Mediation warum - Universität Siegen

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Mediation warum - Universität Siegen
Über die Notwendigkeit, sich mit Mediation, Konfliktlösung, außergerichtlicher Streitschlichtung und
Verhandlungsmanagement zu beschäftigen
(vgl. mein Aufsatz in der IURRATIO, Ausgabe 3/2013, S. 116 ff.)
Rechtsanwalt Karl Ehler, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Mediator (ADR/Program on Negotiation at Harvard
Law School), Lehrbeauftragter für Mediation, Konfliktlösung, Streitschlichtung und Verhandlungsmanagement an der Universität Siegen und der FH Schmalkalden
Berufsbilder im Wandel machen nicht bei Naturwissenschaftlern und Ingenieuren halt, sondern betreffen
natürlich und gerade auch Juristen.1 Fachwissen allein wird in der Zukunft nicht ausreichen, für den
Berufsalltag gerüstet zu sein.2 Neben dem juristischen Handwerkszeug des normorientierten
Subsumierens wird die Bewältigung von Streitigkeiten und Konflikten über den Streitgegenstand hinaus
immer bedeutsamer. Denn neben dem gerichtlichen und dem schiedsgerichtlichen Verfahren haben sich
in den letzten Jahren Dank Mediation, außergerichtlicher Streitschlichtung und dem Verhandlungsmanagement3 verschiedene Verfahrensweisen und Methoden herausgebildet und entwickeln sich weiter 4,
mit deren Hilfe Streitigkeiten und Konflikte unterschiedlich teuer, unterschiedlich schnell, unterschiedlich
beziehungswahrend und damit unterschiedlich effektiv in Qualität und Quantität gelöst werden können.
I. Anekdote über Churchill zur Einleitung
Um Winston Churchill, der unter anderem für seine Sprachgewalt bekannt ist, ranken sich viele
Anekdoten. Eine davon lautet wie folgt: Lady Nancy Astor hatte einen Disput mit Churchill, der für
Frauenrechte nicht viel übrig gehabt haben soll.5 Im Verlauf der verbalen Gefechte soll Lady Astor zu
Winston Churchill gesagt haben: „Wenn ich mit Ihnen verheiratet wäre, würde ich Ihnen morgens beim
Frühstück Gift in den Kaffee schütten.“ Worauf Churchill erwidert haben soll: „Und wenn ich mit Ihnen
verheiratet wäre – ich würde ihn trinken.“6
Das ist sicherlich schlagfertig. Was diese Form des Umganges aber in Verhandlungen bewirken würde,
kann man sich lebhaft vorstellen; Einigungshindernisse werden dadurch „eher nicht beseitigt“ - die
Beziehung kaum entlastet.
II. Warum sich mit Mediation beschäftigen?
1. Aspekt: Ausbildungsinhalt von Juristen
Aufgrund der Änderungen im Deutschen Richtergesetz, und zwar dessen § 5a Abs. 3 S. 1 DRiG, der
Schlüsselqualifikationen, insbesondere die Streitschlichtung, die Mediation und das Verhandlungsmanagement ausdrücklich zum Gegenstand der Ausbildung macht, haben die Länder ihre Ausbildungsordnungen für Juristen entsprechend angepasst.
Alle Landesregelungen zur Juristenausbildung verweisen auf § 5a Abs. 3 S. 1 DRiG (wie z. B. Thüringen
durch § 8 ThürJAG7 i. V. m. § 1 Abs. 5 ThürJAPO8) oder übernehmen teilweise wörtlich (wie z. B. das
Wellmann/Kraus/Kampherm, in: PricewaterhouseCoopers/Europa-Universität Viadrina (Hrsg.), Praxis
des Konfliktmanagements deutscher Unternehmer“, 2007, S. 9, 25 f.
2 „Ein Jurist der nicht mehr ist, denn ein Jurist, ist ein arm Ding“ (Martin Luther).
3 Fisher/Ury/Patton, Das Harvard-Konzept, 24. Auflage 2013.
4 Ehler, Vom nachlassgerichtlichen Vermittlungsverfahren zum Konsiliarverfahren bei der
Auseinandersetzung von Erbengemeinschaften, 2013, S. 96 ff.
5 Zum Teufel alle miteinander – Anekdoten über Churchill, S. 30.
6 Zum Teufel alle miteinander – Anekdoten über Churchill, S. 30; Rolf Miller, „Kein Grund zur
Veranlassung“, Bühnenprogramm 2007.
7 Thüringer Gesetz über die juristischen Staatsprüfungen und den juristischen Vorbereitungsdienst i. d. F.
v. 28.01.2003 (GVBl. §. 33).
8 Thüringer Juristenausbildungs- und prüfungsordnung i. d. F. vom 24.02.2004 (GVBl. S. 217)
1
RA/FAfArbR Karl Ehler, Mediator (ADR), Lehrbeauftragter
Stand 11/2013
Juristenausbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen9 in dessen § 7 Abs. 2 JAG) die Norm des § 5a Abs. 3 S. 1
DRiG: „Die Inhalte des Studiums berücksichtigen die rechtsprechende, verwaltende und rechtsberatende
Praxis einschließlich der hierfür erforderlichen Schlüsselqualifikationen wie Verhandlungsmanagement,
Gesprächsführung, Rhetorik, Streitschlichtung, Mediation, Vernehmungslehre und Kommunikationsfähigkeit.“
Für den Rechtsanwalt gilt, dass er als unabhängiger Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten
unter anderem seine Mandanten vor Rechtsverlusten zu schützen, rechtsgestaltend, konfliktvermeidend
und streitschlichtend zu begleiten hat (§ 1 Abs. 3 der Berufsordnung für Rechtsanwälte).
