie Gailing hat sich auch Gscheidel Gedanken gemacht, wie man dafür sorgen könne,
dass der letzte Weg mehr nach dem eigenen
Geschmack ausfällt. Als Erstes denkt sie,
natürlich, an eine App. Ein Programm, in
dem Leute ihre Vorstellungen und Wünsche festhalten können. Aber die digitale
Lösung, stellt sie rasch fest, ist in dieser
existenziellen Frage eben keine.
Erstens: Selbst mit der besten App würde
sich der Prozess anfühlen wie Arbeit, wie das
Ausfüllen von Formularen. Zweitens: „Man
kann seine Wünsche registrieren, hat aber
keinen Machbarkeitscheck“, sagt Gscheidel.
Nicht alle Beerdigungsformen sind legal, ein
Gesetz oder die eigene Situation könne sich
ändern. Drittens: Wenn man nicht vorher
darüber spricht, stehen die Angehörigen
beim Auffinden der Wünsche einer wahren
Informationsexplosion gegenüber. „Sie haben
keine Chance mehr, darauf zu reagieren und
den Verstorbenen zu fragen, warum er etwas
will oder ob es nicht vielleicht einen dritten
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PLAY: Death
„ICH FINDE
DEN TOD
SO CREEPY
WIE ALLE
ANDEREN“
Grabstein? Baum!
Jetzt, Dann,
Jenseits,
Dazwischen
Die vier Karten­
kategorien von
„Death – A Con­
versation Game“
legen nahe, dass
das Leben nur
ein Stadium von
vielen ist
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Vom
Tod lernen
Als Designerin
ist Virginie
Gailing gewohnt,
sämtliche Infos
zu visualisieren.
Mit Anthro­
pologin Inga
Treitler hat sie
die Ergebnisse
der Studenten­
recherchen zum
Umgang mit
dem Tod in die
Comic-Reihe
„Learnings from
Death“ (u. l. und
o. r.) verarbeitet
FOTOS: PAUL PACITTI , INFOCAPSULA
Weg gibt, mit dem sich alle wohlfühlen.“ Ihr Fazit: „Eine App würde das
eigentliche Problem nicht angehen:
dass wir eben nicht darüber reden.“
Gscheidel und Gailing reden sehr viel darüber, als
sie sich auf der Berlin Design Week 2014 das erste Mal
treffen. Irgendwann kommen sie zum Schluss: Die Sprachlosigkeit lässt sich am besten mit einem ganz analogen
Gesellschaftsspiel überwinden. Sie taufen es „Death – A
Conversation Game“. Dafür braucht es nur einen Tisch,
um den sich Familie oder Freunde versammeln. Und 64
blau-weiße Karten mit Fragen aus vier Kategorien: „Then“
(die Zeit nach der Beerdigung), „Now“ (das Leben vor
dem Tod), „In Between“ (zwischen Tod und Beerdigung)
und „Beyond“ (die Metaebene, Fragen wie „Was ist der
Sinn des Lebens?“ eingeschlossen).
Die Regeln sind simpel: Spieler A zieht eine Karte,
etwa: „Was am Tod macht mir am meisten Angst?“ Jeder
Einzelne muss raten, wie A wohl darüber denkt, und notiert
die Antwort. Dann werden alle Antworten vorgelesen. Wer
am nächsten an As Vorstellung lag, gewinnt die Karte, und
der Nächste ist dran. Eine denkbar schlichte Mechanik,
aber eine effektive: Nach jedem Kärtchen haben alle sehr
schnell sehr viel über den anderen gelernt. Oder sich
selbst zum ersten Mal Gedanken über die Frage gemacht.
„Jede Gruppe hat eine ganz besondere Dynamik“, sagt
Gailing. Ein Architekt habe plötzlich unvermittelt gerufen, er müsse jetzt seine Mutter anrufen. Hier, bei der
Lift-Konferenz in Genf, geht es an einem ausschließlich
mit Franzosen und Westschweizern besetzten Tisch
bierernst und philosophisch zu. Die Mitspieler der Japanerin Yoshiko Kurisaki hingegen witzeln und wetteifern,
wer die meisten Karten einheimst – mit eigenartigen
Nebenwirkungen: „Oh Mann, irgendwie mag ich euch
plötzlich alle so!“, platzt es aus einer Mitspielerin nach
zwei Runden heraus. Alle lachen, als die Deutsche die
Frage auflöst, was mit ihren Social-Media-Profilen nach
dem Tod passieren soll: „I don’t care.“
Mit rund 100 Leuten haben Gailing und Gscheidel
ihren Spielprototyp nun getestet. Für die Konferenz wurde
dazu extra eine Installation aufgebaut: eine Pop-up-Kabine,
die wie ein großmütterliches Wohnzimmer eingerichtet
ist. Immer wieder tapsen Neugierige hinein. Viele erst
scheu – und können dann kaum aufhören, weitere Karten
zu ziehen und sich mit Wildfremden über ihr Innerstes
auszutauschen, als wäre nichts dabei.