Je größer der Anteil der späteren Tätigkeit im beratenden und gestaltenden Bereich sein wird, desto
wichtiger und unerlässlicher werden die Themen Mediation, Konfliktlösung, außergerichtliche
Streitschlichtung und Verhandlungsmanagement.
Jeder verhandelt jeden Tag über mehr oder weniger wichtige Gegenstände 10; in der Berufs-, Arbeits- und
Geschäftswelt gehört erfolgreiches Verhandeln zu den größten Herausforderungen. Trotzdem
beschäftigen sich nur sehr wenige mit dem, wie man eigentlich verhandelt.11 Verhandlungskompetenz fällt
einem nicht zu; vielmehr muss man sich diese erarbeiten – theoretisch wie praktisch.
Verhandeln beschränkt sich dabei nicht auf Methoden, um den Gesprächspartner von der eigenen
Auffassung zu überzeugen oder den eigenen Standpunkt argumentativ vertreten zu können. Dies ist eher
Gegenstand der Rhetorik. „Eine Verhandlung ist kein Streitgespräch. Verhandeln ist vielmehr ein
komplexes Zusammenwirken von Informationen, Vorschlägen, Bewertungen und Alternativen im Hinblick
auf eine mögliche Einigung zwischen den Beteiligten“.12 Verhandlungen „bestehen aus einer komplexen
Abfolge einzelner Entscheidungsschritte der Verhandlungspartner“. 13
„Verhandlungsmanagement bedeutet, moderne Erkenntnisse der interdisziplinären Verhandlungsforschung dazu einzusetzen, beim Verhandeln bessere Ergebnisse zu erzielen.“ 14 Oftmals geht es aber
auch darum, überhaupt ein Ergebnis zu erzielen und Gespräche (und Beziehungen) nicht abbrechen zu
lassen. Das wesentliche Element von Verhandlungen ist die Ergebnis- bzw. Entscheidungsfindung.15
„Verhandlungsmanagement soll es ermöglichen, auf Basis einer tiefen Einsicht in das Geschehen
reflektiert und authentisch zu handeln.“ 16 „Verhandeln wird als eine Art der Findung einer Entscheidung
verstanden.“17 „Das Element der Entscheidungsfindung, die Gestaltung der Zukunft unterscheidet
Verhandlungen von anderen, verwandten Kommunikationsformen.“18 Mit diesen drei Zitaten wird
punktgenau formuliert, was Verhandeln bzw. Verhandlungsmanagement im Kern bedeutet: handeln,
gestalten, entscheiden.
Konfliktmanagement, Streitschlichtung und Verhandlungsmanagement werden damit auf einfache Weise
in ihrem vernetzten Zusammenhang deutlich. Diese Fähigkeit zu verhandeln, ist nicht angeboren, sondern
erworben19 (Verhandlungskompetenz). Wer verhandelt, der gestaltet. Mit der Entscheidung, welche
I. d. F. vom 11.03.2003.
Fisher/Ury/Patton, Das Harvard-Konzept, 24. Auflage 2013, S. 23.
11 Vgl. Voeth/Herbst, Verhandlungsmanagement, 2009, S. 30.
12 Bühring-Uhle/Eidenmüller/Nelle, Verhandlungsmanagement, 2009, S. 4.
13 Gamm, Verhandlungen gewinnt man im Kopf, 2009, S. 20.
14 Bühring-Uhle/Eidenmüller/Nelle, Verhandlungsmanagement, 2009, S. 1.
15 Bazerman/Mannix/Thompson, Groups as mixed-motive negotiations, in: Advances in Group Processes,
1988, p. 195-216; Davis/Laughlin/Komorita, The social psychology of small groups: Cooperative and
mixed-motive interaction, in: Annual Review of Psychology, Volume 27, 1976, p 501-541; Johnson,
Negotiation Basics, Concepts, Skills, and Experiences, 1993.
16 Bühring-Uhle/Eidenmüller/Nelle, Verhandlungsmanagement, 2009, S. 3.
17 Bühring-Uhle/Eidenmüller/Nelle, Verhandlungsmanagement, 2009, S. 23.
18 Bühring-Uhle/Eidenmüller/Nelle, Verhandlungsmanagement, 2009, S. 5.
19 Ponschab/Schweizer, Schlüsselqualifikationen, 2008, S. 147 mit Hinweis auf Haft, Verhandeln, die
Alternative zum Rechtsstreit, 1992.
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RA/FAfArbR Karl Ehler, Mediator (ADR), Lehrbeauftragter
Stand 11/2013
Ergebnisse konsensfähig sind und welche nicht, wird unmittelbar Einfluss genommen. Die Möglichkeit der
Einflussnahme zur Gestaltung muss aber auch genutzt werden können, um ergebnis- und zielorientiert
eigene Interessen umsetzen zu können (Gestaltungskompetenz).
Das Handeln liegt bereits im Begriff „VerHANDLUNGsmanagement“ und muss nicht weiter erläutert
werden. Die Fähigkeit zu handeln ist offensichtlich eine Komponente des Verhandlungsmanagements
(Handlungskompetenz).
Der wesentliche Kern des Verhandlungsmanagements, in dem sowohl die Handlungs- als auch die
Gestaltungskompetenz aufgehen, ist die Fähigkeit, Entscheidungen mit möglichst hoher Ergebnisqualität
treffen zu können (Entscheidungskompetenz).
Der Anwendungs- und Nutzungsbereich wird dabei durch zwei Funktionen 20 formuliert: Deal-Making
(Verträge zu einem Abschluss zu bringen) und Conflict Resolution (Beilegung von Konflikten).
Fakt ist, dass Schlüsselqualifikationen, insbesondere Gesprächsführung, Konflikt- und Verhandlungsmanagement Themen des Hier und Heute und noch mehr der Zukunft sind. In jedem Gespräch, das man
führt, in jedem Konflikt, den man austragen muss, in jeder Verhandlung, an der man beteiligt ist, sind
diese Fähigkeiten und Kenntnisse wichtig, sind Schlüsselqualifikationen gefragt und entscheiden über den
Ausgang der einzelnen konkreten Situationen.
Dies lässt sich am Beispiel der Unternehmensnachfolge kurz darstellen. Handwerksbetriebe, Familienunternehmen und kleine bzw. mittelständische Unternehmen sind wesentlich davon geprägt, dass die
persönliche Identifikation mit dem Unternehmen sehr hoch ist, bzw. das Unternehmen oft an die nächste
Familiengeneration weitergegeben wird. Zahlen, Fakten, Rechtsformen, Businesspläne sind natürlich sehr
wichtig und Teil von Prüfung und Beratung. Die Welt der Unternehmensnachfolge wird wesentlich von
Zahlen geprägt - allerdings nicht ausschließlich. Gerade in Familienunternehmen lassen sich
wirtschaftlich-technische Rahmenbedingungen nicht von der familiären, persönlichen, menschlichen
Beziehungsebene trennen.21
Auch wenn das Unternehmen, aus welchen Gründen auch immer, nicht an die „Next Generation“
weitergegeben wird, werden Aspekte und Kriterien außerhalb der sachlich-rationalen Ebene bei der
Entscheidung über die Übertragung eine maßgebliche Rolle spielen.
2.
Aspekt:
Mediation,
Konfliktlösung
und
Verhandlungsmanagement
sind
mehr
als
Schlüsselqualifikationen
a. Verfahrensmanagement
Mediation, Konfliktlösung und Verhandlungsmanagement - wie es der Gesetzgeber in § 5a Abs. 3 S. 1 DRiG
getan hat - als Schlüsselqualifikationen einzuordnen, ist vor diesem Hintergrund aber nur bedingt richtig;
denn es geht dabei um wesentlich mehr: es geht darum, auf Streitigkeiten und Konflikte dasjenige
Verfahren und diejenigen Methoden anzuwenden, die ganzheitlich, effektiv, ressourcensparend,
kostengünstig und vor allem auch die Beziehung wahrend eine Lösung bewirken können. Dem Prozess,
innerhalb dessen ein Konflikt gelöst bzw. ein Streit geschlichtet wird, fällt damit eine große,
entscheidende Funktion zu.22 So ist im Verständnis um eine umfassende und nachhaltige Streitschlichtung
bzw. Konfliktlösung (ADR = alternative/appropriate dispute resolution 23) die Strukturierung des
Wermke, Mediation – Mit den wesentlichen Textstellen des MediationsG und Erläuterungen, 1. Auflage
2012, S. 22.
21 Vgl. Ehler, Familienrecht – Wie subsumiert man eigentlich Emotionen, FPR 11/2013, S. 500 ff. (FamiliePartnerschaft-Recht, interdisziplinäres Fachjournal, C. H. Beck Verlag).
22 Ehler, Vom nachlassgerichtlichen Vermittlungsverfahren zum Konsiliarverfahren bei der
Auseinandersetzung von Erbengemeinschaften, 2013.
23 Unter Praktikern steht das Akronym ADR auch für avoiding disastrous results.
20
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RA/FAfArbR Karl Ehler, Mediator (ADR), Lehrbeauftragter
Stand 11/2013
Verfahrens (Verfahrensmanagement) eines der wesentlichen Aufgaben bei der Konfliktlösung, wobei die
flexible Anwendung von ganz unterschiedlichen Konfliktlösungsverfahren und einzelnen Strukturmerkmalen die Möglichkeit und damit die Wahrscheinlichkeit erhöht, zu einer Lösung des Konfliktes zu
kommen.24
Dabei sei an dieser Stelle bereits auf einen der großen Irrtümer über Mediation hingewiesen. Denn es gibt
nicht nur ein einziges Verfahren zur Streitschlichtung und Konfliktlösung; das Mediationsverfahren ist nur
eines von vielen Verfahren und Methoden der ADR; daneben gibt es eine Vielzahl von Konfliktlösungsund Streitschlichtungsverfahren, deren gezielte Anwendung und gezielte Mischung gute Chancen haben,
eine außergerichtlichen Lösung eines Konfliktes oder Streites zu befördern, sofern der ernsthafte,
wirkliche Wille für eine Klärung vorhanden ist 25. Leider beschränkt sich das vermittelte Wissen
üblicherweise auf das Mediationsverfahren. Gegenstand muss aber die ADR mit ihren unterschiedlichen
Methoden und Verfahren sein.