„Als wir nach provokanten Vokabeln für das Thema
gesucht haben“, sagt Gscheidel, „meinte jemand: ‚normal‘.“
Ihr Spiel setzt darum nicht auf morbide Faszination. Damit
könne sie ohnehin nichts anfangen. Sterben finde sie „so
creepy wie alle anderen“. Aber dass sie sich permanent
damit beschäftigt, habe ihr Verhältnis zum Leben verändert. „Es hat eine klärende Wirkung und hilft mir, bessere
Entscheidungen zu treffen“, sagt Gscheidel. „Damit Neues
entstehen kann, muss etwas Altes verschwinden“, sagt
sie lachend. Die Ewigkeit ist der größte Innovationskiller.
DER TOD UND DER RATENKREDIT
Aus Gesprächen mit Kunden weiß Gailing, dass ein entkrampfter Umgang mit dem Thema Tod auch für Unternehmen verheißungsvoll ist. Denn es kriecht ja doch
immer wieder in den Berufsalltag – aber niemand traut
sich, es anzufassen. Nicht einmal Lebensversicherern fällt
es leicht, den Ernstfall klar mit Kunden durchzudeklinieren. Von Bankern, die eine Hypothek aufs Eigenheim
vermitteln („Und was passiert im Todesfall?“) ganz zu
schweigen. Deshalb fragt Gailing sich auch: „Wie können
wir Bankern helfen, über den Tod zu sprechen?“ Denn
Point-Blank will mit Re.Designing Death ja auch irgendwann Geld verdienen. „Wenn sie erst einmal untereinander
in Workshops spielen, würden sie sich mit dem Thema
schon wohler fühlen“, sagt Gscheidel. „Das könnte sich
dann auf den Kunden übertragen.“
Die Bestatterin hat neben Anregungen für den Fragenkatalog des Spiels auch noch jede Menge Infos über den
Die italienischen
Designer Anna Ci­tel­li
und Raoul Bretzel haben als Sargersatz die
Capsula Mundi entwickelt: eine eiförmige,
biologisch abbaubare
Schale, über die ein
Baum gepflanzt wird.
Die Leiche liegt wie
ein Embryo und dient
als Nährstoffquelle.
Aus Friedhöfen voll
toter Steine sollen
lebendige Wälder
werden – wenn eines
Tages die italienischen Gesetzgeber
mitspielen
Ablauf des Bestattungsprozederes geliefert. Für Re.death
zeichnete Gailing daraus eine riesige Cartoon-Infografik
– und erkennt, dass eine Feuerbestattung doch nicht die
von ihr angestrebte ökologisch verträglichste Option ist.
„Na ja, das setzt halt sehr viele CO2-Emissionen frei“,
sagt Gscheidel. „Vielleicht wäre alkalische Hy­dro­lyse was
für dich.“ Alkalische was? Gscheidel: „Der Körper wird
in einer starken Lauge aufgelöst – das ist in Deutschland allerdings noch nicht erlaubt.“ „Hm, ich mag auch
die Vorstellung von Urban Gardening. Dass die Kräuter
noch was von meinem Körper haben. Aber dafür muss
man sehr flach verbuddelt sein, oder nicht?“, überlegt
Gailing weiter. „Tiefer unten haben immerhin Bäume
was davon“, doziert Gscheidel. „Dann dauert nur die
Verwesung länger.“
Für die Gestaltung einer Trauerfeier rät Gscheidel
übrigens, sich zu überlegen, wie eine Geburtstagsfeier
für den Verstorbenen aussehen würde – ein stinknormales Familienfest. Das trifft sich für Gailing: Auf ihrer
To-do-Liste steht immer noch, endlich einmal „Death“
mit der Familie zu spielen. „Morgen hat meine Schwester Geburtstag, da kommen alle zusammen.“ Dass der
Vorschlag, ausgerechnet am Geburtstag die Beerdigung
durchzuspielen, die Verwandten irritieren könnte, fürchtet
Gailing nicht: Ihre Schwester ist schließlich die Architektin der Pop-up-Kabine.
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