Die Vielzahl vorhandener und sich weiter entwickelnder Verfahrensweisen ist die logische Konsequenz
aus dem Bemühen, für die Parteien und deren Konflikt flexible und effektive Verfahren zur
Konfliktbewältigung zur Verfügung zu stellen.26 Das Mediationsverfahren ist nur ein Verfahren der ADR.
ADR beschreibt als „Sammelbegriff“27 („umbrella term“) die Konfliktlösung bzw. Streitschlichtung
außerhalb gerichtlicher Entscheidungsmacht.
Durch die Nutzung einer Vielzahl an außergerichtlichen Konfliktlösungsverfahren wird ein maximales
Maß an Flexibilität und individualisiertem Verfahrens- und Methodenzuschnitt geleistet. Man muss sich
also bewusst machen, dass die ADR nicht jeweils ein einziges Verfahren für einen bestimmten Konflikt
oder Streit vorhält (keine Schubladenmethodik); vielmehr wird man zunächst die Konflikt- bzw.
Streitsituation analysieren, um dann ein Verfahren auszuwählen, welches dazu passt. Da man zu Beginn
der Verhandlungen aber noch nicht alle Aspekte kennt, sondern diese oft erst während der Gespräche
herausgearbeitet werden müssen, muss immer wieder geprüft werden, ob nicht mit einer anderen
Verfahrensstruktur fortzusetzen ist bzw. Abschnitte, Aspekte oder Elemente anderer ADR-Verfahren
integriert oder ausgewechselt werden können, um die Kommunikation 28, die Konfliktgespräche bzw. die
Verhandlungen besser voranzubringen (Verfahrensmanagement29).
Im Zusammenhang mit dem sog. Grünbuch über alternative Verfahren der Kommission Europäischen
Gemeinschaften30 wurde als Ergebnis einer Anhörung vom 21. Februar 2003 zur ADR festgehalten, dass
die Kommission mit verschiedenen Vertretern und Repräsentanten u. a. der Mediationsverbände, einen
"European Code of Conduct for Mediators", also einen Verhaltenskodex für Mediatoren entwerfen sollte,
während sich die Kommission gleichzeitig vornahm, einen Richtlinienvorschlag für die Durchführung von
Mediation vorzulegen.
Auf diese sog. europäische Mediationsrichtlinie wurde bereits hingewiesen. Unter Ziffer 3.1 des European
Code of Conduct for Mediators ist zu lesen: „Der Mediator leitet das Verfahren in angemessener Weise und
24Ehler,
Vom nachlassgerichtlichen Vermittlungsverfahren zum Konsiliarverfahren bei der
Auseinandersetzung von Erbengemeinschaften, 2013; Ehler, BB 2010, 702, 703 f.; Ehler, RAK Thüringen
01/2011, S. 11 f.
25 Ehler, BB 2010, 702, 704; s. a. Eberl-Borges, ZErb 2010, 255 ff.
26 Risse, Mediation und Recht, Beilage 2 zu BB Heft 16/2001, S. 16; Alexander/Ade/Olbrisch, Mediation,
Schlichtung, Verhandlungsmanagement, 2005, S. 5 ff.
27 Duve, Alternative Dispute Resolution (ADR) – die außergerichtliche Streitbeilegung in den USA,
Betriebs-Berater Beilage 10 „Mediation & Recht“ vom 01.10.1998, S. 9.
28 S. z. B. FPR 11/2013 mit Themenschwerpunkt Kommunikation im familiengerichtlichen Verfahren.
29 29Ehler, Vom nachlassgerichtlichen Vermittlungsverfahren zum Konsiliarverfahren bei der
Auseinandersetzung von Erbengemeinschaften, 2013, insbes. S. 88 ff. und S. 167 ff.
30 KOM(2002) vom 19.04.2002.
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RA/FAfArbR Karl Ehler, Mediator (ADR), Lehrbeauftragter
Stand 11/2013
berücksichtigt die jeweiligen Umstände des Falls, einschließlich einer ungleichen Machtverteilung und des
Rechtsstaatsprinzips, eventueller Wünsche der Parteien und der Notwendigkeit einer raschen
Streitbeilegung. Die Parteien können unter Bezugnahme auf vorhandene Regeln oder anderweitig mit dem
Mediator das Verfahren vereinbaren, nach dem die Mediation vorgenommen werden soll.“
Wenn also das Verfahren vereinbart werden soll, nach dem die außergerichtliche Streitschlichtung
durchgeführt werden kann, dann spricht auch dies dafür, dass neben dem Mediationsverfahren auch
andere, sprich die ADR-Verfahren, eingesetzt werden sollen. Flexibilität gehört damit zum tragenden
Prinzip des Verfahrensmanagements. Es können sich demnach unterschiedliche Verfahren oder
Verfahrensbausteine ergeben, die auf die Konfliktsituationen und –parteien angepasst werden müssen.
Dabei sei unmissverständlich deutlich gemacht, dass das Ziel des Einsatzes von neuen Formen der
Konfliktlösung (ADR) nicht darin besteht, traditionelle Verfahren wie z. B. das Gerichtsverfahren, zu
ersetzen. Es ist insgesamt deutlich zu machen, dass weder das Gerichtsverfahren noch die Mediation oder
andere Verfahren der außergerichtlichen Streitschlichtung (ADR) per se „besser“ sind als andere
Verfahren. Insgesamt geht es darum zu prüfen, welches Verfahren unter Berücksichtigung aller Umstände,
des Konfliktstoffes und der Konfliktbeteiligten die meisten Vorteile bietet, eine Lösung der
Konfliktsituation für den Mandanten (bzw. die Konfliktbeteiligten) beziehungswahrend, dauerhaft,
ressourcensparend, effektiv, schnell und kostengünstig erreichen zu können. Dabei soll ein
hinzugezogener „Mediator“, insbesondere ein in der ADR erfahrener Konfliktmittler oder Dritter
unterstützen. Wer hier gewissenhaft prüft, wird feststellen, dass die außergerichtliche Konfliktlösung in
einer Vielzahl von Fällen die bessere Auswahl darstellt31 (vgl. § 253 Abs. 3 Ziffer 1 ZPO, § 23 Abs. 1 S. 3
FamFG)
b. Wertschöpfung
Wendet man also die effektiven Verfahren und Methoden an und erhöht dadurch die Chance für eine
Einigung bzw. Erledigung, so könnte man die Suche nach Lösungen hin zu sog. Win-Win-Situations nutzen,
um gemeinsam bessere Ergebnisse zu erarbeiten als im ressourcen- und kräfteraubenden Gegeneinander.
Dadurch besteht die Chance, Ergebnisse qualitativ und quantitativ weiter zu verbessern. Es geht also nicht
nur um Methodik, Dogmatik und Effektivität, sondern auch um Verbesserung der Ergebnisqualität - es
geht somit auch um Wertschöpfung.
c. Handlungskompetenz
Um den beruflichen Herausforderungen gerade in leitenden Positionen gerecht werden zu können, soll die
fachliche Qualifikation um soziale und methodische Kompetenzen ergänzt werden. Durch das Vernetzen
von fachlicher, sozialer und methodischer Kompetenz soll die eigentliche Handlungskompetenz
entstehen.32
3. Aspekt: Widerspruch von Anwendungshäufigkeit und Ergebnisqualität
Eine Studie der Universität Viadrina (Frankfurt/Oder) hat einen interessanten Aspekt deutlich werden
lassen, nämlich dass Gerichtsverfahren im Vergleich zur Mediation zwar als nachteilig empfunden werden
(gerade im Hinblick auf Kosten und Grad der Einflussnahme auf das Ergebnis) und die Mediation
demgegenüber als positiv gewertet wird, dennoch wird in der Realität viel häufiger das Gericht bemüht
31 31Ehler,
Vom nachlassgerichtlichen Vermittlungsverfahren zum Konsiliarverfahren bei der
Auseinandersetzung von Erbengemeinschaften, 2013, S. 167 ff.; Ehler, BB 2010 702 ff.; Ehler, RAK
Thüringen 01/2011, S. 11 f.; Ehler, RAK Thüringen, 02/2012, S. 21.
32 Faix/Laier, Soziale Kompetenz, 1991, S. 37; vgl. Trenczek/Berning/Lenz (Hrsg.)-Mayer, Mediation und
Konfliktmanagement, 1. Auflage 2013, S. 87.
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RA/FAfArbR Karl Ehler, Mediator (ADR), Lehrbeauftragter
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als der Mediator33. Anwendungshäufigkeit und Ergebnisqualität fallen weit auseinander. Dieser äußerst
auffällige Widerspruch muss aufgelöst werden! 34
4. Aspekt: BVerfG vom 14.02.2007
In einer Entscheidung vom 14.02.2007 – 1 BvR 1351/0135 hat das Bundesverfassungsgericht deutlich
gemacht, dass die Mediation bzw. Verfahren der außergerichtlichen Streitbeilegung als probate und
verfassungsgemäße Mittel zur Beschleunigung der Konfliktlösung, Förderung des Rechtsfriedens und
Entlastung der Gerichte anerkannt werden.
In dem Urteil ging es um die Verfassungsmäßigkeit der in § 10 Gütestellen- und Schlichtungsgesetz des
Landes Nordrhein-Westfalen (i. V. m. § 15 a EGZPO) vorgesehenen Verpflichtung zur Durchführung eines
außergerichtlichen Schlichtungsverfahrens bevor staatliche Gerichte in Anspruch genommen werden
können. Zitat aus dem Urteil des BVerfG: „Der möglichen Beeinträchtigung stehen hinreichende Vorteile für
die Rechtsuchenden gegenüber. Im Erfolgsfalle führt die außergerichtliche Streitschlichtung dazu, dass eine
Inanspruchnahme der staatlichen Gerichte wegen der schon erreichten Einigung entfällt, so dass die
Streitschlichtung für die Betroffenen kostengünstiger und vielfach wohl auch schneller erfolgen kann als eine
gerichtliche Auseinandersetzung. Führt sie zu Lösungen, die in der Rechtsordnung so nicht vorgesehen sind,
die von den Betroffenen aber - wie ihr Konsens zeigt - als gerecht empfunden werden, dann deutet auch dies
auf eine befriedende Bewältigung des Konflikts hin. Eine zunächst streitige Problemlage durch eine
einverständliche Lösung zu bewältigen, ist auch in einem Rechtsstaat grundsätzlich vorzugswürdig
gegenüber einer richterlichen Streitentscheidung.“
5. Aspekt: Bereits in Kraft befindliche gesetzliche Regelungen des Hier und Heute
Es existiert bereits eine Vielzahl von Rechtsnormen, die eine „Verhandlung mit dem Ziel einer Einigung“
vorsehen.
Auf nur eine sehr wichtige Regelung, deren gesetzgeberischen Inhalt man sich bewusst machen sollte und
den es schon seit Jahrzehnten gibt, sei hingewiesen: § 74 Abs. 1 S. 2 BetrVG: „Sie (Arbeitgeber und
Betriebsrat) haben über strittige Fragen mit dem ernsten Willen zur Einigung zu verhandeln und
Vorschläge für die Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zu machen.“ 36
6. Aspekt: Einfache und qualifizierte Mediationsklauseln in Verträgen
In die Vertragsgestaltung werden zunehmend sog. Mediationsklauseln37 aufgenommen. Mit deren Hilfe
wird in einfacher oder komplexer Form einvernehmlich formuliert, wie im Falle von Meinungsverschiedenheiten, Konflikten oder Streitigkeiten damit umgegangen werden soll. Verfahrensmanagement
im
oben
beschriebenen
Sinne
wird
damit
zum
wesentlichen
Element
einer
effektiven
Vertragsdurchführung; gleichzeitig wird die Zusammenarbeit der Vertragspartner auch bei „Störfällen“
effektiv und beziehungswahrend gestaltet und geregelt sowie eine belastbare Geschäfts- und
Kundenbeziehung für die Zukunft erhalten oder aufgebaut.
So das Ergebnis einer Studie aus dem Jahr 2005 der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) in
Zusammenarbeit mit PricewaterhouseCoopers.
34 S. a. die Nachfolgestudie der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) in Zusammenarbeit mit
PricewaterhouseCoopers aus dem Jahr 2007, welche leider lediglich auf einer Datenbasis von nur 17
befragten Unternehmen erfolgte, die im Übrigen nicht alle bereits an der Studie von 2005 teilgenommen
haben.
35 ZKM 2007, 128 ff.
36 Ehler, BB 2010, 702, 703; Ehler, BB 2000, 978, 980.
37 Unberath, NJW, 2011, 1320 ff.
33
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7. Aspekt: Mediationsrichtlinie, Mediationsgesetz, Vorschläge der Europäischen Kommission einer
Richtlinie über alternative Streitbeilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und über eine
Verordnung über Online-Streitbeilegung
a. Mediationsgesetz
Eines der stärksten Argumente dürfte das auf einer EG-Richtlinie beruhende Mediationsgesetz sein. Der
Europäische Rat hat bereits auf seiner Tagung im norwegischen Tampere am 15. und 16. Oktober 1999
unter dem Aspekt des besseren Zugangs zum Recht in Europa die Mitgliedstaaten aufgefordert, alternative
außergerichtliche Verfahren zu schaffen. Dabei ist schon in diesem Zusammenhang Wert darauf zu legen,
dass hier der Plural verwendet wird („außergerichtliche Verfahren“).
Der nächste Schritt dauerte dann bis zum 19.04.2002, an dem die Kommission der Europäischen
Gemeinschaften das sog. Grünbuch über alternative Verfahren vorgelegt hat. Ausdrücklich wird dort die
ADR - und zwar „nur“ die ADR genannt, zur Streitbeilegung im Zivil- und Handelsrecht; den Begriff
„Mediation“ sucht man dort vergebens.
Als Ergebnis einer Anhörung vom 21. Februar 2003 zur ADR beauftragte die Kommission verschiedene
Vertreter und Repräsentanten der Mediationsverbände und ADR-Interessierter usw., einen "European
Code of Conduct for Mediators" zu entwerfen, während sie sich gleichzeitig vornahm, einen
Richtlinienvorschlag für die Durchführung von Mediation vorzulegen.
Die angesprochene Richtlinie 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008
stand zur Umsetzung bis zum 20. Mai 2011 an. Die Bestimmungen der Richtlinie sollen für
grenzüberschreitende Streitigkeiten gelten, aber
auch
auf interne Mediationsverfahren, also
Mediationsverfahren ohne grenzüberschreitenden Bezug, anwendbar sein können.
Das Bundesjustizministerium hatte schon frühzeitige beabsichtigt, die Mediation mit nationalem und mit
grenzüberschreitendem Bezug auf eine einheitliche Grundlage zu stellen; damit soll vermieden werden,
dass für Mediationen mit nationalem und solche mit europäischem Bezug unterschiedliche Maßstäbe
gelten. Einer Rechtszersplitterung wird dadurch entgegengetreten.38
Mit Datum des 04.08.2010 wurde der Referentenentwurf zum Mediationsgesetz vorgelegt; es folgte der
Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 01.04.2011 39. Nach Beteiligung des Rechtsausschusses40 und
des Bundesrats41 hat der Bundestag schlussendlich die Letztfassung in seiner Sitzung am 28.06.2012
einstimmig angenommen. Das Mediationsgesetz ist am 26. Juli 2012 in Kraft getreten.
b. Weitere Vorhaben der Europäischen Union
Nachdem die EU den Anstoß für die Nutzung von Mediationsverfahren gegeben hat, geht die Integration
außergerichtlicher Streitschlichtungs- und Konfliktlösungsverfahren nun weiter. Im November 2011 hat
die Kommission dem Europäischen Parlament, dem Rat und dem Europäischen Wirtschafts- und
Sozialausschuss eine Mitteilung über „Alternative Verfahren zur Beilegung von Verbraucherstreitigkeiten
im Binnenmarkt“ vorgelegt. In der „Strategie Europa 2020“, so heißt es, sei ein stärkerer, vertiefter und
erweiterter Binnenmarkt für mehr Wachstum und Beschäftigung von fundamentaler Bedeutung. Dies
würde sich aber nur realisieren lassen, wenn der Zugang zum Recht im europäischen Waren- und
Dienstleistungsverkehr für die Verbraucher (und auch Unternehmen) gewährleistet werden kann.
Verbraucher scheuen den Kauf oder die Inanspruchnahme von Dienstleistungen im europäischen
Wirtschaftsverkehr, da sie die Durchsetzung wie im eigenen Land nicht gesichert sehen. Würden die
So die Leiterin der Abteilung Rechtspflege im Bundesministerium der Justiz Marie Luise Graf-Schlicker
auf dem 13. Mediations-Kongress der Centrale für Mediation am 3.4.2009 in Berlin.
39 Drs. 17/5335.
40 Drs. 17/8058.
41 S. Drs. 17/8680 vom 14.02.2012 und Drs. 377/12 vom 29.06.2012.
38
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RA/FAfArbR Karl Ehler, Mediator (ADR), Lehrbeauftragter
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Verbraucher den gesamten europäischen Markt nutzen, würden auch Unternehmen durch den
grenzüberschreitenden Waren- und Dienstleistungsverkehr profitieren. Die Unternehmen in den
einzelnen Ländern könnten ihren Markt über die eigenen Landesgrenzen hinaus zum europäischen Markt
möglichst umfassend erweitern. Der Markt würde sich auch unter dem Gesichtspunkt des Wettbewerbs zu
Gunsten aller verändern können.
Vor diesem Hintergrund schlägt die Europäische Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat
eine Richtlinie und eine Verordnung vor, die zur Erreichung des genannten Ziels der Schaffung eines
effektiven Binnenmarkts für Wachstum und Beschäftigung erforderlich und nützlich sind.
Dabei handelt es sich zum einen um den Vorschlag für eine Richtlinie42 des Europäischen Parlaments und
Rates über Formen der alternativen Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung
der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/EG (Richtlinie über alternative
Streitbeilegung); zum anderen wird der Vorschlag für eine Verordnung des europäischen Parlaments und
des Rates über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten (Verordnung über OnlineStreitbeilegung) zur Ergänzung eingebracht. Beide Vorhaben hängen miteinander zusammen und
ergänzen sich.
Am 12. März 2013 hat das Europäische Parlament sowohl die Richtlinie als auch die Verordnung zur ODR
verabschiedet. Unter Beachtung der Veröffentlichungs- und Umsetzungsfristen sollte bis Sommer 2015
mit der tatsächlichen Nutzung der ODR gerechnet werden können. 43
III. Was ist eigentlich Mediation?
Etymologisch wird der Begriff abgeleitet aus dem Englischen to mediate, was so viel heißt wie vermitteln;
„to mediate“ leitet sich wiederum aus dem lateinischen Wort mediare ab, heißt in seiner ursprünglichen
Bedeutung so viel wie „in der Mitte sein, in der Mitte stehen“; daraus wird vielfach ein Vermitteln,
Ausgleichen, Ausbalancieren abgeleitet bzw. übertragen.
Das Mediationsgesetz formuliert nachfolgende wesentliche Definitionsmerkmale:
 Mediation ist ein vertrauliches und strukturiertes Verfahren, bei dem Parteien mit Hilfe eines oder
mehrere Mediatoren freiwillig und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres
Konflikts anstreben. (§ 1 Abs. 1 MediationsG)
 Ein Mediator ist eine unabhängige und neutrale Person ohne Entscheidungsbefugnis, die die
Parteien durch die Mediation führt. (§ 1 Abs. 2 MediationsG)
 Die Parteien wählen den Mediator aus. (§ 2 Abs. 1 MediationsG)
 Der Mediator ist allen Parteien gleichermaßen verpflichtet. Er fördert die Kommunikation der
Parteien und gewährleistet, dass die Parteien in angemessener und fairer Weise in die Mediation
eingebunden sind. (§ 2 Abs. 3 S. 1 und 2 MediationsG)
Mediation wird in diesem eben definierten Sinne lediglich als quasi abgekürzte Form für das
Mediationsverfahren verstanden (s. a. § 2 Abs. 2 MediationsG). Nur so macht diese Definition Sinn; denn
bereits durch das Definitionsmerkmal „neutrale Person ohne eigene Entscheidungskompetenz“ wird
eindeutig auf ein Mediationsverfahren hingewiesen, ein Verfahren also, mit ganz bestimmten
Verfahrensmerkmalen und Strukturen. Auf solche Mediationsverfahren beschränkt sich leider in der
Regel das heute kursierende Wissen und Verständnis dazu und blendet auf diese Weise andere Verfahren
In Richtlinien werden Ziele festgelegt, die die EU-Länder umsetzen müssen; wie diese Richtlinien
umzusetzen sind bleibt den Ländern in gewissem Rahmen selbst überlassen, solange die vorgegebenen
Ziele dadurch erreicht werden.
43 Ehler, www.mdiationaktuell.de („Fachartikel“).
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der Streitschlichtung und Konfliktlösung sowie wesentliche und wichtige Erkenntnisse und Methoden aus.
Das Mediationsverfahren ist aber nur ein Verfahren der sogenannten ADR, worauf bereits hingewiesen
wurde.44
IV. Moderne Anwendungsbereiche und ergänzende Themenkreise
Als besonders wichtige Anwendungsfelder, die eine vergrößerte Bandbreite der notwendigen
Qualifikationen darstellen, sollen kurz erwähnt sein:
1. Compliance
Unternehmen, die an US-amerikanischen Börsen notiert sind, sind durch das Sarbanes Oxley ACT (SOX)
verpflichtet, bestimmte Verhaltenspflichten insbesondere zur Einhaltung von Gesetzen bzw. zu
Berichtspflichten und Feststellungen von Gesetzesverstößen organisatorisch abzusichern 45. Diese
Absicherung erfolgt wesentlich durch den sog. Code of Conduct.
Der Deutscher Corporate Governance Kodex 46 hat dieses übertragen auf Unternehmen in Deutschland (s.
§ 161 AktG). Mit dem Deutschen Corporate Governance Kodex sollen „die in Deutschland geltenden
Regeln für Unternehmensleitung und –überwachung für nationale wie internationale Investoren
transparent gemacht werden, um so das Vertrauen in die Unternehmensführung deutscher Gesellschaften
zu stärken.“47
2. Wirtschaftsethik
Wirtschaftsethik ist im Zeichen von Finanzkrise und Bonuszahlungen untrennbar mit der
Wertevermittlung verbunden. Datenschutz 48 und auch Ethik-Richtlinien49 stellen im Zusammenhang mit
Compliance-Vorschriften ein thematisches Netzwerk zusammen, welches prägend die Unternehmensphilosophie und die Unternehmenskultur beschreiben und bestimmen.
3. Streitkultur
Mediation und Methoden der außergerichtlichen Streitschlichtung und Konfliktlösung sind grundsätzlich
keine Entdeckung des 20. oder 21. Jahrhunderts. 50 Konfliktlösung ist Bestandteil einer Gesellschaft
zusammenlebender Menschen und muss es auch sein, will man nicht dem sog. Stärksten das Feld
überlassen. Dies führt unweigerlich zu dem Begriff „Kultur“, besser „Streitkultur“ – überlässt man die
Durchsetzung von Interessen dem „Stärkeren“ oder will man eine werteorientierte, chancengleiche
Interessenklärung.
Übrigens: In Japan und China ist der Vermittlungsgedanke seit jeher das hauptsächliche Mittel zur
Beilegung von Konflikten51, was bis heute auf die starke Betonung von Konsens, Kooperation und
Harmonie in diesen Ländern zurückzuführen ist52.
Ehler, BB 2010, 702 ff.
Mengel, Compliance und Arbeitsrecht, 2009, 1. ff. 6 f.
46 Eingeführt durch das Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz- und
Publizität (Transparenz- und Publizitätsgesetz) vom 19.07.2002, BGBl. Teil I Nr. 50 vom 29.07.2002.
47 So die vom Bundesministerium der Justiz im September 2001 eingesetzte Regierungskommission
Deutscher Corporate Governance Kodex, die am 26.02.2002 den CGK verabschiedet hat.
48 Thüsing, NZA 2009, 865; Kock/Francke, NZA 2009, 646 ff.
49 BAG vom 22.07.2008 – 1 ABR 40/07, NZA 2008, 1248; LAG Düsseldorf vom 14.11.2005 – 10 TaBV
46/05, NZA 2006, 63.
50 Ehler, Vom nachlassgerichtlichen Vermittlungsverfahren zum Konsiliarverfahren bei der
Auseinandersetzung von Erbengemeinschaften, 2013, S. 27 ff.
51 Pißler, Mediation in China, ZChinR 2008, 307 ff.; Potsch-Ringeisen, Mediation als Methode der
Konfliktbearbeitung in der deutsch-chinesischen Wirtschaftskooperation, in: Crijns/Thalheim (Hrsg.),
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Im asiatischen Kulturkreis kennt man den Spruch „Einen Freund zu behalten ist wichtiger, als einen Sieg
zu erringen“. Im europäischen Kulturkreis kann man den Eindruck gewinnen „Lieber einen Freund
verloren, als einen guten Witz verpasst“. Hieraus werden bereits große Unterschiede im soziokulturellen
Verständnis deutlich.
V. Schlusszitat
In Anlehnung an Gilbert Keith Chesterton53 soll das Schlussstatement lauten:
„Die Leute streiten im Allgemeinen nur deshalb, weil sie nicht verhandeln können“.
Kooperation und Effizienz in der Unternehmenskommunikation, 2006; Iwanowski, Reisegast in Japan,
2005, S. 151 ff. Haft/Schlieffen-Hehn, Handbuch Mediation, 2002, S. 154.
52 Haft/Schlieffen-Hehn, Handbuch Mediation, 2002, S. 154 und 167; Oboth/Seils, Mediation in Gruppen
und Teams, 2006, S. 17.
53 1874 – 1936, engl. Schriftsteller und Journalist
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